Harry Domela 1904-1977 – Hochstapler
Author D. Selzer-McLenzie
YoutubeVideo: https://youtu.be/py_2J45YqoI
Harry Domela (lettisch Harijs Domela; * 1904/05 in Grusche,
Gouvernement Kaunas, Kaiserreich Russland; † nach 1977) war ein
deutsch-baltischer Hochstapler und Autor. Als noch Jugendlicher war er Mitglied
der Baltischen Landeswehr und Soldat der Reichswehr. Ab 1936 Freiwilliger im
Spanischen Bürgerkrieg beim Fünften Regiment auf Seiten der Zweiten Spanischen
Republik.
Harry Domela wurde als Sohn eines deutsch–baltischen Müllers
in dem Dörfchen Grusche unweit der Gouvernementsgrenze in Livland geboren und
verlebte seine Kindheit im kurländischen Bauske. Der Vater starb kurz nach
Domelas Geburt. Harry besuchte 1915 einen seiner Brüder in Riga, der dort
überraschend zum russischen Heeresdienst einberufen wurde und kam daraufhin für
zwei Jahre in ein Erziehungsheim. 1917 kehrte er zu seiner Mutter nach Bauske
zurück. Von ihr entfremdet, schloss er sich 1919 der Baltische Landeswehr an,
um nach dem Ersten Weltkrieg im Baltikum gegen die bolschewikischen Besatzer zu
kämpfen. Er war somit Kindersoldat. Infolge des Friedensvertrages von
Brest-Litowsk entstanden 1918 die unabhängigen Republiken Estland, Lettland und
Litauen. Diese mussten sich gegen Machtansprüche der Kommunisten (russische
Rote Armee), der Monarchisten (russische Weiße Armee im Verbund mit den von
Teilen des deutschen Adels unterstützten deutschen Freikorps) und der Polen zur
Wehr setzen. Mit Abschluss dieser Bürgerkriegsphase bis 1920 verblieb ein Teil
Litauens (Mittellitauen) unter polnischer Hoheit. Die Truppe wurde 1920 in
Jüterbog, Brandenburg aufgelöst. Nach Deutschland abgeschoben, wurde jeder
Korpsteilnehmer in Lettland zum Hochverräter erklärt. Domelas Weg zurück in die
Heimat wurde unmöglich, er war nun staatenlos, zudem kam seine Mutter bei den
Kampfhandlungen ums Leben. Die deutschen Behörden verweigerten ihm einen Pass,
den er aber brauchte, um Arbeit zu bekommen. Er nahm in den Goldenen Zwanzigern
Arbeiten an, bei denen nicht nach einem Pass gefragt wurde. Er war
Ziegeleiarbeiter, Hausbursche, Bettler, Vertreter, Schnellzeichner und
Gärtner.[1]
1920 wurde er im Zusammenhang mit dem Kapp-Putsch in eine
Kaserne in Neuruppin einberufen. Er schloss sich dort der Reichswehr zur
Niederschlagung von Arbeiterunruhen im Ruhrgebiet an, da er befürchtete in
einem Freikorps im Baltikum eingesetzt zu werden. Nach mehreren Nacht-Einsätzen
gegen Ende der Aufstände wurde seine Einheit nach Berlin zurückbeordert. Dort wurde
er als zu jung befunden und aus dem Militär entlassen. Nun obdachlos schlug er
sich mit Gelegenheitsjobs durch. Als Zigarettenverkäufer legte er sich hin und
wieder einen Adelstitel zu, um seine Geschäfte anzukurbeln. Es folgten mehrere
Arrest- und Gefängniskurzaufenthalte.
Werbeinserat (um 1920) für das Luxushotel Haus Kossenhaschen
in Erfurt.
Domela legte sich später den Namen „von Liven“ zu. Der in
Darmstadt wegen einer Beschäftigung angesprochene Hofmarschall Kuno Graf von
Hardenberg bot dem vermeintlichen Standesgenossen Unterstützung an. Im Herbst
1926 stellte er sich in Heidelberg im Verbindungslokal des Corps der
„Saxo-Borussen“ als „Prinz Liven, Leutnant im 4. Reiterregiment Potsdam“ vor
und wurde begeistert empfangen. Wenige Wochen später logierte er in Erfurt als
„Baron Korff“ im Hotel Erfurter Hof. Der Hoteldirektor hielt ihn für den
Hohenzollern-Prinzen Wilhelm, den ältesten Sohn des ehemaligen deutschen
Kronprinzen.
Domela stieg in der Gesellschaft Thüringens binnen weniger
Tage in schwindelnde Höhen auf. Auf Einladung des Erfurter Hoteliers Georg
Kossenhaschen logierte er in dessen Luxushotels in Erfurt und Gotha und
übernachtete auf dessen privatem Wohnsitz, der Burg Creuzburg nordwestlich
Eisenach.[2] Domela besuchte als „Königliche Hoheit“ u. a. den Gothaer
Oberbürgermeister, nahm an Jagden, Opernaufführungen und privaten
Gesellschaften teil.
Als ein vermeintlicher Hohenzollern-Prinz hielt Domela in
Heidelberg, Erfurt, Gotha und Weimar die bürgerliche Gesellschaft zum besten -
gutes Aussehen, gewandte Sprache, perfektes Benehmen, vornehmes und
weltmännisches Auftreten halfen ihm dabei. Aber schon der schwere Rucksack und
der staubige, abgetragene Reiseanzug bei seiner Ankunft passten nicht dazu. Als
er mitbekam, dass er kriminalpolizeilich gesucht wurde, setzte er sich mit der
Eisenbahn Richtung Rheinland ab, um in die französische Fremdenlegion
einzutreten. Er wurde jedoch im Januar 1927 in Köln festgenommen, als er den
Zug Richtung Frankreich besteigen wollte. Noch im gleichen Monat wurde ihm
unter größtem öffentlichem Interesse der Prozess gemacht.
Während seiner siebenmonatigen Haft schrieb er die Vorlage
für das Buch Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer des Harry Domela. Wieland
Herzfelde brachte das Buch, textlich überarbeitet, in seinem Malik-Verlag
heraus. Sechs Auflagen mit insgesamt 122.000 Exemplaren verkauften sich
innerhalb eines Jahres, Harry Domela verdiente seinerzeit 250.000 Mark damit.
Diese hielten nicht lange vor.
Er war einer der ersten deutschen Medienstars, wenn nicht
gar der erste.[3] Die literarische Prominenz, darunter Thomas Mann, Kurt
Tucholsky und Carl von Ossietzky, feierten ihn, er trat in Theatern und Revues
auf, Zeitschriften brachten Artikel über ihn. Diese Hochstapler-Geschichte
wurde 1959 von Wolfgang Luderer im Auftrag der DEFA, sechs Jahre später von
Wolfgang Schleif im Auftrag des ZDF verfilmt.
Im Sommer 1929 eröffnete er in der Rostocker Straße im
Norden Berlins ein kleines Kino. Es lief der eigene Stumm-Film: Der falsche
Prinz. 6 Akte mit Harry Domela. Das Kino machte nach drei Monaten Pleite,
Domela verlor all sein Geld, versuchte sich als Journalist und plante auch ein
weiteres Buch (Hinter den Kulissen der Sensation). Er wurde mehrfach verhaftet,
meist unter obskuren Anschuldigungen, im Januar 1931 wegen „Verdacht auf
Landesverrat“. Bei den Nationalsozialisten hatte er sich mit verschiedenen
Veranstaltungen der Roten Hilfe unbeliebt gemacht. Er sympathisierte mit der
KPD. Nach Hitlers Machtergreifung und mit Geldnöten, in die er sich verstrickt hatte,
emigrierte Domela 1932 über Wien, wo er sich einen falschen Pass beschaffte,
und Paris in die Niederlande. Er nannte sich jetzt Victor Zsajka: geboren 12.
August 1908 in Wien und dort wohnhaft, Matteottiplatz
Im Sommer 1936 war er mit seinem neuen Freund Jef Last in
Paris. Der war Sozialist und Homosexueller wie er, Schriftsteller und gut
bekannt mit dem angeblichen Reichstagsbrandstifter Marinus van der Lubbe. Als
der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, waren Domela und Last unter den ersten
Ausländern, die der Spanischen Republik zu Hilfe eilten. Auf Vermittlung seines
Freundes Jef bei André Malraux gelangten beide in eine republikanische Einheit.
Trotz der Bitten von Ludwig Renn - den Domela von Berlin her kannte, lehnte er
es ab, in einer der kommunistisch geführten Internationalen Brigaden zu
kämpfen. Domela diente in den ersten Kriegstagen Ludwig Renn als Adjutant. Er
traf Franz Dahlem als Leiter der Politischen Kommission der Internationalen
Brigaden. Am 20. September 1936 waren sie in Madrid und dienten in der
regulären spanischen Volksarmee im 5. Regiment Enrique Lísters. Als die
Volksarmee im Januar 1939 zusammenbrach, floh auch Domela Richtung Frankreich.
Als ab dem 5. Februar 1939 auch spanische Soldaten die Grenze passieren
durften, wurde Harry Domela als Offizier eines Divisionsstabes im Lager Gurs,
später in Saint-Cyprien unter menschenunwürdigen Bedingungen interniert. In den
Lagern bekam er als Trotzkist Anfeindungen deutscher Kommunisten zu spüren. Der
Schriftsteller André Gide setzte sich auf Bitten von Jef Last mehrfach für
Domela ein und er kam im Mai frei.
Mit einer entsprechenden Aufenthaltsgenehmigung reiste er
nach Luxemburg. Seine Bemühungen, nach Mexiko oder Schweden auszureisen,
fruchteten nicht. Es drohte ihm weiterhin Verhaftung, da er seit 1932 mit
falschen Papieren lebte.
Gide vermittelte ihn an Aline Mayrisch-de Saint-Hubert, die
Witwe des luxemburgischen Stahlindustriellen Emil Mayrisch. Domela gab sich
immer noch als Victor Zsajska aus. Die luxemburgische Fremdenpolizei überprüfte
im Juli 1939 seine Identität. Domela setzte sich sicherheitshalber nach Belgien
ab, wurde verhaftet, konnte jedoch dem deutschen Einmarsch entkommen und
tauchte unter. Im Frühling des Jahres 1941 traf er in der Christi Bar in Nizza,
in der unbesetzten Zone Frankreichs, André Gide und Roger Martin du Gard und
empfahl ihnen, nicht nach Paris zu gehen, woher er gerade kam. Domela wurde im
Sommer verhaftet und im Lager Vernet eineinhalb Jahre eingesperrt. Er entkam
der Auslieferung an die deutschen Behörden dank Gide, der ihm ein Visum und ein
Schiffsticket nach Mexiko besorgte. Dort kam er jedoch nie an und blieb für
viele für immer verschollen, denn in Jamaika musste er das Schiff verlassen und
wurde neuerlich für zweieinhalb Jahre interniert. Er konnte danach nach Kuba
weiterreisen. Über den Inselstaat gelangte er schließlich nach Venezuela, wo er
- erneut Staatenloser mit gefälschten Papieren - als Zeichenlehrer arbeitete
und auch starb.
Im September 1965 erhielt sein Exfreund Jef Last aus
Maracaibo einen Brief von Domela: Er sei auf abenteuerlichen Wegen nach
Venezuela gelangt und habe sich eine einfache Existenz als Gymnasiallehrer
aufgebaut. Last sollte jedoch nichts über ihn verlauten lassen, da er immer noch
mit falscher Identität lebe und auch keine Möglichkeit sehe, je wieder einen
regulären Pass zu erhalten. Ein Brief an den niederländischen
Widerstandskämpfer und Journalisten Tom Rot[5], datiert vom März 1978, war
Domelas letztes bekanntes Lebenszeichen.
In der DDR wurde Domela als persona non grata gehandelt.
Obwohl Spanienkämpfer - beim Fünften Regiment - wurde er dort verleugnet: Er
galt als Außenseiter und politisch unzuverlässig, vor allem wegen seiner Kritik
an den Internationalen Brigaden, der KPD und ihrer zukünftigen Rolle.
„Nennen Sie mich einfach Prinz“: das Lebensabenteuer des
Harry Domela, erschien 2010 als Band 65 in der Reihe Weimarer Schriften,
herausgegeben vom Stadtmuseum Weimar. Diese Veröffentlichung, die ein Stück
Stadt-Geschichte im neuen Licht erscheinen lassen möchten, könnte der Beginn
einer neuen Domela-Rezeption sein.
Der Literaturwissenschaftler und Buchwissenschaftler Jens
Kirsten sagt über ihn: „Domela war sicher weder ein Duckmäuser, noch durch
übermäßige Bescheidenheit geschlagen. Seine Rolle als Hochstapler ist leicht
überbewertet. Das war eine Rolle. Eine Eskapade, die er sich erlaubte, als er
gemerkt hatte, wie sehr diese ganze Weimarer Republik noch der Kaiserzeit
verhaftet geblieben war, wie sehr das gesamte Gesellschaftssystem auf
Servilität, Status, Schein und Lug gründete
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