Jesus Christus 0-30
Author D.Selzer-McKenzie
https://youtu.be/ATgwmhUX7_0
Jesus Christus (von griechisch Ἰησοῦς Χριστός Iēsous
Christos, [iɛːˈsuːs kʰrisˈtos], Jesus, der Gesalbte) ist nach dem Neuen
Testament (NT) der von Gott zur Erlösung aller Menschen gesandte Messias und
Sohn Gottes. Mit seinem Namen drückten die Urchristen ihren Glauben aus und
bezogen die Heilsverheißungen des Alten Testaments (AT) auf die historische
Person Jesus von Nazaret. Kirchliche Lehren zu Jesus Christus behandelt der
Artikel Christologie.
Das Neue Testament überliefert die Botschaft von Jesus
Christus in verschiedenen Literaturformen für verschiedene Zwecke:
in 21 Briefen an
bestimmte christliche Gemeinden oder einzelne Personen mit missionarischen,
seelsorgerlichen, praktischen und lehrhaften Inhalten,
in vier
Evangelien, von denen zwei Jesu Geburt, alle vier sein Auftreten, Reden und
Handeln, vor allem aber sein Leiden, Sterben und Auferstehen erzählend
darstellen,
in einer
Apostelgeschichte, die den Verlauf der urchristlichen Mission unter Lenkung des
Heiligen Geistes von Jesu Erscheinung nach seinem Tod bis zu der Überführung
des Paulus von Tarsus nach Rom darstellt,
in der
Johannesoffenbarung, die Endzeitvisionen in der Tradition der jüdischen
Apokalyptik präsentiert.
Den historischen Jesus kannte wahrscheinlich keiner der
Autoren des Neuen Testaments.[1] Die Paulusbriefe (entstanden 50–60) sind die
ältesten urchristlichen Schriften. Ihr Autor stellt sich als Augenzeuge des
auferstandenen Jesus dar, den er vorher nicht gekannt habe. Die Paulusbriefe
enthalten einige Worte Jesu und biografische Details, aber keine Berichte von
seinem irdischen Wirken.
Die vier kanonischen Evangelien (entstanden zwischen 70 und
100) erzählen Jesu Wirken und Schicksal auf verschiedene, auf ihre Adressaten
zugeschnittene Weise. Vor allem die drei „synoptischen“ Evangelien bieten
gemeinsame Stoffe, die meist mit der Zwei-Quellen-Theorie erklärt werden.[2]
Ihre Reihenfolge, Auswahl und Darstellung unterscheiden sich aufgrund
verschiedener redaktioneller Konzepte; ihre Glaubensaussagen über Jesus stimmen
jedoch in den Grundzügen überein und ergänzen einander. Ihre ältesten
Bestandteile stammen von Nachfolgern Jesu aus Galiläa, die die Jerusalemer
Urgemeinde gründeten und Jesu Worte zuerst mündlich, dann schriftlich
weitergaben.
Von den urchristlichen Apokryphen, die nicht in den späteren
Kanon des NT aufgenommen wurden, kann vor allem das Thomasevangelium einige
authentische Jesusworte enthalten. Sie können aus einer gemeinsamen
Überlieferung mit der Logienquelle stammen.[3] Einige außerchristliche
Schriften erwähnen Jesus beiläufig oder indirekt, heben ihn aber nicht als
Retter der Menschen hervor.
Alle NT-Schriften verkünden Jesus Christus, seine
Geschichte, sein Verhältnis zu Gott und seine Bedeutung auf verschiedene, aber
im Kern übereinstimmende Weise als „Evangelium“ (Frohbotschaft) für die ganze
Welt. Denn ihre Autoren glaubten an die Auferstehung Jesu Christi, die ihnen
eine unbeteiligte Mitteilung biografischer Daten unmöglich machte. Jesus war
für sie kein vergangener gescheiterter Wanderprediger, sondern der zur Rettung
aller Menschen aus Sünde und Tod in die Welt gekommene Sohn Gottes, der den
Gerichtstod auf sich genommen habe, von Gott auferweckt worden sei, nun für
alle Zeiten lebe und sich selbst immer neu in Erinnerung rufe, bis er seine
Botschaft am Ende der Zeit selbst wahr machen werde.
Dieser Glaube veranlasste die Urchristen, Gemeinden zu
bilden, Jesu Worte zu sammeln, aufzuzeichnen und als jeden angehende Botschaft
weiterzugeben. Ihre Schriften wollen alle Menschen zum Glauben an den
menschgewordenen, für sie stellvertretend getöteten und auferstandenen
Gottessohn einladen. So wurde das NT zur Grundlage für das Christentum, das
seit etwa 100 als eigene Religion neben dem Judentum hervortrat.
Der Name
Herz-Jesu-Statue in Osttimor als König mit timoresischen
Herrscherinsignien Kaibauk und Belak
Jesus Christus (Latinisierung des griechischen Ἰησοῦς
Χριστός)[4] ist das zum Namen konzentrierte Glaubensbekenntnis der Urchristen.
Jesus (griech. Ἰησοῦς Iēsūs) ist die griechische Form des hebräisch-aramäischen
Vornamens Jeschua oder Jeschu, beides Kurzformen von Jehoschua. Christus ist
die latinisierte Form des griechischen Wortes Christos (Χριστός), das das
hebräische Wort maschiach (משיח),
(griechische Übertragung Μεσσίας, deutsch Gesalbter) übersetzt. Als Gesalbte
werden im Tanach von Gott erwählte Könige oder Priester bezeichnet,[5]
besonders der erwartete Nachkomme König Davids.[6] Im NT bezeichnet „der
Gesalbte“ (griech. ὅ Χριστός ho Christós) Jesus von Nazaret als den
auferstandenen Messias der Endzeit.
Hebräisch Griechische
Übertragung Griechische
Übersetzung Lateinisch
Deutsch
יהושוע
Jehoschua
Jeschua
Jeschu Ἰησοῦς
Iesus Jesus
משיח
Maschiach Μεσσίας
Messias Χριστός
Christos Christus
Gesalbter
Jesus Christus verbindet Vorname und Titel: Indem der
männliche Artikel des Titels entfällt, wird dieser anstelle eines Verbs zu
einer Apposition des Vornamens und damit zum Eigennamen des Trägers.[7] Somit
ist Jesus Christus ein griechischer Nominalsatz, der aussagt: Jesus ist der
Gesalbte. Damit identifizierten seine Anhänger den historischen Jesus aus
Nazareth mit dem erwarteten jüdischen Heilsbringer.
Der Name Jesus Christus ist die urchristliche
Bekenntnisformel. Sie findet sich in allen NT-Schriften und stammt wohl aus der
Missionspredigt (Kerygma) und Taufpraxis der Jerusalemer Urgemeinde, erkennbar
in Apg 2,38 EU und 5,42 EU. Der Philipperhymnus, einer der ältesten
Christushymnen des NT, verkündet: Gott hat Jesus diesen Namen verliehen. Darum
würden sich zu ihm eines Tages „alle Zungen im Himmel und auf Erden bekennen“
(Phil 2,9-11 EU). Nach Mk 1,11 EU hat Gott sich bei der Taufe Jesu zu ihm
bekannt und ihn als seinen geliebten Sohn erwählt. Auf dem Weg nach Jerusalem
habe Jesus seine Jünger gefragt (Mk 8,27 EU): „Für wen halten mich die
Menschen? Sie sagten zu ihm: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija,
wieder andere für sonst einen von den Propheten. Da fragte er sie: Ihr aber,
für wen haltet ihr mich? Darauf habe Simon Petrus als Erster geantwortet: Du
bist der Christus! Doch er verbot ihnen, mit jemand über ihn zu sprechen.“
Der Christustitel bezieht sich in den ältesten
Bekenntnissätzen und Predigten der Urchristen immer auf Tod und Auferstehung
Jesu, setzt sie also voraus und fasst ihre Heilsbedeutung zusammen. Von dieser
nachösterlichen Perspektive aus zurückblickend erzählten die Urchristen die
Geschichte des vorösterlichen Jesus. Mt 1,21 EU versteht daher schon seinen
Vornamen als Hinweis auf seine Aufgabe: „Du sollst ihm den Namen Jesus geben;
denn er wird sein Volk von seinen Sünden retten.“[8] Der Vers spielt auf die Eigenbedeutung
des hebräischen männlichen Vornamens Jeschua an, der im Judentum damals
verbreitet war.[9] Er enthält seinerseits mit der Vorsilbe Je- eine Kurzform
des Gottesnamens JHWH und eine Verbform von jaša („helfen, retten“). Er
verweist also auf Gottes Handeln („Gott hilft/rettet“), etwa in Sir 46,2 EU,
oder appelliert daran („Gott helfe“).[10]
Die Urchristen sahen Gottes Rettung durch Tod und
Auferstehung Jesu Christi verwirklicht. Darum glaubten sie an die heilende
Kraft seines Namens. Dieses Heilen war Bestandteil ihrer Anhängerschaft. So
heilten sie laut Apg 3,6 EU auch unheilbar Kranke „im Namen Jesu Christi“.
Simon Petrus verkündet in Apg 4,12 EU: „Denn es ist uns Menschen kein anderer
Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“.[11]
Die Auferstehung
→ Hauptartikel: Auferstehung Jesu Christi
Frauen am Grabe Christi und Himmelfahrt (sog. „Reidersche
Tafel“); Elfenbein; Mailand oder Rom, um 400 n. Chr.
Die Auferstehung Jesu von den Toten ist Hauptinhalt der
urchristlichen Heilsbotschaft, die im Kern lautete: Jesus wurde für uns
gekreuzigt und auferweckt (1 Kor 15,3–5 EU). Diese Glaubensaussage beruhte auf
bestimmten Erfahrungen mit Jesus nach seinem Tod. Er kündigt den Jüngern schon
vor seinem Kreuzestod seine Auferstehung dreifach an (Mt 16,21–23 EU), (Mt
17,22–23 EU), (Mt 20,17–19 EU).
Das älteste Evangelium berichtete anfangs wohl noch nicht
von Jesu nachösterlichem Erscheinen, sondern kündigte es in Mk 16,5 nur an.
Auch die NT-Briefe führen Jesu Auftreten nach seiner Auferstehung nicht aus.
Lukas, Johannes und die Apostelgeschichte beschreiben die Auferstehung genauer.
Die ersten Augenzeugen
Paulus ist der früheste Autor einer NT-Schrift und erklärt,
den Auferweckten selbst gesehen zu haben. Er übernahm von der Jerusalemer
Urgemeinde um 36 n. Chr. ein frühes Credo, verbunden mit einer Zeugenliste (1
Kor 15,3–8 EU):
„Christus ist
gestorben für unsere Sünden nach der Schrift;
er wurde begraben;
er wurde
auferweckt am dritten Tage nach der Schrift;
er wurde gesehen
von Kephas;
danach von den
Zwölf.
Danach wurde er
gesehen von mehr als 500 Brüdern auf einmal – von denen die meisten heute noch
leben, während einige schon gestorben sind.
Danach wurde er
gesehen von Jakobus;
danach von allen
Aposteln.“
Paulus zitiert hier den Glauben aller Urchristen und stellte
dazu fest, dass viele Augenzeugen noch leben und befragt werden können. Dann
fügte er seine eigene Jesusvision hinzu:
„Zuletzt von allen
ist er auch von mir als einer missratenen Geburt gesehen worden...“
Mit dieser als Berufung erfahrenen Jesusvision (Gal 1,15 EU)
begründete er wie der Prophet Jeremia seinen gleichberechtigten Auftrag zur
Völkermission. Er beschrieb sein Damaskuserlebnis nicht näher (vgl. Apg 9,1–9
EU), sondern betonte nur: Er sah Jesus im Lichtglanz der Herrlichkeit Gottes (2
Kor 3,38 EU).
Was genau diese ersten Zeugen „sahen“ war der „Auferweckte“:
Dieser Ausdruck bezeichnet Gottes unsichtbares Handeln am getöteten Jesus. Das
Bild des Weckens vom Schlaf meint die jenseitige Überwindung des Todes. Das
Passivum Divinum drückt Respekt aus: Fromme Juden vermeiden es, Gott beim Namen
zu nennen. Ihr Credo deutet aber diesseitige Erfahrungen: Es weist auf eine
leibhafte Begegnung mit Jesus hin und zugleich auf seine unvergleichbare, der
Sterblichkeit nicht mehr unterworfene Seinsweise.
Er ist wahrhaftig auferstanden! (Lk 24,34 EU): Dieser frühe
Bekenntnissatz bezog sich auf das aktive Erscheinen des Auferweckten vor seinen
Jüngern. Beide Ausdrücke bezeichnen im NT wie in der jüdischen Apokalyptik
exklusiv Gottes Handeln. Das „Sehen“ meint dort das Vorhersehen der Zukunft in
einer von Gott geoffenbarten „Vision“ (Dan 7,1 EU). Es war demnach kein
gewöhnliches Wahrnehmen, sondern ein Erkennen, von dem die Beteiligten nur
sagen konnten, dass Gott (AT) bzw. Jesus (NT) es selbst bewirkt habe.
Das leere Grab
Der älteste Passionsbericht, den Markus übernahm, führt das
urchristliche Credo erzählend aus und endet daher mit der Entdeckung des leeren
Grabes Jesu am „dritten Tag“ von Jesu Tod an (Mk 16,1–8 EU). Der
Passionsbericht liefert folgende Darstellung: Nur noch Frauen von Jesu
Anhängern waren dabei (Mk 15,40f EU). Einige sahen, wo er begraben wurde (Mk
15,47 EU). Nach dem Sabbat wollten sie den Toten gemäß jüdischer Sitte
einbalsamieren und so ehren (Mk 16,1). Dabei fanden sie sein Grab leer. Die
Erklärung dafür gab ihnen ein junger Mann in weißem Gewand, also ein Engel (v.
6–7):
„Fürchtet euch
nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferweckt worden,
er ist nicht hier. Seht dort die Stelle, wo man ihn hingelegt hat. Geht aber
und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hergehen wird nach
Galiläa: Dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“
Das verweist auf die frühe Zeugenliste. Ihr „Sehen“ wird
demnach als Erkenntnis gedeutet: Gott hat diesen zuvor getöteten Galiläer
auferweckt. Darum war sein Grab leer. Alle, die ihn nicht sahen, wurden auf
einen Weg gesandt, auf dem er sich zu erkennen gab: Das rief sie erneut in die
Nachfolge. Der betonte Hinweis auf „den Gekreuzigten“ stellt Gottes endgültiges
Lebenschaffen gegen das unrechtmäßige Töten der Menschen und verweist auf die
urchristliche Predigt in Jerusalem (Apg 4,10 EU): Ihr habt ihn gekreuzigt, Gott
aber hat ihn auferweckt!
Nur bei Markus endet der Bericht mit der Flucht der Frauen,
die entgegen ihrem Auftrag nichts weitersagen (Mk 16,8). Das erinnert an die
Flucht der Männer bei Jesu Festnahme (Mk 14,50 EU) und macht klar, dass die
Frauen diese zunächst gar nicht antreffen konnten. Es spielt auch versteckt auf
Jes 52,15 EU an, wo von der Erhöhung des verachteten, „für uns“ getöteten
Gottesknechts die Rede ist (Jes 53,4f EU):
„Denen nichts
davon verkündet wurde, die werden es sehen, und die nichts davon hörten, werden
es erfahren!“
Danach kann nur Jesu eigenes Erscheinen Entsetzen, Angst und
Trauer überwinden, in Freude verwandeln (Mt 28,8 EU) und Glauben an ihn
schaffen (Joh 20,20 EU). Damit legt der Text nahe, dass die Jesusvisionen schon
bekannt waren und in oder unterwegs nach Galiläa (Emmaus, Lk 24,13 EU)
erfolgten: also einige wenige Tage nach der Jüngerflucht und Jesu Tod.
Der historische Gehalt der Grabüberlieferung ist stark
umstritten. Einige NT-Forscher (z. B. Rudolf Bultmann, Hans Graß, Willi
Marxsen, Gerd Lüdemann) halten den Text für eine späte apologetische Legende,
die Jesu Auferstehung nachträglich „beweisen“ sollte. Auch Georg Strecker und
Eugene Finegan sehen in dieser Erzählung „Merkmale sekundären legendarischen
Ursprungs“.[12] Andere (Hans von Campenhausen, Ulrich Wilckens, Wolfhart
Pannenberg, Peter Stuhlmacher, J. Spencer Kennard) gehen davon aus, dass die
Auffindung des leeren Grabes „am 3. Tag“ historisch war und erst Markus den
Bericht davon mit der Engelsbotschaft und Jesu Erscheinungen verband.
Für die Historizität spricht, dass die Zeugenliste keine
Frauen, die Grabgeschichte keine Männer und nur Frauen nennt, die Zeugen der
Grablegung Jesu waren. Diese hatten im patriarchalischen Judentum damals kein
Zeugenrecht, so dass ihr anfängliches Schweigen plausibel wirkt. Nach Lk 24,11
EU hielten die Männer ihre Nachricht vom leeren Grab für ein „Gerücht“ (Martin
Luther übersetzte: „Märchen“) und glaubten ihnen nicht, bis Jesus selbst sie
überzeugte. Das legt nahe, dass die Erscheinungen Jesu unabhängig von, aber
zeitnah zur Entdeckung des leeren Grabes erfolgten. Dass dieses in Jerusalem
bekannt war, könnte Mt 28,13 EU zeigen: Seine Jünger kamen nachts und stahlen
ihn! Solche Polemik gegen die Urchristen überliefert auch die Mischnah.
Damals wurden jüdische Märtyrer durch den Ausbau ihrer
Gräber geehrt, um ihr Anrecht auf künftige Auferstehung zu betonen (Eduard
Schweizer). Das war den Urchristen verwehrt: Was sucht ihr den Lebendigen bei
den Toten? (Lk 24,5). Darum fehlt Jesu Grab in den ersten Petruspredigten und
in den Paulusbriefen. Doch wenn es nicht nachprüfbar leer war, dann hätte sich
die Botschaft von seiner Auferweckung in Jerusalem (Apg 2,32 EU) kaum halten
können (so u. a. Paul Althaus, Karl Barth, Klaus Berger, Martin Karrer).
Die Emmausjünger
Zwei Jünger begegnen Jesus auf dem Weg nach Emmaus. Relief
aus dem Benediktinerkloster Santo Domingo de Silos in Nordspanien
Nach Lk 24,13–35 EU begegneten zwei seiner Jünger Jesus auf
dem Weg von Jerusalem nach Emmaus. Sie erkennen ihn nicht, teilen ihm aber ihre
maßlose Trauer und Enttäuschung mit: Wir dachten, er sei der (Messias), der
Israel befreien werde. Darauf legt er ihnen die Schrift aus: Musste der Messias
nicht so leiden, um in sein Reich einzugehen? Sie bitten ihn, zu bleiben. Er
tut es, isst mit ihnen und bricht dabei wie beim Passahmahl vor seinem Tod das
Brot. Da gingen ihre Augen auf, und sie erkannten ihn. Jesus verschwindet.
Darauf tauschen sie ihr Erlebnis aus – Brannte nicht unser Herz...? –, kehren
sofort nach Jerusalem um, treffen dort die versammelten Elf und hören deren
Bestätigung: Der Kyrios ist wahrhaftig auferstanden und Simon (Petrus)
erschienen!
Der Text repräsentiert lukanische Theologie: Der Evangelist
wollte zeigen, wie man auch ohne eigene Vision Christ werden kann. Bibelauslegung,
Abendmahl, Austausch der Erfahrungen mit Jesus und gemeinsames
Glaubensbekenntnis spiegeln wohl den Ablauf eines urchristlichen
Gottesdienstes. Der Name „Kleophas“ (v. 18) für einen der Jünger – der zweite
bleibt ungenannt – wurde sichtlich später eingefügt. Wäre der Zeuge historisch,
hätte die Urgemeinde seinen Namen in ihre Liste aufgenommen. Der Credosatz, auf
den der Text zielt, wird von NT-Historikern als sehr alt und der Geschichte
vorgegeben eingeschätzt. Es erinnert daran, dass Petrus den Auferweckten als
Erster sah und dies dann Anderen mitteilte. Auch Mk 16,7 EU nennt ihn neben den
übrigen Jüngern. Das bestätigt den Anfang der Jerusalemer Zeugenliste.
Die Elfervision
Alle Evangelien berichten von einer Erscheinung Jesu vor dem
Kreis der ersten Jünger. Dabei reden die Synoptiker ausdrücklich von elf
Jüngern, da Judas Ischariot nicht mehr zu „den Zwölfen“ gerechnet wurde (nach
Mt 27,5 EU hatte er sich erhängt). Das Johannesevangelium nennt keine Zahl,
jedoch wird Judas auch dort nicht mehr erwähnt. Alle Evangelien begründen mit
der Erscheinung Jesu die Beauftragung der Jünger zur Völkermission. Jedes
Evangelium formuliert diese anders und zeigt so seine besondere theologische
Sicht.
Mt 28,1–20 EU
übernahm und veränderte die Grabgeschichte: Die Frauen, die sich bei Markus
noch fürchteten und nichts weitersagten, freuen und beeilen sich nun, ihren
Auftrag auszuführen. Sie begegnen Jesus selbst, der durch sie die Jünger zu
einem Berg in Galiläa bestellt. Dort erscheint er ihnen, offenbart seine ihm
von Gott übergebene Macht, sagt ihnen seine Geistesgegenwart und Wiederkunft zu
und beauftragt sie zur Völkermission. Dieser schließt die Taufe auf seinen
Namen und das Halten all seiner Gebote (Bergpredigt, Mt 5–7 EU) ein.
Lk 24,36–53 EU und
Joh 20,19–23 EU teilen gemeinsame und verschiedene Motive der Jüngersendung:
Jesus erschien am Abend des Sabbatfolgetags nach seinem Tod, trat zu den
Versammelten (Jh: durch verschlossene Türen), grüßte sie mit dem Friedensgruß
„Schalom“, überwand ihre Angst und ihren Unglauben (Lk: durch demonstratives
Essen /Joh: durch Zeigen der Wundmale), legte ihnen die Schrift aus (Lk) bzw.
gab ihnen den Heiligen Geist (Joh), sandte sie in die Welt zur Verkündigung der
Sündenvergebung und Buße (Lk) bzw. zum Erlassen oder Behalten der Sünden (Joh).
Mk 16,9–20 EU ist
ein späterer Anhang an das ursprüngliche Ende des Evangeliums: Er setzt die
Jesusbegegnungen Marias (Joh 20 EU) und der Emmausjünger (Lk 24 EU) schon
voraus, die Markus noch nicht kannte. Er bringt die verschiedenen
Erscheinungsberichte in eine Abfolge, um Widersprüche auszugleichen. Dabei
widerspricht er jedoch der Zeugenliste: Dort steht die Elfervision aller
Erstberufenen am Anfang, hier am Ende. Der universale Missionsauftrag der
Christen enthält nun auch die Vollmacht zum Austreiben von Dämonen, analog zu
den bei Markus überlieferten Exorzismen Jesu.
Alle Evangelien betonen die Identität der auferweckten mit
der gekreuzigten Person, des neuen mit dem alten Leib: Damit wehren sie wohl
die gnostische These vom „Scheintod“ des Erlösers ab. Dass der Auferstandene
sich ernährte, hieße aber, dass er nur wiederbelebt, nicht unsterblich war.
Doch die Texte verkünden auch, dass er den Naturgesetzen nicht mehr unterworfen
war, sondern durch Wände ging (Joh 20,19 EU) und an verschiedenen Orten
zugleich erschien (Lk 24,33–36 EU). − Nach 1 Kor 15,50f EU kann der alte den
neuen Leib nicht „erben“, sondern der himmlische Leib verwandelt den irdischen
völlig. Insofern bestätigte Paulus, der nichts vom leeren Grab Jesu zu wissen
schien, die Evangelienberichte indirekt.
Ob und wo Jesus sich den elf Jüngern zeigte – in Galiläa
(Mk/Mt) oder in Jerusalem zwei Tage nach Jesu Tod (Lk/Joh) – ist nicht mehr zu
ermitteln. Beides war bei einer Jüngerflucht drei Tage zuvor unmöglich. Darum
erklärt jeder Evangelist das Jüngertreffen anders: Bei Matthäus erschien Jesus
den Frauen am Grab zusätzlich zu den Engeln. Bei Lukas veranlasst das
Emmauserlebnis die sofortige Rückkehr der Elf. Bei Johannes blieb Petrus in
Jerusalem und betrat Jesu Grab, während Maria ihn zuerst sah. So verknüpften
die Evangelisten die Grabgeschichte auf widersprüchliche Weise mit den
Erscheinungen, um das Jüngertreffen zu erklären.
Spätere Erscheinungstexte
Mk 9,1–13 EU
erinnert mit Jesu „Verklärung“ auf einem Berg in Galiläa an eine nachösterliche
Jesusvision (v. 9) für Petrus, Jakobus und Johannes. Diese Namen nennt Gal 2,9
EU als „Säulen“ der Urgemeinde: Man kann also annehmen, dass sie ihr
Führungsamt aufgrund einer solchen Jesusvision erhielten. Markus deutet diese
als vorösterliche Offenbarung des erwählten Sohnes Gottes, der Moses (Judentum)
und Elija (= Johannes der Täufer, Mandäismus) abgelöst habe.
Joh 20,1–18 EU
formt die überlieferte Grabgeschichte zu einer Selbstoffenbarung des
Auferweckten um. Der Text widerspricht offenbar bewusst der synoptischen
Tradition: Maria Magdalena, nicht Petrus sah Jesus zuerst. Dafür betrat Petrus
als Erster das leere Grab. Die johannäische Endredaktion hat dem nochmals
widersprochen und den „Jünger, den Jesus liebte“ eingefügt: Sie lässt ihn mit
Petrus um die Wette laufen und das leere Grab zuerst betreten, um seine
Autorität zu untermauern. Das bestätigt: Ohne Jesu eigenes Erscheinen konnte
das leere Grab nur Furcht und Entsetzen, aber keinen Glauben an Jesu
Auferstehung bewirken. Es bestätigt auch: Frauen waren – ob sie ihn selbst
sahen oder nur sein Grab leer fanden – die ersten Osterzeugen.
In Joh 21,1–14 EU
erscheint Jesus sieben seiner ersten Jünger am Ufer des Sees Genezareth, wo er
sie anfangs berief. Er hilft ihnen, einen großen Fischfang zu machen. Der
Jünger, „den Jesus liebte“, erkennt als Erster: Es ist der Kyrios! Dieser lädt
sie zum gemeinsamen Mahl ein, bereitet es vor und isst mit ihnen. – Auch dieser
Text wurde an einen früheren Schluss des Evangeliums angehängt (Joh 20,31 EU)
und gehört zu seiner Endredaktion (v. 24). Er setzt die Episode vom wunderbaren
Fischzug (Mt 4,8–22 EU/Lk 5,1–11 EU) voraus, erinnert an die ersten
Jüngerberufungen Jesu (Mk 1,16–20 EU), will die Adressaten so zur Mission
ermutigen und neu Getaufte zum Abendmahl einladen. – Der Fisch wurde für
verfolgte Christen in Rom zum geheimen Erkennungszeichen: griechisch Ichthys
steht für das Credo Iesus Christus Theos ´Yios Soter („Jesus, der Messias,
Gottes Sohn, ist der Retter“).
Rekonstruktionsversuche des Osterereignisverlaufs
Christus-Darstellung 1310
Was nach Jesu Tod geschah, erzählen die Evangelien in den
Grundzügen übereinstimmend:
Jesus wurde an
seinem Todestag noch vor Anbruch des Sabbats in ein frisches Felsengrab gelegt.
Einige Frauen unter seinen Anhängern sahen, wo man ihn begrub.
Am Tag nach dem
Sabbat wollten sie den Toten einbalsamieren. Dabei fanden sie sein Grab leer
vor.
Die Jünger kehrten
inzwischen getrennt nach Galiläa zurück. Dort oder auf dem Weg dorthin hatten
einige von ihnen eine Vision, die sie als Wundertat Gottes erfuhren und
beschrieben: Jesus wurde auferweckt.
Diese Visionen
ähnelten sich, fanden aber unabhängig voneinander, zeitlich und räumlich
gestreut statt (Lk 24,34).
Daraufhin suchten
die Jünger erneut Kontakt, tauschten ihre Erlebnisse aus und kehrten nach
Jerusalem zurück: Dort erwarteten Juden gemäß biblischer Prophetie das
Weltende.
In der Stadt
trafen sie die Frauen, die ihnen das leere Grab zeigten. Ihr Bericht davon
wurde daraufhin zur Verheißung des „Sehens“ Jesu in Galiläa umgeformt.
Die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem erfolgte also
wahrscheinlich unabhängig von einer Grabentdeckung der Frauen. Sie kehrten dann
nicht unbedingt gleichzeitig, sondern aufgrund je eigener Erfahrungen und
Nachrichten vom auferstandenen Jesus dorthin um. Deshalb nehmen eine Reihe von
NT-Exegeten (Hans von Campenhausen, Wolfhart Pannenberg, Martin Karrer) an,
dass die ältesten Notizen von Jüngern, denen Jesus unterwegs nach Galiläa
„erschien“, echte Erlebnisse widerspiegeln, da anders die Gemeindegründung in
Jerusalem nach der Jüngerflucht kaum zu erklären sei. Andere NT-Forscher
dagegen halten die Erscheinungsberichte für subjektive Projektionen ohne
äußeren Anstoß.
Welche Frauen Jesu leeres Grab fanden, warum sie es
aufsuchten, welche Jünger den auferweckten Jesus sahen, wann, wo und was sie
dabei sahen und hörten: das sind einige der Punkte, die die Evangelien
verschieden und zum Teil widersprüchlich überliefern. Sie bestätigen nur die
Erstvision des Petrus und einiger anderer ungenannter Jünger aus der
Zeugenliste der Urgemeinde, ohne diese näher zu beschreiben. Von den in der
Liste genannten Erscheinungen Jesu vor „500 Brüdern“ und „allen Aposteln“
wissen sie nichts. Die „Himmelfahrt“ (Apg 1,EU EU) galt nur dem Elferkreis; die
Massenvision meint eventuell eine Massentaufe wie die nach der Pfingstpredigt
(Apg 2,41 EU).
Die theologischen Deutungsmotive der Ostertexte
Gott hat gehandelt
Alle Ostertexte des NT verkünden: Nur Gott selbst konnte
Jesus auferwecken. Niemand war dabei. Nur der Auferweckte selbst konnte sich
dann seinen Jüngern offenbaren. Von sich aus erkannte ihn niemand. Nur einige
der ersten Jünger und Paulus sahen den Auferstandenen. Dieser war nur eine
befristete Zeit lang zu sehen (Apg 1,2–5 EU): Darin stimmen Zeugenliste,
Evangelien und Apostelgeschichte überein.
Das betont den besonderen Charakter des Verkündeten als ein
reales Ereignis, das aber außerhalb aller sonst bekannten Wirkungszusammenhänge
steht („Wunder“). Es ist nicht „von außen“ einsehbar, sondern wurde nur einem
kleinen Kreis von Zeugen offenbart. Wer dem NT glauben möchte, kann nur dem
Glauben dieser ersten Zeugen glauben und ihrem Zeugnis trauen – oder aber
nicht.
Hier liegt der Grund für die Bandbreite der Deutungen:
Während rationalistische Theologen und Religionskritiker von „Betrug“ (Hermann
Samuel Reimarus), „Fiktion“ und „subjektiven Visionen“ (David Friedrich
Strauß), „Projektion“ (Ludwig Feuerbach, Sigmund Freud), „mythologischem
Selbstverständnis“ (Rudolf Bultmann), „apologetischen Legenden“ (Hans Graß) u.
a. sprechen und diese aus einer „Verarbeitung von Schuldgefühlen“ erklären
(Gerd Lüdemann), versuchen evangelikale, konservative und
fundamentalkatholische Theologen (z. B. Walter Künneth, Wolfhart Pannenberg),
Jesu Auferstehung als „historisches Ereignis“ auszuweisen. Eine Mittelposition
vertrat Karl Barth: Er betont das objektive Geschehen hinter den
Glaubenszeugnissen, das aber prinzipiell nicht historisch verifizierbar sei.
Der Auferweckte
schenkt Versöhnung und überwindet so den Unglauben
Die Ostertexte betonen die Identität des nun Auferstandenen
mit dem zuvor Gekreuzigten. Sie erinnern Jesu Jünger damit an ihr Versagen
angesichts seines Todes: Sie hatten ihn verraten, verlassen und verleugnet. Nur
er selbst konnte also ihren Unglauben überwinden. Er tat dies, indem er sich
mit ihnen versöhnte. Erst das öffnete ihre Augen. Das gemeinsame Essen gab
ihnen erneut – und diesmal unwiderruflich – Anteil am Heil. Diesen Aspekt
betonen besonders die Evangelien: Das ist der Sinn der Mahlmotive in ihren
Erscheinungstexten. Darum feierte die Urgemeinde in jedem Gottesdienst das
Abendmahl.
Der gekreuzigte
Jude aus Galiläa ist der zu Gott erhöhte „Sohn“ Gottes
Mit der Versöhnung zugleich schuf der Auferstandene die
Erkenntnis, wer er in Wahrheit ist: der von Gott gesandte und zu Gott erhöhte
Christus. Dieser Mensch ist also der endgültige Offenbarer dieses Gottes und
sein einzigartiges Ebenbild. Als solchen haben ihn die Urchristen dann
verkündet, während sie vor seinem Tod noch, wie er, das Reich Gottes
verkündeten (Mt 10,7 EU). Der „Sohn“-Titel beinhaltete dabei auch schon die
Aspekte der ewigen Erwählung (Präexistenz Christi), Präsenz, Weltherrschaft und
Wiederkunft.
Der Sohn Gottes
ist der kommende Weltrichter
Alle Urchristen deuteten Jesu Erscheinen als „Auferweckung“.
Das war von ihren jüdischen Glaubensvoraussetzungen her undenkbar: „Auferweckt“
werden sollten die Toten gemeinsam, und zwar erst am Ende der Welt, wenn Gott
zum Gericht erscheint. Ein nach jüdischem Recht Verurteilter, der gekreuzigt
wurde, galt als von Gott verflucht. Er wäre im jüdischen Glauben nicht
auferweckt oder im Endgericht verworfen worden.
Die Texte zeigen nach der verzweifelten Jüngerflucht
unübersehbar ihre Freude über die überraschende Wende. Jesu Erscheinen war für
sie völlig unerwartet und rief zuerst Furcht hervor: Denn damit kam der
Richter, um sein Endgericht vorwegzunehmen und in Kraft zu setzen. Besonders
Paulus, der Verfolger der Urgemeinde, erfuhr das: Ihm gegenüber zeigte sich der
inthronisierte „Menschensohn“ im Lichtglanz der Herrlichkeit Gottes (Apg 9,3
EU; 2 Kor 3,18 EU). Darauf konnte nur Verstummen, Erblinden und Kniefall
folgen. In seiner Berufungsvision fehlen daher das Mahlmotiv, das Sendungsmotiv
und der Schriftbeweis: Diesen führte Stefanus bereits, von dessen
Missionspredigt (Apg 7 EU) Paulus wohl gehört hatte. Erst nach seiner Taufe
empfing er laut Apg 22,16ff EU den Auftrag zur Völkermission.
Das Kommen des
Richters wird die Welt vollkommen verwandeln
Jesu Auferweckung bekräftigte für die Urchristen die
Zukunftserwartung der jüdischen Prophetie (Jes 25,8 EU; 35,10 EU; Hes 37,12–14
EU) und Apokalyptik (Dan 7,2–14 EU) von einer endzeitlichen Verwandlung der
Schöpfung und Überwindung des Todes (1 Kor 15 EU; Offb 21,3–5 EU). Darum verkündeten
sie ihn als „Ersten der Entschlafenen“ (1 Kor 15,20 EU), sahen mit seiner
Auferstehung also die Zukunft aller Toten und den Vorschein der neuen Schöpfung
voraus und erwarteten sein Wiederkommen noch zu ihren Lebzeiten (1 Kor 15,51
EU; Mk 13,30 EU).
Daher spielte das leere Grab in der urchristlichen
Verkündigung keine primäre Rolle. Es war nur eine sekundäre Bestätigung für die
eigentliche Osterbotschaft. Es betonte die Realität des neuen Lebens Jesu und
wies die Angeredeten vom Vergangenen weg zur Zukunft: Was sucht ihr den
Lebendigen bei den Toten? (Lk 24,5 EU)
Die
Geistesgegenwart des Auferstandenen sendet die, die an ihn glauben, zur
Völkermission
Die Gabe des Heiligen Geistes im Pfingstereignis bekräftigte
für die Urchristen die Überwindung des Fluchs der Sprachverwirrung (Gen 11 EU),
gab ihnen also Hoffnung auf Völkerverständigung und Frieden (Apg 2,1–11 EU).
Schon die ersten Petruspredigten verkündeten Jesu Auferweckung daher als
Hinzurufen der Völker und Erfüllung des Völkersegens Abrahams (Apg 2,14ff EU;
3,12ff EU; 4,8ff EU). Diese Erfüllung begann wie zu Lebzeiten Jesu mit dem
Heilen der geschädigten Kreatur (Apg 5,12ff EU).
Diese Aspekte oder Dimensionen der Auferstehung Jesu sind im
NT untrennbar, treten aber nicht überall zugleich auf. Die weitere Christologie
und Soteriologie entfaltete sie dann je nach Situation der angeredeten
Gemeinden.
Leiden und Kreuzestod
→ Hauptartikel: Jesus von Nazareth: Ereignisse am
Lebensende, Passion
Der Tod Jesu Christi war für die Urchristen ebenso zentrales
Glaubensthema wie seine Auferweckung. Frühe Credoformeln nennen beide Daten
immer miteinander. Sie deuten den Tod sprachlich variabel, aber inhaltlich
übereinstimmend als „Dahingabe“ Jesu bzw. Gottes „für“ seine Anhänger, sein
Volk und alle Menschen. Schlüssel dazu waren die Abendmahlsworte (Mk 14,22-25
EU / 1 Kor 11,23-26 EU).
Bald wurden diese Bekenntnissätze erzählend entfaltet. Die
Passionsberichte der Evangelien werden auf eine gemeinsame Grundform aus der
Jerusalemer Urgemeinde zurückgeführt. Sie beantworten je auf ihre Weise die
Frage der Jünger nach dem Sinn des Leidens und Sterbens Jesu mit Hilfe der
Schrift (Lk 24,14–17 EU). Spätere Gemeindebriefe haben Jesu Tod theologisch
verschieden ausgedeutet.
Der Passionsbericht bei Markus
Das Markusevangelium ist als „Passionserzählung mit
ausführlicher Einleitung“ (Martin Kähler) komponiert. Markus verknüpft Jesu
Wirken in Galiläa mit Hilfe der Leidensankündigungen (Mk 8,31 EU; 9,31 EU;
10,33 EU) eng mit seinem Ende in Jerusalem und stellt es als Vorwegnahme der in
der biblischen Apokalyptik verheißenen Endzeit dar. Mit Hilfe des Konzepts vom
Messiasgeheimnis erklärt er, dass Jesus seine Identität zuerst geheim hielt, um
sich erst in seinem Sterben als Messias und Menschensohn zu offenbaren.[13]
Der Bericht beginnt mit Jesu Ankunft in Jerusalem, gefolgt
vom letzten Mahl im Rahmen eines Pessach, Festnahme, Prozess, Übergabe,
Kreuztragung, Kreuzigung und Grablegung Jesu. Der Kern dieses festgefügten
Ablaufs kann durch das Urcredo (1 Kor 15,3-5 EU) veranlasst worden sein. Jesus
sagt hier am Vorabend seines Todes zu dem versammelten Zwölferkreis, der für
ganz Israel stand und Judas Iskariot einschloss (Mk 14,24 EU): „Das ist mein
Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“ Der Ausdruck „für die Vielen“
bedeutet auf Aramäisch eine inklusive Vielzahl, also „für alle“, und zitiert
aus Jes 52,13 –53,12 EU: Dort wird der stellvertretend für das ganze Volk und
seine Führer leidende „Knecht Gottes“ verheißen. Manche sehen hier im Anschluss
an Joachim Jeremias eine historische Erinnerung an Jesu eigene Deutung in Mk
10,45 EU.[14]
Die Kreuzigung Jesu nimmt das Endgericht über die ganze Erde
vorweg: Darauf verweisen die Gerichtsfinsternis und das Stundenschema (Mk 15,33
EU), die Gerichtsansagen in Israels Prophetie symbolisch erfüllen (u. a. Am
5,18 EU; Joel 2,2 EU) und aussagen: Hier vollzieht Gott seinen vorherbestimmten
Plan. Hier läuft die Frist ab, die aller Gewaltherrschaft gesetzt ist (Dan 7,12
EU). Der Text verkündet also: Das Endgericht über Israel und die Völkerwelt
fand schon statt. Gott selbst habe seinen Sohn „dahingegeben“, um Israel und
alle Menschen aus diesem Gericht zu erretten.
Jesus betet am Kreuz für seine jüdischen Ankläger und
römischen Henker mit Worten des 22. Psalms (Mk 15,34 EU): „Mein Gott, mein
Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieser Psalm wurde seit dem Exil auf das
ungerechte Leiden ganz Israels bezogen. Zu Unrecht zum Tod verurteilte Juden
beteten so in Babylonien, Rom, Auschwitz, Bergen-Belsen und anderswo bis heute.
Jesu Gottverlassenheit hat eine exklusive und eine inklusive Seite. Als der für
die Menschheit Gerichtete erleidet er das Gericht stellvertretend für die
Menschheit: Nur er kann das, nur er tut das. Niemand anderes kann und soll das
noch tun. Als der mit und für alle ungerecht Leidenden schreit er nach Gottes
Gerechtigkeit.
Beide Seiten sind nicht von der Geschichte des jüdischen
Volkes zu trennen. Denn der Beter von Psalm 22 appelliert an den Gott des
Exodus und stellt sein Leiden in Israels Gesamtgeschichte hinein. Er betet und
leidet mit seinem und für sein Volk (Claus Westermann).
Markus überliefert einen Abschiedsschwur Jesu beim
Passahmahl (Mk 14,25 EU): „Von nun an werde ich nicht mehr trinken vom Gewächs des
Weinstocks, bis ich es neu trinke im Reich Gottes.“ Demgemäß lehnt er am Kreuz
den Betäubungstrank seiner Henker ab (Mk 15,23 EU), nimmt aber nach seiner
Gerichtsklage (Mk 15,34 EU) den Weinessig aus der Hand von Juden an, die
hofften, der Prophet Elija werde ihn retten.
Das Gericht Gottes ist also für Markus nicht vom Eingehen
(Kenosis) Jesu in die Leidens- und Hoffnungsgeschichte Israels zu trennen.
Gerade im Sterben Jesu liege Hoffnung. Gott selbst sei darin präsent, leide und
sterbe mit seinem Sohn. Gottes Reich werde kommen und alle Gewaltherrschaft
überwinden. Jesus selber habe diese Zusage Gottes für alle hoffnungslos
Versklavten und Gefolterten ultimativ bekräftigt, indem er sein Leben am Fest
der Befreiung Israels für alle Völker hingab. So begründet die älteste
narrative Deutung des Kreuzestodes Jesu eine unkündbare Solidarität von
Christen mit Juden und allen zu Unrecht Verfolgten.
Deutungsmotive im NT
Die Urchristen deuteten Jesu Leiden und Tod großenteils mit
biblischen Kategorien und Motiven:[15]
Motiv Vorkommen
Bindung Mk,
Paulus, Hebr
Dahingabe Mt, Mk, Lk,
Paulus, Eph, Kol, 1Petr
für die Vielen (Jes 53 EU) Mt,
Mk, Lk, Paulus, Hebr, 1Petr
für die Menschheit/die Freunde Joh
Fluch Gal
Kontrastschema:
gestorben (durch Menschen)
auferweckt (durch Gott) Apg
Leiden für Mt, Mk,
Lk, Paulus, Hebr, 1Petr
Leiden des Gerechten 1
Joh
Loskauf
Lösegeld
Erlösung Mt, Mk,
Paulus, Eph, Kol, Pastoralbriefe, 1Petr, Offb
Löschung der Schuldurkunde Eph,
Kol
Erfüllung der Schrift („muss“) Mt, Mk, Lk, Joh
Pascha(lamm) Mt,
Mk, Lk, Joh, Paulus, Offb
Prophetenverfolgung Mt,
Mk, Lk, 1Thess
Sühne Mt, Mk,
1Joh, Paulus, Eph, Kol, Hebr, 1Petr, Offb
Versöhnung Paulus,
Eph, Kol
Urchristliche Titel
Der Tanach war für die Jünger Jesu und das Urchristentum der
Schlüssel, Jesu Tod und seine Auferweckung als vorherbestimmten Willen Gottes
zu verstehen. Daraus erklären sich viele Jesu zugedachten Titel wie Sohn
Davids, zweiter Adam, sowie Analogiebildung wie Adonai – Kyrios, Maschiach –
Christos usw. Viele historisch-kritische Neutestamentler halten es für
wahrscheinlich, dass Jesus sich selber mit keinem von der jüdischen Tradition
vorgegebenen Hoheitstitel bezeichnete oder identifizierte.[16]
Sohn Davids
Auf einen „Sohn Davids“, einen Nachfahren von König David,
der Großisrael gründete, seine Feinde besiegte und den Tempelbau einleitete,
richtete sich die eschatologische Erwartung in der Spätzeit des AT.[17] David
erhielt die Zusage ewiger Thronfolge (2 Sam 7,13f EU), nachdem er die
Bundeslade des alten 12-Stämmebundes nach Jerusalem überführt hatte. Daran
knüpfte die Exilsprophetie nach dem Untergang des Königtums an: Der Messias
wurde als später „Spross“ der Davidsippe erhofft (Jes 11,1 EU).
In der Qumrangemeinde wird dieses Messiasbild mit der vom
Volk erhofften gerechten Rechtsprechung für die Armen und Heilung der Kranken
verbunden.[17] Wo Jesus im NT Sohn Davids genannt wird, stehen derartige
Erwartungen im Vordergrund. Dem hat Jesus nicht widersprochen (Mk 10,46–52 EU).
Aber der neue David sollte Israel auch gewaltsam aus der
Hand seiner Feinde befreien: Dem hat Jesus zeichenhaft widersprochen und
stattdessen an den machtlosen Messias Sacharjas erinnert (Mk 11,1–10 EU). Er
soll auch betont haben, dass der Messias kein Nachfahre, sondern Vorfahre Davids
und diesem übergeordnet sei (Mk 12,35f EU): Das spielte offenbar auf den
präexistenten „Menschensohn“ an, der aus Gottes Bereich stamme (Dan 7,13f EU).
Christus
Christos übersetzt das hebräische Maschiach („der Gesalbte“)
ins Griechische. Die Salbung des Hauptes mit kostbarem Öl durch einen Propheten
zeigte in Israel die göttliche Berufung eines neuen Königs an (1 Sam 10 EU).
Der Hoheitstitel bezeichnete also Thronanwärter, die so zu Schutz und Hilfe für
das Volk beauftragt und verpflichtet wurden. Nach dem Untergang des Königtums
(586 v. Chr.) wurde der Titel auf den Hohenpriester übertragen. Erst in
nachbiblischen Texten wie den Qumran-Schriftrollen bezeichnete er manchmal auch
den seit Jesaja für die Endzeit erwarteten Heilsmittler.
Die Evangelien verwenden den Titel für Jesus im letzten
Sinn, jedoch nur selten und nie in Eigenaussagen Jesu. Die Messiaserwartung
wurde demnach von außen an Jesus herangetragen. Dabei betonen die Texte, dass
er sich von falschen Erwartungen seiner Zeitgenossen abgegrenzt habe. So folgt
dem Messiasbekenntnis des Petrus Jesu Hinweis auf sein notwendiges
Erlösungsleiden (die erste Leidensankündigung im Markusevangelium).
Da die biblische Tradition Könige, Priester und einen
Propheten Israels als von Gott Gesalbte bezeichnet,[5] besagt der Christustitel
im NT, dass Jesus alle drei Funktionen für sein Volk und die Völker ausübte und
übernahm. Im Erzählzusammenhang wird die Messiaswürde Jesu durch sein Lehren
und Entscheiden (Bergpredigt), Heilen und Retten (Wunder Jesu), vor allem aber
durch seine stellvertretende Schuldübernahme veranschaulicht. Diese Rolle war
im Tanach nicht vom Messias, aber vom Gottesknecht (Jes 53) angekündigt worden.
Sohn Gottes
In der hebräischen Bibel bezeichnet Sohn Gottes zum einen
jeden gottesfürchtigen Israeliten, zum anderen das ganze Volk (Hos 11,1 EU),
meist aber den König Israels (2 Sam 7,14 EU; Ps 2,7 EU; 89,27f EU u.ö.). Texte
aus Qumran verwendeten den Titel einmal auch für den Heilsbringer. Im NT wird
er in dieser Form von Kajaphas an Jesus herangetragen (Mk 14,61 EU) und dann im
hellenistisch beeinflussten Urchristentum verwendet.
Die Paulusbriefe (z. B. Röm 1,3 EU) und das Markusevangelium
(z. B. Mk 15,39 EU) verwenden vorzugsweise den Sohn-Gottes-Titel, um die
Besonderheit dieses Messias gegenüber dem Judentum hervorzuheben. Die
Adoptionsaussage Gottes im Zusammenhang der Taufe Jesu Du bist mein geliebter
Sohn (Mk 1,11 EU par.) zitiert indirekt Ps 2 EU (Mein Sohn bist du), der auf
ein Krönungsritual für israelitische Könige bezogen wird.[18]
Das Johannesevangelium (Joh 5,19ff EU; 8,35f EU) lässt Jesus
von sich oft als „dem Sohn“ oder auch direkt als dem „Sohn Gottes“ reden (Joh
5,25 EU; 9,35-37 EU; 10,36 EU).
Gott
Jesus selbst nannte sich nie Gott. Aber Thomas sprach ihn
mit „Mein Herr und mein Gott!“ an (Joh 20,28 EU). Auch in mehreren Briefen wird
Jesus ausdrücklich als Gott bezeichnet: „… in seinem Sohn Jesus Christus.
Dieser ist der wahrhaftige Gott …“ (1 Joh 5,20 EU); „… Herrlichkeit unseres
großen Gottes und Heilandes Jesus Christus“ (Tit 2,13 EU). Weitere in diese
Richtung zielende Aussagen finden sich in Joh 1,1 EU; Röm 9,5 EU; Kol 2,2 EU;
Hebr 1,8-10 EU; 2 Petr 1,1 EU. Daraus wird gefolgert: „Das NT bezeichnet Jesus
als Gott ...“[19]
Eine Gleichsetzung von Jesus mit Gott wird mehrmals auch
indirekt ausgedrückt, indem Aussagen wie „Ich bin das Alpha und das Omega“
sowohl im Mund Gottes als auch im Mund Jesu erscheinen (Offb 1,8 EU; Offb 22,13
EU).[20]
Menschensohn
Der Titel Menschensohn bezieht sich im Buch Daniel auf einen
Heilsmittler der Endzeit. In der Vision vom Endgericht erscheint er nicht mehr
als Nachkomme Davids und irdischer König, sondern als Himmelswesen. Er werde Gottes
Reich verkörpern und durchsetzen, nachdem Gott selbst das Endgericht über alle
irdische Gewaltherrschaft vollzogen habe. Daraufhin würden alle Menschen ihm
dienen, und sein Reich werde ewig sein (Dan 7,2–14 EU).
Damit hielt die jüdische Apokalyptik in einer Situation der
äußersten Existenzbedrohung des Judentums die früheren prophetischen
Verheißungen fest, die vom Messias den Völkerfrieden erwartet hatten. Dieser
wurde nun nicht mehr als innergeschichtliche Entwicklung, sondern erst vom
Kommen Gottes zum Endgericht, also zugleich mit dem Ende der Weltgeschichte,
erhofft.
Der Menschensohntitel taucht im NT nur in wörtlicher Rede
Jesu auf. In Texten, die der hypothetischen Logienquelle zugeordnet werden,
redet er stets in der 3. Person vom „kommenden“ Menschensohn. Die Frage, ob er
sich oder einen anderen gemeint hat, gehört zu den wichtigsten Streitthemen der
NT-Forschung.
Bei Markus nimmt Jesus schon in Galiläa die Vollmacht des
Menschensohns in Anspruch, um Sünden zu vergeben (Mk 2,10 EU) und am Sabbat zu
heilen (Mk 2,28 EU). Später kündigt er die Auslieferung des Menschensohns an
seine Feinde an (Mk 8,31 EU). Nach Mk 10,35–45 EU sei der Menschensohn zum
Dienen, nicht zum Herrschen, und zur Hingabe seines Lebens "für die
Vielen" gekommen: Dieser Ausdruck spielt auf Jes 53 an, verbindet also die
Menschensohnerwartung mit der Verheißung des leidenden Gottesknechts.
Das Sterben des Menschensohns war in Daniels Vision nicht
vorgesehen, weil er dort erst erscheint, nachdem Gott Israels Feinde besiegt
hat. Die apokalyptische Umkehr der Machtverhältnisse nach dem Endgericht wird
im NT also vom vorherigen stellvertretenden Leiden des Stellvertreters Gottes
für Israel abhängig gemacht. Darum konnten die Urchristen Jesu Sterben später
als der Menschheit dienenden Machtverzicht des Sohnes Gottes (Phil 2,7 EU) und
stellvertretende Übernahme des Endgerichts (Mk 15,34 EU) deuten.
In den Reden über das Endgericht (Mk 13 EU, Mt 25 EU, Lk 21
EU, Joh 3 EU Joh 5,19–30 EU) erscheint der Menschensohn als Weltrichter. Er vertritt
also Gott selbst in dieser Funktion.
Nach Ostern ersetzte die Jerusalemer Urgemeinde den
Menschensohntitel durch den Kyrios-Titel, um Jesu Erhöhung an Gottes Seite
auszudrücken. Nur Stefanus bekannte sich zum erhöhten Menschensohn (Apg 7,56
EU) und wurde dafür vom Sanhedrin zu Tode gesteinigt.
Kyrios
Kyrios (griechisch für „Herr“) übersetzt das hebräische
Adonai („meine Herren“) ins Griechische. Diese Anrede ersetzte den Gottesnamen
JHWH im nachexilischen Judentum; demgemäß verwendete die Septuaginta
durchgängig Kyrios an dessen Stelle.[21] Die Urchristen übertrugen diesen Titel
auf Jesus: Er kommt für ihn in fast allen NT-Schriften außer den
Johannesbriefen und dem Titusbrief vor und ist somit der zweithäufigste Titel
Jesu im NT.[22]
Der Titel spielt bei Markus und Matthäus eine eher
untergeordnete Rolle, wird aber von Lukas häufig verwandt (Lk 1,43 EU, Lk 2,11
EU, Lk 24,34 EU, Lk 1,76 EU).[23]
Wilhelm Bousset sah den Titelgebrauch bei hellenistischen
Urchristen von griechischen Mysterienkulten her beeinflusst, deren Anhänger
ihre Kultgötter als Kyrios anriefen. Die Jerusalemer Urgemeinde habe ihn nicht
verwendet.[24] Oscar Cullmann dagegen verwies auf den religiösen Gebrauch des
Titels auch im Judentum: Die Urgemeinde habe ihn daher ebenfalls verwendet.[25]
Das hebräische adonai und aramäische mar wurden im profanen
und religiösen Kontext verwendet. So werden im Genesis-Apokryphon aus Qumran
Menschen und Gott ohne sprachlichen Unterschied als Herr (mar) angesprochen.
Die Formel Maranatha („Unser Herr, komm!“, z. B. in 1 Kor 16,22 EU) gilt als
einer der frühesten Glaubenssätze aus der Urgemeinde neben Phil 2,11 EU (Jesus
Christus ist der Herr!).
Im NT bezieht sich der Kyrios-Titel auf die Heiligkeit,
Machtfülle und Weltherrschaft Jesu Christi. Besonders Ps 110,1 EU wurde zur
Übertragung des Titels von Gott auf Jesus herangezogen (vgl. Mt 22,44 EU):[26]
„So spricht der
Herr zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten.“
Der Messias ist in der jüdischen Tradition ein von Gott
erwählter, aber sterblicher Mensch. Dass Juden, die an Jesus als Messias glaubten,
ihn wie Gott als Kyrios anriefen, gilt auch als Indiz dafür, dass der
historische Jesus den Titel des kommenden „Menschensohns“ von Daniel 7
verwendete. Weil man respektierte, dass Jesus sich vor Ostern so nannte und nun
zu Gott erhöht worden war, habe der Kyriostitel den Menschensohntitel nach
Ostern ersetzt.[27]
Lamm Gottes
Frühe Mosaikdarstellung des Lamm Gottes in der Basilika
Santa Prassede
Der Titel Lamm Gottes (Joh 1,29 EU) steht nach verbreiteter
Ansicht für die Sühnopfer-Deutung des Todes Jesu im Rahmen eines Passahfestes,
die an die Weissagung vom „Gottesknecht“ Jes 53,7 EU anknüpft.[28] Martin
Hastischka bezweifelt jedoch einen auf das Passahlamm, die Opferung Isaaks,
oder das Lamm der jüdischen Apokalyptik zurückgehenden Bezug, und hält den
Titel für ein allgemein verbreitetes Symbol der Macht- und Wehrlosigkeit.[29]
Christus als das geschlachtete Passahlamm hat im
Johannesevangelium auch in der Passion eine wesentliche Bedeutung, wo der Tod
Jesu mit dem Zeitpunkt des Schlachtens der Pessachlämmer im Tempel
synchronisiert wird (Joh 19,14.31-36 EU). Daneben verwenden 1 Kor 5,7 EU, 1
Petr 5,7 EU und die Offenbarung (Offb 5,6 EU) das Bild vom geopferten Lamm.
Logos
Der Titel Logos λόγος kennzeichnet im NT den Johannesprolog
(Joh 1,1.14). Der Autor – wahrscheinlich der Evangelist – übersetzte hier zum
einen das hebräische dabar für Gottes unmittelbar wirkende Rede im Tanach mit
einem Zentralbegriff der griechischen Philosophie, zum anderen – und das ist
einzigartig – identifizierte er ihn mit der Person des Heilsmittlers und bezog
ihn auf dessen Präexistenz vor der Schöpfung.
Diese Gleichsetzung unterscheidet den Begriff nach Hans
Conzelmann auch von den Begriffen Ebenbild oder Bild Gottes εικων (2 Kor 4,4)
und Weisheit (1Kor 1,30) für Jesus bei Paulus.[30]
Zweiter oder letzter Adam
Paulus nennt Jesus den „zweiten“ oder „letzten Adam“ und
bezieht ihn damit auf den ersten Menschen in der biblischen
Schöpfungsgeschichte. Er beschreibt ihn nicht als seinen Nachkommen, sondern
als heilenden Gegensatz: Gegenüber dem aus Erde geschaffenen, durch seine Sünde
den Tod für die Menschen auslösenden Adam (Röm 5,12 EU) komme Jesus „vom Himmel
her“ (1 Kor 15,47 EU) und habe den Tod für die Menschen überwunden (Röm 5,17f
EU). Im Gegensatz zur irdischen (1 Kor 15,45 EU) verkörpere Jesus die
pneumatische Existenzform, die er selbst wirkend erschaffe (1 Kor 15,47 EU).
Wie Adam zum Stammvater der sündigen Menschheit geworden sei, so gehe aus Jesus
die himmlische Gemeinde als „Leib Christi“ hervor (1 Kor 15,48 EU; vgl. Kol
1,18 EU).
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