Der Oilpreis und die Finanzmärkte
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/OkCOlF53sCQ
Seit zwei Monaten bewegen sich die Öl- und Finanzmärkte im
Gleichlauf: Fallende Ölpreise wirken sich anders als in der Vergangenheit nicht
positiv auf die Aktienmärkte aus, sondern eher belastend. Wir sehen drei
Erklärungen für dieses Phäno¬men. Erstens führt der Markt die Ölpreisschwäche
auf die Nach¬frageschwäche zurück. Zweitens sieht der Markt im fallenden
Ölpreis selbst systemische Risiken. Drittens wirkt der fallende Ölpreis auf
langfristige Inflationserwartungen der Marktteilneh¬mer und schürt die Deflationsängste.
Wir sind überzeugt, dass die aktuellen Ängste übertrieben sind und die
positiven Aspekte eines gefallenen Ölpreises für die meisten entwickelten
Volks¬wirtschaften überwiegen.
»Nach Öle giert, am Öle hängt doch alles!«, könnte man frei
nach dem berühmten Vers aus Goethes »Faust« sagen, wenn man das aktuelle
Geschehen an den Finanzmärkten betrachtet. Doch während in der Vergangenheit
häufig hohe Ölpreise als Belas¬tung für die Konjunktur und Vorboten einer
Wirtschaftskrise angesehen wurden, hat sich das Blatt zuletzt gewendet.
Mittler¬weile wähnt man sich wie in einer verkehrten Welt: Der Ölpreis¬verfall
wird nun häufig als Grund für die fallenden Aktienmärkte (Grafik 1) und die sinkenden
Renditen angeführt. Wir analysieren
diesen neuen Zusammenhang und kommen zum Schluss, dass
dieser zwar teilweise nachvollziehbar ist, der allgemeine Pessi-mismus der
Finanzanleger jedoch massiv überzogen ist.
Auf der Suche nach möglichen Gründen für den
offensichtlichen Zusammenhang zwischen den Aktien- und Ölmärkten fallen uns vor
allem drei Erklärungen ein. Erstens wird der Ölpreis ebenso wie der Aktienmarkt
häufig als vorlaufender Konjunkturindikator angesehen. Zweitens wird der
fallende Ölpreis selbst teilweise als Belastungsfaktor für die Weltwirtschaft
und die Finanzmärkte empfunden. Drittens schürt der Ölpreisverfall
offensichtlich Deflationsängste, die auch an der Börse zu starkem Abgabe¬druck
führen, weil die Deflation als eines der größten Risiken für die Aktienmärkte
angesehen wird.
Ölpreis als vorlaufender Konjunkturindikator
Der Ölpreis gilt als Konjunkturbarometer, weil er in den
meisten Fällen durch die Nachfrage bestimmt wird. Die Ölnachfrage ist zyklisch
und wenig preiselastisch, das heißt, sie reagiert zumin¬dest kurz- bis
mittelfristig kaum auf eine Ölpreisveränderung. Schließlich kann man sein
Fahrverhalten und seine Präferenzen bei der Auswahl der Fortbewegungsmittel
kurzfristig kaum an einen steigenden oder fallenden Ölpreis anpassen. Wenn sich
also die Nachfrage abkühlt oder beschleunigt, wirkt sich das bei einer
gleichbleibenden Ölproduktion massiv auf den Ölpreis aus. In der Tat konnte man
in der Vergangenheit einen bemerkens¬werten Gleichlauf zwischen dem Ölpreis und
dem Welt-BIP-Wachstum feststellen (Grafik 2).
Im Gegensatz zur gängigen Meinung ist die Ölnachfrage so
stark wie selten zuvor
Allerdings ist die Ölnachfrage aktuell nach allen
verfügbaren Informationen alles andere als schwach. Vielmehr ist das
Verbrauchswachstum nach dem Preisverfall im Herbst 2014 deutlich stärker als
erwartet ausgefallen. Rechnete man noch vor einem Jahr mit einem Anstieg der
Ölnachfrage in 2015 um lediglich 900.000 Barrel täglich, ist das Wachstum nach
der letzten Meldung der Internationalen Energieagentur lEA mit 1,6 Millionen
Barrel täglich fast doppelt so stark ausgefallen (Grafik 3). Zwar zeigt das
Beispiel, dass der Ölpreisrückgang die Nachfrage durchaus stimulieren kann. Man
sieht aber auch die zuvor diskutierte geringe Elastizität der Nachfrage, denn
eine annähernde Halbierung des Ölpreises hat den Nachfrage¬anstieg um nicht
einmal 1 Prozentpunkt zusätzlich steigen lassen. Außerdem wird klar, dass der
Grund für den Ölpreis-rückgang nicht auf der Nachfrage-, sondern vielmehr auf
der Produktionsseite zu suchen ist. Und in der Tat kann man deutlich erkennen,
dass der Ölpreisrückgang vor allem auf eine massive freiwillige
Angebotsausweitung seitens der OPEC zurückzu¬führen ist.
In der Vergangenheit hat die OPEC den Konsumenten meist nur
so viel Öl zur Verfügung gestellt, wie aktuell benötigt wurde. Deshalb sprach
man in der Vergangenheit öfters nicht von einer
OPEC-Produktion, sondern
vom Bedarf an OPEC-Öl,
»Während in der Vergangen- dem
sogenannten »call
heit hohe Ölpreise als an
OPEC«. Wir sind über-
Belastung für die Konjunktur zeugt,
dass die arabischen
angesehen wurden, hat sich Golfstaaten
durch eine
das Blatt zuletzt gewendet.« freiwillige
massive Produk-
tionsausweitung vor allem
das Nicht-OPEC-Produk-tionswachstum bremsen möchten. Den
aktuellen Preiskampf kann man also nicht mit den Sorgen der OPEC über eine
künftige Nachfrageschwäche und daher dem Versuch, die kurzfristigen Öleinnahmen
zu erhöhen, erklären. Denn die geringe Preiselas¬tizität der Nachfrage ist der
OPEC sehr wohl bewusst und ist gerade der Grundstein für deren
Daseinsberechtigung. Das heißt, dass die OPEC die Produktion eher drosseln
würde, um kurz- bis mittelfristige Einnahmen zu maximieren. Eine sogar relativ
kleine Drosselung der Produktion würde in diesem Fall, wie im Jahr 2009
deutlich zu sehen war, einen massiven Anstieg des Ölprei¬ses und einen Anstieg
der Einnahmen der OPEC-Länder zur Folge haben. Schon deshalb ist klar, dass die
Absichten führen¬der OPEC-Produzenten vielmehr sehr langfristig orientiert
waren.
Deshalb sollte man bei dem aktuellen Ölpreisrückgang und den
anschwellenden Lagerbeständen von einem Angebots- und nicht von einem
Nachfrageschock sprechen. Damit fällt allerdings die besprochene Kausalität,
dass der fallende Ölpreis eine künftige Konjunkturschwäche »prophezeit«, weg.
Vielmehr dürfte in die¬sem Fall die Wirkung eines fallenden Ölpreises auf die
Konjunk¬tur in den Industriestaaten, die fast alle zu den Ölimporteuren zählen,
positiv sein. Die Entlastung der Konsumenten und der Industrie dürfte den
negativen Effekt im Energiesektor mehr als nur kompensieren.
Niedriger Ölpreis könnte kurzfristig Konjunktur belasten
Doch sollte man diesen negativen Effekt zumindest kurz- bis
mittelfristig insge¬samt nicht unterschätzen.
Wie unsere Kollegen vom
Economic Research festgestellt haben, wirken die
Ölpreisbewe¬gungen häufig asymmetrisch. Während sich die steigenden Preise
direkt negativ auf den Konsum und die Investitionen aus¬wirken, weil man
zumindest kurzfristig kaum Ausweichmöglich¬keiten hat, wirken Preisrückgänge
häufig längerfristiger und somit nicht ganz so dramatisch auf den Konsum. Außerdem
führt ein Rückgang der Nachfrage aus dem Ölsektor zum Rück¬gang der Aufträge
aus diesem Sektor, der durchaus spürbar ist. Wie unsere Kollegen darstellen,
führte der Rückgang der Inves¬titionen in die Ölförderung in den letzten vier
Quartalen in den USA rechnerisch zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums um
0,5 Prozentpunkte.
Auch gehen hunderttausende hoch bezahlte Arbeitsplätze in
den energienahen Bereichen verloren. Die Probleme ölprodu¬zierender Länder sind
sogar viel größer. Allein im letzten Jahr
dürfte Saudi-Arabien einen Rückgang der Reserven um über 100
Milliarden US-Dollar verzeichnet haben. Nicht nur die OPEC-Länder, sondern auch
Russland, Kasachstan, Aserbaid-schan oder Brasilien, die zu den größeren
Nicht-OPEC-Produ¬zenten gehören, mussten finanzielle Einschnitte vornehmen. Die
Schwäche der Währungen dieser Produzentenländer führt auch zu niedrigeren
Einfuhren aus den Industriestaaten.
Birgt ein niedriger Ölpreis auch systemische Risiken? Die
negativen Folgen des Ölpreisrückgangs beschrän¬ken sich nicht nur auf die reale
Wirtschaft, sondern setzen teilweise direkt den Finanzmärkten zu. Der
Schieferölsektor konnte in den vergangenen Jahren vor allem dank einer hohen
Risikobe-reitschaft internationaler Investoren so schnell wachsen. Schät¬zungsweise
200 Milliarden US-Dollar an hochverzinsten Anleihen haben vor allem die
kleineren Ölproduzenten in den vergange¬nen Jahren emittiert. Damit machen sie
zwar gerade einmal rund 20 Prozent des gesamten High-Yield-Bond-Markts aus, der
im Vergleich zum Gesamtmarkt recht klein ist. Allerdings sind Parallelen
zwischen dem »shale oil« und »subprime« durchaus zu erkennen. Auch damals hat
ein relativ kleines Segment bei
Immobilienfinanzierungen den ganzen Finanzmarkt und
anschlie-ßend die Weltwirtschaft durcheinandergewirbelt. Die Übertra¬gung der
Probleme der Schieferölproduzenten auf die anderen Sektoren ist auch diesmal
nicht auszuschließen. Die Ratingagen-turen haben bereits einige Banken wegen
ihres Engagements im Kreditgeschäft mit den kleineren Ölproduzenten
heruntergestuft. Aus unserer Sicht könnte die Angst vor einer möglichen
»Anste-ckung« der Bond- und Aktienmärkte durch die High-Yield-Bond-Märkte die
zurückhaltende Einstellung der Banken erklären, die ihre bestehenden
Kreditlinien auch bei der halbjährlichen Über-prüfung im letzten Oktober
weitgehend verlängert hatten. Ob sie sich auch bei der anstehenden März-Prüfung
ebenso großzügig zeigen, ist allerdings fraglich.
Trennen sich Staatsfonds ölproduzierender Länder von ihren
Aktien?
Auch die Tatsache, dass die Staatsfonds ölexportierender
Länder über große Aktienbestände verfügen, wird häufig als Erklärung für die
offensichtliche Korrelation zwischen dem Öl- und dem Aktienmarkt angeführt.
Interessanterweise haben sich dabei die Ölexporteure häufig auf die Aktien aus
dem Transport- oder
Autosektor konzentriert. Ein Grund war wahrscheinlich die
Annahme, dass dies den Ölproduzenten eine »natürliche Absi-cherung« gegen den
fallenden Ölpreis biete, weil der Sektor vom Ölpreisrückgang profitieren würde.
Wie man jedoch erkennen kann, ist diese Wette nicht ganz aufgegangen. Aber auch
hier dürfte der Zusam¬menhang nicht zwingend langfristig bestehen, weil die
Transportbranche tatsäch¬lich durch einen niedrigeren Ölpreis entlastet wird.
Ölpreisverfall und langfristige Inflationserwartungen im
Gleichklang
Nicht zuletzt könnte der Zusammenhang zwischen dem Ölpreis
und dem Aktienmarkt in der aufkeimenden Deflationsangst liegen. Denn im
Gleichlauf mit dem fallenden Ölpreis sind auch die langfristigen
Inflationserwartungen stark zurückgegangen (Grafik 4). Auf den ersten Blick
scheint dies eher unlogisch, denn ein massiver Preisverfall bei Öl dürfte
längerfristig sogar inflationär wirken. Zum einen steigt das verfügbare
Einkommen bei Konsumenten, was sich längerfristig in einem höheren Kon-sum und
höheren Preisen zeigt. Zum anderen werden bei den niedrigen Preisen
Investitionen in die Ölproduktion eingestellt, was längerfristig zu
Angebotsverknappungen und höheren Ölpreisen führen könnte. Doch aktuell
überwiegt wohl eine gegenteilige Meinung.
Es ist zwar unumstritten, dass eine gesunde Wirtschaft eines
ölimportierenden Landes durch einen niedrigeren Ölpreis län¬gerfristig
entlastet und gestützt wird. Wenn jedoch wie jetzt das Wirtschaftswachstum
bereits sehr mager ist und die Infla¬tionserwartungen schon im Vorfeld des
Preisrückgangs stark nachgelassen haben, wirkt sich der starke Preisrückgang
auf den Konsumenten eher beängstigend aus. Womöglich hängt aber auch der
Rückgang der Renditen langlaufender Anleihen nicht direkt mit dem
Ölpreisrückgang, sondern mit dem Anstieg
der Risikoaversion bzw. der Unsicherheit zusammen, die laut
unserem ARP12-Index aktuell auf den höchsten Stand seit 2011 gestiegen ist
(Grafik 5).
Fazit: Zwar gibt es plausible Erklärungen für einen
stärkeren posi¬tiven Zusammenhang zwischen dem Ölmarkt und den Aktien,
allerdings halten wir die Ängste der Marktteilnehmer vor einem niedrigen
Ölpreis für wenig fundamental begründet. Denn länger¬fristig überwiegen in den
Industrieländern, die meist von Ölimpor¬ten abhängig sind, positive Effekte.
Daher dürfte dieser Zusam¬menhang nicht von Dauer sein. Vielmehr würden wir in
der Zukunft einen positiven Zusammenhang nachvollziehen können, wenn der
Ölpreis wieder von der Nachfrage, nicht dem Angebot gesteuert wird. Wir rechnen
damit, dass vor allem der Rückgang der US-Ölproduktion den Ölpreis bis zum
Jahresende wieder auf 50 US-Dollar je Barrel steigen lassen wird. Damit wäre
wenigs¬tens dieser »Belastungsfaktor« für die Aktienmärkte beseitigt
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