Samstag, 20. Juni 2015

Unser Universum


Unser Universum

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/QfzCZhbNNUQ

Unser Universum

ist nicht das einzige

Wir sind nicht das Zentrum im All — diese Erkenntnis erschütterte einst unser Weltbild. Jetzt bahnt sich die größte aller gedanklichen Revolutionen an: Das Weltall könnte nur ein winziger Teil eines gigantischen Multiversums sein.

VIELE HORIZONTERWEITERUNGEN

Diese abenteuerlichen Hypothesen ste-hen in einer langen Tradition astrono-mischer Horizonterweiterungen. Einst dachte man, dass die Erde das Zentrum des Alls sei, umschlossen von einer Kristallsphäre, an der wie Lampions die Sterne hängen. Inzwischen hat sich das Weltbild radikal gewandelt. Die Erde kreist um einen durchschnittlichen Stern am Rand eines galaktischen Spi-ralarms, als ein Planet unter Abermilli-arden - und das bei Abermilliarden von Sternen in Abermilliarden von Gala¬xien. Einen Mittelpunkt hat der - womöglich unendlich große ¬Weltraum auch nicht. Dass

selbst unser Universum nichts Besonderes und Einmaliges

ist, erscheint da als eine logische Fortsetzung. Brian Greene von der Columbia University sprach kürzlich vom „Superkopernikanischen Prinzip": Wie die Erde hat auch das Universum keine Sonderstel¬lung, sondern ist lediglich Teil eines „Multiversums".

„Gut begründete Ideen, dass die phy-sikalische Realität sehr viel größer ist als die menschliche Wahrnehmung von ihr und dass der beobachtbare Teil nicht re-präsentativ für das Ganze ist, gibt es auf vielen Ebenen", schlägt Frank Wilczek

 

vom Massachusetts Institute of Tech-nology in dieselbe Kerbe. Er erhielt 2004 den Physik-Nobelpreis für seine Arbei¬ten zur Quantenfeldtheorie der Starken Wechselwirkung. „Es könnte sein, dass die Naturgesetze, mit denen wir das be-obachtbare Universum erfolgreich be-schreiben, am natürlichsten in einem größeren Rahmen formuliert werden müssen, der unbeobachtbare Bereiche einschließt." Dafür argumentiert er in einem mit „Multiversality" betitelten Fachartikel, der demnächst in der Zeit-schrift Classical and Quantum Gravity er¬scheint. Darin stellt er die Frage: „Gibt es Aspekte des Universums, die durch die Multiversalität erklärt werden kön¬nen, aber nicht auf andere Weise?" Und er nennt mehrere gewichtige Gründe, warum die Antwort „Ja" lauten muss.

Andere renommierte Kosmologen und Physiker wie Alan Guth, Alexander

Multiple Multiversen

Wann der Begriff „Multiversum" erst-mals verwendet wurde, ist unbekannt. Er findet sich, mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen, bereits in den Schriften der Philosophen William James (1842 bis 1910), Heinrich Rickert (1863 bis 1936) und Ernst Bloch (1885 bis 1977), aber natürlich ohne den ge-genwärtigen physikalisch-kosmologi-schen Bezug.

Wichtig wurde der Begriff zunächst in der Quantenphysik, in der Debatte um die Many-Worlds-Interpretation. Sie postuliert die Existenz vieler sich über-lagernder Quantenwelten. So verstand Andy Nimmo von der British Interpla-netary Society 1960 unter „Multiver-sum" einen „Zweig" der Wellenfunk¬tion des als einzigartig betrachteten Universums, also eine einzelne Welt unter vielen Welten. Seine Definition hat sich nicht durchgesetzt.

Quantenphysiker und Kosmologen verwenden „Multiversum" genau im umgekehrten Sinn — als Sammel¬namen für alle diese Welten. „In den 1970er-Jahren wurde der Begriff häufig und informell bei der Diskussion der Viele-Welten-Interpretation benutzt", erinnert sich David Deutsch von der Oxford University, einer der prominen¬testen Vertreter dieser Sicht. „Als ich 1977 über die Many Worlds zu forschen begann, habe ich ihn einfach in mei-nen Artikeln übernommen." Tatsäch¬lich hat der britische Science-Fiction-Autor Michael Moorcock ab 1962 in seinen „Eternal Champion"-Kurz-

 

Vilenkin, Andrei Linde, Leonard Suss-kind, der Königliche Astronom Sir Mar-tin Rees (Baron Rees of Ludlow) und der Physik-Nobelpreisträger Steven Wein¬berg haben in den vergangenen Jahren ebenfalls scharfsinnig dafür argumen¬tiert, die Existenz anderer Universen ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Aber es regt sich auch vehementer Widerspruch von nicht minder pro-minenter Seite. „Es handelt sich eher um ein vages Konzept als um eine defi-nierte Theorie", kritisiert George Ellis von der Universität Kapstadt, wie sein

geschichten und später im Roman „The Blood-Red Garne" in dieser Be¬deutung vom „Multiversum" geschrie¬ben. „Von Moorcocks Büchern erfuhr ich allerdings erst später und las sie mit Vergnügen", dementiert Deutsch anderslautende Berichte.

In den 198oer- und 199oer-Jahren übernahmen auch Kosmologen all-mählich das Wort. Denn sie begannen mehr und mehr über andere Universen zu spekulieren. Das geschah vor allem im Zusammenhang mit dem Szenario der Kosmischen Inflation und unab-hängig von (manchmal auch in Kom-bination mit) der Vielzahl der Quanten-welten. In den z000er-Jahren etablier¬te sich der Begriff vollends in der Fach-literatur. Allein in den letzten fünf Jah-ren sind über iso wissenschaftliche Artikel mit „Multiversum" im Titel oder in der Zusammenfassung erschienen.

 

früherer Kollege Stephen Hawking seit Jahrzehnten ein bedeutender Kosmolo-ge. Er wirft den Multiversum-Anhän-gern vor, dass sie „stillschweigend die Bedeutung von Wissenschaft neu defi¬nieren".

Und der Physik-Nobelpreisträger Ro¬bert B. Laughlin schimpft: „Wie kann es passieren, dass Leute dafür bezahlt wer¬den, über Dinge zu sprechen, die nie ge-

         messen werden können und vermutlich nicht wahr sind?" Der Festkörperphysi-ker verkündet damit auch den „Ab¬schied von der Weltformel".

HALTLOSE SPEKULATIONEN?

Ellis, Laughlin & Co. bemängeln, dass mit Multiversen-Szenarien prinzipiell unüberprüfbare Behauptungen in die Welt gesetzt würden. Mit harter Wissen¬schaft habe das nichts zu tun. Vorhersa¬gen wären unmöglich, der Beliebigkeit sei Tür und Tor geöffnet, und das Er¬folgsrezept der strengen Maximen der Forschung würde unterlaufen.

Die Multiversum-Anhänger erwidern, dass es sich keineswegs um haltlose Spe¬kulationen handele, sondern um Konse¬quenzen bestätigter Theorien oder zu¬mindest gut begründeter Szenarien. Die Multiversum-Hypothese könne ansons¬ten völlig unverständliche Eigenschaf¬ten unseres Universums erklären, teils sehr wohl getestet werden und sei ein seriöser Zweig der Wissenschaft.

Was ist ein Universum?

 

DER BEGRIFF „MULTIVERSUM" leitet sich von „Universum" ab, worin das lateini-sche Wort „unus" für „ein Einziger" steht, und vervielfacht dieses im Wort-anfang, denn „multus" bedeutet „viel, zahlreich". Es bezeichnet die in der ak-tuellen Kosmologie so beliebte wie um-strittene Hypothese, dass eine Vielzahl von Universen existiert. Zuweilen wird „Multiversum" synonym mit „Megaver-sum", „Metaversum", „Omniversum", „Ultraversum" oder „Welt-Ensemble" verwendet.

Die Probleme und Konfusionen be-ginnen schon mit der Terminologie. Denn es werden mindestens sechs ver-schiedene, sich teilweise überlappende Tg Begriffe gebraucht. Mit „Universum" kann gemeint sein:

g, (1) alles, was (physikalisch) existiert - irgendwann und irgendwo,

(2)      die beobachtbare Region des Alls,

(3)      die beobachtbare Region des Alls und alles, was mit ihr in kausaler Wechsel¬' wirkung stand oder einmal stehen wird,

(4)      jedes physikalische System, das uni¬-ä versell groß werden könnte, selbst wenn

 

es in sich zusammenstürzt, solange es noch klein ist,

(5)      ein Zweig der quantenphysikali¬schen Wellenfunktion (falls diese nie kollabiert) - das heißt, eine von ver¬schiedenen Historien oder verschiede¬nen Welten in Superposition (siehe Kas¬ten S. 51, „Viele Quantenwelten"),

(6)      vollständig getrennte physikalische Systeme.

Gemäß (1) gibt es lediglich ein ein-ziges Universum, aber das löst das Pro-blem selbstverständlich nicht. Begriffe wandeln sich mit dem wissenschaftli-chen Fortschritt - so hat zum Beispiel das „Atom" (von griechisch „atomos", un-teilbar) heute seine ursprüngliche Be-deutung verloren. Die Kosmologen be-zeichnen aktuell mit Multiversum in der Regel die Menge der Universen im Sinn von (2), (3) oder (4), wobei (5) jeweils hinzukommen kann, wenn man diese Interpretation der Quantenphysik teilt -was viele Quantenkosmologen wie Stephen Hawking tun. (6) ist die radi-kalste Auffassung und im Augenblick eher im Reich der Metaphysik angesie-

 

delt. Wäre (6) richtig, könnte es sogar komplett isolierte Multiversen geben, sodass man noch einen umfassenderen Begriff für ihre Gesamtheit bräuchte. Vorschläge gibt es bereits: Omniversum oder Kosmos.

BEGRENZTE FROSCHPERSPEKTIVE

Dass es theoretisch eine Fülle von Uni-versen gibt, ist unumstritten - jede Lösung der Feldgleichungen der All-gemeinen Relativitätstheorie beschreibt bereits ein eigenes kosmologisches Mo-dell. Doch welche dieser Modelle sind physikalisch gesehen Realität? Oder hat womöglich der Kosmologe Max Teg-mark vom Massachusetts Institute of Technology recht, wenn er meint, dass alle mathematischen Strukturen real sind und wir aus unserer Froschper¬spektive nur eine einzige wahrnehmen können, die wir hochtrabend „Univer¬sum" nennen?

Fest steht, dass Kosmologen mehr brauchen als ein paar komplizierte Glei-chungen. Gesucht ist eine Theorie, die die Entstehung und physikalische Ein-

bettung vieler Universen erklären und zwingend erschließen lassen kann. Mehrere solcher Ansätze haben sich in den letzten Jahren herausgeschält. Das geschah zum Teil gleichsam unter der Hand der Forscher und sogar entgegen ihren Absichten und Erwartungen. Heu¬te hat es fast den Anschein, sie könnten

 

die Zahnpasta nicht mehr in die Tube ihrer weltumspannenden Theorien zu-rückbefördern, selbst wenn sie es woll-ten. Der multiversale Geist ist gleichsam aus der Flasche und spukt jetzt überall herum.

Gegenwärtig sind es vor allem drei Szenarien, die sich als „Universen-

 

Schleudern" erwiesen haben. Jedes be-dingt für sich die Existenz eines Multi-versums, und sie schließen einander nicht aus. Begonnen hat diese schwin-delerregende Entwicklung mit einer Idee, die inzwischen als Standarderwei-terung der Urknall-Theorie gilt: der Kos¬mischen Inflation.

Was ist die Kosmische Inflation?

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DER URKNALL gilt als erwiesene Tatsa-che, denn die kosmologische Standard-theorie, in cl.ren Zentrum er steht, wur-de inzwischen exzellent bestätigt (bild der wissenschaft 11/2009, „Der Ur-knall"). Doch sie lässt auch viele Fragen offen. So bleibt unklar, was den Urknall auslöste, woher die Elementarteilchen kamen und wodurch der Weltraum so groß wurde.

Eigentlich handelt die Urknall-Theo-rie gar nicht vom Urknall selbst, son-dern von seinen Folgen. Ob mit dem Urknall Raum und Zeit erst entstanden sind, wird nicht erklärt. Diese Frage kann, wenn überhaupt, erst mit einer Theorie der Quantengravitation beant-wortet werden, die die Quantenfeld-theorien mit der Allgemeinen Relati-vitätstheorie verknüpft (siehe Grafik rechts „Weg zur Weltformel").

 

soll damit fast alles aus fast nichts er-zeugt haben - und das ohne den Satz von der Erhaltung der Energie zu verlet-zen, also quasi kostenlos.

Durch die Kosmische Inflation hat sich der Weltraum in einem Sekunden-

Allgemeine

Relativitätstheorie

Quantengravitation

Viele Durchbrüche in der Physik beruhen auf einer einheitlichen Beschreibung unterschiedlicher Phänomene und einer Vereinigung separater Hypothesen, Ge¬setze oder Theorien in einer umfassen¬deren Theorie. Diese Arbeit, die Isaac Newton mit seiner Gravitationstheorie begonnen hat, ist noch nicht vollendet. Denn eine zusammenhängende Theorie

 

bruchteil gigantisch aufgebläht. Wie lange diese rasante Ausdehnung währ-te, ist von Modell zu Modell verschie-den. Ein populärer Wert: In 10-3° Sekun¬den expandierte das junge All um das 1030-Fache - das ist so, als würde sich von Raum und Zeit sowie aller Kräfte und Materieformen fehlt bislang. Kan¬didaten für eine solche „Weltformel", die auch die Quantentheorie und Allge¬meine Relativitätstheorie im Rahmen einer Theorie der Quantengravitation verbindet, sind die String- oder M-Theo¬rie sowie die Schleifen-Quantengravita¬tion. Brisant ist: Sie legen die Existenz anderer Universen nahe oder können zumindest entsprechende kosmologi¬sche Modelle so erklären.

ein Zentimeter große Münze auf s Zehnmillionenfache der Milchstra-aufblähen. Fest steht, dass sich die -Se des Alls durch die Inflation min-lens SO Mal verdoppelt hat, denn st hätte das All heute nicht die _enschaften, die die astronomischen bachtungen zeigen - beispielsweise großräumige Gleichförmigkeit sei-Materieverteilung und die „flache" metrie.

Jbwohl die Inflation also auf den ers-Blick gleich zwei Naturgesetze zu :zen scheint, ist das nicht der Fall: Prinzip von der Erhaltung der verbietet die Entstehung von aus dem Nichts. Doch es gibt ein floch: die negative Energie. Dazu die Energie des Gravitationsfelds. int mehr positive Energie - und

         E = mc2 somit Masse -, wenn umbereich sich mit konstanter ausdehnt, dann bildet sich zu-mehr negative Energie im Gravi-_sfeld, das diese Region ausfüllt. - ergien der Schwerkraft und Mas-hen einander gerade aus, die Ge-ergie bleibt also erhalten. Dies it nicht bei der normalen Aus-des Universums, weil hier die der Materieenergie geringer phl aber bei der inflationären

 

Expansion, weil die Energiedichte in diesem Zustand konstant bleibt.

         Gemäß der Relativitätstheorie kann sich nichts schneller als mit Licht-geschwindigkeit bewegen. Aber dies gilt nur für gewöhnliche Teilchen im Raum. Bei der Inflation ist es der Raum selbst, der sich überlichtschnell ausdehnt. Und das lässt sich mit der Allgemeinen Rela-tivitätstheorie nicht nur vereinbaren, sondern auch erklären.

DER ZERFALL DES FALSCHEN VAKUUMS Was genau die Inflation antrieb - und wieder stoppte -, ist bis heute unklar. Der Einfachheit halber nehmen die Kos-mologen einen physikalischen Grund¬zustand an, das „falsche Vakuum". Die¬ser Zustand soll von einem Energiefeld namens Inflaton beherrscht worden sein (oder von mehreren), bis dieses in einem sogenannten Symmetriebruch spontan zerfiel und das „echte Vaku¬um" entstand, also ein neuer Zustand, in dem sich unser Universum seither befindet.

Das klingt exotisch. Doch ähnliche „Phasenübergänge" gab es nachweis-lich auch später, bei der Aufspaltung der Naturkräfte, und sie sind alte Bekannte in der Elementarteilchenphysik. Auch das Higgs-Feld - das in einigen Model len sogar mit dem Inflaton in Zusam-menhang gebracht wird - unterlag etwa 1011 Sekunden nach dem Urknall einer Symmetriebrechung. Erst dadurch be-kamen die Elementarteilchen über-haupt ihre träge Masse.

Die ersten Modelle der Kosmischen Inflation entwickelten ab 1979 die Phy¬siker Alan Guth, Alexei A. Starobinsky, Alex Vilenkin, Andrei Linde und Paul Steinhardt. Auch Stephen Hawking war sofort Feuer und Flamme und beteiligte sich an der Forschung - bis heute. Er und andere erkannten bereits 1982, dass die Inflation kleine zufällige Irregulari¬täten enorm vergrößert haben müsste.

Das war der Beginn eines neuen For-schungszweigs, der das Allerkleinste mit dem Allergrößten verbindet: Winzige Quantenfluktuationen wurden durch die Inflation später zu gewaltigen Dichte-schwankungen im Urgas aufgeblasen, überlegten die Forscher. Ein „Abdruck" hiervon müsste sich als geringfügige Temperaturschwankungen in der Kos¬mischen Hintergrundstrahlung abzeich¬nen: Wo sich etwas mehr Materie kon¬zentrierte, war es ein paar Hunderttau¬sendstel Grad wärmer. Diese regionalen Verdichtungen hätten mit ihrer höheren Schwerkraft die Keimzellen der künfti-gen Sterne und Galaxien gebildet.

Tatsächlich hat der Satellit COBE (Cosmic Background Explorer) ein Jahr¬zehnt später erste Anzeichen solcher Temperaturschwankungen gemessen ¬für ihre Entdeckung gab es 2006 einen Physik-Nobelpreis, für die Voraussagen allerdings nicht. Inzwischen haben irdi¬sche Teleskope sowie die Raumsonden WMAP (Wilkinson Microwave Aniso-tropy Probe) und Planck sie sehr genau kartiert - ein Triumph der Wissenschaft.

EINFACHHEIT, ELEGANZ - UND RÄTSEL Zwar glänzt das Szenario der Inflation in seinen Grundzügen durch Einfach¬heit und Eleganz. Doch viele Details sind bis heute rätselhaft. Inzwischen gibt es Hunderte konkurrierender Mo¬delle. Sie lassen sich zwar im Prinzip jedes für; sich überprüfen, doch es ist unklar, ob das Szenario insgesamt falsi¬fiziert werden kann - und die Wider-legbarkeit gehört ja zu den grundlegen-

 

den Merkmalen wissenschaftlicher Hy-pothesen. Deshalb ist es gut, dass in den letzten Jahren ein paar konkurrierende Ansätze entwickelt wurden. Doch die Idee der Kosmischen Inflation hat in¬zwischen so viele Tests bestanden und eine so große Erklärungskraft entfaltet, dass sie fast schon als „Standarderwei¬terung" der Standardtheorie vom Ur¬knall gilt.

Diese Erweiterung ist auch eminent räumlich zu verstehen. Denn im Gegen-satz zur ursprünglichen Urknall-Theo¬rie stammt im Szenario der Inflation nicht nur der gesamte beobachtbare Weltraum, sondern ein sehr viel größe-rer Bereich aus einer winzigen, super-dichten Region, die sich exponentiell schnell ausgedehnt hat.

Die schlechte Nachricht dabei ist: Wenn die Inflation sehr lange gedauert hat, wurde durch sie alles aus der Zeit zuvor so explosionsartig verdünnt, dass

 

es sich heute prinzipiell nicht mehr be-obachten lässt. Dann wären sämtliche Spuren vom Anfang der Inflation unzu¬gänglich. Der Beginn von allem wäre für immer verborgen.

Die gute Nachricht: Die Anfangs-bedingungen des Universums könnten viel weniger speziell gewesen sein als bislang gedacht. Das verringert die Un-wahrscheinlichkeit der Weltentstehung beträchtlich und gibt der Kosmologie eine zusätzliche Erklärungstiefe.

Die Inflation hat, so die Vorstellung der Kosmologen, unsere Welt nicht nur groß gemacht, also den Spielraum für al¬les Weitere geschaffen, sondern sie lie¬ferte gleichsam auch das Spielzeug frei Haus. Am Ende der Inflation, so die gän¬gige Ansicht, verwandelte sich die Energie des berstenden Inflatonfelds beim Über¬gang vom „falschen" ins „echte" Vaku¬um in eine Kaskade von Elementarteil¬chen. Das war die Geburt der Materie.

 

Prima Paradigma

Das Szenario der Kosmischen Inflation hat viele Bewährungs¬proben bestanden: immer genauere Messungen der winzigen Temperaturschwankungen in der Kosmischen Hintergrundstrah-

 

lung, die das Szenario hätten widerlegen können, aber umge¬kehrt teilweise sogar von ihm vorausgesagt wurden. Die Tabelle fasst die wesentlichen Pluspunkte zusammen.

 

 

 

Pr        me der St,

Expansion: Was hat die Ausdehnung des Weltraums    Das Inflaton - ein hypothetisches Feld, das mit seinem

verursacht?            negativen Druck wie Antigravitation wirkt.

 

Flachheit: Woher kommt die insgesamt nahezu ungekrümmte Geometrie des Weltraums? (Als zufällige Anfangsbedingung wäre sie extrem unwahrscheinlich, etwa 1 zu 1058.)     Durch die Inflation, die den Raum in alle Richtungen „ge¬streckt" hat - ähnlich, wie ein zerknittertes Tischtuch beim Auseinanderziehen geglättet wird.

Fluktuationen: Woher stammen die winzigen Temperatur¬unterschiede in der Kosmischen Hintergrundstrahlung? (Sie spiegeln Dichteunterschiede im Urgas wieder, aus denen später Galaxien und Galaxienhaufen entstanden.)          Von zufälligen Quantenfluktuationen, die sich vor der Infla¬tion ereignet haben und durch sie extrem verstärkt und ver¬größert wurden.

Topologische Defekte: Warum sehen Astronomen keine exo¬tischen Objekte (Magnetische Monopole, Kosmische Strings, Domänengrenzen oder Texturen), wie sie von bestimmten Theorien der Teilchenphysik vorausgesagt werden?      Weil die Defekte, falls sie existieren, durch die Inflation so weit auseinandergetrieben wurden, dass sie im beobacht¬baren Universum (fast) nicht vorkommen.

Teilchenzahl: Woher kommen die ungefähr 1080 Elementar¬teilchen im beobachtbaren Weltraum? Aus der Zerfallsenergie des Inflatonfelds, als die Inflation aufhörte.

 

Eindeutigkeit: Warum sind die Naturgesetze und -konstanten genau so, wie sie sind?

 

Weil vielleicht alle Möglichkeiten irgendwo realisiert sind, wenn die Inflation zur Entstehung unterschiedlicher Universen führt.

Die Ewige Inflation

 

„DIE INFLATION ist in gewisser Weise nicht ein Teil des Urknall-Modells, wie früher gedacht, sondern der Urknall ist ein Teil des Szenarios der Kosmischen Inflation", sagt Andrei Linde, der den Urknall mit der Erzeugung der Materie gleichsetzt. Doch die Konsequenzen ge¬hen sehr viel weiter: Wenn die Inflation nicht überall im Kosmos gleichzeitig auf-gehört hat, sondern an unterschiedli¬chen Stellen zu unterschiedlichen Zei¬ten, gab es nicht nur einen einzigen - unseren - Urknall, sondern ungeheuer viele. Und mit jedem entstand eine neue Raumblase, die nicht weiter inflationier-

te und die als separates Universum be-

zeichnet werden kann (siehe Grafik

 

Dieser Vorgang ist mit Gasblasen ver¬gleichbar, die sich in kochendem Was¬ser bilden. Alle diese kosmischen Bla¬sen, so die Idee, sind durch unermess¬lich große Raumbereiche getrennt, die

 

immer noch eine Inflation durchlaufen. Das ist paradoxerweise sogar dann der Fall, wenn die Blasen von „innen" be¬trachtet unendlich groß sind - eine Konsequenz der Relativität der Koor¬dinatensysteme und der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit.

UNAUFHÖRLICH NEUE WELTEN

Wenn das stimmt, hört die Inflation als Ganzes wohl nie auf, sondern setzt sich ewig fort. Zwar entstehen früher oder später an jeder Stelle der inflationieren-den Raumzeit neue Blasen-Universen, die nicht mehr exponentiell wachsen. Aber ihr Volumen ist verschwindend ge¬ring im Vergleich zu dem der rasant ex-pandierenden Umgebung, die aus sich heraus gleichsam ständig neuen Nach¬schub an Kosmischer Inflation erzeugt.

„Es gab einen Anfang für jedes Uni-versum im Multiversum, und die Infla-tion wird überall einmal zu Ende gehen.

 

Aber es wird im Szenario der Ewigen In¬flation kein Ende für die Entwicklung des Multiversums geben", beschreibt Linde dieses kaum fassbare Modell. Es bedeutet, dass das Multiversum als Ganzes niemals verschwindet und sich sogar permanent selbst reproduziert. So¬mit mögen die einzelnen Blasen-Univer¬sen eines Tages in sich zusammenstür¬zen oder durch ihre Ausdehnung so leer und kalt werden, dass kein Leben mehr in ihnen möglich ist. Doch das inflationie-rende Multiversum hätte nie ein Ende.

Und es kommt noch extremer: Die Naturgesetze und -konstanten in den einzelnen Blasen könnten ganz ver-schieden sein. Denkbar ist sogar, dass die Zahl der Dimensionen variiert. Viel¬leicht werden somit alle physikalischen Bedingungen, die überhaupt möglich sind, irgendwo realisiert. Die meisten Blasen-Universen hätten dann vermut¬lich keine Sterne und Planeten.

Universen wie Seifenblasen

Kosmologen vermuten, dass unser Uni¬versum nur eines ist untervielen. Sie sollen aus einem „falschen Vakuum" entsprungen sein, dass sich exponen¬tiell ausdehnt. Wo diese Inflation auf¬hört, bildet sich eine Blase wie in ko¬chendem Wasser. Das wäre ein Urknall - und das beobachtbare Universum heute ein winziger Ausschnitt einer solchen groß gewordenen Blase.

Die Stringlandschaft

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GERADEZU ATEMBERAUBEND oder scho¬ckierend war eine von der Kosmischen Inflation unabhängige Entwicklung. Sie schlug 2003 bei Theoretischen Physi¬kern wie eine Bombe ein. Die Schock¬wellen sind bis heute nicht verebbt (bild der wissenschaft 5/2013, „Streit unter Stringstrategen"). Gemeint ist der zer¬platzte Traum einer eindeutigen „Welt¬formel" im Rahmen der Stringtheorie. Diese beschreibt die Materie als Anre¬gungsformen eindimensionaler „Saiten", der Strings, und kann alle Naturkräfte vereinheitlichen. Der Nachteil ist: Es funktioniert mathematisch nur, wenn man sechs oder sieben zusätzliche Raumdimensionen annimmt, die win-zig klein sein müssen und „aufgerollt" wie Strohhalme.

Zunächst bestand die Hoffnung, auf diese Weise eine rigorose Theorie der Quantengravitation und aller Elementar¬teilchen und Wechselwirkungen gefunden zu haben, die sogar die scheinbar willkürlichen Werte der Naturkonstan¬ten festlegt - ein schon von Albert Ein¬stein formuliertes Traumziel. Dann je¬doch zeigte sich, dass es Myriaden von Möglichkeiten gibt, wie die Extradimen¬sionen aufgerollt („kompaktifiziert") sein könnten - diskutiert werden gigan-tische Zahlen zwischen 10100 und 101500

.

WARUM GIBT ES STACHELSCHWEINE? Zwar könnte man immer noch behaup¬ten, das Universum sei die einzige reali¬sierte „Lösung" der Theorie, doch es ist kein Grund in Sicht, warum es gerade so und nicht anders entstand. Warum soll¬te die Natur allein unsere Variante ins Dasein gebracht haben? Also ausgerech¬net jene, die zu einem Universum führ¬te, das im Gegensatz zu möglichen Al¬ternativen fähig war, komplexe Struktu¬ren zu entwickeln - etwa Sterne, Sta¬chelschweine und Stringtheoretiker?

 

Ein weiteres Problem: Die Physike: fanden bislang kein Modell, das unse: Universum auch nur halbwegs treffen,: beschreibt. Entweder stimmt das Spek¬trum der Elementarteilchen nicht, da,:, aus den Melodien des Mikrokosmos en:-stehen muss - oder das Vakuum ha-eine negative Energiedichte und kolla¬biert - oder es gibt keine vier unabhän¬gigen Grundkräfte und so weiter.

Wenn die Theorie überhaupt der richtigen Weg weist, dann zeigt sie multan in Abermilliarden verschiedene Richtungen. Jedem dieser vielleicht 10-Stringvakuumzustände entspräche eine Sorte von Universum mit eigenen Na¬turkonstanten und -gesetzen. Dieser-gigantische Multiversum hat Leonanl. Susskind von der kalifornischen Star ford University „Stringlandschaft" nannt.

In diesem multidimensionalen lände können viele Blumen blühen. Dher sehen manche Forscher trotz der zahlreichen theoretischen Gewitterwol-ken auch Sonnenstrahlen - soll heißen: eine Verbindung zum Szenario der Kosmischen Inflation. Denn dessen Schlechtwettervorhersage besteht ja da¬rin, dass bislang eine gute Erklärung für die Natur des-Inflatonfelds fehlt - oder was immer den Treibsatz der Raum¬explosion geliefert hat.

ZWEI PROBLEME ALS EINE LÖSUNG

Manche Forscher hoffen nun, dass sich die Probleme gegenseitig kurieren kön-nen. Denn in den Zusatzdimensionen könnte so viel Energie stecken, dass sie einst die Inflation angetrieben hat, lau-ten einige neue Spekulationen. „Infla-tion und Stringtheorie sind wie für-einander gemacht", meint Cliff Burgess vom Perimeter-Institut im kanadischen Waterloo. „Inflation ist ein Phänomen auf der Suche nach einer Theorie - und die Stringtheorie eine Theorie auf der Suche nach einem Phänomen."

Aus dieser Not haben Burgess und andere Kosmologen inzwischen eine Tugend gemacht - in Form von String-theorie-Modellen der Kosmischen Infla¬tion. Die Konsequenz ist quasi eine Quadratur des Multiversums: Wenn ir¬gendwo in der Stringlandschaft die Ewi¬ge Inflation starten konnte, ist sie nicht mehr zu stoppen. Mit jedem neuen Bla¬senuniversum kann ein anderer Teil der Landschaft erreicht werden, sodass alle Stringvakuumzustände „bevölkert" wer¬den, wie die Kosmologen sagen. Kurz¬um: Alle 10500 verschiedenen Universen müsste es tatsächlich geben - und zwar unendlich oft.

Selbst Andrei Linde von der Stanford University, einer der Vorreiter und streit¬lustigsten Vertreter dieses Ansatzes, räumt ein, dass die mathematischen Gleichungen zur Stringinflation „bis¬lang noch extrem hässliche Modelle" sind - sie wirken sehr künstlich. Aber er sieht die Entwicklung auch positiv: „Ewige Inflation und Stringtheorie ha¬ben in der Stringlandschaft zusammen-gefunden. Das Weltbild, das sich daraus ergibt, hat unsere Sicht auf unseren Platz im All verändert. Das ist einer der aufregendsten und geheimnisvollsten Aspekte der modernen Wissenschaft."

 

Nach der Stringtheorie und anderen Modellen der Quantengravitation exis-tieren Myriaden von Universen. Ihre Eigenschaften, beispielsweise der Wert ihrer Naturkonstanten, hängen von ihrem Quantenvakuum ab - gewis-sermaßen ihrem physikalischen Grund-zustand. Das lässt sich mit einer Art Potenziallandschaft mathematisch be-schreiben. Stellen mit einem lokalen Minimum entsprechen einem Univer-sum. Doch viele dieser Grundzustände beziehungsweise Minima sind meta-stabil: Sie können in einen Zustand geringerer Energiedichte zerfallen. Dies geschieht aufgrund von zufälligen Quantenprozessen. Ein solcher Pha-senübergang führt also von einem

 

Potenziallandschaft

Vakuum in ein anderes - in der Regel in eines mit niedrigerer Energie. Dieses Quantentunneln kann einen Urknall bewirken - oder ein ganzes Universum schlagartig völlig verändern.

Das wabernde Quantenvakuum

NICHT NUR die Kosmische Inflation könn¬te die Stringlandschaft bevölkern, son¬dern das könnte auch durch Quanten¬effekte geschehen. Das haben Alexander Vilenkin und Jun Zhang von der Tufts University mit Jaume Garriga von der Universität Barcelona vor Kurzem gezeigt. Verschiedene Ansätze zu einer Theorie der Quantengravitation legen nahe, dass der Kollaps eines Universums nicht in eine Singularität mündet. Stattdessen „federt" die stark gekrümmte Raumzeit gleichsam zurück. Ein solcher „Big Bounce" („Starker Rückprall") führt dann zu einer neuen Expansion - und mithin zu einem neuen Universum. Das wäre bei allen Universen mit ne-gativer Energiedichte (Kosmologischer Konstante) oder überkritischer Materie-dichte der Fall. „Übergänge zwischen den Vakua können durch Quantentun-neleffekte geschehen. Als Ergebnis wird die gesamte Landschaft der Vakua er-kundet", schreiben die Kosmologen.

Entstehung aus dem Nichts: Das Quantenvakuum als energieŠrmster physikalischer Zustand ist vielleicht das Minimum der Existenz - und doch so kreativ, dass es ganze Universen schafft.

„Verläuft der Kollaps inhomogen, kommt es zu einer Fragmentierung des ur¬sprünglichen Universums, und es wer¬den verschiedene Vakua erreicht."

Auch Schwarze Löcher könnten Keimzellen neuer Universen sein -gleichsam lokale Ausknospungen, wie man sie von, Hefezellen kennt, die sich von einer Mutterzelle abnabeln. So tun-neln die vielen Blasenuniversen durch die Vakua, als würden Myriaden von Bällen in der Landschaft umherspringen und immer mehr werden. Nur Univer¬sen ohne Schwarze Löcher sowie solche mit einer Energiedichte größer oder gleich Null und keiner oder wenig Mate¬rie wären „Sackgassen" in diesem kos¬mischen Irrgarten.

 

dessen quantengravitationstheoretische Grundlage viel weniger elaboriert ist.

Nicht alle Fluktuationsmodelle ha-ben aber diese Eigenschaften. So meint Salvador Robles-P6rez von der Univer-sität Bilbao, dass neue Universen doch Spuren von ihrer kosmischen Geburts-stätte in sich tragen oder gar quanten-mechanisch miteinander verschränkt sind - eine Idee, die auch Laura Mersini von der University of North Carolina in Chapel Hill im Rahmen der Stringtheo-rie entwickelt hat (bild der wissenschaft 9/2008, „Das Loch"). Der Clou: Die Quantenverschränkungen könnten nach¬weisbare Spuren hinterlassen haben. Diese „gespenstischen Fernwirkungen", die Albert Einstein erstmals 1935 be¬schrieben hat, werden seit vielen Jahren erzeugt, gemessen und manipuliert - al¬lerdings nur zwischen Quantensyste¬men in den Physiklaboren unseres Uni¬versums. Wenn sie ihr geisterhaftes Un¬wesen auch zwischen Universen treiben sollten, die räumlich und kausal längst völlig voneinander getrennt sind, dann würden sie gleichsam Abdrücke in die benachbarten Parallelwelten einprägen, sogar auf astronomischer Skala. Das könnte sich in thermodynamischen Eigenschaften oder in der großräumigen Galaxiensuperhaufen-Verteilung nieder¬schlagen.

 

Kosmische Klassifikation

Zum Multiversum gibt es einige kon-kurrierende Hypothesen. Sie lassen sich unterschiedlich ordnen - zum Beispiel hinsichtlich der Art und Wei¬se, wie die einzelnen Universen von¬einander getrennt sind:

         Räumlich wie bei der Ewigen Infla¬tion, der Stringlandschaft und den kosmischen Quantentunnel-Effekten.

         Zeitlich wie bei oszillierenden oder zyklischen Universen oder bei ent-gegengesetzten Zeitrichtungen.

         Dimensional wie bei den Branen-Universen der Stringtheorie.

         Kausal wie bei den vielen Quanten-welten in einem Superpositions-zustand oder bei Multiversen ohne gemeinsamen Ursprung.

         Modal, das heißt hinsichtlich ver-schiedener Möglichkeiten im Denken oder Sein („modaler Realismus" in der Philosophie, etwa bei David Lewis) ¬die Trennung kann hier physisch, metaphysisch oder rein logisch sein.

         Nomologisch, das heißt hinsicht¬lich verschiedener Naturgesetze.

         Mathematisch wie bei unterschied-lichen Systemen mit inkompatiblen Axiomen - eine These, die der Kos-mologe Max Tegmark vertritt.

Welche Probleme

löst ein Multiversum?

 

DIE ANNAHME anderer Universen ist einerseits eine Schlussfolgerung aus kosmologischen Theorien. Andererseits trägt sie dazu bei, bestimmte Eigen-schaften unseres eigenen Universums besser oder überhaupt erst zu verste-hen. So ist der Nobelpreisträger Frank Wilczek davon überzeugt: Es gibt sehr wohl Aspekte des Universums, die nur durch die „Multiversalität" erklärt wer¬‘-2c-den können. Einer ist die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik 5 (siehe Kasten rechts „Viele Quantenwel--ten"). Auch der Wert bestimmter Natur¬konstanten ist am besten verständlich, wenn unser Universum eines unter vie¬len ist, meint Wilczek. Dazu gehört der

 

niedrige, jedoch positive Wert der Va-kuumenergiedichte im Weltall.

Lange dachten Physiker, darunter auch Einstein, dass dieser Wert exakt Null sein muss. Andererseits suggerie¬ren Abschätzungen im Rahmen von Quantengravitationstheorien einen Wert, der 1060 bis 10120 Mal höher ist als ge-messen - der „größte Fehler der Theo-retischen Physik", wie der Nobelpreis-träger Steven Weinberg sarkastisch an-merkt. Bei einer so enormen Energie-dichte könnte man sich nicht einmal an die eigene Nase fassen: Der Raum zwi-schen Hand und Gesicht würde expo-nentiell expandieren. Allerdings dehnt sich das Weltall tatsächlich geringfügig

 

beschleunigt aus, wie viele astrono-mische Messungen seit 1998 belegen -eine Entdeckung, die 2011 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde und am besten durch eine leicht positive Kosmologische Konstante erklärt wer-den kann.

EINE BESTÄTIGTE VORHERSAGE

Steven Weinberg und Alexander Vilen-kin hatten dafür unter der Annahme eines Multiversums schon in den 1980er- und 1990er-Jahre argumentiert - also noch bevor diese beschleunigte Ausdehnung gemessen worden war. Ihre Begründung: Universen mit einer kleinen positiven Kosmologischen Konstante können mehr Galaxien hervor-bringen als solche mit einer großen, mit keiner oder mit einer negativen (bild der wissenschaft 11/2007, „Die Apokalypse des Alex Vilenkin"). Doch ohne Gala¬xien gibt es keine Lebewesen bezie¬hungsweise Astronomen, die das mes¬sen. Der Wert der Konstanten sei daher ein „Beobachter-Selektionseffekt", über den man sich in einem Multiversum nicht zu wundern braucht - genau wie man nicht staunen muss, auf einem le¬bensfreundlichen Planeten wie der Erde zu existieren. Denn auf anderen, etwa Venus oder Pluto, ist es viel zu heiß oder zu kalt, um Leben hervorzubringen.

DAS ANTHROPISCHE PRINZIP

Diese Argumentation wird Anthropi-sches Prinzip genannt (bild der wissen-schaft 8/2006, „Ist uns das All auf den Leib geschneidert?"). Es ist zwar keine Erklärung, sondern eine Tautologie, doch sie macht verständlich, dass be-stimmte Naturkonstanten nicht als „fein abgestimmt" für das Leben betrachtet

 

werden müssen oder als unerklärlicher Zufall. Vielmehr könnten unzählige Universen mit ganz unterschiedlichen Werten dieser physikalischen Parameter existieren, etwa der Kosmologischen Konstante, der Materiedichte und der von der Inflation aufgeblasenen Dichte-fluktuationen. Doch wir brauchen uns nicht zu fragen, warum diese Werte uns gleichsam auf den Leib geschneidert er¬scheinen. Sie sind es nicht - in einer an¬deren kosmischen Garderobe würde es uns schlicht nicht geben.

Umgekehrt müssten auch Naturkon-stanten existieren, die nicht „fein abge-stimmt" anmuten - wenn sie nämlich die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Leben und Intelligenz nicht beeinflussen. Genau das ist für Wilczek ein weiteres Indiz für ein Multiversum: „Einige Para¬meter im Standardmodell der Elemen¬tarteilchen, zum Beispiel der Neutrinos, wurden nicht anthropisch selektiert." Wo also das Spiel des Zufalls nicht stört, kann es sich auch in einem lebens¬freundlichen Universum entfalten.

 

 

 

Viele Quantenwelten

Die Wellenfunktion in der Schrödinger-Gleichung ist eine der seltsamsten Ingredienzen der modernen Physik. Diese Grundgleichung der wissen-schaftlich exzellent bestätigten Quan-tenphysik entwickelt sich streng deter-ministisch: Die Werte, die sie anneh-men kann, sind durch die Vorbedin-gungen eindeutig festgelegt. Hingegen scheinen Quanteneffekte rein zufällig und völlig unvorhersagbar aufzutreten. Über diesen Widerspruch streiten die Forscher seit den 192oer-Jahren.

Ein Lösungsvorschlag geht auf die Dissertation des Amerikaners Hugh Everett III aus dem Jahr 1957 zurück. Im Gegensatz zu den anderen Interpre-tationen der Quantenphysik „kolla-biert" die Wellenfunktion in Everetts Many-Worlds-Interpretation nicht von selbst, durch Messungen, durch Wech-selwirkung mit der Umgebung und so weiter. Der Quantenzufall wäre damit eine Illusion. Stattdessen spaltet sich das Universum gleichsam auf- aber nicht räumlich, sondern in Form von

 

schwer vorstellbaren Ü berlagerungszu-stä n den, wie sie sich bei Doppelspalt-Experimenten sogar als Interferenzmus-ter messen lassen. Schrödingers berüch¬tigte Katze wäre also immer zugleich le¬bendig und tot.

Diese gespenstischen Superpositio-nen sind im selben Raum, lassen sich aber innerhalb der einzelnen klassischen Zweige der Wellenfunktion - und somit von Beobachtern, wie wir es sind - nicht überblicken. Jede Quantenkopie steckt

 

in ihrer eigenen Geschichte bezie-hungsweise Welt. Diese abenteuerli-che Vorstellung hat etwas Alarmieren-des und Beunruhigendes zugleich.

Soll man beispielsweise für die Er-haltung des Lebensraums notleidender Schimpansen spenden oder sich lieber eine Reise zu Friedrich Nietzsches Stein der Ewigen Wiederkehr bei Sils Maria gönnen? Im Quantenmultiver-sum wird man beides tun - und noch viel mehr.

Ist das noch Wissenschaft?

 

WENN ODER WEIL sich andere Universen nicht direkt beobachten lassen, sind die Hypothesen darüber trotzdem nicht zwangsläufig unwissenschaftlich. Es stimmt zwar: Gerade diese Widerleg-barkeit gilt als Gütesiegel wissenschaft-licher Hypothesen und Theorien. „Inso-fern sich die Sätze einer Wissenschaft auf die Wirklichkeit beziehen, müssen sie falsifizierbar sein, und insofern sie nicht falsifizierbar sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit", schrieb der Philosoph Karl Popper 1932. Mit die¬ser Überzeugung, die er in seinem Buch „Logik der Forschung" sorgfältig aus-

 

gearbeitet und begründet hat, prägte er nachhaltig das Verständnis von Wissen-schaft als eine Sache der Bildung und Überprüfung widerlegbarer Hypothesen (Falsifikationismus). Er betrachtete das auch als Abgrenzungskriterium der Wissenschaft von Metaphysik, Logik sowie Mathematik einerseits und der Pseudowissenschaft andererseits.

Allerdings sind andere Universen keine wissenschaftlichen Gesetzes-Hypothe¬sen - analog beispielsweise zu Galileis Fallgesetz. Spricht man vom Multiver-sum, so ist dies eine sogenannte hypo¬thetische universelle Existenzaussage.

 

Sie lässt sich im Gegensatz zu räumlic.:-oder zeitlich lokalisierten Existenzsä: zen aufgrund unseres eingeschränkte: Zugangs zur Welt nicht falsifiziere: Aber sie muss verifizierbar sein.

WIDERLEGBARKEIT IST NICHT ALLES!

Ein Beispiel hierfür ist die Vorhersag, dass das chemische Element Hafniur (Ordnungszahl 72) existiert. Dirk Coste: und George de Hevesy haben es 1922 in Kopenhagen mithilfe der Röntgenspek¬tralanalyse im Mineral Zirkon entdeckt. Das geschah nicht zufällig, sonder nachdem ab 1869 Überlegungen de Ein weiteres Kriterium muss -anzukommen - die theoretische Ein¬

 

bettung: Universelle Existenzsätze sind dann wissenschaftlich, wenn sie sich verifizieren lassen und einen Platz im Rahmen einer wissenschaftlich aner-kannten Theorie haben, insbesondere wenn sie von dieser vorausgesagt wer-den. Das hat schon Popper so gesehen.

Tatsächlich sind Aussagen über an-dere Universen keine isolierten univer-sellen Existenzsätze, sondern werden von Theorien postuliert, die selber falsi-fizierbar sind oder sein müssen. „Das haben sich Kosmologen nicht in einem Höhenflug der Imagination erträumt. Wir sind darauf gestoßen, als wir Pro¬bleme zu lösen versuchten, hier in dem Universum, das wir beobachten", sagt Sean Carroll vom California Institute of Technology. „Es ist ein Fehler, zu den¬ken, das Multiversum sei eine Theorie, die von verzweifelten Physikern am En¬de ihrer Vorstellungskraft erfunden wur¬de. Vielmehr wird das Multiversum von bestimmten Theorien vorhergesagt. Die Frage ist auch nicht, ob wir jemals dazu in der Lage sein werden, andere Univer¬sen zu sehen, sondern sie besteht darin, ob wir die Theorie überprüfen können, die impliziert, dass sie existieren."

DIE KRITIK GREIFT ZU KURZ

Daher greift als Kritik an der Multiver-sum-Hypothese auch der Positivismus zu kurz. Dieser Denkrichtung zufolge exis¬tiert nichts, was nicht beobachtet wer¬den kann - oder es sei sinnlos, darüber Aussagen zu machen. Freilich hat diese These selbst keinen erfahrungswissen¬schaftlichen Gehalt und könnte deshalb mit ihren eigenen Waffen geschlagen und als sinnlos zurückgewiesen werden.

Außerdem gibt es zahlreiche Beispie-le dafür, dass die Spekulation von heute das Wissen von morgen sein kann. So behauptete August Comte, der Mit¬begründer des Positivismus - und der Soziologie - in seinem sechsbändigen „Cours de philosophie positive", dass sich die Zusammensetzung der Sterne niemals herausfinden lassen würde. Er hätte auch sagen können: Aussagen da¬zu seien nicht falsifizierbar. Doch zwei Jahre nach seinem Tod, 1859, begründe¬ten Robert Bunsen und Gustav Kirch-hoff in Heidelberg die Spektralanalyse. Mittels der für jedes Element charakte ristischen Spektrallinien kann die Zu-sammensetzung der Sonne und anderer Sterne sehr wohl bestimmt werden. Das Element Helium wurde sogar zunächst in der Sonne und erst später auf der Er¬de entdeckt.

Vielleicht werden sich Kosmologen in 10, 100 oder 1000 Jahren über die Wissenschaft Anfang des 21. Jahrhun-derts wundern - und sich entweder fra-gen, warum sie so blind war und die In-dizien für die Existenz anderer Univer-sen nicht klarer gesehen hat, oder aber, weshalb sie so verrückt war, sich in sol-che Fantasien zu versteigen. Im Augen¬blick kann die Sache nicht entschieden werden. Auch deshalb ist es vernünftig und wichtig, die multiversalen Ideen so gut wie möglich auszuloten - eingedenk der Warnung, die Steven Weinberg 1977 ausgesprochen hat: „Unser Fehler ist nicht, dass wir unsere Theorien zu ernst nehmen, sondern dass wir sie nicht

ernst genug nehmen."

 

 

 

 

















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