Samstag, 6. November 2010

John Maynard Keynes und Milton Friedman Author Selzer-McKenzie SelMcKenzie

John Maynard Keynes und Milton Friedman Author Selzer-McKenzie SelMcKenzie
Author D.Selzer-McKenzie
Video
http://www.youtube.com/watch?v=j77uuYdDO1Y

Krisen hatte es schon vorher gegeben. Aber im Oktober 1929 brach eine weltum¬spannende Depression aus, wie sie die Welt in Friedenszeiten noch nie erlebt hat¬te. Die Wirtschaft war aus den Fugen ge¬raten. Allein in Deutschland wurden mehr als 6 Millionen Arbeitslo¬se gezählt. Und ebenso schlimm wie die Tiefe der Depression war ihre bei¬spiellose Dauer. Den öko¬nomischen Lehrbüchern zufolge konnte es so etwas gar nicht geben. Die meisten Volkswirte glaubten fest daran, dass die Wirtschaft am besten sich selbst überlas¬sen werden sollte. Die Klassiker nahmen an, dass Löhne und Preise flexibel auf Schwankungen von Angebot und Nach¬frage reagieren und die Wirtschaft auto¬matisch zum Gleichgewicht zurückfinde. Eine sinkende Nachfrage, so glaubten die Klassiker, drücke die Preise. Das stei¬gere die reale Kaufkraft und stärke den Konsum — so komme alles ins Lot. Auch am Arbeitsmarkt könne es kein dauer¬haftes Ungleichgewicht geben: Sinke die Nachfrage nach Arbeitskräften, geben die Löhne nach, und bei niedrigen Löh¬nen stellten die Unternehmer mehr Leute ein, die Arbeitslosigkeit verschwinde.
Die Wirklichkeit sah anders aus in den 30er Jahren: Die Firmen reagierten auf den Einbruch der Nachfrage mit drastischen Produktionskürzungen und Entlassungen. Preise und Löhne sanken zwar, doch die Rückkehr zum Gleichgewicht blieb aus. Stattdessen sorgte die hohe Arbeitslosig¬keit für einen weiteren Rückgang der Nach¬frage. Mangels Konsum fuhren die Unter¬nehmen ihre Produktion noch weiter zurück — die Abwärtsspirale beschleunigte sich. Die klassischen Ökonomen waren diskre-ditiert: Das Theorem der Markträumung funktionierte nicht. Nach dem „Say'schen Gesetz", benannt nach dem Franzosen Jean-Baptiste Say, sollte sich das Angebot stets genügend Nachfrage schaffen.
Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung. John Maynard Keynes fand eine Antwort auf die Frage, warum es Situationen gibt, in denen die Selbstheilung misslingt. Kurz gesagt, lautet seine Analyse: Der Wirt¬schaftsakteur ist ein Mensch, der unter

Unsicherheit entscheiden muss. Keynes war— und das wird heute gern vergessen — in erster Linie ein Ökonom der Ungewiss¬heit. Individuen, so lehrte er, orientieren sich aufgrund ihrer Unsicherheit häufig an den Handlungen ihrer Mitmenschen. Da
raus resultiere ein Herden
es handelt trieb, der im Boom zu über
sch aus triebenem Optimismus und
eit heraus." in der Krise zu übertriebe
nem Pessimismus führe. In Zeiten der Not fahren private Investoren aus Angst vor der Zukunft ihre Investitio¬nen zurück—und zwar unabhängig davon, wie stark die Löhne sinken. Es komme zu einem Gleichgewicht bei Unterbeschäfti-gung, aus dem die Wirtschaft aus eigener Kraft nicht mehr herausfinde.
Ineffizienz der Geldpolitik ... Die Men¬schen, so erklärt Keynes in seinem Hauptwerk „Allgemeine Theorie der Be¬schäftigung, des Zinses und des Gel¬des", halten einen Teil ihres Vermögens stets liquide in ihren Kassen. Diese „Li-quiditätspräferenz" könne in schlechten Zeiten so groß werden, dass sie die Kon¬junktur abwürge. Wenn selbst ein Zins¬satz von null aufgrund pessimistischer Erwartungen die Investoren nicht zum Investieren und die Konsumenten nicht zum Konsumieren anregen könne, dann stecke die Wirtschaft in einer „Liquiditäts-falle". Weil niemand mehr langfristig Geld verleihen wolle, sondern das Ersparte lie¬ber kurzfristig parke, brechen Konsum und Investitionen zusammen. In einer sol¬chen Situation versage die Geldpolitik.
... und Notwendigkeit der Fiskalpoli-tik. In einer derartigen Lage sei der Staat gefragt, argumentierte Keynes. Er müsse durch umfangreiche Ausgabenprogram¬me selbst für Nachfrage sorgen und da¬für eben Schulden machen. Nur so lasse sich ein dramatischer Einbruch der Kon¬junktur verhindern. Die Konjunkturpro¬gramme kommen Staat und Gesellschaft am Ende billiger als der Absturz in die De¬pression mit all seinen fatalen Folgen für Unternehmen, Haushalte und den Staat. Die Politiker können der Wirtschaft in der Krise also helfen, glaubte Keynes. Und das sei besser, als nichts zu tun.

Zu Keynes' Zeiten war dieser Ansatz höchst umstritten. Statt die Wirtschaft an¬zukurbeln, hatte US-Präsident Herbert C. Hoover, der zwischen 1929 und 1933 re¬gierte, die Staatsausgaben gekürzt und reihenweise Banken pleitegehen las¬sen. Heute sind sich Ökonomen einig, dass diese Politik den fatalen Absturz in die Große Depression beschleunigt hat. Hoovers Nachfolger Franklin D. Roose¬velt, der von 1933 bis 1945 an der Macht war, riss schließlich das Ruder herum.
Er sorgte für staatliche Arbeitsbeschaf¬fungsmaßnahmen, die er mit Schulden finanzierte. Unter dem Schlagwort „New Deal" wurden massive staatliche Inves-titionsprogramme gefahren, um die Bin¬nenkonjunktur zu stärken. Gleichzeitig wurden Sozialversicherungssysteme ein-geführt, die Arbeitszeit reduziert und das Steuersystem reformiert. Das half — und es machte John Maynard Keynes zu so etwas wie einen Popstar der Öko¬nomie. Seine Lehren ha¬ben bis heute Bestand. Und so ist es auch im Zuge der jüngsten Finanzkrise üblich geworden, sich auf Keynes' Ideen zurückzubesinnen.
Das Scheitern des Keynesianismus in den 70er Jahren. Keynes wünschte sich zwar eine aktive Rolle des Staates in Wirt¬schaftskrisen, er trat aber keineswegs da¬für ein, die Marktwirtschaft durch staatli¬che Lenkung zu ersetzen. Der Staat sollte nur gelegentlich sein wirtschaftliches Ge¬wicht gezielt einsetzen, aber keinesfalls dauerhaft die Wirtschaft mit Investitionen auf Pump stimulieren.
In den 60er und 70er Jahren ha-ben allerdings „Bastard-Keynesianer", wie die britische Ökonomin Joan Robin¬son sie nannte, Keynes' Ideen perver¬tiert. Die Politik nutzte seine Lehre, um die eigenen Aufgaben auszudehnen. Ein Machbarkeitswahn beherrschte die Regierungen, die glaubten, mithilfe der Globalsteuerung die Wirtschaft lenken zu können wie ein Ingenieur ein Auto. Sie glaubten, mit Instrumenten wie Zinssen¬kungen oder höheren Staatsausgaben ließen sich alle konjunkturellen Probleme lösen — es war ein Irrtum. Statt nur in der Krise der Not leidenden Wirtschaft ret¬tend beizuspringen und im Aufschwung die Schulden wieder abzubauen, wur¬de permanent Gas gegeben. Auf den Ölpreisschock im Jahr 1973 reagierten die Regierungen mit steigenden Staats¬ausgaben. Die Folge waren eine aus¬ufernde öffentliche Verschuldung, hohe Inflationsraten sowie eine steigende Ar¬beitslosigkeit in den späten 70er Jahren. In den 80er Jahren wuchs die Skepsis gegenüber diesem politischen Kurs: Es formierte sich in der Wissenschaft eine Gegenbewegung, die die praktische Wirtschaftspolitik scharf kritisierte — und Keynes in Misskredit brachte. Moneta¬risten und neoliberale Angebotsökono¬men setzten sich durch.
Milton Friedman oder der Rückzug des Staates aus der Wirtschaft. Die Anhänger der „Chicago School" um Milton Fried¬man befürworteten einen weitgehenden Rückzug des Staates aus der Wirt¬schaft. Friedman war neben Keynes einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts — und einer der umstrittens¬ten. Der wirtschaftsliberale Nobelpreisträ¬ger beriet Präsidenten und Regierungen. Ronald Reagan im Weißen Haus und Mar¬garet Thatcher in der Downing Street rich¬teten ihre Politik an seinen Lehren aus.
Friedman führte einen Kreuzzug ge¬gen Keynes. Seine These: Wenn eine Re¬gierung die Konjunktur stärken will, dann soll sie nicht die Staatsausgaben erhö¬hen, sondern die Geldmenge ausweiten. Nur so könne die Politik für Wachstum sorgen. Wollen Politiker nämlich mehr Geld ausgeben, müssen sie entweder die Steuern erhöhen oder mehr Schul¬den machen. Fordern sie von den Steu¬ erzahlern einen höheren Tribut, mache dies die Wirkung höherer Staatsausga¬ben sofort zunichte. Lebe der Staat auf Pump, besorge er sich also am Kapital¬markt Geld, verdränge er dort die priva¬ten Kreditnehmer und verhindere somit Investitionen. Außerdem seien die Bür¬ger schlau: Sie wüssten, dass höheren Schulden heute zwangsläufig höhere Steuern morgen folgen; schließlich müs¬se das geliehene Geld mit Zins und Zin-seszins zurückgezahlt werden.
Fiskalpolitik ist in Friedmans Augen also ein sinnloses Unterfangen. Der Ökonom plädierte stattdessen für eine strenge, am Wachstum der Geldmen¬ge orientierte Geldpolitik und den Rück-zug des Staates aus der Wirtschaft. Die Selbstheilungskräfte des Marktes sei¬en am ehesten dafür geeignet, ein ge¬samtwirtschaftliches Optimum herbei¬zuführen.

Weitere staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sollten tunlichst unterbleiben. Die Regie¬rungen, die von Friedman beraten wurden, allen voran die von Reagan und Thatcher, zogen daraus folgenreiche Konsequen¬zen: Sie bauten den Sozialstaat ab, senk¬ten die Steuern, privatisierten Staatsbe¬triebe. Friedman selbst hatte noch weiter¬gehende Privatisierungsvorstellungen: Er verdammte die staatliche Rentenversiche¬rung, wollte die Schulpflicht abschaffen, Drogen und Abtreibungen legalisieren —je¬der Eingriff des Staates in die Privatsphäre der Bürger war ihm ein Graus.
Das Pendel schlägt zurück. Nach dem Platzen der Technologieaktienblase an den Finanzmärkten und der Banken- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre dürfte der Einfluss Friedmans schwinden. Der Grund: Trotz der Geldmengensteue¬rung kam es zum Schlimmsten, weil die Kredit- und Finanzmärkte bei den Moneta¬risten keine Rolle spielen; sie waren ja stets davon überzeugt, dass die Menschen klar erkennen, was die Notenbanken im Schil¬de führen — und deren Politik entsprechend neutralisieren. Wie sich gezeigt hat, ließen sie sich doch täuschen: Die Geldpolitik der vergangenen Jahre war über weite Stre¬cken expansiv. Das kümmerte niemanden, solange die Inflationsraten — dank Globa-lisierungsgewinnen in der westlichen Welt — niedrig blieben. Was dagegen zeitweise horrende Ausmaße annahm, war die Infla¬tion der Asset-Preise: Aktien, Rohstoffe, Immobilien hoben ab — und ihre Besitzer glaubten tatsächlich, sie würden reicher. Dies hat sich als Illusion erwiesen. Nun erfolgt eine Rückbesinnung auf Keynes, den großen Ökonomen der Unsicherheit. Das Pendel schlägt zurück: Wo sich vorher der Staat zurückzog, macht er sich wieder breit. Die öffentlichen Schulden wachsen weiter, und die Geldpolitik ist unverdros¬sen expansiv. Eine neue ökonomische Leh¬re muss erst noch gefunden werden, die versucht, die Defizite der alten Theorie zu reparieren. Wahrscheinlich ist, dass eine einseitige Ausrichtung der Geldpolitik auf die Geldmenge oder die Verbraucherprei¬se abgelöst wird von einer Politik, in der auch die Kredit- und Asset-Märkte eine Rolle spielen.

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