Donnerstag, 22. Dezember 2011

Das Kybernetische System SelMcKenzie Selzer-McKenzie


Das Kybernetische System  SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Author D.Selzer-Mckenzie

Dass Kybernetik als Theorie der steuerbaren Kommunikation und Information nun oftmals unter anderen
Namen firmiert, sich ausdifferenziert und erweitert hat, und in vermeintlich neuen Disziplinen
aufgegangen ist, ändert wenig an ihrer programmatischen Präsenz in Form der fortwährenden Wirksamkeit
von paradigmatischen und präskriptiven Konzepten wie »System«, »Kontrolle«, »Vorhersage
«, »Rückkoppelung«, »Programmierbarkeit«, »Information«, »Operator« und »Beobachter« sowie
der Perspektive der statistischen Betrachtung, der funktionalen Symbolisierung und der zweckgerichteten
systemischen Steuerung und Organisation. Vielleicht gerade deshalb vermag es die Kybernetik in
ihrer unbenannten Existenz (s. etwa von Foerster) als nach-industrielles Modell einer universalen
(Manipulations-)Wissenschaft im klassischen Sinne fort zu wirken.
Kybernetik tritt von Anfang an – im Gegensatz zu vielen anderen zu Disziplinarität strebenden Technik-
Forschungsprogrammen – sowohl als praktische (Ingenieur-)Wissenschaft wie auch als „experimentelle
Epistemologie“ (McCulloch) auf: sie ist ontologische Setzung und konzeptuale Erkenntnisweise
in Einem. Ihre fundamentale Bedeutung bekommt sie vor dem Hintergrund der Informatisierung
gesellschaftlicher und kultureller Umwelten (McLuhan) und der auf die »industriellen Revolution«
folgenden »Control Revolution« (Beniger). Letztere widmet sich – vor dem Hintergrund technisierter,
kapitalistischer Gesellschaft – der handlungsbestimmenden „Erkenntnistheorie der 'beherrschten' Ungenauigkeit“
(Dotzler). Hier tritt die Kybernetik als Alternative zu einem starken Determinismus und
rein mechanischen Modellen von Kausalität und Technologie auf, wobei sie Dynamik und Adaption
durch Regelung und Feedbackmechanismen zu handhaben versucht. Mit dem erweiterten und universalisierten
Konzept der Programmierung wird ein Steuerungsbegriff eingesetzt (implementiert) der in
verschiedenen Formen menschliche Kontrollformen ausweitet und mittelbare, auf das technische System
übertragene Formen der Vorhersage erlaubt. Die entstehende Flexibilität, die als technologische
Viabilität erscheint, erfordert es aber, die nach wie vor aktuelle Frage nach der Kontrolle der Maschinen
durch den Menschen nunmehr als Frage nach der direkten und indirekten Kontrollierbarkeit von
Menschen oder sozialen Systemen durch technische Systeme, seien sie maschineller und/oder symbolischer
Art, zu verstehen. Oder anders gesprochen: Die entstehende technologische Viabilität erlaubt
die verführerische Illusion, soziale und biologische „Systeme“ seien als eben solche in die Sphäre des
Technischen – im erweiterten kybernetischen Sinne – zu inkorporieren. Dass dies jedoch ohne die
ausreichende (biologische, kulturelle, soziale) Konfiguration sozio-biologischer Systeme durch die
Vorentscheidungen prinzipiell technischer Systeme nicht möglich ist, dokumentieren die Untersuchungen
der science and technology studies oder auch der Cyborg-Diskurs.

Mindestens drei verschränkte Momente markieren jedoch die systemischen Grenzen des kybernetischen
Paradigmas, auch in seiner erweiterten Form (– etwa der »dynamischen Systemsteuerung«):
1. Komplexität des Realen als Grenze technischer Systeme
Es zeigt sich, dass die Komplexität natürlicher und anthropologischer Räume den technischen Systemen
aufgrund ihrer Endlichkeit Grenzen auferlegt. Die Computersimulation als komplexe Repräsentation
realweltlicher Systeme zur Prognose, Steuerung und Kontrolle derselben bewegt sich im Dilemma
idealisierender Vereinfachung und effektiv nicht mehr berechenbarer Komplexität. Die Parametrisierung
immer weiter reichender Umweltinformationen und -prozesse treibt die Entwicklung technischer
Systeme vor sich her und jagt dabei der Beherrschbarkeit realweltlicher und sozialer Systeme und
damit ihrer Kontrollierbarkeit hinterher. Komplexität fordert darüber hinaus von den technischen Systemen
den Tribut heuristischer und approximativer Einschränkungen, die der methodischen Transformation
unendlicher Operationen in endlich ausführbare Prozesse geschuldet sind und sich als inhärente
Limitierungen erweisen.
2. Das „Human System“ als Nicht-System: Der kybernetische Fehlschluss
Technik affine Konzepte wie "Künstliche Intelligenz" aber auch die „Mensch-Maschine Symbiose“
sind Folgen des Fehlschlusses, die sozio-biologischen und auch kulturellen „Systeme“ hätten sich den
technischen anzupassen. Die Anpassungsleistung basiert dabei auf der inhärenten Maschinenlogik:
Solange kybernetische Systeme auf negativen Rückkopplungsschleifen rekurrieren, gibt letztlich das
technische System das Verhaltensmuster und seine Variationsbreite vor: es verlangt von menschlichen
Akteuren und Kontexten - dem „human system“, welches dieser Art dem „tool system“ gegenübersteht
– eine konzeptuelle Schließung des anthropologischen Raums oder – mit McLuhan gesprochen –
eine »Amputation« im Angesicht der inkorporierten menschlichen Vielfältigkeit.
Der Fehlschluss der Kybernetik mag nicht verwundern, analysiert man ihre Ur-Situation: Norbert
Wieners Bemühungen der Konstruktion von Flugabwehrrakten in den 1940er Jahren am MIT. Im Sinne
der „Ontologie des Feindes“ gilt es die ungenaue Vorhersagbarkeit des Verhaltens des menschlichen
Anderen durch Steuerung, Regelung, Rückkopplung und Prognose beherrschbar zu machen (Galison).
Indem Wiener den Anderen als Servomechanismus konzipiert, wird dessen Reaktion von der
Maschine in gewissem Maße kontrollierbar. Diese Ur-Situation der Kybernetik inhibiert zwei grundlegende
Charakteristika, deren Problematiken sich bis heute schmerzlich durchziehen. Einerseits wird
eine Interaktion zwischen Mensch (feindlicher Pilot) und Maschine (Abwehrrakete) hergestellt, die
vom Anderen (feindlicher Pilot) sicherlich nicht erwünscht ist, d.h. der „Kybernetes“ fragt nicht nach
der Einwilligung seines Gegenübers - letztlich auch nicht nach der des Operators bzw. Users, der
längst nicht mehr Feind ist oder sein sollte. Andererseits gerät der Andere - stellvertretend für die
Systemexterne Umwelt - lediglich zum Unsicherheitsfaktor innerhalb einer physikalischen Maschine
(Flugzeug), deren reduzierter Logik er bereits unterworfen ist. D.h. bei der Mensch-Maschine-
Interaktion handelt es sich tatsächlich um eine „Mensch-in-Maschine“-Maschine-Interaktion, bei der
der Mensch als in die Maschine inkorporiert konzipiert ist. Damit mutiert diese "Interaktion" zu einer
präskriptiven Kontext-Vorschrift. Beide Charakteristika – unhinterfragte Einwilligung der User und
stillschweigende Voraussetzung ihrer maschinellen Inkorporierbarkeit in das „tool system“ - ziehen
sich bis heute durch die Programmierung technischer Systeme und das Design von Mensch-Maschine-
Schnittstellen.
Diese Sicht einer den Menschen subsummierenden Mensch-Maschine-Interaktion ist jedoch nicht
alternativlos: denkbar wäre etwa eine Logik des positiven Feedbacks, welche Lernerfahrung, Revision
und Rekonzeptualisierung - also die Möglichkeiten kollektiver kognitiver Reflexion – in die Mensch-
Maschine-Interaktion als nicht-objektivierbare bzw. nicht-programmierbare Momente zu integrieren in
der Lage ist (vgl. etwa Douglas Engelbarts Projekt der intelligence augmentation, das sich explizit
gegen das euphemistische Bild einer "Symbiose" wendet).
3. Systeme als Artefakte und der „Implementation Bias“
Während Kybernetik im Rahmen einer präskriptiven und funktionalen Ontologie die Differenz zwischen
lebendigem, sozialem und kulturellem „System“ einerseits und technischem System andererseits
nivelliert und so das Informationsparadigma naturalisiert, generiert sie selbst artifizielle Produkte, die
sich - aus dem kybernetischen Verständnis heraus - als quasi-naturalistische Objekte in die Welt rückübersetzen.
Mit der Verankerung im (technischen) System-Konzept und dem damit implizierten
Rückverweis auf das Konzeptsystem der Konstrukteure partizipieren sie aber weiterhin sowohl am
„mechanistic bias“ (im fortgeführten Sinne einer statistischen Mechanik, s. Heims), wie darüber hinaus
auch an einem „implementation bias“ (Feenberg). Beides führt dazu, dass sie nicht die Eigenwilligkeit
und Überdetermination menschlicher und anderer lebendiger Kontexte erfassen kann. Hinzu
kommt eine instrumentelle Assymetrie, die sich in die kybernetischen System einschreibt: diese entsteht
dort, wo die dem System externen, also „vorgeschalteten" Konstrukteure oder "Beobachter" in
einem unterbrochenen Kontinuum auf systematische Weise nicht-identisch bleiben mit den durch die
implementierten Repräsentationen und Funktionen des Systems konstruierten Usern (oder den ontologischen
Räumen der parametrisierten Objekte).
Alle drei Motive ziehen sich bis heute durch die Travestien der Kybernetik wie ein roter Faden und
verraten ihre technozentristische Einseitigkeit und Reduzierung, die vom Anderen – dem Menschen
oder der Umwelt – die bedingungslose Bereitschaft zur Einbindung und Konfiguration voraussetzt, so
als ob er sich in einer kybernetischen Maschine befände oder noch besser so als ob er eine Maschine
sei. Demgegenüber müssten technische Mittel komplementär zu ihrer immanenten Logik und ihrer
"primären Instrumentalität" aus der Perspektive einer reflexiven, und in einem gewissen Sinne distan
zierten Theorie der Artefaktordnungen und ihrer (offenen) Gebrauchskontexte beschrieben werden.
Nach Jahrzehnten oft qualvoller Anpassung an die Maschinen erobern sich die sozio-biologischen
“Systeme“ neue Freiräume in den techno-kulturellen Umwelten. Die Komplexität technischer Systeme
und ihre Vernetzung in immer schneller wuchernde Plug-in-Netzwerke beispielsweise öffnen die technischen
Systeme in zweifacher Weise. Zum einen strukturell durch die Öffnung der Schnittstellen,
zum anderen durch die Einbindung von mehr und mehr Usern. Solche Systeme provozieren die Frage
nach ihrer Kontrollierbarkeit, die aktuell wohl nur als Abschaltbarkeit der Systeme oder aber als kollektive
Rekonfiguration des technischen Systems realisierbar ist, in der es keine privilegierten/
abgesonderten Konstrukteure/Beobachter geben kann. In wieweit sich diese Systeme mit erweiterten
kybernetischen Konzepten fassen lassen oder ob das Paradigma der Kybernetik (und seine zentralen
Topoi) hier nicht ein endgültiges Ende finden muß, gilt es zu diskutieren.

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