Toronto Canada
Author D.Selzer-McKenzie
https://youtu.be/CflNyq6DzdI
Am nordwestlichen Ufer des Ontariosees liegt Kanadas größte
Stadt, Toronto.
Sie ist Finanzmetropole, Kulturstadt, Sporthochburg - und
Schmelztiegel der Kulturen. Und sie gilt als beste „Street Art City" der
Welt.
„Ist das
Kunst oder nicht?" Etwas ratlos steht eine kleine Gruppe um eine Toilette
am Straßen¬rand. Vom hochgeklappten Deckel grinst sie ein ausgeschnittener Kopf
mit Hörnern und Riesen-zähnen an. „Ja" sagen die einen, „niemals" die
anderen. „Warum nicht?" ist die Meinung, die Kit Weyman am besten gefällt.
Der 30-Jährige ist Schauspieler, Rapper und hat sich selbst schon mit dem einen
oder anderen Werk an den roten Backsteinmauern Torontos verewigt. Heute führt
er Gäste und lenkt deren Aufmerksamkeit auf die Graffitis, für die seine
Heimatstadt weltweit bekannt ist. Auch wenn sie nicht jeder liebt.
Bunte Mischung am Baum
Treffpunkt ist der „Hug Me Tree". Rosa steht der
bemalte Baumstumpf an der Ecke Queen Street West und Peter Street. Rundum das
lebhafte Trei-ben einer vormittäglichen Stadt: Autos hupen, ein Arbeiter in
Leuchtjacke und mit einem Schild in der Hand leitet den Verkehr an einer
Baugrube vorbei. Auf dem breiten Trottoir passieren Men¬schen mit Aktentaschen
und Einkaufstüten. Da¬zwischen ein junger Mann mit rotem Rennrad und
voluminösem Wollschal um den Hals.
„Willkommen in Toronto!" Kit Weyman begrüßt nicht nur
seine Begleiter für einen Vormittag. Auch der rosa Stumpf bekommt eine
Umarmung. Und die Gäste eine Erklärung, was es mit dem um eine Liebkosung
buhlenden, bemalten Baum-Rest auf sich hat. Seit 1999 steht er an prominen-
Kit Weyman erklärt seinen Gästen die Graffitis von Toronto
und den „Hug Me Tree".
ter Stelle. Das hug, das umarmen heißt, geht ei¬gentlich auf
die Initialen von Elicer Elliott und seine Sprayer-Freunde zurück. H.U.G. steht
für „History unleashes genious". Irgendwann kam das „Me" dazu, und
der mittlerweile berühmte Treffpunkt war geboren.
„Wie sieht er gerade aus?" fragt Kit, der länger nicht
in der Stadt war, tritt einen Schritt zurück und erklärt auch das. Wie
Graffitikunst im All¬gemeinen, ist auch der „Hug Me Tree" extrem
wandlungsfähig. Mal ist er dezent, mal trägt kräftig bunt.
Kleine Häuschen wuchsen sch aus den Aststummeln, und als er 2008 aus uni
klärter Ursache zu Sturz kam, sollte er ganz v der Queen Street West
verschwinden. Doch c Intermezzo in einer Galerie währte nur kurz. V zu sehr
hatte ihn Toronto ins Herz geschlosst So steht er nun sicher auf einem eisernen
Soc und verheißt denen Glück, die ihn drücken. Nur eine Häuserecke weiter wird
es ruhig: Wob gebiet statt Einkaufsstraßen. Ein verwilder Hinterhof.
Eichhörnchen huschen zwischen ten und Balkonen rum. Kit lehnt sein Rad an (
Mauer und erzählt, wie in den späten 80er- u 90er-Jahren die Graffiti-Szene Toronto
für si entdeckte. Stark war dabei der Einfluss von N York, und bis heute kommen
Künstler aus al Welt, um hier auf Wände zu sprühen. Unter a derem der ominöse
Bansky, der mit schablont artigen Figuren auf gesellschaftspolitische Pf bleme
aufmerksam macht und dessen wal Identität niemand kennt. Am Rande des interr
tionalen Toronto Filmfestivals hat sich der WE weit größte Graffiti-Künstler
auf einigen Maut verewigt. Ob das legal war?
Zwischen Kunst und Kriminalitä
Kit erklärt die verschiedenen Formen von Graf und dass
längst nicht jeder gut findet, was Far auf Backstein und tristen Beton bringt.
Kunst es für die einen, Vandalismus für die ander(und der wird bekämpft, wo es
nur geht. Schließlich soll in der 2,6-Millionen-Stadt keiner auch nur an-satzweise
Assoziationen zwischen Graffiti und Kriminalität ziehen. Politische Kampagnen
und Polizeiprogramme sollen helfen, Gut von Böse zu unterscheiden. Mit
Flugzetteln und Telefon-Hot¬line werden Eltern aufgeklärt, wie sie erkennen, ob
ihre Kinder in der Szene unterwegs sind.
Andererseits gibt es eine beachtliche Fangemein¬de weit über
die Grenzen der Stadt hinaus. Der Kompromiss ist ein 1996 verabschiedetes
„Graf¬fiti Transformation Program", in dessen Zug bis heute 430 Mauern zum
Bemalen freigegeben wurden und auf Wunsch Kontakt zu Künst¬lern hergestellt
wird, während unerwünscht Gespraytes verschwindet. Kit zeigt auch Wände, bei
denen man am leichten Graustich erkennt, dass hier Farbe beseitigt wurde.
Tags, Throw-ups und Pieces
Aber zuerst gibt es das kleine Graffiti-Einmal¬eins: Da sind
die „Tags", die Schriftzüge der „Wri-ter" (wie sich die Sprayer
selbst nennen), eine Art Duftmarke, um seinen Namen irgendwo zu ver¬ewigen.
Dann die „Throw-ups", zumeist impro¬visierte Stücke, die im Vorbeigehen
entstehen.
Dafür muss man schnell sein, um nicht erwischt zu werden.
Großflächige, bunte „Pieces" brau¬chen indes Vorbereitung und Zeit. Wie
etwa beim alljährlichen Urban-Art-Festival im Mai, dem größten Graffiti- und
Hip-Hop-Jam Kanadas.
Gar nicht stilles Örtchen
Mit einigermaßen geschultem Auge und geschärf-ten Sinnen
geht es dann in die Graffiti Alley: Eine schmale Straße mit unspektakulären
Häusern und kleinen Höfen, die ein einziges Wandbild ist. An ihrem Ende, dort,
wo es wieder belebt wird, steht das gar nicht stille Örtchen. Bei näherer
Be¬trachtung zeigt es einen kauernden Menschen. Indem es zur Diskussion
animiert, hat es längst seinen Zweck als Kunstwerk erfüllt.
Nach konzentriertem Wandschmuck gibt es nun konzentriertes
Stadtleben. Graffitis entdeckt man auch hier. An Häusern, auf Briefkästen und
Stra§enschildern, sogar auf dem Asphalt. Immer wieder begegnet einem der
knallgelbe Vogel von Uber oder die kleine Stickman-Figur. Aber im lebhaften
Treiben von Kensington Market gibt es noch viel mehr zu entdecken, zu hören und
zu riechen. Musik klingt durch die Straßen. Es duf¬tet nach Gebäck. Menschen
unterschiedlichster
Kulturen bummeln durch die Straßen, sitzen mit Milchkaffee
in der Sonne oder stehen Schlange vor dem Käseladen, der auch Allgäuer Bergkäse
auf seiner Angebotstafel stehen hat. „Von Früh¬ling bis Herbst ist hier jeden
letzten Sonntag im Monat Straßenparty", erzählt Kit. Die kulturelle
Vielfalt ist die große Stärke Kanadas. Es gibt Little Italy, Little Portugal,
Greek- und Korea-town und allein sechs Chinatowns, aber selbst dort mischen
sich die Kulturen. Miteinander statt ethnische Ghettos fördert das
Gemeinschaftsge¬fühl in der Stadt, in der 130 Sprachen gespro¬chen werden und
die dafür berühmt ist, dass man auch nachts ohne mulmiges Gefühl durch ihre
Straßen flanieren kann.
Wer einigermaßen gut zu Fuß ist, folgt der Young Street bis
ins Bankenviertel mit seinen glänzenden Wolkenkratzern und macht einen
Schlenker zum 553,33 Meter hohen CN-Tower. Im Aufzug geht es hinauf zum Space
Deck des lange Zeit höchsten frei stehenden Gebäudes der Welt. Graffitis sieht
man von hier oben selbst mit dem Fernglas nicht. Dafür aber die Straßen, denen
man auf der Suche nach der Kunst an den Wänden gefolgt is
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.