Tips zur Musikproduktion mit einer DAW
Author D.Selzer-McKenzie
https://youtu.be/OB26hq6NHSA
Im Folgenden gebe ich ein paar Hinweise auf Vorgehensweisen,
die bei der Pro¬duktion eines Musiktitels mit einer DAW hilfreich sein können.
Sie beruhen auf persönlichen Erfahrungen. Ich möchte sie als Denkanstöße
verstanden wissen. Es sind keine Gesetze, die bei Missachtung zwingend mit
einem schlechten Sound bestraft werden.
1. Aufbau eines
Arrangements mit einem Schlagzeug-Element oder einem einfachen Rhythmus
Wenn man beginnt, einen Musiktitel mithilfe einer DAW zu
komponieren und zu arrangieren, dann ist es sicherlich sinnvoll, mit einem
rhythmischen Element zu beginnen. Das kann eine Hi-Hat sein, ein Drumloop oder
ein einfach program¬miertes Schlagzeug, das einen rudimentären Rhythmus spielt.
Mit so einem rhythmischen Element fällt es leichter, die musikalischen Parts in
die DAW zu spielen. Solange man ausschließlich mit MIDI arbeitet, hat man
jederzeit die Möglichkeit, das Tempo zu verändern. In dem Moment, in dem man
eine Audioaufnahme vornimmt, sollte allerdings klar sein, in welchem Tempo der
Titel sein soll. Bei einer modernen DAW wie Cubase oder Logic Pro kann man auch
noch nach einer Audio-Aufnahme das Tempo umstellen. Es werden dann allerdings
die vorhandenen Audiotracks auf das aktuelle Tempo umgerechnet, was je nach
Ausmaß der Veränderung zu Klangeinbußen führen wird.
2. Nur die
Plug-ins verwenden, die man unbedingt benötigt
Plug-ins verschlingen Prozessorleistung. Wenn die CPU stark
belastet wird, dann verlängert sich die Rechenzeit (Latenz) vieler gleichzeitig
abzuarbeiten¬der Prozesse. Die Auswirkungen liegen zwar im
Millisekundenbereich, aber auch schon kleinste Verzögerungen machen sich bei
der Generierung eines Rhythmus unschön bemerkbar. Eine ordentliche DAW hat eine
sogenannte Latenzkompensation, um dieses Problem zu beseitigen. Besitzt der
verwen¬dete Host diese Funktion nicht, dann kann es beim gleichzeitigen Einsatz
vieler Plug-ins unangenehm werden. Man wird gezwungen sein, nur so viele Unter-programme
zu verwenden, wie unbedingt notwendig sind.
Aus musikalischer Sicht ist es sinnvoll, einen Sound nicht
mehr zu verbiegen, als unbedingt notwendig. Selbstverständlich ist es
notwendig, einen Equalizer zu verwenden, um das Frequenzspektrum des Sounds für
den Mix zu opti¬mieren, aber bei einem EQ pro Kanalzug sollte es dann auch
bleiben. Jedes
Problem, das mit vier EQ-Bändern nicht zu beseitigen ist,
sollte anderweitig gelöst werden.
Beinahe jedes Instrument erhält mit etwas Kompression mehr Durchsetzungs¬kraft.
Aber ein Kompressor plus Sidechain-Kompressor plus Brickwall-Limiter für einen
einzelnen Sound lassen nicht mehr viel Musik übrig. Modulationsef-fekte wie
Chorus, Phaser und Flanger sind prima Werkzeuge, um einen Sound interessanter und
im Stereo-Panorama breiter klingen zu lassen, aber mehrere Effekte dieser Art
für einen einzigen Sound stören sich in ihrer Wirkung gegen¬seitig.
Mein Tipp zur Reihenfolge: Erst kommt der Equalizer, dann je
nach Bedarf der Modulationseffekt und am Ende der Kette der Kompressor.
3. Nur die musikalischen Elemente in einem Song verwenden,
die eine klar definierte Funktion haben
Eine leistungsstarke DAW verleitet dazu, verschwenderisch
mit musikalischen Elementen umzugehen. Jede noch so kleine Lücke im Arrangement
wird nur zu gern geschlossen. Schnell finden sich in einem Arrangement so viele
Sounds, wie ein Symphonie Orchester Musiker beherbergt. Die Kunst liegt aber
meist im Weglassen, im Reduzieren auf das Wichtigste.
Jedes einzelne Element, jeder Sound benötigt seinen eigenen
Platz, seinen eigenen Auftritt - wie der Musiker in einem Orchester. Die
Positionierung kann man sich vorstellen wie das Einordnen in ein
vierdimensionales Koordinaten¬system. Die vertikale Achse steht für das
Frequenzspektrum. Unten befinden sich die Bässe, oben die Höhen. Die
horizontale Achse steht für das Panorama. Links befindet sich alles, was aus
der linken Box kommt, rechts alles, was aus der rechten Box kommt. Und die
Mitte steht für die Sounds, die mono sind.
Die dritte Dimension bildet die räumliche Tiefe ab. Sie wird
bestimmt durch den Hall-Anteil eines Instruments oder beispielsweise einer
Stimme. Eine Stimme ohne jeglichen Halleffekt empfindet man als ganz nahe,
praktisch vor der Nase. Versehe ich den Stimmensound mit einem Reverb, der ein
langes Pre-Delay von 50 ms mitbringt, dann kommt die Stimme klanglich aus den
Tiefen des
Die vierte Dimension ist die Zeit beziehungsweise der
Augenblick, in dem das musikalische Element wahrgenommen wird. Das Gitarrensolo
hat seinen Auf¬tritt, zieht die gesamte Aufmerksamkeit auf sich und macht
danach wieder Platz für die Stimme. Songs, bei denen Schlagzeug, Bass,
Gitarren, Keyboards. Stimmen und Soundeffekte vom ersten bis zum letzten Takt
„durchdudeln". werden kaum besondere Höhepunkte aufweisen.
Mit diesem imaginären vierdimensionalen Koordinatensystem
kann man jedes einzelne Element in einem Arrangement positionieren. Alles
bekommt sei¬nen zugewiesenen Platz. Und was passiert, wenn sich drei, vier
Sounds an derselben Position finden? Sie spielen zur selben Zeit, besetzten
dasselbe Frequenzspektrum und sind räumlich nicht voneinander getrennt. Sie
stehlen sich gegenseitig die Show und vermischen sich zu einem
undifferenzierten Klangereignis.
Mit dieser Maßgabe im Kopf behält man bei einer
Musikproduktion die Kon¬trolle über den Gesamtklang, und sie hilft, beim
Mixdown einen ausgewoge¬nen, nicht überladenen Sound zu formen.
Wenn die amerikanischen Musikproduzenten eines beherrschen,
dann ist es die Kunst des Weglassens. Amerikanische
R&B-Pro-
duktionen führen uns dies vor. Ein Song benötigt nicht mehr
als zwei vielleicht drei Sound-Elemente, um wirklich groß zu klingen. Aber
diese drei Elemente müssen zu 100 Prozent perfekt sitzen. Der Synthesi¬zer muss
so klingen, als könnte man sich an der Stelle überhaupt nichts anders
vorstellen. Und eines ist klar dabei: Diesen einen Sound zu finden und richtig
zu formen, ist mindestens genau so aufwendig, wie einen Song mit 30 Plings und
Plongs zu überfrachten.
4. Copy-Paste in Grenzen halten
In nahezu jeder Art von Musik besteht ein Arrangement aus
einer Anzahl vor Wiederholungen. Das weiß jedes Kind. Durch Wiederholung wird
ein Refrain erst eingängig. Wer einen Hit produzieren möchte, legt es darauf
an, einen Song zum Mitsingen zu komponieren. Der Refrain kommt wieder und
wieder, damit er ins Ohr geht. Die Copy-Paste-Funktion ist perfekt dafür. Man
arrangiert eine Strophe und einen Refrain und bastelt aus diesen beiden Parts
den ganzen Song. In der zweiten Strophe gibt es noch einen anderen Text, alles andere
bleibt exakt gleich. Zweiter Refrain — ratzfatz. Dritter Refrain doppelt,
fertig ist die Laube.
Wer allerdings ein anspruchsvolles Arrangement erstellen
möchte, der wird sich etwas mehr Mühe geben müssen. Selbstverständlich gibt es
musikali¬sche Ereignisse, die sich in ihren Funktionen wiederholen. Es gibt
auch keinen Grund sie nicht zu kopieren, aber Musik sollte lebendig und
abwechslungsreich wirken, oder?
Die Kunst liegt in der Feinarbeit. Nachdem man einen
musikalischen Abschnitt kopiert hat, kann man ihn kreativ verändern. Das
Schlagzeug spielt beispiels-weise im zweiten Refrain nicht mit der Hi-Hat,
sondern dem Ride-Becken. Der Flächensound erhält im zweiten Refrain zusätzlich
einen leicht modulierenden Resonanzfilter, oder die zweite Stimme singt eine
etwas veränderte Gesangsli-nie. Die Kleinigkeiten machen in der Summe genommen
den Unterschied aus.
5. Farben zur
Orientierung für Spuren verwenden
Wenn eine Musikproduktion immer umfangreicher wird, dann
sind Orientie-rungshilfen nützlich: Alle Drumspuren gelb, die Bässe blau,
Gitarren grün und so weiter. Das klingt trivial, hilft aber ungemein, wenn sich
im Laufe einer Pro-duktion vierzig und mehr Spuren untereinander angesammelt
haben.
6. Nicht zu
viele Modulationseffekte verwenden
Modulationseffekte wie Chorus, Phaser und Flanger sind prima
Werkzeuge um einenSound interessanter, bewegter und dreidimensionaler wirken zu
lassen. Sie sind sehr gut geeignet, um beispielsweise einen Gitarren- oder
Synthesizer-Klang aus der virtuellen Mitte nach außen in das Stereo-Klangbild
zu befördern. Einen Chorus kann man sehr schön einsetzten, um gesungene Stimmen
schö-ner klingen zu lassen. Wie so oft wird auch der Einsatz dieser Effekte
kritisch, wenn man mehrere Sounds in einem Mixdown mit ihnen versieht. Die sich
addierenden kleinen Phasenverschiebungen und Filtereffekte vermischen sich in
der Summe zu einem diffusen Klangbild, das um die Monosignale herum-wabert.
7. Keine
Modulationseffekte für Instrumente verwenden, die einen star¬ken Bassanteil
haben
Modulationseffekte wie Chorus, Phaser und Flanger sind
Effekte, die kleine sich ständig verändernde Phasenverschiebungen erzeugen. Das
klingt interessant, bringt jedoch unweigerlich Phasenauslöschungen in den
tiefen Frequenzen mit sich. Wenn man einen Bass-Sound mit solch einem Effekt
versieht, dann verliert er an Druck und Durchsetzungskraft. Wem dieser
Tatbestand bewusst ist, der kann damit spielen, indem er einen zweiten Bass
installiert, der das Pro¬blem kompensiert. Das sollte man aber nur tun, wenn man
ein Monitorsystem besitzt, das akustisch genau abbildet, was passiert.
8. Nicht zu
viele Delays verwenden
Es gibt gerade im EDM-Bereich Stilrichtungen, in denen
Delays ein wichtiges Gestaltungswerkzeug sind. In den meisten DAWs gibt es
Delay-Plug-ins, die auf Knopfdruck Echos erzeugen, die genau im Takt sind.
Viertel-, Achtel- oder punktierte Grooves können so ganz einfach erzeugt
werden. Das funktioniert einwandfrei. Wenn jedoch zu viele einzelne Elemente in
einem Musiktitel damit versehen werden, dann führt das unweigerlich zu
Konfusion im Sound. Obwohl die einzelnen Echos alle im Takt sind, kann in der
Summe aller Delays leicht ein Durcheinander entstehen, da jeder Original-Sound
eine eigene rhythmische Phrasierung hat. Diese unterschiedlichen Phrasierungen
kämpfen nun in ihrer ständigen Wiederholung um die Vorherrschaft. Viel
wirkungsvoller ist es, das Delay für nur einen einzelnen Sound zu verwenden,
diesen Effekt richtig zu „zelebrieren" und, wenn es Zeit ist, einfach
auszuschalten oder von einem anderen Instrument weiterführen zu lassen. Oftmals
klingen Delays, die eben nicht genau im Vierteltakt klingen interessanter, da
sie sich nicht auf den star¬ken Taktzeiten tummeln, sondern für sich etwas
unregelmäßig zwichen den Beats hörbar sind.
9. Nicht für
jedes Instrument einen anderen Reverb verwenden
Wenn es darum geht, einen Sound zu formen, der als
Band-Sound wahrge-nommen werden soll, dann ist es sinnvoll, für die einzelnen
Instrumente nicht zu viele unterschiedliche Hallräume zu verwenden. Schließlich
spielt eine Band in der Regel in ein und demselben Raum oder auf ein und
derselben Bühne, wo für alle Instrumente ähnliche akustische Bedingungen
herrschen.
10. Mixdown-Level-Automation
verwenden
Das Programmieren sich verändernder Lautstärke-Verhältnisse
der einzelnen Sounds beim Mixdown ist ein bedeutendes Feature einer DAW. Es
dient nicht nur dazu, Lautstärkeunterschiede, die bei der Aufnahme entstanden
sind, innerhalb einer einzelnen Spur zu kompensieren. Die Level-Automation
bietet darüber hinaus Raum für Kreativität: Eine variierende Gewichtung
einzelner Sounds innerhalb eines Arrangements schafft Lebendigkeit und
Abwechslung.
11. Nicht in einen
Limiter hineinmixen, der in die Summe eingeschliffen ist Der Limiter in der
Summe sorgt beim Mixdown dafür, dass der maximale Pegel von 0 dBFS nicht
überschritten wird. Wenn die Mixdown-Session eines Titels beendet ist, wird der
Limiter verwendet, um die Lautheit des Musiktitels zu erhöhen. Es empfiehlt
sich jedoch, einen Limiter erst dann zu verwenden, wenn der Mixdown-Prozess
abgeschlossen ist, anderenfalls verliert man die Kontrolle über die
tatsächlichen Pegelverhältnisse der Summenschiene. Die¬ser Kontrollverlust kann
zu Verzerrungen führen, und man wird sich wundern, warum beispielsweise die
Bassdrum nicht lauter wird, wenn man ihren Pegel erhöht. Es passiert sehr
leicht, dass man den Eingang des Limiters mit 6 dBFS oder mehr übersteuert,
ohne es zu merken. Es ist kein Problem, einen zu leisen Mixdown in der Summe
mit einem Limiter anzuheben. Es ist allerdings ein erhebliches Problem, einen
übersteuernden Mixdown wieder auf normales Maß zu bringen.
12. Im Mixdown ganz von vorn beginnen und Referenzen hören
Bei der Arbeit mit einer DAW vermischen sich die
ursprünglich getrennten Arbeitsschritte einer Musikproduktion. Traditionell
wurden früher zunächst alle Instrumente auf ein Speichermedium aufgezeichnet,
danach begann dann der Mixdown-Prozess. Produziert man einen Titel in einer
DAW, so wird man bei¬spielsweise einen Keyboard-Sound gleich mit den zusätzlichen
Chorus- oder Delay-Effekten versehen, um von Anfang an mit dem fertigen Sound
weiterar¬beiten zu können. Das bedeutet zwar nicht, dass das gewählte Setting
unver¬rückbar und unveränderbar bleibt, aber man geht zunächst davon aus, dass
der Sound bereits in Ordnung ist.
So werden nach und nach alle Komponenten eines Musiktitels
gleich im „rich¬tigen" Klangbild mit der vorgesehenen Lautstärke
zusammengefügt. Danach sollte der Titel eigentlich schon fertig sein. Hört man
sich das Ergebnis jedoch in Ruhe an, so wird man sicher feststellen, dass der
Titel noch nicht perfekt klingt. Beginnt man dann, sich mit dem eigentlichen
Mixdown eines Titels zu beschäftigen, dann geht man von dem derzeitigen Zustand
aus, in dem sich der Song befindet. Man betrachtet also nicht die einzelnen
Instrumente bezie¬hungsweise Sounds Spur für Spur.
Diese Vorgehensweise ist nicht ideal. Häufig werden Faktoren
wie der Gesamt¬pegel, die Tiefenstaffelung, die Aufteilung des
Frequenzspektrums auf die ver¬schiedenen Instrumente im Eifer des Gefechts
vernachlässigt. Beginnt man nun, am halbfertigen Mixdown zu arbeiten, dann
erreicht man oftmals nicht das optimale Ergebnis. Im Umkehrschluss bedeutet
das: Wenn alles im Kasten ist, wird es sinnvoll sein, zunächst einmal alle
Spuren auszuschalten und so tun, als würde man ganz von vorn beginnen: Als
erstes die Drums mit Bassdrum und Snare wieder einschalten, darauf achten, dass
man genug Headroom lässt (6 bis 10 dBFS). Danach den Bass, die Keyboards und so
weiter einschalten und entscheiden, ob jeweils ein Equalizer notwendig ist oder
ob der bereits verwen¬dete EQ das Richtige tut.
Auf diese Weise wird der Mixdown komplett neu aufgebaut.
Dabei liegt die Aufmerksamkeit nicht mehr so stark darauf, was ein Instrument
spielt, son¬dern darauf, wie es klingt und wie es sich in das Gesamtbild
einfügt. Wichtig ist, dass nicht zu viele Klänge mit ähnlichem Frequenzspektrum
gleichzeitig Selbstverständlich kann man beim Mixdown zurück in das Arrangement
gehen und einen Sound ersetzen oder den Aufbau eines Titels verändern. Im
Hinblick auf den Gesamtklang wird sich die Sichtweise auf das Werk verändert
haben. Hilfreich sind Pausen. Ein bis zwei Tage Abstand schaffen neue
objektivere Urteilskraft.
Wenn man an den Punkt gelangt ist, an dem man glaubt, es
geschafft zu haben. ist es Zeit, einen Referenztitel gleichen Genres zu hören.
Wichtig ist dabei. gleiche Bedingungen zu schaffen. Dabei spielt die identische
Abhörlautstärke eine zentrale Rolle. Da man geneigt ist, einen Sound als besser
zu bewerten. wenn er einfach nur lauter ist, wird es notwendig sein, den
Referenztitel leiser regeln, denn das eigene Werk wird zu diesem Zeitpunkt noch
nicht gemaster sein. Der Referenz-Vergleich bei gleicher Lautheit zeigt
schnell, wie der eigene Titel zu bewerten ist.
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