Freitag, 13. Mai 2011

Antwerpen Belgium Reise Travel SelMckenzie Selzer-McKenzie


Antwerpen Belgium Reise Travel SelMckenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie

Die Shoppingstadt Antwerpen hat ein ganz eigenes Profil: Lässige Kreativität ersetzt
steifen Glamour. Und der Einfallsreichtum macht auch vor der katholischen Kirche nicht halt.
Dort kann man die heilige Madonna im Designerkleid bewundern
Romain Brau trägt T-Shirt, Jogginghose und Schuhe, die aussehen wie verlängerte Birken¬stocksandalen. Ein Stirnband hält seine schulter¬langen Locken im Zaum. Doch der 27-Jährige ist kein Ökofreak, sondern Designer. Gemeinsam mit seiner Kollegin Anna Kushnerova hat er einen der angesagtesten Läden in Antwerpen eröffnet.
Auf einer Fläche von 800 Quadratmetern bieten die beiden neben Klamotten auch Bücher, Musik und Kunst-Installationen an. Sein Lieblingsstück? „Oh, das ist schwierig", sagt Romain und überlegt kurz. Dann geht er zum Kleiderständer, nimmt ein schwarzes, weites Samt-Oberteil mit Goldnaht vom Bügel, das man sich gut für eine schwangere Frau beim Opernbesuch vorstellen kann, und hält es sich vor die Brust. In der Modestadt Antwerpen kann das edle 600-Euro-Stück jeder tragen — zu jeder Gele¬genheit. Hier gibt es keine Kleiderordnung.
Antwerpen ist ein frischer Diamant im Schmuck-kästchen der Modemetropolen und misst sich keck mit London, Mailand und New York. Obwohl in der Stadt an der Schelde drei Viertel aller Rohdiamanten geschliffen, poliert und verkauft werden, verzichtet sie auf den luxuriösen Glamour der Konkurrenz-städte. Niemand wird hier schief angeguckt, wenn er im Schlabberlook und Turnschuhen zur Moden-schau sprintet oder in Kostüm und Highheels in die Pommesbude trippelt. Das macht die Stadt auch für weniger Modebewusste sympathisch. Kein Wunder,

dass immer mehr Touristen nach Antwerpen kom-men, um zu shoppen. Die Karriere als Modestadt be-gann Ende der 70er-Jahre, als sechs Antwerpener Designschulabsolventen in London auf sich auf-merksam machten. Da Namen wie Demeule¬meester, Van Beirendonck und Bikkemberg für Engländer schwer auszusprechen sind, nannte man sie nur die „Six of Antwerp". Heute sind ihre Kollek¬tionen in der ganzen Welt bekannt und sogar im Modemuseum zu bewundern.
Individuell und kreativ
Antwerpener Designer entwarfen schon Kleidung für Königshäuser in Schweden ebenso wie Trikots für Fußballer von Inter Mailand oder Bühnenklamot¬ten für U2, Björk oder Lady Gaga. Dabei schert man sich hier nicht um Trends. Wichtiger sind Indivi¬dualität und Kreativität. In den Straßen rund um den Marktplatz tummeln sich viele kleine Läden mit so unterschiedlichen Angeboten in Mustern, Formen und Farben, wie man sie in anderen Städten kaum findet. Beinah laufen sie dem Rubens-Museum den Rang ab. Der Barockmaler lebte die meiste Zeit sei-nes Lebens in Antwerpen und ließ einen Palast samt Lustgarten im italienischen Palazzostil bauen, heu¬te eines der bestbesuchten Museen der Stadt.
Jeder Designer will gern in die Schuttershofstraße. Tanguy Ottomer vergleicht sie gern mit der 5th

Avenue in New York. Der sympathische Mann nif Bleistift-Schnurrbart und gegeiten Haaren isi Personal-Shopper und berät Einkaufslustige alle] Altersgruppen bei der Kleidungswahl, manchmal auch Männer. Einmal hat er sogar eine Grupp€ Politiker beraten. Tanguy ist dabei immer ehrlich „Das ist mein Job", sagt er, „sonst könnte ich da nicht machen." Was Angela Merkel an ihrem Outfit
verbessern kann? Er lacht und fragt: „Hast du eine Stunde Zeit?" Selbst trägt er einen dunkelgrünen Anzug und schwarze Lackschuhe. Schon mit 20 hat der Antwerpener Kleider und Kostüme verkauft und später im Fashion-Museum als Guide gearbeitet. Neben den Shoppingtouren bietet er Stadtführungen zu speziellen Themen an: eine Kaffeetour durch die zahlreichen Cafs oder eine Besichtigung des Bahnhofs (Foto links), der als einer der schönsten Europas gilt und innen wie eine Kathedrale wirkt.
Traditionelle Geschäfte
Wer mit Tanguy auf Shoppingtour geht, füllt vorher einen Fragebogen aus, in dem er seine Größe, seine Lieblingsfarben und -marken angibt. Der Mode¬kenner sucht daraufhin die passenden Läden aus. Dabei führt er die Kunden auch an traditionellen Antwerpener Geschäften vorbei, die man einfach ge¬sehen haben muss. Dazu gehört die Chocolaterie Burie, die seit Jahren Kult ist: Mal ziert eine zwei Meter hohe Giraffe das Schaufenster, dann die Antwerpener Kathedrale oder ein originalgetreuer Nachbau des Opel Corsa aus Schokolade, dessen Herstellung genauso so teuer wie das Original gewe¬sen sein soll. An diesem Tag hat es sich verwandelt in ein Schreibwarengeschäft mit Bleistiften in Edel¬bitter und einer Aktentasche aus Vollmilch. Ein an¬deres Highlight ist das über 100 Jahre alte Hand¬schuhgeschäft in der Lombardenvest. Mehr als 10.000 Handschuhe aus allen erdenklichen Leder¬arten lagern in Schubladen mit handbeschrifteten Etiketten. Die Verkäuferin hilft jedem persönlich in das ausgewählte Modell.
Auf solche Läden, die über Jahrzehnte charmant
Vielfalt: Zahlreiche Läden machen unterschiedliche Angebote an Mustern, Formen und Farben.
und authentisch geblieben sind, besinnt man sich in der „Slowfashion"-Szene. In Anlehnung an die Slowfood-Bewegung will sie weg von den Einkaufs¬centern mit den immer gleichen Boutiquen. Einkaufen soll wieder Spaß machen und ökologisch und sozial verträglich sein. Das heißt nicht immer nur Bio-Materialien zu verwenden, sondern vor al¬lem langlebige Mode zu kreieren. Antwerpen ist da¬bei auf dem besten Weg: Künstler zaubern aus alten Klamotten neue Designs. Und überall sprießen so genannte Vintageshops — die Secondhandläden für Markenartikel.
Secondhand ist für Tanguy kein Tabu. Er berät in al¬len Preisklassen. Wichtig ist, dass sich seine Kunden wohlfühlen. „Den persönlichen Stil würde ich nicht ad hoc ändern, sondern mit Details beginnen, mit einer Kette oder den Schuhen", meint der Mode¬berater. Er stoppt vor einer grell beleuchteten Garageneinfahrt — dem Geschäft von Walter Van Beirendonck. Drinnen sitzt eine Schaufensterpuppe auf einer Couch mit einer aufgeklappten Zeitschrift auf den Knien. Vor ihr stehen Tisch und Sessel, da¬neben langweilen sich ein paar abgezählte Som¬merkleider im Ständer. Das ganze wirkt wie eine Installation auf der Documenta. Die junge asiati¬sche Verkäuferin bittet, keine Details zu fotografie¬ren, als könne man mit dem Blitzlicht die Ware be¬schädigen oder das Markenzeichen wegknipsen. Ist Mode Kunst? „Definitiv", sagt Tanguy, der eine an¬genehm dunkle Stimme hat, „auch die Mode, die man täglich trägt." Wobei der Unterschied zwischen Designerkleidung und günstiger Massenware unge¬fähr so sei wie zwischen einem Gemälde von Rubens und einer Kinderzeichnung.
Um sich davon zu überzeugen, empfiehlt er zum Abschluss die Modenschau im trendigen Hafen¬viertel „Eilandje" (Inselchen). Hier ist jedes Kleid ein Gemälde, nicht von Rubens aber von Kandinsky. Über den Laufsteg stolzieren Mädchen, die aussehen
Offeriert und gekauft wird, was gefällt.
Und was gefällt, bleibt jedem selbst überlassen.
wie bunte Geschenkverpackungen mit überdimen¬sionalen sionalen ausgefahrenen Lippenstiften auf den Köpfen. Models in Petticoat und Pudelmütze staksen heran, die Schuhe aus Legosteinen gebaut. Später schreiten Männer auf Plateausohlen über den Catwalk, aus ihren Mundwinkeln hängen Gold¬kettchen. Absolut keine tragbare Kollektion, sondern Kunstwerke. Jedes Jahr beweisen die Designstuden¬ten damit ihre Kreativität und ihren Mut.
Auch Rudi Mannaerts ist mutig. Er ist Priester in der katholischen St. Andreaskirche und ziemlich un¬konventionell. Obwohl ihn Mode persönlich nicht interessiert, hat er etwas von einem Designer. Mag sein, dass es an seinem Profil, den kinnlangen Haa¬ren und der schwarzen Lederjacke liegt. In der Kirche hängt neben den Gebetsbänken ein Boxsack wie im Fitnessstudio. „Wer auf Gott böse ist, soll lie¬ber seine Wut wegboxen, als sich von ihm abzuwen¬den", erklärt der 41-Jährige. Einmal hat er die Kirche in eine Disco verwandelt und einen Techno-gottesdienst abgehalten, er organisierte eine Light¬show und ließ am Ende den Song „God is a DJ" spie¬len. Einige Gläubige waren schockiert, doch viele Antwerpener finden das cool.

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