Die Wege der
Inkas Teil 1
Author D.SelzerMcKenzie
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Eines der grössten Rätsel der Archäologie ist bis heute das
gewaltige Netz aus Fernstrassen, mit denen die Inka vor mehr als 500 Jahren ihr
von Zentralchile bis nach Südkolumbien reichendes Imperium überzogen. «Die
Kinder der Sonne», die ihr Reich die «Vier Weltgegenden» nannten, errichteten
ein Strassennetz mit einer Länge von über 15 000 km. Diese Landstrassen dienten
der Eroberung eines riesigen Reiches und später seiner politischen und
militärischen Sicherung ebenso wie einem allgemeinen Transportwesen.
Sie führten über pfadlose, in Schnee vergrabene Sierras;
kilometerweit waren ohne jegliche Werkzeuge aus Metall Gänge in die Felsen
gehauen; über reissende Flüsse führten hoch in der Luft schwebende
Hängebrücken, und Abgründe wurden auf Treppengängen überschritten. die in das
nackte Gestein gemeisselt waren.
Doch die Erbauer dieser Strassen überwanden nicht nur alle
Gefahren und Hindernisse der Anden. Selbst durch die menschenfeindlichen Wüsten
und dampfenden Urwälder bahnten sie sich mit ihren Strassen einen Weg, über die
der grosse Forscher und Reisende Alexander von Humboldt sagte, dass «die
Landstrassen der Inka zu den nützlichsten und staunenswertesten Werken gehören,
die Menschenhände je hervorgebracht haben». Über die gleichen Strassen, die
einst die pulsierenden Lebensadern des InkaImperiums waren, zog von den unermesslichen
Schätzen dieses Volkes angelockt, im 16. Jahrhundert Francisco Pizarro, um
dieses Reich zu erobern. Er hinterliess ein Inferno aus Flammen und Blut und
zerstörte eine Kultur, die bis heute beispiellos geblieben ist.
SelzerMcKenzie, einer der interessantesten Männer der
heutigen Archäologie, ist auf der Suche nach den Spuren eines fast vergessenen
Wunderwerks und seiner Entstehung quer durch das einstige Andenreich gezogen.
Hier stellt er neben die Geschichte einer einzigartigen Kultur seine eigenen
aufregenden Forschungsergebnisse dar.
Die Zeittafel:
1526 März. Vertrag
zwischen Francisco Pizarro, Almagro und
Fernando de Luque über die Suche nach Peru
Januar. Vertrag zwischen Spanien und Frankreich: Franz I.
wieder frei
1527 Francisco Pizarro
auf der Insel Gallo
Die Medici werden aus Florenz vertrieben
Francisco Pizarro landet zum erstenmal in Tumbes
1529 Francisco Pizarro
erhält einen königlichen Vertrag über
die Eroberung von Peru
Kardinal Wolsey verliert sein Amt als Lordkanzler von
England
Sultan Suleiman greift Wien an
1532 16. Mai. Francisco
Pizarro landet in Tumbes und mar
schiert landeinwärts auf Cajamarca
Hernando de Scuo sieht als erster Europäer die Königsstrasse
über die Anden
16. November. Gefangennahme Atahualpas
1533 April—Januar 1534.
Hernando Pizarro reist über die Inka
strassen nach Pachacamac
Heinrich VIII. lässt sich von Katharina von Aragon scheiden
und heiratet Anna Boleyn
Juli. Verteilung von Atahualpas Lösegeld. Atahualpa wird
getötet
August. Die Konquistadoren wenden sich südwärts nach Cuzco
Dezember. Francisco Pizarro marschiert in Cuzco ein.
Manco Capac wird MarionettenInka
1534 23. März. Cuzco
als spanische Stadt neu gegründet
Juni. Sebastiän Belalcäzar erobert Quito
Der Jesuitenorden wird gegründet
1535 5. Januar. Lima
als koloniale Hauptstadt von Peru ge
gründet. Sir Thomas Morus enthauptet
Felipe Huamän Poma de Ayalä in Cuzco geboren Francisco
Pizarro und Almagro unterzeichnen eine neue Vereinbarung über die Teilung von
Peru
3 . Juli. Diego de Almagro beginnt den Marsch nach Chile
1536 6. Mai. Aufstand
von Manco Capac, Belagerung von
Cuzco
Heinrich VIII. befiehlt die Hinrichtung von Anna Boleyn
1537 Almagro kehrt von
seiner Reise zurück und hebt die Be
lagerung von Cuzco auf
1538 Almagro und die
Männer von Chile werden in der
Schlacht von Las Salinas von Francisco Pizarros
Streitkräften geschlagen; Almagro wird auf Befehl von Hernando Pizarro erwürgt
1539 Francisco de
Orellana entdeckt den Amazonas
17. April. Garcilaso de la Vega, «der Inka», in Cuzco
geboren
154o Pedro de Valdivia
bricht zur Wiedereroberung von Chile
auf
Heinrich VIII. lässt Thomas Cromwell enthaupten
1541 26. Juli.
Francisco Pizarro wird von den «Männern von
Chile» ermordet
August. Pater Vicente de Valverde wird auf der Insel Punä
von den Eingeborenen getötet
Ungarn wird von den Türken überrannt
1542 16. September.
Schlacht von Chupas
Francisco de Carbajal kommt nach Peru
20. November. Karl V. erlässt die «Neuen Gesetze zum Schutz
der Indianer»
Manco Capac errichtet die letzte Hauptstadt der Inka in
Vilcabamba
Maria Stuart wird Königin von Schottland
Kopernikus veröffentlicht sein Werk über das Sonnensystem
1543 30. Juni. Vaca de
Castro erlässt die Ordenanzas de Tam
bos, die den Unterhalt der Inkastrassen und Tampu regeln
1544 Der erste
Vizekönig von Peru, Blasco Ntifiez, kommt an
Oktober. Gonzalo Pizarro erklärt den Krieg gegen den
Vizekönig und verfolgt ihn bis Quito
1545 Entdeckung der
reichsten Silberminen der Welt in Potosi,
Bolivien
Konzil von Trient
1546 Der Vizekönig
Blasco Nüiiez wird geschlagen und ent
hauptet
1547 Schlacht von
Huarina
Pedro de Cieza de Leön kommt nach Peru
Heinrich VIII. stirbt, sein Sohn Eduard VI. wird gekrönt
Cervantes wird geboren
1548 Bürgerkrieg
zwischen der spanischen Krone und den
Streitkräften von Gonzalo Pizarro
9. April. La Gasca besiegt Pizarro und Carbajal und lässt
sie hinrichten
Pedro de Cieza wird zum «Ersten Chronisten der Indien»
ernannt August. Neuverteilung der encomiendas durch La Gasca
1552 Antonio de
Mendoza, der zweite Vizekönig von Peru, kommt an
1553 Cieza
veröffentlicht seinen
1554 Cieza stirbt
1617 Väsquez de
Espinosa reist durch Peru
17991804 Alexander von Humboldt reist durch Ecuador und Peru
1848 William H.
Prescott veröffentlicht seine
1852188o Sir Clements Markham reist durch Peru
1877 E. George Squier
veröffentlicht sein — es gehört mit
zum wichtigsten Quellenmaterial für das Studium der Inkastrassen
1911 Hiram Bingham
entdeckt Machu Picchu
Kurier der
Inka (Chasqui), von Jugend an darauf trainiert, in grossen Höhen zu laufen. In
einem Staffellauf von jeweils drei Kilometern konnte eine mündliche Botschaft
in fünf Tagen über eine Entfernung von 2000 Kilometern weitergeleitet werden.
Ein
Inkakurier, der ein Quipu hält, eine Reihe von Schnüren, die von einer Hauptschnur
herabhängen. Halbknoten, die in die Schnüre geknüpft wurden, bedeuteten
Dezimaleinheiten und dienten als Gedächtnisstütze für Berichte und Botschaften
Im Reich der Quitu
Die Königsstrasse des Chinchasuyu (der LuchsProvinz — einer
der vier Provinzen des Inkareichs) erschien den ersten Europäern, die sie 1533
sahen, als die längste zusammenhängende Strasse der Welt. Nach ihrem Beginn
beim heiligen Schrein von Cuzco, wo der Reisende eine mocha, eine ehrfürchtige
Verbeugung machte, um sich zu vergewissern, dass er eine sichere Reise haben
würde, führte die Strasse nach Quito und noch weiter darüber hinaus — auf eine
Entfernung von 2too Kilometer. Am nördlichen Ende dieser Strasse begann der
Soldat und Chronist Pedro de Cieza de Leön im Jahre 1547 seine Reise durch das
Inkareich.
Was man über die Umstände seiner Geburt weiss, lässt einen
kaum erwarten, dass Cieza, wie er gewöhnlich genannt wird, der erste bedeutende
Chronist der Inka werden würde. Er wurde in Villa de Llerena in Spanien als
Sohn des kleinen Ladenbesitzers Lope de Leön geboren.
Bevor er nach der Neuen Welt abreiste, «in einem so zarten
Alter, dass ich kaum dreizehn Jahre erreicht hatte», gelang es Cieza, sich eine
gewisse Bildung anzueignen, obwohl er ganz offensichtlich keine Universität besucht
hatte. Er gibt freimütig zu, dass seine Versuche, Geschichte zu schreiben,
«vermessen waren von einem, der so wenig mit der Kunst des Schreibens vertraut
war», aber er fand trotzdem zu einem gefälligen Stil und hatte den Blick des
Forschers. Ausserdem erlangte er, wie viele Menschen seiner Zeit, früh die
geistige Reife.
Bei der Ankunft des peruanischen Schatzschiffes Santa Maria
del Campo am 9. Januar 1534 in Sevilla wurde in ihm der sehnliche Wunsch wach,
das Glück in der Neuen Welt zu suchen. «Ich erinnere mich an die kostbaren
Objekte aus Gold, die ich in Sevilla sah und die aus Cassamarca kamen, wo der
den Spaniern versprochene Schatz von Atahualpa gesammelt worden war», und
zweifellos hatte er — wie viele andere auch — die kleine Schrift
Im Jahr 15 3 5 verliess Cieza mit der Zustimmung seines
Vaters Spanien an Bord des Schiffes Cifuentes und ging in Cartagena «in den Indien»
— zum Unterschied von den beiden anderen Städten desselben Namens in Afrika und
Spanien — an Land. Er schloss sich sogleich einer Gruppe von Forschern an, die
nach dem Sinü aufbrachen, und elf Jahre lang diente er als einfacher Soldat bei
verschiedenen Unternehmungen, die die Stämme von Kolumbien erforschten und
unterwarfen. Als er nach Peru kam, um einer Einberufung des Königs zur
Niederwerfung eines dortigen Aufstands Folge zu leisten, war er sechsundzwanzig
und hatte sich schon seit einiger Zeit sorgfältige Notizen über alles, was er
gesehen hatte, gemacht. Ja, seine Aufzeichnungen waren schon so umfangreich
geworden, dass er zu Fuss gehen musste, damit sein Pferd sie tragen konnte.
Sobald die Abteilung, zu der Cieza gehörte, die Naturbrücke
von Rumichaca — jetzt die Grenze zwischen Kolumbien und Ecuador und damals die
Nordgrenze des Inkareiches — überschritten hatte, schrieb er in sein Tagebuch:
«Die Zeit ist gekommen, um meine Feder den grossen Dingen zu leihen, die von
Peru zu erzählen sind.» Das erste und eindrucksvollste der «grossen Dinge» war
die Strasse: «Zu den ersten Dingen, die meine Aufmerksamkeit erregten, gehörte,
wie die grossen und wunderbaren Strassen, die man in ihrem ganzen Reich findet,
erbaut wurden; die Anzahl der Menschen, die erforderlich waren; welche
Werkzeuge und Methoden angewendet wurden, um die Berge zu ebnen und Strassen
durch den Fels zu brechen, damit sie so breit und zweckmässig wurden, wie sie
sind und wir sie heute sehen.»
Obwohl die Spanier weit herumgekommen waren, hatten sie kein
anderes Land kennengelernt, dessen geographische Beschaffenheit auch nur
entfernt derjenigen glich, die sie im Inkareich antrafen. Die Küste, wo niemals
Regen fiel, war eine über 5000 Kilometer lange Wüste. An ihr lagen über vierzig
Flussoasen, wo Stämme wohnten, die Landwirtschaft betrieben. Weil Bäume
ziemlich selten waren, waren die Götzenbilder dieser Küstenbewohner aus Holz.
Da die drohende Sonne immer da war und nicht besänftigt werden konnte, war ihre
Hauptgottheit, die über das Meer herrschte, der Mond. Das wichtigste
Baumaterial war Lehm — daher auch ihre Vorliebe für die Töpferei, die schönste,
die man kennt. Häuser und Tempel waren aus getrockneten Ziegeln — Adobe —
erbaut, so dass ihre wunderbarsten Städte in Wirklichkeit aus nichts anderem
als Lehm errichtet waren. Das war das eine Peru.
In den hohen Gebirgen fanden die Spanier völlig andere
Umweltbedingungen vor, die das ausmachten, was wir das zweite Peru nennen
wollen. Dieses Gebiet war mehr oder weniger ein baumloses Hochland, das mit
hohem Gras bedeckt und über Mittag äusserster Hitze und in der Nacht äusserster
Kälte ausgesetzt war. Regen gab es jeweils den Jahreszeiten nach, der Boden war
fruchtbar und die Luft dünn, und das Gebiet war verhältnismässig dicht
besiedelt. Es gab tiefe Schluchten und Carions, die, wenn es keine Strassen und
Brükken gegeben hätte, die Stämme vollständig voneinander isoliert hätten, wie
es ja auch der Fall war, bevor die Inkakultur entstand.
östlich der Kordilleren war die Montaria — das dritte Peru.
Die unaufhörlichen Regenfälle, die die Passatwinde heranführten, brachten in
diesem Gebiet eine üppige Vegetation hervor, die in einer Höhe von 2400 Meter
aus dichtem Wald aus Buschwerk und knorrigen Bäumen mit wunderbaren Blüten und
im tiefer gelegenen Land aus tropischem Dschungel bestand. Die Inkastrassen
durchdrangen sogar dieses unwirtliche Land.
Peru war also ein Land mit starken geographischen und
klimatischen Kontrasten, und ähnliche Bedingungen herrschten auch im übrigen
Inkareich, das ausser Peru das heutige Ecuador und Bolivien, einen Teil von
Paraguay, die gebirgigen Gegenden von Argentinien und fast ganz Chile umfasste.
Als Pedro de Cieza der Fahne seines Regenten auf der Königsstrasse folgte, ermass
er die Grösse der Leistung der Inka beim Bau der Strassen, die dieses weite
Land zusammenhielten, und schrieb seine Gedanken darüber nieder.
Die Strassen
der Inka in Chinchasuyu: Die grossen Städte des heutigen Peru und Ecuador waren
schon damals durch dieses Strassensystem miteinander verbunden
Die Abteilung
marschierte von Rumichaca im äussersten Norden des Inkareiches südwärts und
erreichte als ersten Stamm die Cara im jetzigen Ecuador. Bevor diese besiegt
und dem Inkareich einverleibt worden waren, waren die Cara einer der vielen
unabhängigen Stämme der Anden. Ihre Häuser waren kreisförmig mit Mauern aus
Lehm, und sie betrieben die Landwirtschaft, wie es in den Anden üblich war: sie
bauten Mais, Quinoa (peruanischer Reis) und Kartoffeln an; die Meerschweinchen,
die sie in ihren Häusern hielten, waren eine reichliche Quelle für Eiweiss; und
auch sie hatten das Lama als Haustier.
1493, als Kolumbus
sich in Spanien nach der Entdeckung der Neuen Welt in seinem ersten Triumph
sonnte, begann Huayna Capac, der elfte Inka, mit der Unterwerfung der Cara.
Dieses Unternehmen erforderte lange und verlustreiche Kämpfe. Der Widerstand
des Stammes erbitterte Huayna Capac so sehr, dass er den Befehl gab, alle
Häuptlinge am Ufer eines Sees zu enthaupten. Es floss so viel Blut, dass das
Wasser sich rötete, und von da an wurde der See Yahuarcocha genannt — der See
aus Blut. Caranqui wurde die neue Provinzhauptstadt. Alle dortigen Inkabauwerke
wurden zwischen 1493 und 1527 errichtet. Diese Gebäude sah Pedro de Cieza, als
er im Sommer 1547 mit seiner Abteilung durch den Ort kam.
«Vom MiraFluss»,
schrieb Cieza, «über welchen Hängebrücken gespannt sind, steigt man auf der
Königsstrasse zu den grossen und prächtigen Wohnungen von Caranqui hinab, von
wo man den See aus Blut sehen kann. Diese Wohnungen sind ein kleines Viereck.
In der Mitte ist ein schön gebauter steinerner Teich. Die Paläste und Häuser
der Inka sind ebenfalls aus schönen grossen Steinen errichtet, die ohne Mörtel
kunstvoll zusammengefügt sind — sie sind eine Augenweide. Es gab auch einen
Sonnentempel, dessen Wände einst mit gehämmerten Gold und Silberblechen bedeckt
waren. Er ist jetzt zerfallen.» Jetzt sind dort nicht einmal mehr Spuren einer
ehemaligen Steinmauer zu sehen, obwohl, wie aus Berichten aus der damaligen
Zeit hervorgeht, 1735 eines der Gebäude noch gestanden hat.
Von Caranqui ging
Pedro de Cieza «auf der berühmten Strasse der Inka zur Siedlung Otavalo».
Zwischen den Otavalo und den Caranqui hatte es eine lange Stammesfehde gegeben,
aber irgendwie war es den Otavalo gelungen, als Stammeseinheit zu überleben.
Sogar heute noch folgt der OtavaloIndianer der Trasse der Inkastrasse, auch
wenn die Strasse schon seit langem verschwunden ist. In ihrem südlichen Verlauf
kreuzte die Strasse dann einen schneebedeckten Pass nach Cochasqui, wo als
Bestätigung der Existenz der Strasse Inkaruinen gefunden wurden.
Hinter Cochasqui
beginnen die Vulkane. Der schneebedeckte, zackige Gipfel des Cayambe ist der
erste in einer Kette von dreissig, auf die der Reisende auf seinem Weg nach
Süden trifft; manche davon sind noch tätig, und die meisten sind von ewigem
Schnee bedeckt. Die Tätigkeit der Vulkane ist jahrhundertealt.
Pedro de Cieza
beschrieb Quito, eine der bedeutendsten Stationen der Inkastrasse, 25 Kilometer
südlich des Äquators, «gesund und eher kühl als warm». In einer Höhe von 2800
Meter «lag es in einer Ebene wie in einer Mulde zwischen den hohen Bergen der
Umgebung». In dem Jahrzehnt seit seiner Eroberung durch die Spanier war Weizen,
der i54o von dem flämischen Priester Jodöko Ricke mitgebracht worden war,
angepflanzt worden, man hatte Gerste eingeführt, und die Kolonisten hatten die
wärmeren Täler mit europäischen Obstbäumen, wie Orangen und Limonen, dicht
bepflanzt und sogar angefangen, Weintrauben anzubauen. Cieza beschreibt die
Bewohner von Quito als «von mittlerer Grösse, gut aussehend und noch mit den
Lebensformen, wie sie die Inka eingeführt hatten».
Das Kontingent der
Männer des Königs, zu dem Cieza gehörte, eine der vielen Gruppen, die in
Befolgung der Einberufung des Königs auf der Strasse marschierten, wurde in
Quito freundlich empfangen, und zwar mit gutem Grund: der Eroberer von Quito,
Sebastiän Belalcäzar, der der Lehnsherr des Landes war, führte persönlich das
Kontingent an.
Ein Viertel seines
Lebens war er zwar ein unbeschriebenes Blatt —er konnte sich nicht an seinen
Familiennamen erinnern, und der, den er trug, war einfach derjenige der
maurischen Stadt, wo er geboren wurde — aber Don Sebastiän war ein harter und
erfolgreicher Mann. Er erzählte, dass er mit sechzehn Jahren ein Maultier durch
einen Belalcäzar und fuhr, nachdem er ihn von allem, was geschehen war,
unterrichtet hatte, fort: «Wenn La Gasca Euch verleiten will, bedenkt, was
wichtig für den einen ist und was den anderen berührt. Setzt mich von allem in
Kenntnis, denn was Euch betrifft, betrifft auch mich, und was mich betrifft,
betrifft auch Euch.»
Die Stämme in der
Gegend von Quito waren wie fast alle den Inka, die sie in ihr Reich
eingegliedert hatten, feindlich gesonnen, und im frühen fünfzehnten Jahrhundert
hatten sie eine Liga gegen das Vordringen der Inka ins Leben gerufen. 1463
eroberte jedoch das Heer der Inka von Süden her die ganze nördliche Küste von
Peru unddehnte das Reich bis Quito selbst aus. Strassen wurden erweitert,
Stationen für die Kuriere (Chasqui) eingerichtet, und schliesslich kam der
Augenblick für die endgültige Eroberung durch die Inka. Huayna Capac eroberte
Quito und dehnte bis 1493 die Grenzen des Reiches bis zur Naturbrücke von
Rumichaca aus.
Wenn die Inka sich
einem widerspenstigen Volk gegenübersahen, war es ihre Politik, Aufsässige zu
gezähmteren Stämmen umzusiedeln und das Gebiet mit loyalen Untertanen neu zu
bevölkern. Diese ketschuasprechenden Kolonisten, die Mitimaes, beschleunigten
den Integrationsprozess, indem sie viele Züge der Inkakultur mitbrachten: die
Dreieraufteilung des Landes zwischen Volk, Religion und Staat; die
Arbeitssteuer Mita; die Einrichtung von Lagerhäusern und andere neue
Organisationsformen; und schliesslich eine Ausdehnung des Strassennetzes mit
seinem Post und Kuriersystem und seinen vielen Tampu.
Es heisst, Huayna
Capac habe Quito ins Herz geschlossen. Die gewohnten, gut gebauten Gebäude
wurden hier errichtet: ein Sonnentempel, Häuser für die Adligen und ein
besonders schönes Haus für Huayna Capac. In diesem Teil des Reiches wurde ihm
ein weiterer Sohn geboren, den er Atahualpa («tapferer Truthahn») nannte.
Dieser sollte dann die Katastrophe über das Inkareich bringen.
Die Königsstrasse
begann in Quito. «Trotz der grossen Entfernung (2100 Kilometer) von Quito nach
Cuzco, die grösser ist als die zwischen Sevilla und Rom», sagte Pedro de Cieza,
«ist die Strasse belebt wie die von Sevilla nach Triana, was das Höchste ist,
das man von ihr sagen kann.» Die Römerstrasse, auf die er hier anspielt, ist
die Via Argenta, die nach 24 n. Chr. von Kaiser Tiberius erbaut wurde und von
Salamanca nach Sevilla führte. Nur durch den Vergleich mit den Römerstrassen
konnte Cieza seinen Lesern die Ausdehnung und Struktur der peruanischen Strassen
begreiflich machen, denn es gab kein anderes derartiges Strassennetz in Europa.
«Wenn man Quito
verlassen hat, kommt man zuerst in das Dorf Panzaleo. Die Leute dort
unterscheiden sich von ihren Nachbarn besonders durch ihre Stirnbänder, denn
auf diese Weise kann man die verschiedenen Stämme erkennen. Sie tragen eine Art
von wollenem Poncho ohne Ärmel und Kragen. Als Schuhzeug tragen sie Sandalen
aus der Faser einer Pflanze, die sie cabuya nennen, die Bäusche mit langen
Dornen hervorbringt, aus denen die hanfenen Fasern für ihre Sandalen, für die Stirnbänder
und auch für die dicken Seile gewonnen werden, die sie für die Taue verwenden,
an denen sie ihre Hängebrücken aufhängen. Manche Frauen kleiden sich nach der
Mode von Cuzco, sehr hübsch mit einer langen Decke, die sie vom Nacken bis zu
den Füssen bedeckt. In der Taille gürten sie sich mit einem schön gewobenen
Gürtel.»
Das nächste Dorf, in
das die Truppe kam, war Mulahalo — das jetzige Mulalo —, wo es «grosse
Wohnungen und Versorgungslager für die Inka und ihre Hauptleute, die hier
durchreisten, gab». Das Dorf lag östlich des Flusses San Felipe, dem die
Königsstrasse folgte. In der Nähe ragte der schneebedeckte Gipfel des Cotopaxi
in den blauen Himmel. Die Eingeborenen waren voll von Erzählungen über seine
heftigen Ausbrüche. Dieser Vulkan war gerade tätig, als die Spanier 1534 das
Gebiet eroberten, «damals gab es mehrere Tage lang einen Aschenregen».
Der Ort Tacunga —
richtiger Llactacunga — folgte nach weiteren 25 Kilometern — der idealen
Entfernung zwischen Haltepunkten. «In keiner Stadt, durch die wir kamen, waren
die Häuser der Inka und die Wohnquartiere so prächtig wie in Llactacunga.
Obwohl jetzt zerfallen, erkennt man noch ihre frühere Pracht, denn an manchen
Mauern kann man noch gut sehen, dass die Darstellungen von Lamas vergoldet
waren. Besonders in den den Inka vorbehaltenen Räumen war diese Pracht
anzutreffen.»
Reste von diesen
Gebäuden waren noch erhalten geblieben, als Antonio de Ulloa zwei Jahrhunderte
später, im Jahre 1735, den Schauplatz betrat. Sein Interesse für Altertümer war
so gross, dass er die Überreste zeichnen liess und die Zeichnungen in seinem
Buch veröffentlichte.
Gut fünfzig Jahre
später folgte ihm Alexander von Humboldt, der später so berühmte Geograph, in
dieses Gebiet, und ihm verdankt die Archäologie die einzige fachmännische
Beschreibung von Llactacunga sowie eine wunderbare Zeichnung. 1801 kam
Humboldt, indem er der Route der Inkastrasse nach Peru folgte, im dritten Jahr
seiner fünfjährigen Expedition nach Llactacunga. Er stellte fest, dass das
Gebäude ein Viereck bildete, dessen Seiten ungefähr fünfunddreissig Meter lang
waren. Vier grosse trapezförmige Tore waren erkennbar. Es gab acht Räume; die
Wände waren über fünf Meter hoch und etwa einen Meter dick. Achtzehn
Nischen—das Leitmotiv der Inkaarchitektur — waren, wie Humboldt schrieb «in
vollendeter Symmetrie» angeordnet.
Cieza bemerkte, dass
«die Leute von Llactacunga in wollene, gut gearbeitete und schöne Ponchos
gekleidet sind. Ihre Häuser sind aus Stein und mit Gras bedeckt. Sie trinken,
wie alle Indianer Chicha, ein leicht alkoholisches Maisgetränk. Die Frauen sind
liebenswürdig und manche sogar sehr hübsch.»
Ambato war das
nächste Tampu. Der AmbatoFluss, der nach Osten fliesst, wurde auf einer
Hängebrücke überquert, die so baufällig zu sein schien, dass ein Pater Angst
bekam. Cieza schrieb: «Unterhalb von Ambato ist eine Seilbrücke über den Fluss,
der sehr reissend und angeschwollen ist.»
Nach weiteren 15
Kilometern über das gleiche hochliegende, kühle Gelände erreichte die Strasse
Mocha — 325o Meter hoch—und seine «prächtigen Wohngebäude, die so zahlreich und
gross sind, dass ich überrascht war», wie Cieza schrieb. «Nachdem die
Inkaherren nach 1533 ihre Macht verloren hatten, sind alle Paläste und
Wohngebäude zerfallen, und in ihrem jetzigen Zustand sind nur noch die Umrisse
zu sehen; aber da sie aus schönen Steinen gut erbaut waren, werden sie
Jahrhunderte überdauern, ohne ganz zu verschwinden.» Gäbe es nicht diese
Beschreibung und weitere aus dem folgenden Jahrhundert, so wäre es schwer,
daran zu glauben, dass das ecuadorianische Hochland wirklich von den Inka
besetzt war, denn es existiert kaum mehr eine Spur von diesen Gebäuden.
Die Inkastrasse, die
in Ermangelung einer anderen Strasse bis ins neunzehnte Jahrhundert benutzt
wurde, verschwand ebenfalls im Zuge des Fortschritts, obwohl noch r 870 ein
amerikanischer Naturwissenschaftler davon schrieb, «er sei über einen Abschnitt
dieser antiken Strasse, die mit behauenen Blöcken aus dunklem Porphyr
gepflastert war, in Richtung auf Riobamba gereist. Sie ist nicht planiert,
sondern passt sich den Unregelmässigkeiten des Geländes an.»
In den nächsten paar
Tagen wurde das Land, durch das Cieza und seine Kameraden reisten, von dem
erloschenen Vulkan Chimborazo beherrscht. Mit seiner Höhe von 6267 Meter war er
jahrhundertelang als der höchste Berg der Erde berühmt. Alexander von Humboldt
erstieg ihn 18o2 und hielt ihn für den mächtigsten Berg der Welt. «Ich hatte
mir mein ganzes Leben lang eingebildet, dass ich unter allen Sterblichen der
einzige sei, der am höchsten in der Welt aufgestiegen war.»
Beim Chimborazo lag
Riobamba — Lirepampa —, die Hauptstadt des Stammes der Puruhä. Das Gebiet war
dicht bevölkert, hatte viele Dörfer, und wurde, obwohl sehr hoch gelegen,
landwirtschaftlich sehr intensiv genutzt: Mais, Bohnen, Kürbis, Kartoffeln und
Quinoa wurden angebaut. Die Sprache der Puruhä ist seit langem untergegangen,
aber die noch existierenden Orts und Familiennamen zeigen, dass der Stamm ein
sehr ausgedehntes Gebiet bewohnte. Die Puruhä trugen ärmellose wollene Ponchos,
aber man konnte sie am besten daran erkennen, dass sie ihr langes Haar, mit
einer Schnur aus Fasern der cabuya zusammengebunden, als Kranz auf dem Kopf
trugen. Cieza berichtete, dass «sie die in Cuzco übliche Sprache [Ketschua]
sprechen, obwohl sie eine eigene besitzen. Im Westen liegt der schneebedeckte
erloschene Vulkan Urcolazo [Chimborazo], wo es wenige Bewohner gibt. Diesem
Gebirge entlang zieht sich die Strasse, die zu der Küstenstadt Guayaquil
führt.»
Von hier aus überquerte
die Königsstrasse, da es keine Alternative gab, in südlicher Richtung die hohe
und kalte Puna, wie die trockenen, wüstenähnlichen Steppen über 3900 Meter hoch
heissen. Es ist ein weites, ödes Land mit grossen Flächen von hohem und hartem ichuGras,
einer mageren Weide für die wilden Guanakos. Das Land wurde eine eintönige
Reihe von Bergketten und Senkungen, über die die Königsstrasse sich hinzog —
fast neun Meter breit, vom Gras gesäubert, aber ohne festen Untergrund, da der
harte Boden eine ausreichende Grundlage für den Verkehr einer Kultur bot, die
keine Fahrzeuge mit Rädern kannte. Aber die Strasse war von einer kleinen Mauer
aus Feldsteinen, die durch Lehmzement verbunden waren, einges äumt.
Auf ihrem Weg durch
dieses Gebiet zog sich die Strasse an einem eisgesäumten Teich entlang, dem
Colta. Die Felsen an seinem Ufer waren mit Moos und Flechten bedeckt, und
leuchtend blühende Lupinen entsprossen einem Teppich von wolligen Blättern. In
der Nähe des Sees gab es kleine Rinnsale, die den Oberlauf des GuamoteFlusses
bildeten, der dann dem Tambo de Guamote seinen Namen gab, und dieses Gebiet
fand Cieza «überall eben und sehr kalt».
An dieser Stelle ist
nur noch die Trasse der Inkastrasse zu sehen, denn was von ihr noch erhalten
geblieben war, wurde durch den Bau einer modernen Strasse zerstört, die heute
die fast arktischen Bedingungen des Knotenpunktes Tiocajas überwindet. Wie in
den Zeiten von Cieza sind hier auch heute noch Reste einer Festung zu sehen.
Die Indianer dieses Gebietes, die Cariari, wurden von den Inka, die dieses
Gebiet erst kurz zuvor erobert hatten, gezwungen die Festung zu bauen, um das
Gebiet gegen jegliche von Norden kommende Angriffe zu verteidigen.
Belalcäzar, der an
der Spitze der Kolonne ritt, rühmte sich, dass er 1534 hier, auf dieser öden
und unbewohnten Puna, eine Schlacht gegen die inkaischen Verteidiger der
Festung und ihren General Rumiiiahui gewonnen hatte.
Ticsän, wo auch heute
noch Ruinen eines Tampu und einer kleinen Festung vorhanden sind, liegt 365o
Meter hoch auf einem päramo, einer windgepeitschten Ebene. In der Nähe ist die
heutige Stadt Alausi. In den Zeiten der Inka lag Ticsän an der Stelle, wo von
der Hauptstrasse eine Nebenroute zur Küste abzweigte.
Hier hatte 1492
Huayna Capac, der gleichzeitig die Invasion sowohl der Küstenregion als auch
des Gebirges vorantrieb, gehört, dass einige seiner Häuptlinge auf der Insel
Punä bei Guayaquil, dem wichtigsten Hafen für den Zugang nach Ecuador, ermordet
worden waren. Es sind zwar nur 120 Kilometer von diesem Punkt nach Guayaquil,
aber man muss die hohe Kordillere überqueren und durch die dicht bewaldete
Montaiia absteigen, denn hier liegen die westlichen Berge schon in der
tropischen Zone. Trotzdem erzwangen die Ingenieure der Inka den Bau der Strasse
durch dieses Gebiet entlang des Oberlaufes des Flusses Alausi. Pedro de Cieza
schreibt: «Huayna Capac befahl, dass eine Strasse entlang des GuayaquilFlusses,
der sehr gross ist, gebaut würde. Diese Strasse war, nach den Abschnitten, die
noch erhalten geblieben sind, zu urteilen, grossartig. Sie ist bekannt als der
Pass von Huayna Capac.» Diese Beschreibung wurde durch die Funde und
Entdeckungen der heutigen Ingenieure bestätigt, als sie mit dem Bau der neuen
Strasse begannen, die den Seehafen mit dem Gebirge verbindet und der Route der
alten Inkastrasse folgt.
Auf seinem weiteren
Weg nach Süden notierte Cieza: «Rechts und links der Strasse, auf der ich
reise, gibt es ganz wenige Siedlungen und Tampu.» Die erste war Pomallacta —
Achupallas —, wo Überreste eines Tampu zu finden sind und wo der kleine
Sonnentempel Teil der Pfarrkirche geworden ist. Dann kam Sinazahuän, von dem
Alexander von Humboldt berichtete, dass es für Reisende gefährlich sei. Es war
dort überaus kalt und öde, und das Tampu lag 335o Meter über dem Meeresspiegel.
Inzwischen hatte die
Strasse das Gebiet der Cafiari erreicht. Um dorthin zu gelangen, stieg sie auf
ihren höchsten Punkt an — über 4500 Meter — und verlief über eine häufig
sturmgepeitschte Hochebene, um schliesslich zum Tampu und den Wohnungen der
Inka zu kommen. Im Juli 1801 schrieb Humboldt: «Man überschreitet den Pass der
Anden, der parama de Azuay genannt wird, in einer Höhe von 4372 Meter. Das ist
fast so hoch wie der Montblanc. Während unsere Maultiere nur mit grosser Mühe
über eine Distanz von siebeneinhalb Kilometern auf dem sumpfigen Boden
vorankamen, konnten wir die Überreste der grossartigen Inkastrasse sehen; sie
war etwa sieben Meter breit und ruhte auf tief in die Erde verlegten
Fundamenten. Die Oberfläche der Strasse war mit Blöcken aus schwärzlichem
Porphyr gepflastert.»
Nun wandte sich die
Strasse südwärts nach Inga Pirca, wo es auch einen Palast gab. Dieser war an
einem kleinen Fluss über der Schlucht von Intihuaynca erbaut, in deren Fels ein
Bild der Sonne — inti —eingemeisselt ist. Die Ruine — es sind die einzigen noch
existierenden Überreste eines Inkagebäudes in ganz Ecuador—hatte viele Zimmer.
Es gibt auch einen ovalen Teil, typisch für den späten Inkastil, auf dem einst
ein zweizimmriges Giebelhaus stand, das Humboldt zum Glück zeichnete, denn
jetzt steht es nicht mehr. Ein Chronist, sowohl der Inka als auch der Spanier,
zählt es als königlichen Ruhesitz auf.
Von nun an ging die
Strasse abwärts nach Tumpipampa. Die Berge traten zurück, die sonst eher rauhe
Luft wurde fast mild. Die Felder waren purpurrot von Kartoffelblüten, und
kilometerweit war die Strasse von cabuya, einem fleischigen Kaktus, eingesäumt.
In 2600 Meter Höhe quillt das Land scheinbar über von Fruchtbarkeit. In dieser
«blühenden Ebene» lag Tumpipampa. Das Land selbst gehörte den Cariari.
Die Cariari, die das
Hochland vom Chimborazo südwärts bis Loja bevölkerten, waren zweifellos «ein
sehr grosser, mächtiger Stamm, der über viele andere herrschte». Wie die
anderen Stämme waren sie in erster Linie Ackerbauer und in zweiter Linie
Krieger; der Ackerbau war trotz des ungünstigen Klimas weit verbreitet. Die
Cariari hatten zu den meisten Nachbarn gute Beziehungen. Zu ihren Verbündeten
gehörten die Jivaro, die das Gebiet des oberen Amazonas bewohnten, das zwar
hoch gelegen, aber in zwei Tagesmärschen zu erreichen war. Zu den Ritualen der
Jivaro gehörte es, von ihren getöteten Feinden Schrumpfköpfe herzustellen.
Waren sie in Gefahr, verbündeten sie sich mit den Cariari, mit denen sie auch
Handel trieben und von denen sie Chontaholz, Papageienfedern, Pfeilgift und
verschiedene tropische Nahrungsmittel, wie Erdnüsse, Süsskartoffeln und Maniok,
erhielten. Die Cariari waren ausgezeichnete Metallbearbeiter, und ihre
Artefakte aus Gold, Silber und Kupfer waren so reich und so schön gearbeitet,
dass die Goldgegenstände, die den Schmelztiegeln der Konquistadoren entgingen,
die europäischen Goldschmiede des sechzehnten Jahrhunderts in Erstaunen
versetzten. Kupfer war bei den Cariari so selbstverständlich im Gebrauch, dass
allein in einem grossen Gemeinschaftsgrab so viele Bronzeäxte entdeckt wurden,
dass sie zusammen mehr als eine Tonne wogen.
Schon vor dem
Auftreten der Inka hielten die Cariari Lamaherden und spannen die Alpakafasern
zu feinem Tuch, das eine begehrte Handelsware wurde. Ihre Währung bestand aus
Salz und Kupfer. «Sie tragen das Haar lang», sagt Pedro de Cieza, «schlingen es
wie eine Krone um den Kopf und tragen darauf einen Holzring, so fein wie
Siebdraht, der manchmal mit Bändern befestigt ist. Man kann sie überall
sogleich als Cariari erkennen. Die Indianer tragen verschiedene
Erkennungszeichen auf dem Kopf, damit man die einzelnen Stämme voneinander
unterscheiden kann, gerade wie Kaiser Karl V. ein Heer aus Spaniern, Deutschen
und Flamen hat, die alle eigene Kleidung und Kopfbedeckung haben.»
Die Königsstrasse
ging dann weiter nach Tumpipampa oder Tombebamba — heute Cuenca —, das in einer
Ebene liegt, in der zwei Flüsse zusammenfliessen. «Der Sonnentempel», sagt
Pedro de Cieza, «war aus Stein erbaut und auf höchst kunstvolle Weise ohne
Mörtel zusammengefügt. Die Fassaden der Gebäude waren schön und reich
geschmückt, einzelne mit Edelsteinen besetzt. Die Mauern des Tempels und der
Paläste der Inka waren mit Blechen aus feinstem Gold bedeckt. Die Dächer dieser
Gebäude bestehen aus Grasbündeln, die so dicht verlegt sind, dass sie eine
Ewigkeit überdauern müssten, falls nicht ein Brand sie zerstört. Diese
Wohnungen von Tombebamba sind wirklich bemerkenswert. Heute [1547] ist alles
zerstört und zu Ruinen zerfallen, aber man kann noch sehen, wie grossartig es
war.»
Topa, der zehnte
Inka, erschien 1463 hier mit seinem Heer, und sein Sohn Huayna Capac folgte
ihm. Nachdem er die kriegerischen und gefürchteten Cariari 1480 unterworfen
hatte, machte er sie später zu seiner Garde. Hier in Tumpipampa, als die
Ingenieure der Inka eine Strasse von dieser neu eroberten Stadt zu den
Goldminen von Zaruma vollendeten, erfuhr Huayna Capac von der ersten Landung
von Francisco Pizarro und seinen «dreizehn Mann von Gallo» in Tumbes. Als
Pizarro 1527 wieder heimsegelte, nachdem er zwei Männer, Alonso de Molina und
einen Neger namens Gines, zurückgelassen hatte, soll Huayna Capac befohlen
haben, die beiden Männer zu ihm zu bringen, denn da er von anderen suncasapa —
bärtigen Männern — gehört hatte, die einige Jahre vorher in Bolivien an der
Grenze seines Reiches erschienen waren, wollte er diese Neuankömmlinge
verhören. Es ist nicht mehr möglich, zu klären, was mit ihnen geschehen ist:
ein Geheimnis umgibt ihr Schicksal.
527 starb Huayna
Capac. Da im politischen System der Inka die Frage der Nachfolge nicht deutlich
geklärt war, musste einer der vielen Söhne des regierenden Inka auf Grund des
Vorschlags eines Ältestenrats gewählt werden. Der Erwählte wurde dann auf seine
Rolle als Sapa Inka vorbereitet. So wurde nach Huayna Capacs Tod sein in Cuzco
geborener Sohn Huascar gewählt. Zu dieser Wahl kam es, obwohl Huayna Capac, als
er bereits im Sterben lag, spürte, dass das Reich zu gross und weitläufig
geworden war, und daher noch erwog, es in zwei Verwaltungsbezirke zu teilen:
Cuzco im Süden, Quito im Norden.
Atahualpa, ein
anderer seiner Söhne, der fünf Jahre älter als Huascar war, amtierte de facto
als Vizeregent des Nordens. Er weigerte sich, den Trauerzug mit der Mumie
seines Vaters zurück nach Cuzco zu begleiten und dort seinem Bruder Huascar als
dem Inka zu huldigen. Seine Entschuldigungen waren stichhaltig, aber in den
Augen seines Bruders handelte es sich um Majestätsbeleidigung. «Huascar», sagt
ein peruanischspanischer Chronist, dessen Familie von ihm abstammte, «war in
Cuzco beliebt. Obwohl er freundlich und fromm war, war er auch tapfer und
tollkühn. Er war ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt.»
Atahualpa war aus
härterem Holz geschnitzt. Er war mit seinem Vater weit herumgekommen, hatte an
der Unterwerfung von Quito teilgenommen und war mit den besten Generälen
bekannt. «Er war rücksichtslos und rachsüchtig — ein Mann von grosser
Entschlossenheit.»
53o forderte Huascar
die Cariari in Tumpipampa auf, ihr Freundschaftsgelöbnis einzulösen und ihm als
Inka beizustehen, worauf die Cariari durch eine List Atahualpa gefangennahmen,
um ihn mit Gewalt zu Huascar zu bringen. Atahualpa entkam jedoch in den Norden,
hob Heere aus und schlug Huascar in einer Reihe von Schlachten. Als er in
Tumpipampa einzog, befahl er ein furchtbares Massaker unter den Cariari, weil
sie Huascar geholfen hatten. Daraufhin wurden die Cariari Feinde von Atahualpa,
so dass sie, als die Spanier kamen, ihre treuesten Verbündeten wurden.
«Wenn man Tumpipampa
auf der grossen Strasse nach der Stadt Cuzco verlassen hat», fährt Cieza fort,
«durchquert man das ganze Gebiet der Cariari; es gibt zahlreiche Siedlungen.»
Die Höhe des Landes nahm wieder zu, und die Strasse ging durch Cumbe auf der
Hochebene und Nabon auf den Anhöhen über dem LeonquiacuFluss. Als nächstes kam
Ona, nachdem man die Hochebene und dann die Brücke von Alpachaca, eine
Hängebrücke, überquert hatte. Dieser Teil der Strasse lag etwa 3400 Meter hoch.
Im Juli i8oi sah Alexander von Humboldt, der den Spuren sowohl der Königsstrasse
als auch Pedro de Ciezas folgte, von dort aus im Westen den Pazifischen Ozean
in einer Entfernung von hundert Kilometern liegen.
Die nächste
Haltestation der Königsstrasse war Saraguru. «Man kommt hier», berichtet Cieza,
«in das Gebiet der Palta, die das Haar lang tragen und ausser ihrer eigenen
Sprache diejenige von Cuzco sprechen. Die Palta haben dieselben
Lebensgewohnheiten wie die Cariari und tragen Stirnbänder. Die Frucht palta
wächst in ihrem Gebiet im Überfluss.» Palta ist das peruanische Wort für Avocado,
eine Frucht, die hier so gross wie eine Melone wurde.
Bei den Palta war es
Brauch, Stirn und Hinterkopf der Neugeborenen einzuschnüren, um den Schädel zu
deformieren. Nach dem Bericht des 1535 in Cuzco von einer inkaischen Mutter und
einem spanischen Vater geborenen Garcilaso de la Vega, «drückten sie den Kopf
der neugeborenen Kinder zwischen zwei Brettern zusammen und bewirkten damit
einen langen Schädel. Solche Kinder nannte man abschätzig palta uma
[Palmköpfe], weil sie so aussahen.»
In Saragura gibt es
noch Reste eines Tampu und an einem Ort namens Paquishapa eine Festung, wodurch
Ciezas Feststellung, «dass diese Provinz der Palta Bedeutung hatte und die
Wohnräume schön und geräumig waren», bestätigt wird.
Hinter Saraguru stieg
die Strasse weiter an, überquerte den Alto de Pullal, ein ödes Gebiet mit
verkrüppelten, kleinblättrigen und leuchtend blühenden Bäumen. Das Land wurde
von farbenprächtig schimmernden Kolibris und Kondoren, die sich von den
Kadavern von Tieren und Menschen, die in dieser abgelegenen Gegend umgekommen
waren, ernährten, bewohnt. Alexander von Humboldt erinnerte sich an das
«feierliche Gefühl», das er hatte, als er die absolute Unbewohnbarkeit der
Kordilleren gleichzeitig mit den noch vorhandenen, wunderbaren Überresten der
grossen Strasse der Inka sah.
Nach Tambo Blanco,
das so hiess, weil die ersten Spanier, die des Weges kamen, es mit Schnee
bedeckt sahen, fiel das Land plötzlich ab, und die Strasse ging im Zickzack
hinunter, überquerte den Catamayu — mayu ist das Ketschuawort für Fluss — und
führte nach Loja.
Pedro de Cieza war,
wie die anderen auf dem Weg nach Cuzco, überrascht von der Anzahl der Spanier,
die sich schon in der Gegend von Loja angesiedelt hatten. Da das Land eine für
die Anden geringe Höhe von nur 2300 Meter hatte, gab es viele Dörfer von
PaltaIndianern, «sehr grosse Dörfer mit Eingeborenen, die dieselben Gebräuche
haben wie ihre Nachbarn». Die Indianer, die den Konquistadoren vermittels des
encomiendaSystems zugeteilt waren, bauten sowohl einheimische Früchte an, wie
auch solche, die von den Spaniern eingeführt worden waren: Weintrauben, Feigen,
Orangen und Äpfel. Es gab auch grosse Schweineherden. Loja lag in einer
Zwischenzone zwischen den immergrünen und den Laubbäumen. In den tiefer
gelegenen, üppigen Tälern gediehen grosse Baumfarne zusammen mit vielen
Feigenarten, zum Beispiel der Würgerfeige, und der gewaltige Kapokbaum, der die
Kapokfaser lieferte, die die Indianer zum Weben verwendeten. Im folgenden
Jahrhundert wurde Loja durch die Entdeckung des Cinchonabaums berühmt, aus
dessen Rinde Chinin, das Heilmittel gegen die tertiäre Malaria, gewonnen wird.
Loja war 1549
gegründet worden, in dem Jahr, bevor Cieza hierher kam. Ganz in der Nähe war
das königliche Tampu von Cusipampa. Die Gebäude wie auch die vielbenutzte Strasse
waren i 56o, als Pater Salinas Loyola hier reiste, noch vorhanden.
Es gab «alte Gebäude
überall entlang der Königsstrasse, Tampu oder Wohnhäuser der Eingeborenen aus
steinernem Mauerwerk regelmässig alle 20 bis 25 Kilometer erbaut. Die guten Strassen,
die die Indianer anlegten, sind die bemerkenswertesten in der ganzen Welt und
die am schönsten hergestellten, auch in schwierigem und zerklüftetem Gelände.
Man macht den Versuch, sie in gutem Zustand zu erhalten, aber nicht mit
derselben Sorgfalt und dem gleichen Erfolg wie unter den Inkaherrschern.»
Alonso Mercadillo,
der Gründer der neuen Siedlung Loja, ritt aus, um die Abteilung zu begrüssen.
Als Freund von Gonzalo Pizarro, der nun offen gegen die Krone rebellierte,
hatte Mercadillo einen Vertrag über die Gründung der neuen Stadt erhalten und,
um ihm das zu ermöglichen, eine sehr grosse Zuteilung — rep artinzientos, wie
man das nannte — von Indianern. Vor der Ankunft der königlichen Armee hatte er
an Gonzalo Pizarro geschrieben: «Ich werde anordnen, dass die Ebenen entvölkert
werden», damit die königlichen Heere keine Nahrung und keine Eingeborenen, die
sie hätten unterstützen können, finden; aber das war noch nicht geschehen. Als
Pizarro ihm einen Monat später nach Loja schrieb, war Mercadillo zu La Gasca
übergelaufen. Er merkte, woher der Wind wehte, so dass er, als Belalcäzar mit
seiner stark bewaffneten Abteilung heranrückte, nicht mehr zögerte, sondern
sich für den König gegen Gonzalo Pizarro erklärte und mit all seinen Leuten zu
ihm übertrat. Ein paar Monate später erfuhr Karl V. von Spanien in einem
offiziellen Bericht, dass «Mercadillo sich ihm mit seinen Truppen in Loja
angeschlossen habe».
Auf der Strasse nach
Cajamarca
An einem Ort namens
Colampö, mehrere Kilometer südlich von Loja, teilte sich die Strasse in drei
Zweige. Der erste, keine Hauptstrasse und wenig benutzt, führte bis an die öde
Küste und zur Stadt Piura, einer der ersten von den Spaniern gegründeten
Städte, die 1533 auf den Ruinen einer inkaischen Haltestation entstanden war.
Die zweite Strasse ging durch Malacato und führte dann in das dicht bewachsene,
tropische Tal des ChinchipeFlusses hinab, der nicht ganz 16o Kilometer weiter
in den Maraiiön mündete, einen der grössten Nebenflüsse des Amazonas. Der
Chinchipe war ein stark goldhaltiger Fluss, und die an ihm beheimateten
Kulturen waren sehr fortgeschritten; sie trieben mit den das Hochland
bewohnenden Inka Handel. Die dritte Strasse, die eigentliche Königsstrasse,
ging direkt nach Süden und überquerte den CalvasFluss auf einer Hängebrücke.
Nach Cariamanga, dem
nächsten Tampu, führte die Strasse über die altos, die Höhen von Ayahuaca und
stieg dann nach Ayahuaca selbst hinab, dessen Name «der Schrein des Leichnams»
bedeutet. Sie war dann so angelegt, dass sie dem Tal des QuirozFlusses folgte,
der im Gebirge entspringt und durch die Wüstenregion an der Küste ins Meer fliesst.
Im Verlaufe dieses Tals musste die Strasse sieben kleine Flüsse überqueren — wo
es nötig war, auf den üblichen Hängebrücken, die aus Seiltrossen konstruiert
waren —, bevor sie die wichtige, befestigte Stadt Cajas — Chulucanas —
erreichte.
Die Eroberung von
Peru hatte hier in Cajas begonnen. Hier waren die Europäer zum erstenmal auf
die Strasse der Sonne gestossen; und aus der so gut erbauten Strasse und den
Dingen, die sie in der Stadt Cajas sahen, hatten sie die Grösse des Reiches
ermessen können, das sie anzugreifen beabsichtigten. Hernando de Soto, der
spätere Entdecker des unteren Mississippi, war der Anführer des Vorstosses von
vierzig Reitern von der Küste aus. Das war sein erster bedeutsamer Auftritt in
der Geschichte.
1533 war Hernando de
Soto auf Grund des Appells von Francisco Pizarro, der sich mehr Konquistadoren
wünschte, mit einer Anzahl Berittener auf die Insel Punä vor der Küste des
heutigen Ecuador gekommen. Dafür und in Ansehung seiner Person und seines Rufes
erhielt er den Rang eines Hauptmanns. De Soto, der als «Mann von guten
Absichten, als Edelmann und Soldat» beschrieben wird, war ungefähr i5oo als
Spross einer edlen, wenn auch verarmten Familie geboren worden. Ja, er war von
so guter Abstammung, dass er sich einen «Mann von einwandfrei adliger Abkunft»,
als hidalgo por los cuatro costados nennen konnte. In der Terminologie der
damaligen Zeit bedeutete das, dass er von unvermischtem Blut war, weder von
maurischem noch jüdischem, und damit befähigt war, zur Ritterschaft des
heiligen Jakobs zu gehören. Aber als er zuerst in den Reihen der Soldaten, die
in Nicaragua kämpften, auftauchte, «besass er nichts als Degen und Schild, um
sein Glück zu machen». Bei seiner Ankunft in Peru zählte er etwa dreissig Jahre
und war «etwas grösser als der Durchschnitt, würdevoll und machte sowohl zu Fuss
wie auch zu Pferd einen guten Eindruck».
Als Francisco Pizarro
in Peru an Land ging, stellte er sogleich fest, dass sich das Land verändert
hatte, seit er 1527 zum letztenmal hier gewesen war. Von den schönen Gebäuden,
die er 1527 in Tumbes gesehen hatte, existierten nur noch Ruinen; die Indianer
waren weit weniger freundlich. Er vernahm, dass es einen Bürgerkrieg gegeben
hatte, und den Namen Atahualpa — die Spanier schrieben ihn «Atabilpa» — hörte
man im ganzen Land. Die Konquistadoren hatten einen Dolmetscher, einen
Einwohner der Insel Punä, den sie «Felipillo» nannten. Sie hatten ihn
seinerzeit nach Spanien mitgenommen, und dort hatte er etwas Spanisch gelernt.
Aber er war nur beschränkt brauchbar, denn er war nie im Gebirge gewesen, hatte
keine Vorstellung von der Grösse des Reiches und kannte nicht die Feinheiten
der Ketschuasprache — überdies war er von einer so verstiegenen Vornehmtuerei,
dass er trotz der erstickenden Hitze nicht davon abliess, die hohe spanische
Halskrause zu tragen.
Die Spanier wussten
damals nicht einmal den Namen des Gegners von Atahualpa und nannten ihn «Cuzco»,
indem sie die Hauptstadt mit dem Inka verwechselten. Bald merkten sie, dass
jede ihrer Bewegungen überwacht wurde und dass es einen gut funktionierenden
Nachrichtenübermittlungsdienst gab, der von Kurieren besorgt wurde, die Chasqui
genannt wurden und mit einer erschreckenden Häufigkeit kamen und gingen. Mit
der Zeit kamen sie zu dem Schluss, dass es eine Entscheidungsschlacht gegeben
haben musste und der Sieger, Atahualpa, sich jetzt im Gebirge, nicht weit
entfernt, befand. Ja, einer der Curaca des Inka wartete, um zu erfahren, ob und
wann die «Bärtigen» zu den Anden hinaufsteigen würden.
Francisco Pizarro
führte seine 167 Soldaten, teils zu Fuss, teils beritten, entlang der Küste
nach Serran, wo die Wüste den Vorbergen der Anden weicht. In Serran gab es eine
von den Inka erbaute Festung und eine Wegstation für berechtigte Benutzer der
Strasse. Pizarro erfuhr durch eingehende Befragung — einschliesslich von ein
wenig angewandter Physik, das heisst: Folter — der Kuriere, die zwischen
Gebirge und Wüste pendelten, dass es ungefähr hundert Kilometer entfernt einen
Ort von einiger Bedeutung namens Cajas gab. Er beschloss daher, eine besonders
bewegliche Truppe über die mit Stein belegte Querstrasse zu den Bergketten
hinaufzuschicken, um festzustellen, was über den Verbleib von Atahualpa in
Erfahrung gebracht werden könnte.
«Hernando de Soto
brach mit vierzig Mann auf», schrieb ein alter Soldat namens Diego Trujillo
1571 als er einer der letzten überlebenden der Expedition war —, «und ich ging
mit ihm. Wir stiegen mit unseren vierzig Mann die Treppenstrasse hinauf. Wir
brauchten zwei Tage und eine Nacht, um die hundert Kilometer bis zur Königsstrasse
zurückzulegen.»
Hernando de Soto war
der erste Europäer, der die Inkastrasse sah und darüber berichtete. Es wird erzählt,
dass er seine Männer in Schlachtordnung auf der Strasse weitergeführt habe, bis
er die ersten Gebäude erreichte. Dort baumelten von den Ästen der Bäume tote
Indianer herab, die an den Füssen aufgehängt waren. Das war Cajas, das, wie er berichtete, ein Dorf in einem
von Bergen umgebenen kleinen Tal war.
Die Leute dort waren
voll Angst und Erregung, besonders als sie die Pferde sahen, die die Spanier
bei sich hatten, und sie beruhigten sich erst, als ihnen bedeutet wurde, dass
de Soto nur gekommen sei, um ihre Huldigung als Vasallen seines Kaisers
entgegenzunehmen. Ein Curaca trat vor, um zu erklären, dass er Atahualpas
Vasall sei, um Zwangsabgaben von den tributpflichtigen Städten einzutreiben. Er
sagte den Spaniern, dass die Stadt Cuzco dreissig Tagesreisen entfernt sei, dass
eines der Häuser des Inka in Cuzco vier Armbrustschüsse —r 20 Meter — lang sei
und dass es eine Halle gebe, in der der mumifizierte Leichnam des «Alten Cuzco»
— Huayna Capac, der 1527 gestorben war — aufbewahrt werde. Der Boden sei mit
Silberblechen und die Wände mit Gold und Silberblechen bedeckt, während
Goldfäden in das Grasdach geflochten seien. Er sagte auch, dass erst ein Jahr
vergangen sei, seit Huascar, der Sohn des Alten Cuzco, all diese Städte an
Atahualpa verloren habe.
In Cajas gab es ausser
dem Sonnentempel und einer Festung, deren dicke Mauern aus Luftziegeln
errichtet waren, ein Haus der Sonnenjungfrauen. Das waren die iiustas,
«auserwählte Frauen», die jedes Jahr im ganzen Land auf Grund ihrer Schönheit
und Geschicklichkeit ausgewählt wurden; ihre Aufgabe war es, für die
Amtshandlungen der Priester Gewänder zu weben, ein alkoholisches Getränk aus
Mais — accha — zu bereiten und an den Ritualen der Sonnenreligion teilzunehmen.
Ihre Personen waren unverletzlich. Indianer, die versuchten, in das Haus
einzudringen, wurden getötet.
Diego Trujillo
berichtet, dass der menschenfreundliche Hernando de Soto, «die Sonnenjungfrauen
von ihrem Haus herbeorderte und dass diese die Soldaten in Entzücken versetzten
wie die Früchte des Paradieses. Es waren fünfhundert. Er gab dann jedem von uns
die Frauen, die uns am besten gefielen.»
Eine solche Tat hätte
gut den Eroberungszug vereiteln können, aber der Curaca war entweder so
eingeschüchtert oder hatte keine andere Wahl, dass er sich selbst als Führer
anbot. Mit dem Führer im Schlepptau — das heisst: in Ketten — marschierte also
de Soto südwärts nach Huancabama, einer grösseren Stadt. «Eine breite Strasse»,
berichtet Hernando de Soto in der ersten geschichtlichen Beschreibung der
Königsstrasse, «verbindet diese beiden Städte, und die gleiche Strasse führt,
wie die Indianer sagen, durch das ganze Land von Cuzco nach Quito, über eine
Entfernung von über 2000 Kilometer. Die Strasse ist glatt. Der Teil, der über
das Gebirge führt, ist gut gebaut. Sie ist breit genug für sechs Berittene
nebeneinander. Neben der Strasse fliesst Wasser in einem Kanal, mit dem die
Reisenden ihren Durst stillen können. Am Ende einer Tagesreise befindet sich
immer ein Haus wie eine Herberge [ein Tampu]. In Cajas gibt es ein Zollhaus am
Brückenkopf, wo ein Wachtposten stationiert ist, um den Zoll in Naturalien
[Bohnen, Mais, Spanischer Pfeffer] von denen zu erheben, die die Strasse und
die Brücke benutzen. Niemand kann in die Stadt hinein oder aus ihr heraus gelangen,
ohne den Zoll zu zahlen. Kein Reisender kann mit einer Last auf einer anderen
Strasse als jener, bei der Wachtposten stationiert sind, ankommen oder
abreisen, ausser er riskiert die Todesstrafe.»
«Huancabama ist grösser
als Cajas, es enthält schönere Gebäude und eine ganz aus behauenen Steinen
erbaute Festung», sagt Pedro de Cieza, der vierzehn Jahre später hierher kam.
Von seinem Sonnentempel berichtet er, dass «die Indianer aus der ganzen Gegend
kamen, um in diesem Tempel zu beten und Opfer darzubringen».
1802 stellte Humboldt
fest, dass «die grosse Inkastrasse zwischen Cajas und Huancabama noch gut
erhalten ist und dass die Reste von grossen Bauwerken zu erkennen sind, von
denen ich neun zwischen Cajas und Huancabama fand — die meisten wahrscheinlich
Tampu oder Karawansereien». Noch i 5o Jahre später fand die VonHagenExpedition,
als sie die erste systematische Aufnahme des inkaischen Strassennetzes
durchführte, grosse Abschnitte der Strasse intakt, einschliesslich von Teilen
der östlichen Querstrasse, die in den Dschungel und das von den Aguaruna
bewohnte Gebiet führt, eines Teilstammes der Jivaro, der im fünfzehnten
Jahrhundert eine inkaische Armee geschlagen hatte.
Auf ihrem Weg zur
historischen Stadt Cajamarca, iSo Kilometer weiter südlich, folgte die
Königsstrasse jetzt dem durch den HuancabamaFluss ausgewaschenen Tal; aber
zuerst erstieg sie noch die hohe, kalte
Puna. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts war der Maultierpfad, der einst
der Königsstrasse gefolgt war, tiefer gelegt worden, und Humboldt erinnert
sich, dass «er den Fluss siebenundzwanzigmal wegen der vielen Windungen seines
Laufes habe durchwaten müssen, während er weiter oben am Rand der Talwände die
Spuren der gerade verlaufenden Inkastrasse sehen konnte».
Bei Pomahuaca kreuzte
die Strasse den Fluss auf einer grossen Hängebrücke und führte dann nach
Ingatambo, wo Teile der Strasse noch zu sehen sind. Indem sie sich durch das
schwierige Gelände dieses Gebiets wand, kam sie nach Huambos, wo es ein
königliches Tampu gab, und dann in die Gegend von Chota, wo von altersher
Silber gefördert wurde, bevor sie schliesslich Cajamarca erreichte.
Als Pedro de Cieza
nach Cajamarca kam, nachdem er über 1400 Kilometer auf der Inkastrasse geritten
war, hatte er schon eine gute Vorstellung davon, wie das Reich funktionierte.
Mit dem Wort «Inka»,
das jetzt als Hauptwort und als Eigenschaftswort benutzt wird, wurde damals —
und heute noch — irrtümlich das Volk bezeichnet, über das die Inka herrschten.
Dieses Volk waren die runasimi. Der Begriff «Inka» bezieht sich in Wirklichkeit
nur auf den Herrscher — den Sapa Inka — und als Titel auf die Mitglieder seiner
Familie und deren Zweige und auch auf diejenigen, die durch Privileg Inka
waren.
Die Inka, wenn wir
nun von ihnen als Stamm sprechen, waren etwa i 000 n. Chr. in das Tal von Cuzco
eingedrungen. Von da an besiegten sie allmählich und unerbittlich alle anderen
Stämme des Gebiets, die dann entweder durch Versprechungen oder durch Zwang dem
Reich eingegliedert wurden.
Die runasimi — also
das Volk — stellten die Basis der sozialen Pyramide der Inka dar. Jeder
steuerzahlende Indianer — puric —gehörte zu einer Gemeinschaft — Ayllu —, die
auf der Aufteilung des Landes beruhte; er war eine Einheit im dezimalen
sozialen Modell des Inkareiches. Der Ayllu hinwiederum war die grundlegende
soziale Einheit. Es handelte sich dabei weniger um einen Clan als vielmehr eine
grosse patrilineare Gruppe, die ein bestimmtes Gebiet anbaufähigen Landes —
marka — besass. Das hielt die Gemeinschaft zusammen. Verstärkt wurde der
Zusammenhalt durch gegenseitige Verpflichtungen, Traditionen und religiöse
Anschauungen, und er wurde beschützt durch die «höheren Götter». Kurz, der
Ayllu war eine Gruppe von Leuten, die zusammen lebten, das Land, die Tiere und
in einem gewissen Ausmass die Nutzung des Landes miteinander teilten. Jedermann
gehörte zu einem Ayllu. Ja, alle wurden in ihn hineingeboren, denn das Prinzip
war alt und hatte sich während einer langen Zeit in den primitiven andinen
Gesellschaften entwickelt; die Inka hatten es lediglich ausgebaut und
perfektioniert.
Das politische und
mit ihm auch das wirtschaftliche System der Inka baute sich also
pyramidenförmig auf und war nach dem Dezimalsystem organisiert. Ganz unten war
der körperkräftige steuerzahlende Arbeiter. Die Arbeiter wurden von einem
Vorarbeiter überwacht, die Vorarbeiter von einem Werkmeister, und der
Werkmeister von einem Inspektor. So setzte sich das Dezimalmodell bis zur Ebene
des Curaca fort, eines Beamten, der über io 000 Arbeiter zu bestimmen hatte. Er
wiederum war dem Provinzgouverneur verantwortlich, der dem Regenten einer der
vier Provinzen des Reiches unterstand. Schliesslich kam der Sapa Inka, die
Spitze der sozialen Pyramide.
Die Inka waren eine
AckerbauerGesellschaft. Alle waren Bauern. Sie hatten keinen Pflug, wie die
Spanier ihn kannten, und keine Zugtiere. Statt dessen benutzten sie den Fusspflug
— tacila—, den die Männer bedienten, indem sie rückwärts über die Erde
schritten, während die Frauen folgten und die schweren Erdschollen aufbrachen.
Die Leute bestellten den Boden gemeinschaftlich und sangen rhythmische Lieder
zur Arbeit. Wahrlich primitive Methoden; aber diese Menschen verwandelten die
Anden, die Wüste und den oberen Amazonas in ein grosses Zentrum des
Pflanzenanbaus. über die Hälfte aller Grundnahrungsmittel, von denen sich heute
die Welt ernährt, wurden hier herangezüchtet — Kartoffeln, Bohnen, Mais, Süsskartoffeln,
Yucca — Maniok, Tapioka —, Erdnüsse, Cashew, Spanischer Pfeffer,
Cayennepfeffer, Tomaten, Ananas, Papaya, Kakao und eine ganze Reihe von anderen
Agrarprodukten.
Der Ackerbau hing von
der Bewässerung ab, und indem die Inka anwandten, was sie von den eroberten
Völkern gelernt hatten, entwickelten sie Bewässerungssysteme, die den in
Mesopotamien entdeckten ebenbürtig waren. Das Land zwischen dem Meer und den
hohen Anden wurde nach ökologisch richtigen Methoden terrassiert, denen
gleichzeitig die Bewahrung als auch die Neuschöpfung von Boden zu verdanken
waren.
Da ihre
Nahrungsmittel trocken längere Zeiträume gelagert werden konnten und da es
sowohl ein öffentliches wie auch ein privates System der Lagerung gab, wurde
die tödliche Drohung einer Hungersnot, die über jeder neusteinzeitlichen
Gesellschaft hing, abgewendet. So wurde auch Zeit für Musse gewonnen.
Das soll aber nicht
heissen, dass die Inka untätig waren, wenn sie nicht auf dem Land arbeiteten.
In jedem Haus war mindestens ein Webstuhl, und darauf wurde eine Vielzahl von
Webwaren hergestellt. Die Wolle des Lamas, zu schwer und fettig für feinere
Webereien, wurde zu Säcken und gröberen Decken verarbeitet. Das Alpaka lieferte
die Wolle, die für die meisten Zwecke verwendet wurde; gesponnen, gefärbt und
gewoben wurde sie zu Ponchos, Decken, Kopfbedeckungen und Umhängen. Die Wolle
des Vicuria war im allgemeinen der Inkakaste vorbehalten.
Alle waren mehr oder
weniger Töpfer. Die Gegenstände des Alltagslebens, wie Töpfe, Teller und
Schalen, wurden von den Menschen hergestellt, die sie verwenden wollten, und
dasselbe gilt für die Webwaren; das bedeutete, dass jeder Haushalt im Ayllu sich
selbst versorgte. Alle waren Handwerker; und handwerkliches Können bringt eine
gewisse psychologische Befriedigung mit sich. Handwerkergesellschaften sind oft
stabile Gesellschaften, die sich aus zufriedenen Individuen zusammensetzen, was
weitgehend dem Umstand zu verdanken ist, dass diese Gesellschaften von
Handarbeit leben und daher weniger der Fluktuation unterliegen als diejenigen,
die auf Massenproduktion beruhen.
Die Besteuerung
bildete im Inkasystem kein Problem — jeder Steuerzahler entrichtete seine Mita
— Steuer — in Naturalien oder Dienstleistungen. Aber als die spanischen Herren
kamen und Steuer in Geld verlangten, etwas, was in allen primitiven
amerikanischen Gesellschaften vollständig fehlte, wurde die ganze Basis der
Handwerkerkultur untergraben.
Es gab viele
Festtage: öffentliche Feste, die mit dem bäuerlichen Jahr zusammenhingen. Das
bunte Gepränge der Reise zum Markt, wo überschüssige Güter getauscht wurden,
kann man nur andeutungsweise ahnen. «In allen Teilen dieses Reiches», berichtet
Pedro de Cieza, «gibt es sehr grosse Märkte. Auf einem Markt war der Verkehr so
gross, dass allein zwischen den Indianern, ohne Hinzurechnung der Christen,
Beträge von fünfundzwanzig bis dreissigtausend Peso täglich den Besitzer
wechselten. Das ist wirklich kaum zu glauben.»
Um zu verstehen, was
an jenem Novembertag des Jahres 1532 in Cajamarca geschah, als in weniger als
einer Stunde das Reich zerfiel, und auch um die Folgen zu begreifen, muss man
sich zuerst über das Wesen der Struktur des inkaischen Kastensystems und die
Art und Weise, wie dieses funktionierte, klarwerden. An der Spitze der sozialen
Pyramide stand der Sapa Inka, von dem sowohl er selbst als auch das Volk
glaubte, er stamme direkt von Inti, dem Sonnengott ab, an dessen Göttlichkeit
er teilhatte. Das göttliche Recht der Inkakönige wurde nie in Frage gestellt.
Das Land selbst, der Boden, die Menschen, alles gehörte ihm; Gold, der Schweiss
der Sonne, und Silber, die unvergossenen Tränen des Mondes, waren sein
Eigentum. Der Inka war absolut; er war Gott. Er war die letzte
Berufungsinstanz, so dass er und die anderen seiner Kaste unumschränkte
Herrscher waren, wobei ihre absolute Macht nur durch alte Sitten und die Furcht
vor Aufständen in Grenzen gehalten wurde.
Aber die Sorge des
Inka für sein Volk war ebenso sehr real. Stellung, Macht und Reichtum hingen
vom Wohlergehen des Volkes ab, und deshalb war das Gemeinwohl seine Hauptsorge.
Der Staat kannte nur eine Gruppe von Unternehmern, die Inkakaste. Nur sie
leiteten die administrativen und statistischen Behörden — die die
durchzuführenden Arbeiten und die Anzahl der zu besteuernden Individuen
festsetzten — und das juristische und das Disziplinarsystem. Das versetzte sie
in die Lage, die Gesellschaft so zu organisieren, dass sie ihren imperialistischen
Drang zum Erobern und Beherrschen befriedigen konnten. Da es kein Geld gab,
fehlte der ganze Zahlungsverkehr. Alle arbeiteten, alle produzierten. Jede
Beschäftigung war produktiv. Da Faulheit den Staat Steuern kostete, war sie ein
Kapitalverbrechen; Junggesellen wurden, da sie hinsichtlich von Kindern
unproduktiv waren, geächtet, ebenso Homosexuelle, die «menschlichen Samen
vergeudeten». Unter diesem System gab es keinen Unterschied zwischen
wirtschaftlicher, politischer und technischer Tätigkeit; alles war gleich. Das
Land gehörte dem Staat, nämlich dem Inka. Der einfache Mensch besass vermittels
des Ayllu, der eine Art von Holdinggesellschaft war, nur die Nutzung seines
Landes, nicht das Eigentumsrecht. Sein Anteil an diesem Land vergrösserte oder
verminderte sich mit der Grösse seiner Familie.
Der Aktionsradius des
Indianers war eingeschränkt. Er reiste, wie die ersten Spanier, die in das
Reich kamen, sogleich feststellten, nur nach Belieben des Staates; und sogar
seine Beschäftigungen in der Musse waren ritualistisch reglementiert. Noch nie
in der Geschichte hat es eine so vollkommene
«VonderWiegebiszumGrabeGesellschaft» gegeben; und doch gab es trotz aller
Beschränkungen auch Vorteile in diesem System. Die Lagerung von Gütern
verringerte die Wahrscheinlichkeit einer Hungersnot, denn in Zeiten von Missernten
standen die königlichen Lagerhäuser allen offen. Und die Tiere — Lamas,
Vicurias, Alpakas — wurden, wie der Boden, gepflegt. Strassen wurden
unterhalten und das Reich politisch und militärisch gesichert. Aber es wäre ein
Irrtum, dieses kollektive Prinzip «Sozialismus» zu nennen: das Reich war nicht
für das Volk da; Gleichheit war kein Ideal. Im Gegenteil, der Staat existierte
für den Inka und seine Kaste.
Das also war der
sozioökonomische Hintergrund für die Begegnung der Spanier mit den Inka.
«Cassamarca
[Cajamarca, die ] war im ganzen Reich wegen seiner
Grösse und seines Reichtums bekannt.» 2800 Meter über Meereshöhe gelegen, ist
es auf allen Seiten von Bergen umgeben. Diese sind im Norden und Süden
niedriger, und dieser Route folgte die Königsstrasse. Francisco de Xerz, der
königliche Schreiber, beschrieb die Stadt mit knappen Worten: «Zwei Flüsse fliessen
durch das Tal. Es ist eben, dicht bevölkert und von Bergen umgeben. Die Stadt
hat 2000 Einwohner. Der Hauptplatz ist grösser, als ich je einen in Spanien
gesehen habe. Sie ist ganz von einer Mauer umgeben. Es gibt zwei Tore. Dem
Hauptplatz gegenüber steht eine steinerne Festung.»
Cajamarca beherrschte
ein Gebiet von grosser Vielfalt. Silber, Kupfer und sogar Zinn wurden in der
Nähe gewonnen. Der Ackerbau war intensiv, und die Bewässerung hochentwickelt.
Kanäle und Stollen waren gebaut worden, um das Wasser von den Bergen
herunterzubringen, und oft waren diese durch den gewachsenen Fels getrieben.
Einer dieser Kanäle, den vorinkaische Ingenieure durch den Fels gehauen hatten,
war über eineinhalb Kilometer lang und in einem Zickzack angelegt, um den Abfluss
des Wassers zu verlangsamen. Die Bewohner hatten auch Dämme und Schleusentore
erbaut und damit die Kontrolle über die Oberläufe von Flüssen gewonnen —eine
Lebensnotwendigkeit für die Wüstengebiete an der Küste.
Es ist also nicht
überraschend, dass Cajamarca eine Allianz mit dem grossen Wüstenreich der Chimü
einging. 1461 erschienen jedoch die Inka an ihren Grenzen und gliederten das
ganze Gebiet, nachdem sie ein vereinigtes Heer der Anden und Küstenbewohner
geschlagen hatten, dem Inkareich ein.
Die Herrschaft der
Inka war freilich von kurzer Dauer; hier in Cajamarca erfuhr der siegreiche
Atahualpa, als er in der ersten Novemberwoche 1532 «eine Wasserkur machte», von
der spanischen Invasion.
Atahualpa war gut auf
dem laufenden gehalten worden. Er wusste von der Ankunft und Abreise der
«Bärtigen» im Jahr 1527 und auch von ihrer Rückkehr am 13. Mai 1532: «Leute
sind von hatuncocha her auf einem grossen Schiff gekommen.» Aber in diesem
Augenblick befand er sich in einem Kampf auf Leben und Tod mit seinem Bruder
Huascar um den Besitz des Reiches. Seine Kuriere, die Chasqui, die in fünf
Tagen eine Botschaft von Quito nach Cuzco befördern konnten, informierten ihn
täglich. Mit der Hilfe von Quipu — Knotenschnüre als Informationsträger —
stellte er fest, dass die Eindringlinge nur 177 Mann zählten und Tiere hatten
wie geweihlose Hirsche, auf denen sie ritten. Er wusste alles über ihre Waffen,
Pferde, Gewehre und Degen. Aber die falsche Interpretation der Nachrichten, die
er erhielt, erwies sich als verhängnisvoll.
Atahualpas Reaktion
auf die Invasion ist auch heute noch ein Rätsel. Warum liess er es zu, dass
dieses kleine Kontingent von Spaniern das Land durchquerte und die Pässe
überschritt? über ihren Aufstieg berichtet ein Spanier: «Die Strasse war so
schlecht [sie war eine Treppenstrasse und schwierig für Pferde], dass sie uns
hier leicht hätten überwältigen können oder auch auf einem anderen Pass
zwischen hier und Cajamarca.»
Warum liess er sie
plündern und zerstören, wo das doch sofort mit dem Tod bestraft worden wäre,
wenn einer seiner Untertanen der Missetäter gewesen wäre? Welche Verwirrung
führte ihn dazu, in eine Falle nach der anderen zu gehen?
Atahualpa sah in den
sonderbaren Ankömmlingen keine Götter oder auch nur Supermenschen. Pferde,
Arkebusen und die Kunst des Schreibens machten zwar einen grossen Eindruck auf
ihn, aber er wusste, dass die Spanier menschlich — allzu menschlich — und dass
sie verwundbar waren. Seine Kundschafter hatten ihm versichert, dass die
Pferde, wenn sie ungesattelt waren, nicht mehr gefährlich waren und dass die
Arkebusen, einmal abgefeuert, lange Zeit brauchten, bis sie wieder geladen
waren, während welcher Zeit die Arkebusiere sehr gefährdet waren. Aber er
erkannte auch, dass die Spanier über den Bürgerkrieg informiert waren, der im
Gange war, und dass sie grosse Anstrengungen machten, um seine Gouverneure
zugunsten jener, die Huascar unterstützten, zu beseitigen.
Was auch immer die
Gründe waren — und wir kennen nicht alle —, die Spanier konnten auf dem gut
organisierten Inkastrassennetz vordringen; und dieses wurde Atahualpa zum
Verhängnis, genauso, wie die Perser durch ihre geraden Strassen Alexander
ausgeliefert wurden.
Pizarros Männer
stiegen auf einer steilen, mit Stein belegten Querstrasse zur breiten Hauptstrasse
hinauf, der Fortsetzung der Strasse, die Hernando de Soto früher gesehen hatte.
Die Königsstrasse brachte sie nach Cajamarca, wo sie in den Abendstunden des
15. November 1532 ankamen. Hernando de Soto wurde mit fünfzehn Reitern
ausgeschickt, um die Position des Inka auszukundschaften. Ihm folgte Hernando
Pizarro, einer der vier Schicksalsbrüder, und man wies sie zu Atahualpa.
Die Spanier blieben
zu Pferde, als sie mit dem Inka sprachen. Felipillo, der Indianer aus Tumbes,
der 1527 nach Spanien mitgenommen worden war, fungierte als Dolmetscher.
Atahualpa sagte: «Sage deinem Hauptmann, dass ich ihn morgen mit meinen
Häuptlingen besuchen werde. Er soll die öffentlichen Gebäude am Platz beziehen
und keine anderen, bis ich komme. Dann werde ich anordnen, was geschehen soll.»
In dieser Nacht
beobachteten die Soldaten die Wachfeuer des Inka. Sie erleuchteten den ganzen
Bergabhang und flackerten in der Dunkelheit.
Der Einzug Atahualpas
am folgenden Tag und die anschliessenden Umstände seines Sturzes wurden in
Nachrichtenbriefen jener Zeit berichtet. Zu den ersten, die in Europa
zirkulierten, gehören der schon erwähnte
«Am selben Tag begab
sich Atahualpa nach der Stadt Cajamarca und kam dort am Abend in seiner ganz
mit Blechen aus schönstem Gold geschmückten Sänfte an. Einige Indianer gingen
vor ihm her, um die Strasse zu säubern, obwohl sie schon sauber war und es
nichts mehr wegzufegen gab. Hinter ihm folgten weitere Indianer, manche
tanzten, manche sangen. Viele Indianer waren seine Wachen, die einen trugen
Streitäxte, die anderen Hellebarden aus Silber; an ihren Gürteln hingen Keulen.
Als Francisco Pizarro sah, dass Atahualpa in die Stadt kam, machte er alle
seine Männer — zu Fuss und beritten —für den Angriff fertig und versteckte sie
in zwei Gruppen hinter den Schuppen. Ein Pater namens Valverde, der dem
Dominikanerorden angehörte, trat allein [ausser einem Dolmetscher] vor und trug
die Bibel in der Hand. Er sprach Atahualpa an und berichtete ihm die Dinge, die
in dem Buch aufgeschrieben waren und die zu tun Gott befohlen hatte. Atahualpa
verlangte das Buch zu sehen, und sobald er es in der Hand hatte, warf er es zu
Boden. Der Pater hob es auf und rannte schreiend zu Pizarro, wobei er laut
ausrief, dass der Glaube an Jesus Christus gehört werden müsste.
Nun kam Pizarro in
voller Rüstung hervor und mit ihm alle Männer, über die er verfügte, zu Fuss
und zu Pferd. Als er zu Atahualpa gekommen war, legte er Hand an ihn und riss
ihn von der Sänfte herab, während die anderen die Träger rasch erschlugen und
sich dann mitten in Atahualpas Heer stürzten und viele erstachen. Die Schlacht
dauerte von den frühen Abendstunden bis in die Nacht. Viele indianische
Anführer wurden gefangengenommen. Als Atahualpa sich als Gefangenen sah und
fürchtete, getötet zu werden, versprach er, den Christen einen sechs Meter
hohen und fünfeinhalb Meter breiten Raum mit Gold zu füllen, und ausserdem
versprach er mehr Silber, als man zählen könnte.
Im 18.
Jahrhundert entstand in Europa, insbesondere in den bildenden Künsten, die
Vorstellung vom «edlen Wilden». Die Darstellung eines europäischen Künstlers,
die um x 8 5 o entstand, spiegelt diese Auffassung in Gestalt des «idealen
Inka» wider
Beispiele
inkaischer Steinbauweise an der ChinchasuyuStrasse. Landwirtschaftlich genutzte Terrassen
unterhalb der Inkastrasse bei Tarma. Aus
einem einzigen Steinblock herausgehauener Podest für Truppeninspektionen in
Vilcashuamän. Wegzeichen, wie sie sich
an allen Inkastrassen finden. Ebenfalls
aus einem einzigen Steinblock modelliert: Altar für Inti, den Sonnengott, in
Cariar. Wieners Zeichnung von Huanuco,
einem befestigten Tampu an der ChinchasuyuStrasse.
Hinrichtung
von Atahualpa im 17. Jahrhundert, gemalt von einem indianischspanischen
Künstler in Cuzco. Atahualpa ist auf dieser Darstellung bereits geköpft — in
Wirklichkeit wurde er erdrosselt —, während spanische Soldaten sein Gefolge
angreifen.
Aus dem 18.
Jahrhundert stammende spanische Abbildung einer ecuadorianischen Landschaft mit
drei Brückentypen. Von links nach rechts: Hängebrücke, Aroya
(Flaschenzugsystem) für die Beförderung von Tieren, Aroya für den Übergang von
Menschen.
Das
charakteristische Kennzeichen der InkaArchitektur waren die trapezförmigen
Nischen, Fenster und Türen. Linke Seite, oben: Tampu von Limatambo (PimacTampu)
am Zugang zur berühmten Brücke von San Luis Rey. Mitte links: Das Tor des
Tempels von Vilcashuamän. Mitte: Fensternische in 011antaytambo. Mitte rechts:
Tor in Machu Picchu. Unten: Fensternischen in Machu Picchu. Rechte Seite,
rechts: Entwässerungslöcher in den Mauern von Sacsahuamän in Cuzco. Unten:
Fenster, ebenfalls trapezförmig, mit Blick auf den Urubamba in Machu Picchu.
So wie die
Erbauer der Inkastrassen alle Gefahren und Hindernisse der Anden überwanden, so
schreckten sie auch nicht vor Wüsten und Steppengebieten zurück. Linke Seite,
oben: Von Mauern eingesäumte Strasse durch die Küstenwüste am Pazifik. Links:
Eine der grandiosen Stufenstrassen, mit denen die Inka die Anden bezwangen.
Rechte Seiten, oben: In eine Bergflanke eingehauene Querstrasse, die auf die
grosse Küstenstrasse bei Pisco führt. Mitte links: Damm über die Sümpfe von
Cuzco. Unten links: Von Mauern gesäumte Strasse über die Hochebene vor Puno und
Titicaca. Rechts: Im Nordwesten liegender Ortsausgang von Cuzco; im Hintergrund
die über die Berge führende ehemalige Inkastrasse
Ein
Nachfahre der Inka passiert eine der Mauern, die einstmals zum Palast des Grossinka
Roca in Cuzco gehörten. Die Steine sind in der charakteristischen Bauweise der
Inka ohne Mörtel verlegt.
Die Königsstrasse
nach Pachacamac
Atahualpa, der von
den Spaniern in «Schutzhaft» gehalten wurde und dem seine nustas und einige
seiner Ratsherren aufwarteten, harrte, während er Schach und Kartenspiel und
die Sprache und die Gebräuche der Spanier zu erlernen suchte, genauso
ungeduldig wie diese auf die Ankunft seines Lösegeldes. Nach zwei Monaten
wurden jedoch die Soldaten nicht nur unruhig und gelangweilt, sondern bekamen
auch Angst, was wohl passieren könnte: «Der Gouverneur Pizarro und wir alle
sahen uns jeden Tag in grosser Gefahr.» Wenn es noch sehr lange dauern würde,
bis das Gold und Silber eintrafen, überlegten sie, dann könnte vielleicht der
Inka seine Heere einberufen und sie würden nie mehr mit dem Schatz abziehen
können.
Man beschloss daher,
den Zustrom des Lösegeldes zu beschleunigen. Atahualpa selbst regte das an und
schlug vor, dass eine Abteilung der Spanier in Begleitung seiner Häuptlinge und
einer Kolonne seiner Leute nach Pachacamac hinunterstiegen, dem heiligsten
aller Heiligtümer an der peruanischen Küste, um sicherzustellen, dass es sein
Gold und Silber hergab. Der Gouverneur griff die Anregung sofort auf und
bestimmte seinen Bruder Hernando Pizarro dazu, die goldsammelnde Reise nach
Pachacamac zu leiten.
Hernando, der sich
rühmte, der einzige legitime Pizarro zu sein, war ein grossgewachsener Mann,
ein guter Reiter und tapferer Soldat. Er war überaus empfindlich gegen die
geringste soziale Zurücksetzung, da er nicht allzu selbstsicher und daher anmassend
war. Er überlebte alle Brüder, wurde genau hundert Jahre alt und starb als
einziger in seinem Bett.
Ein königlicher
Inspektor, Miguel Estete, wurde ausersehen, Hernando Pizarros Expedition zu
begleiten und einen Bericht über alle Einzelheiten zu verfassen. Don Miguel
bekam einen hübschen Anteil an dem Lösegeld des Inka, denn er war es, der die
Königskrone — llautu — von Atahualpas Kopf riss, als dieser gefangengenommen
wurde.
Estete begann seinen
Bericht mit den folgenden Worten: «Am Mittwoch, dem Erscheinungstag [der
gewöhnlich das Fest der Drei Könige heisst, 6. Januar 15 33], brach Hernando
Pizarro mit zwanzig Reitern und ein paar Arkebusieren von Cajamarca auf.» Wenn
man bedenkt, dass diese paar Mann und einige Häuptlinge, die auf Atahualpas
Geheiss mitgingen, die ganze Streitmacht ausmachten, begreift man, wie gewagt
Hernando Pizarros Unternehmen war. Um seinen Bestimmungsort zu erreichen, musste
er über i000 Kilometer auf den Inkastrassen durch ein Gebiet zurücklegen, das
von unzähligen, möglicherweise feindseligen Menschen bewohnt war.
Zunächst folgten
Hernando Pizarro und seine «Zwanzig» der Königsstrasse von Chinchasuyu von
Cajamarca nach Barios, der nächsten Stadt im Süden. Dort waren in einem
prächtigen Gebäude die heissen Schwefelbäder untergebracht, die der Stadt ihren
Namen gaben. Weiter auf der Königsstrasse rückte die Gruppe durch Namora,
Ichocän und Cajambamba vor, Städte, die heute noch die gleichen Namen tragen
und an der alten Strasse oder nahe daran liegen. Am 13. Januar erreichte die
Expedition ein kleines Dorf namens Tambo, das zum Herrschaftsbereich von
Huamachuco gehörte.
Ein Chronist, der den
gleichen Weg wie Hernando Pizarro machte, bemerkte, dass der Architekturstil
des Gebietes, das noch nicht hundert Jahre vor der Ankunft der Spanier von den
Inka erobert worden war, nicht inkaisch war. Das bezieht sich auf die
Wegstation Virachocatambo, die «sieben Meter breit und ungefähr dreissig Meter
lang, ganz aus Stein erbaut und mit langen, dicken Balken gedeckt war, die mit
ichuStroh, mit dem sie sehr geschickt umzugehen verstanden, bedeckt war».
Hernando Pizarro,
damals erst sechsundzwanzig Jahre alt, war in Anbetracht seiner niedrigen
Geburt und seiner kümmerlichen Erziehung ein sehr gebildeter Mann — sein
ungebildeter Bruder Francisco war eine Ausnahme. Auch als die Gruppe über
hochgelegenes, unbekanntes Gelände marschierte, wo bei jeder Biegung ein
Hinterhalt drohte, brachte er es doch fertig, seinen Bericht über die Inkastrassen
und Wegstationen, an denen er vorbeikam, fortzuführen. Sein Bericht war sogar
so ausgezeichnet, dass die Orte, die er beschrieb, heute noch daran
identifiziert werden können.
In Andamarca, jetzt
Mollebamba, teilte sich die Königsstrasse: nach links ging sie direkt nach
Cuzco; nach rechts stieg sie auf einem engen Landstreifen zwischen der Weissen
und der Schwarzen Kordillere zur Küste hinab — diese Abzweigung führte nach
Pachacamac.
Bei Yomabamba, dem
nächsten Ort, ritten Pizarro und seine Leute über eine fast sechs Meter breite
Strasse; diese ist noch zu sehen und gut erhalten. Sie nahmen die Strasse, die
durch die sich auftürmende Cordillera Blanca führte, eine Reihe von gewaltigen
schneebedeckten Gipfeln, die im Huascarän kulminierten, der 6800 Meter hoch
ist.
Als Pizarro seinen
Führern eine steile Strasse hinunter folgte, die als eine Reihe von Stufen
erbaut war und Stützmauern und Terrassen hatte, konnte er seine Bewunderung
nicht mehr zurückhalten: «Nichts gleicht der Grossartigkeit dieser Strasse
durch das Gebirge . . .»
Die Gruppe stieg noch
fast siebzig Kilometer weiter ab und folgte dabei dem Treppenweg patapata, wie
die Strasse genannt wurde. Als einige Tage später Hernando de Soto mit einem
weiteren Spähtrupp dieselbe Strasse entlangzog, begegnete er dem abgesetzten
und gefangengehaltenen Huascar, der wie ein Schwerverbrecher gefesselt war. Er
sollte zur Verurteilung zu Atahualpa gebracht werden. Huascar bot de Soto mehr
Gold und Silber an, als den Eindringlingen von seinem Halbbruder versprochen
worden war. Das beschleunigte sein gewaltsames Ende. Nachdem de Soto
weitergezogen war, wurde Huascar erwürgt und bei Andamarca in einen Fluss
geworfen.
Am 15. Januar 1533
erreichte Hernando Pizarro, nachdem er die hohen schneebedeckten Pässe
überwunden hatte, Corongo, das heute noch so heisst und 3200 Meter hoch liegt.
Die Lösegeldtruppe musste nun auf der gewundenen, schwierigen Strasse
absteigen, die durch die Schlucht des Rio Santa führte, eines schäumenden,
ungestümen Flusses, der durch den schmelzenden Schnee der Cordillera Blanca
gespeist wird.
In Yurmarca war eine
Haltestation, die zwei grosse Hängebrücken bewachte. Da Hängebrücken in Europa
unbekannt waren, nie von den Römern gebaut wurden und von den Europäern erst r
81 o erfunden wurden, fehlten Estete die Wörter, um sie zu beschreiben.
Immerhin ist das Folgende die erste veröffentlichte Beschreibung einer
inkaischen Hängebrücke: «Am nächsten Tag erreichte [Hernando Pizarro] ein grosses
Dorf in einem Tal, und ein sehr reissender Fluss unterbrach die Strasse. Er war
überspannt von zwei nahe beieinanderliegenden Brücken aus Netzwerk, das in der
folgenden Weise hergestellt war. Man baute ein Fundament [die Türme] nahe beim
Wasser recht hoch hinauf; und von einer Seite des Flusses zur anderen wurden
Seile [aus geflochtenen Cabuyafasern], so dick wie der Oberschenkel eines
Mannes, gespannt. Sie werden von den Türmen gehalten, und ihre Enden sind unter
grossen Steinen im Boden begraben. Die Breite ist die eines Karrens.»
Die Überreste der
Türme, die die Hängebrücken hielten, sind noch vorhanden und zeugen davon, dass
es hier — wie an vielen Orten — zwei Brücken gab: «Die eine», erklärten die
Spanier, «ist für das gemeine Volk, während die Inkaherren und Hauptleute die
andere benutzten.»
Die Inkastrasse
verlief jetzt am Westrand der Schlucht, da die andere Seite so steil war und es
so oft Lawinen gab, dass es unmöglich war, dort eine Strasse zu bauen.
In Huaylas «gönnte
Hernando Pizarro seiner Truppe zwei Tage Ruhe». Die Ruinen des Tampu und der
alten Stadt sind noch zu sehen.
Von diesem Punkt aus
hatte Hernando Pizarro nach Süden zu seiner Linken ein prachtvolles Panorama
des Callejön de Huaylas. Die schneebedeckten Gipfel nur 3o Kilometer weiter
östlich sind alle höher als der Montblanc und das Matterhorn; der höchste ist
der Huascarän, Perus höchster Berg.
Hinter Mato war laut
dem offiziellen Bericht «ein kleines Dorf, wo alle Wünsche [der Truppe] —
Essen, Trinken, Schlafen — befriedigt wurden». Die Strasse kreuzte dann den Rio
Santa noch einmal auf einer weiteren Hängebrücke, denn da die östliche Talseite
hier breiter wurde, war nun der Inkastrasse kein Hindernis mehr im Wege.
Nachdem die Strasse Caras und dann Yungay passiert hatte, «wo die Leute als
Freunde entgegenkamen, Lebensmittel lieferten und Indianer als Staffettenläufer
für das Gepäck [der Truppe] anboten», erreichte sie Ranrahirca, einen Platz,
den man wegen seiner Lawinen besser meidet. Die letzte dieser Lawinen ging am r
o. Januar 1962 nieder, als drei Millionen Tonnen Schnee, Fels und Wasser vom
Gipfel des Huascarän herunterbrachen und 35oo Dorfbewohner unter sich begruben.
In dem Mass, wie das
Tal sich weiter verbreiterte, verminderte sich die Lawinengefahr so weit, dass
sich die Inkastrasse auf ihrem Weg durch Huaras, wo «Pumacallai [der Curaca] zu
uns kam, um eine neue Staffette von indianischen Trägern zu organisieren», auf
der östlichen Seite halten konnte. Auf den vierzig Kilometern zwischen Huaras
und 011eros musste die Strasse zweiundzwanzig kleinere und grössere Flüsse
überqueren, die alle überbrückt waren. «Es gibt eine Brücke aus Stein oder Holz
über jeden Fluss.»
«Nachdem wir durch
das Tal marschiert waren, wo es viel bebautes Land und zahlreiche Lamaherden
gab, machten wir für die Nacht zehn Kilometer vor einem kleinen Dorf namens
Pachicoto halt» —das war am 24. Januar. Obwohl das Tampu 4000 Meter hoch auf
dem öden Hochland liegt, war hier einst eine wichtige Kreuzung, was durch
Mauern, Ruinen und die Spuren von Strassen bezeugt wird. An dieser Kreuzung
«verliess Hernando Pizarro die Königsstrasse nach Cuzco und schlug die Querstrasse
ein, die nach Westen an die Küste führte».
Bei Marca, dem
nächsten Tampu, wo die Inkastrasse noch deutlich zu sehen ist, wandte sich die
Expedition nach Westen, passierte einen Engpass durch die Cordillera Negra und
stieg dann ab. Sie erreichten die Küste bei der grossen Festung Paramonga,
trafen dort auf die gut instand gehaltene Küstenstrasse und folgten ihr die
restlichen hundertachtzig Kilometer bis Pachacamac. Dort plünderte Pizarro mit
einer Rücksichtslosigkeit, die nur zu verstehen ist, weil sie von Atahualpas
Befehl gedeckt war, alles Gold und Silber des Heiligtums. Am 13. Februar 1533,
als er sein Werk vollendet und Hunderte von indianischen Trägern mit Gold und
Silber beladen hatte, befahl er den Rückmarsch.
Auf der Rückreise
erfuhr er von seinen Führern, die das von den Chasqui, die ständig die Strassen
patrouillierten, gehört hatten, dass Chalcuchima, einer der tüchtigsten
Generäle von Atahualpa in einem Ort namens Jauja im hohen Gebirge sei. Aber wo
war Jauja genau? Man sagte Pizarro, es liege tief in den Anden, aber es gebe
eine ziemlich direkte Route von Pachacamac dorthin. Nachdem er diese gefunden
hatte, brach er dorthin auf.
Als die Truppe auf
der Küstenstrasse nach Norden vorrückte, machten Hernandos Führer ihn auf eine
Zubringerstrasse aufmerksam, die die Küstenstrasse mit der andinen Königsstrasse
verband. Diese Zubringerstrasse, die von Huara über Sayan, Churin und Oyon zur
Königsstrasse führte, war auf der Landkarte nur hundert Kilometer lang, aber
sie stieg die ganze Strecke bergan. Die Reste dieser Strasse, die sich
gefährlich an die Wände der Oyonschlucht anschmiegen, sind noch zu sehen.
Unterwegs auf dieser
Strasse «musste die Truppe einen Pass überschreiten, wo der Schnee so tief war,
dass er den Pferden bis zum Sattelgurt ging». Sie kamen bei Cajatambo heraus,
einer Stadt von einiger Bedeutung, bei der viele Bergstrassen zusammenliefen.
Sie hat ein arktisches Klima, das noch verschärft wird durch die eisigen Winde,
die vom schneebedeckten Gipfel des Yanahuanca herunterwehen, der mit einer Höhe
von 5700 Meter die Gegend beherrscht. Pizarro änderte die Richtung und
marschierte zu der Königsstrasse, die er vorher verlassen hatte, um zur Küste
abzusteigen. Der Weg nach Süden verlief nun auf einer von Mauern gesäumten Strasse,
vorbei am See von Punrrün mit seinem eisigen Ufer; zwei Tage später, am r i.
März, erreichte die Truppe die weite Ebene von Pumpu (Bonbön).
Für die Spanier war
Pumpu ein «grosses Dorf». Als sie dort ankamen, «kamen die Vornehmen des Ortes
heraus, um Hernando Pizarro zu begrüssen. Wir fanden hier t5o arrobas [ca. 25o
Pfund] Gold, die als Teil des Lösegeldes von Atahualpa auf dem Weg nach
Cajamarca waren.» Die Reisenden stellten fest, dass dem grossen See dort ein
Fluss — der Mantaro — entströmte und rund um den See herum viele Dörfer lagen
und dass es auch grosse Schwärme von Vögeln, einschliesslich rosafarbener
Flamingos, gab, die dort nisteten. Der Mantaro wird von einer Brücke
überspannt, deren Pfeiler heute noch zu sehen sind, wenn das Wasser niedrig
steht. Auch das Inkadorf Pumpu ist noch sichtbar. Der See, der damals Chincha
hiess, ist sechzig Kilometer lang und zehn Kilometer breit und liegt mit seiner
Höhe von 3800 Metern höher als der grosse Titicacasee. Seinen Namen Chincha gab
man einer der Provinzen der Welt der Inka — dem Chinchasuyu.
Dreissig Kilometer
hinter Pumpu kam die Abteilung nach Xacamalca und nach einem weiteren
Tagesmarsch nach Tarma auf einem kahlen Berg oberhalb der modernen Stadt dieses
Namens. Hernando Pizarro «verbrachte diese Nacht in Tarma, das am Hang eines
Berges liegt. Hier wohnte er in einem bemalten Haus.» Die Überreste von
Befestigungsanlagen, Häusern und einem Tampu existieren noch und sind bei den
Einheimischen als «Pizarros Häuser» bekannt. Hier machte die Expedition einen
Aufenthalt, um sich für den Marsch nach Jauja umzuorganisieren. Der örtliche
Häuptling «benahm sich gut» und versorgte sie mit Nahrung und Trägern. Am
Sonntag, dem 23. März, stellte Hernando Pizarro seine Männer in Schlachtordnung
auf und führte sie hinaus auf die Strasse über das Hochland.
An den Seiten der
Strasse waren, und sind es heute noch, Steine aufgeschichtet und mit Lehm
zementiert, so dass sie eine kleine Mauer bilden. Die zehn Meter breite Strasse
stiess auf ihrem Lauf über das baumlose Hochland auf wenig Hindernisse und war
zum grössten Teil ungepflastert, wie gewöhnlich bei Strassen, die über solches
Gelände verliefen. Wo jedoch die Strasse eine starke Steigung zu überwinden
hatte, hatten die Ingenieure breite Stufen gebaut, die mit Steinen gesäumt
waren. Wo ausserdem die Strasse einen Sumpf überquerte, war sie auf einem Damm
erbaut, der gewöhnlich ein Steinfundament hatte. Verlief sie durch ein
regenreiches Gebiet, so musste sie sogar gepflastert werden. Im allgemeinen
freilich bot das harte, gut entwässerte Hochland und auch das Land entlang der
öden Küste der Strasse einen Unterbau, der dauerhaft genug war und kein
Pflaster erforderte. In Abständen von sechs Metern gab es steinerne Entwässerungskanäle
quer über die Strasse, die den Regen hinreichend von der Erdstrasse ableiteten.
All das kann man heute noch so deutlich sehen wie damals, als Hernando Pizarro
vor 450 Jahren über diesen Abschnitt der Königsstrasse zog.
«Die Stadt Jauja», heisst
es in Pizarros knappem Bericht, «ist sehr gross. Sie liegt in einem schönen Tal
und hat ein gemässigtes Klima. Ein grosser Fluss — der Mantaro — fliesst in der
Nähe der Stadt vorbei. Das Land ist fruchtbar.»
Die Stadt war auch
strategisch wichtig: wer Jauja besass, konnte jede Bewegung nach Norden
kontrollieren. Sie beherrschte das Tal des Mantaro und auch eine der
wichtigsten und direktesten Routen zur Küste. Die ursprünglichen Bewohner waren
die Wanka, «Feldwächter». Sie waren ein kämpferisches Volk, dessen Häuser «als
runde Festungen aus Stein wie kleine Burgen gebaut waren». Um ihre
ausgedehnten, dicht bepflanzten Felder zu verteidigen, benutzten die Wanka die
Schleuder als Waffe, und mancher ausgegrabene Schädel zeugt für ihre
Treffsicherheit mit diesem Instrument, wie man an den vielen trepanierten
Schädeln sieht, die in der Umgebung entdeckt wurden. Im frühen fünfzehnten
Jahrhundert blockierten die Wanka erfolgreich den siegreichen Vormarsch der
Inka nach Norden. Obwohl Topa, der zehnte Inka, durch seine Botschafter
versuchte, sie zu bewegen, «seine Freunschaft anzunehmen, ohne dass er sie sich
durch einen Krieg nehmen müsste», weigerten sich die Wanka. Vor die Wahl
zwischen Integration oder Vernichtung gestellt, entschieden sie, sich für
Vernichtung. Die Schlacht, die nun folgte, war kurz, blutig und endgültig: die
Wanka wurden dem Reich eingegliedert. Die Inka zwangen ihnen ihr politisches
Systen und ihre Religion auf, beliessen ihnen aber ihre Riten, Gebräuche und
die Sprache.
In den fünf Tagen,
die Hernando Pizarro hier verbrachte, «sah er jeden Tag i00000 Menschen sich
auf dem Hauptplatz zum Markt versammeln». Aber die Spanier waren nicht
gekommen, um Leute zu zählen, sondern um General Chalcuchima, den Sieger über
Huascar und eine vermutliche Quelle des Widerstandes, in die Hand zu bekommen
und ihn nach Cajamarca zu bringen. Es war das erste Mal, dass der Inkageneral
in persönlichen Kontakt mit den «Bärtigen» kam, und zum erstenmal in seiner
langen militärischen Laufbahn wusste Chalcuchima nicht, wie er sich verhalten
sollte. Seltsame Leute waren vom Meer her gekommen, setzten Atahualpa gefangen,
um ein Lösegeld zu bekommen, und er wusste nun nicht, ob er kämpfen oder
fliehen sollte. Hernando Pizarro nahm ihm die Entscheidung ab: sein Platz war
neben Atahualpa. So folgte Chalcuchima in seiner Sänfte mit einem grossen
Gefolge von blaugekleideten Rucana, die abwechselnd die Sänfte trugen und
ausruhten, den Eroberern über die Königsstrasse zurück nach Cajamarca.
Die grosse Stadt
Huänuco — 370o Meter hoch gelegen — wurde am letzten Tag des März erreicht,
nachdem die Marschkolonne fünfundzwanzig Kilometer auf «Strassen zurückgelegt
hatte, die wegen des Schnees gepflastert waren». Pedro de Cieza sah die Stadt
1547, dreizehn Jahre, nachdem Hernando Pizarro hier gewesen war. Er rühmte an
ihr, dass sie «einen bewundernswert aus sehr grossen, kunstvoll gefügten
Steinen erbauten Königspalast besass und daneben den Sonnentempel. Die
Verwalter der Inka waren damit beschäftigt, den Tribut aus der Gegend, die dem
Unterhalt dieses Palastes diente, einzutreiben.»
Huänuco, die
bedeutendste Stadt der Provinz der Huamilien, war die grösste Stadt zwischen
Cuzco und Tombebamba. Allein an dem gewaltigen Hauptplatz lagen acht grosse
Gebäude. Man erreichte sie auf drei Treppen, und die Tore waren mit
skulptierten kauernden Pumas geschmückt. Auf den Hügeln lagen die Häuser der
Bewohner und 3000 Lagerhäuser. Pedro de Ciezas Schätzung von 3o 00o Einwohnern
scheint ziemlich zutreffend zu sein. Die Gewohnheit, Tribut zu zahlen, war so
eingewurzelt, dass noch fünfzig Jahre nach der Eroberung die Nachkommen
derjenigen, die Huänuco untertan waren und den Inka Tribut zahlten, diesen auch
noch an den spanischen Vizekönig von Peru leisteten. Als die Tributzahlungen
allmählich nachliessen, sandte der Vizekönig 1562 einen gewissen Itiigo de
Zuhiga aus, um die Gründe dafür zu erfahren. Die Indianer wurden eingehend über
den Ursprung und die Art und Menge des an den Inka bezahlten Tributs befragt.
Der folgende Auszug aus Zuiiigas Bericht ist typisch: «Haus 35. In diesem Haus
lebt eine indianische Frau namens Ana Colque. Witwe, etwa siebzig Jahre alt,
ohne Söhne oder Töchter. Sie erinnert sich nicht mehr an den dem Inka geleisteten
Tribut. Ihr Tribut ist ein Knäuel gesponnenen Wollfadens alle vier Monate und
jedes Jahr ein Hühnchen und einige Eier.»
Die ursprünglichen
Bewohner in vorinkaischer Zeit hiessen Macha. Das Gebiet wurde 1462 vom Topa
Inka erobert. Eine Gruppe von Mitimaes (Kolonisten) wurde hier angesiedelt, um
die Treue des Landes zum Inka sicherzustellen. Tribut wurde von allen erhoben.
Im Tal des Marariön, eines bedeutenden Nebenflusses des Amazonas, bestand der
Tribut aus Cocablättern, Fisch, Mais und Goldstaub; in den kühleren Gebieten
aus Kartoffeln, Salz und cabuyaFasern.
Der ehrwürdige
Karmeliterpater Väsquez de Espinosa, der weite Strecken zu Fuss und auf einem
Maultier durch Peru reiste, um zu ermessen, wie viele Menschen er bekehren müsste,
ritt 1564 nach Huänuco. Er fand, dass es «auf einer weiten und reizvollen Ebene
liegt, in einer schönen, wenn auch öden Landschaft ohne einen einzigen Baum».
Auch er sprach von der ausgezeichneten Steinbauweise der königlichen Paläste,
«viele Gebäude waren gross genug, um einen Rennplatz zu enthalten, und es gab
warme Bäder». Das heisse Wasser der Schwefelbäche wurde aus einiger Entfernung
in geschlossenen Rohrleitungen hergeführt; die alten Bäder in Huänuco sind noch
erhalten.
Ein zwanzig Kilometer
langer Abschnitt der Königsstrasse von Huänuco nach Cajamarca ist eingehend
erforscht worden. Die Umrisse der symmetrischen Gebäude, die einst das Tampu
von Tarapaco waren — die erste Haltestation nach Huänuco, wo Hernando kurz
haltmachte —, sind noch zu sehen. Auf dem ebenen, flachen Hochland ist die Strasse
oft nicht weniger als zwölf Meter breit, was vermuten lässt, dass sie dazu
gebaut wurde, Raum für eine ansehnliche Streitmacht zu bieten. Auf den
Gefällstrecken wird die Strasse von Stützmauern gehalten und durch mit Stein
eingefasste Rohre von hervorragender Ausführung entwässert. Besonders starke
Gefälle wurden vermittels Steinstufen, die nicht höher als zehn Zentimeter
waren, überwunden. Die Stufen bereiteten den Spaniern mit ihren Pferden
Schwierigkeiten, den Inka jedoch nicht, die fast immer zu Fuss reisten. Trotz
jahrhundertelanger klimatischer Einwirkungen den täglichen Extremen der
Temperatur, ständigem Regen, Schnee und Frost — ist dieser Abschnitt der Strasse
noch benutzbar.
Die Treppenstrasse
führte zum ViscarraFluss hinunter, den sie auf einer Brücke überquerte, die
Hernando Pizarros Schreiber als «die allernötigste Brücke in der Provinz»
bezeichnete. Sie war keine Hängebrücke, sondern eine hölzerne, wie es bei
Flüssen üblich war, die schmal genug waren, um von Balken überspannt zu werden.
Sie war «aus sieben elf Meter langen Baumstämmen erbaut, die mit kleineren
Zweigen bedeckt und mit Lehm gepflastert waren».
Nachdem die Strasse
mehrere grössere und kleinere Flüsse überschritten hatte, führte sie die Männer
zu «einem guten Dorf namens Huari, wo ein grosser und tiefer Fluss ist
[Quebrada Huaritambo], über den eine weitere Brücke führt. Diese Stellung ist
sehr stark, da auf beiden Seiten tiefe Abgründe sind.» Hier brach Chalcuchima
sein Schweigen, um einem Mitstreiter zu zeigen, dass er hier eine Schlacht
gegen Huascar und seine Truppen geschlagen habe, die den Pass bewachten.
Nach 25 Kilometern
erreichte die Truppe Huacabamba, wo zwei Bäche in einen grossen Fluss
einmünden. Dort stiessen sie wieder auf «einen tiefen Fluss mit zwei Brücken,
und zwar Hängebrücken aus Netzwerk nahe beieinander. Die Taue ruhten auf
Steintürmen dicht am Ufer des Flusses. Die Seile, die von einer Seite bis zur
anderen hinüberreichen, sind so dick wie der Schenkel eines Mannes, und
zwischen ihnen sind kräftige Stricke aus demselben Material, die die Bretter
der Brücke tragen. Die Pferde kamen ohne Schwierigkeiten hinüber.»
Dann folgte die
Wegstation Piscobamba. «Sie ist an der Flanke eines Berges erbaut. Die Indianer
tragen auf dem Kopf eine Art Strähne aus rotgefärbter Wolle.»
«Die Strasse ist eine
Augenweide», schrieb Pedro de Cieza, als er vierzehn Jahre später dieselbe Strasse
ging, «wie schön ist sie gebaut, glatt und breit! Sie verläuft über Berge und
ist zum Teil aus dem gewachsenen Fels herausgehauen, wo es dann Treppen und
Ruheplätze gibt.» Hernando Pizarro erreichte Conduco auf dieser Strasse. Wenig
später kam er mit seiner Truppe nach Andamarca, heute Mollebamba. Dort waren
sie früher im gleichen Jahr von der Gebirgsstrasse zur Strasse nach Pachacamac
und der heissen Wüstenküste hinunter abgebogen. «An diesem Punkt vereinigten
sich die beiden Königsstrassen nach Cuzco.»
Als Hernando Pizarro
am 25. Mai 1533 nach Cajamarca zurückkam, waren er und seine «Zwanzig» über
1900 Kilometer auf Inkastrassen gereist. Er hatte viele Inkabrücken
überschritten, und seine —die erste — Beschreibung von ihnen stammt aus der
Zeit, wo das ursprüngliche Wartungssystem noch funktionierte. Auf seiner
goldsammelnden, bilderstürmerischen Reise nach Pachacamac hatte er einen
gewaltigen Streifen feindseligen Landes durchquert, wobei ihm lediglich
Atahualpas Wort sicheres Geleit bieten konnte. Er hatte mehr von der Inkastrasse
in ihrem ursprünglichen Zustand gesehen und beschrieben als jeder andere
Europäer, und obwohl der Gedanke an das Gold für ihn die treibende Kraft war, war
doch die Erkenntnis, dass ein für primitiv gehaltenes Volk solche Strassen über
ein derart unwirtliches Gelände anlegen konnte, überwältigend. Er war mit einer
genauen Kenntnis der Verbindungslinien und einem Plan für die zukünftige
E'roberung zurückgekehrt.
Im November 1533,
sechs Monate nachdem er seinen Bericht fertiggestellt hatte, unterbreitete er
ihn auf der Insel Santo Domingo dem königlichen Historiographen Oviedo. Er
berichtete: «Ich erhielt die Erlaubnis des Gouverneurs Francisco Pizarro, zu einer
Moschee zu gehen, von der ich Kenntnis bekommen hatte. 5oo Kilometer entfernt
an der Meeresküste in einer Stadt namens Pachacamac gelegen, brauchten wir
zweiundzwanzig Tage, um dorthin zu gelangen. Die Strasse über das Gebirge ist
sehr sehenswürdig, weil Strassen, die trotz der Schroffheit des Bodens so schön
angelegt sind, wahrlich nirgends in der Christenheit zu finden sind. Der grössere
Teil von ihnen ist gepflastert. über jeden Fluss gibt es eine Brücke aus Stein,
Hanf oder Holz. Wir kamen zu Hängebrücken über einen sehr grossen und reissenden
Fluss [den Santa], die wir zweimal überquerten, und diese Brücken waren
wunderbar anzusehen. Sie sind so stark gebaut, dass die Pferde auf ihnen gehen
konnten. Bei jedem Übergang gibt es zwei Brücken, eine für das gemeine Volk,
die andere für die Vornehmen und Hauptleute. Die Zugänge zu den Brücken sind
geschlossen und von Wächtern bewacht. Das Land ist dicht bevölkert. Es gibt in
vielen Gebieten Goldminen. Es hat ein kaltes Klima. Es schneit, und es gibt
viel Regen. Sümpfe gibt es nicht. Brennmaterial ist knapp. Alle Leute aus dem
umliegenden Land kommen zu den TampuStädten, um ihre Pflichten zu erfüllen,
wenn das Heer durch das Land zieht. In diesen Tampu haben sie Vorräte an
Brennmaterial, Mais und allem anderen Notwendigen. Sie zählen mit gewissen
Knoten und Schnüren [Quipu] und notieren damit, was jeder Häuptling gebracht
hat. Wenn sie Ladungen von Brennmaterial, Mais, Chicha oder Fleisch bringen
müssen, nehmen sie die Knoten weg [auf einem Quipu] oder machen einen neuen
Knoten auf die anderen Schnüre, so dass die, die die Lagerhäuser unter sich
haben, genaue Konten führen können. Als wir bei den Wüstenebenen der
Meeresküste ankamen, trafen wir Leute, die weniger zivilisiert waren, aber das
Land war gleich stark bevölkert. Die Strasse ist sehr breit, mit einer irdenen
Mauer [Adobe] an beiden Seiten und Rasthäusern [Tampu] in gewissen Abständen.
Es gibt sehr grosse Dörfer; die Häuser der Indianer sind aus Schilfrohr und
Lehm erbaut. Denn in diesem Land regnet es nie. Die ummauerte Strasse
durchquert dieses ganze Land.»
So vermittelte uns
Hernando Pizarro den ersten und letzten flüchtigen Eindruck eines Reiches, das
kurze Zeit später unwiderruflich zerstört wurde.
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