Mittwoch, 9. September 2009

Interview mit Zukunftsutopist Patri Friedman - Author SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Interview mit Patri Friedman, Enkel des Ökonomen Milton Friedman
Der Gesellschaftsutopist Patri Friedman will die Ozeane mit Inselstaaten besiedeln. Der Enkel des berühmten Ökonomen Milton Friedman hat seinen Job gekündigt, um eine anarcho-kapitalistische Utopie zu verwirklichen.
Author D.Selzer-McKenzie
Herr Friedman, in den Vereinigten Staaten ist die Steuer- und Abgabenlast relativ niedrig. Sie könnten froh darüber sein! Stattdessen wollen Sie aufs Meer auswandern, um gar keine Steuern mehr zahlen zu müssen?
Es geht mir dabei ja nicht ausschließlich um wirtschaftliche Fragen. Die Vereinigten Staaten sind auch das Land mit den meisten Inhaftierten auf der ganzen Welt - das so genannte Land der Freiheit! Und was die Steuern angeht, würde ich mich nicht so darüber ärgern, wenn das Geld für nützliche Dinge ausgegeben würde. Aber der Staat verschwendet es. Mein grundsätzliches Thema ist: Unser Land ist viel zu schwerfällig. Stellen Sie sich ein Regierungs- und Steuersystem, also diese ganze Ansammlung von Regeln und Gesetzen, einmal als eine Technologie vor. Mit Technologien sollte man doch experimentieren, und man muss sagen, dass wir sehr wenig experimentieren! Das Staatssystem ist eine Technologie - und es gibt in diesem Sektor überhaupt keine Start-Ups. Wir möchten den Menschen ermöglichen, mit Staatsformen zu experimentieren und so Fortschritt ermöglichen.
Sie sind seit 2008 Präsident des „Seasteading Instituts“, das sich zum Ziel gesetzt hat, schwimmende, autonome Siedlungen zu erbauen. Auf diesen sollen ähnlich gesinnte Bürger weit draußen auf den Ozeanen leben, in hoheitsfreien Gewässern, in Staatsformen, die sie selbst wählen. Auf unserer Welt gibt es bereits einhundertdreiundneunzig Länder. Ist da denn keines dabei, mit dem auch Sie sich arrangieren könnten?
Nein. Denn in Ländern, die mehr Steuerfreiheit bieten, herrscht weniger wirtschaftliche Freiheit. Unsere Idee ist größer: Anstelle von einhundertdreiundneunzig Ländern soll es Tausende Länder geben, mit einer viel breiteren Palette an Steuer- und Sozialsystemen. Unser Problem ist nicht die Anzahl an Staaten, sondern die hohen Eintrittsbarrieren auf diesen „Markt“. Um ein neues System auszuprobieren, müssten Sie schon eine Revolution machen. Oder einen Krieg gewinnen. Vielleicht müsste man auch nur eine Wahl gewinnen, aber auch das ist sehr schwierig.
Das gilt wohl auch für Ihr Vorhaben. Bis zum vergangenen Jahr haben Sie ja für Google als Ingenieur gearbeitet, man kann sagen: für eine der innovativsten Firmen der Welt. Dort war es Ihnen also zu konventionell?
Genau. Wir machten Marktforschung. Das war zwar ganz interessant, aber lange nicht so spannend, wie die Welt zu revolutionieren.
Lieben Sie das Meer?
Ja. Aber das ist nicht die Motivation für unser Projekt. Die politische Idee ist zentral: Wir wollen mehr Vielseitigkeit und Innovation. Und für Länderneugründungen ist der Ozean der beste Raum. Im Moment reden wir viel, präsentieren unsere Ideen, entwerfen gutaussehende Modelle, bloggen - all das sind die einfachsten Übungen. Mehr Geld zu sammeln, konkret mit den Ingenieuren zu arbeiten, das Projekt Schritt für Schritt umzusetzen ist schon viel schwieriger, aber auch viel wichtiger. Wir haben gerade das erste Modell fertig gebaut, aber wir müssen es weiter verbessern, bevor wir den Prototypen bauen, der in einigen Jahren vor der Küste von San Francisco schwimmen soll.
Wie lange brauchten Sie von der Idee bis zur Entscheidung, mit dieser Science-Fiction-Idee Ernst zu machen?
Die Idee kam mir im Jahr 2001, in einer Zeit, in der ich als Student viel Zeit hatte. Ich las viel über die Ideen der Libertarians. Irgendwann begriff ich, dass mir nur dann, die Möglichkeit gegeben wäre, in der freiheitlichen Gesellschaft zu leben, die meiner Vorstellung entspricht, wenn wir viele, ganz unterschiedliche Gesellschaften gründen, die miteinander in einen Wettbewerb um Einwohner eintreten. Ich schrieb das Buch „Seasteading: A Practical Guide to Homesteading the High Seas“. Dann ging ich aber erst zu Google, heiratete, wurde Vater. Hätte ich keine Familie, könnte ich jetzt schon auf einem Floß auf dem Mittelmeer leben, einen Coffeeshop betreiben und übers Satelliteninternet einen Blog schreiben, in dem ich mein eigenes Land ausrufen könnte. Doch erst jetzt, nachdem uns der Paypal-Gründer Peter Thiel 500.000 Dollar gespendet hat, treiben wir das Projekt konkret voran.
Welche „Freiheit“ suchen Sie denn auf dem Meer?
Ich hatte schon immer einen Wunsch nach persönlicher Freiheit, seit ich ein Kind bin. Mich motiviert gar nicht so sehr der Wunsch, tun und lassen zu können, was ich will. Vielmehr stört es mich, in einer Gesellschaft leben zu müssen mit tausenden Menschen, die alle unterschiedliche, eigene Vorstellungen von Recht und Gesetz haben. Also muss ich täglich mit Regeln leben, die andere machen und denen ich gar nicht zustimme. Ich habe folglich das Gefühl, in einer sittenlosen Gesellschaft zu leben, will aber in einer Gesellschaft leben, die meine Werte teilt.
Und bald werden Sie der erste politische Flüchtling der westlichen Demokratie.
Hm, lustig! Wissen Sie, die Demokratie ist im Moment der neueste Stand der Technik. Ich halte sie aber nicht für die Blüte der Technologie der politischen Regeln und Sozialsysteme. Wenn wir nur experimentieren und diversifizieren könnten, fänden wir bestimmt Systeme, die besser funktionieren.
Was sagten Ihre Kollegen?
Du bist verrückt! Sie fanden es aber auch mutig, dass ich meinen Job für eine Leidenschaft aufgebe.
Sie wünschen sich ja vor allem mehr ökonomische Freiheit, sicher liegt das in Ihren Genen: Ihr Großvater war der Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman und auch Ihr Vater David ist ein akademischer Freiheitskämpfer. Wenn Sie nun eines Tages aufs Meer hinaustrieben mit Ihrem winzigen, schwimmenden Floßstaat, ginge das sehr auf Kosten Ihrer Lebensqualität. Stellen Sie sich vor, Sie müssten da wirklich leben!
Am Anfang wird es ziemlich hart sein, aber langfristig werden die Inseln immer besser werden und immer größer.
Lebten Sie mal in einem kleinen Dorf?
Nein. Ich wurde an der Ostküste geboren und lebe sei 15 Jahren in Kalifornien, derzeit in einer Siedlergemeinschaft.
Kennen Sie das Gefühl, die Decke falle einem auf den Kopf?
Absolut. Ich kann mir aber gut vorstellen, mit lauter Leuten, die ich mag, für Wochen und Monate in einer schwimmenden Siedlungen zu leben. Ich würde zwischendurch einfach immer mal wieder in große Städte reisen.
Sie müssten viele Einbußen hinnehmen für Ihre null Prozent Steuern, für die Freiheit, die Armen zu unterstützen, die Sie unterstützen wollen und nicht der Staat, für die freie Schulwahl für Ihren Sohn und so weiter. Kein Wald, keine Berge, keine Küste.
Wenn ich nicht erwartete, dass die zunächst kleinen Module langfristig wachsen könnten, wäre ich auch nicht an dieser Idee interessiert. Ich will ein schwimmendes Hong Kong erschaffen, kein schwimmendes Dörfchen! Und das wird im besten Fall Jahrzehnte dauern. Vielleicht habe ich selbst bis dahin nicht mehr Freiheit, aber ich arbeite für eine Gesellschaft, die freier sein wird.
Ihr Land wird nie autonom sein können - ohne Boden, ohne Süßwasserquellen.
Ich weiß ja nicht so recht. Ich würde argumentieren, ein Staat ist dann souverän, wenn er sich verteidigen kann. Auch Monaco hat ja keine Landwirtschaft. Sie kennen Ricardos Theorie der komparativen Vorteile? Vielleicht werden wir genügend Sushi für uns selbst und für den Export produzieren. Sonst wird ein Meeresstaat tatsächlich wohl nie komparative Vorteile in der Nahrungsmittelproduktion haben.
Könnten Sie sich freischwimmende Inselstaaten auch für weltanschauliche Gruppen vorstellen, die nicht mehr Freiheit suchen, sondern das Gegenteil - vielleicht für Faschisten?
Unbedingt!
Dann hätten wir also eine Faschisteninsel, eine für Nudisten, fünf anarcho-kapitalistische Inseln und je hundert für Palästinenser und Israelis?
Ja, das ist ganz großartig! Oder wir bauen Inseln für diese Menschen, die die Umwelt nicht mehr verschmutzen wollen. Je mehr, desto besser, solange sich jeder Mensch aussuchen kann, wo er lebt.
Und wenn sich eine israelische und eine palästinensische Insel zu nahe kommen, dann wechseln sie die Richtung?
Hoffentlich treiben sie einfach weit voneinander entfernt.
Eine komische Utopie, nicht wahr?
Ja.
Gibt es denn auf Ihrer Insel Polizei?
Vielleicht sollte die Polizei auch privat sein. Ich weiß nicht, wir würden es ausprobieren und herausfinden, ob es gut ist.
Und sonst ist erlaubt, was Spaß macht? Drogenkonsum, Kinderhandel, Kannibalismus?
Ich will ja nicht der Boss dieser ganzen Inseln sein, jede soll das für sich selbst entscheiden. Es geht mir darum, dass Erwachsene sich frei entscheiden können, in welchem Staat sie leben und dass dieser Staat seiner Umwelt nicht gefährlich wird. Fragen, die Kinder betreffen, sind sehr kompliziert. Wenn es unter Erwachsenen aus freier Übereinstimmung zum Kannibalismus kommt, habe ich überhaupt kein Problem damit.
Man könnte jetzt viele Zweifel an der Machbarkeit Ihres Projektes äußern - bezüglich der Finanzierung, Stürme und Tsunamis, terroristischer Angriffe und Piraten. Das hören Sie ständig. Nervt Sie das, bremst es die Phantasie?
Fragen Sie mich bitte nichts über Piraten! Meine Freunde fragen mich manchmal im Scherz, um mich zu ärgern, was denn sei, wenn Piraten kämen. Diese ganzen Fragen beantworten wir ja auf unserer Website „seasteading.org“.
Der Ökonom Adolph Wagner hat einst das „Gesetz der wachsenden Staatsausgaben“ formuliert. Es besagt, dass die Staatsquote ständig steigt. Wenn es Ihre Inselstaaten nie geben sollte, und Sie immer mehr Steuern zahlen müssen - könnten Sie sich denn nicht vorstellen, damit Ihren Frieden zu schließen? Vielleicht treten Sie einem Mönchsorden bei!
Nein, das wäre nichts für mich. Die größten Probleme der Menschheit sind für mich: die Sterblichkeit, das Altern und die Restriktion, dass wir den Weltraum noch nicht besiedeln können. Die Menschheit wird ja nicht mehr lange auf einem Planeten, der zudem auch noch zerstört werden könnte, leben können. Wir brauchen Wirtschaftswachstum, um all diese Dinge verbessern zu können, denn das ist sehr teuer.
Haben Sie mit Ihrem 2006 verstorbenen Großvater Milton Friedman über Ihre Ozeanphantasie gesprochen?
Leider war er schon sehr alt, als ich ihm davon erzählte. Er glaubte mir nicht, dass ich jemals so eine Insel bauen würde. Er hielt es für eine Ausflucht. Er wollte immer mit den bestehenden Staaten leben, doch er lebte bereits in einer Zeit, in der der Staat immer größer und größer wurde. Das ist bei uns in der Familie ja eine sehr natürlicher Weiterentwicklung von Generation zu Generation: Mein Vater sagte dann schon, wir wollen mehr Freiheit, aber das funktioniert nicht besonders gut in der Demokratie. Er verficht den sogenannten Anarcho-Kapitalismus.
Ihr Sohn ist dreieinhalb Jahre alt. Zeigt er schon bestimmte Verhaltensauffälligkeiten? Läuft er Ihnen gern mal weg?
Er redete früh und redet viel. Ein wirklich sehr unabhängiger Geist!
Und Sie werden nicht enttäuscht von ihm sein, wenn er nicht der erste Mensch sein wird, der den Mars betritt?
Nein, ich glaube, es dauert noch lange, bis wir den Weltraum besiedeln, der Weltraum ist sehr teuer. Wir brauchen erst mal ein paar Jahrzehnte für den Ozean.

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