Mittwoch, 9. September 2009

Moto Guzzi Stelvio

Moto Guzzi Stelvio Motorradtest
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=yQ_XZeFqh-M#
Author D.Selzer-McKenzie

Dem Author Selzer-McKenzie wurde die neue Moto Guzzi Stelvio zur Verfügung gestellt und hier seine Eindrücke:
Moto Guzzi muss man sich
wundern. Es gibt wenige Herstel
ler mit einer solchen Vergangen¬heit und einem derart kultigen Namen. Der Adler mit den weit gespreizten Schwingen ist eines der stolzesten Mar¬kenzeichen weit und breit. Und was ma¬chen sie daraus in Mandello del Lario? Hm.
Wenig, wenn man bedenkt, wie ge¬schickt Triumph oder Harley-Davidson die eigene Geschichte beackern. Als schüchterner Versuch, aus der Historie Kapital zu schlagen, kann die noch rela¬tiv junge V7 Classic mit Oldtimeranmu¬tung gewertet werden. Ansonsten kämpft der kleine Hersteller mit moder¬nen Tourern, Roadstern, Cruisern an Fronten, an denen schon die Großen der Branche heftig zugange sind, und muss aufpassen, im Getümmel nicht zertram¬pelt zu werden.
Eine schier unlösbare Aufgabe hat Mandello der Stelvio 1200 mitgegeben. Sie tritt gegen die Unberührbare an, die R 1200 GS von BMW. Das ist die unum¬stößliche Nummer eins unter den gro¬ßen Reiseenduros. Ein Rudel von Rivalin¬nen — KTM Adventure, Triumph Tiger, Honda Varadero, Benelli Trek, Moto Mo¬rini Granpasso — versucht schon nach Marktanteilen zu schnappen, ohne je¬weils die Vielseitigkeit des ausgereiften Multifunktionswerkzeugs aus Bayern zu erreichen. Aber nicht jeder, der eine Rei¬seenduro sucht, möchte eine BMW ha¬ben, und der Markt scheint so groß, dass auch für andere etwas übrigbleibt. Inso¬
fern ist die Idee mit der Stelvio vielleicht gar nicht so schlecht.
Mittlerweile wird für die voriges Jahr eingeführte Maschine auch ein ABS an¬geboten, was die Aufgabe ein wenig ein¬facher macht — aber nur ein wenig. Wer auf das Antiblockiersystem verzichten will, kann vom Preis (13 990 Euro) 1000 Euro abziehen. So oder so gilt: Ein neuer Herausforderer sollte eigentlich einiges besser können als die etablierte Kraft. Danach kann man allerdings auch im Fall der Moto Guzzi lange suchen. Also Daumen runter? Nein.
Die Stelvio hat keine Steinschleuder, kann den Goliath nicht schlagen, aber sie stellt sich dem Kampf tapfer, ist ein fein funktionierendes Motorrad mit star¬kem Charakter. Der ergibt sich nicht zu¬letzt aus dem für die Marke so typischen luftgekühlten 90-Grad-V-Motor, dessen mächtige Zylinder quer zur Fahrtrich¬tung stehen, ganz wie es die Tradition verlangt. Das Triebwerk allein ist schon das Eintrittsgeld wert. Wie es im Stand¬gas die Lenkerenden zittern lässt, wie es urtümlich poltert und die Stimme des Lanz Bulldog imitiert, wie es auf einen kurzen Gasstoß die ganze Maschine nach rechts nicken lässt — unnachahm¬lich. Der stampfende Vierventiler hat eine Herkunft, und er verleugnet sie nicht. Die Moto Guzzi gehört zu den Tun-nelmotorrädern, mit denen man gern durch die Röhre fährt, um den Klang zu genießen.
Bei Erscheinen der Stelvio hatten die Entwickler Schelte einstecken müssen wegen der Motorcharakteristik: Ausge¬rechnet in der Drehzahlmitte bei etwa 4000/min machte die Guzzi schlapp. Der Drehmomenteinbruch ist neuerdings be¬seitigt. Der nominell 77 kW (105 PS) leis¬tende Zweizylinder (Drehmomentmaxi¬mum inzwischen 113 Nm bei 5800/min) ist ein durchweg souveräner, druckvoller Antreiber, der sich keine Phasen des Schwächelns erlaubt. Er massiert die B
satzung angenehm, vibriert bei Ge¬schwindigkeiten um 120 km/h vielleicht etwas mehr, als er sollte. Geschenkt. Hier und da fallen Gasannahme und Lastwechsel ein wenig kerniger aus, als man sich das wünschte, doch ist das nichts Gravierendes. Eher Gewöhnungs¬sache.
Mit mehr als 250 Kilo vollgetankt ist das Motorrad kein Geländewiesel. Auch das recht stramm abgestimmte Fahrwerk mit einstellbaren Federelementen, die Radgrößen (vorn 19, hinten 17 Zoll), die Bereifung (hinten ein 180-mm-Pneu) deuten darauf hin: Einsatzschwerpunkt ist die Straße. Hier macht die schön aus¬balancierte Stelvio immensen Spaß, so¬fern man bereit ist, sich überhaupt mit so einem einschüchternd hohen Ross einzu-lassen. Die Sitzposition ist, jedenfalls bei einer Körpergröße von gut einsachtzig, extrem gelungen — entspannt, übersicht-lich und doch aktiv —, der Sattel für Fah¬rer und Beifahrer hochkomfortabel, die Sicht in die Rückspiegel und die Ables-barkeit der Instrumente tadellos.
Es gibt vieles, was schätzen lernt an
der Guzzi, den unkomplizierten Kal
antrieb, ein per Knopfdruck zu öffnen¬des Fach an der Tankoberseite, ein weite¬res unter dem Rücksitz, die in der Griff-weite veränderbaren Brems- und Kupp¬lungshebel, die Tatsache, dass sich Fah¬rersitz und Windschutzscheibe ohne Werkzeugeinsatz in der Höhe verstellen lassen. Letzteres elektrisch — das wäre noch wünschenswert für ein Langstre-ckenmotorrad, das die Stelvio ja sein soll, wegen des nicht üppigen Tankvolu¬mens von 18 Liter aber nur einge¬schränkt ist. Unser Exemplar zeigte sich dem Superkraftstoff mit einem Durch¬schnittsverbrauch von 6,6 Liter auf 100 Kilometer zudem nicht abgeneigt. Das Sechsganggetriebe funktionierte sehr gut, das Bremssystem überragend. Nein, auf verlorenem Posten kämpft die Stel¬vio nicht.

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