Sonntag, 25. Oktober 2009

Wisent Bison Tiere Animals Natur SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Wisent
Author D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=bjx3b6n9zho
Wisent
Die Filmbilder hat der Author Selzer-McKenzie in Polska gedreht
Der Wisent oder Europäische Bison (Bison bonasus) ist eine europäische Art der Rinder, die heute in weiten Teilen ihres einstigen Verbreitungsgebiets ausgestorben ist. Er ist das größte rezente Landsäugetier Europas. In den 1920er Jahren war die Art vom Aussterben bedroht; der letzte freilebende Wisent wurde 1927 im Kaukasus geschossen. Alle heute lebenden Wisente stammen von nur zwölf, in Zoos und Tiergehegen gepflegten Wisenten ab.[1] Von den drei wissenschaftlich anerkannten Unterarten ist nur noch der Flachlandwisent reinblütig erhalten. Diese sogenannte Flachlandlinie geht auf nur sieben Tiere zurück, während in der Flachland-Kaukasus-Linie die genetische Vielfalt etwas größer ist. Alle Wisente der Flachland-Kaukasus-Linie stammen vom Bullen Kaukasus ab, der als einziger Vertreter der Kaukasuswisente (Bison bonasus caucasica) in der Erhaltungszucht eine Rolle spielte. Die niedrige genetische Variabilität gilt als eine der wesentlichen Gefahren für den langfristigen Erhalt der Art.
Auf Grund der Anstrengungen von Zoos und Privatpersonen, die Art zu erhalten, konnten die ersten freilebenden Wisentherden 1952 im Gebiet des heutigen Nationalpark Białowieża wieder ausgewildert werden. 2004 existierten wieder 31 frei lebende Populationen in einer Gesamtstärke von 1955 Wisenten. Das entspricht rund 60 Prozent des Weltbestandes. Die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild erklärte den Wisent im Jahr 2008 zum Wildtier des Jahres.
Der Wisent ist seit der Ausrottung des Auerochsen Europas schwerstes und größtes Landsäugetier und zudem der letzte Vertreter der wildlebenden Rinderarten des europäischen Kontinents. Anders als Hausrinder weisen sie 14 Rippenpaare auf. Bei geschlechtsreifen Tieren sind die Bullen im Vergleich zu den Kühen wesentlich schwerer und größer. Der auffällige Gewichtsunterschied zwischen Männchen und Weibchen entwickelt sich erst ab dem dritten Lebensjahr. Kuhkälber wiegen bei Geburt durchschnittlich 24 und Stierkälber 28 Kilogramm.[2] In den ersten drei Lebensmonaten verdoppelt sich das Gewicht und beträgt am Ende des ersten Lebensjahres durchschnittlich 175 Kilogramm bei Kühen und 190 Kilogramm bei Bullen. Mit vier Jahren bringen in Gehegezucht gehaltene Bullen dagegen bereits 502 Kilogramm auf die Waage, während die Kühe durchschnittlich 400 Kilogramm liegen. Der schwerste in Gehezucht gehaltene Bulle erreichte ein Körpergewicht von 920 Kilogramm.[3] Die freilebend im Bialowiezaer Reservat gehaltenen Wisente sind dagegen deutlich leichter. Vierjährige Bullen haben ein durchschnittliches Gewicht von 467 Kilogramm, während Kühe 341 Kilogramm wiegen. Der schwerste freilebende Bulle wog 840 Kilogramm.[2] Es gibt nur wenige schriftliche Belege über das Gewicht von Wisenten, die im 18. und 19. Jahrhundert gejagt wurden. Die wenigen Quellen nennen ein Maximalgewicht von 885 Kilogramm.[3] Es gibt damit keine Hinweise, dass Wisente in früheren Jahrhunderten schwerer und größer waren.
Wisentkälber sind zunächst hochbeinig. Die Körperproportionen in die wisenttypische Gestalt entwickelt sich im Alter von acht bis zehn Monaten. Die Kopf-Rumpflänge beträgt bei Bullen, die älter als sechs Jahre sind, bis zu 300 Zentimeter. Ihre Widerristhöhe kann bis zu 1,88 Meter betragen. Kühe erreichen eine Widerristhöhe von maximal 167 Zentimeter und ein Kopf-Rumpflänge von 270 Zentimeter.[
Der Rumpf ist bei beiden Geschlechtern verhältnismäßig kurz und schmal. Der Kopf ist tief angesetzt und im Verhältnis zum Körper klein. Auffällig ist bei Wisenten vor allem die vom Widerrist nach hinten abfallende Rückenlinie und der disproportionale Unterschied zwischen Vorder- und Hinterteil des Körpers. Bei den Bullen sind die Dornforsätze der Brustwirbel länger und stärker von Muskeln umgeben, so dass der Buckel bei ihnen auffallend größer ist als bei Weibchen.[5] Die Ohren sind kurz, breit und dicht behaart und im dichten Kopfhaar weitgehend verborgen.[6] Beide Geschlechter haben Hörner, die am hinteren Kopfrand stehen. Hornanlagen sind bereits bei neugeborenen Kälbern entwickelt, erst im zweiten Lebensjahr biegen sich die Hörner jedoch nach innen. Die Hörner der Kühe sind im Vergleich zu den Bullen kürzer und dünner. Die Hornkrümmung ist bei Kühen stärker, so dass der Hornabstand bei den Bullen größer ist. Sie sind in der Regel schwarz, bei einzelnen Individuen treten jedoch helle Hornspitzen auf. Ältere Bullen haben häufig abgestumpfte Hornspitzen.[7]
Das Euter der Kühe, das zwei Zitzenpaare aufweist, ist sehr klein und hoch angesetzt. Auch der Hodensack der Bullen liegt dicht am Unterbauch und ist deutlich kleiner als beispielsweise bei einem Hausrind. Die Vorhaut des Penis endet mit einem Haarbüschel, so dass sich bei Feldbeobachtungen die Geschlechter relativ eindeutig bestimmen lassen. Die Augen sind relativ klein, von brauner Farbe mit einer quer-ovalen Pupille. Die Lidränder und die Bindehaut sind schwarz.[8] Charakteristisch für Wisente ist außerdem ein Moschusgeruch.
Die Haut von Wisenten ist am dicksten am mittleren Halsrücken und extrem elastisch. In der Literatur werden Fälle zitiert, bei denen Wisente schwere innere Verletzungen bei Unfällen oder Kämpfen mit anderen Wisenten erlitten, die Haut jedoch nicht durchdrungen wurde.[9] Das Lautrepertoire der Wisente ist nicht sehr groß. Charakteristische Laute sind ein brummendes Knören. Kühe sind ihre Lage, ihre Kälber anhand der Stimmen zu identifizieren und Kälber können auch innerhalb größerer Herden ihre Mütter anhand deren Stimme finden.
Die Fellfarbe kann individuell leicht variieren, ist aber bei ausgewachsenen Wisenten überwiegend fahlbraun bis braun. Am dunkelsten sind die Kopfseiten und der untere Teil der Beine. Am Vorderkörper sind die Leit- und Grannenhaare verlängert. Entlang der Kehle und der Vorderbrust bilden sie eine Mähne. Der Kehlbart bei ausgewachsenen Bullen kann bis zu 34 Zentimeter lang sein.[11] Am längsten sind die Haare am Schwanzende. Sie können bis zu 50 Zentimeter lang sein und reichen bis zum Sprunggelenk.[5][12] Die Zahl der Woll- und Grannenhaare variiert in Abhängigkeit der Jahreszeit und ist am höchsten während des Winters. Der Wechsel ins Sommerkleid beginnt meistens Anfangs März. Meist sind es die älteren Bullen, die zunächst ihr Kopf- und Halshaar verlieren. Der Haarwechsel zieht sich bei den Bullen über durchschnittlich 138 Tage hin, während er bei den Kühen bis zu 183 Tage dauert.[12]
Kälber sind unmittelbar nach der Geburt rotbraun. Erst wenn sie im dritten oder vierten Lebensmonat erstmals das Haarkleid wechseln, weisen sie eine ähnliche Fellfarbe wie ausgewachsene Tiere auf.
Das Sehvermögen von Wisenten ist nicht sonderlich gut ausgeprägt, dagegen ist ihr Geruchssinn gut entwickelt. So finden versprengte Mitglieder einer Herde zu ihr zurück, indem sie den Fährten der Herdenmitglieder folgen. Ähnlich folgt ein Bulle einer Herde von Kühen, indem er die Fährten der Kühe erschnuppert.[7][10]
Wisente können verhältnismäßig schnell galopieren und erreichen im Sprint bis zu 60 km/h.[13] Sie können eine so hohe Geschwindigkeit jedoch nur über weniger als 100 Meter halten und halten dann in der Regel schwer atmend inne. Typischer ist für sie ein langsames Gehen, bei dem das Körpergewicht auf das vordere Bein erst dann verlagert wird, wenn dieses fest auf dem Boden steht.[14] Die Schrittlänge beim Behen beträgt etwa 75 bis 115 Zentimeter.[8] Sie sind jedoch so wendig und geschickt, dass sie bis zu zwei Meter hohe Hindernisse und drei Meter breite Gräben überspringen können
Die ursprüngliche Verbreitung des Wisents umfasste einen großen Teil des europäischen Kontinents. In vor- und frühgeschichtlicher Zeit reichte sein Verbreitungsareal vom Norden Spaniens über Mitteleuropa und den Süden der skandinavischen Halbinsel bis ins Baltikum; von der Rigaer Bucht verlief die Verbreitungsgrenze südostwärts bis ans Schwarze Meer und zum Kaukasus. Die Höhenverbreitung reichte vom Meeresniveau bis 2.100 Meter Über NN im Kaukasus.[15]
Der Lebensraum der Wisente begann bereits während des Neolithikums vor etwa 6.000 Jahren zu schrumpfen. Das Neolithikum ist eine Epoche der Menschheitsgeschichte, deren Beginn mit dem Übergang von Jäger- und Sammlerkulturen zu sesshaften Bauern mit domestizierten Tieren und Pflanzen definiert ist. Dieser Prozess ging mit einer immer stärkeren menschlichen Nutzung und Abholzung von Wäldern einher. Auf Lichtungen und gerodeten Flächen wurden zunehmend Kulturfrüchte angebaut und der Wald als Weidefläche für Haustiere genutzt. Die Eichel- und Bucheckernmast stellte ein wichtiges Herbst- und Winterfutter für Schweine, Pferde und Rinder dar.[16] In Folge dieser zunehmenden Urbarmachung und Nutzung der Wälder war der Wisent in weiten Teilen Frankreichs bereits im 8. Jahrhundert ausgestorben. Auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands verschwand der Wisent zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert.[17] Im Gebiet des heutigen Polens waren Wisente bereits im 11. Jahrhundert selten, Restbestände konnten sich jedoch in größeren Waldgebieten halten, in denen sie als königliches Jagdwild geschützt waren.[15] In Litauen kamen Wisente bis Ende des 17. Jahrhunderts vor und in Ostpreußen wurde der letzte Wisent 1755 erlegt.[18] In Rumänien gab es wildlebende Wisente noch im ausgehenden 18. Jahrhundert.[19][15] Der letzte freilebende Wisent in Polen wurde kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gewildert. Im Kaukasus wurde der letzte wildlebende Vertreter seiner Art 1927 geschossen.[20] Die ersten Auswilderungen erfolgten 1952 im polnischen Teil und 1953 im weißrussischen Teil von Białowieża. 2004 lebten in Polen, Weißrussland, der Ukraine, Russland, Litauen und der Slowakei 29 freie und zwei halbfreie Populationen.[21]
Der Lebensraum der Wisente sind ausgedehnte Laub- und Mischwälder mit einem ausgeprägten Mosaik unterschiedlich dichter Vegetationsstrukturen. Reine Nadelwälder werden nur selten aufgesucht, Mischwäldern wird aber der Vorzug vor reinen Laubwäldern gegeben.[22] Eine Vorliebe zeigen sie für Erlenbruchwälder. Im Wald von Białowieża, der nicht nur die ältesten freilebenden Wisentherden beherbergt, sondern auch das ursprünglichste und vom Menschen am wenigsten geprägte Waldgebiet in Mitteleuropa darstellt, machen tote Bäume etwa 20 Prozent der Gesamtholzmasse aus und entsprechend ist der Wald deutlich lichter als mitteleuropäische Wirtschaftswälder.[23] Entsprechend kann sich hier auch eine dichtere Krautschicht entwickeln. Die jahreszeitlich unterschiedliche intensive Nutzung der einzelnen Vegetationsstrukturen ist im wesentlichen von der Entwicklung der Krautschicht geprägt. So halten sich Wisente im Frühjahr überwiegend in Laubwäldern auf, in denen sich die Krautschicht am frühesten entwickelt. Ab Ende Mai nutzen sie bevorzugt frische Mischwälder, in denen die Krautschicht sich später entwickelt und im Juni und Juli in voller Blüte steht
Der Wisent ist ein typischer Raufutterverwerter. Dies unterscheidet ihn vom Rothirsch, der den sogenannten Intermediärtyp vertritt, und vom Reh, das als sogenannter Konzentratselektierer nur energiedichte Pflanzenarten und -teile frisst. Die drei Arten sind deshalb keine Konkurrenten um Nahrungsressourcen.


Weidender Wisentbulle
Der Magen des Wisents besteht aus vier Kammern, nämlich dem Pansen, dem Netz- und dem Blättermagen sowie dem Labmagen als eigentlicher Magen. Der Pansen ist beim Wisent besonders groß und überschreitet bei einigen Tieren ein Fassungsvermögen von 100 Litern.[25] Im Vergleich dazu hat der Rothirsch einen Pansen mit einem Fassungsvermögen von 25 Litern.[26] Bereits von der im Pansen gesammelten Nahrung wird ein Teil der Stoffwechselprodukte in Form gasförmiger Fettsäuren assimiliert. Die hier gesammelte Nahrung wird außerdem wiedergekäut. Im Netz- und Blättermagen findet die Entwässerung des Panseninhalts statt und im Labmagen erfolgt die endgültige Zersetzung der Nahrungsbestandteile. In der Literatur finden sich sehr unterschiedliche Angaben zum täglichen Nahrungsbedarf eines ausgewachsenen Wisents. Małgorzata Krasińska und Zbigniew Krasiński zitieren mehrere Studien, die weit voneinander abweichen und für ein ausgewachsenes Tier ein täglicher Nahrungsbedarf zwischen 30 und 60 Kilogramm nennen.[27]
Während der Vegetationszeit äsen Wisente überwiegend die Krautschicht und unabhängig vom Waldtyp stelllt dies die Hauptquelle der Nahrung dar.[28] Regelmäßig werden auch junges Laub und Triebe gefressen, allerdings macht dies immer einen geringen Teil der Nahrung aus. Baumrinde wird vor allem gegen Ende des Winters abgeschält und gefressen. Bei Populationen, wie die in freier Wildbahn lebenden Wisente im Zentralkaukasus, die im Winter kein Heu erhalten, stellen Brombeersträucher und unter dem Schnee freigescharrte Krautvegetation den Haupteil der Nahrung dar. Auch hier steigt der Anteil von Baumrinde in der Nahrung deutlich an, wenn die Schneedecke höher ist.[29]
In Białowieża hat man insgesamt 137 Pflanzenarten identifiziert, die in der Ernährung der Wisente eine Rolle spielen. Dazu zählen Wald-Reitgras, Wald-Segge und Behaarte Segge, Giersch, Große Brennessel, Wolliger Hahnenfuß sowie Kohl-Kratzdistel. Triebe und junges Laub werden insbesonder von Hainbuche, Salweide, Esche und Himbeere gefressen. Die Baumrinde von Stiel-Eiche, Hainbuche, Esche und Fichten spielt im Winter eine Rolle.[30] Daneben werden im Herbst Eicheln und Bucheckern aufgenommen.
Wisente sind Herdentiere. Lediglich ältere Bullen leben meist einzelgängerisch während junge Bullen sich gewöhnlich zu kleinen Gruppen zusammenschließen. Die typische Wisentherde ist jedoch eine gemischte Gruppe, die aus Kühen, zwei bis dreijährigen Jungtieren, Kälbern und während der Brunftzeit zeitweise auch erwachsenen Bullen besteht.[31] Die Gruppenzusammensetzung ist nur sehr selten über längere Zeit stabil. Herden vermischen sich, wenn sie aufeinandertreffen und wenn sie sich wieder trennen, ist häufig ein Teil der jeweiligen Gruppenangehörigen ausgetauscht.[32] Solche Herden werden von einer Leitkuh angeführt. Aus Untersuchungen an freilebenden Herden weiß man, dass einzelne Kühe ihre Stellung zum Teil über mehrere Jahre inne haben und das Alter ein bestimmender Faktor für die Dominanz ist. Bullen, die während der Fortpflanzungszeit zu den Herden stoßen, haben keinen Einfluss auf die in der Gruppe bestehende Hierarchiestruktur. Ihre Anwesenheit dient lediglich der Fortpflanzung.[33]
Wisente halten in der Regel einen Abstand von zwei bis drei Meter voneinander. Wird diese Distanz von einem rangniedrigeren Tier etwa beim Passieren einer engen Wegstelle unterschritten, dann kann das ranghöhere Tiere aggressiv reagieren. Kämpfe sind jedoch ausgesprochen selten.
Studien zur Lebensweise der Wisente liegen nur für solche Tiere vor, die zumindest zeitweise zugefüttert werden. So werden auch die im Urwald von Białowieża freilebenden Wisentherden während des Winters mit Heu gefüttert. Bei hohen Schneedecken macht dieses Heu 100 Prozent der Wisentnahrung aus
Die Paarungszeit der Wisente fällt in den Zeitraum August bis Oktober. Ab August schließen sich ausgewachsene Bullen den Wisentkuhherden an. Die Bullen tolerieren in der Nähe ihrer Herde keine Rivalen und auch Jungtiere halten sich in dieser Zeit etwas von den Kuhherden entfernt. In diesen Monaten legen Wisente auch die Energiereserven für den Winter an. Sie fressen in dieser Zeit Pilze wie Hallimasche und in großen Mengen Brennesseln. Im Nationalpark Białowieża beginnen die Wisentherden sich allmählich den Wintereinständen zu nähern, an denen sie traditionell mit Heu gefüttert werden. Ab November halten sie sich in unmittelbarer Nähe dieser Fütterungsstellen auf und wandern auf der Suche nach Grünpflanzen nur in näher gelegene Gebiete, wenn die Schneedecke noch nicht geschlossen ist. Altbullen sind in der Regel die letzten Wisente, die sich an den Fütterungsstellen einfinden. Die Konzentration rund um die Fütterungsstellen währt bis März. Erst im April lösen sich die Wintergruppierungen auf. Die Wisente entfernen sich immer weiter von den Fütterungsstellen und suchen insbesondere in Eichen-Hainbuchen-Wäldern nach den ersten grünen Pflanzen. Eine der wesentlichen Nahrungspflanzen in dieser Zeit ist das Buschwindröschen. Sobald das Laub austreibt, fressen die Wisente auch die frischen Triebe.[36] In den Zeitraum Mai bis Juli fällt die Setzzeit und die Aufzucht der Kälber. Wisente durchstreifen in dieser Zeit sehr weiträumig das Gebiet. Sie legen durchschnittlich aber nicht mehr als fünf Kilometer am Tag zurück und halten sich an Stellen mit reichlichem Nahrungsangebot über mehrere Tage auf.[37] Bei den Wanderungen nimmt die Leitkuh grundsätzlich die Position an der Spitze der Gruppe ein. Die anderen Wisente folgen ihr dicht nebeneinander gehend. Jungwisente und ältere Kälber halten sich dabei meist in der Gruppe auf. Begleitet ein erwachsener Bulle die Herde, geht er in der Regel am Ende
Wie für Wiederkäuer typisch ist der Tagesrhythmus von mehreren Phasen des Äsens und Ruhens bestimmt. Die Länge einer einzelnen Äsungsphase ist sehr variabel und kann von 15 Minuten bis zu fünf Stunden dauern.[39] Während der Vegetationsphase verbringen Wisente im polnischen Teil des Nationalparks etwa 60 Prozent ihrer Zeit mit Äsen, im weißrussischen Teil dagegen durchschnittlich 80 Prozent. Dieser Unterschied wird auf das unterschiedliche Nahrungsangebot zurückgeführt.[40] Die erste Äsungsphase beginnt mit dem Sonnenaufgang und die letzte Äsungsphase fällt in die Abenddämmerung. Bei den im Nationalpark Białowieża untersuchten Wisenten sind während des Tages zwei weitere Äsungsphasen zu beobachten. Länge und Zeitpunkt sind abhängig vom Wetter, von der Belästigung durch Insekten, der Qualität des Nahrungsangebots und der Störung durch Menschen. Im weißrussischen Teil des Nationalparks, der den Tieren ein weniger gutes Nahrungsbasis bietet, äsen die Wisente auch nachts. Auch im polnischen Teil des Nationalparks verschieben Wisente bei hohen Tagestemperaturen ihre Äsungsphase in die Abend- und Nachtstunden und ruhen während des Tages.[41]
Im Winter kehrt sich das Verhältnis von Äsungs- und Ruhephasen um. Sie verbringen dann etwa 30 Prozent ihrer Zeit mit dem Fressen von Heu. 60 Prozent des Tages ruhen sie
Zur Fortpflanzung kommen in der Regel Bullen zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr. Weder jüngere noch älteren Bullen können sich in den Revierkämpfen gegen ihre männlichen Artgenossen durchsetzen. Unter Gehegebedingungen sind aber auch ältere Bullen noch fortpflanzungsaktiv.[42]
Freilebende Kühe gebären ihr erstes Kalb in der Regel im vierten Lebensjahr. Sie bleiben bis ins hohe Alter fruchtbar. Kühe, die noch mit 20 Jahren Kälber werfen, sind auch in der freien Haltung keine Seltenheit.[42] Unter natürlichen Umständen kalben die Kühe durchschnittlich alle zwei Jahre. In Gehegehaltung, wo das Futter ganzjährig reichlich zur Verfügung steht, werfen viele Kühe auch jährlich.
Wisente haben ein polygynes Paarungssystem: ein Bulle deckt mehrere Kühe. In der Regel bestehen ihre Harems aus zwei bis sechs paarungsbereiten Kühen.[43] Die Brunsterscheinungen bei den Weibchen sind nicht sehr auffällig. Die Kühe sind lediglich etwas unruhiger. Bullen sind dagegen deutlich aggressiver und vertreiben beispielsweise auch kleine Vögel, die in der Nähe nach Insekten suchen. Auch Kälber werden gelegentlich von ihnen angegriffen.[44] Auch
Die meisten Deckakte finden zwischen August und Oktober statt.[45] Brunftkämpfe zwischen Bullen sind verglichen etwa zu Rothirschen verhältnismäßig selten. Treffen zwei Bullen von vergleichbarer Größe und Kraft aufeinander, gehen der Kampfphase eine ritualisiertes Verhalten voraus, bei dem sich der hohe Erregungszustand der Bullen unter anderem durch ein Wühlen im Boden mit den Klauen, ein Wälzen an Stellen, die sie zuvor mit Urin getränkt haben oder ein Bearbeiten von Bäumen mit den Hörnern ausdrückt.[46] In der Hauptphase des Kampfes stehen die Bullen frontal mit den Köpfen zueinander, greifen sich in kurzen Zeitabständen mit den Hörnern an und versuchen sich über den Kampfplatz zu schieben. Der Kampf wird in der Regel beendet, wenn einer der beiden Bullen aufgibt. Es kommt bei den Kämpfen gelegentlich zu Verletzungen und auch Tötungen der beteiligten Bullen.
Zum typischen Verhalten der Bullen während der Brunftzeit gehört ein Beschnuppern der äußeren Geschlechtsteile der Kühe. Bei diesem sogenannten Flehmen hebt der Bulle den Kopf an, streckt den Hals hoch und zieht die Lippen auseinander. Dabei prüft der Bulle die Konzentration der Sexualhormone im Harn der Kühe, um deren Paarungsbereitschaft zu beurteilen.[47] Eine hochbrünftige Kuh wird für ein oder zwei Tage nahezu ununterbrochen vom Bullen begleitet. Dabei flehmt er wiederholt oder beleckt und beschnuppert ihre Schamgegend. Der hohe Erregungszustand des Bullens drückt sich durch ein Verhalten aus, das dem Handlungen kurz vor einem Kampf mit einem anderen Bullen gleicht. Sehr häufig sind von ihnen knörende Rufe zu hören.[48] Während der Brunftzeit fressen Bullen verhältnismäßig selten und verlieren in dieser Zeit erheblich an Gewich
Die Kühe tragen in der Regel nur einzelne Kälber aus, welche meistens zwischen Mai und Juli geboren werden. Die Tragezeit beträgt durchschnittlich etwa 264 Tage.[49] Auf Grund der geringen Größe der Kälber und dem Körperbau der Kühe sind Trächtigkeitsanzeichen bei den Kühen nur schwach sichtbar.
Trächtige Kühe sondern sich vor der Geburt von der Herde ab und suchen geschützte Orte auf, um dort zu gebären. Der Geburtsvorgang ist verhältnismäßig schnell und verläuft meist komplikationslos. Die Kälber, die ein Geburtsgewicht von nur 25 bis 30 Kilogramm haben, kommen binnen einer bis zwei Stunden zur Welt.[50] Bereits wenige Minuten nach der Geburt beginnt das Kalb mit Aufstehversuchen. Meist kann es bereits nach 30 Minuten stehen.
Die Kühe schließen sich mit ihren Kälbern wenige Tage nach der Geburt wieder den Herden an. Im Gegensatz zu vielen anderen Huftieren wird das Kalb nach dem Säugen nicht versteckt abgelegt, sondern es bleibt ständig in unmittelbarer Nähe der Mutterkuh.[51] Bis zu einem Alter von drei Monaten stellt die Muttermilch die Hauptnahrung der Kälber dar. Beim Säugen steht das Kalb parallel zum mütterlichen Körper. Ab drei Monaten spielt Pflanzennahrung eine zunehmende Rolle in ihrem Nahrungsspektrum. Sie halten sich ab diesem Zeitpunkt zunehmend weniger in unmittelbarer Nähe ihres Muttertiers auf, sondern sind zunehmend mit ihren Altersgenossen vergesellschaftet.[52]
Wisentkühe erreichen nur in Ausnahmefällen das 25. Lebensjahr. Bullen werden selten älter als 20 Jahre.
Eine Bedeutung als Freßfeind haben heute lediglich Wölfe und Luchse.[54] Als großes Herdenwild ist der Wisent für diese Arten jedoch nur schwer zu erbeuten und sie töten in der Regel nur Kälber. Małgorzata Krasińska und Zbigniew Krasiński gehen davon aus, dass selbst bei einem zunehmenden Wolfsbestand dies keinen wesentlichen Einfluss auf die Wisentpopulation hat.[55] Im polnischen Teil des Urwalds von Białowieża sind Verletzungen, Altersschwäche, der Befall durch Parasiten wie etwa Lungenwürmer sowie Wilderei die häufigsten Todesursachen. Maul- und Klauenseuche, Wild- und Rinderseuche sowie Rindertuberkulose sind zum Teil hochgradig ansteckende Krankheiten, die sich bestandsbedrohend auswirken können. Wisente sind insbesondere für eine Ansteckung mit dem Virus der Maul- und Klauenseuche sehr empfänglich. In den Jahren 1953 bis 1954 verendeten 35 Wisente in polnischen Reservaten an dieser Krankheit.[56]
Die niedrige genetische Diversität der gegenwärtigen lebenen Wisente gilt als die größte Bedrohung des langfristigen Fortbestands dieser Art. Eine Inzuchtdepression kann zu einem vermehrten Auftreten genetischer Fehler und einer Schwächung des Immunsystems führen. Möglicherweise sind die bei untersuchten Wisentbullen zunehmend festgestellte Lageanomalien der Hoden, Hodenhypoplasien und Nebenhodenzysten auf solche genetische Ursachen zurückzuführen.[57] Vermehrt treten außerdem Vorhautentzündungen bei männlichen Tieren auf. Bislang sind weder die Übertragungswege erforscht noch die Krankheitserreger eindeutig identifiziert. Die Erkrankung, wegen der in der Ukraine bereits eine Populationen aufgelöst[58] und im Urwald von Białowieża eine Reihe von Bullen gezielt abgeschossen wurden, tritt gelegentlich bereits bei Kälbern auf und wird offensichtlich nicht nur auf geschlechtlichem Wege übertragen.
Wisente gehören zur Ordnung der Paarhufer, die heute etwa 150 rezente Arten umfasst. Charakteristisches Merkmal dieser Ordnung ist die Paarhufigkeit. Innerhalb dieser Ordnung werden Wisente den Hornträgern zugeordnet. Die Gattung Bison erschien gegen Ende des Tertiärs im Pliozän in Süd- und Ostasien. Während des Pleistozäns besiedelte die Gattung das Gebiet des heutigen Asiens und Europas und erreicht über die Beringstraße den nordamerikanischen Kontinent.[60] Die ältesten fossilen Wisentknochen datieren aus dem frühen Pleistozän, d.h. sie sind eine bis zwei Millionen Jahre alt.[61] Heute existieren noch zwei Arten: neben dem europäischen Wisent (Bison bonasus) ist dies der Nordamerikanische Bison. In älterer Literatur wird noch die Möglichkeit diskutiert, dass der Nordamerikanische Bison und der Europäische Wisent einer Art angehören. [62] In jüngerer Literatur findet diese Möglichkeit keine Erwähnung mehr.[63] Das spätlateinische Wort Bison ist vermutlich eine Entlehnung des germanischen Wortes wisund.[64]
Drei neuzeitliche Wisent-Unterarten, von denen zwei ausgestorben sind, sind heute allgemein anerkannt:[65]


Ein Wisent der Flachlandlinie überquert in Białowieża einen Weg
• Flachlandwisent (B. b. bonasus): Das Verbreitungsgebiet des Flachlandwisents umfasste noch in historischer Zeit die Waldgebiete West-, Mittel- und teilweise Südosteuropas bis zum Don. Diese Unterart ist etwas größer als die beiden anderen und weist längliche Krallen auf.[66]
• Karpatenwisent (B. b. hungarorum): Die Validität dieser Unterart ist nicht gesichert. Die Beschreibung erfolgte anhand eines Schädelfragments, das sich in der Sammlung des Nationalmuseums in Budapest befand, aber während der Ungarischen Revolution im Jahre 1956 verlorenging.[67] Die Unterart war in Siebenbürgen sowie in den Karpaten beheimatet. Sie wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgerottet.[68]
• Kaukasuswisent oder Bergwisent(B. b. caucasicus): Das Verbreitungsgebiet des Kaukasuswisents war der Nordhang des Kaukassusmassivs sowie dessen Vorgebirge. Charakteristisch für diese Unterart sind kurze, abgerundete Klauen. Die Endhaare des Schwanzes sind anders als beim Flachlandwisent gekräuselt.[66] Auf der Südseite des Gebirges kamen Wisente nur im Westen bis etwa zur Grenze von Abchasien vor. Im 19. Jahrhundert lebten von dieser Unterart noch etwa 2.000 Individuen. Die Bestände gingen aufgrund des Kaukasischen Kriegss sowie zunehmender menschlicher Besiedlung des Verbreitungsgebietes mehr und mehr zurück.[69] In den 1890er Jahren existierten nur noch 442 Kaukasuswisente, die vom russischen Zaren unter Schutz gestellt wurden. Nachdem im Jahr 1919 zusätzlich eine Epizootie durch Hausrinder eingeschleppt wurde, verringerte sich die Zahl der Tiere auf 50 Individuen. Der letzte freilebende Kaukasuswisent wurde 1927 getötet.[67] Ein Bulle dieser Unterart mit Namen Kaukasus und Zuchtbuchnummer 100 spielte jedoch in der Erhaltungszucht der Wisente eine Rolle. Er wurde mit Flachlandwisenten gekreuzt und begründete damit die Flachland-Kaukasus-Linie.
Daneben lebt im Zentralkaukasus eine Population von Hybriden von Wisenten und Bisons. Es gibt Vorschläge, die kaukasische Hybridlinie (B. b. bonasus × B. b. caucasicus × B. bison) als neue Unterart anzuerkenne
Wisente tauchen bereits auf Höhlenmalereien im Südwesten Europas auf, die vor 32.000 Jahren entstanden. Auf Wandmalereien, die vor rund 15.000 Jahren entstanden, sind sie neben Wildpferden die am häufigsten abgebildete Tierart.[71] Zu den bekanntesten gehören die Darstellungen in der Altamira-Höhle in Spanien sowie Darstellungen in Höhlen im Départment Dordogne in Südwestfrankreich. Zu den schönsten Darstellungen gehörte eine 1910 in der La Madeileine-Höhle gefundene Skulptur aus Rentierhorn. Sie zeigt ein Wisent, das mit zurückgedrehtem Kopf seine Weichen beleckt.
Zwar starb der Wisent im Mittelmeerraum schon vor Beginn menschlicher Geschichtsschreibung aus, doch Griechen und Römer kannten dieses Tier, das in Thrakien und Germanien beheimatet war. Die Griechen nannten den Wisent bonasos, ein vielleicht einer thrakischen Sprache entlehntes Wort. Auch Plinius der Ältere liefert eine Beschreibung des Wisents, den er Bison nennt. Er beschreibt ihn als ein Rind mit einer Pferdemähne, das so kurze Hörner habe, dass diese im Kampf von keinerlei Nutzen seien; statt zu kämpfen laufe der Wisent vor jeder Bedrohung davon und hinterlasse dabei über eine Strecke von einer halben Meile unablässig eine Spur von Dung, die bei Berührung die Haut eines Verfolgers verbrenne wie Feuer. In späteren Zeiten kamen die Römer häufig genug mit Wisenten in Kontakt, um diese Geschichten als unwahr zu erkennen. Sie transportierten Wisente bis nach Rom, um sie gegen Gladiatoren antreten zu lassen.
In mittelalterlicher Literatur ist der Wisent gelegentlich beschrieben worden. Es ist nicht immer klar, ob er oder der Auerochse gemeint ist, da beide oft als Ur bezeichnet worden sind. Im Nibelungenlied etwa wird die Stimme Dietrichs von Bern mit dem Klang des Horns eines Wisents verglichen. Der Naturforscher Conrad Gesner beschrieb den Wisent im 16. Jahrhundert folgendermaßen
Bereits zu Beginn der Neuzeit war der Wald von Białowieża eines der letzten Rückzugsgebiete des Wisents. Dieses heute 1.500 Quadratkilometer große Waldgebiet liegt im Grenzgebiet zwischen Polen und Weissrussland und im Einzugsbereich der Narewka, einem Nebenfluss der Narew. Bereits im Mittelalter war diese entlegene Region ein privilegiertes Jagdgebiet der polnischen Könige. Wisente durften hier nur mit besonderer Bewilligung des polnischen Herrschers gejagt werden.[19] Ab 1795 stand das Gebiet unter strengem Schutz des russischen Zaren. Das Gebiet wurde zwar als Hudewald genutzt, auf Wilderei stand jedoch die Todesstrafe und ab 1803 war in weiten Teilgebieten des Waldes Holzeinschlag untersagt.[72] Ab 1832 wurde der Wisentbestand jährlich gezählt. Er erreichte 1857 mit 1.900 Wisenten sein Maximum. Danach sorgten zwei Epidemien in den Jahren 1890 und 1910 für einen Rückgang der Bestände. Anfang 1915 lebten noch etwa 770 Wisente in diesem Gebiet. Im Herbst 1917 waren es nur noch 150 Tiere. In den Wirren unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs fielen die meisten Tiere marodierenden Soldaten sowie Wilderern zum Opfer.[20] Überreste eines gewilderten Wisents sowie Fährten von vier weiteren Tieren wurden letztmals am 4. April 1919 gefunden.
Die Bedeutung des Waldes von Białowieża, der heute zum Weltnaturerbe zählt, liegt nicht nur in seiner jahrhundertelangen Funktion als eines der letzten Rückzugsgebiete dieser Art. Aus den Beständen dieses Gebietes waren während des 19. Jahrhunderts immer wieder Wisente gefangen und an Zoos und Gehege verschenkt worden. Auf diese Bestände wurde zurückgegriffen, als in den 1920er Jahren die Bemühungen einsetzten, die Art zu erhalten. Die sogenannte Pleß-Linie geht zum Beispiel auf einen Bullen und vier Kühe zurück, die 1865 als Geschenk für Hans Heinrich XI. von Hochberg, dem Fürsten von Pleß, aus dem Urwald von Białowieża in die Pleßer Wälder gebracht wurden. Sie wurden hier über einige Jahrzehnte isoliert gezüchtet. Große Bedeutung hat in der heutigen Erhaltungszucht der Bulle Plisch mit der Zuchtbuchnummer 229, der 1936 von Pleß wieder nach Białowieża zurückgebracht worde. Von ihm stammen fast alle zur Zeit im Urwald von Białowieża lebenden Wisente der Flachlandlinie ab.
Während des Internationalen Naturschutzkongresses am 2. Juni 1923 in Paris forderte der polnische Ornithologe und Vizedirektor des Zoologischen Museums in Warschau, Jan Sztolcman, die Versammelten auf, Anstrengungen zur Rettung des Wisents zu unternehmen. Der Kongress beschloss darauf, eine internationale Gesellschaft zu gründen, in der Vertreter der Länder zusammenarbeiten sollten, auf deren Gebiet sich noch Wisente befanden. Die Gründung der Internationalen Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents fand knapp drei Monate später, am 25. und 26. August 1923, in Berlin statt. Der Frankfurter Zoodirekter Kurt Priemel wurde zum ersten Vorsitzenden gewählt. Daneben traten eine Reihe von Privatpersonen und Institutionen bei. Mitglieder wurden unter anderem die American Bison Society, der Zoo in Posen und der Polnische Jägerverband.[74] Der Gesellschaft gelang es, für die damals sehr hohe Summe von 11.000 Reichsmark eine Wisentkuh und einen Bullen zu erwerben, die ab 1924 zunächst in Posen gehalten wurden. Primäres Ziel der Gesellschaft, alle in Gehegen und Zoos gehaltenen Wisente ausfindig zu machen und mit diesen eine Erhaltungszucht zu begründen. Insgesamt konnten 29 Wisentbullen und 25 Kühe ausfindig gemacht; letztlich stammen aber alle heute lebenden reinblütigen Wisente nur von zwölf Tieren ab. Das Zuchtbuch wurde in den 1930er Jahren von Erna Mohr geführt, die bereits großen Anteil an der Erhaltungszucht des Przewalskipferdes hatte. [75] Das Zuchtbuch gilt als das älteste Zuchtbuch für eine Wildtierart.[76] Nach dem 2. Weltkrieg führte es der Warschauer Zoodirektor Jan Zabinski in Zusammenarbeit mit Erna Mohr fort, wobei das erste Ziel darin bestand, die Ahnenreihen der nach dem 2. Weltkrieg noch überlebenden Wisente nochmals zu verifizieren.[77] Heute wird das Zuchtbuch in Białowieża geführt.
Das Zuchtbuch berücksichtigte zwar von Beginn an die drei heute noch bestehenden Zuchtlinien Pleß-, Flachland- und Flachland-Kaukasus-Linie. Einige Zoos und Gehege unternahmen wegen einem Fehlen reinrassiger Wisente auch Kreuzungen mit anderen Arten. So wurden im Wisentgehege Springe, das 1928 unter Anleitung von Lutz Heck, Direktors des Berliner Zoos, angelegt wurde, ein Wisentbullen mit mehreren Bisonkühen verpaart. Diese Kreuzungen wurden auch vorgenommen, weil man befürchtete, wegen der geringen zahl an Individuen den Wisent in reiner Form nicht mehr erhalten zu können.[78] Ziel war es, über die Zeit in Form einer Verdrängungszucht durch Rückkreuzungen die Bisonerbanlagen heraus zu züchten. Dieser Versuch wurde erst 1935 eingestellt, als man reinrassige Wisentkühe erwerben konnte und man die Nachkommen dieser Kreuzungen abgeben konnte. [79] Auch in Białowieża wurden zeitweilig Wisent-Bison-Hybriden gehalten. Der letzte dieser Mischlinge wurde 1936 im Warschauer Zoo untergebracht. Größere Gruppen solcher Hybriden, die nicht im Wisentzuchtbuch erfasst werden, gibt es heute freilebend in der Region es Hauptgebirgsmassivs des Kaukasus. 1984 gab es dort 1.300 solcher Mischlinge. Auf Grund von Wilderei kam es dort jedoch zu einem sehr starken Bestandseinbruch, so dass die Anzahl der dort lebenden Hybriden 1999 nur noch etwa 550 Tiere betrug
Im Jahre 2006 standen etwa 3200 reinblütige Wisente im Zuchtbuch. Davon wurden ungefähr 420 in Deutschland, 26 in der Schweiz und 13 in Österreich gehalten.[81] Rund 60 Prozent des Weltbestandes lebte im Jahre 2004 in freilebenden Populationen.[82]
Die heutige Schwerpunkt der Wisentzucht liegt in einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Zuchtstätten und Züchtern. So gibt es seit 1996 ein Europäisches Erhaltungszuchtprogramm, das zoo-übergreifend die Zucht der in Zoos gehaltenen Wisente koordiniert. Ein weiteres Ziel ist der Aufbau weiterer freilebender Wisentbestände, wobei zwei Aspekte eine besondere Rolle spielen: Wisente in freien Populationen sind in der Lage sind, die Merkmale ihrer wilden Vorfahren unter den Bedingungen der natürlichen Selektion wiederzuerlangen und wegen der hohen Kosten der Gehegehaltung ist es nur über Auswilderungen möglich, den Wisentbestand weiter zu erhöhen.[83] Wisente sollen bevorzugt in solchen Lebensräumen angesiedelt werden, in denen die jeweilige Population eine demographisch unbedenkliche Mindeststärke von 100 Tieren erreichen kann. Ein Koordinierungsprogramm soll sicherstellen, dass in den bestehenden freien Populationen die genetische Vielfalt erhalten und nach Möglichkeit erhöht wird. Dazu sollen gegebenenfalls Wisente zwischen den einzelnen freien Populationen transferiert werden. Langfristiges Ziel ist es, dass es sowohl von der Flachlandlinie als auch der Flachland-Kaukasus-Linie jeweils 3.000 wildlebende Tiere gibt.[84]
Pläne für die Auswilderung gibt es unter anderem für Deutschland und Frankreich.[81] In Deutschland ist dieses Vorhaben relativ weit fortgeschritten. Es ist denkbar, dass die ersten Wisente im Rothaargebirge im Winter 2010/2011 ausgewildert werden
Freilebende Wisente, die im Wald von Menschen überrascht werden, reagieren in der Regel mit Flucht. Meist entfernen sie sich 100 bis 150 Meter im schnellen Lauf und scharen sich dann zusammen. Am scheuesten verhalten sich dabei Herden mit mehreren Jungtieren.
Aggressives Verhalten von Wisenten gegenüber Menschen ist äußerst selten. Als Beleg für das nicht-aggressive Verhalten von Wisenten gegenüber dem Menschen wird gelegentlich das Beispiel des Wisentbullen Pulpit genannt. Er wanderte 1964 und 1965 insgesamt drei Mal aus seinem Reservat in den Karpaten ab, zog durch weite Teile Südpolens und fand sich unter anderem in Bauerndörfern und Kleinstädten ein, wo er Gemüse von Marktständen stahl und sich von Schulkindern mit Brot füttern ließ.[86] Kühe, die Jungtiere führen, können gegenüber Menschen jedoch durchaus aggressiv reagieren, wenn sie sich bedroht fühlen. Ausgewachsene Bullen sind grundsätzlich gegenüber Menschen weniger scheu als Kühe mit Jungtieren. Sie verhalten sich gegenüber dem Menschen in der Regel gleichgültig. Bullen können allerdings während der Brunft ein aggressiveres Verhalten gegenüber Menschen zeigen. Ihre Erregung signalisieren sie durch Schütteln des Kopfes, drohendes Knören, Aufwühlen des Bodens mit den Vorderklauen und heftige Schwanzbewegungen. Zieht sich der Mensch dann nicht zurück, kann er vom Bullen angegriffen werden.[87]
Zu größeren Konflikten zwischen Wisenten und Menschen kommt es, wenn Wisente landwirtschaftliche Anbauflächen heimsuchen oder Heuschober aufbrechen. In Polen hat man die Erfahrung gemacht, dass selbst eine Umsiedlung der Tiere hier nicht wirksam ist, da sie an solche nahrungsreichen Orte wieder zurückkehren.[87] Im Bereich des Urwaldes von Białowieża kam es in einem Zeitraum von knapp 40 Jahren elf Mal zu Verletzungen von Pferden und fünf Mal von Hausrindern durch Wisente. Die Verletzungen resultieren meist aus einem einzelnen Hornhieb eines erwachsenen Bullen gegenüber einem sich zu dicht nähernden Tier. Hunde werden in der Regel auch dann ignoriert, wenn sie Wisente anbellen. Kommen sie den Wisenten zu nahe, reagieren diese mit Klauenschlägen. Es sind jedoch Tötungen von an Heuschobern angeketteten Wachhunden durch Wisente belegt
Von den Wildereien nach Ende des Ersten Weltkriegs abgesehen, erfolgte die Jagd auf den Wisent in der Neuzeit überwiegend als aufwendig inszenierte Hofjagd. Bei diesen sogenannten „eingestellten Jagden“ wurden Wisente gemeinsam mit anderem Hochwild über mehrere Wochen auf einer zunehmend kleiner werdenden Fläche zusammengetrieben. Am eigentlichen Jagdtag wurde das Wild so von den Treibern gelenkt, dass es sich optimal für den Abschuss präsentierte. Bei der Hofjagd des polnischen Königs August III. im Jahre 1752 erlegte die höfische Jagdgesellschaft neben einer großen Zahl von Rothirschen, Rehen und Wildschweine auch 42 Wisente. Allein zwanzig Wisente wurden dabei vom polnischen König und seiner Gemahlin Maria Josepha von Österreich von Kanzeln aus geschossen.[89] Mit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gerieten solche Jagdformen zunehmend aus der Mode. Vor dem Hintergrund der Romantik bildete sich zunehmend eine andere Jagdethik aus, die ein waidgereichtes Jagen betonte. Jagdstrecken wie die im Herbst 1897, bei der auf der von Zar Alexander III. veranstalteten Hofjagd 36 Wisente erlegt wurden, sind jedoch nur denkbar, wenn zuvor in ähnlicher Weise das Wild zusammengetrieben worden war.
Seit einigen Jahren geben Forst- und Naturschutzbehörden in Weißrussland, Ukraine, Russland und Polen jährlich wieder Wisente zum Abschuss frei. Dabei handelt es meist um überalterte Bullen und Kühe.[89] Solche Jagden finden beispielsweise auf der weißrussischen Seite von Bialowieza, in Masuren, den ukrainischen Karpaten und dem russisichen Kaukasus statt. Drück- und Ansitzjagd sind verboten, der zum Abschuss freigegebene Wisent muss auf einer teils mehrtägigen Pirschjagd vom Jäger verfolgt werden, bis dieser zum Schuss kommt. Die Jagd gilt wegen der Scheu der Wisente als ausgesprochen schwierig und setzt beim Jäger insbesondere in den ukrainischen Karpaten und im russischen Kaukasus wegen des schwierigen Geländes hohe körperliche Fitness voraus. Für die Abschusserlaubnis auf einen kapitalen Bullen waren zu Beginn des 21. Jahrhunderts ungefähr 5.000 EUR zu zahlen.[90] Kritiker solchen Praktiken sehen einen Widerspruch, wenn die Jagd auf eine vom Aussterben bedrohte Art ermöglicht wird. Befürworter der Bejagung argumentieren, dass bei einem Überschreiten der Kapazitätsgrenzen und zu hoher Bestandsdichten das Gleichgewicht eines Ökosystems gestört wird und das Risiko für Tierseuchen deutlich ansteigt. Der drastische Rückgang der zuvor zu hohen Wisentpopulation in Bialowieza um 1890 in Folge einer Epizootie wird dabei häufig als Beispiel genannt. Aus Sicht der Befürworter trägt eine geregelte Bejagung zum Schutz einer Großtierart und ihres Lebensraumes bei und die Abschussprämien finanzieren zumindest teilweise die Kosten des Managements einer Wisentpopulation
Bis heute ist es nicht gelungen, Wisente völlig zu zähmen. Selbst Wisente, die aus Populationen stammen, die seit mehreren Generationen unfrei gehalten wurden, behalten ein Misstrauen gegenüber dem Menschen.[91] Diese Erfahrung gilt auch für die wenigen Handaufzuchten im Zuchtreservat Białowieża.[92]
Obwohl in den Zeiten, in denen der Urwald von Białowieża noch als Hudewald genutzt wurde, Hausrinder in der Nähe der Wisente weideten, sind natürliche Hybridengeburten unbekannt. Dies unterscheidet das Wisent unter anderem vom Bison, bei denen dies häufiger vorkommt.[93] Die erste belegte Kreuzung zwischen Wisenten und Kühen gelang 1847 dem polnischen Landbesitzer Leopold Walicke, der besonders starke Zugrinder züchten wollte. Die Hybriden, die als Żubroń bezeichnet werden, übertreffen ihre Ausgangsarten an Körpergewicht und -größe. Männliche Żubrońs der ersten Generation sind unfruchtbar, die weiblichen können sich dagegen mit beiden Elternarten fortpflanzen. Żubrońs zeichnen sich durch eine Farbvielfalt in der Behaarung aus und gelten als zäh und widerstandsfähig. Die Zucht von Żubrońs ist jedoch heute weitgehend eingestellt.
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