Geldpolitik unter neuen Voraussetzungen
Author D.Selzer-McKenzie
https://youtu.be/gcivVima0ww
Die Erdölpreise sind weiter niedrig. Das drückt verstärkt
auf die Inflationsraten - und gibt den Noten¬banken Spielraum und Argumente für
eine anhaltend expansive Geldpolitik. Nicht nur in den USA, wo die Federal
Reserve erst Ende Dezember die Zinsen anhob, fragen sich Anleger: Wie geht es
weiter?
Das vergangene Jahr dürfte eines der aufregendsten in Janet
Yellens langer Karriere gewesen sein: Monatelang stand die Chefin der
US-Notenbank Fed wie kaum eine andere Person im Fokus der Öffent¬lichkeit.
Selbst wer das Marktgeschehen nur am Rande verfolgte, hatte plötzlich etwas von
„Notenbanken", „Leitzinsen" und „Offenmarkt-ausschuss" gehört.
Vor allem aber an den Börsen von New York bis Tokio wurden die Auftritte
Yellens genau verfolgt und jede ihrer Reden Wort für Wort analysiert. Die
Marktteil¬nehmer suchten nach Hinweisen auf den Zeit¬punkt der ersten
US-Leitzinserhöhung seit der Finanzkrise — ließen doch ein positiver
Arbeits-markt, eine stabile Konjunktur und solide Inflati-onserwartungen diesen
Schritt schon früh im Jahr 2015 möglich erscheinen.
Tatsächlich sah die Fed dann aber erst im Dezember die
Voraussetzungen für eine Zins-erhöhung erfüllt und erhöhte die Leitzinsen um
einen viertel Prozentpunkt. Die Zinswende, so dachten viele Marktbeobachter,
sei nun einge¬leitet — entsprechend wurden ihre möglichen Auswirkungen an den
Kapitalmärkten bereits in die Kurse eingerechnet.
Seitdem sind nicht einmal drei Monate vergangen. Die
Rahmenbedingungen jedoch haben sich grundlegend gewandelt — und mit ihnen die
geldpolitischen Aussichten.
Fed rudert zurück - aber der Trend bleibt vorerst erhalten
Bestehen geblieben ist eigentlich nur die ins-gesamt
divergente Entwicklung der einzelnen
Notenbanken: Auch weiterhin dürfte die Geld-politik der Fed
und der Bank of England (BoE) in eine andere Richtung zielen als die der
Euro-päischen Zentralbank (EZB) und der Bank of Japan (BoJ). Allerdings wird
insbesondere die US-Notenbank dabei ein anderes Tempo an¬schlagen als bis vor
wenigen Wochen ange¬nommen. Denn mittlerweile sind es nicht nur die niedrigen
Inflationserwartungen (siehe Gra¬fik S. 5 oben), die das Tempo der Fed auf
ihrem Weg zu höheren Leitzinsen bremsen dürften.
Zuletzt konnten auch wichtige Konjunktur-daten nicht
vollends überzeugen. Hier macht sich insbesondere der anhaltend niedrige
Öl¬preis für die vergleichsweise stark von der Ölin¬dustrie abhängige
US-Volkswirtschaft negativ bemerkbar. Hinzu kommt, dass der Einzelhan¬del
bisher weniger als angenommen davon
profitieren konnte, dass die US-Bürger durch das günstige Öl
mehr Geld zur Verfügung ha¬ben, da gleichzeitig die Spar-
quoten steigen. 2,0%
Wenngleich es übertrieben 1,5%
erscheint, von einer Rezession
in den USA zu sprechen, dürf¬ 1,0%
ten sich diese Entwicklungen
vermutlich auch auf das Wirt- 0,5%
schaftswachstum auswirken:
Die Deutsche Bank hat ihre Er¬ 0,0%
wartungen für das Jahr 2016 jüngst von 1,8 auf 1,2 Prozent
nach unten korrigiert und rech-
net daher auch nicht mehr wie bisher mit drei, sondern
lediglich noch mit einer Leitzinserhö¬hung in diesem Jahr. Diese könnte dann
mögli¬cherweise im Dezember erfolgen.
Da das konjunkturelle Umfeld Großbritanni¬ens große
Ähnlichkeit mit dem der USA hat, dürfte sich die Geldpolitik der BoE weiter an
der Fed orientieren. Aufgrund der enttäuschenden Inflationsentwicklung und des
niedrigen Lohn-wachstums rechnet die Deutsche Bank mittler-weile erst im
November 2016 mit einer ersten Leitzinserhöhung in Großbritannien. Bisher war
diese für Mai erwartet worden.
Europa und Japan könnten Geldpolitik weiter lockern
Während die Fed und die BoE sich langsamer als vermutet in
Richtung einer restriktiveren Geld-politik bewegen, dürften die EZB und die BoJ
ihre expansive Linie vermutlich weiterfahren —und das womöglich sogar
konsequenter als bis¬lang erwartet. So könnte der anhaltend niedrige Ölpreis
die EZB dazu veranlassen, ihre im De-zember 2015 veröffentlichte — und von
vielen Marktteilnehmern ohnehin als zu hoch einge-schätzte —
Inflationserwartung für das Jahr 2016 in Höhe von 1 Prozent nach unten zu
korrigieren. Das ließe weitere Lockerungsmaßnahmen mög¬lich erscheinen. Aktuell
geht die Deutsche Bank davon aus, dass die Einlageverzinsung — also der
Zinssatz, zu dem Banken Geld bei der EZB „par-ken" können — im März auf -0,4
Prozent gesenkt wird. Darüber hinaus könnte ebenfalls im März eine Umverteilung
der monatlichen Ankaufvolu-men von Anleihen verkündet werden, wodurch es
zeitlich begrenzt zu einer Erhöhung des An-kaufbudgets kommen dürfte.
Einen noch expansiveren geldpolitischen Kurs als die EZB
fährt aktuell nur die BoJ. So hat Zentralbankchef Haruhiko Kuroda zuletzt
erneut für eine Überraschung gesorgt, als er eine negative Einlageverzinsung
von —0,1 Pro¬zent bekannt gab — was er vorher stets abge¬lehnt hatte. Kuroda
verkündete zudem, alles für das Erreichen des Inflationsziels von 2 Prozent zu
tun. Da es aus Sicht der Deutschen Bank
schwierig werden dürfte, das Inflationsziel wie geplant bis
Ende 2016 zu erreichen, könnte eine weitere Senkung des Einlagezinses in der
zwei¬ten Jahreshälfte folgen.
Notenbanken handeln -Kapitalmärkte reagieren
Diese neue Dynamik in der weltweiten Geld¬politik hat nicht
zuletzt auf die Kapitalmärkte erhebliche Auswirkungen. Offensichtlich werden
diese zum Beispiel beim Blick auf den US-Dol¬lar, der seit einigen Wochen
sowohl zum Euro als auch zum Yen deutlich nachgegeben hat. Die Deutsche Bank
erwartet jedoch, dass die¬ser Trend sich mittelfristig wieder umkehren dürfte,
sobald sich die wirtschaftliche Lage in den USA stabilisiert.
Den Schwellenländern verschafft das ver-langsamte Tempo der
Fed eine willkommene Verschnaufpause: Da die Verzinsung US-ameri-kanischer
Staatsanleihen bis zum Ende des Jahres etwa auf dem heutigen Niveau verhar¬ren
könnte (siehe Grafik unten), dürften weni¬ger Investoren als befürchtet ihr
Kapital von den Schwellenländern in die USA umschichten.
An den Anleihemärkten in Europa und Japan sollten die
expansiven Maßnahmen der Notenbanken die Staatsanleihen-Kurse weiter stützen —
und die Zinsen entsprechend niedrig halten. 10-jährige japanische
Staatsanleihen
Erwartete Kapitalmarktzinsen
Die Verzinsung 10-jähriger Staatsanleihen könnte regional
leicht anziehen (Werte gerundet).
2,0% 1,9%
1,7%
1,5% 1,4%
1,0%
0,2%
0,0%
Quelle: Deutsche Bank, Stand: Februar 2016
rentieren aktuell mit 0,01 Prozent dabei noch deutlich
un¬ter deutschen Bundesanleihen (0,25 Prozent). Japanische Pa¬piere mit
30-jähriger Laufzeit lie¬gen hingegen mit rund 1 Pro¬zent im Bereich
vergleichbarer deutscher Titel.
Für die Aktienmärkte wiede¬rum dürfte diese insgesamt
zu¬rückgenommene Zinsentwick¬lung eher positive Impulse bringen: Auf der Suche
nach hö¬her rentierlichen Investments könnten Anleger mit entspre¬chender
Risikoneigung Unternehmensbeteili¬gungen verstärkt in den Fokus nehmen.
Niedrige Zinsen begleiten Anleger - vermutlich länger als
erwartet
Im Anleihesegment dürfte es für Anleger bis auf Weiteres
schwierig bleiben, Papiere mit interes-santem Rendite-Risiko-Profil zu finden.
So dürf¬ten die Zinsen in der Eurozone weiter auf niedrigem Niveau verharren.
Im Bereich der Un-ternehmensanleihen bieten US-Papiere guter bis sehr guter
Bonität (Investment Grade) mit durchschnittlich rund 3,5 Prozent noch ver-
n Niedrige
Inflation ermöglicht weiter expansive Geldpolitik.
n Vor allem in
der Eurozone und
Japan niedriges Zinsniveau.
n Mögliche
positive Impulse für
die globalen Aktienmärkte.
gleichsweise interessante Aussichten. Im Hoch-zinsbereich
(High Yields) dagegen erscheinen der Deutschen Bank die Risiken in Relation zu
den erreichbaren Renditen derzeit noch zu hoch. Grundsätzlich für ein zumindest
kurzfris¬tiges Engagement anbieten könnten sich Anlei¬hen aus den
Schwellenländern — aufgrund hoher Unsicherheiten bezüglich der Währungs-und
Konjunkturentwicklung in diesen Staaten scheinen aber auch hier andere
Anlageklassen derzeit interessanter.
Ein aussichtsreicheres Chance-Risiko-Verhältnis könnte sich
für entsprechend risiko-bereite Anleger zum Beispiel am Aktienmarkt bieten.
Zumal die Kurse von einer zunehmend lockeren beziehungsweise weniger als
erwar¬teten restriktiven Geldpolitik der Notenbanken und der damit verbundenen
hohen Liquidität im Markt weiter profitieren dürften. Auch dabei gilt es
jedoch, selektiv vorzugehen und sich bei der Auswahl einzelner Papiere
gegebenenfalls von Kapitalmarktexperten unterstützen zu lassen.
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