Anita Berber (1899-1928) – Selbstdarstellerin in der
Weimarer Republik
Author Dr. D. Selzer-McKenzie
Youtube: https://youtu.be/FGnUGaQG6zA
Anita Berber (* 10. Juni 1899 in Leipzig; † 10. November
1928 in Berlin) war eine deutsche Tänzerin, Schauspielerin und
Selbstdarstellerin.
Anita Berber war Tochter des Violinvirtuosen Professor Felix
Berber und der Kabarettistin und Chansonsängerin Lucie Berber, geb. Thiem.
Bereits 1902 ließen sich die Eltern wegen „unüberbrückbarer charakterlicher
Gegensätze“ scheiden. 1906 zog sie zu ihrer Großmutter Luise Thiem nach
Dresden, wo sie in gutbürgerlichen Verhältnissen aufwuchs und dort bis 1913 die
höhere Töchterschule besuchte. Nachdem sie im April 1914 konfirmiert worden
war, verbrachte sie einige Monate im Internat des Töchterbildungsinstituts von
Curt Weiß in Weimar. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 zog Berber zu ihrer
Mutter nach Berlin-Wilmersdorf, wo sie zusammen mit ihrer Großmutter und ihren
zwei unverheirateten Tanten, Else und Margarete Thiem, in einer
Wohngemeinschaft in der Zähringerstraße lebte. Der Mutter war es zuvor
gelungen, feste Engagements an Berliner Kabaretts wie dem Chat Noir zu
erhalten.[1]
Ab 1915 nahm Berber Schauspielunterricht bei Maria Moissi
und später auch Tanzunterricht bei Rita Sacchetto. Ihre ersten Auftritte mit
ihrer Tanzschule lassen sich in das Jahr 1916 datieren. Schon 1917 trennte sie
sich von ihrer Lehrerin Sacchetto, da es zu Differenzen wegen Berbers Tanzstil
gekommen war. Sie absolvierte fortan selbstständig Auftritte in Varietés wie
dem Apollo Theater, dem Wintergarten und der Weißen Maus. Zu ihrem ersten
Solotanzabend im Apollo-Theater Berlin zeigte sie ihren „Koreanischen Tanz“.
Noch vor Ende des Ersten Weltkriegs war sie ein Star auf Berlins Bühnen.
Dinah Nelken, mit der sie die Tanzschule besuchte, beschrieb
sie folgendermaßen: „Sie war ganz unschuldig und reizend. Sie war von Natur aus
ein heiterer Mensch […] spontan und hemmungslos … Bei aller Vorliebe für Flirts
hatte sie einen unglaublichen Liebreiz, ohne ordinär zu wirken.“ Das
Modejournal Elegante Welt suchte Berbers „eigenartigen Reiz“ mit ihrer
„knabenhaften“ Statur und „herben Schlankheit“ zu begründen. Doch nicht nur die
Modewelt wurde auf sie aufmerksam, sie prägte auch die Mode der Zeit. Sie war
die erste Frau, die einen Smoking trug: „Eine Zeit lang machten ihr in Berlin
die mondänen Weiber alles nach. Bis aufs Monokel. Sie gingen à la Berber.“
berichtet Siegfried Geyer.[2]
Pirelli wurde 1918 ihr neuer Ballettmeister, der mit ihr
einen neuen Tanzstil erprobte und die Programme für die folgenden
Gastspielreisen zusammenstellte. Im selben Jahr unternahm Berber ihre erste
Auslandsreise in die Schweiz, nach Ungarn und Österreich. Der österreichische
Bildhauer Constantin Holzer-Defanti gestaltete für das Rosenthal Porzellanwerk
in Selb zwei Anita-Berber-Figuren (Koreanischer Tanz und Pierrette). Nach ihrer
Rückkehr nach Berlin heiratete sie 1919 Eberhard von Nathusius (1895–1942),
einen wohlhabenden Offizier und Antiquar, Enkel von Philipp von Nathusius-Ludom.
Die Ehe blieb kinderlos.
Skandale
„Anita Berber galt
als verrucht, Vamp und Femme fatale, das Sinnbild des puren Exzesses und der
neuen, begehrenden Frau zugleich und als die Verkörperung des weiblichen
Bohémiens. Ihre exzessive Lebensweise sorgte immer wieder für Anstoß und
Aufsehen. Sie zog Skandale förmlich an, sie nahm Morphin und Kokain, trank pro
Tag eine Flasche Cognac und prügelte sich mit jedem, der ihr quer kam. Ihre
Hemmungslosigkeit verkörperte den wilden Drang ihrer Generation zu leben, ohne
Gedanken an eine schon verlorene Zukunft. Sie war schon immer so, wie die
Deutschen erst durch die Inflation wurden: verschwenderisch. Nicht aber aus
Prasserei, sondern weil ihr das Wort Zukunft völlig egal war. Dadurch wurde sie
zum Idol der Inflation, zu ihrer Todesgöttin. 1925 stand sie komplett nackt für
Otto Dix Modell, der sie so alt malte, wie sie nie wurde: ausgezehrt,
eingefallen, faltig, der Mund blutrot, der Teint blass und die Augen
todesdunkel. Doch sie verkaufte ihren Körper nicht nur als Modell, sie bot ihn
auch physisch feil. Martha Dix: „Jemand sprach sie an, und sie sagte ,200
Mark.’ Ich fand das gar nicht so furchtbar. Irgendwie musste sie ja Geld
verdienen“. Ihre oft nackt dargebotenen Tänze[3] führten immer wieder zu
tumultartigen Szenen während der Auftritte. Anita Berber machte Schluss mit
jeder preußischen Disziplin und war berüchtigt für ihre Unpünktlichkeit und
Unzuverlässigkeit. So manches Mal fiel ein Auftritt aus, weil sie betrunken war
oder von Morphium und Kokain benebelt.“
– Ricarda D. Herbrand: Göttin und Idol[2]
Im Jahre 1922 verließ Berber ihren Ehemann und zog zu ihrer
Freundin Susi Wanowsky, zu der sie eine lesbische Beziehung hatte. Nach einem
ersten Gastspiel im Wiener Konzerthaus im November und Dezember 1920 gab sie
mit ihrem Tanzpartner und zweiten Ehemann Sebastian Droste (bürgerlich: Willy
Knobloch) 1922 ein weiteres Gastspiel in Wien, wobei der erste Auftritt im
November ebenfalls im Wiener Konzerthaus stattfand. Ihre gemeinsame
Tanzproduktion Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase war restlos
ausverkauft und von Skandalen überlagert. Die Presseberichte trugen dazu bei,
dass jeder das Paar tanzen sehen wollte. Berber und Droste veröffentlichten
1923 unter dem Titel der Tanzproduktion im Wiener Gloriette Verlag ein
bibliophiles Buch, in dem Gedichte, Texte, Zeichnungen und Fotografien zu ihren
Choreographien präsentiert werden. Bei Madame d’Ora entstanden eine Reihe von
ausdrucksstarken Aufnahmen, welche damals auch im Berliner Magazin und in Die
Dame veröffentlicht wurden. Die Künstlerin wurde mehrfach von der Polizei
aufgefordert, die Stadt zu verlassen. In den Wochen nach der Aufführung kam es
immer wieder zu Streit wegen nicht eingehaltener Verträge. Droste wurde in
Österreich wegen versuchten Betrugs verhaftet und am 5. Januar 1923 ausgewiesen.
Berbers Ausweisung nach Ungarn erfolgte am 13. Januar 1923. In Budapest traf
sie wieder auf Droste, mit dem sie zurück nach Berlin ging. Im Juni 1923
verließ Droste Berber unter Mitnahme ihres Schmucks und ging nach New York, wo
er als Amerika-Korrespondent für die B.Z. am Mittag arbeitete. Aus den USA
zurückgekehrt, starb er am 27. Juni 1927 in Hamburg.
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