Donnerstag, 18. November 2010

Grüner Tee Natur Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Grüner Tee Natur Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Video http://www.youtube.com/watch?v=rLZAnFH1Cio

Rund um das Dorf Long Jing ist die Heimat des berühmtesten Grünen Tees der Welt.
Er wird angebaut, gehegt und bewacht. Ying Pang gilt als Autorität in allen Grüntee-Fragen. Ihr Teehaus ist Ziel für Kenner und Neulinge. Hier treffen sich Mönche und Milliardäre.

 Sie liebt diese Morgen, liebt sie schon seit damals, als sie ein Kind war und mit ihrer Großmutter hi-nausging in den kühlen Nebel und den feinen Sprühregen. Jene frühen Stunden, in denen das Land aussieht wie aus einem Märchen, mit fahlen Schatten und blassen Konturen, mit wenig Farbe und viel, viel Wasser. In denen Nacht und Tag mit¬einander rangeln und dabei — so hat es die Gro߬mutter immer erzählt — derart ins Schwitzen kom¬men, dass die Luft ganz nass wird.
Auf dem Löwenberg
Damals mussten sie weit gehen. Wenn sie ankamen in den Teefeldern auf dem Löwenberg, war sie meist so müde, dass sie sich hinlegte, auf den Boden, zwi-schen die Büsche. Dann sah sie hinauf in den Nebel und fühlte die Feuchtigkeit im Gesicht. In den sie¬ben Klöstern auf den Hügeln begrüßten die Mönche

den Tag. Ihre Mantras legten sich über das Land wie eine wärmende Daunendecke.
Für das westliche Ohr ist Chinesisch keine angeneh-me Sprache. Aber wenn Ying Pang von ihren Kind-heitsmorgen in den Teefeldern von Long Jing er-zählt, verwandelt sich das kantigste Chinesisch in ei-ne schwebende Liebesmelodie. Dann beschwören die Silben den alles umhüllenden Morgennebel und die Stimme ruft den Wind und das Rauschen der Blätter herbei. Und nur, weil die Schalen schon wieder leer sind und Mrs. Pang auch gerne noch den berühm¬ten Drachenbrunnentee anbieten möchte, gelingt einem die Rückkehr in die Gegenwart.
Das da draußen, dieses pastellene, unwirklich schei-nende, beinahe mystische China, diese dunklen Berge mit ihren sanften Hängen und knorrigen Bäumen: Das ist die Heimat des berühmtesten Grünen Tees der Welt. Seit mindestens 1200 Jahren wird er rund um das Dorf Long Jing angebaut, ge

hegt und bewacht und im Frühjahr gepflückt, 300 Tonnen jährlich mittlerweile, auf 160 Quadratkilo-metern Plantagen. Obwohl Grüner Tee in 19 chine-sischen Provinzen produziert wird, war der „Long-jing" für viele Generationen Chinesen gleichbedeu-tend mit Tee überhaupt. Lange Zeit beanspruchte der Kaiserhof die erste Ernte für sich, noch heute wird die beste Qualität an die Regierungsbeamten und Provinzstatthalter geliefert. Auch deswegen gibt es im fälschungsbegeisterten China mittlerweile etli¬che Kopien: Längst nicht überall, wo in China „Longjing" draufsteht, ist auch „Longjing" drin. Mrs. Pang hat der Tee nicht mehr losgelassen seit je¬nen Tagen an der Hand der Großmutter. Heute gilt sie als Autorität in allen Grüntee-Fragen, und ihr Teehaus im Amanfayun Village, einem Hotelprojekt der Aman-Gruppe, das in den alten Häusern eines verlassenen Teebauern-Dorfs untergebracht ist, gilt als Ziel für Kenner und Novizen.
An einem beliebigen Tag trifft man Mönche und Milliardäre bei ihr — drei oder vier Tassen lang macht der Tee sie alle gleich. Natürlich kann man die unterschiedlichsten Sorten bei Mrs. Pang probie¬ren. Vor allem aber kann man Geschichten hören. Die von den geheimen Teegärten zum Beispiel, an¬geblich tief versteckt in den Bergen, deren Lage seit Jahrhunderten nur wenige Eingeweihte kennen und die nur nach halsbrecherischen Märschen erreicht werden können. Die von den sieben Büschen, die schon seit über 1000 Jahren jeden Frühling frische Knospen hervorbringen. Und natürlich die von der schlimmen Dürre vor langer Zeit, als die Bauern von Long Jing verzweifelt vor ihren Feldern standen, auf denen die Teepflanzen verkümmerten. Die Mutigs-ten unter ihnen beschlossen damals, den mächtigen Drachen um Hilfe zu ersuchen, der in einem Brun¬nen in der Nähe des Dorfes wohnte. Ihre Bitte wur¬de erhört: Kurz darauf begann es zu regnen. Der Drache ist verschwunden, der Tee aber ist immer noch da. Der Brunnen übrigens auch.
Die Qualität eines Tees
Und was macht ihn so besonders, den Grünen Tee von den Bergen rund um das Dorf? Mrs. Pang beugt sich über ihre Schale, der Dampf beschlägt ihre Brillengläser. Eigentlich, sagt sie, sei Tee ja tatsäch¬lich gleich Tee — aber dann sei auch ein Weinstock immer nur ein Weinstock, oder? Sie lächelt. Sie denkt nach. Sie zählt auf: Auf den Boden komme es an, natürlich. Auf die Temperatur, die Niederschlä¬ge, die Sonnentage. Auf den Zeitpunkt der Ernte und darauf, dass die Knospen und Blätter gleich nach dem Pflücken verarbeitet würden. „Vor allem aber hängt die Qualität eines Tees davon ab, wie viel Liebe in ihm steckt." Niemals würde Mrs. Pang ihren Tee beim Händler kaufen. Und im Laden be¬stimmt auch nicht. Mrs. Pang will die Menschen kennen, die ihn erzeugen. Deswegen fährt sie mehr¬mals die Woche hinaus. Auf die Felder, die sie seit Kindheitstagen kennt.
Es ist Erntezeit, überall im Grün der Felder sieht man kleine Hüte oder Farbkleckse, die Gespräche der Pflückerinnen hängen wie Glockengeläut über der Stille der Hügel. Bis zu fünf Mal kann ein Tee¬busch im Laufe eines Jahres geerntet werden — die allererste Ernte aber liefert die besten Resultate: Bei ihr werden lediglich die beiden jüngsten,
noch ganz zarten Blätter gepflückt, und manchmal bloß die Knospen. Es
ist dieser sogenannte „First
Flush", für den der „Long¬jing" berühmt ist. „Nie hat man einen sol¬chen Geschmack


Die Teezeremonie, eine verwirrende Abfolge aus Einschenken, Umgießen, Schwenken und Abtropfen.
vernommen", schrieb der Tee-Philosoph Lu Yu über die lokale Teevariante. Das war immerhin schon in der Mitte des achten Jahrhunderts.
Ob man damals schon wusste, dass der Grüne Tee nun ganz schnell vom Feld ins Dorf muss? Wenn die Pflückerin ihren Korb in den Ort bringt, kommen die zarten Blätter und Knospen sofort in Trocken-maschinen, in denen ihnen die Feuchtigkeit entzo¬gen wird. Ist das passiert, wird der Tee mit der Hand gerollt. Dabei brechen die Blätter, Pflanzensaft und Sauerstoff treffen aufeinander, und jetzt würde ei¬gentlich jener Fermentierungsprozess einsetzen, der für Schwarzen Tee so wichtig ist. Grüner Tee aber ist unfermentiert. Deshalb muss er nun er¬hitzt werden. Sofort. Bei 200 Grad. In Pfannen.
Überall im Ort sitzen Männer vor diesen großen Metall¬schüsseln voller Tee¬blätter: vor den Haus¬türen, in Garagen, auf den Bürger¬steigen.
Die Blätter wer¬den mit der Hand sanft

auf dem heißen Metall bewegt, werden mit be¬stimmtem Druck gepresst, geschwenkt, in die Luft geworfen und erneut gegen den Pfannenboden ge¬drückt, unter dem ein offenes Feuer in einer Art Ofenschrank brennt. Das alles sieht spielerisch ein¬fach aus, ist aber harte Arbeit und hohe Kunst, ein exaktes Kombinieren von Temperatur, Bewegung, Zeit und Druck, etwas, das man erst in Jahren erlernt und nach Jahrzehnten beherrscht. Hier, in den akri¬bischen Bewegungen schlimm vernarbter Hände, im gradgenauen Steuern der Temperatur — hier liegt das Geheimnis des „Longjings". Und sein Erfolg.
Ein uraltes Ritual
Mrs. Pang kocht nicht einfach Tee und schenkt dann ein — sie zelebriert es. Die chinesische Tee¬zeremonie ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Eine verwirrende Abfolge aus Einschenken, Um¬gießen, Schwenken und Abtropfenlassen. Ein uraltes Ritual, bei dem es um Innehalten, Konzentration und Besinnen geht. Getrunken wird der Tee dann er¬staunlicherweise ganz normal, aus feinen Schalen oder winzigen Tassen. Die ersten Male schmeckt der „Longjing" eher unspektakulär: Frisch, aber nicht unbedingt aufregend. Nach ein paar Tassen aller¬dings scheint er Geschmacksnerven aus dem Tiefschlaf geweckt zu haben, die plötzlich gar nicht genug von ihm bekommen können. Drei oder vier Probierrunden später beschließt man, mindestens zwei Dosen dieses Tees mit nach Hause zu nehmen. Vielleicht ein paar mehr.
Mrs. Pang löscht das Licht: Feierabend. Tür und Fenster des Teehauses werden mit schweren Holz
laden verschlossen. Morgen früh will sie wieder hinaus, in den Nebel, in den Niesel. Will die Feuchte des Morgens riechen und den Tau auf der Haut spüren, wie damals. Und die Mönche in den sieben Klöstern werden ihre Mantras singen, und die Luft wird sich anfühlen wie feuchter Samt, und Mrs. Pang wird wissen, dass es ein guter Morgen sein wird. Für sie und Long Jing und den Tee, und für alle Menschen in China und auf der ganzen Welt

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