Homer - 8.-7.Jhd. BC
Author D. Selzer-McKenzie
YoutubeVideo: https://youtu.be/cE_ScSax1UI
Homer (altgriechisch Ὅμηρος, Betonung im Deutschen: Homēr)
gilt als Autor der Ilias und der Odyssee und damit als frühester Dichter des
Abendlandes. Weder sein Geburtsort noch das Datum seiner Geburt oder das seines
Todes sind zweifelsfrei bekannt. Es ist nicht einmal sicher, dass es Homer
überhaupt gab. Kontrovers diskutiert wird die Frage, in welcher Epoche er
gelebt haben soll. Herodot schätzte, dass Homer 400 Jahre vor ihm gelebt haben
müsse; dies entspräche in etwa der Zeit um 850 v. Chr. Andere historische
Quellen legen das Wirken Homers in die Zeit des Trojanischen Krieges,[1] der
traditionell etwa um 1200 v. Chr. datiert wird. Heutzutage stimmt die Forschung
weitestgehend darin überein, dass Homer, wenn es ihn gab, etwa in der zweiten
Hälfte des 8. Jahrhunderts und/oder in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts v.
Chr. gelebt hat.
In der Antike wurden ihm weitere Werke wie die Homerischen
Hymnen zugeschrieben, während andererseits immer wieder bezweifelt wird, ob
Ilias und Odyssee überhaupt von einer einzigen historischen Person namens Homer
verfasst worden sind.
Unbestritten ist die unermessliche, bis heute andauernde
Wirkung Homers, der schon in der Antike als der Dichter schlechthin galt.
Der Name „Homer“ (altgriechisch Ὅμηρος Hómēros; heute
neugriechisch Όμηρος Ómiros) bedeutet ursprünglich „Gatte“ oder „Geisel“.
Allerdings wurde der Name des Dichters aufgrund dessen angeblicher Blindheit in
der Antike fälschlicherweise auch von ὁ μὴ ὁρῶν, ho mē horōn, „der nicht
Sehende“, abgeleitet.
Leben
Hellenistische Büste des Homer, Louvre, Paris
Schon in der Antike wurde über Homers Person und Herkunft
diskutiert: Smyrna, Athen, Ithaka, Pylos, Kolophon, Argos und Chios
beanspruchten, als sein Geburtsort zu gelten. Eine der Legenden sagt, er sei am
Fluss Meles als uneheliches Kind geboren worden und sein ursprünglicher Name
habe Melesigenes („Der vom Meles Herstammende“) gelautet. Er starb vermutlich
auf der Insel Ios, von wo nach einer anderen Überlieferung seine Mutter Clymene
stammen soll.
Während über Homers Vater Unklarheit herrscht, sind sich
mehrere Quellen einig, dass seine Mutter Kreitheïs hieß. In der Antike wurde er
oft als blinder Greis dargestellt. Trotz dieser schon damals regen
Hypothesenbildungen über seine Herkunft, sein Aussehen und seine Lebensdaten
ist bis heute nicht einmal ganz geklärt, ob eine historische Person „Homer“
überhaupt existiert hat.
Die Darstellung Homers als eines blinden und armen
Wandersängers geht unter anderem auf den Dichter des unter Homers Namen
verfassten Apollon-Hymnus zurück, der aber höchstwahrscheinlich nicht von ihm
stammt. Gegen diese Darstellung sprechen die für sein Werk erforderlichen
genauen Kenntnisse der oberen aristokratischen Schichten, die ein armer Wandersänger
nicht hätte besitzen können. Aber da die Epen – als ursprünglich mündlicher
Vortrag – in erster Linie vor aristokratischem Publikum Gehör fanden, wobei die
Sänger (oder auch Aoiden) zum Teil längere Zeit in dem Oikos der Adeligen
wohnten und zu deren Unterhaltung beitrugen, ist es denkbar, dass auch Homer
mit der Lebensart seiner Gastgeber vertraut war und zu dieser
Bevölkerungsgruppe bzw. diesem Stand gehörte. Einige Forscher vermuten hier
autobiographische Elemente, die Homer in die Epen einfließen ließ.
Werke
Die Epen
Anfang der Ilias
Anfang der Odyssee
Berühmt geworden ist Homer als Dichter zweier der frühesten
Epen der Weltliteratur, der Ilias und der Odyssee. Ilias und Odyssee sind die
ersten großen Schriftzeugnisse der griechischen Geschichte: Mit ihnen beginnt
nach klassischer Ansicht die europäische Kultur- und Geistesgeschichte. Seine
Autorschaft ist allerdings umstritten.
Sprachliches
Durch die sprachliche Analyse der Epen, die beide im
ionischen Dialekt des Altgriechischen geschrieben sind, scheint ihre Herkunft
aus dem griechischen Kleinasien gesichert. Die Grundsprache ist das Ionische
der früharchaischen Zeit, durchsetzt mit Elementen des äolischen Dialektes und
mit offenbar aus älterer Tradition stammenden Überlieferungen. Aufgrund des
ursprünglich mündlichen Vortrags aus dem Gedächtnis mit Improvisationen tauchen
viele Redewendungen als „Lückenfüller“ wiederholt auf.
Bis in die hellenistische Zeit existierten verschiedene
Textredaktionen, wobei die ersten Versuche einer Kanonisierung bis in die Zeit
des athenischen Tyrannen Peisistratos zurückreichen. Die heutige Fassung wurde
von Aristarchos von Samothrake († 144 v. Chr.) redigiert, einschließlich der
noch heute verwendeten Einteilung der „Gesänge“.
Datierung der Epen
Während heute die meisten Wissenschaftler von einer
Entstehungszeit im 8. Jahrhundert v. Chr. ausgehen, nehmen andere, wie vor
allem Martin Litchfield West (seit 1966) und Walter Burkert einen späteren
Zeitpunkt im 7. Jahrhundert v. Chr. dafür an.[2] Um die homerischen Epen
zeitlich einzuordnen, bedient man sich verschiedener Ansätze.[3]
Die Komplexität der homerischen Epen setzt wahrscheinlich
voraus, dass sie schriftlich festgehalten wurden. Da die Einführung der
Alphabetschrift in Griechenland meist um 800 v. Chr. datiert wird, werden die
homerischen Epen nicht davor verfasst worden sein. Die frühesten Darstellungen
von Ilias-Szenen finden sich sogar erst ab etwa 625 v. Chr. auf geometrischen
Vasen. Zudem wird in der Ilias das „hunderttorige Theben“ in Ägypten
erwähnt,[4] was sich nur auf die Blüte der Stadt unter nubischer Herrschaft
während der 25. Dynastie (715–663 v. Chr.) beziehen kann, weil die Stadt von
den Assyrern zerstört wurde, als sie die Nubier aus Ägypten vertrieben.
Einerseits galt Homer in der Antike als Zeitgenosse Hesiods, der heute ins 7.
Jahrhundert v. Chr. datiert wird, andererseits scheint der „Nestorbecher“ von
Ischia (ca. 740/20 v. Chr.)[5] auf die Ilias anzuspielen und das historische
Umfeld deutet ins 8. Jahrhundert v. Chr., denn ab dem 7. Jahrhundert v. Chr.
hat wohl die dargestellte unangefochtene Adelskultur nicht mehr bestanden.
Auch wenn die Datierung Hesiods nicht sicher ist und die
antike Überlieferung auch anachronistisch sein kann, so sprechen die Indizien
doch dafür, dass die homerischen Epen in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts
oder in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. entstanden sind.
Urheberschaft: die „Homerische Frage“
Die literaturwissenschaftliche Frage nach der Urheberschaft
Homers wird die Homerische Frage genannt. Hauptsächlich geht es dabei um die
Frage, ob Homer tatsächlich Verfasser nur der Ilias oder überhaupt der beiden
Epen gewesen sei oder ob unter dem Namen „Homer“ verschiedene Dichter
zusammengefasst worden seien, die ältere, mündlich überlieferte Sagen
verschriftlicht kompiliert hätten.
Ein weiterer Aspekt der „Homerischen Frage“ ist die
Datierung der beiden Epen: Hätte die deutlich jüngere Odyssee überhaupt noch
während der Lebenszeit des Ilias-Autors geschrieben sein können? Teils wird
hier jedoch davon ausgegangen, die Ilias sei ein Jugend- und die Odyssee ein
Alterswerk Homers.
Literaturwissenschaftliche stilistische Analysen neigen
heute aufgrund der hohen kompositorischen Kunst und durchgehenden sprachlichen
Qualität beider Epen wiederum dazu, wie die antiken Autoren auf einen
gemeinsamen Verfasser („Homer“) als wahrscheinlich zu folgern.
Homerische Hymnen
Die größtenteils legendären antiken Viten Homers berichten
außerdem von weiteren ihm zugeschriebenen Werken. Dabei handelte es sich wohl
durchweg um Pseudepigraphen, von denen außer Fragmenten nur die vermutlich
nichthomerische Travestie vom Krieg zwischen den Fröschen und Mäusen komplett
erhalten ist.
Umstritten ist die Urheberschaft der ebenfalls Homer
zugeschriebenen 33 Gedichte, der sogenannten Homerischen Hymnen – Preislieder
auf griechische Götter. Sie stehen den beiden Epen stilistisch nahe. Rhapsoden
pflegten sie als Einleitung zu ihren Rezitationen vorzutragen. Berühmt sind der
Hymnos an Apollon und der Hymnos an Aphrodite.
Wirkungsgeschichte
Die Verse Ilias II 757-775 in Oxford, Bodleian Library,
Papyrus Hawara 24-28 (2. Jahrhundert)
Antike
Bereits im antiken Griechenland dienten seine Epen den
politisch stark zersplitterten griechischen Stämmen und Poleis zur Gewinnung
eines gemeingriechischen Selbstverständnisses (siehe Nationaldichter).
Die Hochschätzung Homers wurde von den Römern übernommen.
Die Odusia, die Übertragung der Odyssee ins Altlateinische durch Livius
Andronicus, eines der ersten Zeugnisse einer lateinischen Literatursprache
überhaupt, war bereits zu republikanischen Zeiten als Schullektüre im Adel
verbreitet. Vergils Epos Aeneis ist auch als Versuch zu werten, den Römern eine
Herkunftssage zu geben, wie sie die Griechen an Homers Epen gehabt hatten.
Die Ilias in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts mit
Miniaturen von Francesco Rosselli. Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana,
Plut. 32.4, fol. 43r
Mittelalter
Durch die – außer im frühchristlichen Irland – sehr
zurückgegangene Kenntnis des Griechischen bei den westlichen Gelehrten ging
auch die Homerkenntnis sehr zurück, als Epiker waren Vergil und Lucan viel
geläufiger. Auch die als Zwischenglied sonst sehr bedeutsame arabische
Rezeption griechischer Quellen berücksichtigte eher medizinische,
naturwissenschaftliche, mathematische und philosophische als epische Quellen.
Doch bereits Dante Alighieri nennt Homer den Ersten unter
den göttlichen Dichtern und Vorbild des von ihm verehrten Vergils. Sein eigenes
Hauptwerk, die Divina Commedia, wirkte wiederum auf ganze Zeitalter von
Schreibern, insbesondere auf die Vertreter der Moderne des 20. Jahrhunderts.
Neuzeit
Erst die Flucht der griechischen Gelehrten aus dem 1453 von
den Osmanen erstürmten Konstantinopel brachte die Kenntnis griechischer Quellen
und damit auch Homers in den Westen zurück und beeinflusste stark die
Renaissance.
Der blinde Homer wird geführt. Gemälde von William
Bouguereau, 1874
Ausgehend von den Homerübersetzungen von Johann Heinrich Voß
spielte in Deutschland Homer für den „Volks“- und „Natur“-Begriff der deutschen
literarischen Klassik und Romantik die größte Rolle, weil man in Ilias und
Odyssee einen Beweis dafür sah, dass das Volk eine eigene authentische Stimme
habe (vgl. Volkslied), dass aus ihm die Natur selbst spreche. In diesen
Zusammenhang gehörte auch das Aufwerfen der „Homerischen Frage“, denn entschied
man sich gegen die Autorschaft Homers, so waren die Epen anonym entstanden, wie
etwa das Nibelungenlied, und somit wurde dann „das Volk“ als Autor
reklamierbar. Dagegen wandte sich bereits Friedrich Schiller: Und die Sonne
Homers, siehe, sie lächelt auch uns. („Elegie“)
Dieser an Homer entzündeten Griechenliebe (vgl. Johann
Wolfgang Goethe: „[...] das Land der Griechen mit der Seele suchend“, in:
Iphigenie auf Tauris) in der antifürstlichen und antiklerikalen Intelligenz
seit dem Hainbund ist es zu danken, dass durch Wilhelm von Humboldt die
griechische Sprache (neben dem Lateinischen) ein Kernstoff der Bildung des
Humanistischen Gymnasiums wurde. Ein auch seinen Besuch in der Troas im Jahr
1819 mitverarbeitendes Epos über Homer legte 1858 Leopold Schefer in Hexametern
vor, Homers Apotheose.
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