Donnerstag, 3. September 2009

Nächste Finanzkrise in Sicht?

Nächste Finanzkrise in Sicht?
Author D.Selzer-McKenzie
Für Freunde überschaubarer Weltbilder geht die Krise so: Da war einmal ein unverantwortlicher Notenbanker, der die Zinsen ungehörig niedrig hielt, worauf alle sich hoch verschuldeten, weil ja Kredite kaum was kosteten. Dazu kam noch die Gier. Und schon war die Krise da. Fertig. Entsprechend einfach wäre die Lösung: Nie wieder Greenspan. Nie wieder Gier. Und die Welt ist schön.
Furchtbar scheint da, was gerade passiert. Stimmt die simple Erklärung, würden die Notenbanken versuchen, den Fehler mit dem gleichen Fehler zu beheben. Die Zinsen sind wieder niedrig, und selbst Europas sonst so strenge Zentralbank will daran vorerst nichts ändern. Wo doch hohe Zinsen dafür sorgen müssten, dass nie mehr Kredit aufgenommen wird.
Klingt märchenhaft. Könnte allerdings sein, dass die Krisenerklärung ebenso einfach wie absurd ist. Stimmt sie nicht, könnte die plumpe Umkehr der Niedrigzinspolitik ins nächste Desaster führen. Und die Lehre aus der Krise läge eher darin, dass Notenbanker künftig auf Vermögens- oder Kreditblasen achten sollten, dafür aber neue Instrumente brauchen, die geeigneter sind als zweifelhaft wirkende Zinsen.
Natürlich spricht einiges dafür, dass niedrige Zinsen in den USA die Aufnahme von Immobilienkrediten nach 2002 erleichtert und den Boom verstärkt haben. Nur begann der Boom erstens schon vorher. Und zweitens ist damit noch nicht gesagt, was die Notenbanken daraus lernen sollten. Es ist ja nicht so, als hätte es damals keinen Grund gegeben, mit Zinserhöhungen zu warten.
Nach Umfragen gab es in der Industrie anhaltende Absturzangst. Die Inflation sackte weltweit auf Rekordtief. Und selbst spätere Greenspan-Kritiker wie der heute viel zitierte Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), William White, schrieben ganze Kapitel über ernste Deflationsgefahr. Im BIZ-Jahresbericht gab es Mitte 2003 an keiner Stelle die Empfehlung, Zinsen anzuheben.
Vielleicht zu Recht. Die jüngste Finanzkrise widerlegt ja nicht die Sorge von 2003 ff., dass ein höherer Zins bei latenter Blasenbildungsgefahr ein ziemlich grobschlächtiges Mittel ist, das viele Unbeteiligte im Rest der Wirtschaft trifft. Wäre das Geld in derart labiler Lage rasch teurer geworden, wäre womöglich das passiert, was den USA 1937 und Japan in den 90er-Jahren passierte: Die Krise wurde nur noch schlimmer, wodurch die Schulden am Ende noch viel höher lagen. Zumal die Zinsen angesichts rasender Renditen schon enorm hätten steigen müssen, um wirklich viele aus dem Kasino zu jagen.
Hier liegt das tiefere Dilemma, vor dem die Notenbanker bald erneut stehen könnten. Gemessen an der Inflation der Vermögenspreise wären höhere Zinsen gut gewesen. Nur nicht für den Rest der Wirtschaft. Und gemessen am Risiko realer Inflation auch nicht. Da gab es weder Preisdruck noch den Ansatz exzessiver realer Investitionen. Und: Weder Kapazitätsauslastung noch Lohnzuwächse ließen auf so etwas wie Überhitzung und die Notwendigkeit steigender Zinsen schließen. Mehr noch: Die Vermögenssteuerung legte über Jahre zu, ohne dass sich dies auf die reale Inflation übertrug. Da können Notenbanker im Grunde nur falsch liegen. Heben sie die Zinsen an, stoppen sie die Branchenblase, nur kriselt dann unnütz die Realwirtschaft. Heben sie die Zinsen nicht an, ist die Realwirtschaft (erst mal) gerettet, dafür crasht irgendwann die Bankenwelt.
Kein gutes Zeichen. Bei den Jongleuren nimmt die Lust am Risiko derzeit wieder zu - und weil die Finanzwelt rapider reagiert als die reale Wirtschaft, spricht einiges dafür, dass dort auch im nächsten Aufschwung wieder als Erstes (und womöglich Einziges) die Preise hochschießen - und dass die Zinsen gemessen daran steigen müssten, bevor die Realwirtschaft solide genug expandiert, um das schon zu verkraften. Von realer Inflation ist 2009/10 wie 2003/04 keine Spur zu erkennen.
Klar sollten Notenbanken nach der jüngsten Krise künftig mehr auf Vermögensinflation achten. Das Dilemma lässt sich aber selbst mit Kompromisszinsen nicht lösen, die im Zweifel nicht hoch genug sind, um Blasen zu stoppen - und zu hoch, um Rezessionen zu verhindern.
Der Ausweg wäre, bei divergierenden Inflationsgefahren auch (mindestens) zwei Instrumente zu haben. Dann könnten Notenbanken die Leitzinsen nutzen, um realer Inflationsgefahr zu begegnen. Zur Verhinderung von Finanzblasen müssten andere Mittel eingesetzt werden, die an die strukturellen Ursachen von Herdenphänomen und Marktversagen gehen.
Um den Hang der Finanzwelt zu bremsen, sich prozyklisch in Euphorie zu steigern, müssten Finanzjongleure in guten, euphorieanfälligen Zeiten viel höhere Eigenkapitalforderungen erfüllen (und umgekehrt). Das würde den Überschwang automatisch und galanter als Rundum-Zinserhöhungen bremsen. Wahrscheinlich würde auch eine Finanzumsatzsteuer helfen, wie sie selbst Experten in den USA mittlerweile fordern. Oder dass Regierung und Notenbank bei Anzeichen für eine Blasenbildung gezielt die Nachfrage nach Immobilien dämpfen.
Das könnte verhindern, dass sich die Finanzbranche wieder von der realen Welt abkoppelt. Hier liegt das Problem, nicht bei den Zinsen. Das muss nicht heißen, dass diese nie mehr steigen. Wenn es gelingt, den Aufschwung wieder von realwirtschaftlichen Faktoren treiben zu lassen, wird es auch wieder steigende Masseneinkommen, Kapazitätsauslastung und bei sinkender Arbeitslosigkeit auch höhere Lohnzuwächse geben. Dann wäre es irgendwann nötig, die Zinsen anzuheben, bevor es zur Inflation kommt.
Es bringt wenig, Bankenexzesse mit Mitteln zu beheben, die Unternehmen und Verbraucher in den Ruin stoßen - nur weil es bei den Banken vorher Exzesse gab, von denen der Rest über Jahre relativ wenig hatte.

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