Donnerstag, 3. März 2016

Cuba – ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie


Cuba – ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/k_QuUa7-9gY

Das neue Kuba? Für einen kurzen Moment scheint es, als müsse Papito überlegen, ob er noch einen Millimeter kürzen soll oder nicht. Hält inne, lässt den Rasierer leise schnurren, schaut auf den ausra¬sierten Nacken und dann in den Spiegel, zieht die Augenbrauen hoch und die Stirn in Falten. Für einen Moment ist es still. So still, dass man das Ächzen des Ventilators oben an der Decke hört und die Salsa-Mu-sik aus einem Radio irgendwo in der Nachbarschaft. Das neue Kuba? Papito fährt mit dem Rasierer wieder über den Nacken des Kunden. „Alle reden davon, dass es bald kommen wird. Dabei ist es doch längst da, la nueva Cuba."

Zwischen Oldtimern und bröckelndem Putz tauchen US-Touristen mit Selfie-Sticks auf

Um das neue Kuba zu verstehen, geht man am bes¬ten zum Friseur, in den Salon Arte Corte in Havanna. Friseur? Natürlich schneidet Papito Haare, aber da¬bei ist es längst nicht geblieben. Das Arte Corte ist mittlerweile Museum für altertümliche Kunden¬stühle und Trockenhauben, Galerie und Künstler¬treff, und das inoffizielle Wohnzimmer des Viertels war Papitos Laden ja sowieso schon immer. Jetzt sit¬zen hier die Alten, die aussehen, als seien sie damals schon mit Che durch den Dschungel gerobbt, und neben ihnen sitzen die Jungen, die in ihren T-Shirts und Sneakers und mit den Skateboards wirken, als seien sie aus einem YouTube-Clip gestiegen, und ne¬ben denen wiederum sitzen die Touristen aus Dallas oder Chicago und fotografieren sich gegenseitig, wie sie neben alten und jungen Kubanern beim Friseur in Kuba sitzen.

Doch, das ist so: Die Insel hat sich verändert in den vergangenen Monaten. Vor gut einem Jahr haben die USA ihr Embargo gelockert und damit ein halbes Jahrhundert Kalten Krieg beendet, seitdem dürfen Amerikaner auf das einst verbotene Eiland reisen. Mit Auflagen, mit bürokratischen Hindernissen, aber immerhin dürfen sie — und sie kommen: 2015 waren es schon 15o 000. Sie posieren auf Havannas Plaza de la Catedral mit zigarrerauchenden Gro߬mütterchen und ordern lautstark Cuba libre in Hemingways Stammkneipe El Floridita. Lassen sich in wunderschönen Oldtimern durch die Altstadt kut-schieren und fuchteln in der Basilica Menor de San Francisco mit Selfie-Sticks herum, und wahrschein¬lich gibt es in der kompletten Hauptstadt keine Ho-telrezeption ohne verzweifelte US-Touristen auf der Suche nach einem Internetzugang — oh my god, wa¬rum geht hier alles bloß so langsam? Ach jaDie Zeiten, in denen man Zeit hatte in Havanna, Zeit im Überfluss, mehr Zeit als alles andere - dort, wo Touristen auftauchen, scheinen sie vorbei.

Seit der Annäherung der früheren Erzfeinde wird vielerorts renoviert und restauriert

Und was muss man gesehen haben im neuen Kuba? Zuerst einmal und vor allem das alte Havanna. Kubas Hauptstadt ist eine Sensation, weil es so etwas wie Havanna kein zweites Mal gibt. Die Altstadt, la Haba-na Vieja, ist ein Setzkasten barocker und neoklassi¬scher Architektur, und weil hier eigentlich nie groß abgerissen oder saniert wurde, steht auch alles an¬dere herum, Art-d&o-Gebäude und wilhelminischer Pomp, und Havannas Kapitol sieht tatsächlich aus, als hätten sie das Pariser Panth&m nachbauen wol¬len. Beinahe tausend historische Gebäude drängen sich auf einer Fläche von gut vier Quadratkilome¬tern, und es soll Kuba-Touristen geben, die ihr kom¬plettes Reiseprogramm abgeblasen haben, um bis zum Rückflug durch die Straßen von la Habana Vieja zu bummeln. Es fällt einem ja auch nicht schwer, sich von der Atmosphäre hier bezirzen zu lassen. Die bröselnden Fassaden mit ihren verblichenen Farben, die stehende Mittagsschwüle und diese typisch ku-

 

banische Geräuschkulisse aus gurrenden Tauben, Unterhaltungsfetzen und Musik von irgendwoher ¬das alles verbindet sich zu jener nostalgischen Melange, an die man denkt, wenn man an Kuba denkt. Irgendwann, in wahrscheinlich überhaupt nicht ferner Zukunft, wird hier alles saniert und renoviert sein, und an jeder zweiten Ecke wird es McDonald's geben und Starbucks. Noch aber ist la Habana Vieja eine Welt für sich.

Und dann gibt es ja auch noch den Malecön, die be¬rühmteste Promenade des Sozialismus und der Kari¬bik. Zwei Stunden braucht man, um von der Altstadt bis zum Tunnel unter dem Rio Almendares zu schlendern, Kolonial- und Plattenbauten auf der ei¬nen Seite, auf der anderen das Meer, dessen Wellen an die Kaimauer klatschen und meterhoch zerstie¬ben. Spätestens am Malecön fällt einem dann auch wieder ein, dass Kuba eine Insel ist, nicht bloß eine Stadt, und dass diese Insel mehr Strände hat als jede andere der Karibik: 30o nämlich, mit einer Länge von insgesamt 600 Kilometern. Der von Varadero ist der berühmteste: Mehr als zwanzig Kilometer weißer Sand und wahrscheinlich mehr All-inclusive-Resorts als auf dem Rest der Insel zusammen. Wer es ruhiger mag, fährt zum Baden nach Guardalavaca. Und

wer seinen Strandurlaub mit Sightseeing verbinden möchte, wählt die Playa Ancön. Die liegt nämlich nur ein paar Minuten von Trinidad entfernt. Wegen seiner wunderbar erhaltenen Kolonialarchitektur ist Trinidad die zweite Stadt auf Kuba, die man gesehen haben muss.

Von dort bringt eine hundertjährige Eisenbahn Besucher ins Valle de los Ingenios, ein Tal wie ein großes, dampfendes Gewächshaus. Noch eindrucks¬voller ist ein Abstecher ins Valle de Vifiales mit sei¬nen imponierenden Kalksteinbergen, die wie Hö¬cker aus der Ebene ragen. Man kann hier wunderbar wandern oder mountainbiken oder einfach nur sei¬ne Ruhe haben. Die Nacht senkt sich früh und schnell über das Tal, und dann hört man auf der Hotelterrasse nur noch das Quaken der Frösche und das Zirpen der Zikaden.

Die Nacht gehört der jungen Generation

Wenn Kuba schlafen gehe, wache Havanna auf, heißt es, und auch wenn das ein wenig übertrieben sein mag: In der Hauptstadt gibt es genügend Orte, in denen die Nacht zum Tag gemacht wird. In der Casa de la Müsica zum Beispiel, dem besten Salsa-Club der Stadt. Gut möglich, dass sich auch im La Zorra y El Cueivo Jazzmusiker noch weit nach Mitternacht den Schweiß von der Stirn wischen. Und seit die ,ffi/a-

 

shington Post" über die Fabrica de Arte geschrieben hat, die Kulturfabrik stehe mit ihren Ausstellungen, Theater-Shows und DJ-Sets exemplarisch für das junge Kuba, für das der Kreativen und Hipster, sind die Nächte dort bestimmt nicht kürzer geworden.

Irgendwann dämmert es, und der Himmel am Rande der Stadt wird heller, und ein kühler Luftzug weht vom Meer in die Straßen. Der frühe Morgen ist die schönste Zeit für Havanna. Die Stadt scheint sich zu recken und zu strecken und aus der warmen Nacht herauszuschälen. Manchmal regnet es dann, kurz, sanft, als solle die Stadt behutsam geweckt werden. Hinterher sieht Havanna frisch gewaschen aus wie die Wäsche auf den Balkonen, die man abzu¬hängen vergessen hat. Die ersten Cafes öffnen, der Kaffee ist dick und schwarz und schrillt den Kreis¬lauf aus dem Schlaf. Oben in den Palmen beginnen die Stare ihr Gezeter. Und drüben bei Arte Corte kehrt Papito den Salon aus und wartet auf die ersten Kun¬den des Tages. Und auf das neue Kuba, das eigentlich schon da ist.

Noch sieht es zürn Glück beinahe so aus wie das alte.










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