Montainbiker im Alpencross
Author D.Selzer-McKenzie
https://youtu.be/eDOje8h_KOk
Mountainbiker mit dem Gedanken an einen Al¬pencross mit
Freunden und dem eigenen Bergradl spielen, dann stellt sich schnell die Frage:
„Welche Route soll es sein?" Man setzt sich an den Computer, recher¬chiert
und lädt schließlich die Tourdaten auf sein GPS-Gerät herunter, oder man kauft
sich ein Roadbook und fährt einen der vielbefahrenen „Transalp-Highways"
nach. Wer mutig genug ist, kann sich auch selbst eine Route auf diversen
Outdoor-Platt-formen im Internet oder ganz traditionell mit gedrucktem
Kar¬tenmaterial zusammenstellen. Die Routenplanung hat in so gut wie jedem
Alpencross-Buch ein eigenes Kapitel und stellt natür¬lich einen zentralen
Faktor bei so einer Unternehmung dar.
Wir, drei alte Schulfreunde, haben uns jedoch zum Ziel
gesetzt, den ach so wichtigen Faktor der genauen Routenplanung gegen mehr
Ungewissheit, Überraschungen und Spontaneität einzu¬tauschen - gegen Dinge, die
ein Abenteuer wirklich zu einem Abenteuer machen. Martin, Vali und ich
entschieden uns also dafür, dem Namen „Abenteuer Alpencross" alle Ehre zu
ma¬chen.
Wir legten neben der maximalen Dauer der Tour von 10 Tagen
lediglich fest, in Grassau im Chiemgau zu starten, die erste Nacht auf dem
Carl-von-Stahl-Haus und die zweite auf der Ha¬gener Hütte zu verbringen, um
dann irgendwie zum Karnischen Höhenweg zu gelangen. Weitere Ziele legten wir
nicht fest, wussten aber, dass sich diese im Laufe der Tour ergeben würden.
Wir entschieden uns dafür, dem Namen
„Abenteuer Alpencross" alle Ehre zu machen
Um aber auch darauf vorbereitet zu sein, hin und wieder
drau§en zu biwakieren, nahmen wir Schlafsack, Isomatte, Biwak-sack und ein
Tarp (eine kleine Plane zum Aufspannen als Zelter¬satz) mit. Die Rucksäcke
wurden auf diese Weise natürlich nicht gerade leichter. Um nicht an
Rückenschmerzen einzugehen, sparten wir stattdessen an allen anderen Ecken und
Enden, so¬dass wir schließlich auf durchschnittlich 7,5 kg pro Rucksack kamen.
Für Wind, Wetter und kalte Nächte ausgerüstet, starteten wir
Ende August von Grassau unseren Alpencross. Der erste Tag war gleich so
verregnet, dass unsere Stimmung und unsere Ausrüstung ihre erste
Bewährungsprobe zu bestehen hatten. Die Wegfindung fiel uns trotz des Regens
relativ leicht, da wir uns in den Chiemgauer Bergen sehr gut auskannten. Wir
radelten über die kleine Joch-bergalm und durch das wunderschöne Röthelmoos bis
zum Weit-see und weiter auf Forstwegen bis nach Schneizlreuth. Dort sahen wir
uns aus Zeitgründen gezwungen, Strecke zu machen und wei¬ter auf der B 305 nach
Berchtesgaden zu fahren. Ohne Schutzble-che sahen wir bei dem Regen natürlich
nicht gerade sauber aus und beehrten dergestalt den nächstbesten
Lebensmittelladen in der Touristenhochburg Schönau am Königssee, um - von
ver¬schiedenen Seiten kritisch beäugt - unseren Hunger zu stillen. Bald ließen
wir jedoch den Laden hinter uns und strampelten bergwärts hoch über dem
berühmten Malerwinkel gen Königs-bachalm und Carl-von-Stahl-Haus am Torrener
Joch. Oben ange¬kommen, wurde noch kurz beratschlagt, ob wir bei der
Feuchtig¬keit, dem drohenden Gewitter und dem starken Wind wirklich draußen
biwakieren wollten. Die Entscheidung fiel auf ein klares Nein und wir leisteten
uns den Luxus der ersten Hüttenübernach-tung.
Am Morgen des zweiten Tages starteten wir früh hinunter
durchs malerische Bluntautal, um dann entlang der Salzach stromauf¬wärts über
Bischofshofen und St. Johann im Pongau bis vor den
kleinen Ort Lend zu strampeln. Von dort aus führt der Weg
über den Klammtunnel ins Gasteiner Tal. Wir versuchten diesen Tun¬nel auf der
Ostseite der Gasteiner Ache zu umfahren, was jedoch scheiterte, weil es dort
einfach keinen Weg gab. Trotzdem ärger¬ten wir uns darüber kaum, sondern
genossen noch den Anblick eines Wasserfalls, der das schöne Ende unseres
vergeblichen Ver¬suchs markierte, und schlugen schließlich doch den Weg über
den Klammtunnel ein. Da wir am selben Tag noch auf die Hagener Hütte wollten,
fuhren wir relativ zügig durch das gesamte Gastei¬ner Tal bis hinauf zur
Naßfeldalm im Talboden von Sportgastein.
Der steile Weg wurde immer steiniger,
und die Nacht brach herein
Als wir dort ankamen, war es bereits nach sieben Uhr abends,
und wir waren alle relativ entkräftet, wollten jedoch keinesfalls auf der Alm
bleiben, sondern die 850 Höhenmeter zur Hagener Hütte noch hinter uns bringen.
Wir riefen also bei der Hütte an, um unsere späte Ankunft anzukündigen. Dann
radelten wir den rest¬lichen Talboden hinter, wo wir schließlich die Radl
bergauf schul¬tern mussten. Der steile Weg wurde immer steiniger und
ver-blockter, und die Dunkelheit der Nacht brach schnell herein. Außerdem bekam
Martin schon früh Knieschmerzen, und das Gewicht seines Bergradls auf den
Schultern trug nicht gerade I>
zur Linderung des Schmerzes bei. Wir kamen immer langsamer
voran. Die geplanten zwei Stunden Aufstieg bis zur Hütte hatten wir schon
längst überschritten. Da wir den Hüttenwirt nicht voll¬kommen verärgern
wollten, legte der noch fitte Vali einen ordent¬lichen Zahn zu. An der Hütte
angekommen, holte er sich ein ge¬waltiges Donnerwetter vom Wirt ab und rannte
dann zurück, um Martins Radl bergkameradschaftlicherweise hochzutragen. Als wir
dann schließlich alle um kurz vor halb zwölf ankamen, war der Wirt bereits im Bett,
und wir schlichen leise und erleichtert durch die Hütte in unser Nachtlager.
Da wir unser Essen selbst dabeihatten, kauften wir am
nächsten Morgen auf der Hütte auch kein Frühstück, was den Wirt fast noch mehr
verärgerte. Aufgewärmt durch die Morgensonne vor der Hütte, planten wir dann
die grobe Route für den Tag. Es sollte durchs Mölltal nach Winklern und über
den Iselsberg nach Lienz gehen, von wo aus wir noch bis Sexten fahren wollten,
um am nächsten Tag auf den Karnischen Höhenweg zu starten. Eine Unterkunft in
Sexten hatten wir uns zu dem Zeitpunkt bewusst noch nicht ausgesucht. Die
Abfahrt von der Hagener Hütte war traumhaft, und die Goldberg- und die
Ankogelgruppe boten dabei eine beeindruckende Kulisse. Ab Mallnitz machten wir
sehr viel Strecke auf Asphalt und kamen deshalb recht zügig voran. Nach bis
dahin knapp 400 gefahrenen Kilometern erreichten wir am späten Abend des
dritten Tages Sexten.
Die Abfahrt von der Hagener Hütte
war traumhaft
Weil es sehr kalt war, fragten wir in Pensionen und Hotels,
ob noch etwas frei sei. Jedoch gab es leider keine freien Zimmer mehr oder nur
solche, die uns als Studenten zu teuer waren. Aber für solche Fälle waren wir
ja ausgerüstet. Wir mussten nur noch einen geeigneten Platz zum Biwakieren
finden. Nach gemeinsamem Be¬raten und Auskundschaften entschieden wir uns für
etwas nicht ganz Legales: die überdachte Terrasse eines Hauses, dessen Be-
Unterwegs auf ausgesetzten Pfaden
Ein gutes Team
wohner verreist zu sein schienen. Auf leisen Sohlen bauten
wir dort unser Nachtlager auf. Als wir eingerollt in den Schlafsäcken steckten,
bemerkte uns leider der Nachbar und rief sofort die Poli-zia. Die schlug auch
gleich auf in Form einer Polizeistreife mit Blaulicht. Die Polizisten waren
zunächst misstrauisch, als wir ih¬nen unsere Situation schilderten, zeigten
jedoch bald Verständnis und ließen uns mit einer mündlichen Verwarnung und dem
Rat, einen besseren und legalen Schlafplatz zu suchen, davonkom¬men. Nochmal
Glück im Unglück gehabt! Kurz darauf fanden wir tatsächlich etwas Besseres in
einer leeren Apiis-Ski-Bude eines Partygeländes. Ganz legal war das aber
wahrscheinlich auch nicht.
Der vierte Tag sollte der wohl ereignisreichste Tag werden.
Im Internet hatte ich gelesen, dass der Karnische Höhenweg fahrbar sein soll.
Ich hatte wohl übersehen, dass sich diese Aussagen auf den östlichen Teil des
Höhenweges bezogen. Nicht allzu weit nach der Sillianer Hütte hieß es „Wer sein
Radl liebt, der schiebt (oder trägt's sogar manchmal)", und das ging ganze
sechs Stunden lang so, teilweise in klettersteigähnlichem Felsgelände, was bei
ent¬gegenkommenden Bergsteigern nicht nur einmal für verdutzte Gesichter
sorgte. Doch wir bekamen auf diesem Weg auch wert¬volle Erlebnisse geschenkt,
wie traumhafte Weitblicke in alle Him¬melsrichtungen oder den Anblick von
Bunkern und Kriegsschau-plätzen des Ersten Weltkriegs oben am Grat.
Letztendlich erreichten wir völlig entkräftet die Obstansersee-Hütte. Der
fünfte Tag verlief ähnlich wie der vierte. Weiter entlang des Karnischen
Höhenwegs hieß es schieben, tragen, mit dem geschulterten Radl klettern und ein
bisschen fahren. Zur Abwechslung sprangen wir noch in einen kleinen, eiskalten
Bergsee. Danach fuhren wir über das Tilliacher Joch und weiter bis zur Sennerei
Malga Antola im Val Visdende. Da es bereits in Strömen regnete, entschlossen
wir uns dort zu übernachten.
Am nächsten Morgen fuhren wir bis nach Tolmezzo. Dort
entschieden wir dann, über Slo¬wenien und den Vre' -Pass weiter nach Süden bis
zur Adria zu radeln. Die Abfahrtsroute von der Malga Antola über Forni Avoltri
bis nach Tolmezzo war abwechslungsreich und
Schieben, tragen, mit dem geschulterten Radl klettern
und auch ein bisschen fahren
gespickt mit schönen italienischen Bergdörfern. Nachdem wir
die nächste Nacht einge¬rollt in unseren Schlafsäcken unter einem überdachten
Eingang einer Liftstation ver¬bracht hatten, ging es am siebten Tag weiter über
die slowenische Grenze nach Kranjska Gora. Da der Vre -Pass der letzte
ernstzunehmende Anstieg unserer Tour war, gönnten wir uns noch einen Abstecher
hoch zur Ska-Quelle am Fuße des Travnik. Am Abend sprangen wir dann noch kurz
in die eiskalte Soca, um dann mit schlotternden Knien in unsere Schlafsäcke
unter dem Tarp zu schlüpfen.
Der Höhepunkt des achten Tages war die Ankunft am Golf von
Triest, in den wir auch so¬fort hineinsprangen. Als es dunkel wurde und am
Strand kaum noch Badegäste waren, entzündeten wir ein Lagerfeuer und grillten.
Die von den Steinen der Mole selbst geernte¬ten Miesmuscheln waren ein
besonderer Gaumenschmaus an diesem wunderbaren Abend. Und weil es uns so gut gefiel,
blieben wir noch einen weiteren Tag am Strand, be¬vor wir erholt, aber auch ein
wenig erschöpft am zehnten Tag die Heimfahrt mit dem Zug antraten.
Eine abenteuerlich schöne Zeit mit Freunden in den Bergen
ging zu Ende - ich werde sie so schnell nicht vergessen
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