Sonntag, 28. März 2010

Mongolei Mongolia Travel Reise SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Mongolei Mongolia Reise
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=4O64VEh451A
der Author Selzer-McKenzie war kürzlich in der Mongolei und hier seine Reiseeindrücke:

Und nun lass mich Dir ein Lied erzählen — doch, so heißt das bei uns: Wir erzählen Lieder. Es ist ein altes, ein sehr altes Lied. Mein Vater hat es mich ge¬lehrt und ihn wiederum sein Vater. Es handelt vom Wind, der über die Steppen streift, vom sternenzer¬stoßenen Himmel und jenem Moment, in dem die Sonne über die Hügel lugt nach einer Nacht kalt wie Eis. Von der Schönheit der Frauen und von der Wildheit der Pferde, von Klöstern, Schluchten, flir¬renden Horizonten. Und von den Mongolen, stolzen Menschen mit Gesichtern wie Geschichtsbücher.
In einer Jurte in einem Land jenseits der Morgenröte stimmt ein Mann seine Pferdekopfgeige. Aus dem Birkenholz der Taiga ist das Instniment, aus dem Schweif eines Schimmels die Bespannung des Bogens. Eine Pferdekopfgeige klingt wie eine Mi¬schung aus Cello und Kirchenorgel. Ihre Töne sind warme, alles durchflutende Wellen, die Herz und Seele wärmen wie ein Schluck Wodka an einem frostigen Februartag. Und sie zaubert Bilder im Kopf, die Geige! Schon wenige Takte genügen, um Steppen und Wüsten und den ehernen blauen Himmel entstehen zu lassen, und die Sonnen¬untergänge und die Herden und überhaupt das
ganze weite Land. Wenn die Pferdekopfgeige er¬klingt, sagen die Mongolen, ist einem, als seufze der Wind. Hinter den Hügeln, in der Steppe.
Basandorp ist Musiker. Jeden Abend schlägt er sein
Instrument mit dem geschnitzten Rosskopf an der
Spitze in ein Filztuch und steigt aufs Pferd, um die
Hotelcamps rund um Kharkhorin abzuklappern.
Die Stadt schmiegt sich in ein Bett aus sanft gewell
ten Hügeln in Sattgrün, die schroffen Wände des
Khangai-Gebirges halten den Nordwind in Schach,
im Westen bildet der Orkhon-Fluss ein surreales
Patchwork aus Wiesen und silbrig glitzernden Was
serflächen, in dem Yakherden weiden. Dschingis
Khans Erben hatten sich diesen Platz für ihre
Hauptstadt Karakorum ausgesucht, aber Kriege,
Wetter und acht Jahr
hunderte ha

ben kaum mehr von ihr übrig gelassen als drei große Granit-Schildkröten, die mit versteinerten Mienen traurig in die Welt hinausschauen. Den¬noch besuchen an Hochsaisontagen mehrere Hun¬dert Besucher die buddhistischen Tempel, um sich dann in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen. Man trifft nicht viele Reisende in diesem Land: Die Mongolei ist ein Ziel mit Echtheitszertifikat. Und ei-ne Reise durch die Steppen und Wüsten ist ein kleines Abenteuer. Allein diese Dimensionen! An¬derthalb Millionen Quadratkilometer, so groß wie Deutschland, Spanien und Frankreich zusammen, aber weniger als drei Millionen Menschen, von de¬nen wiederum ein Drittel in der Hauptstadt lebt. Wenn ein Attribut auf dieses Land zutrifft, dann ist das „leer". Bis auf eine Handvoll asphaltierter Stra¬ßen gibt es ausschließlich Pisten. Hinweisschilder sind rare Ausnahmen und brachiale Wetterstürze die Regel. Und von A nach B dauert es Ewigkeiten. Man braucht Sitzfleisch auf einer Reise durch die Mongolei. Sitzfleisch und ein gerüttelt' Maß bud¬dhistischer Geduld.
Mongolisch sollte man natürlich lernen, ein paar
Worte. Die Sprache der Steppe hört sich an, als hät
ten sich die Laute auf ihrem Weg zu den Lippen ent
schlossen, irgendwo im Rachenraum ein kleines
Päuschen einzulegen, bevor ihnen plötzlich
bewusst wird, dass sie ganz schnell
weiter müssen. In der Eile über
schlagen sie sich dann mehr
mals, zischen und krächzen
nach draußen. Richtig betonen wird man das nie, trotzdem wirken ein paar Brocken Wunder. Reise-führer empfehlen da natürlich ausgemachten Blöd-sinn — kein Tourist wird sich je in der Landesprache erkundigen, ob die Ziegen auch gut Fleisch ange¬setzt haben und wann die Familie beabsichtigt, die Jurte abzuschlagen. Viel essenzieller sind Sätze wie „Nein, ich möchte nicht noch mehr Stutenmilch-Wodka — wir haben noch 300 Kilometer vor uns!" oder „Könnten Sie vielleicht eines Ihrer drei Kinder für einen Moment von meinem Schoß holen?" Und am allerwichtigsten aber ist „Nokhoi Khorio!". Das bedeutet soviel wie „Halten Sie bitte Ihren Hund fest!".
Dazu muss man wissen, dass der Hund in den Steppen und Wüsten zur Jurte gehört wie die Solaranlage und die Satellitenschüssel: Es gibt kaum ein Zuhause ohne diese Drei. Wenn sich die Menschen bei Einbruch der Dunkelheit hinter den
geschwungenen Sanddünen bestehen würde. Die Hongor-Düne jedenfalls liegt da wie etwas, das nicht wirklich hierhin gehört: 180 Kilometer an- und nebeneinander geschichtete Sandberge, die der Wind ständig modelliert und neu in Form bringt. Beim Besteigen des ersten Kamms ist man sehr vor¬sichtig, weil man nichts kaputt machen möchte, die eigenen Fußstapfen sehen aus wie Wunden in einer perfekten Schöpfung. Von oben schaut man in die Wellentäler aus Sand und sinniert über Gott und die Welt und die Frage, wie so ein Dünengebirge wohl entstehen mag. Ist all dieser Sand vom Wind hier angeweht worden? Und warum bleibt er ausgerech¬net hier liegen? Wo kommt er her? Und wird er in ein paar Jahren noch da sein?
Es gibt keine Hotels in der mongolischen Steppe, keine Rast- und Gasthäuser, keine Autowerkstätten und auch keine „Tourist Information"-Büros: All das erfüllt jede normale Jurte. Und weil Gast-
rundes Loch für Frischluft, durch das man nachts den Sternenhimmel sehen kann. Manchmal scheint der Mond durch die Luke, eine Säule aus sanftem Licht.
Morgens eine Tasse Tee
Man wird ruhig auf einer Reise durch die Mongo¬lei, ruhig und — ja, doch: gelassen. Die Leere der Landschaft macht das mit einem, die Herzlichkeit der Menschen und vielleicht auch der Wind, der trü¬be Gedanken aus dem Kopf treibt, lange bevor sie sich festsetzen können. Wie von selbst gewöhnt man sich kleine Eigenarten an, die morgendliche Tasse Tee auf einem Holzschemel draußen vor der Jurte, das Tätscheln der Pferdenüstern, den Plausch mit dem Koch. Abends spaziert man in die sanften Hügel hinein, in irgendeine Richtung, auf einen Horizont zu, an dessen leichter Krümmung man das Ende der



Begegnung mit einem drolligen Steppenbewohner.
wärmenden Filzwänden ihrer Rundzelte vor dem Familienfernseher versammeln, beschützen die Hunde draußen die Familienherde. Kaschmirziegen sind wunderschöne Tiere, die mit sanften Augen in die Welt schauen und immer aussehen, als seien sie frisch gewaschen. Herden bestehen aus einigen Hundert Tieren, die Autopisten mit meditativer Gelassenheit überqueren; wenn man aussteigt, hört sich das Tippeln der Abertausend Hufe an wie sanft fallender Regen. Anscheinend sind die Ziegen sehr genügsam, jedenfalls trifft man sie überall in der Mongolei, auch tief im Süden, wo die Gobi steinig wird und an manchen Stellen ausprobiert, wie es als Wüste so wäre, wenn man ausschließlich aus fein
Im Hotelcamp nahe Kharkhorin wird es Nacht.
freundschaft und Mitteilungsbedürfnis stabil veran-kert sind in der mongolischen Seele und jeder Fahrer zudem einen großen Verwandten- und Bekanntenkreis hat, hält man ständig an irgendwel¬chen Jurten an und stolpert in irgendein Fami¬lienleben hinein, als sei es selbstverständlich — was es wohl auch ist. Das Innere mongolischer Jurten soll übrigens immer einem bestimmten Auftei-lungsprinzip folgen, aber das ist für den Laien nicht zu erkennen. Stattdessen wundert man sich über das Miteinander von Satellitenfernsehen und Dung¬feuer, über Kekse aus Ziegenquark und darüber, dass man Handys offenbar tatsächlich an Autobatterien aufladen kann. Oben in der Decke haben sie ein
Mongolen bei einem Familientreffen hoch zu Pferd.
Erdkugel zu sehen glaubt. Die Sonne ist noch warm, bei jedem Schritt stieben Grashüpfer mit knacksen-dem Geräusch vor einem auf. Man geht über eine Hügelkuppe und über noch eine, und hinter jeder sieht man noch ein bisschen weiter und ahnt, dass es hinter dieser noch immer weiter geht. Weit drau¬ßen in der Steppe Gewitter. Der Donner klingt, als galoppierte eine Herde Pferde in der Ferne. In einer Jurte stimmt ein Musiker sein Instrument. Dann setzt man sich ins Gras, schließt die Augen und lauscht, was einem das Land erzählen möchte. Wenn die Pferdekopfgeige erklingt, sagen die Mon¬golen, dann ist einem, als seufze der Wind. Hinter den Hügeln, in der Steppe

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