Die Wege der Inka
Teil 3
Author D.SelzerMcKenzie
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Die heilige Brücke am Apurimac
Der Apurimac
entspringt dem Rand der westlichen Anden als blosses Rinnsal, das von den
Gletschern des hohen Cerro Huachahui gespeist wird. Auf seinem Weg in
nordöstlicher Richtung nimmt er eine Reihe von Nebenflüssen auf und hat sich
eine eindrucksvolle Schlucht in seinem Lauf zum Amazonas ausgewaschen. Wo er
die Brücke erreicht, hört man von den hohen Wänden der Schlucht herunter sein
herabstürzendes Wasser als dumpfes, widerhallendes Brausen, und daher hat er
seinen Namen Apurimac — der «Grosse Sprecher».
Er war der Rubikon
der Inka, denn ein Jahrhundert lang hielt er sie in Schach und verhinderte, dass
sie ihr Reich nach Norden ausweiteten. Er blieb bis 13 5o, als die Ingenieure
des sechsten Inka Roca den ersten Versuch machten, ihn zu überbrücken, ein
beträchtliches Hindernis.
Diese Brücke, die
Huacachaca — «Heilige Brücke» —, war den Inka huaca — heilig —, weil sie
glaubten, sie besässe eine Seele. Auf der Cuzco zugewandten Seite wurde ein
bedeutendes Orakel errichtet; dieses sprach durch das ohrenbetäubende Brausen
des Flusses zu denen, die es anflehten. Pedro Pizarro sagte, als er in hohem
Alter darüber schrieb, dass es bekannt war als «der Herr, der spricht, oder der
Apurimac, der . Es war eine reich bemalte Hütte, die ein
Götzenbild enthielt, einen grossen, blutbespritzten Holzklotz.»
Für die ersten
Spanier war die Brücke ein Sinnbild Perus. Hiram Bingham, der Entdecker von
Machu Picchu sagte, dass die Abbildung von ihr in Squiers Buch «einer der
Gründe dafür gewesen ist, warum ich nach Peru gehen wollte». Die ersten
Spanier, die sie überschritten, waren starr vor Schrecken. Tagebücher und
Berichte sind voll von ihren Klagen, wie die Brücke im Wind geschwankt habe,
wie tief die Schlucht sei, wie furchtbar das Brausen des Flusses in seinem
Widerhall an den senkrechten Felswänden, wie ihr Puls gerast sei, ihre Augen
trübe und das Herz schwach wurde, als sie sich an die dünnen Seile klammerten.
Als Pedro de Cieza im
März 1548 zum ApurimacFluss kam, sah er in ihm «den grössten, den man zwischen
hier und Cajamarca überqueren muss. Die Strasse zur Brücke ist sehr gut an den
Abhängen und Bergen angelegt. Ihre Erbauer müssen es schrecklich gehabt haben,
als sie die Felsmassen herausbrachen und die Strasse planierten, besonders da,
wo sie absteigt.» Er sagte auch, dass «die Strasse so holperig und gefährlich
ist, dass einige mit Gold und Silber beladene Pferde hinunterstürzten und
verlorengingen».
Vom Tampu und Dorf
Curahuasi stieg die Strasse über die jetzt allgemein bekannte Treppenstrasse im
Zickzack hinab. Nach zwei Stunden Marsch kommt sie an die vertikalen Wände der
Schlucht. Da es kein Felsgesims gab, über das die Strasse geführt werden
konnte, schlugen die Ingenieure der Inka einen Stollen in die Felswand. Der
Stollen, der zu der Plattform der Brücke führt, ist durch dreihundert Meter
bröckeligen Fels geschlagen; er ist drei Meter hoch und nicht ganz zwei Meter
breit. Luftlöcher gibt es alle zehn Meter.
Die Methoden der
Inka, Fels zu bearbeiten, unterschieden sich wenig von denen der Römer. Es
wurden Löcher in natürliche Risse gebohrt und Holzpflöcke hineingeschlagen und
dann nass gemacht. Diese quollen auf und spalteten den Fels, der dann mit Hilfe
riesiger bronzener Brecheisen herausgebrochen wurde. Eine andere Methode war, starke
Feuer direkt an der Felsfläche zu entzünden — das geschwärzte Innere der
Stollen zeugt davon; wenn der Fels stark erhitzt war, wurde Wasser darauf
geschüttet, wodurch der Fels barst.
Wo der Stollen
endete, war eine spiralförmige, mit Stein belegte Treppe aus dem Fels
ausgehauen, die sich zu einer aus der Wand der Schlucht abgegrabenen Plattform
hinunterwand. Zwei Steintürme waren auf der Plattform erbaut, und die
gewaltigen Taue wurden über diese Türme gehängt und dann tief in die Plattform
eingegraben. Die beiden Taue, an denen die Brücke aufgehängt war, und die drei,
die den Laufsteg der Brücke trugen, waren, wie Garcilaso de la Vega, der sie
oft sah, erklärte, um fünf Querbalken geschlungen, jeder so dick wie ein Ochse,
und in der Plattform unter einer grossen Felsmasse vergraben.
Die Taue waren von
Hand aus den Fasern der cabuya, einer Amaryllisart aus der im tropischen
Amerika heimischen Gattung der Agave, gesponnen, einer der charakteristischsten
Pflanzen der peruanischen und mexikanischen Landschaft. Sie hat fleischige,
schön geschwungene, blaugraue Blätter mit scharfen Spitzen und stachliger
Kante, die lang und breit sind. Diese fleischigen Blätter, die knapp zwei Meter
lang werden, sind von starken Fasern durchzogen — im Handel Sisal genannt —,
die getrocknet, gewaschen und gehechelt, für die Herstellung von Sandalen,
Satteltaschen, Halftern und Seilen verwendet werden können.
«Ich möchte
berichten, wie sie gesponnen wurden», sagte «der Inka» Garcilaso de la Vega.
«Drei Stränge von je drei Fasern werden zusammengeflochten, wodurch ein Seil
von neun Fasern entsteht; dann werden drei davon zusammengeflochten, was ein
Seil von siebenundzwanzig Fasern ergibt; wenn das so mehrmals wiederholt wird,
bekommt man zuletzt ein Tau, so dick wie der Schenkel eines Mannes.» Das
Flechten der Taue wurde an Ort und Stelle vorgenommen — genau wie der
deutschgebürtige Ingenieur Johann Augustus Roebling die Stahltaue für die
BrooklynBrücke am Ort selbst spinnen liess —, denn die Taue wären sonst zu
unhandlich geworden und nicht mehr zu transportieren gewesen. Die Taue wurden
zur anderen Seite der Schlucht auf folgende Weise hinübergespannt: Zunächst
überquerte ein Indianer auf einem Floss den Fluss und hielt ein kleines Seil in
der Hand, an das ein grösseres angebunden war, und so weiter, so dass dann am
Ende der Kette das Haupttau war. Mit Hilfe von Legionen von Arbeitern wurde das
Tau hinübergezogen und auf den Steinturm gehoben. Die beiden Haupthängetaue
wurden auf beiden Seiten der Schlucht eingegraben, indem man sie um fünf
stufenförmig verlegte Holzbalken schlang, die, nachdem sie eingegraben waren,
die Taue straff hielten und verhinderten, dass diese zu sehr durchhingen.
Obwohl wir wissen, dass
die Taue gewaltig Waren, hat niemand eine Schätzung von Durchmesser, Länge und
Gewicht der Taue überliefert. Durch logische Schlüsse kann man aber eine
Vorstellung davon gewinnen. Die Länge der Brücke von einem Ende zum anderen
wurde — von E. G. Squier — zutreffend mit 5o Metern ermittelt, wobei natürlich
die Taue viel länger waren, weil sie zwangsläufig ein gutes Stück durchhingen
und ein fünfzehn Meter langes Stück auf beiden Seiten der Brücke eingegraben
wurde. Die Bemerkung, dass die Taue «so dick wie der Oberschenkel eines Mannes»
waren, lässt vermuten, dass sie einen Umfang von 66 Zentimetern hatten; das
Gewicht jedes Taues wäre dann etwa s000 Pfund gewesen, und es hätte einer
Belastung von bis zu fünfzig Tonnen standhalten können. Die Lauffläche der
Brücke bestand aus Flechtwerk oder Brettern, die durch die Seile gesteckt
waren. Die Hängetaue und die der Brücke selbst waren durch eine Reihe von
Seilen verbunden, die als Schutzgeländer dienten. Da die Brücke im Wind
schwankte, wurde sie durch Haltetaue festgehalten, die an den senkrechten
Wänden befestigt waren.
Auf der Cuzco
zugewandten Seite des Flusses war die Strasse aus dem Felsen ausgehauen und mit
Mauern versehen, die aber später zerstört wurden. Sie stieg in einem steilen
Zickzack zu dem jetzt «La Banca» genannten hohen Punkt an, und ihre Breite
variierte zwischen einem und zwei Metern.
Als Ephraim George
Squier, der amerikanische Diplomat und Archäologe, die Brücke 1869 überschritt,
stellte er fest, dass sie noch instand gehalten wurde und dass ihre
indianischen Wärter in der Nähe «wie Ziegen in Schuppen» wohnten. Von dort aus
«konnte man die Brücke in der Höhe in einer anmutig geschwungenen Kurve
zwischen den beiden Abstürzen auf beiden Seiten sehen; sie war wunderbar zart
und fein wie Spinnweb».
Bei den Inka standen
alle Brücken, ihr Bau und ihre Instandhaltung sowie die Erhebung der
Zollgebühren unter der Aufsicht von Inkabeamten vom AcosGeschlecht; der Titel
des Aufsehers der Brücken hiess in Ketschua ChacasuioiocacosIngaguamnochaca, wie
Huamän Poma berichtet. Wenn man bedenkt, dass sich die Strassen über die ganze
Länge des südamerikanischen Kontinents von Kolumbien bis Chile erstreckten und
dass nicht weniger als 892 grosse und kleine Flüsse und Schluchten überwunden
werden mussten, erkennt man, dass die technische Leistung der Inka beim Bau und
Unterhalt von nahezu tausend Brücken auf einer Entfernung von 7000 Kilometer
wahrhaft ungeheuer war.
Bis zu den
Fortschritten der Technik im neunzehnten Jahrhundert, als man anfing, eiserne
Ketten als Hängetaue zu verwenden, waren die Hängebrücken der Inka die
längsten. Die Inka kannten das Gewölbe nicht, wie übrigens auch alle anderen
vorgeschichtlichen Völkerstämme in Amerika. Das Gewölbe, ein Zusammenspiel von
Gewicht, Schwere und Druck, ist verhältnismässig passiv und der Erde verhaftet,
aber das Hängekabel kehrt die Gewölbekurve um und erzielt damit Kraft ohne
sichtbare Masse oder Schwere.
Die Menschen, die
diese und andere gewaltige Bauvorhaben planten und durchführten, werden mit
Recht «Ingenieure» genannt. Als der neusteinzeitliche Mensch damit begann, sich
die Natur und ihre Materialien untertan zu machen, lernte er die Kunst der
Töpferei, des Webens, des Ackerbaus, der Metallurgie und der Zähmung der Tiere
und wurde zivilisierter. «Niemand würde heute noch», schreibt Claude
LeviStrauss in , «daran denken, diesen gewaltigen
Fortschritt einer willkürlichen Anhäufung von zufälligen Entdeckungen
zuzuschreiben. Jede dieser Techniken setzt jahrhundertelange aktive und
methodische Beobachtung kühner Hypothesen voraus, die vermittels endlos
wiederholter Experimente erprobt wurden.»
Die Inka waren die
Erben einer langen Geschichte der Technik. Wenn es auch ihre Politik war, den
Beitrag anderer Stämme zu ihrer materiellen Kultur herabzusetzen, indem sie den
Anschein erweckteni als ob vor ihrer Ankunft alles leer und öde gewesen wäre —
in Wirklichkeit war die Inkakultur nur eine intensivierte Ausprägung der
typischen andinen Kultur —, ist es doch richtig, dass der Mensch unter der
Inkaherrschaft seine Fähigkeiten vermehrte, Nutzen aus seinem Umgang mit der
Natur zu erzielen. Eines der Symbole dieser technischen Leistung ist die grosse
Brücke über den Apurimac. Als das Heer von Präsident La Gasca in der ersten
Woche des März 1548 das Tal des Apurimac erreichte, waren alle drei Brücken
über die Schlucht, die Huacachaca, Cotabamba und Accha, auf Befehl von Gonzalo
Pizarro zerstört worden. La Gasca sagte in seinem Bericht, dass er sich bemüht
habe, Gonzalo in Ungewissheit darüber zu lassen, wo er und seine Truppen «am
wahrscheinlichsten eine Brücke über den Apurimac» schlagen würden. Indianer,
die aus der Entfernung aussahen wie Ameisen, kamen täglich herbei und brachten
cabuyaBlätter, und La Gasca entschied, dass die «natürlichen Bedingungen der
CotabambaBrücke» sie zum günstigsten Ort für die Wiederherstellung der Hängetaue
machten. Die CotabambaBrücke diente zur Überwindung der ApurimacSchlucht auf
der ContisuyuStrasse zur Küste. «Ich erteilte», schrieb La Gasca in seinem
Bericht nach Spanien, «Lop6 Martin Instruktionen zur Beschleunigung des
Zustroms von Material für die Brücke [cabuyaFasern für die Taue].» In zwei
Wochen, was eine Vorstellung von der Geschwindigkeit gibt, mit der die Taue
geflochten werden können, waren die beiden grossen Taue an ihrem Ort, aber
plötzlich erschienen Soldaten von Gonzalo Pizarro und «verbrannten zwei Taue
unserer Brücke». Am 7. April jedoch, nachdem die Brückenköpfe gesichert und
Hängetaue und Brücke fertiggestellt worden waren, überschritt sie das Heer von
La Gasca. Von hier aus kamen sie wieder auf die Königsstrasse, ohne auf Widerstand
zu stossen, und rüsteten sich bei Xaquijahuana für die Schlacht.
Es war weniger eine
Schlacht als eine Affäre, wie La Gasca sich ausdrückt, ohne Eile auf beiden
Seiten. Gonzalo Pizarros Heer schmolz einfach dahin, da die Männer einzeln und
dann in Gruppen desertierten, bis die Niederlage komplett war. Es wäre ganz
anders gegangen, wenn Francisco de Carbajal an der Spitze gestanden hätte.
Nachdem er das Kommando an Gonzalo abgegeben hatte, sass er auf einem Hügel auf
seinem rotbraunen Maultier und lachte über das Unglück. Aber bevor er fliehen
konnte, wurde er gefangengenommen.
«Ich entschloss mich,
mit Gonzalo Pizarro und Carbajal sogleich reinen Tisch zu machen», sagte La
Gasca, «denn solange sie am Leben sind, gibt es keine Sicherheit.» Sie wurden enthauptet,
und Gonzalos Kopf wurde in einen Käfig aus Eisenmaschen gelegt und am
königlichen Pranger in Lima aufgehängt.
Pedro de Cieza
schrieb das alles für seine (Historien' auf, aber leider verlor er in dem
Handgemenge einige Notizbücher und Teile des Manuskriptes, «was mich sehr
betrübte». Als er nach den verlorengegangenen Papieren suchte, wurde La Gasca
aufmerksam auf ihn und bat ihn, etwas von den sehen zu
dürfen, die ihm dann gezeigt wurden. Da er Gefallen an der Lektüre fand, ernannte
La Gasca Pedro de Cieza zum Primer Cronista de las Indias — zum ersten
Historiker der Indien; und so vertauschte Cieza, gewappnet mit Briefen mit der
Unterschrift und dem Siegel des siegreichen La Gasca, bildlich sein
Soldatenwams mit dem langen Rock des Historikers und setzte seine Reise über
die Königsstrasse nach Cuzco fort. «Vom Apurimac», stellte Cieza fest, «geht
man weiter zu den Wohnstätten von Limatambo.» Dieses massiv errichtete Gebäude,
dessen vieleckige Steinkonstruktion noch zu sehen ist, ist sechs Meter hoch und
25o Meter lang und steht auf Terrassen, die aus dem Fels ausgehauen sind. Es
war die Residenz des Gouverneurs und aller Wahrscheinlichkeit nach das
Verwaltungszentrum von Chinchasuyu.
Danach überquert die
Strasse die Sierra de Vilcaconga und steigt dann ab «in das Tal von
Xaquijahuana, das tief zwischen Bergen liegt. In diesem Tal gab es prächtige,
üppige Paläste.»
Hier war der Stamm
der Chanca bei seinem Präventivkrieg gegen Cuzco endgültig besiegt worden. Als
zwei alte Konquistadoren, Peralonso Carrasco — zu dessen Besitz das Tampu von
Abancay gehörte — und Juan Pancorvo — einer der Gründer von SpanischCuzco — mit
Francisco Pizarro das Land betraten, waren die Gräber, die die Inka für die
toten Chanca erbaut hatten, noch zu sehen. Sie waren als warnendes Beispiel
aufgestellt worden. Den Toten war die Haut abgezogen worden, und die Häute
wurden mit Asche und Stroh ausgestopft, um menschlichen Wesen zu gleichen;
solche Gestalten waren auf hundert verschiedene Arten gestellt und gelegt worden.
Cieza wurde erzählt, dass bei manchen der Magen wie eine Trommel gespannt war,
während andere eine Flöte zu spielen schienen. Sie blieben so stehen bis zur
Eroberung durch die Spanier. Die Spanier, die doch mit Plünderung, Raub und Tod
in allen Formen vertraut waren, waren entsetzt, als sie 1533 auf ihrem Marsch
auf der letzten Strecke der Strasse vor Cuzco auf die Leichen der Familie des
geschlagenen Huascar stiessen, die in Abständen entlang der Königsstrasse auf
Pfosten aufgespiesst waren. Männer, Frauen, Kinder und sogar Fetusse waren hier
aufgehängt und hatten in dieser Lage Atahualpa auf seinem Siegeszug nach Cuzco
begrüsst.
Xaquijahuana war die
letzte Haltestation vor den Sümpfen von Anta. Dieser Platz war bekannt als der
Ayllu des inkaischen Geschlechts der Anta. Die Angehörigen der Anta hatten das
erbliche Recht, im ganzen Reich die Aufseher für die Instandhaltung der Strassen
zu stellen.
Anta liegt 25
Kilometer südlich von Cuzco in einer niedrigen Ebene. Das Wasser von den Bergen
der Umgebung sammelt sich hier und ist die Ursache für den Sumpf. Damit die
Strasse höher lag als die Fluten, wenn sie sich über die Ebene ergossen,
erbauten die Ingenieure der Inka einen io Kilometer langen Damm mit Mauern auf
beiden Seiten. Einen weiteren Schutz gewährten sechsunddreissig Abzugskanäle,
die die Wassermassen regulierten. Als Cieza hier vorbeikam, stellte er fest:
«Es wäre schwierig, diesen Sumpf ohne den breiten und festen Damm zu
überqueren, der auf Befehl der Inka erbaut wurde.»
Der Damm endet in
Izcucacha, wo die Strasse über eine steinerne Brücke verläuft. Nachdem sie
einen Berg erstiegen hat, erreicht sie Carmenca.
Von hier sieht der
Reisende, der auf der Königsstrasse steht, auf Cuzco hinunter.
Terrakottagefäss
der Caiiari in Südecuador. Gefässe dieser Art, gefüllt mit Chicha (Maisbier),
wurden in die Gräber gestellt, um die Toten zu besänftigen.
Die
Ingenieurkunst der Inka zeigte sich auch in ihren Brückenbauten, die sie, je
nach den Gegebenheiten, in den verschiedensten, noch heute angewendeten Bauweisen
errichteten. Brücke bei Huanuco aus parallelen Baumstämmen, die auf dauerhaften
Steinpfeilern aufliegen. Hängebrücke (chaca) über den oberen Apurimac
Vorinkaische
Steinskulpturen aus Callejon de Huaylas, einem Ort, der nicht weit entfernt von
der ChinchasuyuHauptstrasse am SantaFluss liegt. Mitte rechts: Stilisierter
Kopf; ehemals Bestandteil einer Mauer aus der wenig bekannten SechinKultur an
der pazifischen Küste
Cuzco. Zwei
der imaginären Ansichten de Brys von Cuzco aus dem Jahre 1596, die auf
Berichten von spanischen Konquistadoren und Reisenden beruhen — man beachte die
Kamele im Vordergrund. Gesamtansicht des
modernen Cuzco; die Festung Sacsahuamän links beherrscht den Berggipfel, der
die Stadt überragt. Lamas auf dem
Abstieg über die treppenförmige nördliche Strasse in Cuzco, bekannt als «die
Strasse, die den Fuchs ermüdet». Enge Stufenstrasse, die zum Cusipata (Platz
der Freude) führt, dem Ausgangspunkt der AntisuyuStrasse.
Besonders
hervorragende Beispiele des inkaischen Ingenieurwesens. Kreisförmige
Anbauterrassen in Moray, fünfundzwanzig Kilometer nordwestlich von Cuzco, die
man zuerst fälschlicherweise für ein Amphitheater hielt. Später konnte man
nachweisen, dass sie so tief in die Erde hineingegraben wurden, um die Ernte
vor Frost zu schützen (Luftaufnahme von ShippeeJohnson). Verlauf der
AntisuyuStrasse in dem terrassierten Tal von Ollantaytambo. Die Festung
011antaytambo, die den Zugang zum Dschungelgebiet im Osten beherrschte. Machu
Picchu, gesehen vom Wachturm aus, durch den die Strasse nach Cuzco kontrolliert
wurde. Das YucayTal nördlich von Pisca.
Sacsahuamän,
eines der grössten jemals von Menschen errichteten Bauwerke. 30000 Indianer
arbeiteten 70 Jahre lang an seiner Fertigstellung. Es wurde aus Tausenden gigantischen
behauenen Steinen zu einer Länge von gut eineinhalb Kilometern zusammengefügt.
Indianer, gekleidet in nach Rekonstruktionen gearbeiteten inkaischen
Kampfgewändern, stellen die Verteidigung der Festungsmauern dar. Lamas weiden
vor den gewaltigen Steinen der Mauern von Sacsahuamän.
Cuzco, Zentrum der «Vier
Weltengegenden»
Carmenca, jetzt die
Pfarrgemeinde Santa Ana, war der letzte Kontrollpunkt. Es war eine Zollstation,
ein Tampu, und bei einer Entfernung von z oo Kilometer von Quito das Ende der Capac
Nan, der Königsstrasse. Von Carmenca aus hatte der Reisende den ersten
unbehinderten Blick auf Cuzco. Wenn er jedoch seine Reise auf der Strasse eben
erst begänne, würde er in Carmenca beim Huacapuncu, dem «Heiligen Tor»,
haltmachen und dort seine mocha — Verbeugung — machen, um sich einer sicheren
Reise zu vergewissern und zu beten, dass die Strasse nicht einstürze.
Als Pedro de Cieza im
April 1548 hier ankam, waren die Cariari, die er an ihrer Kopfbedeckung
erkannte — «einer verschlungenen Krone, so fein wie Siebdraht» —, die Wächter
von Carmenca. Sie waren eine Kolonie von incapmichuscanruna, eines Volkes, das
aus seinem 1300 Kilometer nördlich gelegenen Heimatland umgesiedelt worden war,
und nun eine Elitetruppe bildete, die für den nördlichen Zugang nach Cuzco
verantwortlich war.
Pedro Sancho de la
Hoz, der junge Schreiber im Dienst von Francisco Pizarro, war der erste
Spanier, der Cuzco beschrieb; sein Bericht stammt aus dem Jahr 1533. Zu dieser
Zeit hatten die Tempel noch nicht alle Goldplatten eingebüsst, die ihre Mauern
schmückten, und die Stadt funktionierte noch so wie unter der Inkaherrschaft.
Pedro Sancho erschien sie so gross, «dass eine Woche nicht genügte, um sie ganz
zu sehen. Sie ist grossartig und prächtig und muss von einem Volk mit grosser
Intelligenz erbaut worden sein. Sie hat schöne Strassen, die nur etwas eng
sind. Die meisten Häuser sind aus Stein, obwohl auch viele aus Lehm erbaut
sind. Cuzco ist die reichste Stadt, die wir in den Indien kennen, denn oft
wurden grosse Schätze hierher gebracht, um die Herrlichkeit der Inka zu
vermehren.»
Cuzco wurde im elften
Jahrhundert n. Chr. vom ersten Inka Manco Capac gegründet. Es liegt in einer
Mulde — das Volk nannte es den Nabel des Tales — in einer Höhe von 3300 Meter
über dem Meeresspiegel. Auf drei Seiten erheben sich steile Berge, während sich
nach Westen das Tal erstreckt, das einen breiten Korridor zwischen den Bergen
bildet und aus fruchtbaren Ebenen im Wechsel mit Sümpfen besteht. Hier in Cuzco
beendete Manco Capac seine Suche nach einer Heimat für sein Volk. Nach einer
alten Überlieferung stiess er in Cuzco einen goldenen Stab in die Erde, den ihm
sein Vater, der Sonnengott, geschenkt hatte, und als der Stab verschwand,
erkannte er, dass der Boden nicht felsig und das Land fruchtbar war. Alle, die
damals in diesem Gebiet lebten, wurden umgesiedelt. Die Archäologie steht hier
in Einklang mit dem Mythus der Inka: Kultur und Geschichte der Inka entfalteten
sich in diesem Tal in der unmittelbaren Nachbarschaft von Cuzco.
Die Wohnungen der
Inka in Cuzco gruppierten sich um den Hauptplatz Huaycapata — Platz der Musse
—, wo die Festlichkeiten abgehalten wurden; direkt daneben waren die
wichtigsten öffentlichen Gebäude des Reiches — der Sonnentempel, das Haus der
Sonnenjungfrauen und Curicancha — die Goldene Einfriedung. Von diesem Platz
gingen die engen Strassen der Stadt aus, die in zwölf Verwaltungsbezirke
eingeteilt war. Der Inspektor des Königs von Spanien meinte, es gäbe
hunderttausend Häuser — zweifellos eine gewaltige Übertreibung; aber es mögen
immerhin so viele Menschen dort gewohnt haben. Er versicherte: «In den acht
Tagen, die ich hier war, konnte ich nicht alles besichtigen.» Es existiert kein
Plan von Cuzco, wie es in den Tagen der Konquista ausgesehen hat. Der früheste
Plan — der auch nur das Zentrum der Stadt zeigt — wurde von Huamän Poma 75
Jahre nach der Eroberung gezeichnet, und zu jener Zeit war die Stadt nach
spanischen Grundsätzen neu erbaut worden.
Als Francisco Pizarro
am 15. November 1533 mit seiner Streitmacht von 175 Spaniern und einer
Hilfstruppe von über tausend Mann der Cariari ankam, glänzte die Stadt von
Gold, denn die Fassaden bedeutenderer Gebäude waren noch mit gehämmerten
Goldblechen bedeckt. «Ich sah», berichtete einer der Spanier, «ein viereckiges
Gebäude von dreihundert auf fünfzig Schritt, das vollständig mit Goldblechen
überzogen war. Von diesen Blechen holten wir 700 herunter, die zusammen 5oo
Peso wogen [ein Peso entspricht ungefähr 0,147 Unzen].»
Manco Capac II. kam
mit den Spaniern, aber schon während er gekrönt wurde — die Inkakrone war die
mit Troddeln verzierte und von Wolle eingerahmte llautu —, zerstückelte
Francisco Pizarro Cuzco und teilte Paläste und Häuser seinen Konquistadoren zu.
Pedro de Cieza betrat
Cuzco am i i. April 1548 und beendete damit den ersten Abschnitt seiner Reise
über die Königsstrasse. Aber das Cuzco, das er sah, war nicht die Stadt von
1533, denn im Jahr 1536 war der scheinbar gefügige junge Inka Manco Capac
seinen Bewachern entflohen, hatte eine grosse Zahl von Anhängern ausgehoben und
belagerte Cuzco achtzehn Monate lang. Im Verlauf von Belagerung und
Gegenbelagerung waren die Strohdächer der meisten Gebäude verbrannt und viele
Lehmhäuser von den Spaniern abgerissen worden, damit sie mehr
Manövrierspielraum hatten. Die Stadt hatte sich also sehr stark verändert. Ein
Spanier, der sich in Cuzco angesiedelt hatte, berichtete: «Ich glaube, dass man
von uns Spaniern sagen kann, dass wir allein in vier Jahren mehr Schaden
anrichteten als die Inkaherren in vierhundert.» Die Stadt, die Pedro de Cieza
sah, war also ein wiederaufgebautes Cuzco, das Francisco Pizarro gegründet
hatte.
Trotzdem war genug
von den Fundamenten der ursprünglichen Gebäude erhalten geblieben, so dass man
sehen kann, dass Cuzco der Mikrokosmos des Reiches war und auch blieb. Denn in
der Stadt wohnten Menschen, die aus allen Gebieten des Reiches dorthin gekommen
waren. «Jeder Stamm unterscheidet sich durch verschiedene Kopfbedeckungen so
klar und deutlich, dass, auch wenn 500000 Menschen versammelt waren, jeder Stamm
leicht von den anderen unterschieden werden konnte.» Die verschiedenen Gruppen
bewohnten verschiedene Quartiere der Stadt, aber alle lebten in einstöckigen,
steilgiebligen Häusern aus getrockneten Lehmziegeln, die rot, gelb oder schwarz bemalt und mit dickem
Stroh gedeckt waren.
Pedro de Cieza
erfuhr, dass es einst in der ganzen Stadt königliche Lagerhäuser gegeben habe.
Diese waren mit den Gütern angefüllt, die von den Menschen im ganzen Reich als
Steuern bezahlt worden waren: von der Wüstenküste kamen Baumwolle, Muscheln,
getrockneter Seetang, gesalzener und geräucherter Fisch; aus den
AntisuyuDschungeln kamen Vogelfedern, Kokablätter, Chontaholz, Felle, tropische
Nahrungsmittel und das Gold von den Goldwaschplätzen. Da Cuzco auch Arsenal
war, wurden hier die Rohstoffe für Schleudern, Baumwollpanzer, Schwerter,
Streitäxte — diese waren sternförmig — und Speere gelagert.
Bestimmte
Stadtviertel waren den königlichen Handwerkern, den Berufsgoldschmieden
vorbehalten, die von Steuern befreit waren und sich ganz der Herstellung von Gussarbeiten
in Gold und Silber widmeten. «Es gab», sagte Cieza, «eine grosse Anzahl von
Vergoldern und Silber und Goldschmieden, die die von den Inka bestellten Stücke
herstellen konnten.»
Diese Spezialisierung
setzte eine Organisation voraus, und für die pragmatischen Inka war in der Tat
Richtigkeit gleichbedeutend mit Ordnung. Natürlich ist Ordnung nicht unbedingt
immer gut und kann schlechter als Mangel an Ordnung sein, wenn sie erzwungen
ist und keine Rücksicht auf die Umstände und den natürlichen Lauf der Dinge
nimmt. «Der Mythus von dem grossen sozialistischen Staat der Inka», um den
verstorbenen Alfred Metraux zu zitieren, «entspringt einer nur flüchtigen
Bekanntschaft mit seinen Institutionen.» Gesetze über Eigentum und die Pflichten
der Indianer gegenüber dem Reich sind in Begriffen europäischer Ideale
interpretiert worden. Garcilaso de la Vega — «der Inka» — der 1535 in Cuzco
geboren wurde, erklärte das System der Inka mit bewundernswerter Einfalt: «Sie
teilten das Land in drei Teile, den ersten für die Sonne [die Religion], den
zweiten für den Inka, den dritten für das Volk.» Alle drei Teile wurden vom
Volk bestellt, und der Ertrag wurde in drei Teile geteilt; persönlicher Besitz
war auf das Haus, die Tiere und Haushaltsgegenstände beschränkt; alles andere
gehörte dem Staat —also dem Inka. «Wenn der Wirtschaftsrahmen des Staates
tatsächlich so gewesen wäre», schrieb Dr. Metraux, «könnte man mit Recht von
einem auf einen agrarischen Kollektivismus aufgepfropften Staatssozialismus
sprechen. Aber war es wirklich so ?»
Die Inkakaste, die
nicht nur diejenigen umfasste, die von inkaischem Geblüt waren, sondern auch
solche, die Inka durch Privileg waren — grosse Feldherren zum Beispiel —,
stellte die Herrscher, Gouverneure, Heerführer und Priester. Ausser ihnen
konnte niemand persönlich Land besitzen, da alles Land den Gemeinschaften, den
Ayllu, gehörte, die unter anderem dafür verantwortlich waren, das
Bewässerungssystem in ihrem Gebiet anzulegen und zu unterhalten und die
gemeinschaftlichen Lama und Alpakaherden zu betreuen. Jeder Ayllu stand unter
der Leitung eines gewählten Anführers, dem ein Rat alter Männer zur Seite
stand. Eine Gruppe von mehreren Ayllu kam unter die Jurisdiktion eines
Distriktsführers, der über zehntausend steuerzahlende Arbeiter regierte. Diese
Distrikte waren ihrerseits wieder Unterteilungen der vier Provinzen — suyu —
des Inkareiches. Jede Provinz wurde von einem apu regiert, der direkt dem Sapa
Inka verantwortlich war. Die Reichshauptstadt war Cuzco.
Im Gegensatz zu den
Maya und Azteken hatten die Inka keine Sklaven; so schwere Arbeit wie Strassenbau,
Bergbau und Entwässerung konnte nicht einfach Sklaven aufgebürdet werden. Geld
gab es nicht. Der Tribut wurde in Produkten bezahlt, und die Mita bestand in
Dienstleistungen. Wahrscheinlich waren nur Berufsarchitekten, Handwerker und
eine kleine Gruppe von Berufssoldaten von der Mita befreit.
Um dieses ausgedehnte
Gebiet von Küste, Kordillere und Montaria zu einigen, entwickelten die Inka ein
Kommunikationssystem. Vielerorts wurden schon bestehende lokale Strassen in das
Strassennetz eingegliedert, das durch den Bau der Tampu und die Erweiterung des
ChasquiDienstes leistungsfähiger gemacht wurde. Aber ein solches Strassennetz
war nur bei einem streng disziplinierten Volk in einem Land, das einen hohen
Grad politischen Zusammenhaltes hatte, möglich.
Nachdem Pedro de
Cieza alle diese Faktoren durchdacht hatte, legte er seine Schlussfolgerungen
in einem Kapitel nieder mit dem Titel «Wie die Inkaherren die Strassen bauten,
auf denen sie durch ihr Reich reisten».
«Zu den vielen
Dingen, die meine Aufmerksamkeit erregten, gehörte, wie die überaus prächtigen
Strassen, die wir im ganzen Reich sehen, wohl gebaut wurden, wie viele Arbeiter
dazu erforderlich waren und schliesslich, welche Werkzeuge und Instrumente
gebraucht wurden, um Berge zu ebnen und den Fels zu durchschlagen, damit die
Strassen so breit und schön wurden, wie wir sie nun sehen. Denn wenn unser
Kaiser Karl auch eine Strasse von Quito nach Cuzco und eine von Cuzco nach
Chile bauen wollte, dann glaube ich wirklich nicht, dass ihm das bei all seinen
Machtmitteln und Menschen gelingen würde, wenn er nicht die Methoden und
Techniken der Inka anwendete.
Wer dies liest und in
Peru war, möge sich an die Strasse von Pachacamac an der Küste nach Jauja über
die zerklüfteten Berge von Huarochiri und über die schneebedeckten Gipfel von
Pariacä erinnern, auch an die Stollen und die gewundene Treppenstrasse, die zur
Brücke am Apurimac hinunterführen, oder auch wie die Strasse die Gebirge von
Paltas, Cajas und Ayabacas und andere Gebiete dieses Reiches überquert, wo sie
fast vier Meter breit ist und in den Zeiten der Inka auch frei war von Gras
oder irgendwelchem Abfall.
Wie wurden diese Strassen
erbaut, ohne den Untertanen übermässige Mühsal aufzubürden? Nun, wenn ein Inka
beschloss, eine dieser berühmten Strassen zu bauen, waren keine
Versorgungsvorräte oder Aushebungen erforderlich. Ein Aufseher ging durch das
Land, legte die Route fest und bestimmte [im Frondienst] die Indianer, die
jeweils ihren eigenen Abschnitt der Strasse zu bauen hatten. Auf diese Weise,
wo also jede Provinz für den Strassenbau in ihrem eigenen Gebiet verantwortlich
war, den sie auf eigene Kosten und mit eigenen Leuten durchführte, wurde die
Strasse in verhältnismässig kurzer Zeit angelegt und gebaut. Führte die Strasse
in ein ödes und unbewohntes Gebiet, so kamen die Indianer, die am nächsten
wohnten, mit den erforderlichen Werkzeugen und Lebensmitteln, und so wurde
alles in ständiger Arbeit und in gewissem Sinne frohgemut getan, denn sie waren
in keiner Weise unterdrückt.»
Diese Methode des
Strassenbaus wurde fünfzig Jahre später von Huamän Poma bestätigt. Auch er
schrieb, dass es in den Zeiten der Inka «sechs Königsstrassen gab, die von
einem InkaGouverneur aus der Familie der Anta verwaltet wurden». Er hat uns
auch ein Bild von einem solchen Aufseher hinterlassen. «Die Strassen wurden
vermessen und abgesteckt und auf eine Breite von drei Meter angelegt, und auf
beiden Seiten hatten sie eine Steinmauer. [Die Normalbreite der Strasse war
siebeneinhalb Meter, wie zahlreiche Messungen ergaben.] Die Strasse war gerade
und breit. An ihrer Seite baute man Wegstationen, wo man sich ausruhen konnte,
die auch den ChasquiBoten dienten. Die Strassen waren sauber und, wenn sie
durch sumpfiges Gebiet führten, gepflastert.»
Huayna Capac, der
1485 den Bau der Königsstrasse von Quito nach Cuzco anordnete, stellte die
Verbindung zwischen ihr und der Strasse von Cuzco nach Chile her, die Topa Inka
erbaut hatte.
Machu Picchu und die Kinder der
Sonne
Antisuyu oder Antis,
wovon das Wort «Anden» abgeleitet ist, war die zweite Provinz im Inkareich.
Ihre unbestimmte Grenze verlief in den östlichen Abhängen der Anden in einem
Gebiet, das sich weit nach Nordwesten und Südosten erstreckte und den Amazonas
und seine Nebenflüsse in Peru und Ecuador umfasste. Antisuyu schloss daher
Pisac, 011antaytambo und Machu Picchu ein und war auch mit dem weiten
VilcabambaGebiet, das die Spanier als letztes eroberten, verbunden.
Obwohl Cuzco im
Herzland der hochragenden Anden liegt, ist es doch nur einen Tagesmarsch vom
unteren VilcanotaFluss im Osten der Stadt entfernt und zwei Tagesmärsche von
dem dicht bewaldeten Gebiet, der ceja de la montaiia, den «Augenbrauen» des
Waldes. Für die Bewohner dieses heissen Landes hatten die Inka nur ein Wort:
yunga. Es ist bezeichnend, dass die Mauern der grössten Festung, die je von den
Inka erbaut wurde, nach der Ostprovinz gerichtet waren.
Die Strasse nach
Antisuyu begann am Aucapata, «Platz der Freude». Von hier verlief sie in
südöstlicher Richtung über Hatun Rumiyoc, dessen hohe Steinmauern aus eng
zusammengefügten Quadersteinen bestehen, nach Tococachi, wo sie den
TullumayoFluss auf einer Steinbrücke (ullus) überschreitet. An diesem Punkt
beginnt der Anstieg in die Berge.
E. George
Squiers Zeichnung des grossartigen Tors, das in das Tal von Ollantaytambo
führte
Als die Inka die
Unterwerfung der andinen Stämme beendet hatten, sahen sie, dass sie von Osten
her noch verwundbar waren, da Cuzco nur zwei bis drei Tagesmärsche von den
Dschungeln im Osten entfernt war. In dem Mass wie die Inka die an der
Peripherie ihres Reiches ansässigen Stämme besiegten, brachten sie die Lebensräume
der Stämme durcheinander und zwangen die Besiegten, sich auf anderes Gebiet
zurückzuziehen und dadurch weitere Kriege zu verursachen. Die Schockwellen, die
von dieser Invasion eines Gebirgsvolkes ausgingen, das Lamas als Lasttiere
verwendete, bronzene Äxte goss und Waffen aus Metall besass, waren noch
Hunderte von Kilometern entfernt zu spüren, und der Alarm wurde von Stamm zu
Stamm weitergegeben, bis er sogar die Guarani erreichte, einen angriffslustigen
paraguayischen Stamm, der i600 Kilometer östlich von Peru lebte. Durch
indirekten Handel erhielten sie Kupferäxte und Silberschmuck von den Inka. Das
reizte sie dazu, die Aussenposten der Inka im bolivianischen Chaco anzugreifen.
Solche Überfälle kamen überall in dem heissen, dicht bewaldeten Gebiet von
Antisuyu vor.
Direkte
Handelsbeziehungen entwickelten sich zwischen den Inka und den Urwaldstämmen,
wobei die letzteren Waldprodukte gegen Kupfer und Bronzeäxte und Silber und
Goldschmuck von den Inka eintauschten. Konnten diese Gegenstände nicht durch
Handel erworben werden, so wurden Aussenposten der Inka, besonders im
Amazonasgebiet, angegriffen. Der erste Weisse, der den Fuss auf Inkagebiet
setzte, tat das als Teilnehmer eines solchen Angriffs auf einen Aussenposten in
der Nähe des bolivianischen Chaco.
Als der spanische
Navigator Juan Diaz de Solis nach dem Tod von Amerigo Vespucci zum Oberlotsen
ernannt wurde, versuchte er, über den grossen Fluss, der zuerst seinen Namen
trug und heute Rio de la Plata heisst, eine Route zu dem neu entdeckten
Pazifischen Ozean zu finden. Als er i 515 von den CarioIndianern hörte, dass
sie Überfälle auf ein Volk machten, das gegen Sonnenuntergang wohnte, und dass
dieses Volk auf einem Berg aus Silber, in Häusern aus Stein lebte,
«langhaariges Wild» — nämlich Lamas — als Haustier hielt und Gold und Silber in
unbegrenzten Mengen besass, wovon ihm einige Stücke gezeigt wurden, «beschloss
er, dass man das sehen müsste». Daher schloss sich der Portugiese Garcia Alejo
den Guarani an und überfiel mit ihnen mehrere Aussenposten der Inka. Der
schwarzbärtige weisse Mann wurde für ein «neues Wesen» gehalten und war 1515
(zwölf Jahre vor Pizarro) der erste seiner Art, der den Fuss auf inkaischen
Boden setzte.
Im allgemeinen hatten
die Bewohner des oberen Amazonas ein verhältnismässig hohes kulturelles Niveau,
und sie trugen bedeutend zur Entwicklung des Ackerbaus bei. Schon z000 v. Chr.
bauten sie Maniok an, von dem die Tapioka stammt; ausserdem züchteten sie Süsskartoffeln,
Pfeilwurz — weit verbreitet als Stärke —, Inga, Cashew, Avocado, Zapote, Papaya
und Ananas. Der Anbau dieser Nahrungsmittel breitete sich in die wärmeren Täler
von Peru und Ecuador aus. Diese Völker, die verschiedenen Kulturen angehörten
und geographisch weit verstreut waren, terrassierten die östlichen Abhänge der
Anden, denn das war ein Gebiet mit sehr viel Regen, dessen Boden ein hohes
landwirtschaftliches Potential hatte. Städte, die unmittelbar über der ceja aus
mörtellos gefügten Steinen erbaut waren, waren über ein weites Gebiet
verstreut. Eine namens Kotosh ist noch in gutem Zustand und ist vielleicht
tausend Jahre älter als die ersten Inkastädte; sie stammt aus dem Jahr I000 v.
Chr.
Die Völker, die im
Gebiet des oberen Amazonas lebten, bauten Narkotika und halluzinogene Drogen
an. Eine dieser Drogen, die für die Wahrsagerei benutzt wurden, wurde aus der
BanesteriaRebe hergestellt, die die Inka ayahuasca, «Rebe der Seele», nannten.
Es gab verschiedene Arten von hypnotischem Schnupftabak. Datura ist ein
yungaProdukt und höchst wichtig in der inkaischen und der modernen Geschichte;
auch der Kokabusch gedeiht auf den feuchten Osthängen der Anden. Als die Inka
mit der systematischen Invasion des Gebietes begannen, betraten sie also kaum
ein landwirtschaftlich rückständiges Land.
«Im Jahr 1400»,
erzählte man Pedro de Cieza, «beschloss der achte Inka, nachdem er den Namen
Viracocha, eines ihrer Hauptgötter, angenommen und geheiratet hatte, die
verschiedenen Völker, die nicht weit entfernt im Osten von Cuzco lebten, zu
unterwerfen.» So begann die Eroberung des Vilcanotatals, des schönsten und
mildesten Tals von Peru. Die Eroberung wurde durch Viracochas Sohn Pachacutic —
«Erderschütterer», so benannt wegen seiner Siege und der Reorganisation der
Institutionen der Inka, seiner harten Anwendung der Inkajustiz und der
Umformung der Geschichte durch eine selektive Manipulation der Tatsachen —
beschleunigt durchgeführt.
Als Pachacutic in das
Gebiet östlich von Cuzco eindrang, erkannte er, wie sehr gefährdet die Stadt
durch einen Angriff von dorther war. Er befahl daher seinen Architekten, die
gigantische Festung zu bauen, die finster von den felsigen Höhen auf Cuzco
hinabschaut.
Die Festung von
Sacsahuamän ist nicht nur eines der grössten Gebäude, das je im prähistorischen
Amerika erbaut wurde, sondern auch ihren Gegenstücken insofern unähnlich, als
wir die Namen ihrer Architekten kennen, weil diese sie den drei Haupttoren der
Festung gaben. Das ist um so ungewöhnlicher, als das Bauen bei den Inka im
allgemeinen ein gemeinschaftliches Unternehmen war, bei dem sich kein
besonderes Individuum über die anderen erhob. über diese Festung schrieb
Garcilaso de la Vega: «Vier Meisterarchitekten beteiligten sich an ihrem Bau.
Der erste und leitende war Huallpu Rimanchi Inka, der den Grundplan entwarf.»
Die
AntisuyuStrassen und die megalithischen Städte
Die Festung war in
einen Kalksteinfelsen von 5 5o Meter Länge hineingebaut worden und bestand aus
drei Mauerrängen, die sich fünfzehn Meter hoch erhoben. Einen Zugang zu ihr gab
es nur an drei Punkten durch massive trapezförmige Tore. Das Ganze besteht aus
ungeheuren vieleckigen Steinen — manche über 7wanzig Tonnen schwer —, die
aneinandergefügt sind und ein hervorragendes Beispiel der Steinbauweise
darstellen. Die Steine waren mit schweren Hämatithämmern, Kupfer oder Bronzemeisseln
und Brecheisen in Kalksteinvorkommen gewonnen worden, die drei bis
fünfundzwanzig Kilometer entfernt waren, und wurden mit Hilfe von Tauen,
hölzernen Schlitten und Walzen, über die die Schlitten gezogen wurden, zur
Baustelle geschleppt. Vermittels Erdrampen wurden sie an Ort und Stelle
gebracht. Die genauen Aufzeichnungen der Inka besagen, dass «20000 Arbeiter in
ständiger Ablösung» achtundsechzig Jahre gearbeitet haben, um Sacsahuamän zu
erbauen.
Pedro Sancho de la
Hoz, der das Bauwerk 1533 sah, als er 21 Jahre alt war, sagte: «Es ist das
Schönste, was man im Lande sehen kann. Die Schutzwälle sind aus riesigen
Steinen erbaut; sie sind so gross, als wären sie Stücke vom Berge; es ist kein
einziger zu finden, der so klein wäre, dass man ihn auch nur mit drei Karren
befördern könnte.»
Es gab zwei runde
Kampftürme, ein Wasserreservoir mit Verteilungsröhren innerhalb der ganzen
Festung, Wohnungen für den Inka, unterirdische Lagerräume für Waffen und viele
colca zur Aufbewahrung von Lebensmitteln. Die Festung war gross genug, dass
fast die ganze Bevölkerung hier im Falle einer Belagerung Zuflucht finden konnte.
Der Testfall kam aber erst 1536, als die Spanier die Festung belagerten und sie
den Streitkräften Manco Capacs wegnahmen. Im Verlauf dieser Belagerung wurde
ein grosser Teil des Oberbaues von Sacsahuamän zerstört, aber Pedro de Cieza,
der die Festung 1548 besuchte, fand, dass sie noch «gewaltig anzuschauen war».
Hinter Cuzco verlief
die AntisuyuStrasse entlang der schön angelegten Mauern der SuntuHausiPaläste
und stieg dann, wobei Sacsahuamän zur Linken lag, als Treppenstrasse zur
Grassteppe oberhalb der Stadt hinan und kam dabei an dem Viereck von Tocacachi
— «Salzfenster» — vorbei. Nachdem sie die östlichen Sonnenpfeiler — die als Uhr
gedient haben sollen — hinter sich gelassen hatte, erreichte sie den ersten
Kontrollpunkt, Wegstation und Tampu von PucaPucarä, ein Viereck aus sorgfältig
und symmetrisch ausgerichteten Steinlagen. Der Platz sollte die Strasse
bewachen, und jeder Verkehr nach Cuzco hinein wurde hier kontrolliert und mit
Abgaben belegt. Diese wurden in natura von allen Gütern, die in die Stadt
gebracht wurden, bezahlt.
Nach der Überquerung
der mittags grausam heissen und nachts eiskalten chitapampa kam die Strasse zum
Tampu von Huancaye. Nun, nur fünfundzwanzig Kilometer östlich von Cuzco, stieg
sie fast 800 Meter in das obere Vilcanotatal ab. Dort überschritt sie den Fluss
auf einer Hängebrücke. Die ursprüngliche Seilbrücke ist jetzt durch eine
moderne Stahlkonstruktion ersetzt worden.
Direkt auf der
anderen Seite der Brücke lag Pisac, das die Route nach Paucartambo beherrschte
und die Flüsse, die zum Einzugsgebiet des oberen Amazonas gehören,
kontrollierte. Obwohl nur wenige Kilometer von Cuzco entfernt, erwähnt keiner
der wichtigsten Chronisten den Ort. Pisac ist in Wirklichkeit ein massiver
Berg, der vom Grund des Vilcanotatales aufsteigt; in Form eines unregelmässigen
Ovals von i o Kilometer Länge erhebt er sich bis zu 1400 Meter über das Tal und
wurde von den Inkaingenieuren stark überbaut. Anbauterrassen überziehen den
Berg und folgen dabei den natürli chen
Höhenlinien des Felsens. Aquädukte verbinden die Terrassen miteinander und
leiten das Wasser von den höheren zu den unteren hinab, und durch diese
Terrassen verläuft die AntisuyuStrasse auf ihrem Weg nach Paucartambo und der
Montaiia. In landwirtschaftlicher Hinsicht hatten die Terrassen den doppelten
Zweck, die Anbaufläche zu vergrössern und den Boden zu erhalten, den die
schweren Regenfälle sonst weggeschwemmt hätten; aber sie hatten auch eine
defensive Funktion, denn über, unter und um sie herum gruppierten sich Häuser,
Lagerplätze, Festungswerke, Stollen, Tore und Kontrollpunkte. Die
Verteidigungsanlagen waren so ausgedehnt, dass die ganze Bevölkerung des
Vilcanotatales im Falle eines Angriffs Zuflucht in Pisac hätte finden können.
Die Zitadelle von
Pisac hat eine Menge gepflasterte Strassen, die durch den Felsen hindurch
geschlagen sind. Die dort vorgefundenen Wohnungen deuten auf eine ziemlich
zahlreiche Bevölkerung hin, die über den ganzen Berg verstreut war.
Nachdem die Strasse
das Amarupuncu — «Schlangentor», was die Faszination der Inka durch die riesige
Anakonda, die in den Dschungelflüssen lebt, widerspiegelt — durchschritten
hatte, ging sie weiter in Richtung auf Paucartambo, 3o Kilometer nordöstlich.
Auf dem Weg dorthin vereinigten sich mehrere Strassen des Antisuyu zu einer
Hauptstrasse.
Später erreichte die
Strasse das Tampu von Colquepata und stieg dann nach Paucartambo hinauf, von
welchem Aussichtspunkt aus man auf eine scheinbar endlose Dschungelwildnis, die
sich weit in der Ferne verliert, und auf eine Anzahl von Flüssen auf ihrem Weg
zu den mächtigen Nebenflüssen des Amazonas hinuntersieht. Man berichtete
Garcilaso de la Vega, dass in den Zeiten des Inkareiches die Verwandten seiner
Mutter, die einen hohen Rang in der sozialen Hierarchie einnahm, bei
Challapampa in die Montafia eingedrungen seien, die nur wenig bewohnt war. Von
dort rückten sie weiter vor zu einem Ort namens Pillcupata, wo sie «vier
Völker», das heisst: Ayllu von Mitimae, ansiedelten, die an das heisse Klima
der Gegend gewöhnt waren. In Tunu legten sie die ersten von den Inka
bewirtschafteten KokabuschPlantagen an.
Koka ist ein grosser
Busch, der in den üppigen Ebenen der Montaria heimisch ist. Seine Blätter, die
in Form, Farbe und Duft denen der Teepflanze ähneln, liefern Kokain, das durch
sorgfältiges Trocknen gewonnen wird. Anbau und Gebrauch von Koka gehen auf
Hunderte von Jahren vor der Inkakultur zurück, denn in Küstengräbern aus der
Zeit um 5 oo n. Chr. wurden Beutel mit Kokablättern zusammen mit Töpferware in
Form eines menschlichen Gesichts gefunden, die sehr zutreffend
kokablätterkauende Menschen darstellt, wobei die Koka die Backen aufbläht, so
dass sie Hamsterbakken gleichen. Die übliche Praxis ist, einen Priem von
Kokablättern, denen ein Alkali — Kalk oder Asche — zugesetzt wird, das die Auflösung
des Blattes beschleunigt, wodurch das Kokain frei wird, neben den Zähnen in
eine Tasche des Mundes zu nehmen. Die Menge Kokain, die mit einem solchen Priem
aufgenommen wird, ist winzig — 30o bis 40o Milligramm —, aber das ist offenbar
genügend, um die Sinne des Kauenden zu betäuben und ihn weniger hungrig und
ganz unempfindlich gegen Kälte und Durst zu machen. Kokain gab es in allen
alten indianischen Kulturen von Argentinien bis Kolumbien, und man zählt heute
noch Millionen von Kokakauern. Die Inka waren diejenigen, die seine Produktion
systematisch betrieben. Befragt man ihre eigenen Historien, so muss man
vermuten, dass der Genuss von Koka den Priestern — für die Wahrsagerei —, der
Inkakaste, den Chasqui, sowie alten Menschen, die damit ihre Sinne abstumpften,
wenn sie dem Tod entgegensahen, vorbehalten war. Mit der spanischen Eroberung
fielen aber die Schranken, und das Kokakauen breitete sich auf alle Klassen
aus. «In ganz Peru», bemerkte Pedro de Cieza, «war und ist es Brauch, dieses
Koka im Mund zu haben; sie behalten es im Mund von morgens bis sie sich
schlafen legen. Dieses Koka ist so wertvoll, dass es gewissen Leuten ein
jährliches Einkommen von 8o 000 Peso verschaffte. In Spanien gibt es jetzt
viele, die durch den Kauf und Verkauf von Koka auf den catuMärkten reich
geworden sind.» Heute ist jede Arbeit im Gebirge darauf eingestellt; gäbe es
Koka nicht, so wäre Peru sehr anders.
Wenn auch Koka einer
der Anlässe für die Inbesitznahme der Montaria durch die Inka war, so war doch
der Hauptgrund die Sorge, ihre Ostflanke durch ein Bündnis mit den Stämmen des
Gebiets zu schützen, indem sie sie als Puffer gegen eine etwaige Invasion
benutzten. Dieses Bündnis wurde so fest, dass Manco Capac 1536 zahlreiche
Stammesleute der Anti in seinem neoinkaischen Staat hatte.
Bei Pisac teilte sich
die AntisuyuStrasse. Der nordöstliche Zweig ging, wie beschrieben, nach
Pancartambo, während der andere Zweig mehr westlich, entlang des YucayTales in
Richtung auf Machu Picchu und, nördlich dieser berühmten Stadt, auf die
Dschungel von Urubamba zu verlief. Die Inka erkannten rasch, dass dieses Tal
nicht nur ein weiterer Zugang zum oberen Amazonas war, sondern auch ein
weiterer möglicher Invasionsweg. Unter der Herrschaft von Pachacutic gewannen
die Inka die Kontrolle über das ganze Gebiet. Auf dem östlichen oder linken
Ufer des Yucay war eine ganze Kette von Städten: Calca, dessen Anbauterrassen
von kanalisierten Bächen, die sich aus den sehr kalten Abflüssen der Gletscher
hoch droben bildeten, gespeist wurden; Colla, und dann Yucay, der lieblichste
Fleck des ganzen Tals und bevorzugte Aufenthaltsort des Hofes der Inka während
des Winters, wenn sich eine arktisähnliche Kälte über Cuzco senkte. Beide
Seiten des engen Flusstales sind terrassiert.
Jenseits der
Terrassen, wo sich das Tal verbreitert und die Seiten weniger steil werden,
steht eine Festung, die das rechte oder nördliche Ufer des UrubamaFlusses
bewachte und den Vormarsch einer Armee auf dieser Seite der Strasse wirksam
blockieren konnte. Unterhalb ist eine Brücke. Die ursprüngliche Hängebrücke
hing an drei massiven Türmen, was ungewöhnlich innerhalb des inkaischen
Brückenbaus ist. 188o wurden die Hängetaue durch Stahlseile ersetzt, aber die
erneuerte Brücke benutzt bis heute die originalen inkaischen Stütztürme. An diesem
Punkt vereinigten sich die beiden AntisuyuStrassen und setzten sich als
gepflasterte Strasse — denn hier regnet es viel — bis zu dem Verwaltungszentrum
Ollantaytambo fort.
Der einzige Weg nach Ollantaytambo
hinein und wieder heraais führte durch ein prächtiges Tor. Es machte einen so
tiefen Eindruck auf E. G. Squier, dass er eine Abbildung davon in seinem 1877
erschienenen Buch über Peru als Titelbild verwendete. Der ganze Verkehr nach
Antisuyu wurde durch dieses Portal geschleust Rechts waren die Steilabfälle des
Tales — hoch, steil und unbegehbar —, links die Wasserfälle des Urubamba.
Eine breite und schön
angelegte Treppe führt direkt vom Dorf zu der Festung, die sich über ihm
auftürmt. Auf ihrem Weg kommt die Strasse durch eine Reihe von Anbauterrassen,
die in eine künstlich erweiterte Mulde im Fels hineingebaut sind. Darüber ist
ein Schutzwall — eine Seltenheit in der inkaischen Architektur, hier aber
erforderlich, weil es keine natürlichen Barrieren zum Schutz der Stadt und der
Akropolis gibt. Ein Torweg führt nach Intihautana, das noch höher liegt.
Am Rand der Festung
mit Blick auf den Fluss, an einer Stelle, wo die Felsoberfläche planiert wurde,
war der Sonnentempel. Was von ihm noch existiert — wenn er überhaupt je
vollendet wurde —, ist eine Gruppe von sechs Megalithen mit eingehauener
Stufengitterverzierung, jeder dreieinhalb Meter hoch und eineinhalb Meter breit
—gigantische Platten aus hartem rötlichem, porphyrähnlichem Stein aus den
Steinbrüchen von Cachacata, das wenige Kilometer von der Festung entfernt hoch
oben auf der anderen Seite des Flusses liegt. Auf irgendeine Weise waren diese
dreissig Tonnen schweren Blöcke vom Steinbruch hinuntergeschleppt,
wahrscheinlich bei einer Furt über den Urubamba gebracht, zum Felsfundament der
Festung hinaufgezogen und schliesslich an ihren Platz gebracht worden. Einige
der Steinhöcker, an denen die Seile festgemacht wurden, sind noch zu sehen, wie
auch der Steinbruch, aus dem die Steine stammen —Zeuge dafür sind heute noch
die Häuser der Steinbrucharbeiter und einige grosse, halbgebrochene Monolithen.
Ausserdem liegt ein gewaltiger, halbbearbeiteter Stein verlassen in der Ebene
von Urubamba unterhalb der Festung. Vielleicht wurde er hier beim Beginn der
spanischen Eroberung zurückgelassen, denn 011antaytambo war 1536 noch im Bau.
1400 war
011antaytambo ein befestigtes Dorf, das dem LaresStamm gehörte. 144o wurde das
Dorf durch ein Kommando der Inka zerstört; zwanzig Jahre danach wurde die
Provinz in das Reich eingegliedert und mit dem Bau der Festung durch Pachacutic
begonnen, der dann auch die Strasse, die auf ihrem Weg nach Antisuyu über den
Pass verlief, ausdehnte, verbreiterte und verbesserte. Als der Aufstand von
Manco Capac fehlschlug und die Belagerung von Cuzco aufgehoben wurde, zog sich
der junge Inka mit seiner Streitmacht nach 011antaytambo zurück, von wo er sich
energisch verteidigte.
1533 war Manco Capac,
ein scheinbar gefügiger junger Mann und einer der vielen Söhne des letzten
unbestrittenen Inka Huayna Capac — der 1527 starb —, in Cuzco auf Betreiben der
Konquistadoren zum Sapa Inka ausgerufen worden. Auch nachdem die Eroberer Cuzco
seiner Schätze beraubt und die schönsten Gebäude für sich selbst übernommen
hatten, waren die Beziehungen zwischen Besiegten und Siegern, zumindest an der
Oberfläche, anscheinend freundlich. Manco Inka arrangierte eine königliche Jagd
der Sonne, bei der io 000 eingeborene Träger in einem gewaltigen Kreis verteilt
wurden; auf ein bestimmtes Signal gingen sie langsam aufeinander zu, indem sie
um sich schlugen und das Wild in Netze trieben. Sie umzingelten die Dickichte
und Felder, und der Lärm ihres Geschreis brachte die Tiere von den Bergen
herunter; langsam gingen sie weiter vor, bis sich die Männer schliesslich die
Hände reichen konnten. Hirsche, gelegentlich ein Bär, Kaninchen, Viscachas,
Chinchillas, Füchse, Pumas, Vicurias wurden allesamt in die Netze getrieben
und, ausser den Vicurias, getötet. Die Spanier nahmen an dieser Jagd teil, die
die letzte ihrer Art war, denn die Sieger erbitterten allmählich die Inka, indem
sie vornehme coya als Konkubinen nahmen und alle ständig bedrängten, die
Verstecke verheimlichter Inkaschätze endlich preiszugeben. Im Herbst 1535
entschloss sich Manco Capac zum Aufstand, und 1536, am Fest des heiligen
Johannes vor der Porta Latina, das in diesem Jahr auf Samstag, den 6. Mai fiel,
versammelte Manco Capac Tausende von Indianern in Cuzco; der Aufstand hatte
begonnen.
Es war eine der grossen
Belagerungen der Geschichte: Rund hundert Spanier, die von 5000 Mann
CariariHilfstruppen unterstützt wurden, waren gegen eine inkaische Streitmacht
von 200 000 angetreten.
Juan Pizarro — «der
Bruder des Gouverneurs, ein junger Mann von fünfundzwanzig, der ein Vermögen
von 200 000 Dukaten besass» — wurde durch einen faustgrossen Stein aus einer
indianischen Schleuder getötet. i soo Indianer fielen, als die Spanier die
Festung Sacsahuamän erstürmten, und die Berge unbegrabener Toter wurden von
Kondoren gefressen. Den Gefangenen schlugen die Spanier nach Art der Araber die
rechte Hand ab.
Da zog sich Manco
Capac nach 011antaytambo zurück. Er wurde von Hernando Pizarro verfolgt, der
für diese Expedition siebzig seiner besten Männer zusammenzog. Unter ihnen
befand sich auch der sechzehnjährige Pedro Pizarro, der berichtete, dass, «als
wir [in 011antaytambo] ankamen, wir es stark befestigt antrafen. Es war ein
harter Kampf, denn es ist sehr stark und hat sehr hohe Wehrgänge. Es hat nur
einen Eingang, nämlich den Torweg, und lehnt sich an einen sehr steilen Berg.
Von oben schleuderten Krieger Steine auf jeden von uns herunter, der
einzudringen versuchte.»
1537 kehrten jedoch
Diego de Almagro und seine Männer von einer Expedition nach Chile zurück, und
mit Hilfe ihrer Verstärkung wurde ein neuerlicher Angriff auf 011antaytambo
unternommen. Der Druck auf Manco Capac war so stark, dass er beschloss, die
Festung aufzugeben und sich in die seiner Ansicht nach unangreifbare Montafia
von Vilcabamba zurückzuziehen.
Manco Capac
organisierte seinen Rückzug mit grosser Umsicht, nahm viele Mumien seiner
Vorfahren mit und sandte seine unmittelbare Familie voraus. Die Nachhut, die
sich unter ständigem Druck von seiten der Spanier zurückzog, zerstörte die Strasse
(die einzige nach Vilcabamba) und legte den Spaniern auf dem Panticallapass
Hindernisse in den Weg. Die Inka begingen aber einen taktischen Fehler: sie
dachten nicht daran, wie schnell die Pferde bergan steigen konnten, und
stellten die Siegesstimmung der spanischen Fusssoldaten nicht in Rechnung.
Manco wurde auf dem ganzen Weg bis zur Hängebrücke über den Urubamba, der
berühmten Chuquichaca, schwer bedrängt.
Vor 1 537 war die
AntisuyuStrasse den Spaniern unbekannt, aber über fünfzig Jahre lang danach war
sie die meistbenutzte Strasse in ganz Tihuantisuyu. Doch trotz ihrer Bedeutung
und der Häufigkeit, mit der sie benutzt wurde, stammt die erste Beschreibung
von ihr, die wir besitzen, erst aus dem Jahr 1847, als Monsieur Leonce Angrand,
der französische Generalkonsul in Lima, in der Zeit von 1844 bis 1847 eine
ausgedehnte archäologische Rundreise durch Peru machte. Von dieser Reise, die
er auf einem Maultier und zu Pferd durchführte, stammen die ersten genauen
Pläne und Zeichnungen von Inkamonumenten. Später erschien 1867 E. G. Squier in
011antaytambo, und seinem gründlichen Werk ist es zu verdanken, dass die Stätte
in der ganzen Welt bekannt wurde.
Es war jedoch ein
Franzose, Charles Wiener, der 1877, zehn Jahre später, die AntisuyuStrasse
einer grösseren Öffentlichkeit bekannt machte. Er publizierte auch zwei Bücher,
die vierzig Jahre später eine ausserordentliche Wirkung auf die
südamerikanische Archäologie hatten. In 011antaytambo schrieb er «on parlait
d'autres villes encore, de Hauina Picchu et de Matcho Picchu». Er ging diesem
Wink freilich nicht nach; das sollte später ein anderer tun, ein junger
Amerikaner namens Hiram Bingham, über dessen Entdeckungen noch in diesem
Kapitel berichtet wird. Wiener selbst beschloss, nach Osten weiterzureisen und
der Strasse nach Antisuyu zu folgen.
Östlich von
011antaytambo stürzt der UrubambaFluss in einer ununterbrochenen Reihe von Wasserfällen
durch steile Granitschluchten hinab. Die Inka versuchten nie, hier eine Strasse
zu bauen. Terrain und Klima ändern sich rasch: die Höhe des Landes geht zurück,
und es beginnt ein Gebiet dichter Vegetation; es wird warm und feucht, und
KokaPlantagen tauchen auf. Das ist die ceja, die Augenbraue des Urwalds, und
unmittelbar dahinter kommt der Dschungel.
Das Tal hinter
011antaytambo ist auf seiner östlichen Seite, wo die Wände der Schlucht nicht
zu steil sind, ausgiebig terrassiert. Der Berg Veronica, dessen Gipfel eine
Höhe von 6000 Meter erreicht, erhebt sich ganz in der Nähe. Die AntisuyuStrasse,
einst viel breiter als heute, hielt sich auf der Ostseite der Schlucht und war
von einer hohen Mauer gesäumt, die Reisende und Lamas daran hinderte, unerlaubt
die Terrassen zu betreten. Nach einer scharfen Wendung nach Osten erstieg sie
dann die Flanke des Tales, indem sie die Terrassen durchschnitt. Ein
fünfstündiger Anstieg brachte den Reisenden zum Tampu von Avaspampa, das 2600
Meter hoch liegt. Dort erscheint der schneebedeckte Veronica zum Greifen nahe;
das gemässigte Yucaytal ist links zu sehen, und die wärmeren tropischen Gebiete
liegen rechts. Nähert man sich dem Panticallapass, so kann man die Strasse noch
sehen, ihre schön verlegten Steine noch an Ort und Stelle. Als die
VonHagenExpedition hier 1953 vorbeikam, waren noch grosse Abschnitte der Strasse
intakt, noch in Gebrauch und stellenweise in überraschend gutem Zustand. Ein
Stück weiter kommt das Tampu von Panticalla, das jetzt zwar weitgehend zerfallen
ist, aber offenbar einst gross und geräumig war. Im Westen erhebt sich der
Gipfel des Cerro de Padre Eterno, dessen ursprünglicher inkaischer Name
unbekannt ist.
Hinter dem Tampu
wendet sich die Strasse scharf nach links und passiert «die Tür». Das war der
strategische Pass, der die Strasse hinunter zur ChuquichacaBrücke sicherte, die
den Urubamba überspannte und ihrerseits den Zugang zur letzten Zufluchtsstätte
der Inka in Vilcabamba bewachte. Auf ihrem Weg dorthin folgte die alte Strasse
dem wild herabstürzenden Lucumayu, indem sie sich auf seinem linken —
westlichen — Ufer hielt, da der Fluss auf der anderen Seite viele Nebenflüsse
hatte. Um dort eine Strasse anzulegen, hätte man viele Brücken bauen und
unterhalten müssen, an Stelle der einen, die tatsächlich benötigt wurde. Diese
Brücke war die Chillichaca, deren Widerlager und Türme noch zu sehen sind. Auf
ihrem Weg das Tal hinab passierte die AntisuyuStrasse Umasbamba, Huirto und
Huayopata und erreichte schliesslich den UrubambaFluss und die berühmte
ChuquichacaHängebrücke.
Der VilcabambaFluss,
einer der grösseren Nebenflüsse des Urubamba, bewässert einen grossen Teil der
niedriggelegenen Montafia hinter, das heisst nordöstlich, dem hohen
Granitgipfel von Machu Picchu. Nachdem Manco Capac mit den Resten seines Heeres
die ChuquichacaBrücke überschritten und danach ihre Taue durchschnitten hatte,
folgte er dem Fluss bis in die Dschungel der VilcabambaProvinz. Das Gebiet des
hier errichteten neoinkaischen Staates bildete etwa ein Dreieck und lag zwischen
den Flüssen Apurimac, Urubamba und Vilcasmayu. Manco, dem die Spanier, die die
Brücke repariert hatten, dicht auf den Fersen waren, folgte einer gut
angelegten, gepflasterten Strasse neben dem VilcabambaFluss und zog sich tiefer
in den Dschungel zurück in Städte, die dort speziell als sichere Rückzugsorte
erbaut worden waren. Durch das ganze Gebiet zogen sich gute gepflasterte Strassen
mit Brücken verschiedener Typen, die die vielen Bäche und Flüsse, die den
Dschungel durchschneiden, überspannten.
Obwohl der Kern
dieses neoinkaischen Staates, der sich ständig durch den Zustrom von Indianern,
die vor der Pax Hispanica flohen, vergrösserte, aus dem Gebirge stammte, hatte
er auch die loyale Unterstützung durch Völker der yunga, den Stämmen der Anti.
Die Chuncho, Piro und Campa hatten schon lange Frieden mit den Inka geschlossen
und halfen Manco aktiv bei seinen Bemühungen, in ihren Jagdgebieten ein neues
Cuzco zu schaffen. In diesem Zufluchtsgebiet baute Manco seine
Verteidigungsstellung aus. Strassen wurden weit in den Dschungel hinein
ausgedehnt. Befestigte Stützpunkte in der Montaria gestatteten es den Inka und
ihren Verbündeten, die wichtigsten Strassen der Anden ständig zu überfallen.
Pferde wurden erbeutet, und Manco lernte zu reiten. Nachschub zwischen
Vilcashuamän und den ApurimacBrücken wurde abgefangen, wodurch die Inka
Gewehre, Degen, Armbrüste und Rüstungen erhielten. Sie wurden so stark, dass
Manco und seine Streitkräfte im Bürgerkrieg auf der Seite des Heeres von
Almagro an der Schlacht von Chupas — bei Vilcashuamän — teilnahmen. Als die
«Männer aus Chile» geschlagen wurden und die Inka sich wieder in ihre
Stützpunkte zurückzogen, baten sieben Spanier, die ihr Leben verwirkt hatten,
hier um Asyl, das ihnen gewährt wurde. In den fünf Jahren, die die sieben in
NeuCuzco verbrachten, richteten sie Schmieden ein, machten Hufeisen und Degen
und reparierten Gewehre. Dazwischen lehrten sie die führenden Inka das
Ballspiel und Dame. So erhielt Manco einen guten Einblick in die Strategie der
Spanier, was ihm dazu verhalf, seine Guerillataktik zu vervollkommnen. Die
Überfälle der Inka wurden zu einer erheblichen Bedrohung der spanischen
Verkehrswege, und die Erfolge der Angreifer zogen noch mehr Indianer auf ihre
Seite, so dass der anhaltende Widerstand der Inka gegen die spanische Besetzung
zu einem gewaltigen Problem für den Vizekönig wurde. Schliesslich wurde jedoch
der Widerstand unterdrückt und Tupac Amaru, der letzte ExilInka 1572
enthauptet. Das letzte Stadium der Inkakultur war erstickt, die Standorte der
Dörfer und Festungen, die NeuCuzco bildeten und die sehr wenige Weisse
überhaupt gesehen haben, gerieten in Vergessenheit. Erst in jüngster Zeit ist
ihre genaue Lage und einiges aus ihrer Geschichte entdeckt worden. Victos, eine
der letzten Inkahauptstädte, war jedoch von zwei Spaniern besucht worden, von
denen einer berichtete, dass «es dort eine grosse Fläche gibt, die mit
Steinplatten gepflastert und mit prächtigen Gebäuden bedeckt ist, die kunstvoll
aus Stein erbaut sind».
Bis 1909, als der
junge YaleProfessor Hiram Bingham sich aufmachte, um die letzte Hauptstadt der
Inka zu finden, gab es keinen klaren Hinweis auf ihren Standort. Binghams
bedeutende Entdekkungen öffneten den Weg für spätere Forscher und die
Erweiterung unseres Wissens über dieses Problem.
Die
VonHagenExpedition stiess bei ihrem Versuch, das ganze Strassennetz der Inka
aufzunehmen, 1953 weiter in die Montaiia vor als seinerzeit Hiram Bingham.
Inkagebäude, von denen manche spanischen Einfluss verrieten, wurden in Puncuyoc
entdeckt, desgleichen ein ganzer Komplex von gepflasterten, zweieinhalb Meter
breiten Strassen. Allein schon der Umfang dieser Entdeckungen machte es
unmöglich, alle Strassen im Detail aufzunehmen, so dass dieses Vorhaben
zugunsten einer Gesamtübersicht des inkaischen Strassensystems aufgegeben
werden musste. Aber alles deutete darauf hin, dass Vilcabamba immer noch «dort
draussen» war. Im Sommer 1964 machte ein junger amerikanischer Archäologe, der
lange in Peru tätig war, eine weite und gefährliche Reise in das VilcabambaGebiet
und entdeckte dort sechzehn verschiedene Inkagemeinden. Er fand Wohnungen, die
zumeist aus Granit erbaut waren, Springbrunnen und terrassierte Gärten,
glasierte Töpferwaren und Hufeisen. Ein starker spanischer Einfluss war bei
diesen Funden festzustellen.
1909 war dies alles
jedoch noch nicht bekannt. Das reizte Hiram Bingham und veranlasste ihn, sich
auf die Suche nach Manco Capacs «NeuCuzco» zu machen. Zuerst wurde sein äusseres
Bollwerk entdeckt, und dann hörte Hiram Bingham, als er seine Forschungen
fortsetzte, von der geheimnisvollen Stadt hoch auf den Granitklippen über dem
Urubamba.
Diese Stadt war Machu
Picchu, siebzig Kilometer westlich von Vilcabamba 600 Meter über den tobenden
Wassern des Urubamba in schwindelnder Höhe gelegen. Sie stand nicht in
unmittelbarer Beziehung zu dem Zentrum des letzten inkaischen Widerstandes, und
es gab keinen direkten Verbindungsweg dorthin. Sie war keine Zitadelle und
bestimmt keine Festung, obwohl sie Verteidigungsanlagen hatte. Die Spanier
haben sie nie gesehen, und kein spanischer Chronist erwähnt sie. Dass sie der
einheimischen Bevölkerung bekannt war, geht aus Karten hervor, die Charles
Wiener 1875 gezeichnet hat.
1911 machten Hiram
Bingham und sein Spezialistenteam den Anstieg von 600 Metern durch das dichte
Unterholz nach Machu Picchu. Wie sie den Wald, der die Ruinen verbarg, fällten,
tauchte langsam vor ihren Augen eine Stadt mit Wohnungen, Palästen, Plätzen und
Springbrunnen auf; nach und nach wurden diese dem grünen Chaos von Vegetation
entrissen, das sie 5oo Jahre lang bedeckt und bewahrt hatte. Es ist der Traum
fast jedes Archäologen, dass er eines Tages in der lautlosen Verborgenheit
eines Urwaldes eine Ruine finden wird, eine Stadt, eine Stätte, von der niemand
auch nur etwas geahnt hatte, und dieses grosse Glück hatte Hiram Bingham.
Die Lage der Stadt
war verwegen. Tief unten machte der Urubamba eine hufeisenförmige Windung, die
Machu Picchu auf drei Seiten abschloss. Wo immer es möglich war, waren die
jähen Abhänge terrassiert. Mit der Zeit schien es, als sei diese eindrucksvolle
Stätte von denen, die sie bewohnt hatten, verlassen worden, aber die
Forschungsarbeit ging jahrelang weiter, und in ihrem Kielwasser schwamm ein
Strom von Publikationen mit den gewissenhaftesten und gründlichsten Berichten,
die je auf dem Gebiet der peruanischen Archäologie hervorgebracht wurden. Machu
Picchus Entdecker merkten jedoch bald, dass die Stadt nicht einmalig war, ausser
hinsichtlich der Vollendung ihres Mauerwerks und ihrer aussergewöhnlich
eindrucksvollen geographischen Lage, denn hinter dem Stadttor stiessen sie auf
eine schön angelegte Steinstrasse, die nach Süden führte und Machu Picchu mit
einer Kette anderer Stätten verband, die in Abständen von 8 bis 16 Kilometer an
dieser Strasse lagen. Es ist ganz klar, dass nur ein Volk, das das ganze Gebiet
kontrollierte und die Bevölkerung unbestritten beherrschte, einen solchen
Komplex erbauen und unterhalten konnte.
Machu
Pichhu in einem Sattel zwischen zwei Berggipfeln, 65o Meter über den
Stromschnellen des UrubambaFlusses. Die Stadt ist zum grossen Teil befestigt. I
Tor zur Stadt; 2 Anbauterrassen; 3 Treppe der Springbrunnen, die die Stadt mit
dem Wasser versorgte, das durch einen Aquädukt aus einer Entfernung von
eineinhalb Kilometern herangebracht wurde} Wohnbezirk der Familienklans; 5 Der
heilige Platz und der Tempel der Drei Fenster; 6 Intiahautana, «Halteplatz der
Sonne»; 7 Die nördlichen Terrassen und die Strasse nach Huayna Picchu; 8 Der
halbkreisförmige Tempel, der Palast der Nustas ; 9 Haus der Klans; To Eine
KlanAbteilung der «Drei Türen»; I I Königliches Mausoleum; 12 Platz der Treppen
und die Friedhöfe. (Gezeichnet nach Hiram Binghams «Lost City of the Incas»,
New York 1951.)
Nach der Fläche
ausnutzbaren Bodens, den die Anbauterrassen ergaben, zu urteilen und auch nach
der Menge an Nahrungsmitteln, die erzeugt werden konnte, scheint es sicher, dass
Machu Picchu nur eine geringe Bevölkerung, wahrscheinlich weniger als
fünfhundert Menschen ernähren konnte. Das Wasser wurde in einem offenen Aquädukt
herangebracht; die sorgfältig angelegten steinernen Wasserleitungen kann man
von oberhalb der Stadt noch sehen. Wenn diese Versorgung aussetzte, wie es auf
der Höhe der trockenen Jahreszeit manchmal der Fall gewesen sein musste, konnte
man sich Wasser nur aus dem 75o Meter tiefer gelegenen Fluss beschaffen.
Was war also Machu
Picchu? Für Hiram Bingham war es der letzte Zufluchtsort der Inka, aber
gleichzeitig auch der erste — denn er sah in ihm das «UrsprungsTampu», von dem
die Inka nach der grossen Flut ausgegangen waren. In Wirklichkeit ist aber
Machu Picchu spätinkaisch, wie aus der schönen Töpferware hervorgeht, die in
der Stätte ausgegraben wurde, in der nichts Älteres zutage kam. Ausserdem war
es nicht einmalig, sondern nur ein Teil eines Schwarms von kleinen Gemeinden,
die hoch über der Schlucht des Urubamba erbaut worden waren. Eine Querstrasse
der AntisuyuRoute verband sie alle miteinander und auch mit Cuzco.
Zwischen Cuzco und
diesem Gebiet ist eine hohe, wellige Puna, die zu einem grossen Teil landwirtschaftlich
genutzt wird. Diese reicht bis zum Pampapaccahuana, einem von den Gletschern
gespeisten Fluss, der kurz unter der grossen Festung 011antaytambo in den
Urubamba mündet. Nördlich davon liegen Machu Picchu und die mit ihm verbundenen
Siedlungen, zu denen eine fünfzig Kilometer lange Strasse führt.
Die Route von Cuzco
nach Machu Picchu verlief entlang des Chinchasuyu, der nördlichen Route, bis zu
den Sümpfen von Anta. Dahinter wandte sich die Strasse nach Norden bis
Huaracondo —fünfundzwanzig Kilometer nordöstlich von Cuzco —, wo es noch Reste
einer Inkabrücke und einer Strasse gibt. Nach einer Wendung nach Westen verlief
die Strasse parallel zu der AntisuyuHauptstrasse entlang des Urubamba durch
Incasamana und Pauccarcancha, wo sie den Pampapaccahuana überschritt. Danach
war die Strasse so angelegt, dass sie an der Flanke der Urubambaschlucht 700
Meter hoch über dem Fluss weiterging.
Das erste bisher
bekannt gewordene Dorf in der Kette der Siedlungen, zu der Machu Picchu
gehörte, ist Runca Raccay, eine Anzahl dicht gedrängter Häuser mit einem
kleinen Platz und ein paar Anbauterrassen; hier können nicht einmal fünfzig
Personen gewohnt haben. Etwa zwanzig Kilometer weiter kommt in einer Höhe von 3
800 Meter Sayac Marca, eine Gruype von fünf cancha mit zwei Bädern und einem
kleinen Platz. Die Bewohner nährten sich von den Nahrungsmitteln, die auf den
Anbauterrassen wuchsen oder die sie sich durch Tauschhandel mit anderen
Siedlungen des Gebiets verschafften.
Auf ihrem Weg durch
einen dichten Wald wird die Strasse durch eine ohne Zement in den Felsen hinein
gebaute Stützmauer gehalten. Diesen Fels hatte man abgehauen, um Platz für die
Grundsteine der Mauer zu schaffen. Dann passierte die Strasse auf halbem Wege
zwischen Sayac Marca und der nächsten «hängenden Stadt», zehn Kilometer weiter,
einen Stollen. Hier wurde den Strassenbauern der Weg durch ein freiliegendes
Granitvorkommen versperrt, das glatt und steil war und keine natürliche
Unterlage für die zwei Meter breite Strasse bot; sie hatten daher keine andere
Wahl, als einen Tunnel von 16 Meter Länge durch den Fels zu treiben. In der
hinteren Hälfte des Tunnels machten sie Steinstufen, damit die Strasse an
beiden Ausgängen eben wurde. Das erstaunlichste Merkmal der Strasse entlang des
oberen Randes der Urubambaschlucht ist, dass sie trotz der Ungleichmässigkeit
des Terrains fast durchweg horizontal ist; nur gelegentlich gibt es eine
leichte Steigung.
Von einem Ende zum
anderen ist die Strasse mit Granit gepflastert, der an Ort und Stelle gebrochen
und, wie alles Mauerwerk, ohne Zement verlegt wurde. Die Grundsteine der
Stützmauern — die oft acht Meter hoch sind — sind in Vertiefungen verlegt, die
aus dem Granit ausgehauen wurden. Gelegentlich gibt es ein kleines Tampu
zwischen den Siedlungen, aber solche Haltestationen können selten nötig gewesen
sein, da die Entfernungen zwischen den Dörfern durchschnittlich nur fünfzehn
Kilometer betragen. Diese Dörfer bilden eine Kette entlang der
Urubambaschlucht: nach Sayac Marca passiert die Strasse Phuyo Pata Marka,
Wiriay Wayna, Inti Pata und Choquessuysoy und endet schliesslich in Machu
Picchu, wo es kein Weiterkommen mehr gibt.
Wieso ist so viel
menschliche Kraft aufgewendet worden, um diese Strasse zu bauen? Die Hunderte —
Tausende —, die mit dem Bau der Anbauterrassen und des Strassennetzes
beschäftigt waren, schufen nur ganz wenig und kaum benötigtes
landwirtschaftlich nutzbares Land. Die Gesamtbevölkerung dieser so exponiert
angelegten Siedlungen konnte tausend nicht überstiegen haben. Das Gebiet war
strategisch ohne Bedeutung, denn kein Feind hätte es wagen können, durch diesen
dichten und schwierigen Urwald vorzurücken. Waren diese grossartigen und kühnen
Strassen wirklich nötig? Ist es vielleicht so, wie ein spanischer Chronist
vermutete, dass die Inkakaste glaubte, Müssiggang führe zum Niedergang eines
Volkes, und dass sie, um die Bevölkerung diszipliniert und aktiv zu erhalten,
solche gigantischen Arbeitsbeschaffungsprogramme erdachte, ganz ohne Rücksicht
darauf, ob sie schliesslich einen Nutzen hatten?
Es ist nicht leicht,
eine andere Erklärung für die Strasse, die Terrassen und die Dörfer auf dem Weg
nach Machu Picchu zu finden.
Die Königspassage von Vilcanota
Im Sommer 1549
rüstete sich Pedro de Cieza, um Cuzco zu verlassen und nach Süden zu reisen. Zuerst
musste er aber in Rimacpampa —dem «Sprechenden Platz», der so hiess, weil dort
Proklamationen erlassen wurden, haltmachen. Rimacpampa, der sechste Bezirk von
Cuzco, war der Ausgangspunkt der grossen Strasse nach Süden zum Titicacasee und
darüber hinaus und auch ein bewachter Kontrollpunkt, den jeder Reiseverkehr in
dieser Richtung zu passieren hatte. Die hier beginnende Strasse wurde 1452 auf
Befehl von Topa Inka angefangen und erstreckte sich 35oo Kilometer weit nach
Süden bis hinein nach Chile.
Nach den Schlachten
von 1548, die der Revolte von Gonzalo Pizarro ein Ende setzten, war Pedro de
Cieza, wie schon oben erwähnt, von Bischof und Präsident La Gasca zum Ersten
Historiker der Indien ernannt worden. Er wurde mit Briefen ausgestattet, die
alle Beamten anwiesen, ihm jede gewünschte Hilfe bei der Niederschrift seiner
Historien zu gewähren.
Jetzt brauchte Cieza
nicht mehr zu Fuss zu gehen, während sein Pferd die Manuskripte trug, und wie
früher 3o Peso für ein Blatt Papier zu bezahlen. Ausser seinem eigenen Reittier
hatte er ein Packpferd für seine Papiere, und ein Diener wartete ihm auf.
Andere Soldaten jedoch, die für La Gasca gekämpft hatten, erhielten Titel,
Ländereien und Zuteilungen von Indianern — meistens auf Kosten derjenigen, die
ihre Rechte verwirkt hatten, weil sie auf der Seite des Verlierers waren; aber
wie Cieza selbst sagt und was durch Berichte bestätigt wird, erhielt er wenig
mehr als diesen Titel.
Diese riesige dritte
Provinz des Inkareiches, das Collasuyu, hatte ihren Namen vom Stamm der Colla,
die rund um den Titicacasee wohnten. Sie erstreckte sich weit nach Süden und
umfasste das südliche Peru, ganz Bolivien, die Montaria bis hinunter zum
Dschungel, einen Teil des paraguayischen Chaco, das andine Gebiet Argentiniens
— wo Tucumän, eine grosse, moderne Stadt liegt, deren Name aus dem Ketschua
stammt — und ganz Chile bis zum fünfunddreissigsten Breitengrad, ein Gebiet mit
einer unfruchtbaren Küste und den höchsten Bergen von Südamerika. Südlich
dieses Gebiets trafen die Inka auf heftigen Widerstand der araukanischen Stämme
und stiessen daher nicht mehr weiter vor.
Auf seinem Weg nach
Süden schlug Cieza «diese Strasse, die von Cuzco nach Chuquiapu [dem modernen
La Paz] in Bolivien führt», ein. Gleich hinter Cuzco vereinigen sich die beiden
Flüsse, die durch die Stadt fliessen, zum HautenayFluss, und das Land steht
fast unter Wasser. Die Strasse war deshalb gepflastert, mit Mauern versehen und
terrassiert, und farnähnliche MolleBäume säumten sie auf beiden Seiten. Wenige
Kilometer ausserhalb von Cuzco passierte der Reisende Surihaulla — «Straussenfeld»
—, wo die Inka einst die dreizehige Rhea, den südamerikanischen Vogel Strauss,
wegen seiner Federn züchteten und hielten.
Dann kamen die
Salzgruben — Cachimayu —, die die Spanier Las Salinas nannten. Zu der Zeit, als
Cieza auf seinem Weg nach Süden hier vorbeikam, war der Ort noch frisch im
Gedächtnis der Spanier, da hier am 26. April 1538 die grausame Schlacht
zwischen den Heeren von Pizarro und Almagro ausgefochten wurde. über diesen
Kampf hat Cieza eine seiner geschrieben, obwohl er sagt, «dass
er lieber den Bericht über diese Schlacht vermeiden und sie in der
Vergessenheit begraben lassen würde. Ich möchte wirklich am liebsten still sein
über diesen bösen Streit; aber von ihm gingen ja alle übel aus, die dieses Land
belasten.» Cieza sammelte von den überlebenden alle einschlägigen Informationen
über diesen Bürgerkrieg zwischen Spaniern, die um den immer noch reichen
Leichnam des Inkareiches kämpften, und berichtete, «wie die Indianer sich auf
den Bergen und Hügeln drängten, und sich nicht den Sieg der einen oder anderen
Seite wünschten, sondern nur, dass möglichst alle dabei umkamen.» Die Schlacht
von Las Salinas endete mit dem Justiz mord an Almagro durch Hernando Pizarro,
der dafür 22 Jahre lang im Gefängnis La Mota in Medina del Campo eingekerkert
wurde.
Drei Kilometer weiter
kam der Reisende nach Oma — jetzt San Geronimo — und zu den «Engen», wo die
Salzsümpfe und ein Felsmassiv der Anden die Breite der Strasse einschränkten.
Dieser Ort war lange ein Zankapfel zwischen dem Stamm, der ursprünglich dort sass,
und den vordringenden Inka, die ihn beherrschen mussten, wenn sie sich nach
Süden in das Gebiet der Colla ausdehnen wollten. Nachdem die Inka ihn erobert
hatten, legten ihre Ingenieure die Strasse über den Felsen — der so hoch ist
wie der von Gibraltar —, um die Sümpfe und den nahegelegenen See zu umgehen,
die in der Regenzeit oft zu Überschwemmungen führten. Auf der höchsten Stelle
des Felsens bauten sie eine grosse Gemeinde namens Tipon.
Cieza notierte, dass
man, «wenn man Cuzco verlässt, über die Königsstrasse zur Enge von Mohina geht,
wobei die Wohnungen von Quispicanchis links der Strasse bleiben, die hier ein
breiter Damm ist. In Mohina gab es grosse Gebäude, die aber jetzt alle in
Ruinen liegen.» Das kam daher, dass das Tampu infolge der Wirren des
Bürgerkriegs niedergebrannt wurde.
1867 stellte Squier,
der von Süden her an diesen Platz kam, fest, «dass er auf eine gut planierte
Strasse gestossen sei, die zu der grossen Stadt Muhyna [Mohina] führte»; die
Ruinen hier beeindruckten ihn als eine der ältesten in Peru. Noch später, im
Jahre 1912, nahm Hiram Bingham dieselben Ruinen auf und kam zu der Auffassung,
dass «das ganze Tal zu einer systematischen archäologischen Ausgrabung
einlade».
Diese ist immer noch
nicht durchgeführt worden. Aber 1931 flog Robert Shippee mit Leutnant Johnson
als Kameramann über das Gebiet und brachte eine Reihe prachtvoller
Luftaufnahmen des ganzen Hautenaytales mit. Die Kameralinse hatte eingefangen,
was allen anderen entgangen war: einen grossen archäologischen Komplex gerade
hinter der Stelle, wo die Strasse den Fluss überschritt.
1953 folgte die
VonHagenExpedition, indem sie die Luftaufnahmen als Führer benutzte, der
Inkastrasse von Mohina in das Tal hinunter und fand die Stelle, wo die Strasse
den schmalen, aber tiefen Fluss überquert hatte. Von hier ging die Strasse
zwischen gewaltigen, hohen Mauern nach Piquillacta — «Flohstadt» —, einem der
grössten Speicherzentren im ganzen Inkareich, weiter. Auf einem verhältnismässig
ebenen Gelände verstreut findet man hier die Überreste von über 30o verfallenen
Lagerhäusern, von denen viele einst mit Stroh bedeckt waren. Das Gebiet war
übersichtlich angelegt, und die Königsstrasse, die breit, gepflastert und mit
Mauern versehen war, verlief über den Hauptplatz. Unmittelbar vor Piquillacta
liegt Lucre, und zwischen dem Ufer dieses Sees und dem Kamm der Hügel über ihm
hatten die Ingenieure der Inka Terrassen angelegt, um in dem geschützten Gebiet
neues Land zu gewinnen.
Die
CollasuyuStrasse von Cuzco zum Titicacasee.
Merkwürdigerweise
erwähnt Pedro de Cieza, der doch «überallhin Abstecher machte», dieses
gewaltige Speicherzentrum nicht, und auch andere Quellen schweigen sich darüber
aus. Aber wenn auch niemand von Piquillacta sprach, so berichtete doch
jedermann über das Tor von Rumi Colca. Cieza bemerkte, dass es dort «eine grosse
und sehr starke Mauer gibt. In dieser Mauer ist ein breites Tor, in welchem
Wachtposten stationiert sind, um Tribut und Zölle zu erheben, und ausserdem
nahmen sie jeden fest, der versuchte, Gold oder andere Wertgegenstände aus
Cuzco fortzunehmen. Hier fand man auch ihre Steinbrüche.» Zwei Strassen — die
eine kam vom Ufer des Sees her, die andere von den Lagerschuppen — trafen sich
am Tor. Es war zweifellos ein Zolltor — ein Kontrollpunkt. Cieza bezeichnete
die sechs Meter breite Strasse als «sehr gross und breit». Squier, der von
allem die ersten genauen Messungen machen wollte, schrieb, dass die Mauer quer
durch das Tal 230 Meter lang, zehn Meter breit und an ihrer Basis elf Meter
dick war. Auch er hielt das Tor für ein Zolltor, da neben ihm Überreste einer
Kaserne waren, während sich darüber — von unten kaum wahrnehmbar, aber ganz
deutlich sichtbar in den Luftaufnahmen — ein grosses Bauwerk, eine Haltestation
befand.
Beim Tor, 3 5
Kilometer von Cuzco entfernt, waren die Steinbrüche von Rumi Colca, aus denen
die Inka grosse Blöcke aus bräunlichem Andesit holten. Aus diesen stellten sie
die Quadersteine her, mit denen sie die massiven Mauern von Cuzco bauten.
Die Königsstrasse
setzte sich dann fort zum Urcossee, einem kleinen, runden, tiefen See, der wie
der alte Krater eines Vulkans aussieht; sein Wasser, das den Himmel
widerspiegelt, ist leuchtend blau. Hier war ein Tampu, und alle stimmen darin
überein, dass es ein wichtiges war. Die offizielle Liste der Tampu nennt es das
Tampu de Urcos und führt die Namen derjenigen auf, zu deren Lehen es gehörte.
Die Aimara,
hier spielen einige ihrer Nachfahren das traditionelle Musikinstrument des
Stammes, die Flöte, gehörten einst zu den grossen indianischen Kulturvölkern
Boliviens und Perus. Von ihrer kulturellen Blüte, die bereits in der
VorInkazeit lag, zeugen heute noch die Ruinen von Tiahuanaco und Sillustani.
Eine der
technischen Meisterleistungen der inkaischen Ingenieure war die Aroya, ein Korb
an einem Seilzug, um Flüsse und Gebirgsschluchten zu überwinden. Das technische
Prinzip, das sich hinter dieser Konstruktion verbirgt, ist selbst nach heutigen
Massstäben noch nicht veraltet. De Brys Zeichnung einer solchen Anlage aus dem 16.
Jahrhundert. Unten: Heutige Aroya bei Ayaviri im Norden des Titicacasees.
Boote aus
Riedgras, einem Wasserschilf, das im Titicacasee wächst. George Squiers
Zeichnung einer Pontonbrücke aus Riedgrasbooten über den Desaguadero. Vom
Verfasser durchgeführte Rekonstruktion einer Pontonbrücke an derselben Stelle
des Desaguadero.
Riedgrasboote,
wie sie schon in der vorinkaischen Zeit gebaut und zum Fischfang und Transport
benutzt wurden, auf dem Titicacasee. Mit diesen zerbrechlich anmutenden Booten
befuhren die Inka den mit 8300 km' grössten Hochlandsee der Erde.
Beide
Zeichnungen stammen von dem berühmten französischen Paläontologen Charles
d'Orbigny, der von 182434 Südamerika bereiste. Das 1830 entstandene Bild zeigt
ChuquisacaIndianer in ihrer typischen Tracht. Das dichte
Nebeneinanderexistieren von hochentwickelten indianischen Kulturvölkern in
bestimmten Teilen Südamerikas lässt sich heute noch an den historischen Ruinen
ablesen, die aus den verschiedensten Architekturtraditionen abstammen. Die hier
gezeigten Häuser mit Runddächern sind bezeichnend für die Aimara, ein einst
hochentwickeltes Kulturvolk, deren Nachfahren heute südlich des Titicacasees in
Chile und Bolivien leben.
Der Urcossee war auch
berühmt wegen Huascars goldener Kette, von der das Gerücht ging, sie sei in den
See geworfen worden, um sie vor den Konquistadoren zu retten. Sie war zur Feier
der Geburt von Huascar, des unglücklichen Sohnes von Huayna Capac angefertigt
worden. Zwar hatte sie kein Spanier je gesehen, aber die Indianer erzählten
ihnen, dass «jedes ihrer goldenen Glieder so gross wäre wie die Faust eines
Mannes und die ganze Kette so schwer, dass es sogar 200 Indianern
schwergefallen wäre, sie zu tragen». Die Geschichte von der Kette wurde uns von
Garcilaso de la Vega überliefert, dem ersten als Einheimischer geborenen
Literaten, der im gleichen Jahr starb wie Cervantes und Shakespeare —1616. Man
nimmt an, dass die Kette in Wirklichkeit eine dicke Trosse war, ähnlich wie die
Seiltaue, die für Hängebrücken verwendet wurden, und dass sie mit Blattgold
plattiert war und rote Quasten an den Enden hatte. Sie wurde bei einem Tanz
verwendet, an dem nur Männer teilnahmen. Huascars Name — sein Geburtsname war
Inti Cusi, Huascar war sein Herrschername — bedeutet «Seil», ein Hinweis auf
die sogenannte Kette. In Ciezas Zeiten hatten die Spanier bereits Pläne
gemacht, um den See zu entwässern, damit sie die Kette fänden; aber sie blieb
bis zum heutigen Tag unentdeckt.
Rekonstruktion
der königlichen Lagerhäuser in Chala im heutigen Peru, wo getrockneter Fisch,
Seetang und Schalentiere vor dem Transport ins Landesinnere, nach Cuzco,
gelagert wurden. Der Autor auf einer der
Küstenstrassen, nördlich von Chala, über die die Nahrungsmitteltransporte aus
den Küstenregionen
Cahuamarca (Ansichtsstadt), wo die Strasse ins Gebirge
führt, um die unpassierbare Küstenwüste zu umgehen. Unten: Schmaler Meeresarm
bei Chala, Peru, an dem die zum inkaischen Imperium gehörenden Küstenbewohner
Seetang ernteten.
Stier von
Pucarä, ein Keramikstier, der auf Hausdächer gesetzt wurde, um böse Geister
abzuwehren
Hinter Urcos stieg
die Königsstrasse das Vilcanotatal hinauf. Dieser Fluss mit den drei Namen —
Vilcanota, Yucay und, wo er unterhalb von Machu Picchu vorbeifliesst, Urubamba
— hat sich hier ein breites Tal gegraben, von dessen hochragenden Flanken
rauschende Bergbäche herabstürzen, die den Fluss speisen und verbreitern. Im
Osten erhebt sich der Ausangate mit seinen vielen Gletschern und dem schneebedeckten
Gipfel, der eine Höhe von 6200 Meter erreicht. Der Talgrund, der nur langsam
ansteigt, ist hier fast 3000 Meter über Meereshöhe, was in den Anden heisse
Tage und kalte Nächte bedeutet. Die ganze Länge des Vilcanotatals von hier bis
zu dem hohen Pass von La Raya, 200 Kilometer weiter südlich, ist ein weiter
Streifen von Nutzpflanzen: Quastenmais — sara —, purpurn blühende Kartoffeln —
moraya — und Weizen, der schon kurz nach der Eroberung eingeführt worden war.
Urcos war auch eine
Strassenkreuzung: die südwestliche Strasse nach Arequipa, das damals von
geringer Bedeutung war, aber heute die zweitgrösste Stadt von Peru ist, begann
hier. Diese Route war über 600 Kilometer lang, und das Gebiet, durch das sie
führte, war so zerklüftet und dünn besiedelt, dass auch die Inka sie selten
benutzten. Sie wird hier nur erwähnt, weil sie beweist, dass nicht einmal
dieses ausgedehnte, öde Gebiet mit all den gewaltigen Problemen, die es dem
Ingenieur stellte, die Inka davon abhielt, eine Strasse hindurch anzulegen, um
ihre Verbindungswege zu verbessern.
Kurz vor dem nächsten
Tampu, in Quiquijahna, überbrückte die Strasse zum erstenmal den Vilcanota. Das
Dorf Quiquijahna war auf beiden Seiten des Flusses erbaut worden, und die
Bewohner des rechten Ufers waren dafür verantwortlich, dass die Brücke in gutem
Zustand war.
Die meisten Reisenden
auf der Königsstrasse erwähnten die Brükke, und sie wurde bis 1877 benutzt;
danach wurde sie durch eine moderne Brücke mit drei Bögen ersetzt. Huamän Poma
bestätigte, dass sie ursprünglich eine SeilHängebrücke war.
Quiquijahna war
hauptsächlich vom Stamm der Cavina bewohnt, «bei dem es Brauch ist, grosse
Ohrpflöcke zu tragen. Die Cavina kleiden sich in wollene Ponchos und schlingen
ein schwarzes Stirnband um den Kopf. Ihre Stadt Quiquijahna — «Kristallhaus» —
hat am Rand der Berge schöne Steinhäuser.»
«In alten Zeiten
verehrten sie einen Tempel namens Ausangate», die höchste Spitze in den Bergen
der Umgebung, die sogar von Cuzco aus zu sehen ist. Quiquijahna war in
Inkazeiten auch bekannt als «Ziel der Läufer, die während der Augustfeste von
Coyarayni einen Wettlauf dorthin machten und im Wasser des Flusses bei diesem
Dorf badeten».
Der nächste Halt auf
der Königsstrasse war Cusipata, eines jener Tampu, die in einer unbewohnten Gegend
gebaut worden waren. Cusipata — «Angenehme Gegend» — verdiente seinen Namen,
denn es lag im Tal des Flusses in 3000 Meter Höhe, und die Umgebung war
intensiv bebaut. Hier sind lange Strecken der Königsstrasse, viereinhalb Meter
breit, gesäumt von Steinmauern und dort gepflastert, wo sie durch ein
Sumpfgebiet geht, noch deutlich zu sehen und an manchen Stellen sehr gut
erhalten. Die alte Strasse verläuft parallel zu der modernen Erdstrasse durch
das Gebiet, manchmal ganz nahe. Kurz bevor das moderne Dorf Cusipata erreicht
wird, sieht man die Reste des kleinen Tampu, das hier erbaut wurde.
Als nächstes nach
diesem Tampu, auf halbem Wege zwischen zwei wichtigen Haltestationen, war ein
topo an der Steinmauer auf einer Seite der Strasse. Wie schon erwähnt, wurden
die topo verwendet, um Entfernungen zu messen; sie standen siebeneinhalb
Kilometer oder, wie ein Chronist berichtet, 6000 Schritt voneinander entfernt.
Da bei den Inka wie bei den Spaniern Entfernungen nach dem praktischen Schritt
berechnet wurden, ergibt das für den Inkaschritt etwas mehr als einen Meter;
und die Standardbreite von sieben Metern, die eingehalten wurde, wo die
Umstände es erlaubten wie meistens auf der Küstenstrasse, war gleichbedeutend
mit sechs Schritt.
Im weiteren Verlauf,
in Combapata, einem königlichen Tampu, das in Huamän Pomas Reisebeschreibung
durch das Symbol eines Hauses gekennzeichnet ist, war die Königsstrasse auf den
unteren Abhängen des Gebirges angelegt. Combapata war auch wichtig als Dorf,
denn es beschützte eine Hängebrücke über den Fluss und hatte eine Verbindung
mit der Strasse von Urcos nach Arequipa.
Das ganze Gebiet und
seine Bevölkerung gehörte zu der Zuteilung — repartimiento — des berühmten
Alonso de Mesa. Mesa hatte als Anteil an Atahualpas Lösegeld 135 Mark Silber
und 333o Peso Gold bekommen und hatte in den Schlachten des Jahres 1534
gekämpft. In diesen «schlug er sich hervorragend, denn er war jung und kräftig
und hatte ein gutes Pferd und schöne Waffen». Mit seinem Reichtum verschaffte
er sich einen ganzen Harem von inkaischen palla. Er nahm an der Verteidigung
von Cuzco während der Belagerung durch Manco Capac teil und war 1572 als alter
Konquistador «Berater» der jüngeren Spanier, die gegen den neoinkaischen Staat
in Vilcabamba kämpften.
Als Cieza zum grossen
Tempel von Viracocha kam, stellte er fest, dass er im Gebiet eines anderen
Stammes, der Cana, lag. «Sie tragen Ponchos wie die anderen und auf dem Kopf
grosse runde hohe Mützen. In dem Dorf Cacha gibt es grosse Gebäude, die zum
Gedenken ihres Gottes Viracocha erbaut sind.»
Kurz vor dem Tempel
führt die von Mauern gesäumte Strasse durch ein Gebiet, das mit der Lava aus
dem Vulkan Haratch bedeckt ist. Die Lavabrocken, die aussehen wie Kohle, die
gerade aus dem Ofen kommt, sind in wildem Durcheinander aufgehäuft.
Aus diesem Rückstand
höllischen Feuers fliesst ein Bach, den die Ingenieure der Inka mit schön
verlegten Steinen stauten und dessen Wasser sie in verschiedene Leitungen
verteilten, mit denen sie Anbauterrassen, die zwischen den Lavahügeln angelegt
waren, bewässerten. Das restliche Wasser lief in einen künstlichen Teich,
hinter dem der Tempel von Viracocha steht.
Squier, der 1867 hier
vorbeikam, bemerkte, dass der Tempel in einem für Peru einzigartigen Stil
erbaut war und nahm sein Geometergerät und das Messband zur Hand, um einen
Grundriss des Tempels anzufertigen. Er stellte fest, dass die mittlere Mauer
knapp zehn Meter lang und zwölf Meter hoch war und eine Basis aus schön
bearbeiteten zweieinhalb Meter hohen Steinen hatte, die die bei den Inka üblichen
Nischen aufwies; die übrige Mauer bestand aus Adobe — Lehmziegeln. An
verschiedenen Stellen sind noch die Überreste von hölzernen Balken in die
Mauern eingebettet, und es stehen auch noch mehrere gewaltige kreisrunde Säulen
mit zwei Meter Durchmesser.
Diese je zwölf Säulen
auf beiden Seiten der mittleren Mauer liessen Squier richtig vermuten, dass sie
Balken getragen hatten, die auf der Mauer auflagen. Das Dach war grasgedeckt.
Alle öffentlichen Gebäude dieser Art wurden von einer zentralen Organisation
unter der Leitung von Berufsarchitekten und Maurermeistern erbaut, die von der
Mita ausgenommen und voll damit beschäftigt waren, öffentliche Bauwerke, Dämme,
Brücken, Strassen und Terrassen zu planen und zu entwerfen. Da die Inka Papier
und dessen Ersatzmaterialien nicht kannten, fertigten die Architekten Modelle
an, von denen einige noch vorhanden sind.
Garcilaso de la Vega
sah, wie der Tempel von Viracocha zerstört wurde: «Die Spanier zerstörten ihn,
obwohl er einzig in seiner Art war. Sie hätten ihn erhalten sollen und auf ihre
Kosten alle diese wunderbaren Dinge bewahren müssen, die Zeugnis für die Grösse
des Reiches, dessen Eroberung ihnen gelang, hätten ablegen können.» Garcilaso
behauptete, dass sie das ganze Bauwerk zerstörten, aber wie man noch sehen
kann, vernichteten sie es doch nicht gänzlich. Manche der Gebäude, die es
umgeben, sind noch gut genug erhalten, dass ein kenntnisreicher Architekt und
Archäologe sie rekonstruieren kann.
Die Sprache änderte
sich in dieser Gegend, wie alle Reisenden auf der Königsstrasse bemerkten. Es
wurde nun Aimara gesprochen, was auch der Name der führenden Stämme der Gegend
ist. Jahrhundertelang hatten diese Stämme den imperialistischen Plänen der Inka
widerstanden, wobei der Stamm der Colla, nach dem die ganze dritte Provinz des
Reiches — Collasuyu — benannt wurde, das erste Hindernis war, das die
Eindringlinge auf ihrem Weg nach Süden überwinden mussten. Nach 143o unternahm
jedoch Pachacutic einen Feldzug, um alle Stämme am Titicacasee zu unterwerfen,
und einer nach dem anderen wurde dem Reich eingegliedert.
Die erste
aimarasprechende Siedlung, auf die der Reisende auf seinem Weg über die
Königsstrasse stiess, war Sicuani, wo es ein Tampu gab. Huamän Poma gibt den
vielleicht korrekteren Namen Ciquyani an und führt es als königliches Tampu
auf. Die Stadt liegt in einer Schlucht.
Das Vilcanotatal
verengt sich nun hier; die Nacht bricht früher herein, und die nächtliche Kälte
ist schärfer als weiter unten im Tal. «Sie haben», sagte Cieza, «viele
Lamaherden; Vicutias und ebenfalls wilde Guanakos durchstreifen die höhern
Berghänge. Es gibt viel Mais und Weizen und eine Menge Rebhühner und Kondore.
Sie fangen auch zahlreiche Fische in den Flüssen.» über den schmaler gewordenen
Fluss war hier eine Brücke erbaut worden, um eine Verbindung mit der Strasse
nach Arequipa herzustellen.
Auf den nächsten
dreiunddreissig Kilometern steigt die Strasse an, bis sie bei La Raya eine Höhe
von 4300 Meter erreicht. Hier ist die grosse kontinentale Wasserscheide. Der
Wind ist hier ausserordentlich kalt, und Squier erinnert sich, dass er, als er
sich dem engen Pass näherte, «einen eisigen Fluss, erstarrt in treibendem
Schnee und Eiskristallen, die zwischen den Felsen tanzten, sah». Einst gab es
auch einen Sonnentempel — Huil canota auf Aimara, daher der Name Vilcanota.
Beim Pass sind noch
Überreste einer Steinmauer vorhanden. Sie sieht mehr wie eine Grenzlinie als
wie eine Verteidigungsmauer aus, aber gerade als eine solche beschreibt sie ein
Chronist, indem er sagt, ihr Zweck wäre, «die Inka daran zu hindern, die Colla
zu besiegen, und die Colla, auf inkaisches Gebiet vorzudringen». Ganz in der
Nähe sind Reste einer Wachstation, wo Zölle erhoben und das Kommen und Gehen
der Leute kontrolliert wurden; denn die Indianer hatten wenig Wünsche, und die
herrschenden Inka wussten es einzurichten, dass das auch so blieb.
Im gleichen Gebiet
gibt es einen eisigen See, der von den Ruinen mehrerer grosser inkaischer Tampu
umgeben ist. Trotz der beissenden Kälte machte Squier «einen Grundriss von
einem dieser Tampu —unter dessen zerfallenden Mauern wir Schutz gegen die Nacht
fanden». Dieses Tampu, sagte er, «kann man als Prototyp dieser Art von Gebäuden
ansehen, obwohl keine zwei ganz gleich sind». Das Gebäude war fünfundfünfzig
Meter lang und in drei je achtzehn Meter lange Räume geteilt. Die Mauern
standen direkt am Ufer des Sees. Es gab grosse Höfe für Lamas, ähnlich denen,
in die die Kamele nachts in den Karawansereien in ganz Asien zusammengetrieben
werden. Zwei Flüsse entströmen dem See: der nach Norden fliessende wird der
Vilcanota, dessen Lauf bereits beschrieben wurde; der nach Süden fliessende der
Pucarä, der später in den Titicacasee mündet.
Die Ordenanzas de
Tambos— 1543 — bezeichnen dieses Gebiet als «despoblado muchos dias» — seit
langem entvölkert; nur sechzig Indianer wohnten hier, und diese waren Francisco
de Villacastin unterstellt, der Ayaviri, das nächste grosse Tampu, besass.
Ayaviri, in einem
breiten Tal beim PucaräFluss gelegen, war, wie Pedro de Cieza sagt, «in alten
Zeiten grossartig anzusehen, und der Platz ist auch heute [1549] noch
bemerkenswert, besonders die grossen Gräber, die so zahlreich sind, dass sie
mehr Raum benötigen als die Wohnungen der Lebenden. Die Leute dort sind
derselben Abstammung wie die Cana, sie kleiden sich nämlich in lange, wollene
Ponchos, die bis zum Boden reichen, und tragen schwarze Stirnbänder.» Ihre
hauptsächliche Waffe war die Bola — ein Lasso mit Wurfkugel.
«Da Ayaviri ein grosser
Distrikt ist, durch den ein bedeutender Fluss [der Pucarä] fliesst, befahl Topa
Inka [ungefähr 145o], dass hier ein grosser Palast erbaut wurde und dazu viele
Gebäude, in denen die Tribute gelagert wurden. Auch ein Sonnentempel wurde hier
erbaut, und Topa Inka siedelte in der Provinz Indianer, die Mitimae genannt
wurden, mit ihren Frauen an.»
Diese Mitimae — die
hispanisierte Form von mitimacoma — waren, wie schon erwähnt, loyale
ketschuasprechende Stammesleute, die in ein neu erobertes Gebiet oder eines,
dessen Loyalität zweifelhaft war, umgesiedelt worden waren. Sie fungierten
sowohl als Garnison, um Aufstände zu verhindern, als auch als Vermittler der
inkaischen Lebensart, einschliesslich des Sonnenkultes. Da die
Bevölkerungsumsiedlungen in einem riesigen Massstab erfolgten, hätte diese
Praxis — wäre sie nicht durch die spanische Eroberung unterbrochen worden — zu
einer durchgehend heterogenen Bevölkerung geführt. Ketschua wurde für alle
öffentlichen Angelegenheiten verwendet, aber einheimische Dialekte waren
ebenfalls erlaubt, und einheimische Kleidung war nicht nur gestattet, sondern
wurde sogar gefördert. In Ayaviri stellte Pedro de Cieza jedoch fest, dass
«wenig ursprünglich Einheimische übriggeblieben waren und dass die Mitimae die
Herren des Bodens geworden waren».
Von Ayaviris früherer
Grösse ist über dem Boden nichts übriggeblieben. Ja, niemand, der nach Cieza
hier vorbeikam, erwähnt die Ruinen überhaupt, obwohl die VonHagenExpedition die
Inkas trasse — und auch ein Tampu — in der Nähe lokalisierte.
Ayaviri war auch eine
bedeutende Strassenkreuzung, denn in der Nähe teilte sich die Königsstrasse,
deren beide Zweige dann auf den einander gegenüberliegenden Seiten des
Titicacasees verliefen. Die Ordenanzas bemerken: «Hier trennen sich die beiden
Strassen, die den See umkreisen. Sie heissen Omasuyu [der östliche Zweig] und
Hurcossuyu [der westliche Zweig].» Das wurde 1613 von Väsquez de Espinosa
bestätigt, der noch eine weitere Strasse erwähnt, «die beim Dorf Asillo nach
Osten abzweigt und zum Carabaya führt Pedro de Cieza spricht mit Nachdruck von
dieser Seitenstrasse, denn «gegen die Urwälder der Anden zu ist der berühmte
und sehr reiche CarabayaFluss. Man holte aus ihm über r 700000 Peso Gold von
einer Feinheit, die das Normale überschritt. Man findet immer noch Gold im Fluss.»
Die Hauptfunktion der
fraglichen Seitenstrasse war, einen Zugang zu dem reichen Goldgebiet zu
schaffen. Die Strasse verlief nahe dem Ufer des tiefen und schnellfliessenden
CarabayaFlusses, der in einer steilwandigen Schlucht dahinströmt. Das Land
liegt ungefähr 4000 Meter über dem Meeresspiegel und hat das Aussehen einer
welligen, baumlosen Ebene, die durch phantastische Horstbildungen aus Kalkstein
und Granit mit Quarzadern unterbrochen wird. Mit Glück und viel Anstrengung
kann man aus diesem Fels Gold gewinnen. Auf den Spitzen dieser Klippen gibt es
zahlreiche Grabchullpa, aus Stein erbaute, im allgemeinen zylindrische Häuser
der Toten.
Das ganze Gebiet ist
überaus öde und unwirtlich, und nur wenige Lebewesen sind hier heimisch. In dem
verkümmerten Riedgras rund um die kleinen, eisgesäumten Teiche kann man
vielleicht ein Paar andiner Schneegänse — huachua — sehen, während auf den mit
Grasbüscheln bedeckten Bergen wachsame Vicurias beobachtet werden können.
Durch die grosse
Höhe, die isolierte Lage und die Abwesenheit von Menschen war dieser Teil der
Provinz Carabaya ideal für das Vicuria. Dieses Geschöpf, das halb so gross ist
wie das Lama und einen langen, graziösen Hals hat, war hochgeschätzt wegen der
langen, hellkastanienbraunen Wolle, die seine Brust bedeckt und es gegen die
eisige Kälte der andinen Nächte schützt. Diese Wolle wurde von den Jägern des
Inka unter den strengsten Vorsichtsmassnahmen geschoren. In ihrer
unübertroffenen Weichheit ist diese Wolle die feinste, die man kennt, und hat
25 oo Haare pro Zoll. Pedro de Cieza war der erste, der (bemerkenswert genau)
das Tier gezeichnet und beschrieben hat. Ein männliches Tier gebietet über eine
Herde von weiblichen Tieren, und die Kämpfe zwischen konkurrierenden männlichen
Tieren können tagelang dauern, bis eines oder mehrere vor Erschöpfung sterben.
Nach einer Jagd wie
derjenigen, an der auf Einladung von Manco Capac die Spanier teilnahmen, wurden
die eingefangenen Vicurias geschoren und wieder freigelassen. Die Inka, so
berichtet uns Garcilaso de la Vega, «führten mit Hilfe ihrer Quipu genau Buch über
die Zahl der getöteten und freigelassenen Tiere. Die grobe Wolle des Guanako
wurde dem Volk gegeben; diejenige des Vicuria, die so fein ist wie Seide, war
für die Inka reserviert.»
Das kleine Alpaka,
das sehr einem «peruanischen Schaf» ähnelte, wie ein Spanier es nannte, wird
von Pedro de Cieza als «sehr hässlich und wollig» beschrieben. Es ähnelt in
seiner Figur dem Lama, ist aber kleiner. Nach Pedro Blas Valera, einem anderen
Chronisten, dessen gesamtes historisches Werk vernichtet wurde, als Sir Walter
Raleigh Cadiz überfiel und brandschatzte, «werden Alpakas nicht zum
Lastentragen gezüchtet, sondern wegen ihrer Wolle, die ausgezeichnet und sehr
lang ist».
Das Guanako, das man
von Ecuador bis Patagonien antrifft, wo es die Hauptquelle der Indianer für
Fleisch und Felle war, ist nicht zum Haustier geworden. Es ist so gross wie das
Lama und neigt im Gegensatz zum Vicuria, das in gewaltigen Herden wandert, zum
Einzelgängertum. Seine «Wolle ist kurz und grob, sein Fleisch gut und
geschmacklich wie Wild». Als Cieza in Bolivien war, bekam er «ein Abendessen
aus einem jener fetten Guanakos, und es erschien mir als das Beste, was ich je
gegessen habe».
Das Lama war das
Lasttier der Inka. Ausserdem lieferte es Wolle und Fleisch, und sein Dung
(taquia) wurde als Brennstoff verwendet. Es ist ein sehr anpassungsfähiges
Geschöpf, das sowohl noch in einer Höhe von 5 oo Meter als auch in den heissen
Wüsten an der Küste leben kann. MochicaTöpferware zeigt, dass die Indianer dem
Lama in Wüstengebieten einen Fransenbehang aufsetzten, der seine Augen gegen
den heissen Sand schützte. Ein Lama mit einer Last, die halb so viel wiegt wie
es selbst, nämlich 200 Pfund, kann normalerweise eine Strecke zwischen zehn und
zwanzig Kilometer am Tag zurücklegen; wenn man es antreibt, noch weiter. Seine
für feine Webereien zu fettige Wolle wurde hauptsächlich für Decken, wollene
Säcke und Tauwerk verwendet. Ausserdem konnte der Dung der Lamas, da sie gern
einen gemeinsamen Entleerungsplatz aufsuchen und der wie Schafkügelchen
aussieht, gesammelt und als Brennstoff verwendet werden. Schliesslich wurden
Lungen, Leber und Magen des Lamas von Wahrsagern als Omen befragt, was an den
Brauch der Römer erinnert, die Leber von Hühnchen zu befragen, bevor sie in
einen grösseren Krieg zogen. Der Lamahirte hatte also einen
verantwortungsvollen und ehrenvollen Platz in der Gesellschaft.
Die Lamaherden waren
ein wesentlicher Teil der Wirtschaft der Inka. Als hauptsächliche Lasttiere
beförderten sie Waren in Friedenszeiten und Waffen im Krieg. Jeder Ayllu hatte
seine eigenen Lamaherden, und die quipucamayoc— Wächter der Quipu — führten die
Akten über die Anzahl der Tiere, so dass die Gouverneure die genaue Zahl der
Lamas im Reich zu jedem beliebigen Zeitpunkt kannten. Wenn man den ersten
spanischen Chronisten Glauben schenken darf, belief sich die Zahl auf
Hunderttausende. Lamas waren natürlich auch die Tiere, die man benutzte, um
Waren nach Carabaya hinein und das dort gewonnene Gold herauszutransportieren.
«Carabaya» ist die
hispanisierte Form des Ketschuawortes Karawaya, «gewunden». Das Wort ist sehr
treffend, denn der CarabayaFluss hat sich eine tiefe Schlucht gegraben, von
deren Grund sein Brausen, das an den senkrechten Wänden widerhallt,
heraufdröhnt. Die Strasse ist hier so eng, dass zwei Lamas kaum aneinander
vorbeikommen; aber sie ist sehr gut angelegt, um das zerklüftete, baumlose
Terrain zu überwinden. Im weiteren Verlauf geht sie dann im Zickzack hinunter
in das Goldgebiet. So ist die Carabaya, abwechselnd kalt und heiss, regenreich
und ungesund, ein abschreckendes Gebiet, das die Indianer nur betraten, weil es
der Wille des Inka war, dass sie das hochwertige Gold, das es hier gab, zutage
förderten. «An diesem Ort in Peru», schrieb ein Jurist des siebzehnten
Jahrhunderts an seinen Vizekönig, «gibt es viele Goldminen, wie zum Beispiel im
CarabayaGebiet. Die Arbeit der Indianer ist hier schwerer als fast überall
sonst, weil die Lufttemperatur so ungesund ist und die Leute die ganze Zeit im
Wasser stehen, um Erz zu waschen.» Es gab in dieser Gegend viele Dörfer von
Goldwäschern.
Da zu allen Zeiten
niemand gern die schwere Arbeit der Goldgewinnung verrichtete, sorgten die
Beamten der Inka dafür, dass die Leute einige Erleichterungen hatten. Die
Steuern wurden turnusmässig ausgesetzt, und nur verheiratete Indianer wurden
für diese Arbeit ausgewählt; ihre Frauen mussten sie begleiten, um für sie zu
kochen und die Chicha zu bereiten. Ihre Felder im Ayllu wurden während ihrer
Abwesenheit für sie bebaut, und wenn sie krank wurden, wurden sie
heimgeschickt. Es gab Ruhepausen, Feste und, wie Cieza sagt, Unterhaltung und
Spiel.
Gold wurde
hauptsächlich aus den Flüssen gewonnen, und zwar durch Goldwaschen. Da Gold
schwerer als Eisen ist und untergeht, mussten Sand und Kies aus dem Fluss
herausgehoben und durch Schwenken gesiebt werden. Die Methode der Inka war,
eine Anzahl von seichten Stellen aus Stein zu bauen — Rinnen oder Rippen, um
das Gold, das bei Regen flussabwärts geschwemmt wurde, aufzufangen und
zurückzuhalten. Die Goldkörner blieben hier wegen ihres Gewichtes liegen und
wurden dann in der trockenen Jahreszeit eingesammelt. Es wurden auch primitive,
aber wirksame hydraulische Bergbaumethoden angewendet — zum Beispiel, indem
Felsklippen unterhöhlt und Wasserläufe an ihren Fuss aus goldhaltigem Quarz
geleitet wurden.
Gold war der «Schweiss
der Sonne», und da die Auffassung herrschte, dass der Inka von der Sonne
abstammte, war alles Metall Staatseigentum. Nach dem Bericht des gelehrten
Pater Bernab Cobo umgaben gewisse Rituale den Vorgang der Goldgewinnung: «Diejenigen,
die in die Minen gingen, huldigten den Bergen, die das Gold enthielten, die sie
curi nannten. Während des Festes waren sie die ganze Nacht auf, tranken und
tanzten und flehten die Berge an, ihr Gold ohne Widerstreben herzugeben.
Goldkörner und Goldstaub wurden unter dem Namen llimpi verehrt.» Das gewonnene
Gold wurde auf den Quipu notiert und als eine Form des Tributs an die
Gouverneure gesandt. Später wurde es dann geschmolzen und zu Barren gegossen
und in dieser Gestalt den Goldschmieden geliefert, die Schmuck nach Bestellung
anfertigten.
Kaum hatten die
Konquistadoren als Lösegeld und durch Plünderung alles Gold und Silber über dem
Erdboden zusammengerafft, verlangten sie, zu den Quellen dieser Metalle geführt
zu werden. Die Indianer kamen dem Wunsch gern nach, weil sie hofften, auf diese
Weise die ungebetenen Gäste loszuwerden, unter denen sich ein gewisser Pedro de
Candia befand.
Über Candias
Tapferkeit waren sich alle einig, aber was seine Intelligenz anging, so sagt
Cieza immer und immer wieder, «dass er ein Mann von wenig Verstand war». Don
Pedro, ein Grieche, der nach seiner Vaterstadt Candia auf Kreta genannt wurde,
kam in der Anfangszeit der Konquista nach Südamerika. Er war einer der
dreizehn, die mit Francisco Pizarro auf der Insel Gallo waren, ging als erster
Konquistador 1527 in Tumbes an Land und bekam einen grossen Anteil an
Atahualpas Lösegeld. Er schaffte es, während des Bürgerkriegs auf der richtigen
— nämlich der siegreichen — Seite zu stehen, und liess sich nach der Schlacht von
Las Salinas in Cuzco nieder. Er war einer von 1600 Soldaten, die das gleiche
taten — alle so voller herausforderndem Übermut und mit so viel Geld zur
Erfüllung ihrer Wünsche ausgestattet, dass der Gouverneur der Stadt nur zu
erfreut war, als einige von ihnen sich aufmachten, um hinter irgendeinem ignis
fatuus herzujagen, das ihnen verborgene Goldschätze und Reiche versprach.
«Es bedurfte nur
eines indianischen Mädchens aus seinen Bediensteten, das ihm einredete, dass
auf der anderen Seite der Kordillere, im Osten, ein sehr reiches und
bevölkertes Gebiet liege», und Pedro de Candia, der nichts zu tun hatte, als
Geld und Zeit zu verschwenden, scharte 30o Mann um sich und setzte sich auf der
AntisuyuStrasse in Marsch. Nachdem sie den Vilcanota überschritten und durch
die grosse Festung Pisac gekommen waren, erreichte die Expedition Paucartambo,
eines der letzten grossen befestigten Tampu, bevor das Land sich zu den Tälern,
Pampas und Dschungeln des oberen Amazonas senkte. Pedro de Cieza schrieb ein
ganzes Kapitel darüber, «wie Pedro de Candia und diejenigen, die mit ihm in die
Wälder eindrangen, unglaubliche Mühsal erduldeten, und wie sie keinen Weg nach
vorwärts fanden und nach Collasuyu umkehren mussten».
Die Truppe folgte den
Kokablätter und Goldpfaden durch Dschungel und über Flüsse und kam oberhalb des
Carabaya heraus. Ungeachtet der Leiden, die seine Streitmacht hatte erdulden
müssen, ungeachtet auch der Verluste an Menschen, Ausrüstung, Pferden und
Indianern bat Pedro de Candia um die Erlaubnis, das Tal besiedeln zu dürfen. Da
der Gouverneur wusste, dass Candia «nicht genügend befähigt für diesen Posten
war», gab er ihn einem anderen; aber es war gleich, wer ihn erhielt: «7000
Eingeborene kamen um, und sie gerieten in eine solche Not, dass sie einander aufessen
mussten.»
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