Die Welt hängt am Öltropf
Author D.Selzer-McKenzie
https://youtu.be/swwCariycvM
Das hohe Ölangebot hält die Preise für den Rohstoff niedrig
- mit spürbaren Auswirkungen auf die Kapitalmärkte und die Geldpolitik
weltweit. Erst im Jahresverlauf könnte mit einer moderaten Erholung gerechnet
werden. Doch Unsicherheiten bleiben - für Anleger, Unternehmen und
Volkswirtschaften.
Sich einmal wie ein Ölmagnat fühlen: In North Dakota braucht
es dafür nicht ein¬mal mehr ein prall gefülltes Bankkonto. Schon 380 US-Dollar reichen
aus, um
einen 40.000-Liter-Tanklaster randvoll
Preisdruck durch Überangebot
Bestimmend für die derzeit vergleichsweise niedrigen
Ölpreise ist in erster Linie die Ange-botsseite. Denn seit Anfang 2014 steigt
nach Angaben der US-Energie-Informations-Behör-
de (EIA) die globale Ölproduktion tendenziell stärker als
der Verbrauch, wozu maßgeblich die Ausweitung der US-Förderung durch das
sogenannte Fracking beigetragen hat. In der Folge wird seither mehr Öl
gefördert als konsu-miert (siehe Grafik S. 2): Betrug 2014 das welt-
weite Überangebot laut EIA durch-
schnittlich 0,9 Millionen Barrel pro Tag, waren es
vergangenes Jahr bereits 1,9 Millionen Barrel - das entspricht rund 80 Prozent
des Tagesverbrauchs an Erdöl in Deutschland.
Für den Ölpreis hatte diese Ent-wicklung verheerende Folgen:
Die bei¬den bedeutendsten Ölsorten Brent und WTI verloren vom Spätsommer 2014
bis heute rund 65 Prozent ihres Wertes in US-Dollar. Mit 18 Monaten ist es
zu¬gleich die längste Phase tendenziell fallender Ölpreise seit der Asienkrise
Ende der 1990er-Jahre. Ausschlag¬gebend dafür war und ist, dass die wichtigsten
Ölförderländer, anders als
in vergangenen Krisenzeiten, auf die sinkenden Preise nicht mit einer Drosselung ihrer
Fördermengen reagierten. Im Gegenteil: Neben den USA erhöhten auch Russland
sowie die 13 Mitgliedsstaaten der OPEC (Organisation erdölexportierender
Län¬der) ihre Produktion immer weiter. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum
einen kann selbst bei den stark gesunkenen Preisen mit dem Ver¬kauf von Erdöl
noch Geld verdient werden. In Saudi-Arabien zum Beispiel liegen die margina¬len
Produktionskosten — also die Förderkosten in einem erschlossenen und
infrastrukturell ausgebauten Gebiet — bei 3 bis 4 US-Dollar pro Barrel. In den
USA sind sie mit durchschnittlich 17 US-Dollar zwar deutlich höher, liegen aber
immer noch unter den aktuellen Verkaufsprei¬sen. Ähnlich günstig wird auf dem
russischen Festland gefördert. Zudem kommt Russland zugute, dass seine in
heimischer Währung aus¬gewiesenen Öleinnahmen durch den zuletzt unter Druck
geratenen Rubel gestützt werden.
Zum anderen müssen zum Beispiel Russ¬land und Saudi-Arabien
schlichtweg weiter produzieren, da ein wesentlicher Teil ihrer staatlichen
Sozialleistungen über die Einnah¬men aus dem Ölgeschäft finanziert wird. Schon
heute reißen die gesunkenen Ölpreise erhebliche Löcher in ihre Staatshaushalte.
Ein weiterer Wegfall dieser Erträge — und sei er auch nur kurzfristig — hätte
gravierende gesell¬schaftliche und innenpolitische Folgen.
Investitionen brechen ein
Ein weiteres Problem wird deutlich, wenn man die Vollkosten
eines Barrels Erdöl betrachtet —also Produktionskosten inklusive Exploration
und Erschließung: Mit mindestens 55 US-Dol¬lar liegen diese deutlich über den
derzeitigen Verkaufspreisen. Als Folge haben Ölfirmen weltweit nach Angaben der
Beratungsgesell¬schaft Wood Mackenzie im Jahr 2015 Investiti¬onen von 380
Milliarden US-Dollar aufgescho¬ben. Das ist für die Ölindustrie und deren
Zulieferer, aber insbesondere für die einst florie-
renden US-Frackingunternehmen ein Hemm-schuh: Denn anders
als bei klassischen Förder-verfahren bedarf es beim Fracking ständiger
Investitionen, da die einzelnen Bohrlöcher sich vergleichsweise schnell
zusetzen und daher regelmäßig neu „gefrackt" werden müssen. Das macht die
Technik zunehmend unrentabel. Die Fördermengen werden in diesem Jahr
vermut¬lich entsprechend signifikant sinken.
Keine Trendwende, aber allmähliche Erholung in Sicht
Derzeit rechne ich für das laufende Jahr mit einer langsamen
Erholung auf dem Ölmarkt —auch wegen der Entwicklung in den USA. Der Boden bei
den Ölpreisen dürfte spätestens zur Jahresmitte erreicht sein und der
Verkaufspreis sich im Jahresmittel bei rund 50 US-Dollar pro Barrel einpendeln.
Ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage erwarte ich erst 2017. Selbst
diese moderaten Erholungstendenzen sind allerdings mit einigen Unsicherheiten
be¬haftet. Schließlich ist der Ölmarkt derzeit auch ein politischer Markt. So
bleibt es abzuwarten, wie die OPEC sich in den kommenden Monaten verhalten wird
und welche Rolle insbesondere die Ölgroßmacht Saudi-Arabien und der Iran, nach
dem Fall der gegen ihn gerichteten Sank¬tionen, dabei spielen werden.
Hohe Korrelation setzt Märkte unter Druck
Aus Anlegersicht ist in der momentanen Situa¬tion ein
Engagement im Ölsektor weiterhin nur begrenzt angezeigt — insbesondere aufgrund
der aktuell sehr hohen Prognose-Unsicherheit beim Erdölpreis. Einzig besonders
innovative und damit anpassungsfähige Energieunterneh¬men mit starken Bilanzen
könnten derzeit aus meiner Sicht möglicherweise für ein Investment infrage
kommen. Voraussetzung dafür sind jedoch eine vorherige intensive und genaue
Marktanalyse sowie eine pro-
fessionelle und sorgfältige Auswahl möglicher Unternehmen.
Und selbst wer nicht direkt im Energiesektor investiert ist,
spürt die Turbulenzen vom Öl¬markt. So ist insbesondere in den USA die
Kor¬relation zwischen Ölpreis und Aktienkursen signifikant: Trotz ihrer
bedeutenden Ölindustrie wurde der sinkende Ölpreis dabei bis zur Marke von 40
US-Dollar/Barrel am US-Aktienmarkt eher positiv interpretiert, da er die
Kaufkraft der Verbraucher ankurbelte. Mittlerweile über¬wiegen dagegen die
negativen Einschätzungen. Die in diesem Zusammenhang von einigen
Marktteilnehmern befürchtete Destabilisierung des US-Finanzsystems erwarte ich
jedoch nicht. Zwar könnte es im US-Anleihemarkt in den kommenden Monaten zu
einem Anstieg der Ausfallraten im stark von Ölfirmen besetz¬ten Hochzinsbereich
auf rund 10 Prozent kom¬men. Jedoch stehen Hochzinsanleihen in den USA derzeit
nur für 2 Prozent der ausstehenden Kredite. Zum Vergleich: Am Beginn der
Sub-prime-Krise 2007 machten Hypothekenschul¬den rund 30 Prozent der
Forderungen aus.
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