Die Wege der
Inkas Teil 4
Author D.SelzerMcKenzie
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Der Titicacasee und die Minen von
Potosi
Die Königsstrasse
teilte sich in Azängaro, nicht weit entfernt von Ayaviri und etwa fünfzehn
Kilometer nordöstlich des grossen Felsens von Pucarä, den man auf der HurcossuyuStrasse
erreicht. Hier beginnt das Becken des Titicacasees, das am Nordende des Sees
vorwiegend aus Mooren und Sümpfen besteht, wo das hohe Tortoragras wächst. Das
Gebiet ist ausserdem ein idealer Nistplatz für eine Vielzahl von verschiedenen
Vogelarten.
Obwohl das Land hier
zum grossen Teil fast ständig unter Wasser steht, gibt es doch ein begrenztes
Gebiet trockenen Bodens an der Mündung des RamisFlusses, der weitgehend den
nordwestlichen Teil des Titicacabeckens bewässert. Einige Stammesleute fanden
das Land geeignet zum Wohnen und bauten hier aus Rasenstücken gewölbte Häuser.
Ihre Nachkommen bauen heute noch auf diese Weise.
Der OmasuyuAbschnitt
der Königsstrasse zieht sich am Rand dieser Sümpfe entlang und folgt dem
Ostufer des Titicacasees bis nach Tiahuanacu. Sie passiert dabei Huancano,
Chico und Moho, das wegen seines traditionsreichen Marktes und seiner vielen
chullpa — Steingräber — bekannt ist.
Die meisten Tampu auf
dieser Route gehörten entweder den Pizarros oder Francisco de Carbajal, dem
Stellvertreter und Berater von Gonzalo Pizarro bei dessen gescheiterter
Revolte. Hätte diese Erfolg gehabt, so wäre Carbajal der Marquis der Caiiari
geworden, die infolge ihres Hasses auf die Inka den Spaniern während der ganzen
Eroberung als Verbündete gedient hatten. Er wäre auch Premierminister des neuen
Staates geworden, dessen Gründung er Gonzalo Pizarro geraten hatte.
Am 2 1 . Oktober 1547
kam es beim Tampu von Huarina auf sumpfigem Boden in der Nähe des Ufers des grossen
Sees zu einer grossen Schlacht. Diego Centerio, der für Präsident La Gasca
kämpfte, nahm mit l000 Mann an dieser Auseinandersetzung teil. über Centerio
sagte Pedro de Cieza: «Er war ein Herr, nicht sehr gross, mit gutem Benehmen
und rotem Bart. Er war nicht gerade freigebig, wenn es um sein eigenes Geld
ging, gab aber das Fünftel des Königs grosszügig aus.» Er war von Carbajal
jahrelang quer durch das Andenreich verfolgt worden, und nun, da er die grössere
Streitmacht hatte, meinte er, mit diesem Luzifer abrechnen zu können. Auf der
Seite der Rebellen befehligte Gonzalo Pizarro die Kavallerie, und Carbajal die
Infanterie, die wie ihr Anführer Umhänge aus grünlichem Tuch trug, um sich gut
dem Gelände anzupassen. Jeder von Carbajals 40o Arkebusieren trug zwei bis drei
geladene und zündfertige Donnerbüchsen.
Diego Centerio
wartete; aber Carbajal reizte ihn zum Handeln, indem er die Königsstrasse immer
wieder kreuzte und sich dabei dem feindlichen Feuer aussetzte. Trotz der Gefahr
riet er seinen Leuten: «Feuert nicht, Burschen, wartet ab.» Als ihre Feinde auf
hundert Meter herangekommen waren, gab er den Befehl zum Feuern. Bevor sich
Centerios Männer von dem Schock erholen konnten, kam die zweite Salve und dann
die dritte. über die Hälfte wurden getötet, und Centerio selbst wurde verwundet,
konnte aber entkommen.
Als Gonzalo Pizarro
über das Feld mit den Toten und Sterbenden ritt, starrte er erstaunt darauf
hinunter und bekreuzte sich im Reiten: «Jesus! Was für ein Sieg!»
Es war sein letzter.
Bog man nun zum
HurcossuyuZweig der Königsstrasse ab, so war das erste Tampu nach der
Abzweigung Pucarä, was «Festung» bedeutet. Berge aus rotem Sandstein erheben
sich 30o Meter über das heutige Dorf, in dem sich noch einige Überreste der
Festung und anderer Gebäude befinden, die Cieza «in Ruinen und im Verfall»
antraf.
Väsquez de Espinosa,
der im folgenden Jahrhundert nach Pucarä kam, nannte es «eines der wunderbaren
Werke der Inka» und sprach von dem «grossen, stolzen Gebäude dort und der
Incacancha genannten Festung». Pedro de Cieza hörte, als er sich kurz dort
aufhielt, von einigen älteren Bewohnern Einzelheiten über die um 146o
stattgefundene grosse Belagerung der Festung durch Topa Inka.
Dazu kam weil die hier ansässigen Menschen zur CollaLiga
gehörten, die seit
Jahrhunderten das Vordringen der Inka erfolgreich blockiert hatte.
Die Bewohner von
Pucarä waren wegen ihrer Töpferwaren berühmt, und die Tradition ist heute noch
lebendig in der modernen Keramik, die als «Stiere von Pucarä» bekannt ist.
Diese Stücke werden weithin geschätzt und gesammelt.
Danach erreichte die
Königsstrasse das Tampu von Nicasio, wo Cieza «weinende Indianer sah, die an
der Spitze eines Trauerzugs gingen und traurige und jammervolle Worte sangen».
Das Dorf war damals und ist auch heute noch bedeutend wegen der dort aus Tortora
hergestellten Boote und seiner Fischerei.
Zwei Jahre bevor
Cieza hier eintraf, war der Oberherr von Nicasio, Hernando Bachicao, auf Befehl
von Carbajal erwürgt worden. Bachicao, der einen üblen Leumund hatte, kam
einige Zeit nach dem Beginn der Konquista nach Südamerika. Er nahm aber an der
Schlacht von Las Salinas teil und wurde 1541 Beamter in Cuzco, wo er mit Vaca
de Castro zusammenarbeitete, der den ersten Reiseführer für das Strassennetz
der Inka anfertigte. Bachicao ergriff Partei für Gonzalo Pizarro bei dessen
Rebellion gegen die «Neuen Gesetze» und war einer derjenigen, die den Vizekönig
verfolgten, der dann bei Quito getötet wurde. Sein Charakter wurde aber von
einem der Leute Pizarros durchschaut, der seinen Anführer warnte: «Wenn
Bachicao, wie er behauptet, ein Schüler von Euch ist, dann sind er und Carbajal
viel eher Eure Lehrer, und Ihr seid der Schüler.» Als Bachicao in der Schlacht
von Huarina meinte, dass sich die Waage gegen Pizarro neigte, ging er auf die
andere Seite über; aber als die Niederlage vollendet war, versuchte er,
unentdeckt hinter Pizarros Linie zurückzuschlüpfen. Das entging aber Carbajal
nicht, der ihn sofort umbringen liess.
Die Königsstrasse
verlief nun neben dem grossen See. Die ersten Spanier, die ihn sahen, waren
Diego de Agüero und Pedro Martinez de Moguer, die 15 33 dorthin kamen und bei
ihrer Rückkehr von dem «grössten See in den Indien» berichteten. Cieza gab
jedoch die erste schriftliche Beschreibung. Geographisch liegt der Titicacasee
— oder richtiger: Chucuito — in einem Becken zwischen zwei Gebirgszügen, die
zur Kette der Anden gehören. Der See ist r 3 5 Kilometer lang und 7o breit. Er
liegt auf der Hochebene in einer Höhe von 3800 Meter, was ihn zum
höchstgelegenen schiffbaren Gewässer der Welt macht. Zahlreiche grosse und
kleine Flüsse münden in den See, aber nur einer fliesst aus ihm ab, was zur
Folge hat, dass er leicht salzig ist. Das ihn umgebende Land wechselt zwischen
trockener Pampa und besser anbaufähigem Boden. In dieser Höhe kann Mais, ausser
an geschützten Orten, nicht mit Erfolg angebaut werden, aber Kartoffeln,
Quinoa, Weizen und Gerste gedeihen gut.
Das ganze Gebiet war
in den Zeiten der Inka dicht bevölkert und ist es auch heute noch. Zahlreiche
verschiedene Stämme siedelten sich um den See herum an; die führenden waren die
Lupaca und die Colla, «die gegeneinander Krieg führten». Cieza schreibt, dass
sie «wollene Gewänder tragen. Die Frauen tragen auf dem Kopf eine wollene Mütze
in der Form eines Mörsers. Diese nennen sie chullo.»
Juliaca war die nächste
Haltestation auf der Strasse. Hier gab es das übliche Tampu mit ummauerten
Höfen für die Lamas und kleineren Räumen für die Reisenden. Es scheint recht
bedeutend gewesen zu sein, da Huamän Poma es ein königliches Tampu nennt, aber
heute gibt es keine Andeutungen von grösseren Gebäuden mehr.
Nachdem die Strasse
Caracoto, eine tributpflichtige Gemeinde, passiert hatte, erreichte sie
Hatuncolla, «was ein bedeutendes Objekt war, denn hatun heisst gross. Jetzt [1
549] ist als Folge des Krieges alles verschwunden, und die meisten Eingeborenen
sind fortgezogen.» Cieza sagt uns auch, dass Hatuncolla «der wichtigste Ort im
Land der Colla war. Nachdem die Inka gekommen waren, erweiterten sie die Stadt
und errichteten viele Gebäude und Lagerhäuser, in die der Tribut von den
umliegenden Städten gebracht wurde. Eine Anzahl von mamacona
[Sonnenjungfrauen], Priestern und viele Mitimae wurden angesiedelt. Es gab auch
einen Sonnentempel.» Fast alles ist vergangen, aber die chullpa, die Steintürme
für die Toten, sind geblieben, «denn in dieser Provinz der Colla stellen sie
sie in Reihen auf den Feldern auf; sie sind so gross wie Türme, schön erbaut
aus zueinander passenden Steinen mit Türen, die sich zur aufgehenden Sonne
öffnen».
Die chullpa und auch,
was von den sonstigen Gebäuden von Hatuncolla geblieben ist, sind grösstenteils
um Umayo, ein paar Kilometer wetlich des Sees, konzentriert. Die Begräbnistürme
sind entweder rund oder viereckig; meistens stehen sie auf Hügeln und sind
eigentlich eher verstreut als in Reihen beisammen. Stil und Form des Mauerwerks
ist so schön wie alles in und um Cuzco; manche Steine sind mit skulptierten
Tieren — Eidechsen, Viscachas oder Pumas — verziert. Sie sind präinkaisch und
stellen wahrscheinlich einen Ableger oder auch eine Weiterentwicklung der
älteren TiahuanacuKultur dar.
Squier, der im Winter
1867 auf sie stiess, war von ihrer Grösse und Bauweise fasziniert, und obwohl
es schon Zeichnungen von ihnen gab, machte er doch eine ganze Anzahl von
Daguerreotypien davon. Eine reich verzierte Stele beeindruckte ihn so, dass er
eine Abbildung davon in Blattgold auf den Deckel seines Buches über Peru prägen
liess. Squier meinte, dass «vom Standpunkt der Architektur aus diese chullpa zu
den bemerkenswertesten Monumenten Amerikas gehören».
Geht man die Strasse
weiter, so kommt man nach Paucarcolla, das Huamän Poma als königliches Tampu
verzeichnet. Nach der Eroberung erhielt es Gömez Mazuela als Lehen. Siebzig
Jahre später, nämlich 1613, tritt Väsquez de Espinosa dort zur Zählung seiner
Christen auf und vermerkt eine Gesamtzahl von 1003 Tributpflichtigen.
Chucuito, unser
nächster Halt, stösst an einen Gebirgskamm, der sich sanft zum Titicacasee
hinuntersenkt, und Cieza hielt es fast für die «wichtigste und vollständigste
Siedlung in diesem Reich». Vor seiner Eroberung durch Topa Inka im Jahr 1450
war es das Verwaltungszentrum der aimarasprechenden Stämme der Lupaca und
überlebte die Eroberung als Verwaltungszentrum der Inka. Überreste des Icauyu
und des Kurinuyu, Gebäuden, in denen Beamte wohnten, sind noch vorhanden, und Cieza
sprach von den grossen Wohnungen dort. Chucuito hatte einen so bedeutenden Ruf,
dass es, zusammen mit mehreren Dörfern und Tampu südlich davon, als
repartimiento dem König von Spanien selbst gegeben wurde.
Die nächsten Tampu an
der Königsstrasse kamen in Abständen von ungefähr zwanzig Kilometer. Das erste,
das man nach Chucuito erreichte, war Ancora, wo es viele chullpa gab; dann
kamen Llave, Juli das bemerkenswert ist
wegen seiner vier im MestizoStil erbauten Kirchen und der schon 1590 dort
aufgestellten Druckpresse —, Pomata und Zepita. Als Cieza durch diese Gegend
kam, «war der Gouverneur ein Indianer namens Don Gaspar, der sehr klug und
verständig war». Cieza berichtet uns auch, dass «bei Zepita der DesaguaderoFluss
verläuft».
Seinen ursprünglichen
Namen weiss niemand sicher. Für die Spanier, die bald bemerkten, dass er der
einzige Fluss war, der dem Titicacasee entströmte, wurde er sogleich der
Desaguadero, der «Entwässerungsfluss». Der Fluss, der durchgehend fast fünfzig
Meter breit und ungefähr zehn Meter tief war, bot keine Furt und wurde deshalb
an zwei verschiedenen Stellen mit einer Pontonbrücke aus balsa (Erklärung
weiter unten) überquert.
Als Hernando Pizarro
1537 hierher kam, um die rebellischen Lusaca «zur Räson» zu bringen, stellte er
zu seinem Leidwesen fest, dass die Brücke, die er hätte überschreiten müssen —
die andere war achtzig Kilometer entfernt —, flussabwärts abgetrieben worden
war. «Viele Männer von Pizarro trieben ihre Pferde in den Fluss; vier von ihnen
ertranken, und der eine, der hinüberkam, wurde gefangengenommen und geopfert.»
Der Ort war zweifellos strategisch wichtig.
Cieza weiss nichts
über die Brücke zu sagen, ausser dass «sie dazu benutzt wurde, Zoll von allen,
die sie überschritten, zu erheben». Garcilaso de la Vega, der einen grossen
Teil seines Heimatlandes gesehen haben musste, bevor er es mit neunzehn Jahren
für immer verliess, berichtete, dass «die Brücke ungefähr vier Meter breit,
knapp einen Meter hoch [über dem Wasserspiegel] und dreissig Meter lang war.
Alle sechs Monate musste sie völlig erneuert werden.»
Wiederum verdanken
wir Squier die einzigen authentischen Illustrationen dieser berühmten
Pontonbrücke. Als er 1867 dieses Gebiet erforschte, gab es zwei solche Brücken.
Die wichtigere war die von Nasacara, achtzig Kilometer weiter flussabwärts; sie
bestand aus zwanzig grossen Pontons — Boote aus balsaHolz—, die durch schwere
Seile aus geflochtener cabuyaFaser festgehalten wurden. Diese Seile gingen
durch jedes balsa und waren ihrerseits fest an zwei massiven Stei 'türmen
angebunden. Tortoragras, aus denen die Pontons gemacht waren, wurde auch zu
deren Füllung verwendet, wodurch ein fortlaufender, fester Gehweg entstand. Die
zweite Pontonbrücke, die Squier auch zeichnete, gehörte zur Königsstrasse, und
zwar dort, «wo der Fluss dem See entströmt».
Es muss hier erwähnt
werden, dass das spanische Wort balsa einen leichten, schwimmenden Baumstamm
bezeichnet, der aus balsaHolz sein kann, aber nicht sein muss. Dieses Material
stammt von einem Baum, der in Regengebieten heimisch ist und zur Gattung 0
chroma gehört. Die vorinkaischen Stämme des hohen Nordens von Peru benutzten es
zur Herstellung von Flössen für die Küstenschiffahrt; einem solchen begegnete
Bartolom6 Ruiz, der Navigator der Konquistadoren auf einer Erkundungsfahrt vor
der Eroberung. Die balsa für die Herstellung der oben beschriebenen
Pontonbrükken wurden jedoch aus Tortoragras angefertigt, das geschnitten,
getrocknet und zu zigarrenförmigen Bündeln geformt wurde. Vier solche mit
cabuyaFaser zusammengebundene Bündel brauchte man, um ein Ponton oder Boot zu
bauen, wobei zwei den Rumpf und zwei die Seitenflächen bildeten. Die Indianer
bauen heute noch Boote dieses Typs, die je nach der Länge der Bündel gewöhnlich
zwischen zwei und drei Meter lang sind; aber es gibt auch gelegentlich Boote
von zwölf Meter Länge. Sie sind mit einem einfachen Segel ausgestattet und
werden in seichtem Wasser gestakt.
Weiter entlang des
Südufers des Titicacasees kommt die Strasse durch Huaqui und dann nach
Tiahuanacu, das auf der baumlosen Hochebene wenige Kilometer südlich der
Südspitze des Sees liegt. Es gibt hier wenig Gras, der Wind weht ständig, und
die Temperaturen — besonders nachts und am frühen Morgen — sind extrem tief.
Und doch hat hier ein Volk, über das wir nichts wissen, eine gewaltige
Zeremonialstadt aufgebaut.
Als Cieza hierher kam
— er lieferte die erste und bis zum neunzehnten Jahrhundert beste Beschreibung
der Ruinen —, stellte er fest, dass «es keine grosse Stadt ist. Aber es ist
berühmt wegen seiner grossen Gebäude. In der Nähe der Wohnhäuser befindet sich
ein von Menschenhand angelegter Hügel, der auf grossen Steinfundamenten ruht.»
Das w r die Acapana,
ein riesiger Hügel, eine teilweise künstliche Stufenpyramide, die einst
vollständig mit Stein verkleidet war, mit Grundmauern von Häusern und einem grossen,
steinernen Wasserbehälter. Allem Anschein nach war die Acapana eine Festung wie
Sacsahuamän, die als Zuflucht bei Belagerungen diente. Nordwestlich von diesem
Bauwerk befindet sich eine grössere rechteckige Einheit, die Calasasoya, die
wahrscheinlich eine Tempelumfriedung war; und im Westen liegt ein weiteres grosses
Gebäude, das allgemein als «Palast» benannt wird.
Wer waren die
Bewohner von Tiahuanacu? «Ich fragte die Einheimischen», schrieb Pedro de Cieza
während seines Besuches im Jahr 1549, «in Gegenwart von Juan Vargas [berühmt
dafür, dass er persönlich Illa Tupac, einen der obersten Generäle Manco Capacs,
gefangennahm], der ein encomienda dort besitzt, ob diese Gebäude in den Zeiten
der Inka errichtet wurden. Sie lachten über meine Frage. Sie seien lange vor
den Inka erbaut worden, aber sie könnten nicht sagen, von wem.»
Man ist jetzt
allgemein der Ansicht, dass Tiahuanacu nie eine grosse Bevölkerung aufwies und
dass es kein Stadtstaat, sondern — bis zur Ankunft der Inka — ein abgelegener,
isolierter Platz war, der von Priestern regiert und von Soldaten unterhalten
und verteidigt wurde. Die Wirkung, die Tiahuanacu ausübte, war weitreichend.
Muster und bildhauerische Techniken, ähnlich den in der Stadt üblichen findet
man am ganzen Titicacasee und nach Norden bis Huari — Viriaque —, das in den
Anden bei Vilcashuamän, rund 700 Kilometer entfernt, liegt. Es ist ein Beweis
für Ciezas vortreffliche Beobachtungsgabe, dass er, als er die Ruinen von Huari
sah, vermutete, dass «sie nicht inkaisch waren und dass sie, nach dem Grad des
Verfalls zu urteilen, dort schon seit langer Zeit gestanden haben müssen». So
war also logischerweise Huari entweder eine Kolonie von Tiahuanacu oder doch
wenigstens stark von dort beeinflusst.
Was Pedro de Cieza an
Tiahuanacu am meisten beeindruckte, waren «die grossen Tore . . . kolossale
Bauten», von denen das grossartigste das berühmte monolithische Sonnentor ist.
Das war da, grosse
Tor, dessentwegen Squier 850 Kilometer weit ritt. Er stellte fest, dass es fast
genau vier Meter lang, zwei Meter hoch und einen halben Meter stark war, und
fotografierte es — «für mich interessant, weil es die erste Fotografie war, die
zu machen ich das Glück hatte». In der Mitte des Tores ist der Sonnengott
abgebildet; die von seinem Kopf ausgehenden Strahlen enden in Pumaköpfen, und
die Stäbe in seinen Händen sind mit Kondorköpfen verziert. Geflügelte Figuren
wiederholen sich auf dem ganzen Fries, ein Motiv, das in ganz Peru vorkommt —
auf Webereien, Töpferwaren und Metallarbeiten — und das den weinenden Gott
darstellt, der zoomorphische Tränen — Pumaköpfe und Kondore — weint.
Bei Tiahuanacu
vereinigen sich die beiden Zweige der Königsstrasse — Omasuyu und Hurcossuyu —
wieder, und in derselben Gegend zweigte eine Strasse nach La Paz ab, dem alten
Chiquiapu, jetzt die Hauptstadt des heutigen Staats Bolivien. Diese Stadt wurde
von den Inka wegen der grossen Mengen von Gold, die in der Nähe gefunden
wurden, hochgeschätzt.
Die Hauptstrasse ging
jedoch weiter zu den Dörfern und Tampu von Siquisaca, hinter dem sie das von
den Stämmen des TiticacaseeGebiets bewohnte Land verliess und die grössere
Provinz der Charca, ein stark besiedeltes und von den Inka sehr beliebtes
Gebiet betrat. An einem von Huamän Poma «Acontina» genannten Ort teilte sich
die Strasse wieder; ein Zweig führte direkt nach Osten nach Chuquisaca — später
bekannt als La Plata und heute Sucre — und Pocro, einer Stadt, die auch wegen
ihrer Silberproduktion berühmt war. Sie gehörte Hernando Pizarro.
Unter den Inka war
Chuquisaca ein kleineres Verwaltungszentrum, und erst unter den Spaniern gewann
es an Bedeutung. Die neue Stadt wurde als La Plata von Hauptmann Pedro Anzures
— «Peransures» — gegründet, der, wie Cieza sagt, ein «alter Konquistador war,
sehr beschlagen in der Kriegskunst, weithin geachtet, beliebt und sehr grosszügig».
Im Bestreben, die Spaltung zwischen Almagro und Pizarro zu verhindern, reiste
er 1536 nach Spanien und verschaffte sich königliche Dekrete, die — vergeblich
— das Gebiet, das den beiden gehören sollte, definierten. Anzures kämpfte auf
der Seite des Siegers in der Schlacht von Las Salinas, nahm an der berühmten
Expedition in das CarabayaGebiet teil und gründete, nachdem diese gescheitert
war, 1538 La Plata.
Chuquisaca war, sagte
Cieza, «wegen seines grossen Reichtums an Silber serir berühmt in den Reichen
von Peru. Der Boden hat gegenwärtig [i 549] einen hohen Preis wegen des
Reichtums, der in den Minen von Potosi entdeckt wurde.»
Potosi fiel in die Jurisdiktion
von Diego de Almagros Reich «NeuToledo», aber die gewaltigen Silbervorkommen in
diesem Gebiet wurden erst später entdeckt. «Ein Indianer namens Huanca»,
berichtete der gelehrte Jesuit Jos6 de Acosta, «ging eines Tages aus, um
Hirsche zu jagen, und stiess dabei auf gewisse Bäume, die Quinoa genannt
werden. Er musste sich an einem Stamm festhalten, dessen Wurzeln er dabei aus
dem Boden riss; sie waren mit Silber aus einer Silberader bedeckt. Er wusste
auf Grund seiner Erfahrung als Arbeiter in den Silberminen von Pocro, dass das
Silber gut war. Er brachte das Erz nach Pocro und legte es in einen huayra
[einen primitiven Hochofen, der mit Holzkohle geheizt und durch den ständig
wehenden Ostwind zu einer Temperatur von über r000 Grad Celsius angefacht
wurde]. Da er eine Mine von so grossem Reichtum und damit sein Glück gefunden
hatte, grub er insgeheim noch mehr von diesem Silber aus. Eines Tages wurde er
von einem Spanier namens Diego Villaroel dabei ertappt. Fünf reiche Silberadern
wurden entdeckt, und die Mine wurde am 2I. April i 545 auf ihre beiden Namen
eingetragen.»
Potosi kam später
unter die Herrschaft von Gonzalo Pizarro, der den Silberreichtum zur
Finanzierung seiner Revolte gegen die Krone benutzte. Bis r 56o hatten die
Minen für 5 8 Millionen Peso Silberbarren produziert. i600 hatte Potosi i60000
Einwohner, mehr als jeder andere Platz in dieser Zeit in Amerika.
Pedro de Soria, der
die Arbeiten in den Minen für Pizarro leitete, wurde von Carbajal gedrängt,
«sein Möglichstes zu tun, um für Seine Exzellenz [Gonzalo Pizarro], deren
Ausgaben anwachsen, Silber zu fördern». Er wischte Sorias Klagen beiseite: «Ich
hörte, nicht von irgendeinem schäbigen Soldaten, sondern von vornehmen Edlen, dass
Ihr 15o 000 Peso Gold beiseite schafftet; es wäre also kein schlechter Gedanke,
dieses den Soldaten zu geben, die sich, wie Ihr sagt, bei Euch beschwert
haben.» In Bedrängnis bat Soria um landwirtschaftliche und Bergbaugeräte und
erhielt die Erlaubnis, Hernando Pil,rros Haus zu bewohnen und seine Diener zu benutzen.
Dieses Verlangen nach Silber verstummte nie. «Schickt mir», schrieb Gonzalo
Pizarro, «mit diesen 7000 indianischen Lastenträgern alles Silber, das Ihr
auftreiben könnt, auch Hernando Pizarros Anteil. Ich kann nachts nicht
schlafen, wenn ich an die vielen denke, denen ich Kleidung und Nahrung stellen
muss, und an das, was ich meinen Anhängern schulde.»
Diese Ereignisse
fanden 1547 statt. 1549, als Cieza unterwegs war, um diese Provinzen zu
besuchen, hatte sich die Situation geändert. Pizarro und Carbajal waren tot,
ihr Besitz verwirkt; und Pedro de Hinojosa hatte Pizarros ganzes Vermögen, das
ein jährliches Einkommen von i00000 Castellano abwarf, in Besitz genommen.
Hinojosa hat bewiesen, dass sich Verrat tatsächlich auszahlen kann. Er war 1534
mit Hernando Pizarro nach Peru gekommen. 1547 befehligte er Gonzalo Pizarros
Flotte, aber er ging zu Präsident La Gasca über und nahm 1548 an dem
endgültigen Sieg über seinen Freund und Lehnsherrn teil. Und so wurde er mit
der Hilfe der Umstände und seines Verrats der Gewinner.
Eine Strasse bis ans Ende der Erde
Hier nehmen wir
Abschied von Pedro de Cieza, der berichtet, dass «jenseits dieser Provinz der
Charca die Provinz Chile liegt. Nun habe ich Euch über die Königsstrasse von
Colombia bis Potosi mitgenommen, was nach meiner Schätzung gut 2000 Kilometer
sind. Daher will ich jetzt nicht mehr weitergehen.»
Wohl nicht so sehr um
Genauigkeit bemüht ist unser Führer für die nächsten 2500 Kilometer. Es war ein
Mann von gänzlich anderer Art als Cieza, aus härterem Holz geschnitzt, ein
Mann, der eher Geschichte macht als darüber berichtet — nämlich niemand anderer
als Diego de Almagro, einer der ersten Teilnehmer an der spanischen Entdeckung
und Eroberung von Peru.
1522 schlossen
Almagro, Francisco Pizarro und der Priester Fernando de Luque «vor Gott und den
Menschen» einen Vertrag, dass sie Peru entdecken und erobern und die Beute aus
dem «Königreich des Goldes» gleichmässig teilen wollten. 1527, nach zwei
erfolglosen Expeditionen und nachdem sie Schwierigkeiten bei der Beschaffung
von Hilfsgütern erlebt hatten, ging Pizarro jedoch nach Spanien und besorgte
sich eine königliche Urkunde, die ihn zum Gouverneur und Generalkapitän von
Peru ernannte — obwohl dieses noch nicht erobert war —, Almagro dagegen nur den
nachgeordneten Posten eines Hauptmanns von Tumbes, des nördlichsten Hafens von
Peru und Ausgangspunktes der Eroberung, übertrug. Ausserdem erhielt Almagro den
untergeordneteren Auftrag, Männer und Material aufzutreiben und nach Peru zu
transportieren, so dass er bei der Ergreifung von Atahualpa nicht zugegen war.
So gab es also von Anfang an Streit zwischen Pizarro und Almagro, und dieser
wurde immer heftiger, als ihre vereinigten Streitkräfte auf Cuzco vorrückten
und es eroberten.
Dort erreichten die
Auseinandersetzungen einen Höhepunkt, als Almagroein kleineren Anteil an der
Beute erhielt als Pizarro. Um weitere Streitereien zu verhindern und die Gefahr
eines Bürgerkriegs abzuwenden, plante man, Almagro zum Gouverneur aller Gebiete
südlich des Territoriums von Pizarro zu machen. Der König gab seine Zustimmung
dazu, und die Trennungslinie sollte das reiche Küstental von Chincha, dreizehn
Breitengrade südlich des Äquators, sein.
Obwohl die Geographie
damals weit von einer exakten Wissenschaft entfernt war, konnte doch die
geographische Breite ziemlich genau berechnet werden, und Almagro stellte
alsbald fest, dass Cuzco — der hauptsächlichste Streitpunkt — ein klein wenig
südlich von Chincha und daher in seinem Gebiet lag. Am 12. Juni 1535 wurde
indessen eine neue Vereinbarung getroffen, in der bestimmt wurde, dass die
Geographen zur Einholung «neuer Instruktionen» nach Spanien zurückkehren
sollten und dass Almagro in der Zwischenzeit aufbrach, um festzustellen, was
sein neues Reich zu bieten hatte. So begann also in einer Atmosphäre des Misstrauens
die erste Erforschung der Königsstrasse vom Titicacasee «bis zum Ende der
Erde».
«Almagro war ein Mann
von kleiner Statur», schrieb Pedro de Cieza — der ihn jedoch nicht persönlich
gekannt haben kann —, «mit hässlichen, groben Gesichtszügen, aber grossem Mut
und viel Ausdauer. Er war grosszügig, neigte aber zum Prahlen. Da er jedoch
seine Ohren überall hatte, war er über das Land und das Volk gut informiert,
und die Entdeckung dieser Reiche war grossenteils ihm zu verdanken. Er war ein
Findelkind und so niedriger Herkunft, dass man von ihm sagen konnte, sein
Stammbaum begann und endete mit ihm.» Dieser letzte Satz ist ein wenig
übertrieben, da die Namen seiner beiden Eltern bekannt sind — Juan de
Montenegro und Elvira Guti&rez. Er trug aber keinen dieser beiden Namen,
sondern nahm den Namen des Dorfes an, in dem er 1479 geboren wurde.
Almagro war
ungebildet und einäugig. Wenn der Flecken von der Stelle entfernt wurde, wo
sein linkes Auge hätte sein sollen, erschien eine grelle Narbe, die Augenhöhle
war leer, und eine gezackte Wunde ging bis zur Stirn. Dieses Auge hatte er
durch einen indianischen Pfeil in den frühen Tagen der Suche nach dem «Goldenen
Königreich» verloren, und er hatte daher den Spitznamen «der Blinzler». Aber er
war eine geborene Führernatur, stand zu seinem Wort und war taps: r und
beliebt.
Für Almagro und alle
anderen Spanier war Chile weithin unbekannt. Die Indianer, die danach befragt
wurden, sagten, es sei ein Land der Wüsten und hohen Gebirge, aber reich an
Gold. So war es von Anfang an klar, dass eine sorgfältige Planung unerlässlich
war. Almagro beorderte infolgedessen einen seiner Hauptleute nach Lima, um dort
drei Schiffe zu beschaffen, auszurüsten und mit Nachschubgütern zu beladen. Mit
ihnen sollte er nach Süden segeln und sich schliesslich mit der Hauptmacht
treffen, obwohl es nicht vorherbestimmt werden konnte, wo und wann.
Inzwischen
versammelte Almagro eine Streitmacht von 570 Mann, teils Kavallerie, teils Fusssoldaten.
Hernando de Soto, der ungeheuer reich war, bot einen grossen Teil seines
Vermögens, wenn er den stellvertretenden Oberbefehl erhielte, aber Almagro
lehnte ihn zugunsten von Rodrigo Ord6fiez ab, eines Juden, der zum Christentum
übergetreten war.
Auch der neu
eingesetzte Inka Manco Capac wurde um Hilfe gebeten und war gern dazu bereit,
da er zweifellos nur zu erfreut darüber war, dass damit so viele lästige
Spanier aus dem Weg sein würden. Er wählte 12 000 Stammesleute als Lastenträger
aus und stellte einen ganzen Zug von Lamas zur Verfügung. VillacUmu, der
höchste Priester des Landes, und Mancos Halbbruder Paullu erhielten den
Oberbefehl über die indianische Streitmacht. Paullu, der damals kaum zwanzig
Jahre alt war, hatte merkwürdig gegensätzliche Motive. Er nahm Partei für die
Spanier gegen sein eigenes Volk, und als Manco sich in die Festungen von
Vilcabamba zurückzog, wurde er an seiner Stelle MarionettenInka.
Als die
Vorbereitungen genügend weit gediehen waren, sandte Almagro hundert berittene
Soldaten und Tausende von Indianern in rollendem Einsatz voraus. Diese folgten
der Königsstrasse südlich des Titicacasees beim Tampu von Paria. Dort, nicht
weit von dem stark salzigen See von Aullaga — jetzt Poopö —, schlug Hauptmann Juan
Saavedra das Lager auf und begann, Vorräte anzulegen. Auf seinen Befehl, den
Paullu weitergab, schlachteten die Indianer Lamas und machten charqui aus ihrem
Fleisch; Mais, Bohnen und Pfeffer wurdet", in FünfundzwanzigPfundSäcken
gelagert. Mehl wurde aus chuiio— getrockneten Kartoffeln — hergestellt.
Im August i 5 3 5
brach Almagro mit der Hauptmacht von Cuzco auf; er kam rasch vorwärts und
vereinigte sich mit der Vorhut in Paria. Zusammen rückten sie weiter nach Süden
vor. Trotz der Anwesenheit von Paullu und VillacUmu stiessen sie bald auf
Widerstand der Eingeborenen aus der Montaria unterhalb der Provinz der Charca.
Diese Indianer kämpften mit Pfeil und Bogen — die nie von den Inka benutzt
wurden —, und Almagros Pferd wurde getötet.
In Tupiza am oberen
SanFranciscoFluss — einem Nebenfluss des Rio de la Plata — machte das Heer
halt, da Paullu einen Boten und eine Staffel von Indianern abfing, die mit
Tributgold aus Chile nach Norden unterwegs waren. Ein Spanier schätzte den Wert
des Schatzes auf «90 00o Castellano, während andere ihn mit dem dreifachen
Betrag bewerteten». «Das Gold war eine Augenweide», erinnerte sich einer, «es
wirkte auf die Männer wie die Sporen auf ein Pferd.» Dieses Gold gehörte
vermutlich zu dem Lösegeld für Atahualpa, das sich wegen der ungeheuren
Entfernung verzögert hatte. Die Spanier waren besonders beeindruckt von einem
vierzehn Pfund schweren Goldklumpen, was ihre Hoffnung auf einen Erfolg der
Expedition vergrösserte.
Unmittelbar nach
diesem Zwischenfall verschwanden VillacUmu und die Hälfte der Träger, und doch
entdeckte Almagro —hauptsächlich, weil Paullu zurückblieb — zunächst keinerlei
unheildrohenden Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen. Er geriet jedoch
in Zorn, und das spiegelte sich in der Art wider, wie er die Indianer, die
geflohen waren, ersetzte. «Alle Eingeborenen», schrieb Cristöbal de Molina,
«die nicht freiwillig an der Expedition teilnehmen wollten, wurden in Fesseln
und Ketten mitgenommen. Sie wurden nachts eingesperrt und tagsüber beladen und
vor Hunger fast sterbend mitgeführt. Wenn Stuten der Spanier Fohlen bekamen, mussten
diese Indianer sie in Sänften tragen.»
Cristöbal de Molina —
aus Santiago — zum Unterschied von einem Pater desselben Namens, der aus Cuzco
kam — wurde 1491 geboren und reiste viel in Europa, bevor er 1532 in Peru eintraf.
Seine Teilnahme an der Expedition gehörte zum üblichen Ritual der Eroberung,
denn Krone und Kirche wünschten sich sowohl geistlichen Gewinn wie materiellen
Nutzen. Die Spanier betrachteten es als ihre heilige Pflicht, alle Indianer zu
ihrer Religion zu bekehren — wenn möglich durch Ermahnung, andernfalls aber
durch nackte Gewalt —, und ihr Glaube gehörte ebenso zu ihrem Gepäck wie Pferd
und Degen. Bevor Feindseligkeiten eröffnet werden konnten, musste der
amtierende Priester oder ein königlicher Notar das Reglementverlesen, das den
durch den Papst sanktionierten Anspruch des spanischen Königs auf alle Länder
Amerikas feststellte und von den Eingeborenen forderte, ihren Irrglauben
abzulegen und zum Christentum überzutreten. Wenn ein Dolmetscher zur Stelle
war, wurde das seltsame Dokument übersetzt, wenn nicht, wurde es eben auf
Spanisch verlesen, und es blieb den Indianern überlassen, seine Bedeutung auf
irgendwelchen unergründlichen Wegen aufzufassen. Wenn sie das Reglement
annahmen und den Spaniern gestatteten, sich niederzulassen, gab es keine
Feindseligkeiten, taten sie es aber nicht, dann waren Blut und Feuer
gerechtfertigt.
«Ich begleitete»,
schrieb Cristöbal de Molina an seinen König, «Almagro bei seinen Entdeckungen
in Chile.» Und er wurde einer seiner Geschichtsschreiber. Almagro selbst war
Analphabet—was er zugibt; denn ein Dokument vom 2. November 1537 trägt nur
Almagros Schnörkel, was bei ihm offiziell als Unterschrift galt. Es war von
einem Notar gegengezeichnet: «auf Ersuchen von Almagro, da er sagte, er könne
nicht schreiben».
Aber
«Analphabetentum» darf man nicht als gleichbedeutend mit Dummheit betrachten;
derselbe Pater berichtet uns im Gegenteil, dass «Almagro, da er Eure Majestät
von allem unterrichten wollte, einen gewissen Henao aussandte, um alle Strassen
aufzuzeichnen, die er betrat und entdeckte, also von Tumbes — in Peru — bei
drei Grad südlicher Breite bis zum Fluss Maul6 bei fünfunddreissig Grad
südlicher Breite, was zu Land 5200 Kilometer weit ist, und ebenso alle Nationen
und Stämme mit ihren Kleidungsgebräuchen und Lebensgewohnheiten zu zeichnen —
sowie viele andere Dinge». Dieser letzte Teil des Berichts und Henaos
Zeichnungen sind noch nicht wieder aufgetaucht. Es gibt eine bekannte und oft
reproduzierte Illustration eines araukanischen Indianers von Chile — die
früheste Illustration eines Ine%ners, der einen Poncho trägt, die in einem Buch
erschien, das in den Bibliographien als «Marcgrav» angeführt wird, korrekter
aber Georg, Markgraf von Leibstadt, (Historia rerum naturalium Brasiliae . . .
et Chilensibus), Ludgum 1648, heissen müsste.
Molina beschreibt,
wie die eingeborenen Träger den ganzen Tag ohne Ruhepause arbeiteten und nur
etwas gerösteten Mais und Wasser zu sich nahmen. «Ein Spanier schloss auf
dieser Expedition zwölf Indianer mit einer Kette zusammen und brüstete sich, dass
alle zwölf so gestorben seien. Starb ein Indianer, so hieb er ihm den Kopf ab,
um den anderen Schrecken einzujagen und es sich zu ersparen, das Vorlegeschloss
der Kette aufzumachen.»
Die Spanier hatten
Angst. Sie reisten in unbekanntem Land, waren Gefangene des Raums, und der
Terror war eine Waffe. Pedro de Cieza versuchte, diesen, äusserlich betrachtet,
Grausamkeiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und bat seine Leser, zu
bedenken, «was für unerhörte Mühen und Gefahren eine so kleine Zahl von
Spaniern in einem so weiten Gebiet zu bestehen hatte — die kaum glaublichen
Zwischenfälle in diesen Kriegen und bei der Entdeckung eines Gebiets von 8000
Kilometer Länge, den Hunger, Durst, Tod und alle Beschwernisse». Dann sein
moralisches Urteil: «Ich möchte nicht die Beschäftigung von indianischen
Trägern in vernünftigem Ausmass verurteilen. Aber wenn vier Indianer gebraucht
wurden, nahm man ein Dutzend, und es gab viele Spanier, die sich ihre Huren von
den armen Indianern in Hängematten tragen liessen. Wollte man die grossen
übeltaten aufzählen, so gäbe es kein Ende, denn sie töteten die Indianer, als
seien sie nutzlose Tiere. Ich behaupte freilich keineswegs, dass alle Spanier
diese Untaten verübten, denn ich sah und weiss von vielen Beispielen guter
Behandlung der Indianer.»
So rückten sie,
während der Tod umging, nach Jujuy — jetzt in Argentinien — vor, wo die
Hauptstrasse auf die Seitenstrasse nach Tucumän traf. Die Strasse, auf der sie
ritten, variierte in der Breite zwischen drei und sechs Meter, und man kann sie
noch gut sehen, da das Gebüsch, das vor Jahrhunderten beseitigt wurde, sich
nicht wieder ausgebreitet hat und die Oberfläche der Strasse lediglich der von
Natur harte Sandboden der Puna ist. In den üblichen Abständen von 20 bis 25
Kilometern findet man die Überreste von Tampu, von denen viele erst kürzlich
von einer Gruppe von argentinischen Archäologen wiederentdeckt wurden. Es war
eines der Wunder des inkaischen Verkehrssystems, dass Strassen, Ruheplätze,
Brücken und die topo als Entfernungsmesser in so isolierten Gegenden erbaut und
unterhalten werden konnten.
Auf der Ebene von
Chuciana — dem modernen Salta — ruhten sich Almagro und seine Männer aus und
warteten, bis der Schnee auf den Pässen schmolz. Im ganzen Frühjahr 1536
bereiteten die Indianer —von denen in den Berichten nur als «Dienststücken»
gesprochen wird —, die Vorräte für die nächsten sechs Monate zu, während der
Schmied seinen transportablen Amboss aufstellte und Hufeisen aus Kupfer — Eisen
gab es nicht — schmiedete. Kupferne Hufeisen waren entbehrlich, Pferde jedoch
nicht.
Das Heer setzte sich
in Bewegung, als Kundschafter meldeten, dass der Schnee geschmolzen sei. Die
Schneeschmelze führte aber zu einem Ansteigen des Flusses Huachipas, und in der
folgenden Überschwemmung ertranken viele Indianer.
Arenal, ein breiter
Streifen öder Wüste, wurde in sechs mörderischen Tagesmärschen durchquert; an
seinem Ende waren kahle Berge zu sehen, zwischen denen ein See eingebettet lag,
den die Spanier Laguna Blanca tauften. Die noch deutlich markierte Strasse war
nicht gepflastert, da die Erde einen Überzug aus Kies, Stein und Sand hatte,
der eine genügend harte Oberfläche bot. Die einzige Vegetation hier bestand aus
niedrigen, zähen Büschen mit kümmerlichen Blättern, die aus der Ferne als
dichter Bestand erschienen, sich aus der Nähe jedoch als in lockerem Abstand
stehend erwiesen. Sie waren weder für Menschen noch für Tiere als Nahrung
verwertbar. Die Ingenieure der Inka mussten diese Büsche roden, um Platz für
die Strasse zu schaffen, die immer noch als gerade Linie quer über die
Hochebene zu sehen ist.
Die Tampu in dieser
trostlosen Gegend waren aus pirca — losen Steinen — erbaut, die nach
Möglichkeit mit llanac allpa — «klebende Erde» — zementiert war. In günstig
gelegenen Gebieten waren grosse und gut angelegte Zentren erbaut worden, von
denen manche von den Archäologen ausgegraben wurden. Mumien, inkaisches
Schuhzeug, Kopfputz, Webereien, Töpferwaren und Metallarbeiten — aus Kupfer,
Bronze, Silber und sogar Gold — sind dort gefunden worden. Ausserdem haben
Untersuchungen an Ort und Stelle ergeben, dass es keineswegs nur eine Inkastrasse
in dieser Gegend gab, sondern ein ganzes Netz von Strassen, die kreuz und quer
durch die Anden zwischen Argentinien und Chile verliefen. Die Leistung der
Inka, ein solches Strassensystem zu bauen, ist historisch gesehen beispiellos,
wenn man bedenkt, wie unwirtlich und trostlos diese Gegend ist, aber sie wird
nahezu unglaublich, wenn man sich klarmacht, dass die Inka erst 1471 mit der
Eroberung dieses Gebiets begannen, also nur fünfundsechzig Jahre, bevor Almagro
hierher kam.
Tupac Yupanqui,
genannt Topa Inka, wurde 1473 als Inka inthronisiert. Vorher, als er noch
General des Heeres war, hatte er Botschaften von Stämmen weit im Süden der
Tucma — später Tucumän —in Argentinien empfangen, und diese Stämme wurden dem
Inkareich eingegliedert. Nachdem er die Stellung des Inka erlangt hatte,
beschloss Topa Inka jedoch, wie Garcilaso de la Vega schrieb, «ein grösseres Unternehmen:
die Eroberung von Chile». Führer und Kundschafter wurden ausgesandt, die genaue
Informationen sammelten und übermittelten. Da Wasser und die
Grundnahrungsmittel spärlich waren, rückte das Heer in Staffeln vor: nach einer
gewaltsamen Erkundung stiessen drei Heere zu je to 000 Mann in die Provinz
Cuquimpü — Coquimbo — vor, wo die eigentliche Grenze zu Chile liegt. Die
Stammesstaaten von Atacama, damals Copiapö, unterwarfen sich, denn als sie die
grosse Menge von 30000 Mann erblickten, «ergaben sie sich sogleich, worüber
sich der Inka freute, der die Tore des Reiches von Chile offen sah». Darauf
marschierten die Heere der Inka weiter zum MauleFluss, 33o Kilometer südlich
des heutigen Santiago und 35 Breitengrade südlich des Äquators. Nachdem sie dort
auf heftigen Widerstand des Stammes der Purumacha stiessen, befahl der Inka
Halt, und der MauleFluss wurde zur Südgrenze des Inkareichs. Die Herrschaft der
Inka in dem neu eroberten Gebiet wurde alsbald gefestigt, und ein
leistungsfähiges Kommunikationssystem wurde eingerichtet.
Auf einem
Plateau oberhalb von Cuzco bauten die Inka im 15. Jahrhundert die Festung von
Sacsahuamän. Ihre dreifachen Mauern standen auf Terrassen übereinander. Sie
erreichten eine Höhe von 8o und eine Länge von 500 Meter. Hier ist noch das
Fundament des ehemaligen turmartigen Zentralgebäudes der Festung zu sehen.
Die Nazca,
eines der ältesten Kulturvölker Amerikas, zeichneten sich nicht nur durch eine
hochentwickelte Weberei und Keramikkunst aus, sondern auch durch ihre Goldschmiedekunst.
Diese Totenmaske ist aus t8karätigem Gold hergestellt und befindet sich heute
im Museum in Lima
Eine
goldene Totenmaske aus der ChimüKultur, die sich heute im Museum «Oro del Peru»
in Lima befindet. Die Chimü, deren Reich sich von Paita an der nordperuanischen
Küste bis nach Lima erstreckte, waren den Inka, durch die sie um 148o erobert
wurden, in der Metallkunst weit überlegen.
Goldenes
Opfermesser aus der ChimüKultur, das wahrscheinlich nur symbolischen Zwecken
diente. Das mit Türkisen besetzte Zeremonialmesser stellt einen unbekannten
Menschen oder Gott dar. Unten: Kostbarer, verzierter goldener Brustschmuck aus
der ChavfnKultur.
Die Atacamawüste fordert ihren
Tribut
Um in die Provinz
Chile einzumarschieren, mussten Almagro und seine Männer die Anden
überschreiten, wozu sie einen Pass benutzten, den sie San Francisco nannten.
Die Berge, die sie bei ihrem Aufstieg vor sich sahen, waren zuerst kahl,
oberhalb von 4000 Metern jedoch mit Schnee bedeckt. Der hundertzwanzig
Kilometer lange Pass zog sich an der Schneegrenze hin, und Hunger und Kälte
machten dem erschöpften Heer ständig zu schaffen. Almagro, der erkannte, wie
verletzlich seine Truppen in dem beängstigend engen Pass waren, befürchtete
einen Hinterhalt, aber eines solchen bedurfte es bei der so feindseligen Natur
gar nicht.
In den fünfzig Jahren
vor der Ankunft von Diego de Almagro hatten die Inka ein Strassennetz mit den
üblichen leistungsfähigen Kommunikationsmitteln — Strassen, Brücken,
ChasquiSystemen und Tampu — eingerichtet und beherrschten es politisch so
vollkommen, dass seine Struktur die Bürgerkriege zwischen Atahualpa und Huascar
ebenso wie den Schock, der durch die Ankunft der «Bärtigen» ausgelöst wurde,
überstand. Jetzt, im Jahre 1536, traten diese selbst auf den Schauplatz.
Hunger, Schnee und
Kälte waren die beständige, misstönige Begleitmusik. Die indianischen Träger
hatten leichte Sandalen oder waren barfuss und trugen nur einen wollenen
Poncho. Die Spanier waren nicht allzu schwer gekleidet unter ihrem stählernen
Panzer, obwohl der König von Spanien Almagro einen Pelzmantel geschickt hatte.
Die Pferde waren den eisigen Winden, den Frostnächten und der graslosen Erde
schutzlos ausgesetzt.
In dieser Höhe leidet
der Mensch an soroche; der Sauerstoffmangel ruft schweres Kopfweh und Schwindel
hervor, jene Symptome, die Jose de Acosta so beschreibt: «Die Luft ist so dünn
und durchdringend, dass sie einem in die Gedärme schneidet.» Das blendende
Licht der vom Schnee reflektierten Sonne verursachte Schneeblindheit — die Indiane_
nannten sie surumpi, wenn als Nebenwirkung auf der Innenseite des Augenlids
scharfe Knötchen entstanden, so dass man das Auge nur unter Schmerzen schliessen
konnte. Unter diesen widrigen Umständen wurde der Pass überschritten. Die
Indianer, die «Dienststücke», starben tausendweise, die Pferde, was den
Spaniern als ein noch schmerzlicherer Verlust erschien, zu Hunderten. Diese
riesigen Verluste waren nicht einfach eine Übertreibung der Spanier, denn als
Juan de Herrada ein paar Monate später Almagros Spuren folgte, waren die toten
Indianer so zahlreich, dass ihre gefrorenen Leichname wie sonst die
Quadersteine aufgeschichtet waren, um einen Schutz gegen Wind und Schnee zu
bieten. Was die toten Pferde anging, so lieferten sie tiefgefroren die Nahrung für
die Schar der Kämpfer auf ihrem Weg zu den grünen Weiden von Chile. Der Fall
von Jerönimo de Castilla ist typisch. Sein Körper war durch den Frost so steif,
dass er eines Abends mit den Schuhen auch seine Zehen ablegte und ihren Verlust
erst am anderen Morgen bemerkte.
Diego de Almagro war
sich klar darüber, dass sie Hilfe brauchten, suchte die zwanzig besten Pferde
aus und brach, vom Inka Paullu begleitet, zur Küste auf, die ungefähr
hundertfünfzig Kilometer entfernt war.
Niemand hat darüber
berichtet, wie die an der Küste wohnenden Diaguita reagierten, als plötzlich
aus der Wüste zwanzig Reiter auftauchten. Die Stammesleute, die am Rand des
Gebiets lebten, das an den CopiapöFluss grenzt, waren vielleicht zu verblüfft,
um überhaupt zu reagieren, und die Spanier zu hungrig, um Befürchtungen zu
hegen. Sollte es Zwischenfälle gegeben haben, so mussten sie durch die
vermittelnden Worte von Inka Paullu bereinigt worden sein.
Hilfe tat not, und
das Wort des Inka war Gesetz, so wurde sie freiwillig geleistet. Eine lange
Reihe von Indianern mit Lebensmitteln und Wasser folgte dem Trupp hinauf zum Pass
San Francisco.
Almagro überschaute
rasch seine strategische Lage. Copiap6, das Zentrum der an der Küste wohnenden
Diaguita, lag 8o Kilometer vom Meer entfernt zu beiden Seiten eines Flusses.
Dort wurde intensive Landwirtschaft betrieben — Mais, Bohnen, Spanischer
Pfeffer, Kürbis, Jucca und Kartoffeln. Im Süden und Norden war dagegen die
Atacamawüste, die trockenste der Welt, wo nie Regen fällt.
Der Stamm, der über
die Pässe der hohen Anden hierhergekommen wa, war ein Ableger der kulturell
weiter entwickelten Diaguita, die im jetzigen oberen andinen Argentinien lebten
und berühmt waren als Töpfer und Kunsthandwerker, die massive Kupfer und
Bronzegegenstände herstellten.
Da es nie regnete,
waren die Häuser aus luftgetrockneten Lehmziegeln — Adobe — erbaut oder,
entlang des Flusses, aus Schilf, das mit llanacallpa — «klebender Erde» —
verputzt war. Ihre materiellen Güter waren in den Augen der an Berge von
Inkagold und silber gewöhnten Spanier nichts wert: die Töpferware waren
Gebrauchsgegenstände, der Fischfang ergänzte die Stärkekost; sie hatten
kupferne Waffen wie Hellebarden und Speere mit Metallspitzen, jedoch weder Gold
noch Silber. Jeder Indianer besass vier bis acht Lamas, die Häuptlinge zwölf
bis zwanzig. Die Kost war einfach und eintönig, frischer Mais wurde geröstet
oder gekocht; man konnte ihn auch trocknen und mahlen und dann mit Wasser zu
einem Teig verarbeiten, der in Asche gebacken wurde. Schmorgerichte aus getrocknetem
Fleisch oder Fisch wurden mit Bohnen oder Korn gestreckt und mit sehr scharfem
Pfeffer gewürzt. Salz, das aus dem Meer gewonnen wurde, war eine Handelsware.
Zweimal am Tag, am Vormittag und bei Einbruch der Dunkelheit, wurden Mahlzeiten
eingenommen. Das war auch bei den Spaniern der Brauch gewesen, bevor sie sich
das Mittagsmahl angewöhnten: almuerzo— Mittagessen — war in Wort und Tat
arabisch.
Die Verluste bei der
Überquerung der Anden waren entsetzlich: über 5000 Indianer, 170 Pferde und
sieben Spanier tot, die letzteren allerdings schon vor dem Übergang über den Pass
San Francisco. Aber Almagro wusste, dass drei Schiffe mit Nachschub an der
Küste entlangsegelten, drei verschiedene Verstärkungstrupps wurden über Land
erwartet, und die Diaguita würden trotz seiner dezimierten Reiterei wenig
Widerstand leisten. Er war sich dieser Hoffnungen sosicher, dass er ein Fest
anordnete und auf dessen Höhepunkt dreissig Häuptlinge festnehmen liess.
Almagro wollte erfahren, welches Schicksal die drei spanischen Kundschafter,
die ohne seine Erlaubnis vorausgegangen waren, erlitten hatten. Es gab Mittel,
um sich diese Informatione' zu verschaffen. Die Spanier waren, wie zu erwarten
war, getötet worden. Auf Grund des Gesetzes der Vergeltung wurden die
Häuptlinge nach dem Verhältnis zehn für einen lebendig verbrannt.
Almagro hatte sich
seinen Namen gemacht.
Der Marsch nach Süden
setzte sich auf der markierten Strasse fort, einem Weg, der auf der
Standardbreite von siebeneinhalb Meter von Steinen und Vegetation gesäubert
war. Das Wasser wurde getragen. Zunächst marschierten sie wegen der intensiven
Hitze und der grellen Sonne, die sich in dem mit Salpeter bedeckten Kieselsand
spiegelte, bei Nacht, aber dann stellten sie fest, dass die kleinen Rinnsale,
die vom Gebirge herabkamen, nachts ausblieben. Vor ein Rätsel gestellt, suchten
sie nach einer Lösung. Diese war, dass die Hitze der Sonne die Gletscher zum
Schmelzen brachte, so dass dann die kleinen Bäche zu Tal flossen. Bei
Sonnenuntergang hörte dieser Vorgang auf. Wer die Wüsten von Peru im Norden
kannte, wusste, dass es keinen Regen an der Wüstenküste gab. Der Himmel war oft
überzogen, der Regen hing wie unvergossene Tränen in den Wolken, fiel aber
nicht. Warum? Sie hatten nicht etwa ein abstraktes Interesse an dieser Frage,
denn die Antwort war eine Sache auf Leben oder Tod, wie es auch die Kunst ihres
Führers war, voraussagen zu können, wann und wo Wasser gefunden werden konnte.
Ausserdem waren die
drei von Lima ausgelaufenen Schiffe mit dem lebensnotwendigen Nachschub wegen
Gegenwind weit im Verzug. Überall an der 4200 Kilometer langen Wüstenküste
wehte der Wind heftig nordwärts. Je nach seiner Stärke behinderte oder
begünstigte er die Schiffahrt.
Der Konquistador wusste,
dass das Meer sehr kalt und dass die Nordströmung sehr stark war und zwischen
drei und sechs Knoten in der Stunde variierte. Verursachte die Strömung den
Wind? Jose de Acosta, der gelehrte Jesuit, der 1590 an diesen Küsten reiste und
so grosse Schwierigkeiten mit dem soroche hatte, bezeichnete den Wind als «störend und ungesund. Der Himmel war
bewölkt, aber es regnet nie . . . ein Naturwunder, dass es nie an der Küste
regnet und immer windig ist.»
Auch ohne eine
definitive Antwort auf die Frage nach den Ursachen w Almagro als guter Anführer
doch in der Lage, seine Männer durch eine furchtbare Hitze am Mittag zu führen
und sie während der scharfen Kälte der Nacht ruhen zu lassen, denn in der Wüste
setzt die Abkühlung ein, sobald die Sonne untergeht. Als sie hundertfünfzig
Kilometer zurückgelegt und das Gebiet der Picunche, des «Nordvolks», erreicht
hatten, kamen sie nach Coquimbo. Dort erwartete sie die willkommene Nachricht,
dass die Santiago, eines der drei Versorgungsschiffe, eingetroffen war.
Schinken,
Salzfleisch, Brot, Zwiebeln, Knoblauch, Zucker und Wein, Pferde, Schweine und
Rinder, Hufeisen, Sättel, Kleider, neue stählerne Hellebarden von jener Art,
deren blattartige, rasiermesserscharfe Schneiden sich verheerend auf das
menschliche Fleisch auswirken — das alles machte ihnen grosse Freude — sowohl
gastronomisch wie militärisch.
Coquimbo, das vom
ChoapaFluss bewässert wird, hat eine Bucht und einen natürlichen Hafen,
fruchtbare Täler und, wenn Almagro danach gesucht hätte — was er nicht tat —,
eines der grössten Kupfervorkommen in der südlichen Hemisphäre. Goldene Städte,
«ein neues Peru», waren sein Ziel.
Hier hörte Almagro
von Gonzalo Calvo. Wer war Gonzalo Calvo? Wie war es möglich, dass ein Spanier
allein den ganzen 3400 Kilometer langen Weg herunter von Peru durch eine der
trostlosesten Wüsten der Welt und durch Völker zurückgelegt hatte, die
verständlicherweise den Spaniern höchst feindselig gesonnen waren, und der dann
dort nicht etwa eine einsame Zuflucht, sondern eine Stellung von erheblichem
Einfluss bei den Piunche gefunden hatte? Er übernahm die indianische Kleidung,
lernte die Sprache, ohne die eigene zu vergessen, hatte Frauen, ein Haus und
eine angesehene Stellung. Aber sein langes Haar konnte seine Entstellungen
nicht verbergen: beide Ohren waren ihm abgeschnitten worden. Er war, so
berichtete er Pater Cristöbal de Molina, auf Befehl von Francisco Pizarro wegen
irgendeines Verbrechens verstümmelt worden, und da er diese Entstellung nicht
ertragen konnte, floh er nach Chile — auf welche Weise, weiss man nicht.
Der Stamm, mit dem
Gonzalo Calvo sein Los teilte, wohnte in dem fruchtbaren AconcaguaTal, das von
einem Fluss desselben Namens bewässert wird, der dem Schnee der schmelzenden
Gletscher auf dem Gipfel des Aconcagua, des höchsten Berges der westlichen
Hemisphäre — 69 5 8 Meter — entspringt. Unterhalb von ihm war ein weiterer Pass
— der Uspallata —, den die Inka benutzten und über den eine Inkastrasse mit
Tampu gebaut worden war. Obwohl das Tal grossen Reichtum bot, fruchtbare
Seitentäler mit subtropischer Temperatur und reiche Mineralquellen — Eisen,
Kupfer, Blei, Silber, Gold, Mangan —, konnte doch keiner dieser Bodenschätze in
eine unmittelbar verwertbare Beute verwandelt werden.
Das Heer, das nun auf
über siebenhundert Mann angewachsen war — denn es waren von Ruy Diaz
Verstärkungen herangebracht worden, zu denen auch Almagros fünfzehnjähriger
Sohn Diego gehörte —, kam in guter Ordnung weiter nach Süden vorwärts und traf
zunächst auf keine Schwierigkeiten.
Dann wurden sie
plötzlich angegriffen. Almagro hatte auf eiserne Disziplin geachtet und
gestattete seinen Leuten keine Provokationen oder Plünderungen. Gonzalo Calvo
und sein Stamm waren ihnen freundlich gesonnen, wieso also der Angriff? Dann
bemerkte Almagro, dass der Dolmetscher Felipillo fehlte. Nach intensiver Suche
fand man ihn bei einer Anzahl von YanaKona, indianischen Trägern, die die
Absicht hatten, sich aus dem Staub zu machen.
Felipillos richtiger
Geburtsname ist zwar nicht überliefert, aber seine persönliche Geschichte ist
wohlbekannt. Als Francisco Pizarro 5 27 mit seiner kleinen Streitmacht in
Tumbes, der grossen nördlichsten Küstenstadt der Inka, seinen ersten Kontakt
mit Peru hatte, beschloss er, zwei von seiner Truppe, Alonso de Molina und den
Negersklaven Gins zurückzulassen. Sie sollten die Sprache und die Gebräuche des
Landes kennenlernen, bis Pizarro zurückkehrte. Umgekehrt nahm Pizarro zwei
junge Männer des Stammes der Tumbe mit nach Spanien, von denen einer Felipillo
genannt wurde. Pizarros Ankunft in Spanien mit viel Gold, schönen Webereien aus
Vicuriafaser, silbernen Bechern, drei Lamas und zwei Indianern, begleitet von
schönen Reden über die Entdeckung des Goldenen Reiches erregte natürlich grosse
Neugier beim Publikum. So wurde Felipillo mit den Lamas, den gefiederten
Mänteln und den goldenen Schätzen vorgeführt, um den König zu beeindrucken, von
dem Pizarro aie Zustimmung zur Kapitulationsurkunde erwartete und auch erhielt.
Felipillo schlüpfte aus seinem indianischen Poncho, liess sich das Haar
schneiden, kaufte Pluderhosen und Wildlederschuhe, ein Wams mit Schlitzärmeln,
einen leinenen Halskragen und einen kleinen zuckerhutförmigen Hut. In vier
Jahren lernte er, Spanisch zu lesen und zu schreiben.
Als Francisco Pizarro
1532, Seele und Körper gewappnet für die Eroberung, nach Tumbes zurückkehrte,
war Felipillo Dolmetscher. Der Niedergang seines Heimatlandes deutete auf
Veränderungen hin, und er erfuhr, dass es während seiner Abwesenheit, also
zwischen 1527 und 1532, einen Bürgerkrieg zwischen Atahualpa und Huascar, den
Konkurrenten um die Herrschaft, gegeben habe und dass Atahualpa viele seiner
Stammesgenossen, der Tumbe, darunter zweifellos auch Leute von seinem Ayllu,
getötet habe. Die Tumbe waren ja erst kürzlich von den Inka — 1465 —
unterworfen worden, und das Ketschua, das sie sprachen, war ihrer eigenen
YungaSprache aufgepfropft.
Als sie weiter bergan
marschierten, merkte Felipillo, dass er nicht mehr im gewohnten Element war. Er
kannte das Hochland nicht, sein Ketschua war mangelhaft, und die fünfjährige
Abwesenheit hatte seinem Wortschatz nicht gut getan. Felipillo war damals der
einzige spanische Dolmetscher. Wegen Atahualpas Behandlung seines Volkes, der
Tumbe, war er diesem unversöhnlich feindselig gesonnen und gab Atahualpas
Entgegnungen auf die Anklagen der Spanier eine abweichende Nuance. Er nutzte
den Vorteil seiner Stellung aus und versuchte, sich einer der Frauen von
Atahualpa zu nähern, eine Dreistigkeit, über die der gefangengesetzte Grossinka
in furchtbare Wut geriet. Nach dem peruanischen Gesetz der Inka hätte ein
solches Verbrechen nicht allein durch den Tod des übeltäters, sondern nur durch
den seiner ganzen Familie und Verwandtschaft gesühnt werden können.
Aber es war der Grossinka
Atahualpa, der erwürgt wurde. Jetzt, in den Wintermonaten des Jahres 1536, war
die Reihe an Felipillo. Er war mit Almagro auf die Reise gesandt worden, da
weder der Inka Paullu noch die anderen Spanisch verstanden. Die Stämme an der
Küste, die nicht Ketschua sprachen, mussten sich an einen wencnn, der sowohl
ihre Sprache als auch die der Inka verstand. Seine Worte wurden dann zum
Abschluss der dreifachen Kaskade in Spanisch an Almagro weitergegeben.
Eine Drehung an der
Daumenschraube brachte alles heraus, was Almagro wissen wollte. Nach einer
kurzen Verhandlung wurde Felipillo kurzerhand aufgehängt und begraben.
Nach dieser
Unterbrechung durch Verrat und Tod teilte Almagro sein Heer in drei Gruppen.
Die eine unter Gomez de Alvarado stiess im Juli 1536 südwärts durch ein dicht
bewaldetes und schwach besiedeltes Gebiet fast ohne auf Widerstand zu treffen
vor, bis sie den Maul&Fluss erreichte, wo eine wenig genaue Ablesung des
Astrolabiums ergab, dass sie bei 3S Grad südlicher Breite waren.
Hier gab es eine
Garnison der Inka. Als die Spanier noch weiter vorrücken wollten, stiessen sie
auf die kämpferischen Araukaner. Der Widerstand der Araukaner, das Wetter — es
regnete und war kalt — und der Mangel an geeigneter Beute veranlassten
Alvarado, endgültig haltzumachen. «Obwohl», wie Pater Cristöbal de Molina
schrieb, «deutliche Anzeichen für Bodenschätze vorhanden waren, blieb er nicht.
Da das Land nicht von Gold strotzte, war es für ihn wertlos.»
Almagro selbst hatte
inzwischen seine Gruppe durch das fruchtbare Land von Aconcagua geführt. Die
Spanier durchkämmten das Land wie ein Zug von Wanderameisen, fanden aber keine
eindrucksvollen Gebäude und keine Anzeichen für Reichtum, obgleich es Minzn
gab, in denen gearbeitet wurde, wie der Geschichtsschreiber Oviedo sagte,
«ebenso wie wenn die Spanier beteiligt gewesen wären, aber der beste
Goldwaschtrog erbrachte kümmerliche zwölf Goldkörner».
Die Enttäuschung war
vollkommen. Das Chile der Phantasie war zum Chile der Tatsachen geworden.
Almagro hatte ein zweites Peru gesucht, und doch gab es nur eines. Er erkannte
nun, dass das Gold, das sie unterwegs in Charcas in Bolivien erhalten hatten,
so eindrucksvoll und gleissend es war, nur ein Köder war, um ihn und seine Männer
nach Chile und in die Vernichtung zu verleiten. Zuerst glaubte Diego de
Almagro, dass diese Täuschung von Francisco Pizarro bewusst angestiftet worden
wäre. Der Verdacht war richtig, aber die verdächtigte Person nicht: es war
Manco Capac gewesen.
Seine Männer, die
ihm, ohne zu klagen, gefolgt waren, verlangten wütend, nach Peru zurückgeführt
zu werden, nach Cuzco, von dem sie, ebenso wie Almagro, glaubten, dass es zu
seiner Provinz gehörte. «Denn wenn Ihr hier bleibt und sterbt», ermahnten sie
Almagro, «dann werdet Ihr Eurem Sohn nichts hinterlassen können als den Namen
Don Diego.»
Übersinnliche
Wahrnehmung oder auch nur die Fähigkeit des Vorherwissens ist menschlichen
Wesen nicht oft verliehen und ganz sicher nicht so diesseitigen Typen wie Diego
de Almagro. Denn wenn Peru für ihn nicht eine so überwältigend fixe Idee
gewesen wäre, so wären ihm Potosi, die grösste Silbermine der Welt, die
Zinnminen von Bolivien, die einzigen in der Neuen Welt, die Kupferadern von
Chile, die grösste Reserve des Kontinents, die Salpeterfelder von Atacama und
einige der gesündesten Gegenden auf dem amerikanischen Kontinent zugefallen; ausserdem
hätte ihm das sein Leben, das seines Sohnes und vieler Anhänger gerettet, aber
statt dessen . . .
Statt dessen fiel das
Land fünf Jahre später — wenigstens der chilenische Teil — in Pedro de
Valdivias Hände. Er wurde, wie man annimmt, 1502 sehr wahrscheinlich im
Distrikt La Serena — in der Provinz Estremadura in Südwestspanien — geboren,
obwohl vierzehn Dörfer sich um diese Ehre streiten. Sein Vater war ein Hidalgo,
seine Mutter jedoch «von sehr edler Herkunft», er nahm also ihren Namen an. In
seinen probanzas de servicios — Dienstnachweisen —, die er verfasst hatte, um
Belohnungen zu bekommen, behauptete er: «Seit meinem neunzehnten Lebensjahr
habe ich in Nacheiferung meiner Vorfahren, die in derselben Waffenlaufbahn
beschäftigt waren und es noch sind, als Soldat gedient. Ich diente Seiner
Majestät in Italien in der Zeit von Prospero Colonna, war bei der Einnahme von Mailand
beteiligt, diente in Flandern und war mit Seiner Majestät in Valencia, als der
König von Frankreich dorthin vorrückte. Ich kam 1535 nach den Indien.»
Er kämpfte 1538 in
der Schlacht von Las Salinas, wo die meisten «Männer von Chile», wie man sie
nun nannte, getötet wurden und Diego de Almagro in Gefangenschaft geriet.
Valdivia beglaubigte das Testament von Almagro. Für seine den Pizarros
geleisteten Dienste wurde ihm der grosse Besitz La Canela gegeben, der Almagros
Lehen gewesen wäre, einschliesslich einer Silbermine in Porco, deren Adern ihn
mit siebenunddreissig Jahren zum reichsten Mann nach den Pizarros in Peru
machten.
In seinem
Briefwechsel mit seinen Freunden bezweifelte er selbst seinen Verstand, als er
sich Hernando Pizarros Erlaubnis, nach Chile zu gehen und das Land zu
besiedeln, erbat und erhielt. Es gab noch viele Veteranen von Diego de Almagros
Zug, deren von eiternden Wunden verstümmelte Leiber handgreiflich von den
Gefahren zeugten. Aber er ging trotzdem.
Fünf Jahre später, im
Jahre 1545, richtete er einen langen Brief an «Seine Exzellenz Hernando
Pizarro», in dem er aus erster Hand über die ganze Reise und die Besiedelung
von Chile berichtete. Da er nie Nachrichten aus Peru erhalten hatte, wusste er
nicht, dass «Seine Exzellenz» im September 1545 im Gefängnis La Mota in Medina
del Campo sass und den Ausdruck des Unwillens seines Königs erwartete — er kam
erst 22 Jahre später wieder heraus.
Valdivia berichtete,
dass er Pferde und Waffen im Wert von 15 000 Peso beschafft habe und im Januar
1540 auf den Spuren von Almagros Zug aufgebrochen sei, «ausgerüstet nicht so
sehr mit notwendigem Material, als vielmehr mit dem Willen, alle Hindernisse zu
überwinden».
Er brauchte elf
Monate bis Aconcagua, das Almagro das Tal von Chile genannt hatte, und dort
bemühte er sich, den Indianern klarzumachen, dass er gekommen sei, um sich in
dem Land niederzulassen und es zu kolonisieren, und dass die Indianer den
Christen genauso dienen müssten, wie es die Inka und Kaziken in Cuzco taten.
Valdivia liess Mais, Weizen und Gemüse anpflanzen, und «am 20. Februar 1541
gründete ich eine Stadt, die ich Santiago nannte». Trotz der Zerschlagung des
Inkareiches, des Todes seiner führenden Männer, des Zusammenbruchs seiner
Organisation, konnte dennoch Manco Inka, der das neoinkaische Reich in
Vilcabamba, hundertfünfzig Kilometer nordöstlich von Machu Picchu in der
Montafia, errichtet hatte, Botschaften in das ganze Land, einschliesslich
Chile, senden. Er befahl den Indianern, Valdivias Niederlassung in Santiago zu
zerstören. Das taten sie. «Und sie führten», schrieb Valdi;la, «Manco Inkas
Anordnungen so getreu aus, dass sie sogar unsere Schafe töteten und die Wolle
verbrannten.» Santiago wurde dem Erdboden gleichgemacht. Jedoch mit Hilfe der
Yanacona — die die Partei der Spanier ergriffen hatten — bauten sie die erst
vor kurzem entstandene Siedlung wieder auf.
«Es war etwas Mais
übriggeblieben, den wir glücklicherweise fanden, und diesen säten wir aus. Wir
retteten zwei kleine Ferkel und ein Schwein, eine Henne und ein Küken, das war
alles. Im ersten Jahr konnten wir zwölf Fanega [ein Fanega = 55 Liter] Weizen
ernten.»
Dann brach eine
Meuterei aus. Infolge einer Überschneidung von Bewilligungen und
Vereinbarungen, Kapitulationen und Verträgen, Privilegien und Rechten, hatten
die Krone und der Indienrat Pedro Sancho de la Hoz einen ähnlichen Vertrag über
die Besiedelung von Chile gegeben. Zwar war der Vertrag nicht genau
umschrieben, aber in so mehrdeutigen Worten abgefasst, dass Valdivia, da Pedro
de la Hoz sich durch seine Heirat sehr gut mit dem Hof stand, es für unklug
hielt, sich ihm zu widersetzen.
Aber damit sind wir
der Zeit weit vorausgeeilt. Im Oktober 1536 wusste Almagro natürlich nichts von
alldem. Er hatte beschlossen, mit seiner Truppe nach Peru zurückzukehren. Aber
wie, auf welchem Weg? Niemand von ihnen hatte den Wunsch, über die eisigen,
schwindelerregenden Pässe der Anden zurückzumarschieren, und als Alternative
lag die Trostlosigkeit der Atacamawüste vor ihnen. Grob gerechnet waren es 2200
Kilometer zurück nach Arequipa, ihrem ersten Bestimmungsort in Peru.
Über Copiap6 hinaus
wusste niemand Genaues darüber, ob und wo es Wasser gab. Almagro bewies wie
gewöhnlich seine Fähigkeiten als Führer. Ruy Diaz, der in den folgenden Monaten
bald eine ungemütliche Zeit als Gefangener und Geisel von Manco Inka in
Vilcabamba verbringen musste, erhielt den Befehl über das Schiff Santiago. Es
beförderte Wasser und Lebensmittel und achtzig Passagiere, obwohl es noch nicht
einmal fünfzehn Meter lang war. Seine Aufgabe war, mit dem Landheer Schritt zu
halten und ausserdem vorauszufahren, um dafür zu sorgen, dass Brunnen in
Abständen von einer Tagesreise, also 20 Kilometer, gegraben wurden.
Die Männer wurden zu
je sechs in Abständen auf den Weg geschickt. So genügte jedes Wasserloch für
die kleine Gruppe, die Pferde und Indianer und füllte sich von selbst wieder,
bis die nächste Gruppe eintraf.
So rückten sie vor.
Vorbei an der Landspitze der Flamingos, wo in den Salzsümpfen Hunderte von
Vögeln nisteten, dann nach Cachinal, wo ein Wasserloch angelegt wurde, über die
rötlichen Felszakken von Llano Colorado, dann nach El Pozo, wo ebenfalls ein
Wasserloch angelegt wurde.
In Copiapö, dem Tal,
in das sie gekommen waren, als sie die Anden überschritten hatten, trafen sie
eine weitere Abteilung, die ihnen nachgefolgt war. Juan de Herrada hatte mit
seinen achtzig berittenen Männern gerade den Übergang über die Anden hinter
sich, wobei sie ebensoviel zu leiden hatten wie Almagro vorher, ausser dass sie
den Vorteil hatten, das Fleisch der toten Pferde essen zu können, die von der
ersten Abteilung zurückgelassen worden waren.
Juan de Herrada hatte
offizielle Dokumente aus Spanien bei sich, aus denen hervorging, dass Almagro
zwar in der Statthalterschaft über Chile bestätigt wurde, dass aber der
verschlagene Hernando Pizarro den Indienrat dazu überredet hatte, das Gebiet
von Francisco Pizarro nach Süden um über 34o Kilometer zu erweitern. Dadurch
ergab sich endgültig, dass Cuzco in seinem Herrschaftsbereich lag.
Aber alles war davon
überschattet, dass ganz Peru sich im Aufstand befand; unter der Führung des
jungen Manco Inka wurde Cuzco belagert. Auf nach Peru! Aber auf welchem Weg —
durch die Wüste oder über die Kordillere ? In einem Gebäude, das sie als Kirche
erbaut hatten, wurde die Messe gelesen. Es war das erste Mal, dass Cristöbal de
Molina die Gelegenheit hatte, sein göttliches Amt zur Geltung zu bringen — er
bat um Gottes Beistand und Führung. Durch Handaufheben nach dem Gottesdienst
wurde einstimmig der Weg durch die Wüste gewählt.
An einem Ort namens
Botija am fünfundzwanzigsten Breitengrad beschlossen sie, sich landeinwärts zu
wenden. Das kalte, windgepeitschte Meer mit donnerndem Wellenschlag war belebt
von vielen Vögeln und hallte Tag und Nacht wider vom Gebell der Seelöwen, die
hier lebten. Die Indianer der Küste jagten sie wegen ihres Felles und nähten
aus diesen grosse Pontons, die sie aufbliesen und in der Art eines Flosses
aneinander befestigten, darüber eine leichte Plattform, auf der einer oder
meistens zwei Indianer aufs Meer hinausfuhren, um mit der Harpune, dem Netz
oder dem Angelhaken zu fischen.
Bei Botija
gruppierten sich Almagros Streitkräfte um und bereiteten sich auf den Angriff
auf eine andere Naturgegebenheit vor. Der Felsgrat der Anden lag wie eine
ununterbrochene Mauer von 600 Meter Höhe vor ihnen. Um ihn an diesem Ort zu
erreichen, mussten sie dreihundert Kilometer einer absoluten Ödnis, in der nur
ein einziges Wasserloch (Aguas Blancas) zwischen ihnen und der nächsten
Wasserquelle in einer höher gelegenen Gegend vorhanden war, durchqueren.
Hier machte Almagro
jene Geste, die ihm seine Anhänger verpflichtete. Er rief sie zusammen und
zerriss vor ihnen alle ihre Schuldscheine für die Zurverfügungstellung von
Ausrüstung. über diese Einzelheiten haben manche Begleiter von Almagro
berichtet, wenn nämlich diese Veteranen ihre sogenannten Dienstnachweise an die
Krone aufsetzten. Einer von ihnen, Diego de Pantoja, erklärte, «ich kehrte mit
Almagro durch die Küstenwüste nach Peru zurück», wobei sie viele Länder und
Provinzen zwischen Atacama und Arequipa eroberten und befriedeten und an vielen
Wüsteneien vorbeikamen.
Die «Männer von
Chile» waren über die Treue von Inka Paullu höchst überrascht. Er litt wie alle
anderen, ja noch mehr, denn er war in den Anden geboren und aufgewachsen.
Allein schon seine Anwesenheit war ihnen eine unschätzbare Hilfe, denn nun
lieferten ihnen die lokalen Stämme alles, was sie an Wasser, Nahrungsmitteln
und sonstiger Hilfe brauchten. Auf ihrem schrecklichen Zug durch die Atacamawüste
waren es die Männer des Inka Paullu, die die Expedition führten, Brunnen gruben
und reinigten, bevor das nächste Kontingent eintraf. Ohne diese Hilfe hätte
Almagro niemals diese achtzehn Monate überlebt. Ein Konquistador schrieb 1540,
dass Inka Paullu «ihnen, wenn er es gewollt hätte, schweren Schaden hätte
zufügen können, denn er kennt sich im Waffenhandwerk gut aus, und sehr viele
Männer hörten auf seinen Befehl».
Schliesslich
erreichte die Expedition die ungefähr hundert Kilometer lange Salar de Atacama,
eine hochgelegene Wüste mit einem grossen Salzsee. Um den See herum lagen in
einer Höhe von 2300 Meter kleine, eng gebaute Dörfer von Indianern, die die
Spanier ganz allgemein Atacamerio nannten. Sie sprachen eine Kunsa genannte
Sprache, die sehr verschieden sowohl vom Aimara von Bolivien wie auch vom
Ketschua von Peru war. Sie hatten Lama und Alpakaherden, von denen sie
realistische Felszeichnungen hinterlassen haben, und bebauten den Boden, indem
sie Ausflüsse der Gletscher hoch droben im Gebirge einfassten, um Wasser zur
Bewässerung zu erhalten und dadurch die Anbauflächen zu vergrössern. Sie hatten
auch Verbindung zum Meer, an das sie gelangten, wenn sie dem vom LoaFluss
geschaffenen Tal — das bei Calamar eine Oase in der Wüste bildete — hinunter
nach Cobija folgten, wo die Küstenindianer Flotten von Booten aus aufgeblasenen
Seehundsfellen hatten.
Die Atacamerio waren
die Mittelsleute der ganzen Region, indem sie Waren aus den Bergen — Kupfer und
Bronzewerkzeuge, Alpakawolle, gegerbtes Lamaleder und verschiedene andine
Lebensmittel—gegen Fisch, Schalentiere, Seetang, Seehundleder, Walfischbein und
anderes aus dem unerschöpflichen Meer einhandelten. Sowohl die Küsten wie auch
die Bergbewohner erhielten, was sie brauchten, und die Atacamerio hatten ihren
Gewinn an dem Geschäft.
Die Spanier fanden
nichts, was sie plündern konnten: wenig Gold, etwas Kupfer, gewöhnliche
Töpferware, grosse Mengen kunstvoll geschnitzter Holzgegenstände, aber nichts,
was ihre Raffgier hätte erregen können. Die Lebensweise der Atacamerio
illustrierte eine Überlebensformel: Wenn man schutzlos ist, ist es am besten,
arm zu sein.
Die Atacamerio waren
erst vor kurzem — etwa 146o — unter das Joch der Inka gekommen, das nicht
schwer auf ihnen lastete. Die Strassen, die sie für die Inka bauten, sind noch
zu sehen: drei Meter breit, ungepflastert, mit den üblichen Rastplätzen. Am
Nordende des brackigen Sees traf eine durch die hohen bolivianischen Gebirge
führende Strasse auf die genau nach Norden durch die Wüste verlaufende Strasse.
Auf Anraten von Paullu beschloss Almagro, auf der Wüstenstrasse
weiterzumarschieren, weil man ihm gesagt hatte, das sei der schnellste Weg nach
Cuzco. Auf dieser Strasse kam das Heer an dem hohen, aktiven Vulkan von Atacama
vorbei, machte eine Ruhepause an dem Süsswassersee von Chiuchiu und rückte dann
34o Kilometer weit über die hohe, unbewohnte Ode nach Tarapacä vor. Hundert
Kilometer vom Meer und nicht ganz 600 Meter über dem Meeresspiegel liegt das
Tal von Tarapacä, wasserarm und extremen Temperaturen unterworfen. Der Boden
macht hier einen absolut unfruchtbaren Eindruck, aber dort, wo er bewässert ist
und mit Guano — den stickstoffreichen Exkrementen der Meeresvögel — gedüngt
wird, gedeiht der Ackerbau. «Dieser Guano», schrieb Pedro de Cieza, «wird auf
den vor der Küste liegenden Vogelinseln gesammelt. Die Eingeborenen fahren auf
ihren Flössen aus aufgeblasenen Seehundsfellen hinüber und bringen den Guano,
der den Boden bedeutend verbessert und den Ertrag vermehrt, auch wenn der Boden
vorher kahl und öde war.»
Hundertfünfzig
Kilometer eines Geländes von ungefähr derselben Beschaffenheit trennten
Almagros Heer von Tacna, und wenn auch in den Briefen der «Männer von Chile»
immer wieder die Klage über die Wasserarmut laut wurde, kam doch schliesslich
das Gebiet der puquio in Sicht. Puquio waren gewaltige künstliche unterirdische
Wasserreservoire — ähnlich den römischen Zisternen. Sie lagen an Wasserläufen,
und das Wasser wurde aus den seltenen Regenfällen oder tröpfelnden Rinnsalen
gesammelt und zurückgehalten. Tacna war eine Oase, wenige Kilometer vom Meer
entfernt, und hatte «eine grosse Bevölkerung von Indios, und über das Gelände
waren grosse Gräber für die Toten verstreut», für die sich die «Männer von
Chile» in diesem Augenblick freilich nicht interessierten. Da sie jetzt auf
einer gutorganisierten Inkastrasse marschierten, die siebeneinhalb Meter breit
und oft von Steinmauern gesäumt war, gab es «in diesen Tälern TamboWohnungen
und Lagerhäuser wie in anderen Ebenen und Sandwüsten». Die Inkastrasse ging
nach Norden zum MoqueguaFluss, und das Heer kam auf allmählich ansteigendem
Gelände in Sich_ des hohen Tales der Vulkane. Einer von diesen, der
schneebedeckte El Misti, stiess gerade Rauch und Asche aus.
Viele Flüsse mussten
überquert werden. Kurz bevor sie Arequipa, ihr so lange verfolgtes Ziel
erreichten, verlor Almagro seinen ersten Soldaten: der Tod durch Ertrinken
ereilte den siebenundzwanzigjährigen Francisco de Valdes, den Sohn von Gonzalo
Fernändez de Oviedo y Valcks, des königlichen Historiographen der Indien.
Oviedo, wie er in
Bibliographien meistens genannt wird, erscheint immer wieder in der bunten
Geschichte der Königsstrasse. Von edlem Geschlecht, wie der Name vermuten lässt,
wurde Oviedo 1478 in Madrid geboren, diente, wie es üblich war, in Spanien und
Neapel und ging 1513 nach Amerika, wo er in Panama ein öffentliches Amt
bekleidete. Danach kam er nach Santo Domingo, der Insel, die das Nervenzentrum
Amerikas war. Hier legten alle Schiffe aus Spanien zuerst an; hier bekamen alle
Schiffe auf dem Heimweg nach Spanien die Ausfahrterlaubnis. Oviedo wurde zum
königlichen Historiographen bestellt und verbrachte daraufhin vierunddreissig
seiner langen 79 Lebensjahre in Amerika. Jeder Soldat, Hauptmann oder
Gouverneur wurde von ihm ausgefragt, und so erhielt er aus erster Hand
Informationen über alle Entdeckungen. Francisco Pizarro schilderte ihm 1527 auf
seinem Heimweg nach Spanien nach dem ersten Kontakt mit Peru seine Eindrücke;
Hernando Pizarro schrieb und erzählte ihm sechs Jahre später von der Eroberung
Perus. Seine ist der bedeutendste
zeitgenössische Bericht über die Öffnung oder den Epilog — je nach dem
ethnischen Standpunkt — Amerikas. Weil ihm so viel daran lag, einen Bericht aus
erster Hand über die neuen Länder von Chile zu erhalten, empfahl er seinem Sohn
Francisco, Almagro zu begleiten.
«Er war», schrieb
William Prescott, «zugleich ein Mann der Wissenschaft und ein Weltmann. Seine
Wissbegierde war unermüdlich und erstreckte sich auf alle Gebiete. Er war
zugleich Amerikas Plinius und Tacitus. Seine Werke sind voll von
Charakterbildern, skizziert mit leichter Feder und lebensvoll, seine
Reflexionen sind reizvoll und haben mitunter eine philosophische Note. Sie sind
belebt von einer Vielzahl persönlicher Anekdoten, die treffende Einsichten in
die Charaktere der verschiedenen Parteien vermitteln.» Oviedo ist der
hauptsächlichste Historiker der grossen Expedition von Almagro nach Chile, aber
als er vom Tod seines Sohnes bei der Flussüberschreitung in der Nähe von
Arequipa berichtet, lässt er plötzlich eine persönliche Note einfliessen. «Auf
ihrem Weg überschritten sie einen so tiefen und wilden Fluss, dass es ein
Wunder war, dass ihn die Männer nicht zum Opfer fielen. Aber hier ertrank der
unglückliche Francisco de ValUs.
Er war der Sohn von
Kapitän Gonzalo Fernändez de Oviedo y ValUs, des Chronisten dieser Geschichte.
Sein Tod bedeutet, dass ich nun inniger mit anderen — den — fühlen und trauern und noch enger an diesen Abenteuern teilnehmen
kann.» Kaum hatte er von dem Tod seines Sohnes erfahren, als die Nachricht vom
Tod seines fünf Jahre alten Enkels eintraf. «Ich bin zwar ein Mann der
Vernunft, aber mein Verlust macht mich wirklich traurig.»
In Arequipa, das im
Jahr vorher von Francisco Pizarro gegründet worden war, wurden sie von der
Handvoll Spanier willkommen geheissen, die in dieser wundervoll gelegenen Stadt
bereits Wurzel geschlagen hatten. Wenig über 2000 Meter hoch, nur 8o Kilometer
vom Meer und einem guten Hafen — Mollendo — entfernt, warm am Tag, kühl, ja
kalt in der Nacht, war die Stadt von den Inka gut organisiert worden. Grosszügig
bebaut und vom Wasser der Gebirgsbäche bewässert, war bis zu Almagros Ankunft
das einzige Problem die vulkanische Tätigkeit von El Misti, der sich, dem
Fujiyama ähnlich, als vollkommener Kegel bis zu einer Höhe von 5 800 Meter
erhob. Sein Gipfel war immer von Schnee bedeckt, auch wenn er Flammen, Rauch
und Asche ausspie.
Diego de Almagro
wollte nicht ausruhen. Die ganze 5 000 Kilometer lange schreckliche Reise durch
die Anden und die Wüste hatte offenbar seinen jetzt über sechzig Jahre alten
Körper in keiner Weise physisch beeinträchtigt. Aber die Zeit drängte, so dass
Almagro die kürzeste Route nach Cuzco einschlagen musste. Es war auch die
gefürchtetste. Von dem Augenblick an, wo die Vorhut von Almagros Heer Arequipa
verliess, begann die Inkastrasse anzusteigen.
In gerader Fluglinie
ist es über dreihundert Kilometer weit bis zur ersten Station Quiquijahna auf
der Königsstrasse, aber eine Strasse, die Berggipfel ersteigt, muss sich
anpassen, und Anpassung vermehrt Stunden und Entfernungen einer Reise. Die Strasse
verlief nie unterhalb von 4200 Meter Höhe. Hier herrschen Dauerfrost, Schnee,
Wind und eine Kälte, die Pelze, Kleider, Felle bis ins Mark der Knochen hinein
durchdringt. In Hatuncana, auf halbem Wege ungefähr zehn Reisetage entfernt,
gibt es Überreste von Tampu und von Apacheta, jenen Steinhaufen, auf die
reisende Indianer einen Sühnestein warfen, der die Last leichter machen oder
den Reisenden beschützen sollte. Der ApurimacFluss hat hier seinen Ursprung.
Der «Reiseführer» —
Ordenanzas — für die Inkastrassen und Tampu mit einer Liste der Spanier, die
sie 1543 als Lehen besassen, nennt die Strasse «die Strasse, die zur Stadt
Arequipa führt. Man geht von Quiquijahna — an der Königsstrasse — nach
Pomacancha, das an einem See liegt, dann zum Tampu von Yanaoca, dessen Indianer
Juan Figueroa gehören, und dann nach Cora, das ihm auch gehört.»
Danach schliesst sich
wieder Wüste an, bis die Strasse Hatuncana und schliesslich Arequipa erreicht.
Der «Reiseführer» warnt, dass das Land «sehr kalt und sehr arm» ist, es besteht
grosser Mangel an Nahrung, und es gibt kein Holz. Das ist die Inkastrasse, die
Querstrasse, die Almagro einschlug und ebenso ein paar Jahre später ein anderer
scheinbar nicht alternder picaro, nämlich Francisco de Carbajal, der am 22.
Januar 1547 an seinen Lehnsherrn Gonzalo Pizarro schrieb: «Ich habe die
Absicht, direkt nach Yanaoca, Quiquijahna und Urcos auf dem Weg nach Cuzco
aufzubrechen.»
Diego de Almagro
verschwand also in die öde von Hatuncana. Und nach einem weiteren Jahr in die
Vergessenheit. Am 25. April 1538 starben, wie Cieza de Leön in seiner
Auf den Küstenstrassen, der Route
des Seetangs
Wenn der Reisende auf
der inkaischen Küstenstrasse auf seinem Weg nach Nordwesten Arequipa verlässt,
stellt er eine jähe Veränderung der Landschaft fest: lebhaft grüne Felder
weichen verbrannter, unbewohnbarer Wüste. Daran erkennt er, dass er nun
Contisuyu, die Westprovinz des Inkareiches betritt.
Dieses Gebiet umfasst,
sagt ein Chronist, «die Gegenden und Provinzen am südlichen Meer [dem Pazifik]
und viele der des Hochlandes». Die Küstenregionen — ungefähr entsprechend der
Küste des heutigen Peru — sind Wüste, die ungefähr alle fünfzig Kilometer von
fruchtbaren Flusstälern unterbrochen ist. Nur eine kleine Strecke landeinwärts
erhebt sich das Land jäh zu den Anden, und der grösste Teil des Hochlandes
zwischen der Küste und Cuzco kam unter die Jurisdiktion von Contisuyu, wenn
auch die Grenzen dieser Provinz ungewiss sind. Sicher ist jedoch, dass dieses
gebirgige Gebiet dünn besiedelt und hauptsächlich von den kriegerischen Stämmen
der Sora und Rucana bewohnt war.
Die Lebensweise der
andinen Völker war natürlich völlig verschieden von der der Stammesleute an der
Küste. Aber seit den frühesten Zeiten trieben die beiden Gruppen Handel
miteinander und befriedigten gegenseitig ihre Bedürfnisse. Die Küstenvölker
benötigten eine ständige Zulieferung von Lamazuchttieren, denn das Lama hatte
sich zwar mit Erfolg an das Klima der Küste gewöhnt, war aber in der Wüste
schlecht zu züchten. Alpakawolle, die hauptsächlich für Webereien verwendet
wurde, brauchte man für Decken, um die nächtliche Kälte abzuhalten, und da das
Alpaka nur in den höchsten Höhen zu Hause ist und sich nicht an das Klima der
Küste gewöhnen kann, musste seine Wolle importiert werden. Das gleiche galt für
die Vicuihwolle, die besonders hochgeschätzt wurde, und für Kupfer, Gold und
Silber, da Metallvorkommen an der Küste selten waren. Im Austausch versorgten
die Küstenstämme die Bergstämme mit Mais, Kartoffeln, Jucca, Pfeffer,
Erdnüssen, Süsskartoffeln und den Früchten anderer Pflanzen, die nur in einem
warmen Klima gediehen. Salz, das auch an der Küste gewonnen wurde, war für die
andinen Stämme lebenswichtig, da ihre Kost auf Getreide beruhte, und
Getreideesser Salz brauchen. Ausserdem handelten die Küstenvölker mit der
potuto — der grossen Schale der Seeschneckenmuschel Spondylus princeps, die,
wenn sie mit einem Loch durchbohrt und darauf geblasen wurde, einen starken,
eindrucksvollen Klang erzeugte, den die Indianer benutzten, «um die Götter des
Himmels herunterzurufen».
Bevor das ganze
Gebiet unter die Herrschaft der Inka geriet, kam es gelegentlich zu
territorialen Auseinandersetzungen unter den Küsten und Gebirgsvölkern, aber
die klimatischen Unterschiede waren für beide zu gross, um das Gebiet des
anderen für längere Zeit zu besetzen. Erst mit der Ankunft der Inka versuchte
ein Bergvolk, eine vollständige Besetzung der Küste durchzuführen.
Nach Garcilaso de la
Vega, der die Information aus mündlich überlieferten Erinnerungen seiner
inkaischen Vorfahren bezog, war es der vierte Inka, Mayta Capac, der sich
zuerst für den Erwerb der vielen reichen Länder interessierte, die westlich von
Cuzco in der Provinz Contisuyu lagen. Da Mayta Capac ungefähr um das Jahr 1300
auf der Höhe seiner Macht stand, würde das den Beginn der Eroberung um etwa
anderthalb Jahrhunderte gegenüber der bisherigen Annahme vorverlegen. Garcilaso
betont auch, dass der Inka, um das Volk von Contisuyu zu erreichen, gezwungen
war, den Oberlauf des ApurimacFlusses auf einer Brücke zu überqueren, «die die
erste ihrer Art in der Geschichte der Inka war». Diese Brücke, deren Fundamente
noch zu sehen sind, müsste die bei Accha sein und wäre dann fünfzig Jahre vor
der Huacachaca erbaut worden, wenn man dieser Chronologie glauben darf.
Die Gebirgsregionen,
auf die der Inka zuerst seine Aufmerksamkeit richtete, waren von den Sora und
Rucana, kleinen, aber robust gebauten Leuten, bewohnt, die die Unbilden der
Witterung in grosser Höhe aushalten und eine Last, die so schwer war wie ihr
Körpergewicht, beträchtlich lange tragen konnten. Als sie sich 1400 den Inka
ergaben, wurde ihnen die Aufgabe übertragen, die Sänfte des Inka zu tragen.
Diese blaugekleideten Sänftenträger behielten ihre Funktion bis weit in die
koloniale Zeit hinein.
In der Zeit zwischen
1438 und 1471 wurde die Eroberung von Contisuyu durch die Inka abgeschlossen
und das Strassennetz über das ganze Gebiet ausgedehnt. 1463 war der direkte Weg
von Cuzco zur Küste offen. Diese Strasse kam nie zu grosser wirtschaftlicher
Bedeutung — wie auch das ganze Gebiet; sie war vielmehr von religiöser
Wichtigkeit, denn an ihr lag die Stätte von Pacarictambo, dem «UrsprungsTampu».
Nach ihrer Mythologie hatten die Inka hier im Anschluss an die Grosse Flut
ihren Ursprung. Contisuyu hatte auch einige strategische Bedeutung, da der Inka
Pachacutic Hilfe von den Bewohnern dieses Gebiets erhalten hatte, als er Cuzco
vor den Chanca rettete. Man weiss nicht sicher, wo das Verwaltungszentrum von
Contisuyu lag, wenn auch die Inka nach der Eroberung der Küste im CaiieteTal
eine gewaltige Stadt — so gross, dass sie «NeuCuzco» genannt wurde — gründeten,
die die Hauptstadt der Provinz gewesen sein kann.
Die ContisuyuStrasse
begann in Cuzco und ging zunächst zum ChunchulFluss, den sie auf der
Chaquilchaca überquerte — der «Seetangbrücke», die so genannt wurde, weil über
sie der Seetang vom Meer in die höher gelegenen Gebiete transportiert wurde,
und verlief dann entlang der Nordflanke des Berges Anahuarque. Etwa um das Jahr
1300 erweiterte der fünfte Inka Capac Yupanqui die Strasse über die erste
Wasserscheide hinaus, vorbei am Dorf Yuarisque. Dort stieg die Strasse in eine
Schlucht hinab, überbrückte den schmalen Cusibambamayu und kam nach
Pacarictambo und damit ganz nahe an die ApurimacSchlucht heran. 135o beherrschten
die Inka einen genügend grossen Teil der Schlucht, um eine Brücke errichten zu
können.
Nachdem sie die
Barriere des Apurimac überwunden hatten, stiessen die Inka, wie ein Chronist
sagt, «in die ContisuyuProvinz vor, wo es einen Ort namens Pomatambo gibt — auf
halbem Weg zwischen Cuzco und dem Meer. Dort schlugen sie eine Reihe von
Schlachten mit den kriegerischen Stämmen der Sora und Rucana, aus denen die
Inka siegreich hervorgingen.» 145o oder etwas davor waren die Heere der Inka
bis zu dem grossen, flachen See von Parinacochas vorgedrungen, der in einer
Höhe von 3700 Meter liegt und gleich weit — do Kilometer — von Cuzco wie von
der Küste entfernt ist. Der See ist von Ruinen umgeben, von denen Incahuasi,
das an den Erfolg der inkaischen Eroberung erinnert, die bedeutendste ist. Um
145o hatten die Inka die Herrschaft über alles Land zwischen Cuzco und Chala,
dem an der Küste gelegenen Endpunkt der ContisuyuStrasse, gewonnen, und von
hier dehnten sie die Kontrolle über die ganze Wüstenprovinz aus.
Westlich von Arequipa
und 30o Kilometer östlich von Chala liegen die Pampas von Vitor, ein trockenes,
ödes Gebiet in einer Höhe von i5oo Meter und spärlich bedeckt mit robusten
xerophytischen Pflanzen. Der Boden ist hier hart und steinig und bot ein
natürliches Bett für die Küstenstrasse der Inka, die sich durch die Gegend zog.
Das erste Tampu ausserhalb von Arequipa war das von Vitor, das am oberen
SihuasFluss 8o Kilometer von der Küste und zwanzig Kilometer vom nächsten Tampu
Sihuas erbaut war. Diese beiden Tampu waren Miguel Cornejo als encomienda
zugeteilt worden, der einen Anteil an Atahualpas Lösegeld bekommen und sich
nach seiner Ankunft in Peru mit Francisco de Carbajal angefreundet hatte. Trotz
des im allgemeinen unwirtlichen Geländes wurde in manchen Gegenden Wein auf den
umfangreichen Ablagerungen von vulkanischer Asche angebaut.
Von Sihuas aus
verlief die Strasse auf ihrem Weg zum Meer im Tal des Flusses desselben Namens.
Zwar ist der Abhang zum Meer hier nur sanft geneigt, aber als Ganzes hat das
Gebiet einen überaus unruhigen Charakter. Die nahegelegenen Vulkane, von denen
noch manche aktiv waren, haben gewaltige Risse verursacht und die Pampa in
tiefe, querverlaufende Täler aufgerissen. Der fruchtbare Boden beschränkt sich
auf schmale Streifen entlang der Flüsse, zwischen denen Ausfläufer des
zerfurchten Landes in das Meer hineinragen. In jedem Tal wohnte ein von den
anderen verschiedener Stamm, der zwar mit seinen Nachbarn durch eine
gleichartige Landwirtschaft verbunden, aber von ihnen durch den Raum und oft
auch durch Verschiedenheiten der Sprache getrennt war. Die Königsstrasse
vereinigte alle diese Täler.
Auf ihrem Weg zum
Meer kreuzte die Strasse das Tal des MajesFlusses, der von den Gletschern des
Nudo de Coropuna gespeist wird und dessen Oberlauf als Colca bekannt ist. Dort
fanden Robert Shippee und sein Fotograf Leutnant Johnson zwischen drei und
sechstausend Meter hohen vulkanischen Gipfeln ein «vergessenes Tal von Peru».
Pater Antonio Väsquez
de Espinosa, der im frühen siebzehnten Jahrhundert in Peru weit herumreiste und
Gefahren trotzte, die andere Spanier möglichst mieden, berichtete, dass das Tal
zur Provinz Collaguas — bewohnt von den Colca — gehörte und «dicht besiedelt
mit vielen Dörfern war und eine gute Verwaltung hatte». Aber niemand folgte
diesem Hinweis, bis 1931 die ShippeeJohnsonExpedition das Tal aus der Luft
filmte und feststellte, dass es ausgiebig bebaut war und weite, flache
Landstriche, ein Strassennetz und die ausgedehntesten Anbauterrassen in den
ganzen Anden hatte. Viele Strassen und Terrassen waren mit unglaublichem
technischen Geschick an den Flanken überaus steiler Klippen erbaut worden, und
manche Terrassen waren bis zu den Kraterrändern jetzt erloschener Vulkane
hinauf vorgeschoben worden.
Philip Ainsworth Means,
einer der hervorragendsten Archäologiehistoriker, nahm das zum Anlass, eine
gründliche Erforschung der Colca durchzuführen. Er stellte fest, dass sie mit
den Sora und Rucana verwandt waren und glaubten, dass sie von den Vulkanen
abstammten, die so oft ihre Existenz vernichteten. Aus diesem Glauben heraus
war es bei ihnen Brauch, die Köpfe ihrer Kinder so einzubinden, dass sie
kegelförmig wie ein Vulkan aussahen. Ihr Gebiet war reich und enthielt
Silberminen, Salzablagerungen und viele heisse Quellen. Da der ColcaFluss zu
tief lag, um für die Bewässerung angezapft werden zu können, legten sie
Rohrleitungen, um das Schmelzwasser von den Gletschern zu sammeln. Sie
tauschten ihr Salz über Mittelsmänner in Cuzco gegen Kokablätter und
getrocknetes Lamafleisch ein.
Nach dem Eintritt in
das MajesTal ging die Königsstrasse nach Camanä, einem der fruchtbarsten Orte
an der Küste, weiter. Dort ergiesst sich der Majes in das Meer — nicht ohne
Schwierigkeiten, denn eine hohe Brandung behindert seinen Ausfluss, und das
umliegende Land ist niedrig und sumpfig. Das Tampu von Camanä war ursprünglich
direkt am Meer erbaut worden, aber nach einem Erdbeben im Jahr 1599 wurde es
weiter landeinwärts neu errichtet. Camanä ist seit langer Zeit berühmt für
seine Süsswassergarnelen, die so gross wie kleine Hummer sind. Die Häuser des
Gebiets sind insofern ungewöhnlich, als sie aus Flechtwerk aus Schilfrohr
erbaut sind, das ganz mit grauem Lehm verputzt ist.
Das nächste Tampu an
der Küste war Uncona, das gleichfalls in einem grünen Flusstal lag. In den
Zeiten der Inka waren die dortigen Bewohner für die Erhaltung des Tampu, für
die Versorgung der dort stationierten Truppen und für die Beförderung von
Menschen über den Fluss, wenn man die Furt nicht benutzen konnte,
verantwortlich. Der Name Uncona erinnerte die Spanier an Ocafia, eine Stadt in
Toledo, und wurde entsprechend abgeändert.
Wegen der tiefen
Schlucht, die sich der OcariaFluss in das Land gegraben hat, näherte sich die
Inkastrasse dem Flussübergang in einer langen Reihe von Serpentinen. Die
Steinstufen und Stützmauern dieses Strassenabschnitts sind noch zu sehen.
Väsquez de Espinosa kam 1617 in diese Gegend und bemerkte, «dass man hier Mais,
AjiPfeffer, sapalla [ähnlich dem Kürbis] und calabasa, eine Rebe, die Früchte
mit einer harten Rinde hervorbringt, aus denen man Gefässe herstellen kann,
anbaut. Man überquert den Fluss auf Flössen aus aufgeblasenen Seehundsfellen.
Man jagt auch kleine schwarze Walfische und fischt nach den berühmten Garnelen
und Muscheln.»
In ihrem weiteren
Verlauf kam die Strasse durch die Quebrada de Venados, die so genannt wurde,
weil Wild — venados — in die Schlucht herunterkam,..iim die wilden Früchte, die
dort wachsen, zu fressen. Die Strasse ist noch genau zu sehen, gut sechs Meter
breit und von niedrigen Steinmauern gesäumt. An manchen Stellen dieses
Küstenstreifens steigt die Strasse, indem sie den Konturen der Berge folgt, bis
auf 600 Meter über dem Meeresspiegel hinauf, und man überblickt von hier den
aufgewühlten Ozean und die moderne panamerikanische Strasse, die sich dicht an
die Küstenlinie hält. Die Küste ist an diesem Punkt von zahlreichen Vogelarten
belebt — Tölpel, inkaische Seeschwalben, Pelikane, Seeraben und insbesondere
guanay, von dessen Name das Wort Guano abgeleitet ist. Diese Vögel sind so
zahlreich, dass sie im Flug den Himmel verdunkeln. Da es nie regnet und es
infolgedessen keine Vegetation gibt, die als Baumaterial dienen könnte, bauen
diese Vögel ihre Nester aus ihren Exkrementen und Federn. Futter gibt es für
sie aber in grosser Menge, denn der kalte Humboldtstrom ist reich an Plankton,
von dem sich Schwärme von Fischen ernähren, die ihrerseits wieder den Vögeln
als Nahrung dienen.
Die meteorologischen
Bedingungen sind hier ähnlich denen in der Atacamawüste: ein bedeckter Himmel
am Tag steht in offenbarem Widerspruch zu den strahlenden Sonnenuntergängen;
immer sieht es nach Regen aus, der aber niemals fällt. «Es ist merkwürdig»,
kommentiert Pedro de Cieza, «dass trotz des so wolkenverhangenen Himmels an
diesen Küsten lediglich ein feiner Nebel fällt; tagelang ist der Himmel von
diesen dichten Wolken verhüllt.»
Die Gründe dafür sind
vielfältiger Natur: die Winde, Strömungen des Ozeans, Geographie und Luft, Land
und Meerestemperaturen — alle spielen eine Rolle. Aber es ist eine Tatsache, dass
die feuchtigkeittragenden Winde, die durch dieses Gebiet wehen, eher dazu
neigen, noch mehr Feuchtigkeit aufzunehmen, anstatt sie abzugeben, und das hat
einen grossen Teil der Küste in eine wasserlose Wüste verwandelt, aus der die
Berge wie tote Knochen emporragen. Pedro de Cieza beschrieb die Gegend als
«einen Ort, wo es kein Wasser, keine Bäume, kein Gras noch irgendein
geschaffenes Wesen ausser Vögeln gibt, die auf ihren Flügeln hinwandern können,
wohin sie wollen».
Diese Beschreibung passt
besonders gut auf das Land zwischen UnconaOcaria und Atico — dem nächsten grösseren
Haltepunkt —einen Streifen des «reinen Nichts, ausgenommen den schrillen Schrei
der Möwen und anderer Meeresvögel und das hysterische Gebell der Seelöwen». An
dem Ort, der heute La Punta heisst, wo sich eine kleine Station zum Einsammeln
von Guano befindet, musste die Strasse eine Anzahl von Klippen überwinden,
deren eine Seite steil zum Meer abfällt; und bei Punta de Puyenca musste sie
aus dem Kliff herausgehauen und es mussten Stufen angelegt werden, um sie über
die höher gelegenen Stellen hinüberzuführen. So kam sie unter Schwierigkeiten
nach Atico, einem Fischerdorf, das Pater Väsquez de Espinosa «der Ohnmacht nahe
und fast verdurstet» erreichte.
«Arm an Wasser», ja,
für die Spanier vielleicht, aber für die Inka eine der wichtigsten Gegenden der
ganzen Küste südlich von Nazca, ein gewaltiger Komplex der grössten und
besterhaltenen Tampu an der Küste, von Fischerdörfern und den grössten
Lagerzonen Perus, von gut erhaltenen Strassen, Brücken, ChasquiStationen und
vor allem mit der direkten Strasse nach Cuzco, auf der die Inka frischen Fisch
durch Läuferstaffetten erhielten. Das Gebiet um Chala war der Endpunkt der
ContisuyuStrasse.
Chala liegt an einer
halbmondförmigen Bucht. Auf den Höhen am Nordende der Bucht ist das Tampu von
Chala. Es ist gut erhalten, aus mit Lehm zementiertem Stein erbaut und misst
gut hundert Meter in der Länge und sechsunddreissig in der Breite. Es ist in 28
Zimmer aufgeteilt, und rundherum sind Hunderte von flaschenförmigen
unterirdischen Lagergewölben.
Bis heute ist nichts
über seine Geschichte bekannt. Pater Väsquez erwähnt es nur insofern, als er
sagt, es gäbe dort wenig Wasser. Cieza sagt nichts darüber, und die Listen
geben an, dass das Gebiet, seine Indianer, Tampu und alles andere unter der
Herrschaft keines Geringeren als Juan Löpez de Recalde stand, der als
Schatzmeister der Casa de Contrataciön in Sevilla, dem Zentrum aller Macht,
aufgeführt wird.
Die
ContisuyuStrassen von Pachacamac nach Huanchaco
Es war eine der
Aufgaben der VonHagenExpedition und ihrer Archäologen, eine detaillierte
Untersuchung der Funktion von zwei InkaTampu an der Küste im grösseren
Zusammenhang mit der Erforschung der Inkastrassen durchzuführen.
Aus der Luft und von
unten kann man die Strasse gut sehen; sie ist sieben Meter breit, deutlich
bezeichnet, hat schön verlegte Steinstufen, wo sie an den Flanken eines Tales
hinabsteigt, und ist mit grossen Steinen aufgefüllt, damit sie ganz eben ist.
Ein paar hundert Meter nördlich des üblichen Tampu war das gleichfalls übliche
Lagergelände — ein umschlossenes Gelände mit Lagerplätzen mit hohen Mauern und
Steindächern, einem gewaltigen Trockenhof und auf beiden Seiten des wie üblich
einzigen Eingangs zwei Gebäude, die offensichtlich Wachhäuser waren.
Die Fischerdörfer
drängten sich dicht an den schmalen Meeresarmen und leicht zugänglichen
Buchten. In nordöstlicher Richtung entlang des nur zeitweise wasserführenden
ChalaFlusses folgte die Inkastrasse dem steilen Anstieg der Anden. Nach fünfzig
Kilometern war eine Höhe von 2000 Meter erreicht und nach hundert Kilometern
kam der grosse Parinacochas — Flamingosee —, wo sich grosse von den Inka
erbaute Bauwerke befinden, die man heute unter dem Namen Incahuasi kennt. Von
dort verlief die Strasse über eine über 4000 Meter hohe Schneeregion. Nach
Erreichung des oberen ApurimacFlusses überquerte die ContisuyuStrasse die
AcchaBrücke. Man kann sie stellenweise noch sehen, wo sie an Pacarictambo,
Tantar und Yuarique vorbeikommt und dann den kleinen, eingedämmten Fluss auf
einer steinernen Brücke, der Chaquillchaca — Seetangbrücke — überschreitet. An
der ganzen Küste, aber ganz besonders in den kleinen Buchten und Meeresarmen
von Chala, wuchs der riesige Kelp Macrocystis zu wundervollen Unterwasserwäldern
riesiger Algen. Wenn das Wasser zurückging, sahen die Algen wie flatternde
Fahnen aus, wo Seetangstreifen mit ihren bänderähnlichen Zweigen bis zu zwanzig
Meter lang wurden. Wie heute noch bei den Chinesen und Japanern war der Seetang
auch bei den Andenbewohnern ein wichtiger Bestandteil der im übrigen
hauptsächlich stärkehaltigen Kost. Der Kelp wurde herausgezogen, getrocknet,
verpackt und auf Lamas oder auch Männerrücken befördert. Fünf Männer konnten in
fünf Tagen fünf Tonnen Kelp ernten, der in getrocknetem Zustand nur noch ein
Fünftel seines ursprünglichen Gewichtes wiegt.
Nur wenige Kilometer
ausserhalb von Chala, auf der nordwestlich verlaufenden Küstenstrasse, macht
sich der Einfluss der Berge von Atiquipa bemerkbar. Die Wüste ist hier bis ans
Meer hinunter terrassiert — an dieser einzigen Stelle der 4200 Kilometer langen
Küstenlinie. Die Zeit hat die gekrümmten Terrassenmauern gnädig behandelt; man
könnte sie heute noch mit Erde auffüllen und landwirtschaftlich nutzen.
Bei Atiquipa ragt ein
Berg plötzlich bis zu einer Höhe von 1 5 oo Meter auf, und ebenso plötzlich
wendet sich die Strasse landeinwärts und empor. Obwohl kein Fluss durch das Tal
fliesst, dem die Strasse folgt, ist es doch grün und fruchtbar und hat viele
Bäume. Dieses kleine Gebiet ist die einzige Ausnahme von der Regel, dass es nie
an der Küste regnet, und der Grund dafür ist, dass das Hochland, wo Regen
fällt, sich hier bis ganz an die Küste erstreckt. über die ursprünglichen
Bewohner der Gegend weiss man wenig, obwohl ihre Anzahl beträchtlich gewesen
sein muss. Die Inka nutzten die günstigen Bedingungen nach Kräften aus und
machten Atiquipa zu einem Zentrum der Landwirtschaft.
Von Atiquipa stieg
die Strasse nach Cahuamarca — Stadt der Aussicht — dem Verwaltungszentrum des
Gebiets hinauf. Das ist eine grosse Siedlung aus soliden, wenn auch
anspruchslosen Gebäuden mit Steindächern und liegt in einer Höhe von 1200
Meter. Hinter Atiquipa liegt ein Wüstengebiet, das unter dem Namen Arenal de
Tanaca bekannt ist. Hier halten die unaufhörlichen Südostwinde die gewaltigen
Sanddünen in ständiger Bewegung. Die moderne panamerikanische Strasse führt
durch dieses Gebiet, aber sie kann nur durch den ständigen Einsatz einer Strassenwachtmannschaft
für den Verkehr freigehalten werden.
Der inkaische Anteil
an Cahuamarca ist erkennbar an den Ruinen eines im spätinkaischen Küstenstil
erbauten Sonnentempels, zahlreichen Colca, unterirdischen Zisternen — puquio —
und chullpa —Grabtürmen. Cahuamarca diente als Erholungszentrum für Lamas und wurde
wahrscheinlich auch zu ihrer Aufzucht benutzt, da sie sich, wie schon erwähnt,
in den niedriger gelegenen Wüstengebieten nicht fortpflanzten. Cahuamarcas Höhe
und die Nähe zur Küste müssen es zu einem idealen Zuchtgebiet gemacht haben.
Nachdem die Strasse
eine Zeitlang weiter durch die Berge gegangen war, stieg sie entlang des Rands
der Sanddünen zum Tal des YaucaFlusses hinab, auf dessen beiden Seiten das grosse
Tampu von Jaqui lag. Vom Erdboden aus scheinen die Überreste dieses Tampu
amorph zu sein, aber die Luftaufnahme enthüllt einen deutlichen Plan von
Wohnungen, einen grossen Platz und kreisförmige Verteidigungsmauern. In der
Nähe gibt es kochendheisse Quellen, und man kann auf dem Boden verstreute
Bruchstücke von Töpferware finden. Aus all dem kann man schliessen, dass Jaqui
ein Zentrum für Pilgerfahrten war.
Fünfundzwanzig
Kilometer weiter — einen guten Tagesritt entfernt — lag Acari. Die höhergelegte
Strasse durch ein Land, das bei Nacht eisig kalt, am Tage aber glühend heiss
ist, verläuft so gradlinig, wie das Terrain es erlaubt. Aber stellenweise ist
ihr Verlauf durch Sanddünen verborgen, die der vom Arenal de Tanaca
herunterwehende Wind auftürmt.
Acari, das auf einem
schroffen Felsen über dem Fluss desselben Namens liegt, erreicht man auf einer
absteigenden Treppe aus Steinstufen; es erregte das Interesse von Väsquez de
Espinosa: «Drei Kilometer vom Meer entfernt gibt es in dem Tal ein Gehölz von
Bäumen und viele bemerkenswerte Gebäude des alten Volkes, die bis auf die heutige
Zeit [1617] erhalten geblieben sind und auch für immer stehenbleiben werden,
weil es nicht regnet.»
Acari war
wahrscheinlich ursprünglich eine Siedlung der Nazca, aber nachdem die Inka die
Herrschaft über das Gebiet gewonnen hatten — etwas nach 135o —, wurde es als
bedeutendes und wohlhabendes Verwaltungszentrum neu gegründet. Wo immer es
möglich war, passten die Inka ältere Bauwerke ihren Erfordernissen an und
errichteten neue Bauten nur, wo es nötig war. Das in der Gegend verfügbare
Baumaterial wurde verwendet: grosse Kiesel aus dem Fluss wurden mit Lehm
zusammengefügt; die Dachbalken waren aus Holz, flach und mit Schilf gedeckt.
Ein grosser ummauerter, rechtekkiger Platz — fünfzig auf dreissig Meter — wurde
angelegt.
An diesem Punkt
mündete eine Zubringerstrasse, die zum See Parinacochas führte, in die
Hauptstrasse an der Küste. Diese Strasse verlief genau nordöstlich und
erreichte in Puquio eine Höhe von 3600 Meter; Hernando Pizarro marschierte 1 5
3 8 auf dem Weg zum Kampf mit Diego de Almagro auf ihr.
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