Donnerstag, 3. Juni 2010

Wanderung in den Vogesen – SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Wanderung in den Vogesen – SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Author D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=xwRGCL9k8ho

11.000 Kilometer Wanderwege schlängeln sich durch die Vogesen, und es gibt kaum eine Tour, die nicht an mindestens einer Ruine vorbeiführt. Die Küche der Elsässer ist abwechslungsreich — bodenständig und deftig, aber auch mit dem gewissen Etwas.



 Auf einem Felsen kann man eigentlich nicht
wohnen. Und doch: Beweise gibt es genügend — zu
mindest im Nord-Elsass. Auf dem sogenannten k Zigeunerfelsen (Rocher des Tziganes) bei
Niedersteinbach steigen Wanderer jene Stufen empor, die vor rund 400 Jahren mühsam in den Stein gehauen wur¬den. Einst war das Zigeuner- 1 domizil streng be¬wacht.
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auf

die Vogesen bietet, war einst Zufluchtsort für Ver¬folgte. Er war gesichert wie eine Festung, und die Bewohner verständigten sich mit einem ausge¬klügelten Spion-System.
Wer heute durch die dichten Buchenwälder wandert, glaubt sich manchmal zurückver¬setzt in jene Zeit, als geheimnisvolle Zeichen an Bäumen den geschwind vorüberziehen¬den Reitern den Weg wiesen. Heute ist das freilich ein bisschen anders. 11.000 Kilo-meter Wanderwege schlängeln sich durch die Vogesen. Geheimnisvolle
Zeichen sind pass6: Die Wege sind bestens ausgeschildert und karto¬grafiert. Von ihrem Charme haben sie jedoch nichts verloren. Die

schmalen Wanderpfade durchziehen bunte Obst¬wiesen, durchkreuzen Weinberge, dringen in schat¬tige Laub- und Nadelwälder ein. Ehe man sich versieht, ist wieder ein historisches
Fvergangene Zeiten aufleben. Und wer die Franzosen kennt, weiß: Früher oder später landet man garan¬tiert in einer „Winstub". Rein flächenmäßig ist das Elsass die kleinste der französischen Regionen, geo¬logisch, kulturgeschichtlich und kulinarisch aber die größte, denn der Landstrich hat viel zu bieten.
Spielball der Herrscher
So abgeschieden es sein mag, so sehr war das Elsass doch immer wieder Spielball europäischer Herr¬scher. Allein zwischen 1870 und 1945 mussten die Elsässer vier Mal Sprache und Nationalität wech¬seln. Auch die Männer und Frauen, die im 17. Jahr-hundert auf dem Zigeunerfelsen lebten, waren stän¬dig auf der Flucht. König Ludwig XIII. befahl schließlich, die Männer zum Militärdienst einzuzie
hen und sie auf Galeeren bringen zu lassen. Doch die Zigeuner flüchteten in die Wälder und zogen sich mit ihren Familien auf die markanten riesigen Felsen oberhalb von Niedersteinbach zurück. Heute sieht man nicht nur die Treppenstufen im roten Sandstein, sondern auch noch Feuerstellen und Befestigungsreste von hausähnlichen Bauten. Gut drei Stunden dauert die Zigeuner-Wanderung im Nord-Elsass. Die beste Zeit ist von Mai bis Okto¬ber, dann stehen die Buchen im Laub und das Klima ist mild. Die nördlichen Vogesen sind seit 1977 ein Naturpark. 2002 wurde dieser Park zusammen mit dem angrenzenden Pfälzerwald zum ersten grenz¬überschreitenden Biosphärenreservat Europas er¬klärt. Das klingt nach Papiertiger, doch es wird viel dafür getan, Natur und Landschaft zu pflegen und nicht durch die Ansiedlung von Gewerbeparks zu stören. Gleiches gilt für den Denkmalschutz. Das Elsass ist seit frühester Zeit ein Schmelztiegel von Kulturen. Die Römer führten den Weinbau ein, die Staufer bauten mächtige Kirchen und gliederten die Region dem Heiligen Römischen Reich Deutscher
Nation an. Anschließend ging's immer wieder reich¬lich drunter und drüber, nicht nur in Sachen Staatszugehörigkeit, sondern auch in religiösen Fragen. Die bewegte Vergangenheit ist heute die Stärke des Elsasses.
Man lässt sich gerne von anderen inspirieren, legt aber großen Wert auf eigene Traditionen. Europa ist ein Segen für die Elsässer, deren Dialekt melodiös Deutsch und Französisch vereint. Auch in ihre Küche haben die Elsässer gerne integriert, was Reisende auf der Durchfahrt mitgebracht haben. Einerseits bodenständig und deftig, andererseits mit dem gewissen i-Tüpfelchen verfeinert — die Ein¬heimischen sind keine Kostverächter.
Fast in jedem Dorf findet man eine „Ferme
Auberge", einen „Bauerngasthof". Serviert wird na
türlich Flammkuchen oder eine tarte gratirde, das
ist die überbackene Variante mit Käse. National¬gericht Nummer eins ist aber „Baeckeofe", zu Deutsch „Bäckerofen". Das Schmorgericht hat Geschichte: Um sich am Montag, dem traditionellen Waschtag, das Kochen zu sparen, schichteten die Hausfrauen die Fleischreste vom Sonntag zusam¬men mit Zwiebeln, Kartoffeln, Karotten und Lauch in eine Keramikform, würzten das Ganze mit Thymian, Lorbeeren und Knoblauch und gaben noch einen Schuss Wein darüber. Die Form wurde mit Brotteig versiegelt und garte rund vier Stunden im Ofen — da blieb genügend Zeit zum Wäsche¬waschen. Einst aus der Not geboren, ist der „Baeckeofe" heute bei Gourmets eines der beliebtes¬ten Gerichte.
Wer sich in jene Zeiten zurückversetzen will, sollte der „Moulin des Sept Fontaines" im Nord-Elsass un¬weit von Wissembourg (Weißenburg) einen Besuch abstatten. Freilich: Leicht war es damals nicht, als die ganze Familie auf dem Feld schuftete und für das Auskommen von Haus und Hof sorgte. Die alte Ölmühle im typischen Elsässer Fachwerkhaus-Stil
ist heute eine beliebte Einkehrmöglichkeit von Einheimischen, denn hier erinnert man sich noch an die „gute alte Zeit". Hier macht die Oma noch höchst persönlich den „Baeckeofe", setzt den Teig für Flammkuchen an und mischt eigenhändig die Salatsauce. Wenn die kleine Gaststube nicht mehr ausreicht, dürfen die Besucher im alten Wohn¬zimmer Platz nehmen. Auch wenn es eng ist: Bei ei¬nem Glas Gewürztraminer oder Riesling lässt sich's zusammenrücken. Durch die Fenster sieht man im Hof Hühner, Enten, Gänse und Hasen, im Garten wächst das Gemüse. Was serviert wird, hat also ga¬rantiert keine Fahrt durch halb Europa hinter sich. Apropos Wissembourg: Das kleine Städtchen, das zu den ältesten in der Region gehört, ist sehr pittoresk. Die alte Befestigungsmauer, Fachwerkhäuser und der Fluss Lauter, der Wissembourg mit mehreren Armen durchzieht, sorgen für eine sehr heimelige Atmosphäre. Ähnlich geborgen fühlt man sich übrigens auch im einige Kilometer weiter süd¬lich gelegenen La Petite Pierre. Irgendwie wollte sich dieser Weiler, trotz Residenzschloss und Markt¬privileg, früher nie zur Stadt entwi¬ckeln. La Petite Pierre liegt auf einem langgezogenen Felsen, an dessen Ab¬grund eine mächtige Burg steht. Lützelstein heißt sie, was umgangs¬sprachlich so viel bedeutet wie „klei¬ner Stein". Die Franzosen machten daraus gleich den Ortsnamen: „Kleiner Stein" wurde zu „La Petite Pierre". Auch Johann Wolfgang von Goethe, der das Elsass liebte und zeitweise sein Herz an eine gewisse Friederike in Sessenheim verloren hatte, war hier öfters auf der Durchreise und schwärmte von der Gegend in seinem Tagebuch.
Wohnungen im Fels
La Petite Pierre ist übrigens Ausgangspunkt für eine imposante Wanderung zu den im Elsass einmaligen Felsenwohnungen von Graufthal. Schon im Mittel¬alter wurde die gigantische Sandsteinwand mit den überhängenden Felsblöcken genutzt. Die Menschen mauerten Stützwände hoch und nutzten die „Räume" als Getreidespeicher. Im Laufe der Jahrzehnte entstanden primitive Behausungen für die Arbeiter, die im nahe gelegenen Steinbruch ar¬beiteten. Unten eine Küche und ein Schlafraum für die Eltern, oben Schlafkammern für die Kinder. Die letzte Einwohnerin starb 1958 im Alter von 82 Jahren. Dass man im Elsass heute so genüsslich und gemütlich unterwegs sein kann, hätte sie sich wohl nie träumen lassen

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