Werte Leser,
im Internet finde ich hier einen Bericht von einem
sogenannten Freundeskreis Georg von Rauch, den ich nachstehend im Original
beifüge.
Natürlich enthält der Bericht Wahrheiten, aber fast alles
zum Tode von Rauch ist erfunden. Ich habe hier ja die Anzeige an die
StA-Bayreuth im Forum eingespeist und den Fall deutlich erklärt, wie es
tatsächlich war.
Nur zwei Beispiele: da wird von der involvierten MusicGroup
Ton-Steine-Erden gesprochen, und eine heutige Bundestagsabgeordnete sei dort
damals Managerin gewesen. Völliger Quatsch, diese heutige Bundestagsabgeordnete
war damals wohl erst 14 Jahre alt und garantiert keine Managerin dieser Gruppe,
sondern wahrscheinlich erst in den 1990er Jahren.
Ebenfalls wird behauptet, von Rauch sei an den drei
Banküberfällen in der Rheinstrasse in Friedenau beteiligt gewesen. Alles
Quatsch, das war der damalige Fritz Teufel, der den Bankangestellten bei seinem
Banküberfall noch Mohrenköpfe (das sind Schokoladen-Kuchenstücke) verteilt hatte.
Ich frage mich, was Alt-Linke und Alt-68er, der ich eben
auch mal war, hier alles für einen Mist und Unwahrheiten verbreiten, nur um die
Zeitung zu kommen.
K O P I E aus dem
Internet
Vor 30 Jahren, am 4. Dezember 1971, wurde der Revolutionär
Georg von Rauch bei einem Feuergefecht von der Polizei in Westberlin
erschossen.
Der fast dreißig Jahre währende Kampf zwischen der
bewaffneten Fundamentalopposition und den Sicherheitsorganen der Bundesrepublik
Deutschland hat zahlreiche Opfer gefordert. Auf beiden Seiten. Wie immer diese
Auseinandersetzung heute politisch bewertet wird, als Abenteurertum, Fußnote
der Geschichte oder revolutionäre Strategie, muß man den Historikern
überlassen. Revolutionäre, Antiimperialisten, Helden für die einen, Desperados,
Banditen, Terroristen für die anderen.
Wir wollen mit diesen Texten an einen Mann erinnern, der vor
mehr als 30 Jahren zu den ersten gehörte, die fest davon überzeugt waren, daß
es richtig und notwendig ist, die spätkapitalistischen Verhältnisse in der
Bundesrepublik Deutschland mit der Waffe in der Hand zu bekämpfen.
Wir wollen an dieser Stelle auch mit einem Mythos aufräumen,
der Georg von Rauch und seinem politischen Leben nicht gerecht wird. Als nach
seinem Tod am Ort des Geschehens, in der Schöneberger Eisenacher Straþe, neben
dem erschossenen Georg keine Waffe gefunden wurde, strickte die linke Bewegung
seinerzeit den Mythos, Georg sei als Unbewaffneter von der Polizei ermordet
worden. Die Solidarität der Linken galt dem Opfer Georg von Rauch. Georg war
kein Opfer, er starb an jenem 4. Dezember 1971 als Kämpfer.
"Vielleicht bin ich auch nur ein Moralist"
Georg von Rauch war ein Mann, der mit Leidenschaft und Mut
versucht hat, den herrschenden Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland
und Westberlin eine fundamentale Opposition entgegen zu setzen. Der 24-Jährige
gehörte zu jener Gruppe von jungen Frauen und Männern, die sich Mitte des
Jahres 1971 zu einer Untergrundgruppe zusammengeschlossen hatten, aus der wenig
später die Bewegung 2. Juni wurde. Georg war ein Draufgänger, ein
Unerschrockener. Einer, der bereit war, sein Leben in die Waagschale zu werfen,
weil er fest davon überzeugt war, daß es sich lohnt, für eine bessere, eine
sozial gerechte Welt zu kämpfen. Georg von Rauch war ein Mann der Tat. Sein
politisches Selbstverständnis zog er aus Theorie und Praxis des historischen
Anarchismus. Er konnte überzeugen, war in den Diskussionen voller Leidenschaft,
aber nie dogmatisch. Selbst in heiklen Situationen verließ ihn nicht sein Witz.
Er hatte Charme, er hatte Charisma, er konnte die Menschen mitziehen, sie
begeistern. Und er genoß das Leben - und zwar in allem, was es ihm zu bieten
hatte.
Als Georg von Rauch 1947 als jüngster von drei Söhnen eines
Slawisitik-Professors in gutbürgerlichen Verhältnissen in Marburg geboren
wurde, war keineswegs abzusehen, daß er sich eines Tages mit tödlicher
Konsequenz auf die Seite der Verlierer, der Ausgebeuteten und Unterdrückten
stellen würde. Mit 20 Jahren kam er 1967 zum Studium der Philosophie an die
Freie Universität nach Westberlin. In der Frontstadt brodelte es bereits heftig.
Es war die Zeit der Studentenbewegung. Eine Zeit des Aufbruchs, eine Zeit der
Revolte gegen die alten, überkommenen Autoritäten und Werte der Adenauer-Ära.
Am 2. Juni 1967 erschoß der Kriminalbeamte Kuras den Studenten Benno Ohnesorg.
Der hatte mit Tausenden von Demonstranten friedlich gegen den Staatsbesuch des
Schah von Persien in Berlin protestiert. Der Tod von Benno Ohnesorg
radikalisierte die Studentenbewegung quasi über Nacht. Georg trat unverzüglich
dem Sozialistischen Studenten Bund (SDS) bei, der an der Spitze der
Protestbewegung stand. Fortan und bis zu seinem Tod war Georg in führender
Rolle im militanten Flügel der Außerparlamentarischen Opposition (APO) aktiv.
Noch im Jahr 1967 gehörte er mit zu den Gründern der
"Kritischen Universität", die sich die Zerschlagung der alten
autoritären Ordinarien-Universität auf die Fahnen geschrieben hatte. Die gerade
entstehende Kommune-Bewegung fand in Georg einen begeisterten Befürworter.
Neben der bekannten Kommune 1 gründete er zusammen mit Gleichgesinnten die
"Kommune Wielandstraße" in Charlottenburg. Es ging darum, neue Formen
des Zusammenlebens auszuprobieren und die alten Moralvorstellungen der
Adenauer-Ära hinwegzufegen. Es war die Zeit der nächtelangen Diskussionen über
sozialistische Utopien und internationale Solidarität. Die Klassiker des
Marxismus und Anarchismus wurden in den Zirkeln heiß diskutiert, während in der
Bundesrepublik und Westberlin der Antikommunismus Staatsdoktrin war. Alte Nazis
saßen wieder in führenden Funktionen in Politik, Kultur und Wirtschaft und
bestimmten die gesellschaftliche Realität in der Bundesrepublik. In fünf
Landtagen der BRD waren wieder, und das zum Teil mit zweistelligen
Prozentzahlen, die neuen Nazis von der NPD präsent. Außenpolitisch war die BRD
der treueste Vasall der USA, die über 300.000 Soldaten in der BRD stationiert
hatten, ausgerüstet auch mit Atomwaffen. Mit Rückzugsräumen und Logistik
unterstützte die BRD aktiv den verbrecherischen Krieg der Amerikaner gegen das
vietnamesische Volk. Für viele junge Menschen war die Unterstützung der
Bundesrepublik für diesen Krieg unerträglich und sorgte über Jahre für eine
Radikalisierung innerhalb der APO.
Über einen langen Zeitraum war die "Wieland
Kommune" auch das Zentrum illegaler Aktivitäten. Man druckte im Geheimen
zahlreiche verbotene oder vergessene Klassiker des Marxismus oder Anarchismus.
Die gesammelten Werke des Anarchisten Bakunin etwa. Oder die Geschichte der
KPDSU-B. Aber auch zahlreiche Schriften zum Guerillakrieg: Stalins Werk über
den Terrorismusì ebenso wie die Schrift "Großstadtguerilla" des
US-Amerikaners Robert Williams oder die des militanten Italieners Piertro
Cavallo "An die Studenten". Schriften, die damals in den Zirkeln der
Linken und der aufkommenden Subkultur reißenden Absatz fanden.
Vor allem aber der verheerende Krieg der USA gegen Vietnam
und die unabdingbare Solidarität der Bundesrepublik mit den
"Amerikanischen Freunden" empörte die APO zutiefst. Die Proteste in
Deutschland und Westberlin gegen den Krieg wurden zu Massenprotesten. Eilends
rüstete die Regierung auf und ließ den Protest mit Polizeigewalt
niederknüppeln. Nahezu jede Demonstration in diesen Jahren weitete sich zu
einer Straßenschlacht aus, bei der es regelmäßig zahlreiche verletzte und
verhaftete Demonstranten gab. Georg von Rauch war meistens in der ersten Reihe
dabei, er wurde zur Führungsfigur des militanten Teils der APO.
Aber es war auch die Zeit der freien Liebe und des
Drogenkonsums. Mit Flugblättern und in der Untergrundzeitung 883 riefen Georg
und Genossen zum ersten "Freien Smoke-In" auf. Haschisch rauchen
wurde hart verfolgt. Den Kiffern aber galt der Shit als Bewußtseinserweiternde
Droge. Polizeirazzien in den Untergrund-Lokalen der Stadt waren bald an der
Tagesordnung und endeten regelmäßig in Straßenschlachten. Weil die Rebellen
sich nicht verbieten lassen wollten, was ihnen Spaß machte. Haschrebellen
nannte man sich, und schon bald gab es einen "Zentralrat der
umherschweifenden Haschrebellen". Motto: "High sein, frei sein,
Terror muß dabei sein". Ziel der Haschrebellen war es, die Politisierung
und Radikalisierung in die wachsende Subkultur zu tragen, die vorwiegend aus
jungen Arbeitern bestand. Eine durchaus erfolgreiche Strategie. Das Attentat
auf Rudi Dutschke im April 1968 heizte noch einmal die Gewaltdiskussion
innerhalb der APO an. In der Wieland Kommune gingen fast all jene ein und aus,
die später zu den Gründern der Rote Armee Fraktion (RAF) gehören sollten. Aber
auch Funktionäre des SDS waren damals noch mit dabei, weil man es für richtig
hielt, neben den legalen Aktivitäten auch eine illegale Struktur aufzubauen.
Die militanten Aktionen in jenen Jahren fanden durchaus unter dem Beifall der
gesamten APO statt.
Nach einem internationalen Solidaritäts-Camp für einen
politischen Gefangenen im Bayrischen Ebrach, fuhr Georg zusammen mit anderen
aus der Wieland Kommune in Richtung Italien. Dort wurde nächtelang mit jenen
diskutiert, die später den Kern der Roten Brigaden bilden sollten. Aber es gab
in Italien auch einen Kontakt zur palästinensischen Al Fatah. Georg folgte
zusammen mit Thomas Weißbäcker, Ina Siepmann und anderen einer Einladung der Al
Fatah zu einem Besuch nach Jordanien. In Guerillacamps der Fatah lernte man den
Umgang mit Waffen, Sprengstoff und Taktiken des Guerillakrieges. Es war diese
Gruppe von Genossen, die mit ihrem Besuch die erste Kontaktschiene zwischen
deutschen Guerilleros, dem italienischen Untergrund und den Palästinensern
öffnete.
Militanz
Im Westberlin und der Bundesrepublik nahmen die Brand- und
Bombenanschläge auf Einrichtungen der Amerikaner, der Polizei und Justiz in
dieser Zeit erheblich zu. In Westberlin agierten Gruppen mit wechselnden
Phantasienamen wie "Tupamaros Westberlin", "Schwarze
Ratten" und die "Militanten Panthertanten", die nach eigenem
Bekunden Terror schon vor Rauschgift kannten. Ein illegaler Sender schaltete
sich mehrmals in der Woche in das laufende Fernsehprogramm ein und verkündete
bei laufendem Bild dem verdutzten Zuschauer ganz andere Töne:
"Wandelt euren Haß in Energie! In einem Stadium, wo der
imperialistische Feldzug der Amis in Vietnam ein Schlag ins Wasser wird, ruft
die Linke zu einem weltweiten Protest auf. Am Sonnabend, dem 15.11.69, ist die
Vietnam-Demonstration, davor findet noch ein Teach-In im Audimax statt. Ob wir
vom Vietcong gelernt haben, muß und wird sich vor Sonnabend und danach
rausstellen.(...) denn der erste Kern der Stadtguerilla in den westlichen
Metropolen kann sich nur im Kampf entwickeln. Bildet revolutionäre und
subversive Zellen, nehmt den Kampf gegen das entmenschte System des Spätkapitalismus
mit der Waffe in der Hand auf. Schafft auch hier die Bedingungen für den
revolutionären Volkskrieg."
"I THINK THE TIME IS RIGHT FOR A VIOLENT REVOLUTION.
Die Jungen werfen zum Spaß
mit Steinen nach Fröschen,
die Frösche sterben im Ernst.
Mit anarchistischen Grüßen - Schwarze Front!"
Das Geld für den Sender hatte Georg übrigens von dem
italienischen Verleger Feltrinelli bekommen. Die Westberliner Polizei rüstete
unaufhörlich auf, konnte der Täter aber zunächst nicht habhaft werden. Man
tappte im Dunkeln. Die Bilanz der Polizei war bitter: Etwa 120 Anschläge auf
Polizei, Justiz und vor allem Agenturen der US-Streitkräfte in Westberlin waren
Anfang 1970 unaufgeklärt. Und der Kampf aus dem Untergrund sollte noch
eskalieren. Aber eine politische Entwicklung in der Bundesrepublik zwang die
Untergrundkämpfer zunächst zu einer anderen Taktik. Im September 1969 gewann
die SPD die Wahl und bildete mit der FDP die sozial-liberale Koalition. Zum
erstenmal nach dem Krieg wurde ein SPD-Politiker Bundeskanzler: der
Antifaschist Willy Brandt. Brandt mußte dem Massenprotest auf der Straße gegen
den Krieg in Vietnam ebenso Rechnung tragen wie dem Wunsch nach Veränderung in
Politik, Kultur und Gesellschaft, die längst Forderung von Hunderttausenden
war.
Brandt kündigte an, "mehr Demokratie zu wagen",
und versprach zugleich eine Amnestie für alle jene Studenten, die wegen ihres
Protestes gegen Krieg und Nazis straffällig geworden waren. Das betraf einige
Zehntausend. In den militanten Zirkeln war man sich darüber klar, daß dieser
Zug der Bundesregierung eine Schwächung der Protestbewegung bedeuten würde.
Längst liebäugelten ehemals militante Studentenfunktionäre mit der Gründung
Kommunistischer Parteien oder mit dem Rückzug ins Private. Es kam zur Gründung
gleich mehrerer Kommunistischer Parteien, die durchweg Studentenparteien waren
und in ihren Ritualen die KPD der Weimarer Zeit bis zur Lächerlichkeit
nachahmten. Die APO war im Zerfall, und der Elan von Tausenden wurde durch die
verbissene Politik der K-Gruppen abgewürgt. Die Militanten wollten gegensteuern
und verstärkten ihre Nacht- und Nebel-Aktionen und ihre öffentliche Agitation
und Propaganda. Das Niveau der Anschläge wurde höher: Inzwischen knallten des
Nachts vor Einrichtungen der USA und der Justiz gefährliche Rohrbomben. Aber
der Zerfall der APO war nicht mehr aufzuhalten. Auch die Amnestie zeigte
Wirkung. Es begann der Marsch durch die Institutionen und der Rückzug ins
Private. Der "Marsch durch die Institutionen" führte geradewegs, wie
man heute weiß, bis in die Spitze der Regierung. Die Steinewerfer von damals
sind die Elite von heute.
Die ersten Steckbriefe
Zur Jahreswende 1969/70 prangten an Berliner Litfaßsäulen
die ersten Steckbriefe: "Gesuchte Anarchisten.". Gesucht wurden aus
dem Kreis um Georg ein Holländer mit dem Spitznamen "Bär" und die
Arbeiter Bernd Braun und Michael Baumann (Bommi). Sie wurden verdächtigt,
zusammen mit noch Unbekannten für verschiedene Bombenanschläge verantwortlich
zu sein. Die aufgerüstete Polizei, Abteilung Staatsschutz, hatte sich an den
neuen Gegner heran gearbeitet. Aber der "Blues", wie sich Teile der
Militanten nannten, war weiter aktiv.
Als der Reporter der Illustrierten "Quick", Horst
Rieck, einen Artikel über den Westberliner Untergrund veröffentlichte - Titel:
"Wann brennt Westberlin?"- war man seitens des Blues schwer
verärgert. Zu Recht fühlte man sich durch den reißerischen Artikel diffamiert.
Es wurde beschlossen, den Journalisten Rieck zu bestrafen. Motto: Bestrafe einen
und erziehe hundert. Zusammen mit Bommi, Hans Peter Knoll, Thomas Weißbäcker,
Anne-Katrin Bruhns und Georg schritt man im Februar 1970 zur Tat. Der
Zeitungsmann sollte in seiner Privatwohnung aufgesucht, zur Rede gestellt
werden und eine kleine Abreibung verpaßt bekommen. Zum Zwecke der Propaganda
sollte Rieck gefesselt und mit einem Schild um den Hals fotografiert werden.
Aufschrift auf dem Schild: "Ich bin ein Journalist und schreib` nur
Mist."
Alles ging im Chaos unter. Rieck wehrte sich heftig und schrie
nach der Polizei. Tumult und Hilferufe alarmierten Hausbewohner, die dann die
Polizei riefen. Die kam auch, und die Aktionisten gingen in Haft. Eigentlich
sollte die Aktion gegen Rieck nur der Auftakt zu einer Kampagne gegen die
reaktionäre Presse in der Halbstadt sein. Man hatte noch größeres vor. Gegen
den Springer Verlag etwa, dessen Zeitungen sich tagtäglich in der Hetze gegen
die APO fast überschlugen und die in der Stadt für ein Klima der Lynchjustiz
sorgten. Bis auf Bommi, gegen den bereits ein Haftbefehl wegen anderer Delikte
vorlag, wurden die anderen drei wenig später wieder freigelassen. Ein
Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung kassierten sie allerdings. Es wurde
weiter gemacht. Der Sitzungssaal des Kammergerichts brannte völlig aus; das
Griechische Generalkonsulat wurde mit Mollotowcocktails angegriffen, um so
gegen die faschistische Junta in Athen zu protestieren; vor dem
US-Offiziersclub in Berlin-Dahlem explodierte eine Bombe; Brandbomben fanden
auch einzelne Richter vor ihren Villen, weil sie sich durch besonders harte
Urteile gegen APO-Aktivisten hervor getan hatten.
Während der "Blues" um Georg von Rauch noch eher
kleinteilig arbeitete, gingen andere in die Startlöcher zum organisierten
bewaffneten Kampf. Die RAF hatte sich gegründet. Von Anbeginn an wollte die RAF
auch den Blues integrieren. Verhandlungen zwischen den Gruppen führte Georg.
Aber der Blues verstand sich als antiautoritär und anarchistisch und lehnte die
leninistische Stringenz der RAF-Aktivisten ab. Der Blues hatte auch nie Waffen
getragen, was bei der RAF von Anfang an anders war.
Macht kaputt, was euch kaputt macht
"Macht kaputt, was euch kaputt macht", war die
Losung des Blues, die vor allem von den Lehrlingen und Jungarbeitern richtig
verstanden wurde. Man wollte gezielt die proletarische Subkultur ansprechen und
zum aktiven Kampf gegen das "Schweinesystem" mobilisieren. Bommi
sollte später sagen: "Unsere Gruppe war proletarisch bestimmt, die meisten
von uns waren Arbeiter bis auf Georg und zwei, drei andere, die waren
Studenten. Auf der anderen Seite die RAF, die vom Kern her eine rein
studentische Gruppe war, also eine reine Intellektuellengruppe. Das Problem der
Gewalt ist verschieden gehandhabt worden." (Aus: Bommi Baumann, "Wie
alles anfing"). Im August 1970 kommt es dennoch zu einer gemeinsamen
Aktion von Blues und RAF. Zeitgleich werden in Westberlin drei Banken
überfallen. Eine Bank unter Beteiligung des Blues. Mit dabei: Georg von Rauch
und sein Freund Thomas Weißbäcker. Dann kommt es im Herbst zu einem Fehler mit
bösen Folgen. Selbstverschuldeter Leichtsinn gibt der Polizei eine erste harte
Spur. Georg und Weißbäcker werden in ihren Wohnungen verhaftet. In Haft gehen
auch Hans Peter Knoll und Heinz Brockmann, Annerose Reiche und Zupp. Während
die RAF ihre Aktionen vor allem im Bundesgebiet entfaltet, sitzt Ende des
Jahres 1970 ein großer Teil des Blues in Berlin hinter Gittern. Zwar haben ein
paar Randfiguren Aussagen gemacht, aber die Beweislage bleibt dennoch sehr
dünn.
Der doppelte Georg
Im Juli 1971 kommt es im Kriminalgericht Moabit zum Prozeß
gegen Georg, Bommi und Thommy Weißbäcker. Vorwurf: Brand- und Bombenanschläge
ohne Personenschaden. Die drei werden unter anderem von den Rechtsanwälten Otto
Schily und Hans Christian Ströbele verteidigt. Damals die bekanntesten linken
Anwälte der Republik. Für den vierten Verhandlungstag, den 9. Juli 1971, zeichnet
sich ab, daß die Haftbefehle gegen Bommi und Thommy aufgehoben werden. In Haft
soll nur Georg bleiben, dem die Staatsanwaltschaft weitere Anschläge anlastet.
Am Morgen des 9. Juli werden die drei Angeklagten, übrigens gegen die
ausdrückliche Anordnung des Vorsitzenden Richters, zum ersten Mal und aus
Unachtsamkeit vor der Verhandlung für 30 Minuten in einer Vorschlusszelle
zusammen eingesperrt.
Es war Georg, der die Idee mit dem Tausch hatte: Thommy und
Georg hatten beide wallende, lange und dunkle Haare. Und beide trugen einen
dunklen Vollbart. Nur Thommy war Brillenträger. In Eile reifte der Plan. Georg
sollte die Brille von Thommy aufsetzen und sich auch auf dessen Platz im
Gericht niederlassen. Alles lief glatt. Ob der heutige Innenminister Schily eingeweiht
war, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall machten die Rechtsanwälte den Tausch
mit. Als der Richter am frühen Nachmittag die Haftbefehle gegen Bommi und
Weißbäcker aufhob, verabschiedeten sich Bommi und der falsche Thommy und
verließen unter dem Beifall der Zuhörer unverzüglich den Gerichtssaal. Thommy
Weißbäcker alias Georg von Rauch wurde in den Zellentrackt zurückgeführt.
"Was heißt hier von Rauch, ich bin Thomas Weiþbcker", empörte der
sich eine Stunde später. Georg war längst in Sicherheit. Die Verwirrung der
Justiz war perfekt. Nun kam der Richter nicht umhin, auch Weißbäcker auf freien
Fuß zu setzen. Es war ein Fehler der Justiz, der nicht zu Lasten von Weißbäcker
gehen durfte. Westberlin stand Kopf, und der Blues hatte seine Hauptaktivisten wieder
in Freiheit. Wenige Tage zuvor waren schon Knoll und Brockmann mit Auflagen von
der Haft verschont worden.. Schon einen Tag später hing das Fahndungsfoto von
Georg in allen öffentlichen Gebäuden.
Bewegung 2. Juni
Knapp eine Woche nach Georgs spektakulärer Flucht aus dem
Gerichtssaal fordert der Untergrundkampf die erste Tote. Im Hamburg geraten die
RAF-Aktivisten Petra Schelm und Werner Hoppe in eine sogenannte
"Baader-Meinhof-Fahndung". Petra Schelm wird dabei erschossen. Im
Oktober des gleichen Jahres wird in Hamburg der Polizist Schmidt bei der
Verfolgung von RAF-Aktivisten erschossen.. Allen Beteiligten ist spätestens
jetzt klar: Dieser Kampf wird eine tödliche Auseinandersetzung. Georg trägt
jetzt kürzere, rötlich-braun gefärbte Haare und hat ein Brille auf der Nase.
Der Blues hat seinen ersten Illegalen. Konspirative Wohnungen werden
angemietet, und Georg trägt fortan eine Waffe. Wieder wird mit der RAF über
eine Integration des Blues verhandelt.
Aber man kam sich nicht näher. Für Georg war die RAF eher
konzeptionslos und auch ihre Strategie, sich hauptsächlich auf das Gebiet der
BRD zu konzentrieren, paßte dem Blues nicht. Der wollte in Westberlin agieren.
Dennoch half die RAF: Mit Waffen und Geld. Ein Teil des Blues, so etwa Thomas
Weißbäcker und Angela Luther, die noch heute gesucht wird, gingen zur RAF. Der
größere Teil des Blues wollte eine eigene Logistik aufbauen und eine eigene
Strategie entwickeln. Die Geburtsstunde der Bewegung 2. Juni. Es folgten
zahlreiche Gespräche mit potentiellen Aktivisten und nächtelange
Strategie-Diskussionen. Im Proletariat wollte man Fuß fassen, die Ausgebeuteten
und Unterdrückten zur Revolte ermuntern. Aktionen sollten so angelegt sein, daß
sie nicht nur für sich selbst sprachen, sondern für alle, die es wollten, immer
auch nachmachbar. Zudem wollte man sich in viele kleine Zellen aufteilen, die
dann autonom agieren und ihre Aktionen machen sollten. Im Spätherbst 1971
zählte die Gruppe, die sich bald schon den Namen "Bewegung 2. Juni"
geben sollte, gut ein Dutzend Frauen und Männer, die fest entschlossen waren,
den bewaffneten Kampf aufzunehmen. Verstärkt wurde die Gruppe auch durch
Zugänge aus der RAF. Geld mußte her. In kurzen Zeitabständen gelangen der
Gruppe mehrere Banküberfälle. Es waren die ersten Aktionen der neuen
"Bewegung". Eine illegale Struktur wurde aufgebaut. Das bedeutete
eine Vielzahl konspirativer Wohnungen, Autos und falscher Papiere. Im
Spätherbst 1971 verfügte die Gruppe über eine solide konspirative Logistik. Die
RAF, mit der man fortan in loser Verbindung stand, wollte, daß die Gruppe eine
Gefangenenbefreiung durchführt. Aus der Haftanstalt für Frauen in der Berliner
Lehrterstraþe sollten drei inhaftierte Frauen aus der RAF befreit werden. Die
Vorbereitungen waren umfänglich. Allein die Aktion scheiterte, und die
beteiligten Genossen entkamen nur um Haaresbreite der Polizei.
Georg wird erschossen
Am Nachmittag des 4. Dezember 1971 treffen sich Bommi,
Knoll, Brockmann und Georg in einer konspirativen Wohnung. Ein Plenum ist
angesagt. Bei Einbruch der Dunkelheit, so schlägt Georg vor, sollte man aus
Gründen der Sicherheit noch eins der Doubletten-Autos umsetzen. Einen grauen
Ford Transit, der schon seit 14 Tagen am Schöneberger Winterfeldtplatz parkte.
Eine Doublette war ein Auto, das es zweimal gab. Man besorgte sich die Daten
eines bestimmten Autos und klaute einen Wagen des gleichen Typs. Der geklaute
Wagen wurde dann mit den gleichen Nummer-Schilder und technischen Daten des
legalen Wagens versehen. Eine solche Doublette sollte umgesetzt werden, damit
er nicht über längere Zeit an ein und der selben Stelle stand und eventuell
auffallen könnte. Der Wagen war bereits aufgefallen und stand unter Observation
der Verfolgungsbehörden.
Es ist bis heute nicht geklärt, wie die Polizei auf den
Wagen kam. Auszuschließen ist lediglich Verrat. An diesem Sonnabend war
überdies eine Großfahndung gegen die sogenannte
"Baader-Meinhof-Bande" unter dem Codenamen "Trabrennen" in
Westberlin angelaufen. Während ein Teil der Genossen den Wagen aufgeben
wollten, plädierte Georg dafür, ihn doch umzusetzen. Es wurde für Umsetzen
entschieden. "Er war eben ein Draufgänger und war der Meinung, daß es
schon gut gehen würde", sagt einer der Beteiligten später. Gegen 18 Uhr
nähern sich die vier dem Auto. "Wir haben nichts verdächtiges bemerken
können", sagt Bommi, "und Georg und ich sind in den Ford
eingestiegen." Alle vier waren mit großkalibrigen Pistolen bewaffnet.
Knoll und Brockmann, letzterer am Steuer, folgen dem Ford mit einem VW-Variant,
auch der eine Doublette. Ziel, das war abgemacht, die nicht weit entfernte
Eisenacher Straße, ebenfalls in Schöneberg. Zwischen Kleiststraße und
Fuggerstraße sieht Georg, am Steuer des Ford, eine Parklücke. Er wendet und
parkt ein. Die beiden anderen bleiben in der zweiten Reihe auf der gegenüber
liegenden Seite der Straþe mit dem VW stehen und sichern ab.
Dann geht alles ganz schnell. Zwei Zivilisten sind plötzlich
da. Der eine, bewaffnet mit einer Maschinenpistole, fordert lautstark die
beiden in dem VW zum Aussteigen auf. Im gleichen Augenblick bedroht der andere
Georg und Bommi mit einer Pistole und ruft: "Polizei, sofort aussteigen
und Hände hoch!" Brockmann sieht eine Chance, vier gegen zwei, und
ergreift die Flucht. Er rennt, verfolgt von einem sichtlich nervösen Polizisten,
der immer wieder versucht, seine MP durchzuladen, in Richtung
Martin-Luther-Straþe. Der andere Polizist, hält Knoll die Pistole an den Kopf
und tastet mit der freien Hand hastig alle drei oberflächlich ab. Immer wieder
ruft er: "Verstärkung, ich brauche Verstärkung, Polizei, kommt her, kommt
her!" Von der Einmündung Fuggerstraße her nähert sich rückwärts ein PKW
mit zwei Männern. Aber sie kommen nicht mehr dazu einzugreifen.
"Als der Bulle bemerkt hat, daß wir Knarren im
Hosenbund hatten, ist der fast ausgerastet und schnell zurück auf die Straße
gerannt, immer seine Waffe auf uns gerichtet," sagt Bommi später.
Entwaffnet hat der Kriminalobermeister Schulz die drei allerdings nicht. Er
befahl ihnen, sich vor einem geschlossenen Antiquitätengeschäft im Haus Eisenacherstr.
Nr. 2, mit erhobenen Händen an die Wand zu stellen. "Dann zuckte Georg mit
der Unterlippe, bei ihm immer ein Zeichen höchster Erregung. Jetzt geht es
los", erinnert sich Bommi. Georg zog, drehte sich um und schoß, aber auch
der Kriminalhauptmeister Schulz schoß im gleichen Augenblick. Georg traf nicht,
der Polizist hingegen traf tödlich. Sein erster Schuß traf Georg durch das
linke Auge in den Kopf. Georg war sofort tot.
Dann brach ein Inferno los. Knoll und Bommi schossen. Knoll
griff die Waffe des toten Georg und feuerte sogar beidhändig. Der Polizist
Schulz wurde lediglich am Arm getroffen. Inzwischen schossen aber noch ganz
andere. Aus der Einmündung Fuggerstraße her wurden die beiden von zwei Männern,
die sich hinter einem Auto verschanzt hatten, ebenfalls unter Feuer genommen.
Bommi und Knoll ergriffen die Flucht - unter Mitnahme von Georgs Waffe.
"Es war wahnsinnig. Wir rannten um unser Leben. Durchs KADEWE durch, und
weiter, immer verfolgt von dem Wagen mit den zwei Typen." Den beiden sollte
die Flucht fürs erste gelingen. Auch Brockmann entkam, nicht zuletzt deshalb,
weil der Verfolger nicht in der Lage war, die MP schußfertig zu machen. Kein
Wunder, der Mann war ungeübt, denn er durfte seinen Dienst laut Gesetzt nur
unbewaffnet ausüben. Er war ein Agent des Verfassungsschutzes. Aber nicht nur
der Verfassungsschutz war vor Ort, sondern auch ein Antiterror-Kommando der
"Sicherungsgruppe Bonn". Die Polizei hat diese Umstände, vor allem
daß der Verfassungsschutz bewaffnet in Aktion war, bis heute bestritten. Aber
die Munitionshülsen am Tatort sprechen eine andere Sprache. Keiner der
bekannten Anwesenden hatte eine Pistole der Marke P 38 bei sich. Aber Hülsen
aus der Waffe diesen Typs sind gefunden worden. Daß Knoll die Waffe von Georg
mitgenommen hat, war dann die Grundlage für den bis heute bestehenden Mythos:
"Georg ist von der Polizei ermordet worden."
Schon drei Tage später rief die Westberliner Linke zu einer
Vollversammlung in das Audimax der Technischen Universität auf. Wollten die
einen "Rache für Georg", forderten die anderen Aufklärung wegen des
"Mordes an Georg von Rauch". Ein Ermittlungsausschuss wurde
gegründet. Noch in der gleichen Nacht besetzten mehrere hundert Jugendliche das
leer stehende Bethanien-Krankenhaus am Kreuzberger Mariannenplatz und tauften
es auf "Georg von Rauch Haus". Mehr als 30 Jahre lang sollte das
"Autonome Jugendzentrum" Georgs Namen tragen. Die Polit-Rock-Band
"Ton Steine Scherben" widmete dem toten Georg den Song
"Menschenjäger".
Jahre später sollte der Verleger Klaus Wagenbach wegen der
Behauptung, Georg von Rauch sei "von der Polizei ermordet worden",
einen Prozeß bekommen. Wagenbach hatte 1976 in einem "Roten
Kalender", den sein Verlag herausgab, behaupten lassen: "4. Dezember
1971. Georg von Rauch von der Polizei ermordet." Die Polizei sah sich in
ihrer Ehre verunglimpft und klagte gegen Wagenbach. Verteidigt wurde der
Verleger damals von Otto Schily.
Für die "Bewegung 2. Juni" war Georgs Tod ein
schwerer Schlag. Nicht alle machten weiter. Auch für Bommi und Hans Peter Knoll
war der Tod des alten Freundes und Genossen Georg das Ende des bewaffneten
Kampfes. Sie stiegen aus. Bommi: "Ich sehe mein Leben lang Georg neben mir
umfallen."
Der "Freundeskreis Georg von Rauch" trifft sich
aus Anlaß des 30. Todestags am 4. Dezember 2001 um 18 Uhr vor jenem Haus, vor
dem Georg zu Tode kam. Ort: Eisenacher Straße vor dem Haus Nr. 2, zwischen
Einmündung Fugger Straße und Kleist Straße.
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