Eine Reise nach Houwerzijl/Niederlande SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Author D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=mRnXmJAfKIw
Das niederländische Dorf Houwerzijl ist ein Reiseziel für Teepilger.
In einer ehemaligen Kirche betreibt Johan Lange eine einzigartige Kombination aus Teeladen,
Museum und einer Teestube mit der umfangreichsten Teekarte der Welt.
„Es gibt bessere Tees", sagt Johan Lange, der Inhaber der Teefabrik im niederländischen Dörf-chen Houwerzijl. Trotzdem wirft er die wallnussgro-ße Kugel ins dampfende Wasser; denn die Zube-reitung von „Holt' Happiness" ist immer ein reizvol¬les Schauspiel für Gäste. An diesem Tag sitzen sie in Korbsesseln auf der Terrasse vor der Kirche. Vor dem Backsteingebäude wachsen kniehohe Zierhecken und unter den Schuhsohlen knistert der Bodenbelag aus Millionen Muschelschalen, gesammelt im nahe gelegenen Wattenmeer. Das Teebällchen in der Glaskanne sinkt auf den Grund und öffnet sich — wie die Rose von Jericho. Eine Blume ploppt hervor und kriecht langsam bis zur Wasserober-
fläche. Heraus strömt ein Duft aus rotem Amaranth und Jasmin.
Die originellste Idee
„Die Kirche war ein Schnäppchen", erzählt Johan und nimmt einen Schluck „heilige Glückseligkeit". Vor 20 Jahren hat er sie für einen Gulden gekauft. Sie stand leer, weil es in der Region immer weniger Gläubige und zu viele Kirchen gab. Die Gemeinde schrieb einen Wettbewerb für die originellste Ver-wendung aus, den Johan gewann. Der 40-Jährige hat wache Augen und trägt eine randlose Brille. Auf seinem Kopf wachsen Haare wie eng
lischer Rasen. Das Pfarrhaus kaufte er gleich mit und richtete eine Teestube mit Museum und Tee-laden ein: „De Theefabriek". Inzwischen pilgern je-des Jahr rund 50.000 Besucher in seine Kirche, um eine der 300 Sorten zu probieren. Die meisten von ihnen kommen aus Holland und Deutschland und aus dem Studentenstädtchen Groningen, eine halbe Autostunde weiter südlich.
Johan ist mit 20 Mitarbeitern der größte und einzige Arbeitgeber in dem 270-Seelen-Dorf. Die restlichen Einwohner arbeiten im Tourismus oder in der mo¬dernen Krabbenfabrik im Nachbarort Zoutkamp.
Früher war dort das Zentrum der Fischerei.
:u schützen. Ein riesengroßer See entstand im Laufe ier Jahre. Salzwasser wurde zu Süßwasser. Auf ;andplatten blühen jetzt Orchideen, auf ehemali¬;en Muschelbänken wachsen Disteln. Wo früher Wattgebiet war, „fietsen" die Urlauber auf Rädem durch Schilf-Alleen, beobachten auf den Aussichts¬türmchen die Löffelreiher und lauschen der Rohr¬dommel. Sie schippern mit Segelbooten über den See oder schwimmen in ausgewiesenen Bade¬buchten. Kleine Feriensiedlungen sind im Bau. Das Gebiet ist ein Drittel so groß wie der Harz und seit 2003 Nationalpark. Der südliche Teil liegt ein bis drei Meter unter dem Meeresspiegel. Denn bei frühe¬ren Überschwemmungen hat sich im Landesinnern feinsandiger Klei auf moorigem Grund abgelagert und zu einer Absenkung geführt. Und überall sieht man Wurten: Flache Wohnhügel die ab 600 vor Christus aufgeschüttet worden waren, damit die Einwohner trockene Füße behielten.
An diesem Tag bekommen die Urlauber freiwillig nasse Füße. Auf einer Wattwanderung stapfen sie durch schmatzenden Schlick. Manchmal schwappt der saftige Untergrund bis über die Knöchel. Staats, der Wattführer, wandert seit 15 Jahren durch den Schlammpudding Richtung Horizont, und es wird ihm nie langweilig. Das Zusammenspiel von Wind, Sonne und Wasser ist jeden Tag anders. Er legt den Kopf in den Nacken: Hunderte schwarze Stecknadel
hinterlassen haben — oder einen schlaffen Luft-ballon: zum 30. Geburtstag! Wer Glück hat, findet einen Seestern.
Ein besonderes Erlebnis ist die nächtliche Watt-wanderung von Pieterburen zur autofreien Insel Schiermonnikoog. Wer die bucht, muss fit sein, denn man erreicht erst zum Sonnenaufgang wieder festen Boden unter den Füßen. Allein darf niemand los. „Zu gefährlich", sagt Staats. Vor jeder Wan¬derung kontrolliert er im Radarbericht, ob auch kein Sturm naht, prüft an der Gezeitentafel, wie lan¬ge noch Ebbe ist und legt die Route auf der Wattkarte fest. Das ist ein DIN-A4-Blatt mit wilden Linien und Strichen, die der Laie für Telefon¬gekritzel hält.
Kunst zum Heißgetränk
Nach zwei Stunden bläst der Nordwind so kräftig, dass die Urlauber wieder zu Johan flüchten und sich den restlichen Nachmittag in seinem Teemuseum aufwärmen. Dort, wo früher Gläubige am Altar be¬teten, stehen heute Trennwände mit Infotafeln, die den Besucher den Unterschied zwischen weißem, grünem und schwarzem Tee erklären und wie er gepflückt, fermentiert, getrocknet und sortiert wird. In einem übergroßen Einweckglas leuchtet der Teepilz Kombucha. Auf der Orgel-Empore finden
morgen trinkt Johan eine Tasse Kaffee. Danach nur noch Tee. Die Wattwanderer nehmen einen „Waddenbessen". Einen Tee, der ordentlich durch-wärmt, mit Sanddorn und Krähenbeeren, die am Strand zwischen den Dünen wachsen.
Im Glockenturm allein
Ein buchstäbliches Highlight ist eine Teezeremonie im Kirchturm. Wo früher die Glocke geläutet wurde, hat Johan ein freundlich helles Separee für zwei Personen eingerichtet, das häufig von Pärchen ge-bucht wird. Während der Wind um das Gemäuer pfeift und an den Fensterscharnieren rüttelt, sitzen die Gäste auf lila Samtpolsterstühlen t&e-ä-t6le und genießen fünf Sorten Tee ihrer Wahl. Als Beilage serviert Johan feines Gebäck, Muffins und Sand¬wiches mit geräuchertem Lachs. Dabei hören die Gäste auf Wunsch ihre selbst mitgebrachten Musik. Wenn sie an der goldfarbenen Schnur ziehen, brummt die Hausklingel und die Kellnerin klettert die 42 Stufen zu ihnen hoch, um den nächsten Gang zu bringen.
Durch die vergrößerten Fenster blickt man auf Wiesen, Bauernhöfe und Kartoffelfelder. Die Land-schaft ist von hier oben so platt, dass man — wie der Ostfriese sagt — drei Tage vorher sehen kann, wer zu Besuch kommt. Wenn es aufklart, reicht die Sicht
Johan Lange hatte die originelle Idee, aus der Dorfkirche „de Theefarbiek" zu machen.
köpfe fliegen am Himmel: ein Schwarm Eider¬Enten. Man könne sie an der Flugformation erken¬nen. Dann zeigt Staats Richtung Horizont: Rottumeroog, Borkum, Schiermonnikoog. Der Watt-Anfänger sieht nicht mal einen Schattenriss der vorgelagerten Inseln. Überhaupt, laufen die meisten Urlauber hier mit gesenktem Kopf umher, entdecken am Boden Schalen japanischer Mus¬cheln, Haufen von Sand-Spaghetti, die Wattwürmer
Laden, gemütliche Stube und Museum: Hier lassen sich nasskalte, holländische Tage gut aushalten.
wechselnde Ausstellungen rund um das Hei߬getränk statt. Diesmal hat die Künstlerin Machteld Teekens Bilder mit 'fische aus Tee gemalt, eine andere hat Kleider aus gebrauchten Teebeuteln entworfen.
„Beutel-Tee ist qualitativ nicht schlechter als lose Ware", meint Johan. Er ist nur eine feinere Sortie¬rung, die beim Lagern schneller Aroma verliert, wie der Kaffee im Vergleich zur Kaffeebohne. Jeden
Wie Urlauber sich die Niederlande vorstellen: Kanal und Windmühle in Eanrum.
fast bis zum Wattenmeer. Vielleicht sollte man hier oben einen Gyokuro Asahi aus Japan probieren. Es ist der kostbarste Tee, den Johan auf Lager hat. Er wächst ganz langsam im Schatten und wird nur einmal im Jahr gepflückt. Die dunkelgrünen Blätter haben einen höheren Chlorophyll-Gehalt und weni¬ger Gerbstoffe. Deshalb schmeckt er viel feiner als alle anderen Grüntees. Ein perfekter Heiliger für Johans „Teekirche"
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.