Mittwoch, 11. Mai 2011

Patagonia Patagonien Reise Travel Natur SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Patagonia Patagonien Reise Travel Natur SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie

Noch einen letzten Blick auf die atemberaubende Kulisse der Anden, dann setzt der Flieger auf der Lande¬bahn des Flughafens Santiago de Chile zur Landung an. Chile hat eine Nord-Süd-Ausdehnung, die etwa der Entfernung von Skandinavien nach Gibraltar entspricht. Das südamerika¬nische Land hat dabei mehr als dop¬pelt so viel Fläche wie Deutschland, aber nur etwa 16,8 Millionen Einwoh¬ner. Davon leben allein 6 Millionen in der Hauptstadt Santiago, und weite Landstriche sind fast menschenleer. Meine Frau und ich waren der Einla¬dung einer internationalen chileni¬schen Seefahrervereinigung gefolgt. Organisiert von einer chilenischen Reiseagentur, wartete nun eine ein¬wöchige Rundreise auf uns und un¬sere Reisegruppe, bestehend aus 70 Personen aus 10 Nationen. Nach ei¬nem Abstecher in die Weltkulturerbe- Stadt Valparaiso — ein Muss für jeden Besucher Chiles — sollte es mit ei¬nem Inlandsflug nach Südpatagonien gehen. Geplant war, von Punta Are¬nas an der Magellanstraße über Pu¬erto Natales in den wohl bekanntes¬ten Nationalpark Chiles zu gelangen, den Torres del Paine. Daneben woll¬ten wir noch den Grey-Gletscher se¬hen und an einer landestypischen Grillmahlzeit auf einer einsamen In¬sel teilnehmen.
Magisches Denkmal
Da die Jahreszeiten gegenüber Europa genau umgekehrt sind — eu¬ropäisches Frühjahr im April bedeutet Herbst in Südchile —, zogen wir uns vor dem Abflug nach Punta Arenas warm an, zumal es in Patagonien ganzjährig windig ist. Punta Arenas liegt im äußersten Süden Chiles auf der Halbinsel Brunswick gegenüber der Insel Feuerland. Der Name Brunswick leitet sich tatsächlich von Braunschweig ab. Wir besuchen die schöne, von einigen Gründerzeithäu¬sern und alten Bäumen umrahmte Plaza Muöoz Gamero in der Stadt¬mitte. Dort steht ein Denkmal zu Eh¬ren von Hernando de Magallanes, der die nach ihm benannte Wasser-straße 1520 als erster Europäer be¬fuhr. Der große Zeh des bronzenen Indianers am Denkmal ist schon ganz blank gescheuert. Wer ihn berührt 
und daran glaubt, der soll nach Punta Arenas zurückkehren.
In die Höhle des Riesenfaultiers Abends erreichen wir Puerto Natales am Seno Ultima Esperanza — den Fjord der letzten Hoffnung. Um zur Cueva del Milodön, einer 1895 ent-deckten Höhle, zu gelangen, legen wir die letzten acht Kilometer auf ei¬ner Schotterpiste zurück. Mehr und mehr fühlt man sich in eine Urzeit¬landschaft zurückversetzt. Dann er¬reichen wir den mit 29 Meter Höhe und 121 Meter Breite beeindrucken-den Höhleneingang. Die in der Höh¬le gefundenen Fell- und Knochenres¬te identifizierten Wissenschaftler später als Riesenfaultier Mylodon, das immerhin die Größe eines Eisbä-ren erreichen konnte. Auch wurden Spuren der als Jäger lebenden Stämme der Selk'nam gefunden, der Ureinwohner Patagoniens. Vor der Höhle genießen wir die grandio¬se Aussicht auf die Steppenland-schaft, das Gewässer des Fjords der letzten Hoffnung und die dahinter bis zu 1 550 m aufragenden, schnee¬bedeckten Berge Antonio Varas. Durch unendlich scheinende Weiten mit Weideland für Schafe und Rinder geht es weiter auf der Ruta Nr. 9. Hier zeigt das Herbstlaub der Lenga¬und Roble-Bäume eine rötliche Far¬benpracht, die der unserer herbstli¬chen Buchen und Eichen vergleich¬bar ist. Unterwegs treffen wir auf ei¬ne Schafherde. Die etwa dreitau¬send Tiere sind auf dem Weg ins tie¬fer gelegene Winterlager, getrieben
von drei Gauchos — chilenischen Cowboys — und ihren Hütehunden. Als wir auf der Weiterfahrt Guana¬kos begegnen, stoppt der Bus. Im Abstand von nur ein paar Metern überqueren die Tiere, die zur Fami¬lie der Kamele gehören, die Straße vor uns. Ihre Hauptnahrung — Gras — brauchen sie hier nicht lange zu suchen.
Zwischen Gebirgstürmen
Vorbei am Lago Sarmiento, errei-chen wir mit der Porteria Laguna Amarga eine der Einfahrten zum Na¬tionalpark Torres del Paine, der von der UNESCO zum Biosphärenreser¬vat erklärt wurde. Bizzare, verschnei¬te Gebirgsformationen erwarten uns. Ab und zu taucht ein Sonnen¬strahl die bis zu 2 850 Meter hohen Granitnadeln in gleißendes Licht, während der Wind die Wolken über die Gipfel jagt. Tiefblaue Gewässer wechseln sich ab mit türkisfarbenen Gletscherseen. Uns eröffnet sich ei¬ne so intensive Färbung der Natur, wie man sie in unserem Land auf-grund der negativen Umwelteinflüs¬se nur noch sehr selten findet. Eine Staubfahne hinter uns herziehend, erreichen wir die Laguna Amarga, ei¬nen Salzsee, in dem Flamingos auf Nahrungssuche sind. Um zum Hotel Hosteria Las Torres zu gelangen, müssen wir für die letzten Kilometer in einen Kleinbus umsteigen, der uns über eine schmale Hängebrücke fährt. Wie aus dem Nichts tauchen plötzlich fünf verwegen aussehende chilenische Cowboys auf, die große
blauweißgelbe Flaggen der Region Magallanes schwenken. In wildem Ritt rechts, links neben und vor dem Bus geleiten sie uns bis zum Ein¬gang unseres Quartiers. Abends er¬kunden wir bei einem Spaziergang die Gegend. Schon nach ein paar Metern umgibt uns absolute Stille ohne jede Zivilisationsgeräusche — ein faszinierendes Erlebnis. Die Hos¬teria-Mitarbeiter warnen noch, sich in der Nacht von den Gebäuden zu entfernen, da sie Pumas in der Ge¬gend gesehen hätten. Über einen kurvenreichen Schotterweg geht es am folgenden Tag Richtung Hosteria Lago Grey. Der stets gegenwärtige patagonische Wind schiebt noch im¬mer dichte Wolkenmassen am Pai¬ne-Gebirgsmassiv vorbei, als wir den Aussichtspunkt Lago Nordenskjold erreichen. Wenn die Sonne durch¬dringt, bietet sich uns jedes Mal ein anderes grandioses Bild dieses schneebedeckten Gebirgsmassivs. Die Hosteria Lago Grey ist der Aus¬gangspunkt für eine dreistündige Schiffstour zum Grey-Gletscher. Bei Schneetreiben und aufgewühltem Wasser, das hier immerhin bis zu 500 Meter tief sein soll, bringt uns ein kleines Passagierschiffchen zur Abbruchkante des Gletschers. Zahl¬lose zerklüftete, wohl an die 12 bis 15 Meter hohe Eisformationen ragen vor uns auf. Das Gletschereis schim¬mert in unzähligen Blautönen, wobei die Risse und Spalten geradezu zu leuchten scheinen. Gebilde, die wie eine offene Hand aussehen oder wie ein nach rechts deutender Zeigefin

ger, beflügeln unsere Fantasie. Über die Porteria Rio Serrano verlassen wir den Nationalpark in Richtung Pu¬erto Natales.
Festmahl auf Patagonisch
Vorbei an einsam gelegenen Estan¬cias (Landgütern), wollen wir zu ei¬ner Fähre, die die beiden Busse über den wenige hundert Meter breiten Kanal Fitz Roy zur viertgrößten Insel Chiles, der Isla Riesco, übersetzen soll. Wir fahren durch weite Step¬pen, hin und wieder unterbrochen von patagonischem Urwald, Zehn-tausenden grasender Schafe und zahlreichen Rinderherden. Die Kro¬nen der Bäume sehen teilweise recht bizarr aus, da sie in die Rich¬tung gewachsen sind, in die der ste¬tige patagonische Wind weht. Über uns kreisen Kondore. Als sich ein kleiner, etwa 20 Meter langer Fähr¬prahm, angetrieben durch einen überdimensional wirkenden Außen¬bordmotor, nähert, können wir kaum glauben, dass man damit einen voll besetzten Reisebus transportieren kann. Der Fährprahm hält einfach auf das Ufer zu und lässt seine Lade-klappe am Bug auf den Schotter fal¬len. Dann beginnt der erste Reise¬bus, rückwärts auf die Fähre zu fah¬ren. Auch das Ufer auf der anderen Kanalseite ist so flach, dass vor die Ladeklappe noch Holzbohlen gelegt werden müssen, um den Bus von der Fähre fahren zu können. Auf der Insel begrüßt uns ein Schild mit der Aufschrift: „Bienvenido a la Isla Riesco Tierra de Pioneros'.' Wie
Pioniere fühlen wir uns dann auch,
als nach sieben Kilometern direkt am
Kanal das Gelände der Estancia Fitz
Roy in Sicht kommt. Mit den zahllo
sen landwirtschaftlichen Geräten
vom Anfang des 20. Jahrhunderts
sieht das wie ein Freilichtmuseum
aus. Ein Pfahl mit Schildern gibt Aus
kunft darüber, dass die Entfernung
nach Berlin 14 073 Kilometer und bis
zum Südpol 4 111 Kilometer betrüge.
Für die traditionelle Festmahlzeit
„Asado" hat der Grillmeister vier
Schafe geschlachtet, aufgeschnitten
und in Kreuzform auf Spieße ge
spannt, die leicht geneigt um ein
Feuer herum garen. Zum Essen gibt
es Rotwein. Nach dem Mahl starten
wir einen Rundgang durch die
Sammlung alter Gerätschaften, da
runter alte Nähmaschinen von Sin
ger, Fleischwölfe von Alexanderwerk
und Ofentüren mit der Aufschrift
Küppersbusch. Ganz zum Schluss
machen wir noch Bekanntschaft mit
einem ganz besonderen Haustier:
Die ausgewachsene Pumadame war
bis zum Alter von einem Jahr mit der
Flasche aufgezogen worden und wird
nur ins Gehege gesperrt, wenn Besu
chergruppen auf der Estancia sind.
Wir verlassen die 1 500 Hektar große
Schaffarm, setzen mit dem Fähr
prahm über den Kanal und kehren
nach Punta Arenas zurück. Mit zwei
Zwischenlandungen bringt uns der
Flieger wieder nach Santiago. Schon
jetzt wissen wir ganz sicher: Wir wol
len wiederkommen in dieses wun
dervolle Land am Ende der Welt.

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