Donnerstag, 3. Juni 2010

Eine Reise an die Moldau – SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Eine Reise an die Moldau – SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Author D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=XBJQMo47Upo


In der Langsamkeit liegt der Schlüssel, die Umwelt richtig wahrzunehmen. Ein Boot und ein Paddel bieten beste Voraussetzungen dafür. Und in Tschechien ist das richtig in.

 Es ist frühmorgens. Die Sonne steht noch tief über den mit dunklem Nadelwald bewachsenen Hängen des Tals, an dessen tiefstem Punkt sich die Moldau entlangschlängelt. Es gibt wenige Laub¬bäume hier. Aber die, die es gibt, sind groß, knorrig und Jahrhunderte alt. Schon als Bedrich Smetana, besser bekannt mit seinem deutschen Vornamen Friedrich, hier war, um sich für den zweiten Teil seiner symphonischen Dichtung „Mein Vaterland" zu inspirieren, hätte er ihren Schatten genießen können. Kaum einer anderen Landschaft Europas wurde durch ein Musikstück ein Gesicht gegeben wie Böhmen. Smetanas Werk ist ein Paradebei¬spiel für Tonmalerei. Klarinetten scheinen das Flat¬tern der Blätter im Wind und das Lichtspiel darin zu beschreiben.
Und das Wasser. Am Oberlauf, noch vor dem Lipno¬Stausee, wo sich die warme und die kalte Moldau vereinen, sprudelt es im Klang einer Oboe, gluckst es, wenn ein Felsen in seinem Weg steht. Man hört die Musik und man sieht die Moldau vor sich und umgekehrt. Hier, vor Vyssi Brod, wird sie ihrem Namen „wildes, reißendes Wasser" schon gerechter. Hohenfurt hieß der Ort bis 1945, als in der ganzen Gegend deutsch gesprochen wurde. Die Giebel und
Türme des im 14. Jahrhundert gegründeten Zister¬zienserklosters thronen hoch über der Ufer¬befestigung. Wie andere Siedlungen auch, wurde Vyssi Brod dort gegründet, wo die Moldau den Händlern das Überqueren leicht machte und wo Handelsstraßen sich kreuzten.
Fluss mit vielen Gesichtern
Auf seinem Weg durch Böhmen zeigt der Fluss unterschiedliche Gesichter. Manchmal verzweigt er sich in einer breiten Auenlandschaft mit Armen, in denen Reiher nach Fischen jagen und Störche nach Fröschen. Dort tollen Auerhahn und Auerhenne he¬rum, pflanzen sich aber nicht genug fort, um von der roten Liste der vom Aussterben bedrohten Vogelarten zu verschwinden. 1874 schrieb Smetana „Die Moldau", damals schon beinahe taub.
Es gibt zwei verschiedene Typen von Flusswan¬derern: den eher meditativ veranlagten Naturlieb¬haber mit einem Fernglas um den Hals und den Partylöwen. Ich zähle mich eher zur ersten Gruppe. Trotzdem. Beide Gruppen sind groß, und Fluss- wandern ist so beliebt in Tschechien, dass sich in den vergangenen Jahren eine lückenlose Infra¬struktur für den Verleih und Transport der Boote und Kajaks entwickelt hat. Nachdem ich
mein Nachtlager in wasser
dichte Tonnen verstaut und ins Boot gepackt habe, sitze ich am Ufer und schaue einem Fischer zu, der eine dicke Forelle am Haken hat. „Pstruh" ruft er mir erfreut zu. „Lass ihn dir schmecken", ruf ich ihm zu in der Hoffnung, dass er deutsch spricht. Zeit aufzubrechen, bevor die Partylöwen ins Boot steigen und es vorbei ist mit meiner Idee, mich die Moldau runtertreiben zu lassen.

Zentrum der Altstadt, steigt vom Ufer der Moldau leicht an und ist am höchsten Punkt mit der Veitskirche bebaut. Vom bunt bemalten Renais¬sance-Turm des Schlosses blickt man auf das traumhafte Ensemble und die Hügellandschaft, in die es eingebettet liegt. Tagsüber stolpern müde ja¬panische Touristen durch das tschechische Rothen¬burg ob der Tauber, perfekt erhalten und von der UNESCO als Weltkulturerbe gelistet. Abends aber, wenn sie schon wieder im Bus schlafen und Wien entgegeneilen, wird es ruhig hier. Dann sitze ich auf der Terrasse vor meiner gemieteten Fischerhütte, trinke Bier und esse böhmische Knödel mit Kraut. Egon Schiele lebte und malte in Böhmisch Krum¬mau. Wenn auch nur kurz. Sowohl seine wilde Ehe, als auch die Aktzeichnungen junger Mädchen stra¬pazierten die eher kleinkarierten Moralvorstellun¬gen der damaligen Zeit zu sehr. Heute hat man ihm und der modernen Kunst ein Museum gewidmet. In den Sommermonaten ist der barocke Garten des Schlosses Ziel von Kulturbegeisterten aus aller Welt. Das „Südböhmische Theaterfestival" ist eine Insti¬tution und für seine Inszenierungen bekannt, die speziell für den drehbaren Zuschauerraum produ¬ziert werden. Seit Mitte Mai bis in den September hinein gibt es viele Musikveranstaltungen. Und im Juli, zum „Fest der fünfblättrigen Rose", schäumen die Gassen der Altstadt mit Hunderten von Kom¬parsen in historischen Gewändern über.
Kunst der Bierbrauer
Nach ein paar Tagen locken die Wellen der Moldau
wieder. Ich fahre unserer Endstation entgegen.
Cesky Budejovice. Budweis. Die Universitätsstadt mit
knapp 100.000 Einwohnern ist vor allem wegen der
waltskanzleien seit mehr als 100 Jahren einen Streit darüber, wer den Namen Budweiser rechtmäßig und vor allem international nutzen darf. In diesem ältes¬ten Schutzmarkenstreit der Menschheit konnte Bu¬dejovicky Budvar, der tschechische Kontrahent, die meisten Prozesse für sich entscheiden. Gegenspieler ist die Anheuser-Busch-Gruppe mit dem Hauptsitz in St. Louis, Missouri. Der Budweiser Hauptplatz ist eingerahmt vom Rathaus, dem Schwarzen Turm

begin¬nen hier erst ihren Abend. Budweiser Bier schmeckt übrigens allen hier. Und welches, erklärt sich mit dem Motto auf dem Aufkleber des Sonnenschirms von selbst. „Think global, drink local!"
Auf Entdeckungstour
Weil der Böhmerwald weder Meer noch hohe Berge vorzuweisen hat, wird er bis heute nicht gerade von Touristen überrollt. Dabei gibt es viel zu entdecken. Hluboka nad Vltavou (Frauenberg) mit seinem Schloss im englischen Tudorstil vielleicht. Es zählt zu den schönsten Schlössern Tschechiens. Und Ho¬lasovice, seit 1990 Weltkulturerbe. Nach einer ge¬fühlt stundenlangen Fahrt, die real nur 15 Kilo¬meter über enge Landstraßen führt, erreicht man ei¬nen von hohen Bäumen beschatteten, beinahe ver¬waisten Dorfanger. Am Kiosk kaufe ich mir Wasser und setzte mich ans selbe, um im Reiseführer zu le¬sen. Im Abendlicht kommt eine Frau aus einem der Häuser mit geschwungenem Giebel, von denen der Platz umgeben ist, und leert eine Schüssel mit Weißbrot in den Teich. „Cpr", sagt sie mit einem zahnlückigen Lachen und deutet auf den Teich. Ich lache zurück, deute auf den Teich und sage „Pstruh", Forelle. Aus
einem undefinierten Wortschwall ohne Vokale glau¬be ich noch einmal „Cpr" zu hören. Ich verabschie¬de mich von ihr, fahre die Landstraße zurück nach Budweis. Auf der Karte, aus der ich mir im Res¬taurant auf dem Hauptplatz was zum Essen wähle, erfahre ich, was im Dorfteich wirklich schwamm: Karpfen. Smetanas Vaterland habe ich auf dieser kurzen Reise durch eigene Bilder ersetzt. Und ich

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