Am Yukon Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Einst war die Region zwischen Skagway und Whitehorse im
Norden Kanadas der Inbegriff
des Traums von Glück und Reichtum. Heute lockt das Gold vor
allem Touristen an.
Aber auch Industrieunternehmen schürfen noch in größeren
Tiefen nach dem Edelmetall.
4 Seit gestern
hat sie ein paar Schöne in ihrem Safe: Da kam einer in ihren kleinen Laden, vom
Yukon, vom Fluss, von irgendwo da draußen.
Goldsucher sind schweigsam. Und darüber, wo sie gerade
herkommen, reden sie erst recht nicht. Der Mann jedenfalls hatte ziemliches
Glück ge¬habt: Eine ganze Handvoll Nuggets hatte er ge¬funden. Und die
schönsten und größten hat er ihr da gelassen, und jetzt sitzt Cheryl Rivest an
ih¬rem Tisch und macht sich an die Arbeit.
Gold lockt, verführt, verändert
Es gibt nicht viele Dinge auf dieser Welt, die seit
Menschengedenken so wenig von ihrem Mythos und ihrer Anziehungskraft verloren
haben wie Gold. Seit Jahrhunderten und Jahrtausenden bringt das Metall die
Augen all jener zum Leuch-ten, die es in den Händen halten. Gold lockt, es
verführt, es verändert: Menschen, Nationen, Länder, das war schon immer so.
Selbst für
Goldschmiedin Cheryl Rivest ist der Anblick von Gold noch
immer etwas Besonderes: Wenn sie mit diesen kleinen, kaum daumennagelgroßen
Nuggets arbeite, spüre sie etwas, sagt sie, ein Kribbeln, eine leichte Unruhe,
ein Gefühl, etwas vor sich zu haben, das die Erde nur ganz schwer herausrücke.
Rivest lebt in Whitehorse, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Yukon. Und -
neben Dawson ein paar hundert Kilo¬meter den Fluss hinunter - jene Stadt, die
auch 116 Jahre, nachdem der Lockruf des Goldes erst¬mals erschallte, noch immer
mit dem Goldrausch am Klondike in Verbindung gebracht wird. Ei¬nen passenderen
Arbeitsplatz für eine Gold¬schmiedin kann man sich kaum vorstellen.
Whitehorse war ein kleines Kaff, als Ende des 19.
Jahrhunderts das Rennen um das Gold im Nordwesten des Kontinents begann. Heute
leben hier 26.000 Menschen: Es gibt einen Flughafen, eine Einkaufsstraße und
mehrere Museen. Und wenn man im Sommer kommt und nicht weit im Voraus
reserviert hat, möglicherweise kein einzi¬ges freies Hotelzimmer. Das Gold am
Yukon übt noch immer seine Anziehungskraft aus, wenn auch mittlerweile eher auf
Touristen. Hat man ein Zimmer, benötigt man für die Rechnung theo¬retisch noch
nicht einmal Dollarscheine: Bis heute kann man in den Hotels im Yukon mit
Nuggets bezahlen. Jede Rezeption hat eine kleine Waage und den aktuellen
Tagespreis zur Hand.
Als am 15. Juli 1897 zwei Schiffe mit Goldgräbern vom
Klondike im Hafen von San Francisco fest-machten, ahnte noch niemand, dass nur
wenige Tage später eine der größten Völkerwanderun¬gen der Geschichte beginnen
würde. Dann aber zeigten die Männer ihre Funde, und das Wort von „a ton of
gold!" verbreitete sich wie ein Lauffeuer: zuerst in der Stadt, dann an
der Küste, dann überall. Im Englischen steht der Begriff „Stampede" für
jenen Moment, in dem eine Rinderherde beschließt, einigen wenigen
voran-preschenden Tieren blind zu folgen. So war das auch damals: Ein paar
brachen augenblicklich auf, Zehntausende folgten ihnen. Die Glücks¬suchenden,
die sich in den Tagen, Wochen und Monaten nach jenem 15. Juli auf den langen
Weg in den Norden machten, wurden Stampeders ge¬nannt. „Label your luggage for
Klondike", sangen die Musiker in den Bars von New York, Chicago und
Toronto, „off and away to the Klondike."
Im Boot oder Kanu zum Klondike
Doch zum Klondike war es ein weiter Weg. Wer sich entschied,
über Land zu ziehen, benötigte länger als ein Jahr - und kam erst in der
unzu¬gänglichen Bergregion am Klondike River an, als die Goldfelder bereits
leergeräumt waren. Die
Schiffspassage entlang der Westküste sparte viel Zeit - wer
diese Route wählte, musste über den Chilkoot Pass. Auf der anderen Seite der
Berge gelangte man über eine Kette Seen an den Yukon. Und in einem
zusammengezimmerten Boot oder einem Kanu zum Klondike.
Suche nach dem Glück
Das war ein bunter Haufen, der da in Dyea an der Küste
Alaskas einfiel, um von hier über den Chilkoot Trail Richtung Klondike zu
ziehen: Veteranen vom 49er-Goldrausch in Kalifornien. immer noch mit der Gier
nach Gold im Herzen, mit der Sehnsucht nach Glück, nach Reichtum, nach El
Dorado. Familienväter auf der Suche nach einem Auskommen. Tagelöhner,
Herum¬treiber, Halunken. Angestellte, die keine Arbeit mehr hatten in einem von
einer schreckli¬chen Wirtschaftskrise geplagten Amerika. Junge Männer, die
frisch von den Colleges im Osten kamen und keinen Schreibtischjob wollten.
Und angehende Schriftsteller wie Jack London. Von Dyea ist
110 Jahre später nicht mehr viel zu sehen. Ein paar morsche Balken im Gras, ein
paar rostige Konservendosen. Jetzt ist hier nichts mehr außer Wind, der vom
Meer heranweht und an Bäumen und Büschen zerrt. Und ein junger Grizzly, der
sich Butterblumen schmecken lässt. Auch ein gutes Jahrhundert nach dem
Gold¬rausch ist die Region zwischen Skagway an der Küste und Whitehorse wildes,
leeres Land geblie¬ben. Natürlich ist auch in den Coastal Mountains und den
tiefen Wäldern in ihrem Rücken jeder Quadratkilometer Land vermessen und
kartogra¬fiert. Es gibt hier längst keinen weißen Flecken mehr auf der
Landkarte. Dennoch fühlt man sich wie der erste menschliche Besucher überhaupt,
wenn man irgendwo entlang des Klondike High¬way das Auto parkt und ein paar
hundert Meter in die Wildnis hinein läuft. Da steht man dann, dreht sich nach
allen Seiten und sieht nichts als Wald, Fels, Schnee und Eis. Der Wind pfeift
ei¬nem um die Ohren, und nichts ist sonst zu hören in dieser menschlichen
Leere, gar nichts.
Auf der anderen Seite des Chilkoot Trail herrscht im
Spätfrühling noch tiefster Winter. Crater Lake, Morrow Lake und Deep Lake sind
unter einer weißen Decke verschwunden, auf dem
Fein rausgeputzt präsentiert sich die ehemalige
Goldgräberstadt Skagway heute.
Lindeman Lake schwimmen gewaltige Eisplatten. Erst der
deutlich tiefer liegende Bennett Lake ist soweit eisfrei, dass ein
Wasserflugzeug landen kann. Überhaupt sieht es auf dieser Seite des Passes
komplett anders aus. Hier stehen aus¬schließlich junge Fichten - sämtliche
alten Bäu¬me sind von den Goldsuchern zu Booten verar¬beitet worden. Auch die
übrige Vegetation ist im Regenschatten der Berge spärlicher. Stattdessen liegen
überall Gegenstände herum, die die Stampeder zurückgelassen haben. Auf der
ameri¬kanischen Seite hat der Wald die Spuren der Goldrausch-Ära längst
überwuchert, hier aber sieht man sie überall: verrostete Konservendosen,
Glasflaschen, zerbrochenes Werkzeug - sogar ein alter Kachelofen steht am
Wegesrand.
Die Glücksritter von einst haben Nachfolger
Was ist geblieben aus jenen Jahren, in denen ein ganzer
Kontinent wie elektrisiert zu sein schien? Das Gold, erstaunlicherweise. Rund
um Dawson wühlen sich etwa 100 Industrieunternehmen durch Erde und Gestein, um
in Tiefen zu suchen, die für die Stampeders von 1898 unerreichbar waren. Aber
auch die Glücksritter von damals haben Nachfolger: Für 180 Dollar Pacht im Jahr
können sich Jack-London-Fans einen kleinen Claim abstecken und mit der
Goldpfanne anrei¬sen. Neulich hat ein Hobbygoldsucher eine Ader entdeckt und
seinen Claim anschließend für 25 Millionen Dollar an einen Bergbaukonzern
verkauft - was dem Traum vom Glück für die nächsten Jahre genug Nährstoff geben
dürfte. Und Cheryl Rivest genügend Kunden. Der Goldsucher, der ihr am Tag zuvor
die Nuggets vorbeigebracht hat, möchte übrigens bald heira¬ten. Aus dem Gold
soll Cheryl ihm zwei Ringe schmieden
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