Donnerstag, 3. März 2016

Der Oilpreis und die Finanzmärkte


Der Oilpreis und die Finanzmärkte

Author D.Selzer-McKenzie

 

Video: https://youtu.be/OkCOlF53sCQ

Seit zwei Monaten bewegen sich die Öl- und Finanzmärkte im Gleichlauf: Fallende Ölpreise wirken sich anders als in der Vergangenheit nicht positiv auf die Aktienmärkte aus, sondern eher belastend. Wir sehen drei Erklärungen für dieses Phäno¬men. Erstens führt der Markt die Ölpreisschwäche auf die Nach¬frageschwäche zurück. Zweitens sieht der Markt im fallenden Ölpreis selbst systemische Risiken. Drittens wirkt der fallende Ölpreis auf langfristige Inflationserwartungen der Marktteilneh¬mer und schürt die Deflationsängste. Wir sind überzeugt, dass die aktuellen Ängste übertrieben sind und die positiven Aspekte eines gefallenen Ölpreises für die meisten entwickelten Volks¬wirtschaften überwiegen.

»Nach Öle giert, am Öle hängt doch alles!«, könnte man frei nach dem berühmten Vers aus Goethes »Faust« sagen, wenn man das aktuelle Geschehen an den Finanzmärkten betrachtet. Doch während in der Vergangenheit häufig hohe Ölpreise als Belas¬tung für die Konjunktur und Vorboten einer Wirtschaftskrise angesehen wurden, hat sich das Blatt zuletzt gewendet. Mittler¬weile wähnt man sich wie in einer verkehrten Welt: Der Ölpreis¬verfall wird nun häufig als Grund für die fallenden Aktienmärkte (Grafik 1) und die sinkenden Renditen angeführt. Wir analysieren

diesen neuen Zusammenhang und kommen zum Schluss, dass dieser zwar teilweise nachvollziehbar ist, der allgemeine Pessi-mismus der Finanzanleger jedoch massiv überzogen ist.

Auf der Suche nach möglichen Gründen für den offensichtlichen Zusammenhang zwischen den Aktien- und Ölmärkten fallen uns vor allem drei Erklärungen ein. Erstens wird der Ölpreis ebenso wie der Aktienmarkt häufig als vorlaufender Konjunkturindikator angesehen. Zweitens wird der fallende Ölpreis selbst teilweise als Belastungsfaktor für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte empfunden. Drittens schürt der Ölpreisverfall offensichtlich Deflationsängste, die auch an der Börse zu starkem Abgabe¬druck führen, weil die Deflation als eines der größten Risiken für die Aktienmärkte angesehen wird.

Ölpreis als vorlaufender Konjunkturindikator

Der Ölpreis gilt als Konjunkturbarometer, weil er in den meisten Fällen durch die Nachfrage bestimmt wird. Die Ölnachfrage ist zyklisch und wenig preiselastisch, das heißt, sie reagiert zumin¬dest kurz- bis mittelfristig kaum auf eine Ölpreisveränderung. Schließlich kann man sein Fahrverhalten und seine Präferenzen bei der Auswahl der Fortbewegungsmittel kurzfristig kaum an einen steigenden oder fallenden Ölpreis anpassen. Wenn sich also die Nachfrage abkühlt oder beschleunigt, wirkt sich das bei einer gleichbleibenden Ölproduktion massiv auf den Ölpreis aus. In der Tat konnte man in der Vergangenheit einen bemerkens¬werten Gleichlauf zwischen dem Ölpreis und dem Welt-BIP-Wachstum feststellen (Grafik 2).

Im Gegensatz zur gängigen Meinung ist die Ölnachfrage so stark wie selten zuvor

Allerdings ist die Ölnachfrage aktuell nach allen verfügbaren Informationen alles andere als schwach. Vielmehr ist das Verbrauchswachstum nach dem Preisverfall im Herbst 2014 deutlich stärker als erwartet ausgefallen. Rechnete man noch vor einem Jahr mit einem Anstieg der Ölnachfrage in 2015 um lediglich 900.000 Barrel täglich, ist das Wachstum nach der letzten Meldung der Internationalen Energieagentur lEA mit 1,6 Millionen Barrel täglich fast doppelt so stark ausgefallen (Grafik 3). Zwar zeigt das Beispiel, dass der Ölpreisrückgang die Nachfrage durchaus stimulieren kann. Man sieht aber auch die zuvor diskutierte geringe Elastizität der Nachfrage, denn eine annähernde Halbierung des Ölpreises hat den Nachfrage¬anstieg um nicht einmal 1 Prozentpunkt zusätzlich steigen lassen. Außerdem wird klar, dass der Grund für den Ölpreis-rückgang nicht auf der Nachfrage-, sondern vielmehr auf der Produktionsseite zu suchen ist. Und in der Tat kann man deutlich erkennen, dass der Ölpreisrückgang vor allem auf eine massive freiwillige Angebotsausweitung seitens der OPEC zurückzu¬führen ist.

In der Vergangenheit hat die OPEC den Konsumenten meist nur so viel Öl zur Verfügung gestellt, wie aktuell benötigt wurde. Deshalb sprach man in der Vergangenheit öfters nicht von einer

OPEC-Produktion, sondern

vom Bedarf an OPEC-Öl,

»Während in der Vergangen-  dem sogenannten »call

heit hohe Ölpreise als    an OPEC«. Wir sind über-

Belastung für die Konjunktur  zeugt, dass die arabischen

angesehen wurden, hat sich    Golfstaaten durch eine

das Blatt zuletzt gewendet.«  freiwillige massive Produk-

tionsausweitung vor allem

das Nicht-OPEC-Produk-tionswachstum bremsen möchten. Den aktuellen Preiskampf kann man also nicht mit den Sorgen der OPEC über eine künftige Nachfrageschwäche und daher dem Versuch, die kurzfristigen Öleinnahmen zu erhöhen, erklären. Denn die geringe Preiselas¬tizität der Nachfrage ist der OPEC sehr wohl bewusst und ist gerade der Grundstein für deren Daseinsberechtigung. Das heißt, dass die OPEC die Produktion eher drosseln würde, um kurz- bis mittelfristige Einnahmen zu maximieren. Eine sogar relativ kleine Drosselung der Produktion würde in diesem Fall, wie im Jahr 2009 deutlich zu sehen war, einen massiven Anstieg des Ölprei¬ses und einen Anstieg der Einnahmen der OPEC-Länder zur Folge haben. Schon deshalb ist klar, dass die Absichten führen¬der OPEC-Produzenten vielmehr sehr langfristig orientiert waren.

 

Deshalb sollte man bei dem aktuellen Ölpreisrückgang und den anschwellenden Lagerbeständen von einem Angebots- und nicht von einem Nachfrageschock sprechen. Damit fällt allerdings die besprochene Kausalität, dass der fallende Ölpreis eine künftige Konjunkturschwäche »prophezeit«, weg. Vielmehr dürfte in die¬sem Fall die Wirkung eines fallenden Ölpreises auf die Konjunk¬tur in den Industriestaaten, die fast alle zu den Ölimporteuren zählen, positiv sein. Die Entlastung der Konsumenten und der Industrie dürfte den negativen Effekt im Energiesektor mehr als nur kompensieren.

Niedriger Ölpreis könnte kurzfristig Konjunktur belasten

Doch sollte man diesen negativen Effekt zumindest kurz- bis mittelfristig insge¬samt nicht unterschätzen.

Wie unsere Kollegen vom

Economic Research festgestellt haben, wirken die Ölpreisbewe¬gungen häufig asymmetrisch. Während sich die steigenden Preise direkt negativ auf den Konsum und die Investitionen aus¬wirken, weil man zumindest kurzfristig kaum Ausweichmöglich¬keiten hat, wirken Preisrückgänge häufig längerfristiger und somit nicht ganz so dramatisch auf den Konsum. Außerdem führt ein Rückgang der Nachfrage aus dem Ölsektor zum Rück¬gang der Aufträge aus diesem Sektor, der durchaus spürbar ist. Wie unsere Kollegen darstellen, führte der Rückgang der Inves¬titionen in die Ölförderung in den letzten vier Quartalen in den USA rechnerisch zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums um 0,5 Prozentpunkte.

Auch gehen hunderttausende hoch bezahlte Arbeitsplätze in den energienahen Bereichen verloren. Die Probleme ölprodu¬zierender Länder sind sogar viel größer. Allein im letzten Jahr

 

dürfte Saudi-Arabien einen Rückgang der Reserven um über 100 Milliarden US-Dollar verzeichnet haben. Nicht nur die OPEC-Länder, sondern auch Russland, Kasachstan, Aserbaid-schan oder Brasilien, die zu den größeren Nicht-OPEC-Produ¬zenten gehören, mussten finanzielle Einschnitte vornehmen. Die Schwäche der Währungen dieser Produzentenländer führt auch zu niedrigeren Einfuhren aus den Industriestaaten.

Birgt ein niedriger Ölpreis auch systemische Risiken? Die negativen Folgen des Ölpreisrückgangs beschrän¬ken sich nicht nur auf die reale Wirtschaft, sondern setzen teilweise direkt den Finanzmärkten zu. Der Schieferölsektor konnte in den vergangenen Jahren vor allem dank einer hohen Risikobe-reitschaft internationaler Investoren so schnell wachsen. Schät¬zungsweise 200 Milliarden US-Dollar an hochverzinsten Anleihen haben vor allem die kleineren Ölproduzenten in den vergange¬nen Jahren emittiert. Damit machen sie zwar gerade einmal rund 20 Prozent des gesamten High-Yield-Bond-Markts aus, der im Vergleich zum Gesamtmarkt recht klein ist. Allerdings sind Parallelen zwischen dem »shale oil« und »subprime« durchaus zu erkennen. Auch damals hat ein relativ kleines Segment bei

Immobilienfinanzierungen den ganzen Finanzmarkt und anschlie-ßend die Weltwirtschaft durcheinandergewirbelt. Die Übertra¬gung der Probleme der Schieferölproduzenten auf die anderen Sektoren ist auch diesmal nicht auszuschließen. Die Ratingagen-turen haben bereits einige Banken wegen ihres Engagements im Kreditgeschäft mit den kleineren Ölproduzenten heruntergestuft. Aus unserer Sicht könnte die Angst vor einer möglichen »Anste-ckung« der Bond- und Aktienmärkte durch die High-Yield-Bond-Märkte die zurückhaltende Einstellung der Banken erklären, die ihre bestehenden Kreditlinien auch bei der halbjährlichen Über-prüfung im letzten Oktober weitgehend verlängert hatten. Ob sie sich auch bei der anstehenden März-Prüfung ebenso großzügig zeigen, ist allerdings fraglich.

Trennen sich Staatsfonds ölproduzierender Länder von ihren Aktien?

Auch die Tatsache, dass die Staatsfonds ölexportierender Länder über große Aktienbestände verfügen, wird häufig als Erklärung für die offensichtliche Korrelation zwischen dem Öl- und dem Aktienmarkt angeführt. Interessanterweise haben sich dabei die Ölexporteure häufig auf die Aktien aus dem Transport- oder

 

Autosektor konzentriert. Ein Grund war wahrscheinlich die Annahme, dass dies den Ölproduzenten eine »natürliche Absi-cherung« gegen den fallenden Ölpreis biete, weil der Sektor vom Ölpreisrückgang profitieren würde. Wie man jedoch erkennen kann, ist diese Wette nicht ganz aufgegangen. Aber auch hier dürfte der Zusam¬menhang nicht zwingend langfristig bestehen, weil die Transportbranche tatsäch¬lich durch einen niedrigeren Ölpreis entlastet wird.

Ölpreisverfall und langfristige Inflationserwartungen im Gleichklang

Nicht zuletzt könnte der Zusammenhang zwischen dem Ölpreis und dem Aktienmarkt in der aufkeimenden Deflationsangst liegen. Denn im Gleichlauf mit dem fallenden Ölpreis sind auch die langfristigen Inflationserwartungen stark zurückgegangen (Grafik 4). Auf den ersten Blick scheint dies eher unlogisch, denn ein massiver Preisverfall bei Öl dürfte längerfristig sogar inflationär wirken. Zum einen steigt das verfügbare Einkommen bei Konsumenten, was sich längerfristig in einem höheren Kon-sum und höheren Preisen zeigt. Zum anderen werden bei den niedrigen Preisen Investitionen in die Ölproduktion eingestellt, was längerfristig zu Angebotsverknappungen und höheren Ölpreisen führen könnte. Doch aktuell überwiegt wohl eine gegenteilige Meinung.

Es ist zwar unumstritten, dass eine gesunde Wirtschaft eines ölimportierenden Landes durch einen niedrigeren Ölpreis län¬gerfristig entlastet und gestützt wird. Wenn jedoch wie jetzt das Wirtschaftswachstum bereits sehr mager ist und die Infla¬tionserwartungen schon im Vorfeld des Preisrückgangs stark nachgelassen haben, wirkt sich der starke Preisrückgang auf den Konsumenten eher beängstigend aus. Womöglich hängt aber auch der Rückgang der Renditen langlaufender Anleihen nicht direkt mit dem Ölpreisrückgang, sondern mit dem Anstieg

 

der Risikoaversion bzw. der Unsicherheit zusammen, die laut unserem ARP12-Index aktuell auf den höchsten Stand seit 2011 gestiegen ist (Grafik 5).

Fazit: Zwar gibt es plausible Erklärungen für einen stärkeren posi¬tiven Zusammenhang zwischen dem Ölmarkt und den Aktien, allerdings halten wir die Ängste der Marktteilnehmer vor einem niedrigen Ölpreis für wenig fundamental begründet. Denn länger¬fristig überwiegen in den Industrieländern, die meist von Ölimpor¬ten abhängig sind, positive Effekte. Daher dürfte dieser Zusam¬menhang nicht von Dauer sein. Vielmehr würden wir in der Zukunft einen positiven Zusammenhang nachvollziehen können, wenn der Ölpreis wieder von der Nachfrage, nicht dem Angebot gesteuert wird. Wir rechnen damit, dass vor allem der Rückgang der US-Ölproduktion den Ölpreis bis zum Jahresende wieder auf 50 US-Dollar je Barrel steigen lassen wird. Damit wäre wenigs¬tens dieser »Belastungsfaktor« für die Aktienmärkte beseitigt

 

 


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