Sonntag, 20. September 2009

Der Wilderer - Der Wilddieb - Author Selzer-McKenzie SelMcKenzie

Die Wilderer – Die Wilddiebe
Author D.Selzer-McKenzie
Der Wilderer, nennen wir ihn Sepp, hat mit der Wilderei aufgehört. Aus Vernunft, nach der Hochzeit oder weil eben alles seine Zeit hat, so
genau weiß er das selbst nicht. Er gehört jetzt zu den Jägern, die er hasst und die ihm fremd sind mit ihrem angeblichen Ge¬habe und ihrem Geschwätz. Nicht dass er es nicht versucht hätte, sagt er, aber sie passten einfach nicht zusammen: „Wenn die Jäger einmal was geschossen haben, dann reden sie im Wirtshaus zwei Wo¬chen lang über .nichts anderes. In dersel¬ben Zeit war ich schon zehnmal oben."
Der Wilderer Sepp hat natürlich nicht mit der Wilderei aufgehört. „Aus einem Urwaldmenschen wird so schnell kein Stadtmensch", sagt er. Jedenfalls nicht ganz. Wildern ist wie eine Droge: Sie führt zu nächtlichen Schweißausbrüchen, bevor man den Stoff endlich bekommt, sie macht Familien kaputt und gibt im Überfluss, was die reale Welt nur weni¬gen bietet: Macht, Anerkennung, jeden¬falls ein Gefühl davon. Selbst wer mit dem Wildern aufgehört hat, wird doch im¬mer ein Abhängiger bleiben. Ein Kranker.
Die Jagd ist aus der Sicht vieler Wilde¬rer noch nicht einmal wie Methadon. Ein Imitat für Untalentierte, Bequeme, Ang¬ler: für Menschen wie du und ich. Deshalb geht Sepp noch immer auf eigene Rech¬nung hinauf. Nicht mehr so oft, das Haus ist sowieso schon bis zum Dach gefüllt mit Trophäen. Aber vier-, fünfmal im Jahr doch. Neben der Jagd. Er schießt heute nicht mehr auf alles, was sich bewegt, schöpft nicht mehr „die ganze Sahne" ab, wie er sagt. Es geht ihm jett um die Promi¬nenten am Berg: den kapitalsten Hirsch,
den mächtigsten Steinbock. Solche, die feh
len, wenn sie plötzlich nicht mehr da sind.
Wir stehen im Nationalpark Stilfserjoch
am Fuß irgendeines der vielen Berge. Der
Park wurde 1935 von Mussolini und sei
nen Faschisten eingerichtet. Das muss
man wissen, wenn man verstehen will,
warum ausgerechnet hier, in den Südtiro
ler Gemeinden nahe dem Ortler, in Stilfs,
Prad, Glurns und Martell, die Wilderei so
viel bedeutet. Freilich: Bis 1983 durfte in
den Jagdrevieren, die zum Gebiet des Na
tionalparks gehörten, nach den gleichen
Gesetzen gejagt werden wie in der gesam
ten Gegend zwischen dem Reschen und
dem sogenannten Vinschgau.
0 Doch das änderte sich, als der italienische
0`-- Staat auf Druck der Umweltschützer vom
WWF ein komplettes Jagdverbot für den Nationalpark verhängte. In der Folge be¬stätigte sich abermals die These des Sozio¬logen Roland Girtler, dass Wilderei als Auflehnung gegen die bestehende Rechts¬ordnung zu begreifen sei. Erst nach knapp fünfzehn Jahren hat man eingesehen, dass es so nicht weitergehen kann, und die Jagd wieder erlaubt: zu einer gewissen Zeit und nur gewissen Leuten, den „Entnahmespe-zialisten" oder „Selecontrollori".
Es ist nicht diese Zeit, und wir sind nicht diese Leute. Wir, sind in einem Auto mit deutschem Kennzeichen gekommen, Sepps Wagen wäre viel zu auffällig gewe¬sen. Die meisten der fünfzehn Parkauf¬seher kennen ihn, und er kennt sie: vom Berg, vom Wirtshaus, vom Sehen, vom Hö¬rensagen. Vom Wildern. Wie hatte doch ein mit Sepp befreundeter Wilderer am Tag unseres kleinen Ausflugs gesagt: „Wei nicht versteht, dass das alles dieselben Leute sind, die Wilderer, die Selecontrollo¬ri, die Parkaufseher und zum Teil auch die Jäger, der hat nichts verstanden."
Hanspeter Gunsch hält das für ein „Am¬menmärchen". Nur Leute mit makellosem Lebenslauf dürften Aufseher werden, und auch die Auswahl der Selecontrollori un¬terliege strengen Kriterien. Gunsch arbei¬tet in der Verwaltung des Nationalparks, wo er unter anderem mit dem „Rothirsch-management" befasst ist. Er selbst ist Jä¬ger. Vielleicht dreißigmal im Jahr geht er hinauf. Wegen des frischen Fleischs, we¬gen der Entspannung in der Natur. Auch wegen der Trophäen. Seine Diplomarbeit hat er zum Thema „Ursachen der hohen Rothirschdichte im Vinschgau" geschrie-ben. Darin wird — ironischerweise — auch der Text eines Wilderers zitiert. Gunsch sagt selbst, dass mit dem totalen Jagdver¬bot die Wilderei zugenommen habe. Die Wogen hätten sich aber längst geglättet
Ein, zwei Zwischenfälle habe es in den ver¬gangenen Jahren gegeben. Mehr nicht. Die Wilderer glauben zu wissen, warum: :Wenn die uns drankriegen wollten, dann könnten sie uns drankriegen", sagt Sepp. „Aber die wollen nicht. Am liebsten wäre denen vom Nationalpark, wenn es über¬haupt keine Tiere mehr gäbe, dann hätten sie ihre Ruhe und könnten den Park noch mehr für den Tourismus öffnen."
Am Abend vor unserem kleinen Aus¬flug kommen wir, der Wilderer Sepp und der Mann mit dem deutschen Autokenn¬zeichen, in den Garten eines anderen Wil¬derers, der einen Beruf ausübt, der sich mit der Wilderei ganz schlecht verträgt. Ei¬ner der Gäste, die auf der Terrasse sitzen, verlässt daraufhin überstürzt das Anwe¬sen. Später heißt es, der Flüchtige sei ein Parkaufseher gewesen. Auf dem Terrassen¬tisch liegen Patronen neben den Weinglä¬sern und den Tellern mit Geschnetzeltem. Einer sagt zu seiner Freundin: „Ich nehm dich mal mit auf den Berg, dann seh ich schon, wer mir wichtiger ist: der Hirsch oder du." Die Freundin findet es nicht übermäßig lustig, weil sie weiß, wie die Antwort lautet. Auch Horst Eberhöfer, Jahrgang 1968, ist an diesem Abend da. Er ist blond, verwegen, eloquent. Vor allem aber unabhängig. Auf der Jagd nach Frau¬en haben ihn sein Instinkt und sein Hang zur Unvernunft genauso wenig verlassen wie früher beim Wildern. Er war eine Zeit¬lang verheiratet, hat zwei Kinder. Dass die Beziehung auseinandergegangen sei, habe nicht unbedingt etwas mit der Wilderei zu tun, sagt er, im Gegenteil: Seine Frau habe ihn gerade auch deshalb geliebt, und er habe es geliebt, wenn sie ihm, bevor er fortging, beim Packen des Rucksacks half. „Wenn du von da oben kommst", habe sie einmal zu ihm gesagt, „dann hast du so ei¬nen Glanz in den Augen."
Eberhöfer hat vor ein paar Jahren ein Buch geschrieben: „Der Wilderer im Natio¬nalpark" heißt es, demnächst soll davon eine vierte Auflage gedruckt werden. Im Buch beschreibt er, wie er schon als kleiner Junge lieber Mäuse gefangen und Vögel ge¬jagt hat, als mit den anderen Kindern Fu߬ball zu spielen. Dass er zur Jagd kam, lag nahe: Der Vater war immerhin Revierlei¬ter. Weil sich der aber meist an die Regeln hielt, besaß er nur eine Handvoll Trophä¬ en. Horst war das zu wenig. Er wollte ge¬nauso
ge¬nauso sein wie die Wildererfreunde des Va¬ters, deren Häuser geschmückt waren mit Geweihen von Vierzehn- und Sechzehn¬endern. Das hat er geschafft. 3000 Mal, schätzt er, war er oben, etwa 1000 Tiere hat er getötet, dreimal wurde er ge¬schnappt, zweimal saß er im Gefängnis. Tempi passati. In seinem Buch schreibt er: „Alles hat seine Zeit."
Wer wie Eberhöfer oder Sepp in Südti¬rol geboren wird, ist zumeist gut am Berg. Von den Besten werden die einen Berg¬steiger, wie etwa Christian Kuntner. Der Prader, der mit Horst ab und an Karten ge¬spielt hat, ist 2005 im Himalaja tödlich verunglückt. Die anderen werden Wilde¬rer. So ähnlich sieht es jedenfalls Sepp. Wir haben ausgemacht, ohne Gewehr auf den Berg zu gehen, einfach nur so, es geht darum, wenigstens eine Ahnung davon zu bekommen, was es heißt, zu denken und zu handeln wie ein Tier, dem „das Kna¬cken jedes Astes wie ein Trommeln in den Ohren" ist. So sagt es Sepp. Er geht gleichmäßig, wie alle, die sich in den Ber¬gen auskennen. Im Mund hat er einen Grashalm, auf dem er herumkaut.
Sepp ist nicht gekleidet wie eirrJä¬ger, eher wie ein Wanderer, der mit der Gegend vertraut ist. Je¬denfalls trägt er keinen grünen Hut, der ihm vom Kopf fallen
könnte. Irgendwann bleibt er stehen, zeigt auf den Boden: wilde Kresse. Er isst davon. Manchmal, wenn er am Berg ist, pflückt er auch ein paar Edelweiß für ei¬nen Tee, der besonders gut schmecken soll. Die Sonne geht allmählich unter, bald kommt die beste Zeit zum Wildern, weil die Tiere zum Trinken aus dem Di¬ckicht kommen und die Touristen endlich nach Hause gehen. Vielleicht auf halber Höhe bleibt Sepp wieder stehen: frische Hirschspuren. Er kann sie riechen.
Wilderer sind überzeugt, dass ihre Sin¬ne viel besser ausgebildet sind als die der Jäger. „Der Wilderer riecht immer ein we¬nig nach Raubtier, und sein Auge ist das des Fuchses, des Marders oder des Frett¬chens", schreibt der spanische Philosoph Jos6 Ortega y Gasset in seinen „Meditatio¬nen über die Jagd". Eberhöfer hat sie drei
mal gelesen. Wenn der zivilisierte Jäger den Wilderer am Werke sehe, heißt es in den „Meditationen" weiter, entdecke er, „dass er selbst kein Jäger ist, dass er mit all seinen Anstrengungen und all seiner Be-geisterung nicht in die solide Tiefe jagdli¬chen Wissens und Denkens eindringen kann". Warum sollte das so sein? Weil die Wilderer viel, viel öfter gehen als die Jä¬ger, weil sie viel, viel mehr schießen. Und weil sie nicht nur auf das Wild, sondern auch auf die Aufseher aufpassen müssen. Einer sagt: „Wir jagen und werden gejagt." Ein anderer: „Es ist, als könnte ich um die Ecke blicken." Ein Dritter: „Auch unter den Jägern gibt es gute Leute, 20 Prozent vielleicht, meist aber nur, wenn sie früher Wilderer waren." Alle Wilderer glauben, die meisten Jäger hätten keine Ahnung, keine Witterung, keine Peilung. Der wil¬dernde Sohn eines wildernden Bergbau¬ern, von dem am Ende noch die Rede sein wird, sagt: „Wenn man für die Jäger den Hirsch festbindet, dann treffen sie das Seil."
Sepp ist ein bisschen enttäuscht, nichts kommt. Wahrscheinlich sei es noch zu früh, die Rehbrunft beginne erst in ein paar Tagen. Da tauchen hinter einem Fels¬vorsprung vier Stück Rotwild auf, zwei Hirschkühe; zwei Hirschkälber, vielleicht 50 Meter von uns entfernt. Der Wind ist günstig, weht vom Gipfel des Berges her, so dass das Wild nicht gleich argwöhnisch wird. Es sind schöne Tiere, keine schöneri Trophäen. Wer möchte schon sehen, wie ihnen der Blick bricht, nachdem sie mit einem sauberen Lungenschuss im rechten Winkel zum Körper getroffen worden sind? Sepp sagt, es sei ein erhebendes Ge¬fühl, einen Hirsch wie einen Kampfstier in der Arena zusammenbrechen zu sehen. Das Gefühl hält aber nicht lange an, wird manchmal überlagert vom Wunsch, alles ungeschehen zu machen. Wie am Morgen nach einem Seitensprung. Eberhöfer schreibt in seinem Buch: „Im Grunde wünschte ich mir, dass dieses Tier da vor mir nicht tot sei, sondern dass es wieder lebendig werden könnte." Sepp schaut durch sein Fernglas. „Schmeckt hervorra-gend, so ein Kalb", sagt er. „Wenn ich will, ist es in dreißig Sekunden tot."
Unter den Wilderern gibt es Maulhelden und solche, die kaum den Mund aufbekom¬men. Wobei die Zweiten in der Überzahl sein dürften. Die einen wie die anderen be¬haupten
be¬haupten aber: „So viele Wilderer wie hier im Nationalpark gibt es nirgendwo sonst." Hanspeter Gunsch von der Nationalpark¬verwaltung sagt dagegen: „Die Wildbestän¬de sind noch immer relativ hoch." Die Wil-derer wiederum sagen: „Es ist doch fast al¬les leergeschossen." Wenn die Häuser der Wilderer als Beweis gelten können, dann haben die Wilderer recht: Unzählige Schä¬del von Gämsen sieht man dort, Hirschge¬weihe, ausgestopfte Rebhühner. Ab und an ist auch etwas Außergewöhnliches dabei: ein Eisvogel, die Flügel eines Steinadlers, die Hörner einer Antilope.
Am fanatischsten gejagt hat wohl die Generation 1983, diejenigen also, die heu¬te zwischen 40 und 50 sind und voll im Saft standen, als die Jagd im Nationalpark komplett verboten wurde. Damals haben sie wie tollwütige Hunde gejagt. Heute ja¬gen sie wie Chamäleons: Beute fixieren, Zunge raus, Beute verschlucken, alles aus der Sicherheit der Normalität. Karl, der ein bisschen aussieht wie Wolf Biermann, ist einer von diesen Schläfern. Alle sagen: Der Karl war ein absoluter Profi, und er ist noch immer sehr gut, vor allem wegen sei: ner Instinkte. Wie die meisten hat aber auch er schon mit Autoscheinwerfern ge¬jagt, um an einem Abend „drei, vier Hir¬sche abzuknallen". Mit dem Idealbild Orte-gas hat das nicht mehr viel zu tun: Damit man von Jagd sprechen könne, „muss das begehrte Tier seine Chance haben, muss es grundsätzlich auch entwischen kön¬nen". Karl hat aber auch seine Prinzipien. Er schießt zum Beispiel keine Spielhähne, nur um ihnen die Federn auszureißen und die Tiere liegenzulassen. Das sei eine Ver-sündigung am guten Fleisch. Außerdem hat er noch nie einen Steinbock geschos¬sen. Die seien zu zahm, das mache keinen Spaß. Karl ist in seinem Leben sechsmal angezeigt worden — zum letzten Mal vor zwanzig Jahren. In seinem Keller, wo er seine eigene Munition herstellt, weil die präziser sei als die aus der Fabrik, liegt der Schädel einer Gämse: kürzlich gewildert. Wenn ihm einer blöd kommen sollte, sagt er: kürzlich gekauft.
Ein anderer aus der Generation der Dreiundachtziger ist Georg. Er hatte im Frühjahr 1983 seinen Jagdschein ge¬macht, ein paar Monate später wurde die Jagd verboten. Vor ein paar Jahren war er

Mögliche geschossen haben: Springböcke, Blessböcke, Weißschwanzgnus, einen Pa¬vian. Nur der Wasserbüffel war zu teuer. Georg gehört zu den ruhigeren Wilderem,
er ist kein Frauenheld, kein Fanatiker. Für einen Aufenthalt im Gefängnis hat es aber gereicht. Heute geht er nur noch selten hin¬auf, und wenn, dann allein: weil er den Neid unter den Wilderem nicht haben kann, sagt er. Und weil er sich von seinen früheren Partnern manchmal ausgenutzt fühlte. Als gelernten Metzger hätten die ihn allzu gerne mitgenommen, weil er so schnell wie kein anderer war, wenn es dar¬um ging, das Geschossene zu zerlegen und im Rucksack zu verstauen.
Sepp schaut auf die Uhr. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Wir verstecken uns hin¬ter einer Kiefer. Wie hatte er eine halbe Stunde vorher gesagt: Wenn ich will, ist das Tier in dreißig Sekunden tot. Und: Wenn ich will, habe ich in zwanzig Sekun¬den ein Gewehr in der Hand. In der Umge¬bung, hier am Berg, sagte er, gebe es etwa zwanzig Verstecke für Gewehre und Muni¬tion. Und jetzt? Nichts und jetzt. Sepp öff¬net seinen Rucksack, zieht ein zusammen¬geklapptes Gewehr heraus. Wenig später legt er an.
zur selben Zeit sitzt der 77 Jahre alte Bergbauer Alfons Ortler in seiner Stube und trinkt Rot¬wein. Wer wissen will, was Or¬tega gemeint hat, als er
schrieb, bei jeder Revolution sei es immer das Erste gewesen, dass das „Volk" „im Namen der sozialen Gerechtigkeit den Ha-sen und das Rebhuhn verfolgte", der muss mit dem alten Ortler reden. Er kann sich noch an die Zeiten Mussolinis erinnern, als der ganze Mist anfing mit der Bevor¬mundung und dem „Hurennationalpark". Er hat sich aber bis heute nie und von nie¬mandem irgendetwas sagen lassen: nicht, als er in den fünfziger Jahren zu Fuß vier¬zig Kilo Zigaretten über die Berge von der Schweiz nach Südtirol geschmuggelt hat; nicht, als das Rotwild auf seinen Feldern herumgetrampelt ist; auch nicht, als er sich vor ein paar Jahren mit dem Gewehr aufmachte, um einen Braunbären, der sich in der Gegend herumtrieb, niederzu¬strecken (was ihm nicht gelang); und schon gar nicht, als Eberhöfers Buch er¬schienen war. .
Damals ist der alte Ortler von seinem Bergbauernhof hinunter ins Dorf gegan¬gen und hat das Buch ans schwarze Brett der Gemeinde genagelt — aus Protest, für den er sich allerdings später bei Eberhöfer persönlich entschuldigt hat. Dessen Ge-schichten haben sich zwar gut verkauft, ge¬rade die nachkommenden jungen Wilde¬rer, von denen heute manche jagen, wie sich andere ins Koma saufen, haben sie verschlungen. Die älteren Wilderer jedoch haben zumeist mit Skepsis gesehen, dass da einer der Ihren sein Schweigen bricht und sich wichtigmacht — selbst wenn er noch so recht haben mag. Auch Hanspeter Gunsch, der Mann von der Nationalpark-verwaltung, hat die Konflikte unter den Wilderem irgendwie mitbekommen Er sagt: Eberhöfer habe sich zwischen alle Stühle gesetzt. Er gehöre jetzt weder zu den Jägern noch zu den Wilderem.
Gegen halb zehn am Abend machen wir uns auf den Weg nach unten, leichten Fußes. Sepp hatte angelegt — und musste schließlich doch Ortegas Satz akzeptieren: „Es ist für die Jagd nicht wesentlich, dass sie erfolgreich ist." Der alte Ortler sitzt um diese Zeit noch immer in seiner Stube und schimpft und schimpft: auf die „Neofa¬schisten" und auf die „Hurengrünen", die meinten, von der Jagd reden zu •müssen, und noch nicht einmal einen eigenen Gar¬ten hätten. Irgendwann wird er dann in sei¬ne Kammer gehen, wo über dem Bett der Kopf eines stolzen Hirsches wacht. Auch die anderen Wilderer werden dann viel-leicht schon im Bett liegen, mancher von ihnen schweißgebadet. Der alte Ortler wird dagegen ruhig schlafen, er hat zu viel erlebt und weiß: Wahrscheinlich wird er der Erste sein, der nicht mehr aufwacht.
An jenem Tag wird sich der Kreis schlie¬ßen. Dann werden die ausgestopften Tiere dabei zuschauen, wie der, der sie einst aus Liebe, Not, Wut oder Spaß getötet hat, den Weg in die ewigen Jagdgründe antritt


Der Wilderer - Der Wilddieb - Author Selzer-McKenzie SelMcKenzie

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