Donnerstag, 2. Januar 2014

Wege der Inka - Teil 3 von 5 von Selzer-McKenzie SelMcKenzie


Die Wege der Inka Teil 3

Author D.SelzerMcKenzie

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Die heilige Brücke am Apurimac

Der Apurimac entspringt dem Rand der westlichen Anden als blosses Rinnsal, das von den Gletschern des hohen Cerro Huachahui gespeist wird. Auf seinem Weg in nordöstlicher Richtung nimmt er eine Reihe von Nebenflüssen auf und hat sich eine eindrucksvolle Schlucht in seinem Lauf zum Amazonas ausgewaschen. Wo er die Brücke erreicht, hört man von den hohen Wänden der Schlucht herunter sein herabstürzendes Wasser als dumpfes, widerhallendes Brausen, und daher hat er seinen Namen Apurimac — der «Grosse Sprecher».

Er war der Rubikon der Inka, denn ein Jahrhundert lang hielt er sie in Schach und verhinderte, dass sie ihr Reich nach Norden ausweiteten. Er blieb bis 13 5o, als die Ingenieure des sechsten Inka Roca den ersten Versuch machten, ihn zu überbrücken, ein beträchtliches Hindernis.

Diese Brücke, die Huacachaca — «Heilige Brücke» —, war den Inka huaca — heilig —, weil sie glaubten, sie besässe eine Seele. Auf der Cuzco zugewandten Seite wurde ein bedeutendes Orakel errichtet; dieses sprach durch das ohrenbetäubende Brausen des Flusses zu denen, die es anflehten. Pedro Pizarro sagte, als er in hohem Alter darüber schrieb, dass es bekannt war als «der Herr, der spricht, oder der Apurimac, der . Es war eine reich bemalte Hütte, die ein Götzenbild enthielt, einen grossen, blutbespritzten Holzklotz.»

Für die ersten Spanier war die Brücke ein Sinnbild Perus. Hiram Bingham, der Entdecker von Machu Picchu sagte, dass die Abbildung von ihr in Squiers Buch «einer der Gründe dafür gewesen ist, warum ich nach Peru gehen wollte». Die ersten Spanier, die sie überschritten, waren starr vor Schrecken. Tagebücher und Berichte sind voll von ihren Klagen, wie die Brücke im Wind geschwankt habe, wie tief die Schlucht sei, wie furchtbar das Brausen des Flusses in seinem Widerhall an den senkrechten Felswänden, wie ihr Puls gerast sei, ihre Augen trübe und das Herz schwach wurde, als sie sich an die dünnen Seile klammerten.

Als Pedro de Cieza im März 1548 zum ApurimacFluss kam, sah er in ihm «den grössten, den man zwischen hier und Cajamarca überqueren muss. Die Strasse zur Brücke ist sehr gut an den Abhängen und Bergen angelegt. Ihre Erbauer müssen es schrecklich gehabt haben, als sie die Felsmassen herausbrachen und die Strasse planierten, besonders da, wo sie absteigt.» Er sagte auch, dass «die Strasse so holperig und gefährlich ist, dass einige mit Gold und Silber beladene Pferde hinunterstürzten und verlorengingen».

Vom Tampu und Dorf Curahuasi stieg die Strasse über die jetzt allgemein bekannte Treppenstrasse im Zickzack hinab. Nach zwei Stunden Marsch kommt sie an die vertikalen Wände der Schlucht. Da es kein Felsgesims gab, über das die Strasse geführt werden konnte, schlugen die Ingenieure der Inka einen Stollen in die Felswand. Der Stollen, der zu der Plattform der Brücke führt, ist durch dreihundert Meter bröckeligen Fels geschlagen; er ist drei Meter hoch und nicht ganz zwei Meter breit. Luftlöcher gibt es alle zehn Meter.

Die Methoden der Inka, Fels zu bearbeiten, unterschieden sich wenig von denen der Römer. Es wurden Löcher in natürliche Risse gebohrt und Holzpflöcke hineingeschlagen und dann nass gemacht. Diese quollen auf und spalteten den Fels, der dann mit Hilfe riesiger bronzener Brecheisen herausgebrochen wurde. Eine andere Methode war, starke Feuer direkt an der Felsfläche zu entzünden — das geschwärzte Innere der Stollen zeugt davon; wenn der Fels stark erhitzt war, wurde Wasser darauf geschüttet, wodurch der Fels barst.

Wo der Stollen endete, war eine spiralförmige, mit Stein belegte Treppe aus dem Fels ausgehauen, die sich zu einer aus der Wand der Schlucht abgegrabenen Plattform hinunterwand. Zwei Steintürme waren auf der Plattform erbaut, und die gewaltigen Taue wurden über diese Türme gehängt und dann tief in die Plattform eingegraben. Die beiden Taue, an denen die Brücke aufgehängt war, und die drei, die den Laufsteg der Brücke trugen, waren, wie Garcilaso de la Vega, der sie oft sah, erklärte, um fünf Querbalken geschlungen, jeder so dick wie ein Ochse, und in der Plattform unter einer grossen Felsmasse vergraben.

Die Taue waren von Hand aus den Fasern der cabuya, einer Amaryllisart aus der im tropischen Amerika heimischen Gattung der Agave, gesponnen, einer der charakteristischsten Pflanzen der peruanischen und mexikanischen Landschaft. Sie hat fleischige, schön geschwungene, blaugraue Blätter mit scharfen Spitzen und stachliger Kante, die lang und breit sind. Diese fleischigen Blätter, die knapp zwei Meter lang werden, sind von starken Fasern durchzogen — im Handel Sisal genannt —, die getrocknet, gewaschen und gehechelt, für die Herstellung von Sandalen, Satteltaschen, Halftern und Seilen verwendet werden können.

«Ich möchte berichten, wie sie gesponnen wurden», sagte «der Inka» Garcilaso de la Vega. «Drei Stränge von je drei Fasern werden zusammengeflochten, wodurch ein Seil von neun Fasern entsteht; dann werden drei davon zusammengeflochten, was ein Seil von siebenundzwanzig Fasern ergibt; wenn das so mehrmals wiederholt wird, bekommt man zuletzt ein Tau, so dick wie der Schenkel eines Mannes.» Das Flechten der Taue wurde an Ort und Stelle vorgenommen — genau wie der deutschgebürtige Ingenieur Johann Augustus Roebling die Stahltaue für die BrooklynBrücke am Ort selbst spinnen liess —, denn die Taue wären sonst zu unhandlich geworden und nicht mehr zu transportieren gewesen. Die Taue wurden zur anderen Seite der Schlucht auf folgende Weise hinübergespannt: Zunächst überquerte ein Indianer auf einem Floss den Fluss und hielt ein kleines Seil in der Hand, an das ein grösseres angebunden war, und so weiter, so dass dann am Ende der Kette das Haupttau war. Mit Hilfe von Legionen von Arbeitern wurde das Tau hinübergezogen und auf den Steinturm gehoben. Die beiden Haupthängetaue wurden auf beiden Seiten der Schlucht eingegraben, indem man sie um fünf stufenförmig verlegte Holzbalken schlang, die, nachdem sie eingegraben waren, die Taue straff hielten und verhinderten, dass diese zu sehr durchhingen.

Obwohl wir wissen, dass die Taue gewaltig Waren, hat niemand eine Schätzung von Durchmesser, Länge und Gewicht der Taue überliefert. Durch logische Schlüsse kann man aber eine Vorstellung davon gewinnen. Die Länge der Brücke von einem Ende zum anderen wurde — von E. G. Squier — zutreffend mit 5o Metern ermittelt, wobei natürlich die Taue viel länger waren, weil sie zwangsläufig ein gutes Stück durchhingen und ein fünfzehn Meter langes Stück auf beiden Seiten der Brücke eingegraben wurde. Die Bemerkung, dass die Taue «so dick wie der Oberschenkel eines Mannes» waren, lässt vermuten, dass sie einen Umfang von 66 Zentimetern hatten; das Gewicht jedes Taues wäre dann etwa s000 Pfund gewesen, und es hätte einer Belastung von bis zu fünfzig Tonnen standhalten können. Die Lauffläche der Brücke bestand aus Flechtwerk oder Brettern, die durch die Seile gesteckt waren. Die Hängetaue und die der Brücke selbst waren durch eine Reihe von Seilen verbunden, die als Schutzgeländer dienten. Da die Brücke im Wind schwankte, wurde sie durch Haltetaue festgehalten, die an den senkrechten Wänden befestigt waren.

Auf der Cuzco zugewandten Seite des Flusses war die Strasse aus dem Felsen ausgehauen und mit Mauern versehen, die aber später zerstört wurden. Sie stieg in einem steilen Zickzack zu dem jetzt «La Banca» genannten hohen Punkt an, und ihre Breite variierte zwischen einem und zwei Metern.

Als Ephraim George Squier, der amerikanische Diplomat und Archäologe, die Brücke 1869 überschritt, stellte er fest, dass sie noch instand gehalten wurde und dass ihre indianischen Wärter in der Nähe «wie Ziegen in Schuppen» wohnten. Von dort aus «konnte man die Brücke in der Höhe in einer anmutig geschwungenen Kurve zwischen den beiden Abstürzen auf beiden Seiten sehen; sie war wunderbar zart und fein wie Spinnweb».

Bei den Inka standen alle Brücken, ihr Bau und ihre Instandhaltung sowie die Erhebung der Zollgebühren unter der Aufsicht von Inkabeamten vom AcosGeschlecht; der Titel des Aufsehers der Brücken hiess in Ketschua ChacasuioiocacosIngaguamnochaca, wie Huamän Poma berichtet. Wenn man bedenkt, dass sich die Strassen über die ganze Länge des südamerikanischen Kontinents von Kolumbien bis Chile erstreckten und dass nicht weniger als 892 grosse und kleine Flüsse und Schluchten überwunden werden mussten, erkennt man, dass die technische Leistung der Inka beim Bau und Unterhalt von nahezu tausend Brücken auf einer Entfernung von 7000 Kilometer wahrhaft ungeheuer war.

Bis zu den Fortschritten der Technik im neunzehnten Jahrhundert, als man anfing, eiserne Ketten als Hängetaue zu verwenden, waren die Hängebrücken der Inka die längsten. Die Inka kannten das Gewölbe nicht, wie übrigens auch alle anderen vorgeschichtlichen Völkerstämme in Amerika. Das Gewölbe, ein Zusammenspiel von Gewicht, Schwere und Druck, ist verhältnismässig passiv und der Erde verhaftet, aber das Hängekabel kehrt die Gewölbekurve um und erzielt damit Kraft ohne sichtbare Masse oder Schwere.

Die Menschen, die diese und andere gewaltige Bauvorhaben planten und durchführten, werden mit Recht «Ingenieure» genannt. Als der neusteinzeitliche Mensch damit begann, sich die Natur und ihre Materialien untertan zu machen, lernte er die Kunst der Töpferei, des Webens, des Ackerbaus, der Metallurgie und der Zähmung der Tiere und wurde zivilisierter. «Niemand würde heute noch», schreibt Claude LeviStrauss in , «daran denken, diesen gewaltigen Fortschritt einer willkürlichen Anhäufung von zufälligen Entdeckungen zuzuschreiben. Jede dieser Techniken setzt jahrhundertelange aktive und methodische Beobachtung kühner Hypothesen voraus, die vermittels endlos wiederholter Experimente erprobt wurden.»

Die Inka waren die Erben einer langen Geschichte der Technik. Wenn es auch ihre Politik war, den Beitrag anderer Stämme zu ihrer materiellen Kultur herabzusetzen, indem sie den Anschein erweckteni als ob vor ihrer Ankunft alles leer und öde gewesen wäre — in Wirklichkeit war die Inkakultur nur eine intensivierte Ausprägung der typischen andinen Kultur —, ist es doch richtig, dass der Mensch unter der Inkaherrschaft seine Fähigkeiten vermehrte, Nutzen aus seinem Umgang mit der Natur zu erzielen. Eines der Symbole dieser technischen Leistung ist die grosse Brücke über den Apurimac. Als das Heer von Präsident La Gasca in der ersten Woche des März 1548 das Tal des Apurimac erreichte, waren alle drei Brücken über die Schlucht, die Huacachaca, Cotabamba und Accha, auf Befehl von Gonzalo Pizarro zerstört worden. La Gasca sagte in seinem Bericht, dass er sich bemüht habe, Gonzalo in Ungewissheit darüber zu lassen, wo er und seine Truppen «am wahrscheinlichsten eine Brücke über den Apurimac» schlagen würden. Indianer, die aus der Entfernung aussahen wie Ameisen, kamen täglich herbei und brachten cabuyaBlätter, und La Gasca entschied, dass die «natürlichen Bedingungen der CotabambaBrücke» sie zum günstigsten Ort für die Wiederherstellung der Hängetaue machten. Die CotabambaBrücke diente zur Überwindung der ApurimacSchlucht auf der ContisuyuStrasse zur Küste. «Ich erteilte», schrieb La Gasca in seinem Bericht nach Spanien, «Lop6 Martin Instruktionen zur Beschleunigung des Zustroms von Material für die Brücke [cabuyaFasern für die Taue].» In zwei Wochen, was eine Vorstellung von der Geschwindigkeit gibt, mit der die Taue geflochten werden können, waren die beiden grossen Taue an ihrem Ort, aber plötzlich erschienen Soldaten von Gonzalo Pizarro und «verbrannten zwei Taue unserer Brücke». Am 7. April jedoch, nachdem die Brückenköpfe gesichert und Hängetaue und Brücke fertiggestellt worden waren, überschritt sie das Heer von La Gasca. Von hier aus kamen sie wieder auf die Königsstrasse, ohne auf Widerstand zu stossen, und rüsteten sich bei Xaquijahuana für die Schlacht.

Es war weniger eine Schlacht als eine Affäre, wie La Gasca sich ausdrückt, ohne Eile auf beiden Seiten. Gonzalo Pizarros Heer schmolz einfach dahin, da die Männer einzeln und dann in Gruppen desertierten, bis die Niederlage komplett war. Es wäre ganz anders gegangen, wenn Francisco de Carbajal an der Spitze gestanden hätte. Nachdem er das Kommando an Gonzalo abgegeben hatte, sass er auf einem Hügel auf seinem rotbraunen Maultier und lachte über das Unglück. Aber bevor er fliehen konnte, wurde er gefangengenommen.

«Ich entschloss mich, mit Gonzalo Pizarro und Carbajal sogleich reinen Tisch zu machen», sagte La Gasca, «denn solange sie am Leben sind, gibt es keine Sicherheit.» Sie wurden enthauptet, und Gonzalos Kopf wurde in einen Käfig aus Eisenmaschen gelegt und am königlichen Pranger in Lima aufgehängt.

Pedro de Cieza schrieb das alles für seine (Historien' auf, aber leider verlor er in dem Handgemenge einige Notizbücher und Teile des Manuskriptes, «was mich sehr betrübte». Als er nach den verlorengegangenen Papieren suchte, wurde La Gasca aufmerksam auf ihn und bat ihn, etwas von den sehen zu dürfen, die ihm dann gezeigt wurden. Da er Gefallen an der Lektüre fand, ernannte La Gasca Pedro de Cieza zum Primer Cronista de las Indias — zum ersten Historiker der Indien; und so vertauschte Cieza, gewappnet mit Briefen mit der Unterschrift und dem Siegel des siegreichen La Gasca, bildlich sein Soldatenwams mit dem langen Rock des Historikers und setzte seine Reise über die Königsstrasse nach Cuzco fort. «Vom Apurimac», stellte Cieza fest, «geht man weiter zu den Wohnstätten von Limatambo.» Dieses massiv errichtete Gebäude, dessen vieleckige Steinkonstruktion noch zu sehen ist, ist sechs Meter hoch und 25o Meter lang und steht auf Terrassen, die aus dem Fels ausgehauen sind. Es war die Residenz des Gouverneurs und aller Wahrscheinlichkeit nach das Verwaltungszentrum von Chinchasuyu.

Danach überquert die Strasse die Sierra de Vilcaconga und steigt dann ab «in das Tal von Xaquijahuana, das tief zwischen Bergen liegt. In diesem Tal gab es prächtige, üppige Paläste.»

Hier war der Stamm der Chanca bei seinem Präventivkrieg gegen Cuzco endgültig besiegt worden. Als zwei alte Konquistadoren, Peralonso Carrasco — zu dessen Besitz das Tampu von Abancay gehörte — und Juan Pancorvo — einer der Gründer von SpanischCuzco — mit Francisco Pizarro das Land betraten, waren die Gräber, die die Inka für die toten Chanca erbaut hatten, noch zu sehen. Sie waren als warnendes Beispiel aufgestellt worden. Den Toten war die Haut abgezogen worden, und die Häute wurden mit Asche und Stroh ausgestopft, um menschlichen Wesen zu gleichen; solche Gestalten waren auf hundert verschiedene Arten gestellt und gelegt worden. Cieza wurde erzählt, dass bei manchen der Magen wie eine Trommel gespannt war, während andere eine Flöte zu spielen schienen. Sie blieben so stehen bis zur Eroberung durch die Spanier. Die Spanier, die doch mit Plünderung, Raub und Tod in allen Formen vertraut waren, waren entsetzt, als sie 1533 auf ihrem Marsch auf der letzten Strecke der Strasse vor Cuzco auf die Leichen der Familie des geschlagenen Huascar stiessen, die in Abständen entlang der Königsstrasse auf Pfosten aufgespiesst waren. Männer, Frauen, Kinder und sogar Fetusse waren hier aufgehängt und hatten in dieser Lage Atahualpa auf seinem Siegeszug nach Cuzco begrüsst.

Xaquijahuana war die letzte Haltestation vor den Sümpfen von Anta. Dieser Platz war bekannt als der Ayllu des inkaischen Geschlechts der Anta. Die Angehörigen der Anta hatten das erbliche Recht, im ganzen Reich die Aufseher für die Instandhaltung der Strassen zu stellen.

Anta liegt 25 Kilometer südlich von Cuzco in einer niedrigen Ebene. Das Wasser von den Bergen der Umgebung sammelt sich hier und ist die Ursache für den Sumpf. Damit die Strasse höher lag als die Fluten, wenn sie sich über die Ebene ergossen, erbauten die Ingenieure der Inka einen io Kilometer langen Damm mit Mauern auf beiden Seiten. Einen weiteren Schutz gewährten sechsunddreissig Abzugskanäle, die die Wassermassen regulierten. Als Cieza hier vorbeikam, stellte er fest: «Es wäre schwierig, diesen Sumpf ohne den breiten und festen Damm zu überqueren, der auf Befehl der Inka erbaut wurde.»

Der Damm endet in Izcucacha, wo die Strasse über eine steinerne Brücke verläuft. Nachdem sie einen Berg erstiegen hat, erreicht sie Carmenca.

Von hier sieht der Reisende, der auf der Königsstrasse steht, auf Cuzco hinunter.


Terrakottagefäss der Caiiari in Südecuador. Gefässe dieser Art, gefüllt mit Chicha (Maisbier), wurden in die Gräber gestellt, um die Toten zu besänftigen.


Die Ingenieurkunst der Inka zeigte sich auch in ihren Brückenbauten, die sie, je nach den Gegebenheiten, in den verschiedensten, noch heute angewendeten Bauweisen errichteten. Brücke bei Huanuco aus parallelen Baumstämmen, die auf dauerhaften Steinpfeilern aufliegen. Hängebrücke (chaca) über den oberen Apurimac

 


Vorinkaische Steinskulpturen aus Callejon de Huaylas, einem Ort, der nicht weit entfernt von der ChinchasuyuHauptstrasse am SantaFluss liegt. Mitte rechts: Stilisierter Kopf; ehemals Bestandteil einer Mauer aus der wenig bekannten SechinKultur an der pazifischen Küste

 

 



Cuzco. Zwei der imaginären Ansichten de Brys von Cuzco aus dem Jahre 1596, die auf Berichten von spanischen Konquistadoren und Reisenden beruhen — man beachte die Kamele im Vordergrund.  Gesamtansicht des modernen Cuzco; die Festung Sacsahuamän links beherrscht den Berggipfel, der die Stadt überragt.  Lamas auf dem Abstieg über die treppenförmige nördliche Strasse in Cuzco, bekannt als «die Strasse, die den Fuchs ermüdet». Enge Stufenstrasse, die zum Cusipata (Platz der Freude) führt, dem Ausgangspunkt der AntisuyuStrasse.

 




Besonders hervorragende Beispiele des inkaischen Ingenieurwesens. Kreisförmige Anbauterrassen in Moray, fünfundzwanzig Kilometer nordwestlich von Cuzco, die man zuerst fälschlicherweise für ein Amphitheater hielt. Später konnte man nachweisen, dass sie so tief in die Erde hineingegraben wurden, um die Ernte vor Frost zu schützen (Luftaufnahme von ShippeeJohnson). Verlauf der AntisuyuStrasse in dem terrassierten Tal von Ollantaytambo. Die Festung 011antaytambo, die den Zugang zum Dschungelgebiet im Osten beherrschte. Machu Picchu, gesehen vom Wachturm aus, durch den die Strasse nach Cuzco kontrolliert wurde. Das YucayTal nördlich von Pisca.

 



Sacsahuamän, eines der grössten jemals von Menschen errichteten Bauwerke. 30000 Indianer arbeiteten 70 Jahre lang an seiner Fertigstellung. Es wurde aus Tausenden gigantischen behauenen Steinen zu einer Länge von gut eineinhalb Kilometern zusammengefügt. Indianer, gekleidet in nach Rekonstruktionen gearbeiteten inkaischen Kampfgewändern, stellen die Verteidigung der Festungsmauern dar. Lamas weiden vor den gewaltigen Steinen der Mauern von Sacsahuamän.

 

Cuzco, Zentrum der «Vier Weltengegenden»

Carmenca, jetzt die Pfarrgemeinde Santa Ana, war der letzte Kontrollpunkt. Es war eine Zollstation, ein Tampu, und bei einer Entfernung von z oo Kilometer von Quito das Ende der Capac Nan, der Königsstrasse. Von Carmenca aus hatte der Reisende den ersten unbehinderten Blick auf Cuzco. Wenn er jedoch seine Reise auf der Strasse eben erst begänne, würde er in Carmenca beim Huacapuncu, dem «Heiligen Tor», haltmachen und dort seine mocha — Verbeugung — machen, um sich einer sicheren Reise zu vergewissern und zu beten, dass die Strasse nicht einstürze.

Als Pedro de Cieza im April 1548 hier ankam, waren die Cariari, die er an ihrer Kopfbedeckung erkannte — «einer verschlungenen Krone, so fein wie Siebdraht» —, die Wächter von Carmenca. Sie waren eine Kolonie von incapmichuscanruna, eines Volkes, das aus seinem 1300 Kilometer nördlich gelegenen Heimatland umgesiedelt worden war, und nun eine Elitetruppe bildete, die für den nördlichen Zugang nach Cuzco verantwortlich war.

Pedro Sancho de la Hoz, der junge Schreiber im Dienst von Francisco Pizarro, war der erste Spanier, der Cuzco beschrieb; sein Bericht stammt aus dem Jahr 1533. Zu dieser Zeit hatten die Tempel noch nicht alle Goldplatten eingebüsst, die ihre Mauern schmückten, und die Stadt funktionierte noch so wie unter der Inkaherrschaft. Pedro Sancho erschien sie so gross, «dass eine Woche nicht genügte, um sie ganz zu sehen. Sie ist grossartig und prächtig und muss von einem Volk mit grosser Intelligenz erbaut worden sein. Sie hat schöne Strassen, die nur etwas eng sind. Die meisten Häuser sind aus Stein, obwohl auch viele aus Lehm erbaut sind. Cuzco ist die reichste Stadt, die wir in den Indien kennen, denn oft wurden grosse Schätze hierher gebracht, um die Herrlichkeit der Inka zu vermehren.»

Cuzco wurde im elften Jahrhundert n. Chr. vom ersten Inka Manco Capac gegründet. Es liegt in einer Mulde — das Volk nannte es den Nabel des Tales — in einer Höhe von 3300 Meter über dem Meeresspiegel. Auf drei Seiten erheben sich steile Berge, während sich nach Westen das Tal erstreckt, das einen breiten Korridor zwischen den Bergen bildet und aus fruchtbaren Ebenen im Wechsel mit Sümpfen besteht. Hier in Cuzco beendete Manco Capac seine Suche nach einer Heimat für sein Volk. Nach einer alten Überlieferung stiess er in Cuzco einen goldenen Stab in die Erde, den ihm sein Vater, der Sonnengott, geschenkt hatte, und als der Stab verschwand, erkannte er, dass der Boden nicht felsig und das Land fruchtbar war. Alle, die damals in diesem Gebiet lebten, wurden umgesiedelt. Die Archäologie steht hier in Einklang mit dem Mythus der Inka: Kultur und Geschichte der Inka entfalteten sich in diesem Tal in der unmittelbaren Nachbarschaft von Cuzco.

Die Wohnungen der Inka in Cuzco gruppierten sich um den Hauptplatz Huaycapata — Platz der Musse —, wo die Festlichkeiten abgehalten wurden; direkt daneben waren die wichtigsten öffentlichen Gebäude des Reiches — der Sonnentempel, das Haus der Sonnenjungfrauen und Curicancha — die Goldene Einfriedung. Von diesem Platz gingen die engen Strassen der Stadt aus, die in zwölf Verwaltungsbezirke eingeteilt war. Der Inspektor des Königs von Spanien meinte, es gäbe hunderttausend Häuser — zweifellos eine gewaltige Übertreibung; aber es mögen immerhin so viele Menschen dort gewohnt haben. Er versicherte: «In den acht Tagen, die ich hier war, konnte ich nicht alles besichtigen.» Es existiert kein Plan von Cuzco, wie es in den Tagen der Konquista ausgesehen hat. Der früheste Plan — der auch nur das Zentrum der Stadt zeigt — wurde von Huamän Poma 75 Jahre nach der Eroberung gezeichnet, und zu jener Zeit war die Stadt nach spanischen Grundsätzen neu erbaut worden.

Als Francisco Pizarro am 15. November 1533 mit seiner Streitmacht von 175 Spaniern und einer Hilfstruppe von über tausend Mann der Cariari ankam, glänzte die Stadt von Gold, denn die Fassaden bedeutenderer Gebäude waren noch mit gehämmerten Goldblechen bedeckt. «Ich sah», berichtete einer der Spanier, «ein viereckiges Gebäude von dreihundert auf fünfzig Schritt, das vollständig mit Goldblechen überzogen war. Von diesen Blechen holten wir 700 herunter, die zusammen 5oo Peso wogen [ein Peso entspricht ungefähr 0,147 Unzen].»

Manco Capac II. kam mit den Spaniern, aber schon während er gekrönt wurde — die Inkakrone war die mit Troddeln verzierte und von Wolle eingerahmte llautu —, zerstückelte Francisco Pizarro Cuzco und teilte Paläste und Häuser seinen Konquistadoren zu.

Pedro de Cieza betrat Cuzco am i i. April 1548 und beendete damit den ersten Abschnitt seiner Reise über die Königsstrasse. Aber das Cuzco, das er sah, war nicht die Stadt von 1533, denn im Jahr 1536 war der scheinbar gefügige junge Inka Manco Capac seinen Bewachern entflohen, hatte eine grosse Zahl von Anhängern ausgehoben und belagerte Cuzco achtzehn Monate lang. Im Verlauf von Belagerung und Gegenbelagerung waren die Strohdächer der meisten Gebäude verbrannt und viele Lehmhäuser von den Spaniern abgerissen worden, damit sie mehr Manövrierspielraum hatten. Die Stadt hatte sich also sehr stark verändert. Ein Spanier, der sich in Cuzco angesiedelt hatte, berichtete: «Ich glaube, dass man von uns Spaniern sagen kann, dass wir allein in vier Jahren mehr Schaden anrichteten als die Inkaherren in vierhundert.» Die Stadt, die Pedro de Cieza sah, war also ein wiederaufgebautes Cuzco, das Francisco Pizarro gegründet hatte.

Trotzdem war genug von den Fundamenten der ursprünglichen Gebäude erhalten geblieben, so dass man sehen kann, dass Cuzco der Mikrokosmos des Reiches war und auch blieb. Denn in der Stadt wohnten Menschen, die aus allen Gebieten des Reiches dorthin gekommen waren. «Jeder Stamm unterscheidet sich durch verschiedene Kopfbedeckungen so klar und deutlich, dass, auch wenn 500000 Menschen versammelt waren, jeder Stamm leicht von den anderen unterschieden werden konnte.» Die verschiedenen Gruppen bewohnten verschiedene Quartiere der Stadt, aber alle lebten in einstöckigen, steilgiebligen Häusern aus getrockneten Lehmziegeln,  die rot, gelb oder schwarz bemalt und mit dickem Stroh gedeckt waren.

Pedro de Cieza erfuhr, dass es einst in der ganzen Stadt königliche Lagerhäuser gegeben habe. Diese waren mit den Gütern angefüllt, die von den Menschen im ganzen Reich als Steuern bezahlt worden waren: von der Wüstenküste kamen Baumwolle, Muscheln, getrockneter Seetang, gesalzener und geräucherter Fisch; aus den AntisuyuDschungeln kamen Vogelfedern, Kokablätter, Chontaholz, Felle, tropische Nahrungsmittel und das Gold von den Goldwaschplätzen. Da Cuzco auch Arsenal war, wurden hier die Rohstoffe für Schleudern, Baumwollpanzer, Schwerter, Streitäxte — diese waren sternförmig — und Speere gelagert.

Bestimmte Stadtviertel waren den königlichen Handwerkern, den Berufsgoldschmieden vorbehalten, die von Steuern befreit waren und sich ganz der Herstellung von Gussarbeiten in Gold und Silber widmeten. «Es gab», sagte Cieza, «eine grosse Anzahl von Vergoldern und Silber und Goldschmieden, die die von den Inka bestellten Stücke herstellen konnten.»

Diese Spezialisierung setzte eine Organisation voraus, und für die pragmatischen Inka war in der Tat Richtigkeit gleichbedeutend mit Ordnung. Natürlich ist Ordnung nicht unbedingt immer gut und kann schlechter als Mangel an Ordnung sein, wenn sie erzwungen ist und keine Rücksicht auf die Umstände und den natürlichen Lauf der Dinge nimmt. «Der Mythus von dem grossen sozialistischen Staat der Inka», um den verstorbenen Alfred Metraux zu zitieren, «entspringt einer nur flüchtigen Bekanntschaft mit seinen Institutionen.» Gesetze über Eigentum und die Pflichten der Indianer gegenüber dem Reich sind in Begriffen europäischer Ideale interpretiert worden. Garcilaso de la Vega — «der Inka» — der 1535 in Cuzco geboren wurde, erklärte das System der Inka mit bewundernswerter Einfalt: «Sie teilten das Land in drei Teile, den ersten für die Sonne [die Religion], den zweiten für den Inka, den dritten für das Volk.» Alle drei Teile wurden vom Volk bestellt, und der Ertrag wurde in drei Teile geteilt; persönlicher Besitz war auf das Haus, die Tiere und Haushaltsgegenstände beschränkt; alles andere gehörte dem Staat —also dem Inka. «Wenn der Wirtschaftsrahmen des Staates tatsächlich so gewesen wäre», schrieb Dr. Metraux, «könnte man mit Recht von einem auf einen agrarischen Kollektivismus aufgepfropften Staatssozialismus sprechen. Aber war es wirklich so ?»

Die Inkakaste, die nicht nur diejenigen umfasste, die von inkaischem Geblüt waren, sondern auch solche, die Inka durch Privileg waren — grosse Feldherren zum Beispiel —, stellte die Herrscher, Gouverneure, Heerführer und Priester. Ausser ihnen konnte niemand persönlich Land besitzen, da alles Land den Gemeinschaften, den Ayllu, gehörte, die unter anderem dafür verantwortlich waren, das Bewässerungssystem in ihrem Gebiet anzulegen und zu unterhalten und die gemeinschaftlichen Lama und Alpakaherden zu betreuen. Jeder Ayllu stand unter der Leitung eines gewählten Anführers, dem ein Rat alter Männer zur Seite stand. Eine Gruppe von mehreren Ayllu kam unter die Jurisdiktion eines Distriktsführers, der über zehntausend steuerzahlende Arbeiter regierte. Diese Distrikte waren ihrerseits wieder Unterteilungen der vier Provinzen — suyu — des Inkareiches. Jede Provinz wurde von einem apu regiert, der direkt dem Sapa Inka verantwortlich war. Die Reichshauptstadt war Cuzco.

Im Gegensatz zu den Maya und Azteken hatten die Inka keine Sklaven; so schwere Arbeit wie Strassenbau, Bergbau und Entwässerung konnte nicht einfach Sklaven aufgebürdet werden. Geld gab es nicht. Der Tribut wurde in Produkten bezahlt, und die Mita bestand in Dienstleistungen. Wahrscheinlich waren nur Berufsarchitekten, Handwerker und eine kleine Gruppe von Berufssoldaten von der Mita befreit.

Um dieses ausgedehnte Gebiet von Küste, Kordillere und Montaria zu einigen, entwickelten die Inka ein Kommunikationssystem. Vielerorts wurden schon bestehende lokale Strassen in das Strassennetz eingegliedert, das durch den Bau der Tampu und die Erweiterung des ChasquiDienstes leistungsfähiger gemacht wurde. Aber ein solches Strassennetz war nur bei einem streng disziplinierten Volk in einem Land, das einen hohen Grad politischen Zusammenhaltes hatte, möglich.

Nachdem Pedro de Cieza alle diese Faktoren durchdacht hatte, legte er seine Schlussfolgerungen in einem Kapitel nieder mit dem Titel «Wie die Inkaherren die Strassen bauten, auf denen sie durch ihr Reich reisten».

«Zu den vielen Dingen, die meine Aufmerksamkeit erregten, gehörte, wie die überaus prächtigen Strassen, die wir im ganzen Reich sehen, wohl gebaut wurden, wie viele Arbeiter dazu erforderlich waren und schliesslich, welche Werkzeuge und Instrumente gebraucht wurden, um Berge zu ebnen und den Fels zu durchschlagen, damit die Strassen so breit und schön wurden, wie wir sie nun sehen. Denn wenn unser Kaiser Karl auch eine Strasse von Quito nach Cuzco und eine von Cuzco nach Chile bauen wollte, dann glaube ich wirklich nicht, dass ihm das bei all seinen Machtmitteln und Menschen gelingen würde, wenn er nicht die Methoden und Techniken der Inka anwendete.

Wer dies liest und in Peru war, möge sich an die Strasse von Pachacamac an der Küste nach Jauja über die zerklüfteten Berge von Huarochiri und über die schneebedeckten Gipfel von Pariacä erinnern, auch an die Stollen und die gewundene Treppenstrasse, die zur Brücke am Apurimac hinunterführen, oder auch wie die Strasse die Gebirge von Paltas, Cajas und Ayabacas und andere Gebiete dieses Reiches überquert, wo sie fast vier Meter breit ist und in den Zeiten der Inka auch frei war von Gras oder irgendwelchem Abfall.

Wie wurden diese Strassen erbaut, ohne den Untertanen übermässige Mühsal aufzubürden? Nun, wenn ein Inka beschloss, eine dieser berühmten Strassen zu bauen, waren keine Versorgungsvorräte oder Aushebungen erforderlich. Ein Aufseher ging durch das Land, legte die Route fest und bestimmte [im Frondienst] die Indianer, die jeweils ihren eigenen Abschnitt der Strasse zu bauen hatten. Auf diese Weise, wo also jede Provinz für den Strassenbau in ihrem eigenen Gebiet verantwortlich war, den sie auf eigene Kosten und mit eigenen Leuten durchführte, wurde die Strasse in verhältnismässig kurzer Zeit angelegt und gebaut. Führte die Strasse in ein ödes und unbewohntes Gebiet, so kamen die Indianer, die am nächsten wohnten, mit den erforderlichen Werkzeugen und Lebensmitteln, und so wurde alles in ständiger Arbeit und in gewissem Sinne frohgemut getan, denn sie waren in keiner Weise unterdrückt.»

Diese Methode des Strassenbaus wurde fünfzig Jahre später von Huamän Poma bestätigt. Auch er schrieb, dass es in den Zeiten der Inka «sechs Königsstrassen gab, die von einem InkaGouverneur aus der Familie der Anta verwaltet wurden». Er hat uns auch ein Bild von einem solchen Aufseher hinterlassen. «Die Strassen wurden vermessen und abgesteckt und auf eine Breite von drei Meter angelegt, und auf beiden Seiten hatten sie eine Steinmauer. [Die Normalbreite der Strasse war siebeneinhalb Meter, wie zahlreiche Messungen ergaben.] Die Strasse war gerade und breit. An ihrer Seite baute man Wegstationen, wo man sich ausruhen konnte, die auch den ChasquiBoten dienten. Die Strassen waren sauber und, wenn sie durch sumpfiges Gebiet führten, gepflastert.»

Huayna Capac, der 1485 den Bau der Königsstrasse von Quito nach Cuzco anordnete, stellte die Verbindung zwischen ihr und der Strasse von Cuzco nach Chile her, die Topa Inka erbaut hatte.

 

Machu Picchu und die Kinder der Sonne

Antisuyu oder Antis, wovon das Wort «Anden» abgeleitet ist, war die zweite Provinz im Inkareich. Ihre unbestimmte Grenze verlief in den östlichen Abhängen der Anden in einem Gebiet, das sich weit nach Nordwesten und Südosten erstreckte und den Amazonas und seine Nebenflüsse in Peru und Ecuador umfasste. Antisuyu schloss daher Pisac, 011antaytambo und Machu Picchu ein und war auch mit dem weiten VilcabambaGebiet, das die Spanier als letztes eroberten, verbunden.

Obwohl Cuzco im Herzland der hochragenden Anden liegt, ist es doch nur einen Tagesmarsch vom unteren VilcanotaFluss im Osten der Stadt entfernt und zwei Tagesmärsche von dem dicht bewaldeten Gebiet, der ceja de la montaiia, den «Augenbrauen» des Waldes. Für die Bewohner dieses heissen Landes hatten die Inka nur ein Wort: yunga. Es ist bezeichnend, dass die Mauern der grössten Festung, die je von den Inka erbaut wurde, nach der Ostprovinz gerichtet waren.

Die Strasse nach Antisuyu begann am Aucapata, «Platz der Freude». Von hier verlief sie in südöstlicher Richtung über Hatun Rumiyoc, dessen hohe Steinmauern aus eng zusammengefügten Quadersteinen bestehen, nach Tococachi, wo sie den TullumayoFluss auf einer Steinbrücke (ullus) überschreitet. An diesem Punkt beginnt der Anstieg in die Berge.

 

 


E. George Squiers Zeichnung des grossartigen Tors, das in das Tal von Ollantaytambo führte

Als die Inka die Unterwerfung der andinen Stämme beendet hatten, sahen sie, dass sie von Osten her noch verwundbar waren, da Cuzco nur zwei bis drei Tagesmärsche von den Dschungeln im Osten entfernt war. In dem Mass wie die Inka die an der Peripherie ihres Reiches ansässigen Stämme besiegten, brachten sie die Lebensräume der Stämme durcheinander und zwangen die Besiegten, sich auf anderes Gebiet zurückzuziehen und dadurch weitere Kriege zu verursachen. Die Schockwellen, die von dieser Invasion eines Gebirgsvolkes ausgingen, das Lamas als Lasttiere verwendete, bronzene Äxte goss und Waffen aus Metall besass, waren noch Hunderte von Kilometern entfernt zu spüren, und der Alarm wurde von Stamm zu Stamm weitergegeben, bis er sogar die Guarani erreichte, einen angriffslustigen paraguayischen Stamm, der i600 Kilometer östlich von Peru lebte. Durch indirekten Handel erhielten sie Kupferäxte und Silberschmuck von den Inka. Das reizte sie dazu, die Aussenposten der Inka im bolivianischen Chaco anzugreifen. Solche Überfälle kamen überall in dem heissen, dicht bewaldeten Gebiet von Antisuyu vor.

Direkte Handelsbeziehungen entwickelten sich zwischen den Inka und den Urwaldstämmen, wobei die letzteren Waldprodukte gegen Kupfer und Bronzeäxte und Silber und Goldschmuck von den Inka eintauschten. Konnten diese Gegenstände nicht durch Handel erworben werden, so wurden Aussenposten der Inka, besonders im Amazonasgebiet, angegriffen. Der erste Weisse, der den Fuss auf Inkagebiet setzte, tat das als Teilnehmer eines solchen Angriffs auf einen Aussenposten in der Nähe des bolivianischen Chaco.

Als der spanische Navigator Juan Diaz de Solis nach dem Tod von Amerigo Vespucci zum Oberlotsen ernannt wurde, versuchte er, über den grossen Fluss, der zuerst seinen Namen trug und heute Rio de la Plata heisst, eine Route zu dem neu entdeckten Pazifischen Ozean zu finden. Als er i 515 von den CarioIndianern hörte, dass sie Überfälle auf ein Volk machten, das gegen Sonnenuntergang wohnte, und dass dieses Volk auf einem Berg aus Silber, in Häusern aus Stein lebte, «langhaariges Wild» — nämlich Lamas — als Haustier hielt und Gold und Silber in unbegrenzten Mengen besass, wovon ihm einige Stücke gezeigt wurden, «beschloss er, dass man das sehen müsste». Daher schloss sich der Portugiese Garcia Alejo den Guarani an und überfiel mit ihnen mehrere Aussenposten der Inka. Der schwarzbärtige weisse Mann wurde für ein «neues Wesen» gehalten und war 1515 (zwölf Jahre vor Pizarro) der erste seiner Art, der den Fuss auf inkaischen Boden setzte.

 

Im allgemeinen hatten die Bewohner des oberen Amazonas ein verhältnismässig hohes kulturelles Niveau, und sie trugen bedeutend zur Entwicklung des Ackerbaus bei. Schon z000 v. Chr. bauten sie Maniok an, von dem die Tapioka stammt; ausserdem züchteten sie Süsskartoffeln, Pfeilwurz — weit verbreitet als Stärke —, Inga, Cashew, Avocado, Zapote, Papaya und Ananas. Der Anbau dieser Nahrungsmittel breitete sich in die wärmeren Täler von Peru und Ecuador aus. Diese Völker, die verschiedenen Kulturen angehörten und geographisch weit verstreut waren, terrassierten die östlichen Abhänge der Anden, denn das war ein Gebiet mit sehr viel Regen, dessen Boden ein hohes landwirtschaftliches Potential hatte. Städte, die unmittelbar über der ceja aus mörtellos gefügten Steinen erbaut waren, waren über ein weites Gebiet verstreut. Eine namens Kotosh ist noch in gutem Zustand und ist vielleicht tausend Jahre älter als die ersten Inkastädte; sie stammt aus dem Jahr I000 v. Chr.

Die Völker, die im Gebiet des oberen Amazonas lebten, bauten Narkotika und halluzinogene Drogen an. Eine dieser Drogen, die für die Wahrsagerei benutzt wurden, wurde aus der BanesteriaRebe hergestellt, die die Inka ayahuasca, «Rebe der Seele», nannten. Es gab verschiedene Arten von hypnotischem Schnupftabak. Datura ist ein yungaProdukt und höchst wichtig in der inkaischen und der modernen Geschichte; auch der Kokabusch gedeiht auf den feuchten Osthängen der Anden. Als die Inka mit der systematischen Invasion des Gebietes begannen, betraten sie also kaum ein landwirtschaftlich rückständiges Land.

«Im Jahr 1400», erzählte man Pedro de Cieza, «beschloss der achte Inka, nachdem er den Namen Viracocha, eines ihrer Hauptgötter, angenommen und geheiratet hatte, die verschiedenen Völker, die nicht weit entfernt im Osten von Cuzco lebten, zu unterwerfen.» So begann die Eroberung des Vilcanotatals, des schönsten und mildesten Tals von Peru. Die Eroberung wurde durch Viracochas Sohn Pachacutic — «Erderschütterer», so benannt wegen seiner Siege und der Reorganisation der Institutionen der Inka, seiner harten Anwendung der Inkajustiz und der Umformung der Geschichte durch eine selektive Manipulation der Tatsachen — beschleunigt durchgeführt.

Als Pachacutic in das Gebiet östlich von Cuzco eindrang, erkannte er, wie sehr gefährdet die Stadt durch einen Angriff von dorther war. Er befahl daher seinen Architekten, die gigantische Festung zu bauen, die finster von den felsigen Höhen auf Cuzco hinabschaut.

Die Festung von Sacsahuamän ist nicht nur eines der grössten Gebäude, das je im prähistorischen Amerika erbaut wurde, sondern auch ihren Gegenstücken insofern unähnlich, als wir die Namen ihrer Architekten kennen, weil diese sie den drei Haupttoren der Festung gaben. Das ist um so ungewöhnlicher, als das Bauen bei den Inka im allgemeinen ein gemeinschaftliches Unternehmen war, bei dem sich kein besonderes Individuum über die anderen erhob. über diese Festung schrieb Garcilaso de la Vega: «Vier Meisterarchitekten beteiligten sich an ihrem Bau. Der erste und leitende war Huallpu Rimanchi Inka, der den Grundplan entwarf.»


Die AntisuyuStrassen und die megalithischen Städte

Die Festung war in einen Kalksteinfelsen von 5 5o Meter Länge hineingebaut worden und bestand aus drei Mauerrängen, die sich fünfzehn Meter hoch erhoben. Einen Zugang zu ihr gab es nur an drei Punkten durch massive trapezförmige Tore. Das Ganze besteht aus ungeheuren vieleckigen Steinen — manche über 7wanzig Tonnen schwer —, die aneinandergefügt sind und ein hervorragendes Beispiel der Steinbauweise darstellen. Die Steine waren mit schweren Hämatithämmern, Kupfer oder Bronzemeisseln und Brecheisen in Kalksteinvorkommen gewonnen worden, die drei bis fünfundzwanzig Kilometer entfernt waren, und wurden mit Hilfe von Tauen, hölzernen Schlitten und Walzen, über die die Schlitten gezogen wurden, zur Baustelle geschleppt. Vermittels Erdrampen wurden sie an Ort und Stelle gebracht. Die genauen Aufzeichnungen der Inka besagen, dass «20000 Arbeiter in ständiger Ablösung» achtundsechzig Jahre gearbeitet haben, um Sacsahuamän zu erbauen.

Pedro Sancho de la Hoz, der das Bauwerk 1533 sah, als er 21 Jahre alt war, sagte: «Es ist das Schönste, was man im Lande sehen kann. Die Schutzwälle sind aus riesigen Steinen erbaut; sie sind so gross, als wären sie Stücke vom Berge; es ist kein einziger zu finden, der so klein wäre, dass man ihn auch nur mit drei Karren befördern könnte.»

Es gab zwei runde Kampftürme, ein Wasserreservoir mit Verteilungsröhren innerhalb der ganzen Festung, Wohnungen für den Inka, unterirdische Lagerräume für Waffen und viele colca zur Aufbewahrung von Lebensmitteln. Die Festung war gross genug, dass fast die ganze Bevölkerung hier im Falle einer Belagerung Zuflucht finden konnte. Der Testfall kam aber erst 1536, als die Spanier die Festung belagerten und sie den Streitkräften Manco Capacs wegnahmen. Im Verlauf dieser Belagerung wurde ein grosser Teil des Oberbaues von Sacsahuamän zerstört, aber Pedro de Cieza, der die Festung 1548 besuchte, fand, dass sie noch «gewaltig anzuschauen war».

Hinter Cuzco verlief die AntisuyuStrasse entlang der schön angelegten Mauern der SuntuHausiPaläste und stieg dann, wobei Sacsahuamän zur Linken lag, als Treppenstrasse zur Grassteppe oberhalb der Stadt hinan und kam dabei an dem Viereck von Tocacachi — «Salzfenster» — vorbei. Nachdem sie die östlichen Sonnenpfeiler — die als Uhr gedient haben sollen — hinter sich gelassen hatte, erreichte sie den ersten Kontrollpunkt, Wegstation und Tampu von PucaPucarä, ein Viereck aus sorgfältig und symmetrisch ausgerichteten Steinlagen. Der Platz sollte die Strasse bewachen, und jeder Verkehr nach Cuzco hinein wurde hier kontrolliert und mit Abgaben belegt. Diese wurden in natura von allen Gütern, die in die Stadt gebracht wurden, bezahlt.

Nach der Überquerung der mittags grausam heissen und nachts eiskalten chitapampa kam die Strasse zum Tampu von Huancaye. Nun, nur fünfundzwanzig Kilometer östlich von Cuzco, stieg sie fast 800 Meter in das obere Vilcanotatal ab. Dort überschritt sie den Fluss auf einer Hängebrücke. Die ursprüngliche Seilbrücke ist jetzt durch eine moderne Stahlkonstruktion ersetzt worden.

Direkt auf der anderen Seite der Brücke lag Pisac, das die Route nach Paucartambo beherrschte und die Flüsse, die zum Einzugsgebiet des oberen Amazonas gehören, kontrollierte. Obwohl nur wenige Kilometer von Cuzco entfernt, erwähnt keiner der wichtigsten Chronisten den Ort. Pisac ist in Wirklichkeit ein massiver Berg, der vom Grund des Vilcanotatales aufsteigt; in Form eines unregelmässigen Ovals von i o Kilometer Länge erhebt er sich bis zu 1400 Meter über das Tal und wurde von den Inkaingenieuren stark überbaut. Anbauterrassen überziehen den Berg und folgen dabei den natürli chen Höhenlinien des Felsens. Aquädukte verbinden die Terrassen miteinander und leiten das Wasser von den höheren zu den unteren hinab, und durch diese Terrassen verläuft die AntisuyuStrasse auf ihrem Weg nach Paucartambo und der Montaiia. In landwirtschaftlicher Hinsicht hatten die Terrassen den doppelten Zweck, die Anbaufläche zu vergrössern und den Boden zu erhalten, den die schweren Regenfälle sonst weggeschwemmt hätten; aber sie hatten auch eine defensive Funktion, denn über, unter und um sie herum gruppierten sich Häuser, Lagerplätze, Festungswerke, Stollen, Tore und Kontrollpunkte. Die Verteidigungsanlagen waren so ausgedehnt, dass die ganze Bevölkerung des Vilcanotatales im Falle eines Angriffs Zuflucht in Pisac hätte finden können.

Die Zitadelle von Pisac hat eine Menge gepflasterte Strassen, die durch den Felsen hindurch geschlagen sind. Die dort vorgefundenen Wohnungen deuten auf eine ziemlich zahlreiche Bevölkerung hin, die über den ganzen Berg verstreut war.

Nachdem die Strasse das Amarupuncu — «Schlangentor», was die Faszination der Inka durch die riesige Anakonda, die in den Dschungelflüssen lebt, widerspiegelt — durchschritten hatte, ging sie weiter in Richtung auf Paucartambo, 3o Kilometer nordöstlich. Auf dem Weg dorthin vereinigten sich mehrere Strassen des Antisuyu zu einer Hauptstrasse.

Später erreichte die Strasse das Tampu von Colquepata und stieg dann nach Paucartambo hinauf, von welchem Aussichtspunkt aus man auf eine scheinbar endlose Dschungelwildnis, die sich weit in der Ferne verliert, und auf eine Anzahl von Flüssen auf ihrem Weg zu den mächtigen Nebenflüssen des Amazonas hinuntersieht. Man berichtete Garcilaso de la Vega, dass in den Zeiten des Inkareiches die Verwandten seiner Mutter, die einen hohen Rang in der sozialen Hierarchie einnahm, bei Challapampa in die Montafia eingedrungen seien, die nur wenig bewohnt war. Von dort rückten sie weiter vor zu einem Ort namens Pillcupata, wo sie «vier Völker», das heisst: Ayllu von Mitimae, ansiedelten, die an das heisse Klima der Gegend gewöhnt waren. In Tunu legten sie die ersten von den Inka bewirtschafteten KokabuschPlantagen an.

Koka ist ein grosser Busch, der in den üppigen Ebenen der Montaria heimisch ist. Seine Blätter, die in Form, Farbe und Duft denen der Teepflanze ähneln, liefern Kokain, das durch sorgfältiges Trocknen gewonnen wird. Anbau und Gebrauch von Koka gehen auf Hunderte von Jahren vor der Inkakultur zurück, denn in Küstengräbern aus der Zeit um 5 oo n. Chr. wurden Beutel mit Kokablättern zusammen mit Töpferware in Form eines menschlichen Gesichts gefunden, die sehr zutreffend kokablätterkauende Menschen darstellt, wobei die Koka die Backen aufbläht, so dass sie Hamsterbakken gleichen. Die übliche Praxis ist, einen Priem von Kokablättern, denen ein Alkali — Kalk oder Asche — zugesetzt wird, das die Auflösung des Blattes beschleunigt, wodurch das Kokain frei wird, neben den Zähnen in eine Tasche des Mundes zu nehmen. Die Menge Kokain, die mit einem solchen Priem aufgenommen wird, ist winzig — 30o bis 40o Milligramm —, aber das ist offenbar genügend, um die Sinne des Kauenden zu betäuben und ihn weniger hungrig und ganz unempfindlich gegen Kälte und Durst zu machen. Kokain gab es in allen alten indianischen Kulturen von Argentinien bis Kolumbien, und man zählt heute noch Millionen von Kokakauern. Die Inka waren diejenigen, die seine Produktion systematisch betrieben. Befragt man ihre eigenen Historien, so muss man vermuten, dass der Genuss von Koka den Priestern — für die Wahrsagerei —, der Inkakaste, den Chasqui, sowie alten Menschen, die damit ihre Sinne abstumpften, wenn sie dem Tod entgegensahen, vorbehalten war. Mit der spanischen Eroberung fielen aber die Schranken, und das Kokakauen breitete sich auf alle Klassen aus. «In ganz Peru», bemerkte Pedro de Cieza, «war und ist es Brauch, dieses Koka im Mund zu haben; sie behalten es im Mund von morgens bis sie sich schlafen legen. Dieses Koka ist so wertvoll, dass es gewissen Leuten ein jährliches Einkommen von 8o 000 Peso verschaffte. In Spanien gibt es jetzt viele, die durch den Kauf und Verkauf von Koka auf den catuMärkten reich geworden sind.» Heute ist jede Arbeit im Gebirge darauf eingestellt; gäbe es Koka nicht, so wäre Peru sehr anders.

Wenn auch Koka einer der Anlässe für die Inbesitznahme der Montaria durch die Inka war, so war doch der Hauptgrund die Sorge, ihre Ostflanke durch ein Bündnis mit den Stämmen des Gebiets zu schützen, indem sie sie als Puffer gegen eine etwaige Invasion benutzten. Dieses Bündnis wurde so fest, dass Manco Capac 1536 zahlreiche Stammesleute der Anti in seinem neoinkaischen Staat hatte.

Bei Pisac teilte sich die AntisuyuStrasse. Der nordöstliche Zweig ging, wie beschrieben, nach Pancartambo, während der andere Zweig mehr westlich, entlang des YucayTales in Richtung auf Machu Picchu und, nördlich dieser berühmten Stadt, auf die Dschungel von Urubamba zu verlief. Die Inka erkannten rasch, dass dieses Tal nicht nur ein weiterer Zugang zum oberen Amazonas war, sondern auch ein weiterer möglicher Invasionsweg. Unter der Herrschaft von Pachacutic gewannen die Inka die Kontrolle über das ganze Gebiet. Auf dem östlichen oder linken Ufer des Yucay war eine ganze Kette von Städten: Calca, dessen Anbauterrassen von kanalisierten Bächen, die sich aus den sehr kalten Abflüssen der Gletscher hoch droben bildeten, gespeist wurden; Colla, und dann Yucay, der lieblichste Fleck des ganzen Tals und bevorzugte Aufenthaltsort des Hofes der Inka während des Winters, wenn sich eine arktisähnliche Kälte über Cuzco senkte. Beide Seiten des engen Flusstales sind terrassiert.

Jenseits der Terrassen, wo sich das Tal verbreitert und die Seiten weniger steil werden, steht eine Festung, die das rechte oder nördliche Ufer des UrubamaFlusses bewachte und den Vormarsch einer Armee auf dieser Seite der Strasse wirksam blockieren konnte. Unterhalb ist eine Brücke. Die ursprüngliche Hängebrücke hing an drei massiven Türmen, was ungewöhnlich innerhalb des inkaischen Brückenbaus ist. 188o wurden die Hängetaue durch Stahlseile ersetzt, aber die erneuerte Brücke benutzt bis heute die originalen inkaischen Stütztürme. An diesem Punkt vereinigten sich die beiden AntisuyuStrassen und setzten sich als gepflasterte Strasse — denn hier regnet es viel — bis zu dem Verwaltungszentrum Ollantaytambo fort.

Der einzige Weg nach Ollantaytambo hinein und wieder heraais führte durch ein prächtiges Tor. Es machte einen so tiefen Eindruck auf E. G. Squier, dass er eine Abbildung davon in seinem 1877 erschienenen Buch über Peru als Titelbild verwendete. Der ganze Verkehr nach Antisuyu wurde durch dieses Portal geschleust Rechts waren die Steilabfälle des Tales — hoch, steil und unbegehbar —, links die Wasserfälle des Urubamba.

Eine breite und schön angelegte Treppe führt direkt vom Dorf zu der Festung, die sich über ihm auftürmt. Auf ihrem Weg kommt die Strasse durch eine Reihe von Anbauterrassen, die in eine künstlich erweiterte Mulde im Fels hineingebaut sind. Darüber ist ein Schutzwall — eine Seltenheit in der inkaischen Architektur, hier aber erforderlich, weil es keine natürlichen Barrieren zum Schutz der Stadt und der Akropolis gibt. Ein Torweg führt nach Intihautana, das noch höher liegt.

Am Rand der Festung mit Blick auf den Fluss, an einer Stelle, wo die Felsoberfläche planiert wurde, war der Sonnentempel. Was von ihm noch existiert — wenn er überhaupt je vollendet wurde —, ist eine Gruppe von sechs Megalithen mit eingehauener Stufengitterverzierung, jeder dreieinhalb Meter hoch und eineinhalb Meter breit —gigantische Platten aus hartem rötlichem, porphyrähnlichem Stein aus den Steinbrüchen von Cachacata, das wenige Kilometer von der Festung entfernt hoch oben auf der anderen Seite des Flusses liegt. Auf irgendeine Weise waren diese dreissig Tonnen schweren Blöcke vom Steinbruch hinuntergeschleppt, wahrscheinlich bei einer Furt über den Urubamba gebracht, zum Felsfundament der Festung hinaufgezogen und schliesslich an ihren Platz gebracht worden. Einige der Steinhöcker, an denen die Seile festgemacht wurden, sind noch zu sehen, wie auch der Steinbruch, aus dem die Steine stammen —Zeuge dafür sind heute noch die Häuser der Steinbrucharbeiter und einige grosse, halbgebrochene Monolithen. Ausserdem liegt ein gewaltiger, halbbearbeiteter Stein verlassen in der Ebene von Urubamba unterhalb der Festung. Vielleicht wurde er hier beim Beginn der spanischen Eroberung zurückgelassen, denn 011antaytambo war 1536 noch im Bau.

1400 war 011antaytambo ein befestigtes Dorf, das dem LaresStamm gehörte. 144o wurde das Dorf durch ein Kommando der Inka zerstört; zwanzig Jahre danach wurde die Provinz in das Reich eingegliedert und mit dem Bau der Festung durch Pachacutic begonnen, der dann auch die Strasse, die auf ihrem Weg nach Antisuyu über den Pass verlief, ausdehnte, verbreiterte und verbesserte. Als der Aufstand von Manco Capac fehlschlug und die Belagerung von Cuzco aufgehoben wurde, zog sich der junge Inka mit seiner Streitmacht nach 011antaytambo zurück, von wo er sich energisch verteidigte.

1533 war Manco Capac, ein scheinbar gefügiger junger Mann und einer der vielen Söhne des letzten unbestrittenen Inka Huayna Capac — der 1527 starb —, in Cuzco auf Betreiben der Konquistadoren zum Sapa Inka ausgerufen worden. Auch nachdem die Eroberer Cuzco seiner Schätze beraubt und die schönsten Gebäude für sich selbst übernommen hatten, waren die Beziehungen zwischen Besiegten und Siegern, zumindest an der Oberfläche, anscheinend freundlich. Manco Inka arrangierte eine königliche Jagd der Sonne, bei der io 000 eingeborene Träger in einem gewaltigen Kreis verteilt wurden; auf ein bestimmtes Signal gingen sie langsam aufeinander zu, indem sie um sich schlugen und das Wild in Netze trieben. Sie umzingelten die Dickichte und Felder, und der Lärm ihres Geschreis brachte die Tiere von den Bergen herunter; langsam gingen sie weiter vor, bis sich die Männer schliesslich die Hände reichen konnten. Hirsche, gelegentlich ein Bär, Kaninchen, Viscachas, Chinchillas, Füchse, Pumas, Vicurias wurden allesamt in die Netze getrieben und, ausser den Vicurias, getötet. Die Spanier nahmen an dieser Jagd teil, die die letzte ihrer Art war, denn die Sieger erbitterten allmählich die Inka, indem sie vornehme coya als Konkubinen nahmen und alle ständig bedrängten, die Verstecke verheimlichter Inkaschätze endlich preiszugeben. Im Herbst 1535 entschloss sich Manco Capac zum Aufstand, und 1536, am Fest des heiligen Johannes vor der Porta Latina, das in diesem Jahr auf Samstag, den 6. Mai fiel, versammelte Manco Capac Tausende von Indianern in Cuzco; der Aufstand hatte begonnen.

Es war eine der grossen Belagerungen der Geschichte: Rund hundert Spanier, die von 5000 Mann CariariHilfstruppen unterstützt wurden, waren gegen eine inkaische Streitmacht von 200 000 angetreten.

Juan Pizarro — «der Bruder des Gouverneurs, ein junger Mann von fünfundzwanzig, der ein Vermögen von 200 000 Dukaten besass» — wurde durch einen faustgrossen Stein aus einer indianischen Schleuder getötet. i soo Indianer fielen, als die Spanier die Festung Sacsahuamän erstürmten, und die Berge unbegrabener Toter wurden von Kondoren gefressen. Den Gefangenen schlugen die Spanier nach Art der Araber die rechte Hand ab.

Da zog sich Manco Capac nach 011antaytambo zurück. Er wurde von Hernando Pizarro verfolgt, der für diese Expedition siebzig seiner besten Männer zusammenzog. Unter ihnen befand sich auch der sechzehnjährige Pedro Pizarro, der berichtete, dass, «als wir [in 011antaytambo] ankamen, wir es stark befestigt antrafen. Es war ein harter Kampf, denn es ist sehr stark und hat sehr hohe Wehrgänge. Es hat nur einen Eingang, nämlich den Torweg, und lehnt sich an einen sehr steilen Berg. Von oben schleuderten Krieger Steine auf jeden von uns herunter, der einzudringen versuchte.»

1537 kehrten jedoch Diego de Almagro und seine Männer von einer Expedition nach Chile zurück, und mit Hilfe ihrer Verstärkung wurde ein neuerlicher Angriff auf 011antaytambo unternommen. Der Druck auf Manco Capac war so stark, dass er beschloss, die Festung aufzugeben und sich in die seiner Ansicht nach unangreifbare Montafia von Vilcabamba zurückzuziehen.

Manco Capac organisierte seinen Rückzug mit grosser Umsicht, nahm viele Mumien seiner Vorfahren mit und sandte seine unmittelbare Familie voraus. Die Nachhut, die sich unter ständigem Druck von seiten der Spanier zurückzog, zerstörte die Strasse (die einzige nach Vilcabamba) und legte den Spaniern auf dem Panticallapass Hindernisse in den Weg. Die Inka begingen aber einen taktischen Fehler: sie dachten nicht daran, wie schnell die Pferde bergan steigen konnten, und stellten die Siegesstimmung der spanischen Fusssoldaten nicht in Rechnung. Manco wurde auf dem ganzen Weg bis zur Hängebrücke über den Urubamba, der berühmten Chuquichaca, schwer bedrängt.

Vor 1 537 war die AntisuyuStrasse den Spaniern unbekannt, aber über fünfzig Jahre lang danach war sie die meistbenutzte Strasse in ganz Tihuantisuyu. Doch trotz ihrer Bedeutung und der Häufigkeit, mit der sie benutzt wurde, stammt die erste Beschreibung von ihr, die wir besitzen, erst aus dem Jahr 1847, als Monsieur Leonce Angrand, der französische Generalkonsul in Lima, in der Zeit von 1844 bis 1847 eine ausgedehnte archäologische Rundreise durch Peru machte. Von dieser Reise, die er auf einem Maultier und zu Pferd durchführte, stammen die ersten genauen Pläne und Zeichnungen von Inkamonumenten. Später erschien 1867 E. G. Squier in 011antaytambo, und seinem gründlichen Werk ist es zu verdanken, dass die Stätte in der ganzen Welt bekannt wurde.

Es war jedoch ein Franzose, Charles Wiener, der 1877, zehn Jahre später, die AntisuyuStrasse einer grösseren Öffentlichkeit bekannt machte. Er publizierte auch zwei Bücher, die vierzig Jahre später eine ausserordentliche Wirkung auf die südamerikanische Archäologie hatten. In 011antaytambo schrieb er «on parlait d'autres villes encore, de Hauina Picchu et de Matcho Picchu». Er ging diesem Wink freilich nicht nach; das sollte später ein anderer tun, ein junger Amerikaner namens Hiram Bingham, über dessen Entdeckungen noch in diesem Kapitel berichtet wird. Wiener selbst beschloss, nach Osten weiterzureisen und der Strasse nach Antisuyu zu folgen.

Östlich von 011antaytambo stürzt der UrubambaFluss in einer ununterbrochenen Reihe von Wasserfällen durch steile Granitschluchten hinab. Die Inka versuchten nie, hier eine Strasse zu bauen. Terrain und Klima ändern sich rasch: die Höhe des Landes geht zurück, und es beginnt ein Gebiet dichter Vegetation; es wird warm und feucht, und KokaPlantagen tauchen auf. Das ist die ceja, die Augenbraue des Urwalds, und unmittelbar dahinter kommt der Dschungel.

Das Tal hinter 011antaytambo ist auf seiner östlichen Seite, wo die Wände der Schlucht nicht zu steil sind, ausgiebig terrassiert. Der Berg Veronica, dessen Gipfel eine Höhe von 6000 Meter erreicht, erhebt sich ganz in der Nähe. Die AntisuyuStrasse, einst viel breiter als heute, hielt sich auf der Ostseite der Schlucht und war von einer hohen Mauer gesäumt, die Reisende und Lamas daran hinderte, unerlaubt die Terrassen zu betreten. Nach einer scharfen Wendung nach Osten erstieg sie dann die Flanke des Tales, indem sie die Terrassen durchschnitt. Ein fünfstündiger Anstieg brachte den Reisenden zum Tampu von Avaspampa, das 2600 Meter hoch liegt. Dort erscheint der schneebedeckte Veronica zum Greifen nahe; das gemässigte Yucaytal ist links zu sehen, und die wärmeren tropischen Gebiete liegen rechts. Nähert man sich dem Panticallapass, so kann man die Strasse noch sehen, ihre schön verlegten Steine noch an Ort und Stelle. Als die VonHagenExpedition hier 1953 vorbeikam, waren noch grosse Abschnitte der Strasse intakt, noch in Gebrauch und stellenweise in überraschend gutem Zustand. Ein Stück weiter kommt das Tampu von Panticalla, das jetzt zwar weitgehend zerfallen ist, aber offenbar einst gross und geräumig war. Im Westen erhebt sich der Gipfel des Cerro de Padre Eterno, dessen ursprünglicher inkaischer Name unbekannt ist.

Hinter dem Tampu wendet sich die Strasse scharf nach links und passiert «die Tür». Das war der strategische Pass, der die Strasse hinunter zur ChuquichacaBrücke sicherte, die den Urubamba überspannte und ihrerseits den Zugang zur letzten Zufluchtsstätte der Inka in Vilcabamba bewachte. Auf ihrem Weg dorthin folgte die alte Strasse dem wild herabstürzenden Lucumayu, indem sie sich auf seinem linken — westlichen — Ufer hielt, da der Fluss auf der anderen Seite viele Nebenflüsse hatte. Um dort eine Strasse anzulegen, hätte man viele Brücken bauen und unterhalten müssen, an Stelle der einen, die tatsächlich benötigt wurde. Diese Brücke war die Chillichaca, deren Widerlager und Türme noch zu sehen sind. Auf ihrem Weg das Tal hinab passierte die AntisuyuStrasse Umasbamba, Huirto und Huayopata und erreichte schliesslich den UrubambaFluss und die berühmte ChuquichacaHängebrücke.

Der VilcabambaFluss, einer der grösseren Nebenflüsse des Urubamba, bewässert einen grossen Teil der niedriggelegenen Montafia hinter, das heisst nordöstlich, dem hohen Granitgipfel von Machu Picchu. Nachdem Manco Capac mit den Resten seines Heeres die ChuquichacaBrücke überschritten und danach ihre Taue durchschnitten hatte, folgte er dem Fluss bis in die Dschungel der VilcabambaProvinz. Das Gebiet des hier errichteten neoinkaischen Staates bildete etwa ein Dreieck und lag zwischen den Flüssen Apurimac, Urubamba und Vilcasmayu. Manco, dem die Spanier, die die Brücke repariert hatten, dicht auf den Fersen waren, folgte einer gut angelegten, gepflasterten Strasse neben dem VilcabambaFluss und zog sich tiefer in den Dschungel zurück in Städte, die dort speziell als sichere Rückzugsorte erbaut worden waren. Durch das ganze Gebiet zogen sich gute gepflasterte Strassen mit Brücken verschiedener Typen, die die vielen Bäche und Flüsse, die den Dschungel durchschneiden, überspannten.

Obwohl der Kern dieses neoinkaischen Staates, der sich ständig durch den Zustrom von Indianern, die vor der Pax Hispanica flohen, vergrösserte, aus dem Gebirge stammte, hatte er auch die loyale Unterstützung durch Völker der yunga, den Stämmen der Anti. Die Chuncho, Piro und Campa hatten schon lange Frieden mit den Inka geschlossen und halfen Manco aktiv bei seinen Bemühungen, in ihren Jagdgebieten ein neues Cuzco zu schaffen. In diesem Zufluchtsgebiet baute Manco seine Verteidigungsstellung aus. Strassen wurden weit in den Dschungel hinein ausgedehnt. Befestigte Stützpunkte in der Montaria gestatteten es den Inka und ihren Verbündeten, die wichtigsten Strassen der Anden ständig zu überfallen. Pferde wurden erbeutet, und Manco lernte zu reiten. Nachschub zwischen Vilcashuamän und den ApurimacBrücken wurde abgefangen, wodurch die Inka Gewehre, Degen, Armbrüste und Rüstungen erhielten. Sie wurden so stark, dass Manco und seine Streitkräfte im Bürgerkrieg auf der Seite des Heeres von Almagro an der Schlacht von Chupas — bei Vilcashuamän — teilnahmen. Als die «Männer aus Chile» geschlagen wurden und die Inka sich wieder in ihre Stützpunkte zurückzogen, baten sieben Spanier, die ihr Leben verwirkt hatten, hier um Asyl, das ihnen gewährt wurde. In den fünf Jahren, die die sieben in NeuCuzco verbrachten, richteten sie Schmieden ein, machten Hufeisen und Degen und reparierten Gewehre. Dazwischen lehrten sie die führenden Inka das Ballspiel und Dame. So erhielt Manco einen guten Einblick in die Strategie der Spanier, was ihm dazu verhalf, seine Guerillataktik zu vervollkommnen. Die Überfälle der Inka wurden zu einer erheblichen Bedrohung der spanischen Verkehrswege, und die Erfolge der Angreifer zogen noch mehr Indianer auf ihre Seite, so dass der anhaltende Widerstand der Inka gegen die spanische Besetzung zu einem gewaltigen Problem für den Vizekönig wurde. Schliesslich wurde jedoch der Widerstand unterdrückt und Tupac Amaru, der letzte ExilInka 1572 enthauptet. Das letzte Stadium der Inkakultur war erstickt, die Standorte der Dörfer und Festungen, die NeuCuzco bildeten und die sehr wenige Weisse überhaupt gesehen haben, gerieten in Vergessenheit. Erst in jüngster Zeit ist ihre genaue Lage und einiges aus ihrer Geschichte entdeckt worden. Victos, eine der letzten Inkahauptstädte, war jedoch von zwei Spaniern besucht worden, von denen einer berichtete, dass «es dort eine grosse Fläche gibt, die mit Steinplatten gepflastert und mit prächtigen Gebäuden bedeckt ist, die kunstvoll aus Stein erbaut sind».

Bis 1909, als der junge YaleProfessor Hiram Bingham sich aufmachte, um die letzte Hauptstadt der Inka zu finden, gab es keinen klaren Hinweis auf ihren Standort. Binghams bedeutende Entdekkungen öffneten den Weg für spätere Forscher und die Erweiterung unseres Wissens über dieses Problem.

Die VonHagenExpedition stiess bei ihrem Versuch, das ganze Strassennetz der Inka aufzunehmen, 1953 weiter in die Montaiia vor als seinerzeit Hiram Bingham. Inkagebäude, von denen manche spanischen Einfluss verrieten, wurden in Puncuyoc entdeckt, desgleichen ein ganzer Komplex von gepflasterten, zweieinhalb Meter breiten Strassen. Allein schon der Umfang dieser Entdeckungen machte es unmöglich, alle Strassen im Detail aufzunehmen, so dass dieses Vorhaben zugunsten einer Gesamtübersicht des inkaischen Strassensystems aufgegeben werden musste. Aber alles deutete darauf hin, dass Vilcabamba immer noch «dort draussen» war. Im Sommer 1964 machte ein junger amerikanischer Archäologe, der lange in Peru tätig war, eine weite und gefährliche Reise in das VilcabambaGebiet und entdeckte dort sechzehn verschiedene Inkagemeinden. Er fand Wohnungen, die zumeist aus Granit erbaut waren, Springbrunnen und terrassierte Gärten, glasierte Töpferwaren und Hufeisen. Ein starker spanischer Einfluss war bei diesen Funden festzustellen.

1909 war dies alles jedoch noch nicht bekannt. Das reizte Hiram Bingham und veranlasste ihn, sich auf die Suche nach Manco Capacs «NeuCuzco» zu machen. Zuerst wurde sein äusseres Bollwerk entdeckt, und dann hörte Hiram Bingham, als er seine Forschungen fortsetzte, von der geheimnisvollen Stadt hoch auf den Granitklippen über dem Urubamba.

Diese Stadt war Machu Picchu, siebzig Kilometer westlich von Vilcabamba 600 Meter über den tobenden Wassern des Urubamba in schwindelnder Höhe gelegen. Sie stand nicht in unmittelbarer Beziehung zu dem Zentrum des letzten inkaischen Widerstandes, und es gab keinen direkten Verbindungsweg dorthin. Sie war keine Zitadelle und bestimmt keine Festung, obwohl sie Verteidigungsanlagen hatte. Die Spanier haben sie nie gesehen, und kein spanischer Chronist erwähnt sie. Dass sie der einheimischen Bevölkerung bekannt war, geht aus Karten hervor, die Charles Wiener 1875 gezeichnet hat.

1911 machten Hiram Bingham und sein Spezialistenteam den Anstieg von 600 Metern durch das dichte Unterholz nach Machu Picchu. Wie sie den Wald, der die Ruinen verbarg, fällten, tauchte langsam vor ihren Augen eine Stadt mit Wohnungen, Palästen, Plätzen und Springbrunnen auf; nach und nach wurden diese dem grünen Chaos von Vegetation entrissen, das sie 5oo Jahre lang bedeckt und bewahrt hatte. Es ist der Traum fast jedes Archäologen, dass er eines Tages in der lautlosen Verborgenheit eines Urwaldes eine Ruine finden wird, eine Stadt, eine Stätte, von der niemand auch nur etwas geahnt hatte, und dieses grosse Glück hatte Hiram Bingham.

Die Lage der Stadt war verwegen. Tief unten machte der Urubamba eine hufeisenförmige Windung, die Machu Picchu auf drei Seiten abschloss. Wo immer es möglich war, waren die jähen Abhänge terrassiert. Mit der Zeit schien es, als sei diese eindrucksvolle Stätte von denen, die sie bewohnt hatten, verlassen worden, aber die Forschungsarbeit ging jahrelang weiter, und in ihrem Kielwasser schwamm ein Strom von Publikationen mit den gewissenhaftesten und gründlichsten Berichten, die je auf dem Gebiet der peruanischen Archäologie hervorgebracht wurden. Machu Picchus Entdecker merkten jedoch bald, dass die Stadt nicht einmalig war, ausser hinsichtlich der Vollendung ihres Mauerwerks und ihrer aussergewöhnlich eindrucksvollen geographischen Lage, denn hinter dem Stadttor stiessen sie auf eine schön angelegte Steinstrasse, die nach Süden führte und Machu Picchu mit einer Kette anderer Stätten verband, die in Abständen von 8 bis 16 Kilometer an dieser Strasse lagen. Es ist ganz klar, dass nur ein Volk, das das ganze Gebiet kontrollierte und die Bevölkerung unbestritten beherrschte, einen solchen Komplex erbauen und unterhalten konnte.

 

 

 


Machu Pichhu in einem Sattel zwischen zwei Berggipfeln, 65o Meter über den Stromschnellen des UrubambaFlusses. Die Stadt ist zum grossen Teil befestigt. I Tor zur Stadt; 2 Anbauterrassen; 3 Treppe der Springbrunnen, die die Stadt mit dem Wasser versorgte, das durch einen Aquädukt aus einer Entfernung von eineinhalb Kilometern herangebracht wurde} Wohnbezirk der Familienklans; 5 Der heilige Platz und der Tempel der Drei Fenster; 6 Intiahautana, «Halteplatz der Sonne»; 7 Die nördlichen Terrassen und die Strasse nach Huayna Picchu; 8 Der halbkreisförmige Tempel, der Palast der Nustas ; 9 Haus der Klans; To Eine KlanAbteilung der «Drei Türen»; I I Königliches Mausoleum; 12 Platz der Treppen und die Friedhöfe. (Gezeichnet nach Hiram Binghams «Lost City of the Incas», New York 1951.)

 

Nach der Fläche ausnutzbaren Bodens, den die Anbauterrassen ergaben, zu urteilen und auch nach der Menge an Nahrungsmitteln, die erzeugt werden konnte, scheint es sicher, dass Machu Picchu nur eine geringe Bevölkerung, wahrscheinlich weniger als fünfhundert Menschen ernähren konnte. Das Wasser wurde in einem offenen Aquädukt herangebracht; die sorgfältig angelegten steinernen Wasserleitungen kann man von oberhalb der Stadt noch sehen. Wenn diese Versorgung aussetzte, wie es auf der Höhe der trockenen Jahreszeit manchmal der Fall gewesen sein musste, konnte man sich Wasser nur aus dem 75o Meter tiefer gelegenen Fluss beschaffen.

Was war also Machu Picchu? Für Hiram Bingham war es der letzte Zufluchtsort der Inka, aber gleichzeitig auch der erste — denn er sah in ihm das «UrsprungsTampu», von dem die Inka nach der grossen Flut ausgegangen waren. In Wirklichkeit ist aber Machu Picchu spätinkaisch, wie aus der schönen Töpferware hervorgeht, die in der Stätte ausgegraben wurde, in der nichts Älteres zutage kam. Ausserdem war es nicht einmalig, sondern nur ein Teil eines Schwarms von kleinen Gemeinden, die hoch über der Schlucht des Urubamba erbaut worden waren. Eine Querstrasse der AntisuyuRoute verband sie alle miteinander und auch mit Cuzco.

Zwischen Cuzco und diesem Gebiet ist eine hohe, wellige Puna, die zu einem grossen Teil landwirtschaftlich genutzt wird. Diese reicht bis zum Pampapaccahuana, einem von den Gletschern gespeisten Fluss, der kurz unter der grossen Festung 011antaytambo in den Urubamba mündet. Nördlich davon liegen Machu Picchu und die mit ihm verbundenen Siedlungen, zu denen eine fünfzig Kilometer lange Strasse führt.

Die Route von Cuzco nach Machu Picchu verlief entlang des Chinchasuyu, der nördlichen Route, bis zu den Sümpfen von Anta. Dahinter wandte sich die Strasse nach Norden bis Huaracondo —fünfundzwanzig Kilometer nordöstlich von Cuzco —, wo es noch Reste einer Inkabrücke und einer Strasse gibt. Nach einer Wendung nach Westen verlief die Strasse parallel zu der AntisuyuHauptstrasse entlang des Urubamba durch Incasamana und Pauccarcancha, wo sie den Pampapaccahuana überschritt. Danach war die Strasse so angelegt, dass sie an der Flanke der Urubambaschlucht 700 Meter hoch über dem Fluss weiterging.

Das erste bisher bekannt gewordene Dorf in der Kette der Siedlungen, zu der Machu Picchu gehörte, ist Runca Raccay, eine Anzahl dicht gedrängter Häuser mit einem kleinen Platz und ein paar Anbauterrassen; hier können nicht einmal fünfzig Personen gewohnt haben. Etwa zwanzig Kilometer weiter kommt in einer Höhe von 3 800 Meter Sayac Marca, eine Gruype von fünf cancha mit zwei Bädern und einem kleinen Platz. Die Bewohner nährten sich von den Nahrungsmitteln, die auf den Anbauterrassen wuchsen oder die sie sich durch Tauschhandel mit anderen Siedlungen des Gebiets verschafften.

Auf ihrem Weg durch einen dichten Wald wird die Strasse durch eine ohne Zement in den Felsen hinein gebaute Stützmauer gehalten. Diesen Fels hatte man abgehauen, um Platz für die Grundsteine der Mauer zu schaffen. Dann passierte die Strasse auf halbem Wege zwischen Sayac Marca und der nächsten «hängenden Stadt», zehn Kilometer weiter, einen Stollen. Hier wurde den Strassenbauern der Weg durch ein freiliegendes Granitvorkommen versperrt, das glatt und steil war und keine natürliche Unterlage für die zwei Meter breite Strasse bot; sie hatten daher keine andere Wahl, als einen Tunnel von 16 Meter Länge durch den Fels zu treiben. In der hinteren Hälfte des Tunnels machten sie Steinstufen, damit die Strasse an beiden Ausgängen eben wurde. Das erstaunlichste Merkmal der Strasse entlang des oberen Randes der Urubambaschlucht ist, dass sie trotz der Ungleichmässigkeit des Terrains fast durchweg horizontal ist; nur gelegentlich gibt es eine leichte Steigung.

Von einem Ende zum anderen ist die Strasse mit Granit gepflastert, der an Ort und Stelle gebrochen und, wie alles Mauerwerk, ohne Zement verlegt wurde. Die Grundsteine der Stützmauern — die oft acht Meter hoch sind — sind in Vertiefungen verlegt, die aus dem Granit ausgehauen wurden. Gelegentlich gibt es ein kleines Tampu zwischen den Siedlungen, aber solche Haltestationen können selten nötig gewesen sein, da die Entfernungen zwischen den Dörfern durchschnittlich nur fünfzehn Kilometer betragen. Diese Dörfer bilden eine Kette entlang der Urubambaschlucht: nach Sayac Marca passiert die Strasse Phuyo Pata Marka, Wiriay Wayna, Inti Pata und Choquessuysoy und endet schliesslich in Machu Picchu, wo es kein Weiterkommen mehr gibt.

Wieso ist so viel menschliche Kraft aufgewendet worden, um diese Strasse zu bauen? Die Hunderte — Tausende —, die mit dem Bau der Anbauterrassen und des Strassennetzes beschäftigt waren, schufen nur ganz wenig und kaum benötigtes landwirtschaftlich nutzbares Land. Die Gesamtbevölkerung dieser so exponiert angelegten Siedlungen konnte tausend nicht überstiegen haben. Das Gebiet war strategisch ohne Bedeutung, denn kein Feind hätte es wagen können, durch diesen dichten und schwierigen Urwald vorzurücken. Waren diese grossartigen und kühnen Strassen wirklich nötig? Ist es vielleicht so, wie ein spanischer Chronist vermutete, dass die Inkakaste glaubte, Müssiggang führe zum Niedergang eines Volkes, und dass sie, um die Bevölkerung diszipliniert und aktiv zu erhalten, solche gigantischen Arbeitsbeschaffungsprogramme erdachte, ganz ohne Rücksicht darauf, ob sie schliesslich einen Nutzen hatten?

Es ist nicht leicht, eine andere Erklärung für die Strasse, die Terrassen und die Dörfer auf dem Weg nach Machu Picchu zu finden.

 

 

Die Königspassage von Vilcanota

Im Sommer 1549 rüstete sich Pedro de Cieza, um Cuzco zu verlassen und nach Süden zu reisen. Zuerst musste er aber in Rimacpampa —dem «Sprechenden Platz», der so hiess, weil dort Proklamationen erlassen wurden, haltmachen. Rimacpampa, der sechste Bezirk von Cuzco, war der Ausgangspunkt der grossen Strasse nach Süden zum Titicacasee und darüber hinaus und auch ein bewachter Kontrollpunkt, den jeder Reiseverkehr in dieser Richtung zu passieren hatte. Die hier beginnende Strasse wurde 1452 auf Befehl von Topa Inka angefangen und erstreckte sich 35oo Kilometer weit nach Süden bis hinein nach Chile.

Nach den Schlachten von 1548, die der Revolte von Gonzalo Pizarro ein Ende setzten, war Pedro de Cieza, wie schon oben erwähnt, von Bischof und Präsident La Gasca zum Ersten Historiker der Indien ernannt worden. Er wurde mit Briefen ausgestattet, die alle Beamten anwiesen, ihm jede gewünschte Hilfe bei der Niederschrift seiner Historien zu gewähren.

Jetzt brauchte Cieza nicht mehr zu Fuss zu gehen, während sein Pferd die Manuskripte trug, und wie früher 3o Peso für ein Blatt Papier zu bezahlen. Ausser seinem eigenen Reittier hatte er ein Packpferd für seine Papiere, und ein Diener wartete ihm auf. Andere Soldaten jedoch, die für La Gasca gekämpft hatten, erhielten Titel, Ländereien und Zuteilungen von Indianern — meistens auf Kosten derjenigen, die ihre Rechte verwirkt hatten, weil sie auf der Seite des Verlierers waren; aber wie Cieza selbst sagt und was durch Berichte bestätigt wird, erhielt er wenig mehr als diesen Titel.

Diese riesige dritte Provinz des Inkareiches, das Collasuyu, hatte ihren Namen vom Stamm der Colla, die rund um den Titicacasee wohnten. Sie erstreckte sich weit nach Süden und umfasste das südliche Peru, ganz Bolivien, die Montaria bis hinunter zum Dschungel, einen Teil des paraguayischen Chaco, das andine Gebiet Argentiniens — wo Tucumän, eine grosse, moderne Stadt liegt, deren Name aus dem Ketschua stammt — und ganz Chile bis zum fünfunddreissigsten Breitengrad, ein Gebiet mit einer unfruchtbaren Küste und den höchsten Bergen von Südamerika. Südlich dieses Gebiets trafen die Inka auf heftigen Widerstand der araukanischen Stämme und stiessen daher nicht mehr weiter vor.

Auf seinem Weg nach Süden schlug Cieza «diese Strasse, die von Cuzco nach Chuquiapu [dem modernen La Paz] in Bolivien führt», ein. Gleich hinter Cuzco vereinigen sich die beiden Flüsse, die durch die Stadt fliessen, zum HautenayFluss, und das Land steht fast unter Wasser. Die Strasse war deshalb gepflastert, mit Mauern versehen und terrassiert, und farnähnliche MolleBäume säumten sie auf beiden Seiten. Wenige Kilometer ausserhalb von Cuzco passierte der Reisende Surihaulla — «Straussenfeld» —, wo die Inka einst die dreizehige Rhea, den südamerikanischen Vogel Strauss, wegen seiner Federn züchteten und hielten.

Dann kamen die Salzgruben — Cachimayu —, die die Spanier Las Salinas nannten. Zu der Zeit, als Cieza auf seinem Weg nach Süden hier vorbeikam, war der Ort noch frisch im Gedächtnis der Spanier, da hier am 26. April 1538 die grausame Schlacht zwischen den Heeren von Pizarro und Almagro ausgefochten wurde. über diesen Kampf hat Cieza eine seiner geschrieben, obwohl er sagt, «dass er lieber den Bericht über diese Schlacht vermeiden und sie in der Vergessenheit begraben lassen würde. Ich möchte wirklich am liebsten still sein über diesen bösen Streit; aber von ihm gingen ja alle übel aus, die dieses Land belasten.» Cieza sammelte von den überlebenden alle einschlägigen Informationen über diesen Bürgerkrieg zwischen Spaniern, die um den immer noch reichen Leichnam des Inkareiches kämpften, und berichtete, «wie die Indianer sich auf den Bergen und Hügeln drängten, und sich nicht den Sieg der einen oder anderen Seite wünschten, sondern nur, dass möglichst alle dabei umkamen.» Die Schlacht von Las Salinas endete mit dem Justiz mord an Almagro durch Hernando Pizarro, der dafür 22 Jahre lang im Gefängnis La Mota in Medina del Campo eingekerkert wurde.

Drei Kilometer weiter kam der Reisende nach Oma — jetzt San Geronimo — und zu den «Engen», wo die Salzsümpfe und ein Felsmassiv der Anden die Breite der Strasse einschränkten. Dieser Ort war lange ein Zankapfel zwischen dem Stamm, der ursprünglich dort sass, und den vordringenden Inka, die ihn beherrschen mussten, wenn sie sich nach Süden in das Gebiet der Colla ausdehnen wollten. Nachdem die Inka ihn erobert hatten, legten ihre Ingenieure die Strasse über den Felsen — der so hoch ist wie der von Gibraltar —, um die Sümpfe und den nahegelegenen See zu umgehen, die in der Regenzeit oft zu Überschwemmungen führten. Auf der höchsten Stelle des Felsens bauten sie eine grosse Gemeinde namens Tipon.

Cieza notierte, dass man, «wenn man Cuzco verlässt, über die Königsstrasse zur Enge von Mohina geht, wobei die Wohnungen von Quispicanchis links der Strasse bleiben, die hier ein breiter Damm ist. In Mohina gab es grosse Gebäude, die aber jetzt alle in Ruinen liegen.» Das kam daher, dass das Tampu infolge der Wirren des Bürgerkriegs niedergebrannt wurde.

1867 stellte Squier, der von Süden her an diesen Platz kam, fest, «dass er auf eine gut planierte Strasse gestossen sei, die zu der grossen Stadt Muhyna [Mohina] führte»; die Ruinen hier beeindruckten ihn als eine der ältesten in Peru. Noch später, im Jahre 1912, nahm Hiram Bingham dieselben Ruinen auf und kam zu der Auffassung, dass «das ganze Tal zu einer systematischen archäologischen Ausgrabung einlade».

Diese ist immer noch nicht durchgeführt worden. Aber 1931 flog Robert Shippee mit Leutnant Johnson als Kameramann über das Gebiet und brachte eine Reihe prachtvoller Luftaufnahmen des ganzen Hautenaytales mit. Die Kameralinse hatte eingefangen, was allen anderen entgangen war: einen grossen archäologischen Komplex gerade hinter der Stelle, wo die Strasse den Fluss überschritt.

1953 folgte die VonHagenExpedition, indem sie die Luftaufnahmen als Führer benutzte, der Inkastrasse von Mohina in das Tal hinunter und fand die Stelle, wo die Strasse den schmalen, aber tiefen Fluss überquert hatte. Von hier ging die Strasse zwischen gewaltigen, hohen Mauern nach Piquillacta — «Flohstadt» —, einem der grössten Speicherzentren im ganzen Inkareich, weiter. Auf einem verhältnismässig ebenen Gelände verstreut findet man hier die Überreste von über 30o verfallenen Lagerhäusern, von denen viele einst mit Stroh bedeckt waren. Das Gebiet war übersichtlich angelegt, und die Königsstrasse, die breit, gepflastert und mit Mauern versehen war, verlief über den Hauptplatz. Unmittelbar vor Piquillacta liegt Lucre, und zwischen dem Ufer dieses Sees und dem Kamm der Hügel über ihm hatten die Ingenieure der Inka Terrassen angelegt, um in dem geschützten Gebiet neues Land zu gewinnen.

 

 

 


Die CollasuyuStrasse von Cuzco zum Titicacasee.

 

Merkwürdigerweise erwähnt Pedro de Cieza, der doch «überallhin Abstecher machte», dieses gewaltige Speicherzentrum nicht, und auch andere Quellen schweigen sich darüber aus. Aber wenn auch niemand von Piquillacta sprach, so berichtete doch jedermann über das Tor von Rumi Colca. Cieza bemerkte, dass es dort «eine grosse und sehr starke Mauer gibt. In dieser Mauer ist ein breites Tor, in welchem Wachtposten stationiert sind, um Tribut und Zölle zu erheben, und ausserdem nahmen sie jeden fest, der versuchte, Gold oder andere Wertgegenstände aus Cuzco fortzunehmen. Hier fand man auch ihre Steinbrüche.» Zwei Strassen — die eine kam vom Ufer des Sees her, die andere von den Lagerschuppen — trafen sich am Tor. Es war zweifellos ein Zolltor — ein Kontrollpunkt. Cieza bezeichnete die sechs Meter breite Strasse als «sehr gross und breit». Squier, der von allem die ersten genauen Messungen machen wollte, schrieb, dass die Mauer quer durch das Tal 230 Meter lang, zehn Meter breit und an ihrer Basis elf Meter dick war. Auch er hielt das Tor für ein Zolltor, da neben ihm Überreste einer Kaserne waren, während sich darüber — von unten kaum wahrnehmbar, aber ganz deutlich sichtbar in den Luftaufnahmen — ein grosses Bauwerk, eine Haltestation befand.

Beim Tor, 3 5 Kilometer von Cuzco entfernt, waren die Steinbrüche von Rumi Colca, aus denen die Inka grosse Blöcke aus bräunlichem Andesit holten. Aus diesen stellten sie die Quadersteine her, mit denen sie die massiven Mauern von Cuzco bauten.

Die Königsstrasse setzte sich dann fort zum Urcossee, einem kleinen, runden, tiefen See, der wie der alte Krater eines Vulkans aussieht; sein Wasser, das den Himmel widerspiegelt, ist leuchtend blau. Hier war ein Tampu, und alle stimmen darin überein, dass es ein wichtiges war. Die offizielle Liste der Tampu nennt es das Tampu de Urcos und führt die Namen derjenigen auf, zu deren Lehen es gehörte.


Die Aimara, hier spielen einige ihrer Nachfahren das traditionelle Musikinstrument des Stammes, die Flöte, gehörten einst zu den grossen indianischen Kulturvölkern Boliviens und Perus. Von ihrer kulturellen Blüte, die bereits in der VorInkazeit lag, zeugen heute noch die Ruinen von Tiahuanaco und Sillustani.



Eine der technischen Meisterleistungen der inkaischen Ingenieure war die Aroya, ein Korb an einem Seilzug, um Flüsse und Gebirgsschluchten zu überwinden. Das technische Prinzip, das sich hinter dieser Konstruktion verbirgt, ist selbst nach heutigen Massstäben noch nicht veraltet. De Brys Zeichnung einer solchen Anlage aus dem 16. Jahrhundert. Unten: Heutige Aroya bei Ayaviri im Norden des Titicacasees.

 

 


Boote aus Riedgras, einem Wasserschilf, das im Titicacasee wächst. George Squiers Zeichnung einer Pontonbrücke aus Riedgrasbooten über den Desaguadero. Vom Verfasser durchgeführte Rekonstruktion einer Pontonbrücke an derselben Stelle des Desaguadero.

 


Riedgrasboote, wie sie schon in der vorinkaischen Zeit gebaut und zum Fischfang und Transport benutzt wurden, auf dem Titicacasee. Mit diesen zerbrechlich anmutenden Booten befuhren die Inka den mit 8300 km' grössten Hochlandsee der Erde.

 



Beide Zeichnungen stammen von dem berühmten französischen Paläontologen Charles d'Orbigny, der von 182434 Südamerika bereiste. Das 1830 entstandene Bild zeigt ChuquisacaIndianer in ihrer typischen Tracht. Das dichte Nebeneinanderexistieren von hochentwickelten indianischen Kulturvölkern in bestimmten Teilen Südamerikas lässt sich heute noch an den historischen Ruinen ablesen, die aus den verschiedensten Architekturtraditionen abstammen. Die hier gezeigten Häuser mit Runddächern sind bezeichnend für die Aimara, ein einst hochentwickeltes Kulturvolk, deren Nachfahren heute südlich des Titicacasees in Chile und Bolivien leben.

 

Der Urcossee war auch berühmt wegen Huascars goldener Kette, von der das Gerücht ging, sie sei in den See geworfen worden, um sie vor den Konquistadoren zu retten. Sie war zur Feier der Geburt von Huascar, des unglücklichen Sohnes von Huayna Capac angefertigt worden. Zwar hatte sie kein Spanier je gesehen, aber die Indianer erzählten ihnen, dass «jedes ihrer goldenen Glieder so gross wäre wie die Faust eines Mannes und die ganze Kette so schwer, dass es sogar 200 Indianern schwergefallen wäre, sie zu tragen». Die Geschichte von der Kette wurde uns von Garcilaso de la Vega überliefert, dem ersten als Einheimischer geborenen Literaten, der im gleichen Jahr starb wie Cervantes und Shakespeare —1616. Man nimmt an, dass die Kette in Wirklichkeit eine dicke Trosse war, ähnlich wie die Seiltaue, die für Hängebrücken verwendet wurden, und dass sie mit Blattgold plattiert war und rote Quasten an den Enden hatte. Sie wurde bei einem Tanz verwendet, an dem nur Männer teilnahmen. Huascars Name — sein Geburtsname war Inti Cusi, Huascar war sein Herrschername — bedeutet «Seil», ein Hinweis auf die sogenannte Kette. In Ciezas Zeiten hatten die Spanier bereits Pläne gemacht, um den See zu entwässern, damit sie die Kette fänden; aber sie blieb bis zum heutigen Tag unentdeckt.

 

 


Rekonstruktion der königlichen Lagerhäuser in Chala im heutigen Peru, wo getrockneter Fisch, Seetang und Schalentiere vor dem Transport ins Landesinnere, nach Cuzco, gelagert wurden.  Der Autor auf einer der Küstenstrassen, nördlich von Chala, über die die Nahrungsmitteltransporte aus den Küstenregionen


 

 

 

Cahuamarca (Ansichtsstadt), wo die Strasse ins Gebirge führt, um die unpassierbare Küstenwüste zu umgehen. Unten: Schmaler Meeresarm bei Chala, Peru, an dem die zum inkaischen Imperium gehörenden Küstenbewohner Seetang ernteten.

 


Stier von Pucarä, ein Keramikstier, der auf Hausdächer gesetzt wurde, um böse Geister abzuwehren

 

Hinter Urcos stieg die Königsstrasse das Vilcanotatal hinauf. Dieser Fluss mit den drei Namen — Vilcanota, Yucay und, wo er unterhalb von Machu Picchu vorbeifliesst, Urubamba — hat sich hier ein breites Tal gegraben, von dessen hochragenden Flanken rauschende Bergbäche herabstürzen, die den Fluss speisen und verbreitern. Im Osten erhebt sich der Ausangate mit seinen vielen Gletschern und dem schneebedeckten Gipfel, der eine Höhe von 6200 Meter erreicht. Der Talgrund, der nur langsam ansteigt, ist hier fast 3000 Meter über Meereshöhe, was in den Anden heisse Tage und kalte Nächte bedeutet. Die ganze Länge des Vilcanotatals von hier bis zu dem hohen Pass von La Raya, 200 Kilometer weiter südlich, ist ein weiter Streifen von Nutzpflanzen: Quastenmais — sara —, purpurn blühende Kartoffeln — moraya — und Weizen, der schon kurz nach der Eroberung eingeführt worden war.

Urcos war auch eine Strassenkreuzung: die südwestliche Strasse nach Arequipa, das damals von geringer Bedeutung war, aber heute die zweitgrösste Stadt von Peru ist, begann hier. Diese Route war über 600 Kilometer lang, und das Gebiet, durch das sie führte, war so zerklüftet und dünn besiedelt, dass auch die Inka sie selten benutzten. Sie wird hier nur erwähnt, weil sie beweist, dass nicht einmal dieses ausgedehnte, öde Gebiet mit all den gewaltigen Problemen, die es dem Ingenieur stellte, die Inka davon abhielt, eine Strasse hindurch anzulegen, um ihre Verbindungswege zu verbessern.

Kurz vor dem nächsten Tampu, in Quiquijahna, überbrückte die Strasse zum erstenmal den Vilcanota. Das Dorf Quiquijahna war auf beiden Seiten des Flusses erbaut worden, und die Bewohner des rechten Ufers waren dafür verantwortlich, dass die Brücke in gutem Zustand war.

Die meisten Reisenden auf der Königsstrasse erwähnten die Brükke, und sie wurde bis 1877 benutzt; danach wurde sie durch eine moderne Brücke mit drei Bögen ersetzt. Huamän Poma bestätigte, dass sie ursprünglich eine SeilHängebrücke war.

Quiquijahna war hauptsächlich vom Stamm der Cavina bewohnt, «bei dem es Brauch ist, grosse Ohrpflöcke zu tragen. Die Cavina kleiden sich in wollene Ponchos und schlingen ein schwarzes Stirnband um den Kopf. Ihre Stadt Quiquijahna — «Kristallhaus» — hat am Rand der Berge schöne Steinhäuser.»

«In alten Zeiten verehrten sie einen Tempel namens Ausangate», die höchste Spitze in den Bergen der Umgebung, die sogar von Cuzco aus zu sehen ist. Quiquijahna war in Inkazeiten auch bekannt als «Ziel der Läufer, die während der Augustfeste von Coyarayni einen Wettlauf dorthin machten und im Wasser des Flusses bei diesem Dorf badeten».

Der nächste Halt auf der Königsstrasse war Cusipata, eines jener Tampu, die in einer unbewohnten Gegend gebaut worden waren. Cusipata — «Angenehme Gegend» — verdiente seinen Namen, denn es lag im Tal des Flusses in 3000 Meter Höhe, und die Umgebung war intensiv bebaut. Hier sind lange Strecken der Königsstrasse, viereinhalb Meter breit, gesäumt von Steinmauern und dort gepflastert, wo sie durch ein Sumpfgebiet geht, noch deutlich zu sehen und an manchen Stellen sehr gut erhalten. Die alte Strasse verläuft parallel zu der modernen Erdstrasse durch das Gebiet, manchmal ganz nahe. Kurz bevor das moderne Dorf Cusipata erreicht wird, sieht man die Reste des kleinen Tampu, das hier erbaut wurde.

Als nächstes nach diesem Tampu, auf halbem Wege zwischen zwei wichtigen Haltestationen, war ein topo an der Steinmauer auf einer Seite der Strasse. Wie schon erwähnt, wurden die topo verwendet, um Entfernungen zu messen; sie standen siebeneinhalb Kilometer oder, wie ein Chronist berichtet, 6000 Schritt voneinander entfernt. Da bei den Inka wie bei den Spaniern Entfernungen nach dem praktischen Schritt berechnet wurden, ergibt das für den Inkaschritt etwas mehr als einen Meter; und die Standardbreite von sieben Metern, die eingehalten wurde, wo die Umstände es erlaubten wie meistens auf der Küstenstrasse, war gleichbedeutend mit sechs Schritt.

Im weiteren Verlauf, in Combapata, einem königlichen Tampu, das in Huamän Pomas Reisebeschreibung durch das Symbol eines Hauses gekennzeichnet ist, war die Königsstrasse auf den unteren Abhängen des Gebirges angelegt. Combapata war auch wichtig als Dorf, denn es beschützte eine Hängebrücke über den Fluss und hatte eine Verbindung mit der Strasse von Urcos nach Arequipa.

Das ganze Gebiet und seine Bevölkerung gehörte zu der Zuteilung — repartimiento — des berühmten Alonso de Mesa. Mesa hatte als Anteil an Atahualpas Lösegeld 135 Mark Silber und 333o Peso Gold bekommen und hatte in den Schlachten des Jahres 1534 gekämpft. In diesen «schlug er sich hervorragend, denn er war jung und kräftig und hatte ein gutes Pferd und schöne Waffen». Mit seinem Reichtum verschaffte er sich einen ganzen Harem von inkaischen palla. Er nahm an der Verteidigung von Cuzco während der Belagerung durch Manco Capac teil und war 1572 als alter Konquistador «Berater» der jüngeren Spanier, die gegen den neoinkaischen Staat in Vilcabamba kämpften.

Als Cieza zum grossen Tempel von Viracocha kam, stellte er fest, dass er im Gebiet eines anderen Stammes, der Cana, lag. «Sie tragen Ponchos wie die anderen und auf dem Kopf grosse runde hohe Mützen. In dem Dorf Cacha gibt es grosse Gebäude, die zum Gedenken ihres Gottes Viracocha erbaut sind.»

Kurz vor dem Tempel führt die von Mauern gesäumte Strasse durch ein Gebiet, das mit der Lava aus dem Vulkan Haratch bedeckt ist. Die Lavabrocken, die aussehen wie Kohle, die gerade aus dem Ofen kommt, sind in wildem Durcheinander aufgehäuft.

Aus diesem Rückstand höllischen Feuers fliesst ein Bach, den die Ingenieure der Inka mit schön verlegten Steinen stauten und dessen Wasser sie in verschiedene Leitungen verteilten, mit denen sie Anbauterrassen, die zwischen den Lavahügeln angelegt waren, bewässerten. Das restliche Wasser lief in einen künstlichen Teich, hinter dem der Tempel von Viracocha steht.

Squier, der 1867 hier vorbeikam, bemerkte, dass der Tempel in einem für Peru einzigartigen Stil erbaut war und nahm sein Geometergerät und das Messband zur Hand, um einen Grundriss des Tempels anzufertigen. Er stellte fest, dass die mittlere Mauer knapp zehn Meter lang und zwölf Meter hoch war und eine Basis aus schön bearbeiteten zweieinhalb Meter hohen Steinen hatte, die die bei den Inka üblichen Nischen aufwies; die übrige Mauer bestand aus Adobe — Lehmziegeln. An verschiedenen Stellen sind noch die Überreste von hölzernen Balken in die Mauern eingebettet, und es stehen auch noch mehrere gewaltige kreisrunde Säulen mit zwei Meter Durchmesser.

Diese je zwölf Säulen auf beiden Seiten der mittleren Mauer liessen Squier richtig vermuten, dass sie Balken getragen hatten, die auf der Mauer auflagen. Das Dach war grasgedeckt. Alle öffentlichen Gebäude dieser Art wurden von einer zentralen Organisation unter der Leitung von Berufsarchitekten und Maurermeistern erbaut, die von der Mita ausgenommen und voll damit beschäftigt waren, öffentliche Bauwerke, Dämme, Brücken, Strassen und Terrassen zu planen und zu entwerfen. Da die Inka Papier und dessen Ersatzmaterialien nicht kannten, fertigten die Architekten Modelle an, von denen einige noch vorhanden sind.

Garcilaso de la Vega sah, wie der Tempel von Viracocha zerstört wurde: «Die Spanier zerstörten ihn, obwohl er einzig in seiner Art war. Sie hätten ihn erhalten sollen und auf ihre Kosten alle diese wunderbaren Dinge bewahren müssen, die Zeugnis für die Grösse des Reiches, dessen Eroberung ihnen gelang, hätten ablegen können.» Garcilaso behauptete, dass sie das ganze Bauwerk zerstörten, aber wie man noch sehen kann, vernichteten sie es doch nicht gänzlich. Manche der Gebäude, die es umgeben, sind noch gut genug erhalten, dass ein kenntnisreicher Architekt und Archäologe sie rekonstruieren kann.

Die Sprache änderte sich in dieser Gegend, wie alle Reisenden auf der Königsstrasse bemerkten. Es wurde nun Aimara gesprochen, was auch der Name der führenden Stämme der Gegend ist. Jahrhundertelang hatten diese Stämme den imperialistischen Plänen der Inka widerstanden, wobei der Stamm der Colla, nach dem die ganze dritte Provinz des Reiches — Collasuyu — benannt wurde, das erste Hindernis war, das die Eindringlinge auf ihrem Weg nach Süden überwinden mussten. Nach 143o unternahm jedoch Pachacutic einen Feldzug, um alle Stämme am Titicacasee zu unterwerfen, und einer nach dem anderen wurde dem Reich eingegliedert.

Die erste aimarasprechende Siedlung, auf die der Reisende auf seinem Weg über die Königsstrasse stiess, war Sicuani, wo es ein Tampu gab. Huamän Poma gibt den vielleicht korrekteren Namen Ciquyani an und führt es als königliches Tampu auf. Die Stadt liegt in einer Schlucht.

Das Vilcanotatal verengt sich nun hier; die Nacht bricht früher herein, und die nächtliche Kälte ist schärfer als weiter unten im Tal. «Sie haben», sagte Cieza, «viele Lamaherden; Vicutias und ebenfalls wilde Guanakos durchstreifen die höhern Berghänge. Es gibt viel Mais und Weizen und eine Menge Rebhühner und Kondore. Sie fangen auch zahlreiche Fische in den Flüssen.» über den schmaler gewordenen Fluss war hier eine Brücke erbaut worden, um eine Verbindung mit der Strasse nach Arequipa herzustellen.

Auf den nächsten dreiunddreissig Kilometern steigt die Strasse an, bis sie bei La Raya eine Höhe von 4300 Meter erreicht. Hier ist die grosse kontinentale Wasserscheide. Der Wind ist hier ausserordentlich kalt, und Squier erinnert sich, dass er, als er sich dem engen Pass näherte, «einen eisigen Fluss, erstarrt in treibendem Schnee und Eiskristallen, die zwischen den Felsen tanzten, sah». Einst gab es auch einen Sonnentempel — Huil canota auf Aimara, daher der Name Vilcanota.

Beim Pass sind noch Überreste einer Steinmauer vorhanden. Sie sieht mehr wie eine Grenzlinie als wie eine Verteidigungsmauer aus, aber gerade als eine solche beschreibt sie ein Chronist, indem er sagt, ihr Zweck wäre, «die Inka daran zu hindern, die Colla zu besiegen, und die Colla, auf inkaisches Gebiet vorzudringen». Ganz in der Nähe sind Reste einer Wachstation, wo Zölle erhoben und das Kommen und Gehen der Leute kontrolliert wurden; denn die Indianer hatten wenig Wünsche, und die herrschenden Inka wussten es einzurichten, dass das auch so blieb.

Im gleichen Gebiet gibt es einen eisigen See, der von den Ruinen mehrerer grosser inkaischer Tampu umgeben ist. Trotz der beissenden Kälte machte Squier «einen Grundriss von einem dieser Tampu —unter dessen zerfallenden Mauern wir Schutz gegen die Nacht fanden». Dieses Tampu, sagte er, «kann man als Prototyp dieser Art von Gebäuden ansehen, obwohl keine zwei ganz gleich sind». Das Gebäude war fünfundfünfzig Meter lang und in drei je achtzehn Meter lange Räume geteilt. Die Mauern standen direkt am Ufer des Sees. Es gab grosse Höfe für Lamas, ähnlich denen, in die die Kamele nachts in den Karawansereien in ganz Asien zusammengetrieben werden. Zwei Flüsse entströmen dem See: der nach Norden fliessende wird der Vilcanota, dessen Lauf bereits beschrieben wurde; der nach Süden fliessende der Pucarä, der später in den Titicacasee mündet.

Die Ordenanzas de Tambos— 1543 — bezeichnen dieses Gebiet als «despoblado muchos dias» — seit langem entvölkert; nur sechzig Indianer wohnten hier, und diese waren Francisco de Villacastin unterstellt, der Ayaviri, das nächste grosse Tampu, besass.

Ayaviri, in einem breiten Tal beim PucaräFluss gelegen, war, wie Pedro de Cieza sagt, «in alten Zeiten grossartig anzusehen, und der Platz ist auch heute [1549] noch bemerkenswert, besonders die grossen Gräber, die so zahlreich sind, dass sie mehr Raum benötigen als die Wohnungen der Lebenden. Die Leute dort sind derselben Abstammung wie die Cana, sie kleiden sich nämlich in lange, wollene Ponchos, die bis zum Boden reichen, und tragen schwarze Stirnbänder.» Ihre hauptsächliche Waffe war die Bola — ein Lasso mit Wurfkugel.

«Da Ayaviri ein grosser Distrikt ist, durch den ein bedeutender Fluss [der Pucarä] fliesst, befahl Topa Inka [ungefähr 145o], dass hier ein grosser Palast erbaut wurde und dazu viele Gebäude, in denen die Tribute gelagert wurden. Auch ein Sonnentempel wurde hier erbaut, und Topa Inka siedelte in der Provinz Indianer, die Mitimae genannt wurden, mit ihren Frauen an.»

Diese Mitimae — die hispanisierte Form von mitimacoma — waren, wie schon erwähnt, loyale ketschuasprechende Stammesleute, die in ein neu erobertes Gebiet oder eines, dessen Loyalität zweifelhaft war, umgesiedelt worden waren. Sie fungierten sowohl als Garnison, um Aufstände zu verhindern, als auch als Vermittler der inkaischen Lebensart, einschliesslich des Sonnenkultes. Da die Bevölkerungsumsiedlungen in einem riesigen Massstab erfolgten, hätte diese Praxis — wäre sie nicht durch die spanische Eroberung unterbrochen worden — zu einer durchgehend heterogenen Bevölkerung geführt. Ketschua wurde für alle öffentlichen Angelegenheiten verwendet, aber einheimische Dialekte waren ebenfalls erlaubt, und einheimische Kleidung war nicht nur gestattet, sondern wurde sogar gefördert. In Ayaviri stellte Pedro de Cieza jedoch fest, dass «wenig ursprünglich Einheimische übriggeblieben waren und dass die Mitimae die Herren des Bodens geworden waren».

Von Ayaviris früherer Grösse ist über dem Boden nichts übriggeblieben. Ja, niemand, der nach Cieza hier vorbeikam, erwähnt die Ruinen überhaupt, obwohl die VonHagenExpedition die Inkas trasse — und auch ein Tampu — in der Nähe lokalisierte.

Ayaviri war auch eine bedeutende Strassenkreuzung, denn in der Nähe teilte sich die Königsstrasse, deren beide Zweige dann auf den einander gegenüberliegenden Seiten des Titicacasees verliefen. Die Ordenanzas bemerken: «Hier trennen sich die beiden Strassen, die den See umkreisen. Sie heissen Omasuyu [der östliche Zweig] und Hurcossuyu [der westliche Zweig].» Das wurde 1613 von Väsquez de Espinosa bestätigt, der noch eine weitere Strasse erwähnt, «die beim Dorf Asillo nach Osten abzweigt und zum Carabaya führt Pedro de Cieza spricht mit Nachdruck von dieser Seitenstrasse, denn «gegen die Urwälder der Anden zu ist der berühmte und sehr reiche CarabayaFluss. Man holte aus ihm über r 700000 Peso Gold von einer Feinheit, die das Normale überschritt. Man findet immer noch Gold im Fluss.»

Die Hauptfunktion der fraglichen Seitenstrasse war, einen Zugang zu dem reichen Goldgebiet zu schaffen. Die Strasse verlief nahe dem Ufer des tiefen und schnellfliessenden CarabayaFlusses, der in einer steilwandigen Schlucht dahinströmt. Das Land liegt ungefähr 4000 Meter über dem Meeresspiegel und hat das Aussehen einer welligen, baumlosen Ebene, die durch phantastische Horstbildungen aus Kalkstein und Granit mit Quarzadern unterbrochen wird. Mit Glück und viel Anstrengung kann man aus diesem Fels Gold gewinnen. Auf den Spitzen dieser Klippen gibt es zahlreiche Grabchullpa, aus Stein erbaute, im allgemeinen zylindrische Häuser der Toten.

Das ganze Gebiet ist überaus öde und unwirtlich, und nur wenige Lebewesen sind hier heimisch. In dem verkümmerten Riedgras rund um die kleinen, eisgesäumten Teiche kann man vielleicht ein Paar andiner Schneegänse — huachua — sehen, während auf den mit Grasbüscheln bedeckten Bergen wachsame Vicurias beobachtet werden können.

Durch die grosse Höhe, die isolierte Lage und die Abwesenheit von Menschen war dieser Teil der Provinz Carabaya ideal für das Vicuria. Dieses Geschöpf, das halb so gross ist wie das Lama und einen langen, graziösen Hals hat, war hochgeschätzt wegen der langen, hellkastanienbraunen Wolle, die seine Brust bedeckt und es gegen die eisige Kälte der andinen Nächte schützt. Diese Wolle wurde von den Jägern des Inka unter den strengsten Vorsichtsmassnahmen geschoren. In ihrer unübertroffenen Weichheit ist diese Wolle die feinste, die man kennt, und hat 25 oo Haare pro Zoll. Pedro de Cieza war der erste, der (bemerkenswert genau) das Tier gezeichnet und beschrieben hat. Ein männliches Tier gebietet über eine Herde von weiblichen Tieren, und die Kämpfe zwischen konkurrierenden männlichen Tieren können tagelang dauern, bis eines oder mehrere vor Erschöpfung sterben.

Nach einer Jagd wie derjenigen, an der auf Einladung von Manco Capac die Spanier teilnahmen, wurden die eingefangenen Vicurias geschoren und wieder freigelassen. Die Inka, so berichtet uns Garcilaso de la Vega, «führten mit Hilfe ihrer Quipu genau Buch über die Zahl der getöteten und freigelassenen Tiere. Die grobe Wolle des Guanako wurde dem Volk gegeben; diejenige des Vicuria, die so fein ist wie Seide, war für die Inka reserviert.»

Das kleine Alpaka, das sehr einem «peruanischen Schaf» ähnelte, wie ein Spanier es nannte, wird von Pedro de Cieza als «sehr hässlich und wollig» beschrieben. Es ähnelt in seiner Figur dem Lama, ist aber kleiner. Nach Pedro Blas Valera, einem anderen Chronisten, dessen gesamtes historisches Werk vernichtet wurde, als Sir Walter Raleigh Cadiz überfiel und brandschatzte, «werden Alpakas nicht zum Lastentragen gezüchtet, sondern wegen ihrer Wolle, die ausgezeichnet und sehr lang ist».

Das Guanako, das man von Ecuador bis Patagonien antrifft, wo es die Hauptquelle der Indianer für Fleisch und Felle war, ist nicht zum Haustier geworden. Es ist so gross wie das Lama und neigt im Gegensatz zum Vicuria, das in gewaltigen Herden wandert, zum Einzelgängertum. Seine «Wolle ist kurz und grob, sein Fleisch gut und geschmacklich wie Wild». Als Cieza in Bolivien war, bekam er «ein Abendessen aus einem jener fetten Guanakos, und es erschien mir als das Beste, was ich je gegessen habe».

Das Lama war das Lasttier der Inka. Ausserdem lieferte es Wolle und Fleisch, und sein Dung (taquia) wurde als Brennstoff verwendet. Es ist ein sehr anpassungsfähiges Geschöpf, das sowohl noch in einer Höhe von 5 oo Meter als auch in den heissen Wüsten an der Küste leben kann. MochicaTöpferware zeigt, dass die Indianer dem Lama in Wüstengebieten einen Fransenbehang aufsetzten, der seine Augen gegen den heissen Sand schützte. Ein Lama mit einer Last, die halb so viel wiegt wie es selbst, nämlich 200 Pfund, kann normalerweise eine Strecke zwischen zehn und zwanzig Kilometer am Tag zurücklegen; wenn man es antreibt, noch weiter. Seine für feine Webereien zu fettige Wolle wurde hauptsächlich für Decken, wollene Säcke und Tauwerk verwendet. Ausserdem konnte der Dung der Lamas, da sie gern einen gemeinsamen Entleerungsplatz aufsuchen und der wie Schafkügelchen aussieht, gesammelt und als Brennstoff verwendet werden. Schliesslich wurden Lungen, Leber und Magen des Lamas von Wahrsagern als Omen befragt, was an den Brauch der Römer erinnert, die Leber von Hühnchen zu befragen, bevor sie in einen grösseren Krieg zogen. Der Lamahirte hatte also einen verantwortungsvollen und ehrenvollen Platz in der Gesellschaft.

Die Lamaherden waren ein wesentlicher Teil der Wirtschaft der Inka. Als hauptsächliche Lasttiere beförderten sie Waren in Friedenszeiten und Waffen im Krieg. Jeder Ayllu hatte seine eigenen Lamaherden, und die quipucamayoc— Wächter der Quipu — führten die Akten über die Anzahl der Tiere, so dass die Gouverneure die genaue Zahl der Lamas im Reich zu jedem beliebigen Zeitpunkt kannten. Wenn man den ersten spanischen Chronisten Glauben schenken darf, belief sich die Zahl auf Hunderttausende. Lamas waren natürlich auch die Tiere, die man benutzte, um Waren nach Carabaya hinein und das dort gewonnene Gold herauszutransportieren.

«Carabaya» ist die hispanisierte Form des Ketschuawortes Karawaya, «gewunden». Das Wort ist sehr treffend, denn der CarabayaFluss hat sich eine tiefe Schlucht gegraben, von deren Grund sein Brausen, das an den senkrechten Wänden widerhallt, heraufdröhnt. Die Strasse ist hier so eng, dass zwei Lamas kaum aneinander vorbeikommen; aber sie ist sehr gut angelegt, um das zerklüftete, baumlose Terrain zu überwinden. Im weiteren Verlauf geht sie dann im Zickzack hinunter in das Goldgebiet. So ist die Carabaya, abwechselnd kalt und heiss, regenreich und ungesund, ein abschreckendes Gebiet, das die Indianer nur betraten, weil es der Wille des Inka war, dass sie das hochwertige Gold, das es hier gab, zutage förderten. «An diesem Ort in Peru», schrieb ein Jurist des siebzehnten Jahrhunderts an seinen Vizekönig, «gibt es viele Goldminen, wie zum Beispiel im CarabayaGebiet. Die Arbeit der Indianer ist hier schwerer als fast überall sonst, weil die Lufttemperatur so ungesund ist und die Leute die ganze Zeit im Wasser stehen, um Erz zu waschen.» Es gab in dieser Gegend viele Dörfer von Goldwäschern.

Da zu allen Zeiten niemand gern die schwere Arbeit der Goldgewinnung verrichtete, sorgten die Beamten der Inka dafür, dass die Leute einige Erleichterungen hatten. Die Steuern wurden turnusmässig ausgesetzt, und nur verheiratete Indianer wurden für diese Arbeit ausgewählt; ihre Frauen mussten sie begleiten, um für sie zu kochen und die Chicha zu bereiten. Ihre Felder im Ayllu wurden während ihrer Abwesenheit für sie bebaut, und wenn sie krank wurden, wurden sie heimgeschickt. Es gab Ruhepausen, Feste und, wie Cieza sagt, Unterhaltung und Spiel.

Gold wurde hauptsächlich aus den Flüssen gewonnen, und zwar durch Goldwaschen. Da Gold schwerer als Eisen ist und untergeht, mussten Sand und Kies aus dem Fluss herausgehoben und durch Schwenken gesiebt werden. Die Methode der Inka war, eine Anzahl von seichten Stellen aus Stein zu bauen — Rinnen oder Rippen, um das Gold, das bei Regen flussabwärts geschwemmt wurde, aufzufangen und zurückzuhalten. Die Goldkörner blieben hier wegen ihres Gewichtes liegen und wurden dann in der trockenen Jahreszeit eingesammelt. Es wurden auch primitive, aber wirksame hydraulische Bergbaumethoden angewendet — zum Beispiel, indem Felsklippen unterhöhlt und Wasserläufe an ihren Fuss aus goldhaltigem Quarz geleitet wurden.

Gold war der «Schweiss der Sonne», und da die Auffassung herrschte, dass der Inka von der Sonne abstammte, war alles Metall Staatseigentum. Nach dem Bericht des gelehrten Pater Bernab Cobo umgaben gewisse Rituale den Vorgang der Goldgewinnung: «Diejenigen, die in die Minen gingen, huldigten den Bergen, die das Gold enthielten, die sie curi nannten. Während des Festes waren sie die ganze Nacht auf, tranken und tanzten und flehten die Berge an, ihr Gold ohne Widerstreben herzugeben. Goldkörner und Goldstaub wurden unter dem Namen llimpi verehrt.» Das gewonnene Gold wurde auf den Quipu notiert und als eine Form des Tributs an die Gouverneure gesandt. Später wurde es dann geschmolzen und zu Barren gegossen und in dieser Gestalt den Goldschmieden geliefert, die Schmuck nach Bestellung anfertigten.

Kaum hatten die Konquistadoren als Lösegeld und durch Plünderung alles Gold und Silber über dem Erdboden zusammengerafft, verlangten sie, zu den Quellen dieser Metalle geführt zu werden. Die Indianer kamen dem Wunsch gern nach, weil sie hofften, auf diese Weise die ungebetenen Gäste loszuwerden, unter denen sich ein gewisser Pedro de Candia befand.

Über Candias Tapferkeit waren sich alle einig, aber was seine Intelligenz anging, so sagt Cieza immer und immer wieder, «dass er ein Mann von wenig Verstand war». Don Pedro, ein Grieche, der nach seiner Vaterstadt Candia auf Kreta genannt wurde, kam in der Anfangszeit der Konquista nach Südamerika. Er war einer der dreizehn, die mit Francisco Pizarro auf der Insel Gallo waren, ging als erster Konquistador 1527 in Tumbes an Land und bekam einen grossen Anteil an Atahualpas Lösegeld. Er schaffte es, während des Bürgerkriegs auf der richtigen — nämlich der siegreichen — Seite zu stehen, und liess sich nach der Schlacht von Las Salinas in Cuzco nieder. Er war einer von 1600 Soldaten, die das gleiche taten — alle so voller herausforderndem Übermut und mit so viel Geld zur Erfüllung ihrer Wünsche ausgestattet, dass der Gouverneur der Stadt nur zu erfreut war, als einige von ihnen sich aufmachten, um hinter irgendeinem ignis fatuus herzujagen, das ihnen verborgene Goldschätze und Reiche versprach.

«Es bedurfte nur eines indianischen Mädchens aus seinen Bediensteten, das ihm einredete, dass auf der anderen Seite der Kordillere, im Osten, ein sehr reiches und bevölkertes Gebiet liege», und Pedro de Candia, der nichts zu tun hatte, als Geld und Zeit zu verschwenden, scharte 30o Mann um sich und setzte sich auf der AntisuyuStrasse in Marsch. Nachdem sie den Vilcanota überschritten und durch die grosse Festung Pisac gekommen waren, erreichte die Expedition Paucartambo, eines der letzten grossen befestigten Tampu, bevor das Land sich zu den Tälern, Pampas und Dschungeln des oberen Amazonas senkte. Pedro de Cieza schrieb ein ganzes Kapitel darüber, «wie Pedro de Candia und diejenigen, die mit ihm in die Wälder eindrangen, unglaubliche Mühsal erduldeten, und wie sie keinen Weg nach vorwärts fanden und nach Collasuyu umkehren mussten».

Die Truppe folgte den Kokablätter und Goldpfaden durch Dschungel und über Flüsse und kam oberhalb des Carabaya heraus. Ungeachtet der Leiden, die seine Streitmacht hatte erdulden müssen, ungeachtet auch der Verluste an Menschen, Ausrüstung, Pferden und Indianern bat Pedro de Candia um die Erlaubnis, das Tal besiedeln zu dürfen. Da der Gouverneur wusste, dass Candia «nicht genügend befähigt für diesen Posten war», gab er ihn einem anderen; aber es war gleich, wer ihn erhielt: «7000 Eingeborene kamen um, und sie gerieten in eine solche Not, dass sie einander aufessen mussten.»

 

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