Subkontinent India
Author D.Selzer-McKenzie
https://youtu.be/vIAkwkZZbcw
Subkontinent in Bewegung
Während das Wirtschaftswachstum in vielen Emerging Markets
rückläufig ist, steigt Indien zur neuen Konjunkturlokomotive auf. Ein Plus beim
Bruttoinlandsprodukt von mehr als 7 Prozent in diesem und im nächsten Jahr, ein
vergleichsweise stabiler Aktienmarkt sowie eine recht robuste indische Rupie
sprechen aktuell für das Milliarden-Einwohner-Land. Doch im Zuge des Wachstums
vergrößerten sich auch die ohnedies scharfen Unterschiede zwischen Arm und
Reich.
Lange stand Indien, was das Wirtschaftswachstum angeht, im
Schatten Chinas, des anderen Milliarden Einwohner zählenden Landes. Die
Steigerungsraten waren zwar hoch, jedoch geringer als im Reich der Mitte. Nun
hat sich das Blatt gewendet. Für 2016 geht der Internationale Währungsfonds
(IWF) von einem BIP-Wachstum von 7,4 Prozent in Indien aus. Die Prognose für
China beläuft sich auf 6,3 Prozent. 2017 soll Indiens Wirtschafts¬leistung nach
IWF-Schätzungen auf 7,5 Prozent steigen, während sich das Wachstum in China
weiter abschwächen wird.
„Trotz struktureller Mängel zählt Indien damit nach wie vor
zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt", urteilt
auch das Auswärtige Amt. Bei weiter wachsender Einwoh¬nerzahl (derzeit sind es
1,25 Milliarden) werde es bis zur Mitte des Jahrhunderts voraussichtlich nicht
nur das bevölkerungs¬reichste Land der Erde sein, sondern auch mit seinem
Brutto¬inlandsprodukt nach China und USA an dritter Stelle liegen, so die
Experten.
Unter den größeren Volkswirtschaften zeigt Indien aktuell
sogar das höchste Wachstum. Von den 189 Ländern, die der IWF in seiner
Datenbank führt, wachsen aktuell nur einige kleinere Volkswirtschaften wie
Mozambique, Turkmenistan (allerdings wegen niedriger Rohstoffpreise mit
negativem Ausblick) oder Myanmar dynamischer.
Goldman Sachs Global Investment Research (GIR) erwartet,
dass sich Indiens Konjunkturaufschwung im Jahr 2016 vor allem auf¬grund der
guten Binnennachfrage fortsetzen wird. Bis zum Fiskal¬jahr 2017 könnte das
reale BIP-Wachstum sogar auf 7,9 Prozent anziehen. Da die globale Konjunktur
wohl als signifikanter Wachstumstreiber ausfallen wird, dürften neben der
städtischen Konsumnachfrage vor allem die Staatsausgaben für Wachstum sorgen.
Darüber hinaus sollte die Wirtschaft von den jüngsten Zinssenkungen um 125
Basispunkte und von der anhaltenden Schwäche der Rohstoffpreise profitieren.
HOFFNUNG AUF STRUKTURREFORMEN
Eine höhere Gesamtnachfrage würde auch die Inflation etwas
anheizen. Aktuell geht der IWF von einer Teuerungsrate von etwa 5,5 Prozent in
diesem und im nächsten Jahr aus. Die Schätzung von Goldman Sachs GIR liegt
etwas niedriger (4,9 bzw. 5,3 Pro-
zent). Die Experten verweisen allerdings auf die Risiken
höherer Inflation, wenn es beispielsweise im öffentlichen Dienst zu
Lohn-erhöhungen kommen sollte. Mehr Inflation würde den Spielraum der indischen
Zentralbank, der Reserve Bank of India (RBI I, be¬grenzen. Aktuell zeigen die
Notenbanker eine abwartende Hal¬tung. Die indische Rupie dürfte sich dennoch
als recht stabil er¬weisen und sich besser entwickeln als die meisten
Emerging-Mar-kets-Devisen. Denn die Wachstumsaussichten sind besser als
an¬derswo und die ausländischen Direktinvestitionen scheinen stabil. Dennoch
sieht sich die indische Rupie auch Risiken gegenüber, beispielsweise durch eine
mögliche weitere Abwertung des chi¬nesischen Yuan oder durch Zinserhöhungen in
den USA. Vieles wird davon abhängen, wie die Regierung um Premierminister
Narendra Modi an der Reformagenda festhalten und vor allem strukturelle
Schritte umsetzen wird.
SCHERE ZWISCHEN ARM UND REICH WEIT GEÖFFNET
Vor allem mit dem Thema der Armutsbekämpfung muss sich Modi
befassen. Das BIP pro Kopf liegt nach IWF-Angaben bei rund 1.800 Dollar. In
China ist es fast fünfmal so hoch. Rund 30 Prozent der indischen Bevölkerung
müssen mit weniger als einem Dollar täglich auskommen, etwa 70 Prozent stehen
weniger als 2 Dollar pro Tag zur Verfügung. „Auf dem Human Develop-ment Index
der UNDP steht Indien auf Platz 135 unter 187 er¬fassten Staaten. Während es
weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei
vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von
Subsahara-Afrika", bestätigt das Auswärtige Amt.
Durch das hohe Wirtschaftswachstum der zurückliegenden
De¬kade ist das durchschnittliche Einkommen zwar gestiegen, doch die
Unterschiede zwischen Metropolen wie Mumbai oder Ban-galore einerseits und
ländlichen Regionen andererseits wurden eher größer. Nach dem Regierungswechsel
2014 sind die Erwar¬tungen nun groß. Wird es gelingen, bessere Bildung für die
breite Masse der Bevölkerung zu ermöglichen und die Korruption ein¬zudämmen?
Der Großteil der Inder lebt auf dem Land, wo die Einkommen
wesentlich geringer sind. Die Landwirtschaft beschäftigt zwar fast die Hälfte
der Arbeitskräfte, trägt aber nur rund ein Sechstel zur Wirtschaftsleistung
bei. Viele Landwirtschaftsarbeiter sind
ohne Arbeitsvertrag tätig, haben weder Krankenversicherung
noch Rentenansprüche.
Der Wachstums- und Wohlstandsmotor in Indien ist der
Dienst-leistungssektor, der fast zwei Drittel zum Bruttoinlandsprodukt
beisteuert — allerdings profitierte bisher nur knapp ein Drittel der
Bevölkerung von diesem positiven Trend. Durch Reformen im Bildungssektor will
die Regierung an diesem Missverhältnis an-setzen. Dabei soll auch das verarbeitende
Gewerbe gestärkt werden.
Langfristig sollte Indien von seiner Größe und seiner
günstigen Demographie profitieren. Der Anteil der arbeitsfähigen Bevölke¬rung
zwischen 15 und 59 Jahren wird nach Angaben des Aus¬wärtigen Amtes bis 2026 auf
knapp 70 Prozent steigen. „Dieses äußerst günstige Generationenverhältnis soll
Stütze für ein nach¬haltiges Wachstum sein", so die Experten, die aber
auch anmer¬ken: „Die nötigen Arbeitsplätze müssen größtenteils allerdings erst
noch geschaffen werden. Ebenso sind massive öffentliche Investitionen in
Bildung, Ausbildung und Gesundheitswesen notwendig."
ABB. 2: WECHSELKURS EUR/INR
in INR
Der Regierungswechsel in Indien spiegelte sich auch in einer
etwas stabileren Währung (fallender EUR/I NR-Kurs) wider. Start 23.02,2006;
Stand 23.02.2016. Quelle: Bloomberg
AKTIENMARKT UND WÄHRUNG
Im Zuge der jüngsten Kurskorrekturen an den globalen
Aktien-märkten gaben auch die Kurse an der Börse in Mumbai nach. Der BSE Sensex
umfasst die 30 bedeutendsten indischen Aktien, darunter Dr. Reddy's
Laboratories, Infosys, Reliance Industries, State Bank of India, Tata Motors
und Wipro. Der Index markierte sein Allzeithoch Ende Januar 2015 bei rund
29.700 Punkten, nachdem er infolge des Regierungswechsels rapide gestiegen war.
Zuletzt fiel der BSE Sensex Index auf gut 23.000 Punkte, ein Minus von rund 22
Prozent. Zum Vergleich: Der MSCI Emerging Markets brach seit seinem
Zwischenhoch vom April 2015 um etwa ein Drittel ein.
Wesentlich stabiler als andere Devisen aus den
Schwellenländern hat sich auch die indische Rupie (INR) gehalten. Seit Mitte
2013 hat sie gegenüber dem Euro sogar zugelegt. Auf Sicht von zehn Jahren hat
indes die europäische Gemeinschaftswährung aufge¬wertet. Aktuell kostet ein
Euro etwa 75 Rupien, vor zehn Jahren waren es 52 Rupien. Gegenüber dem Dollar
hat die Rupie spür¬bar verloren — ein Trend, der seit Anfang 2008 anhält.
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