Miami South Beach – Reisebericht von Selzer-McKenzie
https://youtu.be/mK9_UX2Xt1s
Miami hat sich neu erfunden. Das einst heruntergekommene
Viertel South Beach ist wieder in: Vor den prächtigen Art-D&o-Gebäuden wird
der Strand zum Laufsteg. Heute übernachten Besucher in der ehemaligen Residenz
von Versace und entdecken moderne Kunst. rium
des Hauses. Cher traf bei rauschenden Festen auf Elton John und Madonna.
Vielleicht schaffen das eines Tages auch die neuen Besitzer. Im Mo-ment
schlummert die Casa Casuarina, inzwischen eine noble Herberge mit nur zehn
Suiten und ei¬nem Restaurant, eher im Dornröschenschlaf. Was morgen schon
wieder vorbei sein kann: Miami bewegt sich bisweilen schneller als New York.
4 Sein Geist
ist da. Man kann ihn spüren, sobald sich der Vorhang der Nacht über die Villa
Casa Casuarina senkt, sobald sich die High-Heels mit hellem Klack-Klack aus dem
Restaurant auf den Ocean Drive verabschieden. Sein Geist beobach¬tet einen,
wenn man unter rauschenden Palmen im mit Millionen von Mosaiksteinen verzierten
Swimmingpool ein paar Runden dreht. Auch in der Aviary Suite, dem Zimmer mit
den handge¬malten Vögeln auf der Tapete, ist der Meister präsent: Er hatte sie
für seine Nichte Allegra ent¬worfen. Das Medusenhaupt, Gianni Versaces
Markenzeichen, ist überall - im Pool, auf dem Fußboden, an den Türklinken,
selbst auf dem Wasserabflussdeckel. Kurz vor dem Eindäm¬mern kommt einem der
Spruch von Donatella Versace in den Sinn, der Schwester des verstorbe¬nen
Modeschöpfers: „Jedes Zimmer ist wie ein anderer Traum von Gianni."
Am nächsten Morgen, wenn Miami Beach er-
wacht, scheint sanftes Licht durch die bernstein-farbenen
und weinroten Fenster. Doch nach dem Frühstück ist der pro Nacht mindestens 750
Dol¬lar teure Traum dann leider vorbei - man muss auschecken, weil die nächsten
Gäste kommen. Denn die Villa Casa Casuarina ist ein legendäres Gebäude: 1930
wurde sie vom Ölmagnaten Ad-len Freeman erbaut und bewohnt. Es folgten ei¬nige
ziemlich unglamouröse Jahrzehnte, in de¬nen das Anwesen aufgeteilt und in
Appartements umgewandelt wurde und schließlich immer mehr verfiel. Dann erwarb
und erweiterte der Mode-designer Gianni Versace das Anwesen. Insge¬samt
investierte er fast 40 Millionen Dollar.
Villa im Dornröschenschlaf
Viele Prominente waren hier schon zu Gast. Tom Cruise und
Katie Holmes verlobten sich nach ei¬nem dreistündigen Dinner im
Sterne-Observato-
Alles anders als erwartet
Miami ist keine fertige Stadt, sondern eine, die sich immer
wieder neu erfindet. Exilhauptstadt Kubas? Das war einmal - in „Linie
Havana" trifft sich heute ganz Lateinamerika. Rentnerparadies für Weiße
aus dem Norden? 60 Prozent der 2,6 Millionen Einwohner von Miami-Dade County
haben Spanisch als Muttersprache, nicht Englisch. Am Strand von South Beach
treffen athletische College-Studenten im Spring Break auf Models beim Shooting,
Latinos auf aus der Kälte flüchtende „Snowbirds" aus Kanada. Für alle ist
Platz, auch und vor allem für den Gla¬mour ä la Miami Vice. Kein Wunder, dass
je¬mand wie Gianni Versace hier leben wollte.
Der Designer war keiner, der sich in seiner Resi¬denz
versteckte oder sich, einmal außerhalb der hohen Mauern unterwegs, stets von
Bodyguards abschirmen ließ. Das wurde ihm im Jahr 1997
zum Verhängnis, als ihn die Kugeln eines Mör¬ders trafen.
Versace schien die Unbeschwertheit Miamis zu lieben, und so sah man ihn am
Vor¬mittag oft den Ocean Drive entlang schlendern: Ein kleiner
Morgenspaziergang die paar Stra¬ßenblocks von Hausnummer 1116 nach Haus¬nummer
800, dem News Caf& wo er sich gele¬gentlich eine italienische Zeitung
kaufte. Das News Caffe gibt es immer noch, der Laden läuft besser denn je und
hat rund um die Uhr geöffnet. Nur die Sonnenbrillen der Generation
Umhän¬getasche, die hier ausgiebig frühstückt, sind noch größer geworden als zu
Zeiten Versaces. Sie errei¬chen nun etwa den Durchmesser der auf den Tischchen
platzierten Latte-Macchiato-Gläser.
Früher pfui, heute hui
Doch es ist noch gar nicht so lange her, da gab es hier
weder Bars noch Mädels mit knappen Biki¬nis, die ihre Haut dekorativ zur Schau
stellten. Schon gar keine Touristen auf der Suche nach international bekanntem
Glanz. Früher schloss sich die Laufkundschaft von Haus 800 Ocean Drive in
verwahrlosten Zimmern ein und rauchte sich mit Crack um den Verstand. Auf der
Straße besorgten sich die Drogen¬abhängigen das Geld für die nächste Pfeife.
Deswegen gab es vor drei Jahrzehnten tatsäch¬lich Pläne, das Viertel komplett
abzureißen und eine Lagunenstadt mit künstlichen Ka¬nälen anzulegen. Doch dann
fanden Investoren Geschmack an den histori¬schen Art-Mco-Gebäuden, mehr als 800
Häuser entlang des weißen Sand¬strands, gebaut zwischen 1923 und 1943. Hier ein
Bullaugen-Fenster, dort eine Re¬ling oder ein Fahnenmast - alles archi¬tektonische
Anspielungen auf die gro§en Ozeandampfer, die vor dem Zweiten Weltkrieg im
Hafen von Miami anlegten. »Früher traute man sich nachts nicht auf die
Straße", sagt Paddy Ericson, die viele Jahre lang als Kriminalreporterin
für den „Mia- mi Herald" unterwegs war und ihr ganzes Leben in South Beach
verbracht hat. Auch Scott Timm von der Miami Design Preservation League, die
sich für die Erhaltung der historischen Gebäude einsetzt, hat den Wandel miterlebt:
„Erst war hier ein Slum. Dann wurde Miami plötzlich cool."
Jet-Set brachte den Aufschwung
Die Modeindustrie liebte den morbiden Charme von South
Beach. Künstler zogen hinterher. In den 90er-Jahren wurde South Beach für den
Jet-Set interessant. In 800 Ocean Drive zog eine Mo-delagentur. Und die Straße
wurde zur Bühne: Hier mischt sich heute alles, was die multikultu¬relle Stadt
ausmacht. Noch immer gibt es vor al¬lem Bars und Restaurants am Ocean Drive -
die Läden der großen Ketten finden sich erst in zweiter oder dritter Linie.
South Beach lebt da¬von, außergewöhnlich zu sein.
Für viele Kreativeist das Viertel heute aber zu teuer. Sie
leben auf dem Festland, denn auch in Downtown Miami tut sich etwas. Abseits der
Hochhaus-Skyline, im Design District, siedeln sich Dutzende kleiner Läden an.
Im Süden, in Wynwood, verwandelt sich gerade eine Lagerhalle nach der anderen
in eine Kunstgalerie. Im Museum der Rubell Fa-mily Collection erinnern sich die
Mitarbeiter daran, dass der graue Klotz einst der amerikani¬schen
Anti-Drogenbehörde DEA als Waffende¬pot diente. „Als wir herkamen, hing noch
eine Zielscheibe in der Form eines Mannes an der Decke, die von Kugeln
durchsiebt war."
Für die Ausstellung „30 Americans" griff Künst¬ler
Kehinde Wiley dieses Thema auf: Bei seinem Dreifachporträt eines jungen
Schwarzen ließ er sich von Fahndungsfotos inspirieren. „In Miami ist moderne
Kunst synonym mit Glamour",
sagt dazu die bekannte Mäzenatin Rosa de la Cruz. „Doch es
ist besser, ein Glamour-Image zu haben als das Image, eine Hochburg der
Kri¬minalität zu sein
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