Freitag, 3. Januar 2014

Die Wege der Inka - Teil 4 von 5 von Selzer-McKenzie SelMcKenzie


Die Wege der Inkas Teil 4

Author D.SelzerMcKenzie

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Der Titicacasee und die Minen von Potosi

Die Königsstrasse teilte sich in Azängaro, nicht weit entfernt von Ayaviri und etwa fünfzehn Kilometer nordöstlich des grossen Felsens von Pucarä, den man auf der HurcossuyuStrasse erreicht. Hier beginnt das Becken des Titicacasees, das am Nordende des Sees vorwiegend aus Mooren und Sümpfen besteht, wo das hohe Tortoragras wächst. Das Gebiet ist ausserdem ein idealer Nistplatz für eine Vielzahl von verschiedenen Vogelarten.

Obwohl das Land hier zum grossen Teil fast ständig unter Wasser steht, gibt es doch ein begrenztes Gebiet trockenen Bodens an der Mündung des RamisFlusses, der weitgehend den nordwestlichen Teil des Titicacabeckens bewässert. Einige Stammesleute fanden das Land geeignet zum Wohnen und bauten hier aus Rasenstücken gewölbte Häuser. Ihre Nachkommen bauen heute noch auf diese Weise.

Der OmasuyuAbschnitt der Königsstrasse zieht sich am Rand dieser Sümpfe entlang und folgt dem Ostufer des Titicacasees bis nach Tiahuanacu. Sie passiert dabei Huancano, Chico und Moho, das wegen seines traditionsreichen Marktes und seiner vielen chullpa — Steingräber — bekannt ist.

Die meisten Tampu auf dieser Route gehörten entweder den Pizarros oder Francisco de Carbajal, dem Stellvertreter und Berater von Gonzalo Pizarro bei dessen gescheiterter Revolte. Hätte diese Erfolg gehabt, so wäre Carbajal der Marquis der Caiiari geworden, die infolge ihres Hasses auf die Inka den Spaniern während der ganzen Eroberung als Verbündete gedient hatten. Er wäre auch Premierminister des neuen Staates geworden, dessen Gründung er Gonzalo Pizarro geraten hatte.

Am 2 1 . Oktober 1547 kam es beim Tampu von Huarina auf sumpfigem Boden in der Nähe des Ufers des grossen Sees zu einer grossen Schlacht. Diego Centerio, der für Präsident La Gasca kämpfte, nahm mit l000 Mann an dieser Auseinandersetzung teil. über Centerio sagte Pedro de Cieza: «Er war ein Herr, nicht sehr gross, mit gutem Benehmen und rotem Bart. Er war nicht gerade freigebig, wenn es um sein eigenes Geld ging, gab aber das Fünftel des Königs grosszügig aus.» Er war von Carbajal jahrelang quer durch das Andenreich verfolgt worden, und nun, da er die grössere Streitmacht hatte, meinte er, mit diesem Luzifer abrechnen zu können. Auf der Seite der Rebellen befehligte Gonzalo Pizarro die Kavallerie, und Carbajal die Infanterie, die wie ihr Anführer Umhänge aus grünlichem Tuch trug, um sich gut dem Gelände anzupassen. Jeder von Carbajals 40o Arkebusieren trug zwei bis drei geladene und zündfertige Donnerbüchsen.

Diego Centerio wartete; aber Carbajal reizte ihn zum Handeln, indem er die Königsstrasse immer wieder kreuzte und sich dabei dem feindlichen Feuer aussetzte. Trotz der Gefahr riet er seinen Leuten: «Feuert nicht, Burschen, wartet ab.» Als ihre Feinde auf hundert Meter herangekommen waren, gab er den Befehl zum Feuern. Bevor sich Centerios Männer von dem Schock erholen konnten, kam die zweite Salve und dann die dritte. über die Hälfte wurden getötet, und Centerio selbst wurde verwundet, konnte aber entkommen.

Als Gonzalo Pizarro über das Feld mit den Toten und Sterbenden ritt, starrte er erstaunt darauf hinunter und bekreuzte sich im Reiten: «Jesus! Was für ein Sieg!»

Es war sein letzter.

Bog man nun zum HurcossuyuZweig der Königsstrasse ab, so war das erste Tampu nach der Abzweigung Pucarä, was «Festung» bedeutet. Berge aus rotem Sandstein erheben sich 30o Meter über das heutige Dorf, in dem sich noch einige Überreste der Festung und anderer Gebäude befinden, die Cieza «in Ruinen und im Verfall» antraf.

Väsquez de Espinosa, der im folgenden Jahrhundert nach Pucarä kam, nannte es «eines der wunderbaren Werke der Inka» und sprach von dem «grossen, stolzen Gebäude dort und der Incacancha genannten Festung». Pedro de Cieza hörte, als er sich kurz dort aufhielt, von einigen älteren Bewohnern Einzelheiten über die um 146o stattgefundene grosse Belagerung der Festung durch Topa Inka.

Dazu kam weil die hier ansässigen Menschen zur CollaLiga

gehörten, die seit Jahrhunderten das Vordringen der Inka erfolgreich blockiert hatte.

Die Bewohner von Pucarä waren wegen ihrer Töpferwaren berühmt, und die Tradition ist heute noch lebendig in der modernen Keramik, die als «Stiere von Pucarä» bekannt ist. Diese Stücke werden weithin geschätzt und gesammelt.

Danach erreichte die Königsstrasse das Tampu von Nicasio, wo Cieza «weinende Indianer sah, die an der Spitze eines Trauerzugs gingen und traurige und jammervolle Worte sangen». Das Dorf war damals und ist auch heute noch bedeutend wegen der dort aus Tortora hergestellten Boote und seiner Fischerei.

Zwei Jahre bevor Cieza hier eintraf, war der Oberherr von Nicasio, Hernando Bachicao, auf Befehl von Carbajal erwürgt worden. Bachicao, der einen üblen Leumund hatte, kam einige Zeit nach dem Beginn der Konquista nach Südamerika. Er nahm aber an der Schlacht von Las Salinas teil und wurde 1541 Beamter in Cuzco, wo er mit Vaca de Castro zusammenarbeitete, der den ersten Reiseführer für das Strassennetz der Inka anfertigte. Bachicao ergriff Partei für Gonzalo Pizarro bei dessen Rebellion gegen die «Neuen Gesetze» und war einer derjenigen, die den Vizekönig verfolgten, der dann bei Quito getötet wurde. Sein Charakter wurde aber von einem der Leute Pizarros durchschaut, der seinen Anführer warnte: «Wenn Bachicao, wie er behauptet, ein Schüler von Euch ist, dann sind er und Carbajal viel eher Eure Lehrer, und Ihr seid der Schüler.» Als Bachicao in der Schlacht von Huarina meinte, dass sich die Waage gegen Pizarro neigte, ging er auf die andere Seite über; aber als die Niederlage vollendet war, versuchte er, unentdeckt hinter Pizarros Linie zurückzuschlüpfen. Das entging aber Carbajal nicht, der ihn sofort umbringen liess.

Die Königsstrasse verlief nun neben dem grossen See. Die ersten Spanier, die ihn sahen, waren Diego de Agüero und Pedro Martinez de Moguer, die 15 33 dorthin kamen und bei ihrer Rückkehr von dem «grössten See in den Indien» berichteten. Cieza gab jedoch die erste schriftliche Beschreibung. Geographisch liegt der Titicacasee — oder richtiger: Chucuito — in einem Becken zwischen zwei Gebirgszügen, die zur Kette der Anden gehören. Der See ist r 3 5 Kilometer lang und 7o breit. Er liegt auf der Hochebene in einer Höhe von 3800 Meter, was ihn zum höchstgelegenen schiffbaren Gewässer der Welt macht. Zahlreiche grosse und kleine Flüsse münden in den See, aber nur einer fliesst aus ihm ab, was zur Folge hat, dass er leicht salzig ist. Das ihn umgebende Land wechselt zwischen trockener Pampa und besser anbaufähigem Boden. In dieser Höhe kann Mais, ausser an geschützten Orten, nicht mit Erfolg angebaut werden, aber Kartoffeln, Quinoa, Weizen und Gerste gedeihen gut.

Das ganze Gebiet war in den Zeiten der Inka dicht bevölkert und ist es auch heute noch. Zahlreiche verschiedene Stämme siedelten sich um den See herum an; die führenden waren die Lupaca und die Colla, «die gegeneinander Krieg führten». Cieza schreibt, dass sie «wollene Gewänder tragen. Die Frauen tragen auf dem Kopf eine wollene Mütze in der Form eines Mörsers. Diese nennen sie chullo.»

Juliaca war die nächste Haltestation auf der Strasse. Hier gab es das übliche Tampu mit ummauerten Höfen für die Lamas und kleineren Räumen für die Reisenden. Es scheint recht bedeutend gewesen zu sein, da Huamän Poma es ein königliches Tampu nennt, aber heute gibt es keine Andeutungen von grösseren Gebäuden mehr.

Nachdem die Strasse Caracoto, eine tributpflichtige Gemeinde, passiert hatte, erreichte sie Hatuncolla, «was ein bedeutendes Objekt war, denn hatun heisst gross. Jetzt [1 549] ist als Folge des Krieges alles verschwunden, und die meisten Eingeborenen sind fortgezogen.» Cieza sagt uns auch, dass Hatuncolla «der wichtigste Ort im Land der Colla war. Nachdem die Inka gekommen waren, erweiterten sie die Stadt und errichteten viele Gebäude und Lagerhäuser, in die der Tribut von den umliegenden Städten gebracht wurde. Eine Anzahl von mamacona [Sonnenjungfrauen], Priestern und viele Mitimae wurden angesiedelt. Es gab auch einen Sonnentempel.» Fast alles ist vergangen, aber die chullpa, die Steintürme für die Toten, sind geblieben, «denn in dieser Provinz der Colla stellen sie sie in Reihen auf den Feldern auf; sie sind so gross wie Türme, schön erbaut aus zueinander passenden Steinen mit Türen, die sich zur aufgehenden Sonne öffnen».

Die chullpa und auch, was von den sonstigen Gebäuden von Hatuncolla geblieben ist, sind grösstenteils um Umayo, ein paar Kilometer wetlich des Sees, konzentriert. Die Begräbnistürme sind entweder rund oder viereckig; meistens stehen sie auf Hügeln und sind eigentlich eher verstreut als in Reihen beisammen. Stil und Form des Mauerwerks ist so schön wie alles in und um Cuzco; manche Steine sind mit skulptierten Tieren — Eidechsen, Viscachas oder Pumas — verziert. Sie sind präinkaisch und stellen wahrscheinlich einen Ableger oder auch eine Weiterentwicklung der älteren TiahuanacuKultur dar.

Squier, der im Winter 1867 auf sie stiess, war von ihrer Grösse und Bauweise fasziniert, und obwohl es schon Zeichnungen von ihnen gab, machte er doch eine ganze Anzahl von Daguerreotypien davon. Eine reich verzierte Stele beeindruckte ihn so, dass er eine Abbildung davon in Blattgold auf den Deckel seines Buches über Peru prägen liess. Squier meinte, dass «vom Standpunkt der Architektur aus diese chullpa zu den bemerkenswertesten Monumenten Amerikas gehören».

Geht man die Strasse weiter, so kommt man nach Paucarcolla, das Huamän Poma als königliches Tampu verzeichnet. Nach der Eroberung erhielt es Gömez Mazuela als Lehen. Siebzig Jahre später, nämlich 1613, tritt Väsquez de Espinosa dort zur Zählung seiner Christen auf und vermerkt eine Gesamtzahl von 1003 Tributpflichtigen.

Chucuito, unser nächster Halt, stösst an einen Gebirgskamm, der sich sanft zum Titicacasee hinuntersenkt, und Cieza hielt es fast für die «wichtigste und vollständigste Siedlung in diesem Reich». Vor seiner Eroberung durch Topa Inka im Jahr 1450 war es das Verwaltungszentrum der aimarasprechenden Stämme der Lupaca und überlebte die Eroberung als Verwaltungszentrum der Inka. Überreste des Icauyu und des Kurinuyu, Gebäuden, in denen Beamte wohnten, sind noch vorhanden, und Cieza sprach von den grossen Wohnungen dort. Chucuito hatte einen so bedeutenden Ruf, dass es, zusammen mit mehreren Dörfern und Tampu südlich davon, als repartimiento dem König von Spanien selbst gegeben wurde.

Die nächsten Tampu an der Königsstrasse kamen in Abständen von ungefähr zwanzig Kilometer. Das erste, das man nach Chucuito erreichte, war Ancora, wo es viele chullpa gab; dann kamen Llave, Juli  das bemerkenswert ist wegen seiner vier im MestizoStil erbauten Kirchen und der schon 1590 dort aufgestellten Druckpresse —, Pomata und Zepita. Als Cieza durch diese Gegend kam, «war der Gouverneur ein Indianer namens Don Gaspar, der sehr klug und verständig war». Cieza berichtet uns auch, dass «bei Zepita der DesaguaderoFluss verläuft».

Seinen ursprünglichen Namen weiss niemand sicher. Für die Spanier, die bald bemerkten, dass er der einzige Fluss war, der dem Titicacasee entströmte, wurde er sogleich der Desaguadero, der «Entwässerungsfluss». Der Fluss, der durchgehend fast fünfzig Meter breit und ungefähr zehn Meter tief war, bot keine Furt und wurde deshalb an zwei verschiedenen Stellen mit einer Pontonbrücke aus balsa (Erklärung weiter unten) überquert.

Als Hernando Pizarro 1537 hierher kam, um die rebellischen Lusaca «zur Räson» zu bringen, stellte er zu seinem Leidwesen fest, dass die Brücke, die er hätte überschreiten müssen — die andere war achtzig Kilometer entfernt —, flussabwärts abgetrieben worden war. «Viele Männer von Pizarro trieben ihre Pferde in den Fluss; vier von ihnen ertranken, und der eine, der hinüberkam, wurde gefangengenommen und geopfert.» Der Ort war zweifellos strategisch wichtig.

Cieza weiss nichts über die Brücke zu sagen, ausser dass «sie dazu benutzt wurde, Zoll von allen, die sie überschritten, zu erheben». Garcilaso de la Vega, der einen grossen Teil seines Heimatlandes gesehen haben musste, bevor er es mit neunzehn Jahren für immer verliess, berichtete, dass «die Brücke ungefähr vier Meter breit, knapp einen Meter hoch [über dem Wasserspiegel] und dreissig Meter lang war. Alle sechs Monate musste sie völlig erneuert werden.»

Wiederum verdanken wir Squier die einzigen authentischen Illustrationen dieser berühmten Pontonbrücke. Als er 1867 dieses Gebiet erforschte, gab es zwei solche Brücken. Die wichtigere war die von Nasacara, achtzig Kilometer weiter flussabwärts; sie bestand aus zwanzig grossen Pontons — Boote aus balsaHolz—, die durch schwere Seile aus geflochtener cabuyaFaser festgehalten wurden. Diese Seile gingen durch jedes balsa und waren ihrerseits fest an zwei massiven Stei 'türmen angebunden. Tortoragras, aus denen die Pontons gemacht waren, wurde auch zu deren Füllung verwendet, wodurch ein fortlaufender, fester Gehweg entstand. Die zweite Pontonbrücke, die Squier auch zeichnete, gehörte zur Königsstrasse, und zwar dort, «wo der Fluss dem See entströmt».

Es muss hier erwähnt werden, dass das spanische Wort balsa einen leichten, schwimmenden Baumstamm bezeichnet, der aus balsaHolz sein kann, aber nicht sein muss. Dieses Material stammt von einem Baum, der in Regengebieten heimisch ist und zur Gattung 0 chroma gehört. Die vorinkaischen Stämme des hohen Nordens von Peru benutzten es zur Herstellung von Flössen für die Küstenschiffahrt; einem solchen begegnete Bartolom6 Ruiz, der Navigator der Konquistadoren auf einer Erkundungsfahrt vor der Eroberung. Die balsa für die Herstellung der oben beschriebenen Pontonbrükken wurden jedoch aus Tortoragras angefertigt, das geschnitten, getrocknet und zu zigarrenförmigen Bündeln geformt wurde. Vier solche mit cabuyaFaser zusammengebundene Bündel brauchte man, um ein Ponton oder Boot zu bauen, wobei zwei den Rumpf und zwei die Seitenflächen bildeten. Die Indianer bauen heute noch Boote dieses Typs, die je nach der Länge der Bündel gewöhnlich zwischen zwei und drei Meter lang sind; aber es gibt auch gelegentlich Boote von zwölf Meter Länge. Sie sind mit einem einfachen Segel ausgestattet und werden in seichtem Wasser gestakt.

Weiter entlang des Südufers des Titicacasees kommt die Strasse durch Huaqui und dann nach Tiahuanacu, das auf der baumlosen Hochebene wenige Kilometer südlich der Südspitze des Sees liegt. Es gibt hier wenig Gras, der Wind weht ständig, und die Temperaturen — besonders nachts und am frühen Morgen — sind extrem tief. Und doch hat hier ein Volk, über das wir nichts wissen, eine gewaltige Zeremonialstadt aufgebaut.

Als Cieza hierher kam — er lieferte die erste und bis zum neunzehnten Jahrhundert beste Beschreibung der Ruinen —, stellte er fest, dass «es keine grosse Stadt ist. Aber es ist berühmt wegen seiner grossen Gebäude. In der Nähe der Wohnhäuser befindet sich ein von Menschenhand angelegter Hügel, der auf grossen Steinfundamenten ruht.»

Das w r die Acapana, ein riesiger Hügel, eine teilweise künstliche Stufenpyramide, die einst vollständig mit Stein verkleidet war, mit Grundmauern von Häusern und einem grossen, steinernen Wasserbehälter. Allem Anschein nach war die Acapana eine Festung wie Sacsahuamän, die als Zuflucht bei Belagerungen diente. Nordwestlich von diesem Bauwerk befindet sich eine grössere rechteckige Einheit, die Calasasoya, die wahrscheinlich eine Tempelumfriedung war; und im Westen liegt ein weiteres grosses Gebäude, das allgemein als «Palast» benannt wird.

Wer waren die Bewohner von Tiahuanacu? «Ich fragte die Einheimischen», schrieb Pedro de Cieza während seines Besuches im Jahr 1549, «in Gegenwart von Juan Vargas [berühmt dafür, dass er persönlich Illa Tupac, einen der obersten Generäle Manco Capacs, gefangennahm], der ein encomienda dort besitzt, ob diese Gebäude in den Zeiten der Inka errichtet wurden. Sie lachten über meine Frage. Sie seien lange vor den Inka erbaut worden, aber sie könnten nicht sagen, von wem.»

Man ist jetzt allgemein der Ansicht, dass Tiahuanacu nie eine grosse Bevölkerung aufwies und dass es kein Stadtstaat, sondern — bis zur Ankunft der Inka — ein abgelegener, isolierter Platz war, der von Priestern regiert und von Soldaten unterhalten und verteidigt wurde. Die Wirkung, die Tiahuanacu ausübte, war weitreichend. Muster und bildhauerische Techniken, ähnlich den in der Stadt üblichen findet man am ganzen Titicacasee und nach Norden bis Huari — Viriaque —, das in den Anden bei Vilcashuamän, rund 700 Kilometer entfernt, liegt. Es ist ein Beweis für Ciezas vortreffliche Beobachtungsgabe, dass er, als er die Ruinen von Huari sah, vermutete, dass «sie nicht inkaisch waren und dass sie, nach dem Grad des Verfalls zu urteilen, dort schon seit langer Zeit gestanden haben müssen». So war also logischerweise Huari entweder eine Kolonie von Tiahuanacu oder doch wenigstens stark von dort beeinflusst.

Was Pedro de Cieza an Tiahuanacu am meisten beeindruckte, waren «die grossen Tore . . . kolossale Bauten», von denen das grossartigste das berühmte monolithische Sonnentor ist.

Das war da, grosse Tor, dessentwegen Squier 850 Kilometer weit ritt. Er stellte fest, dass es fast genau vier Meter lang, zwei Meter hoch und einen halben Meter stark war, und fotografierte es — «für mich interessant, weil es die erste Fotografie war, die zu machen ich das Glück hatte». In der Mitte des Tores ist der Sonnengott abgebildet; die von seinem Kopf ausgehenden Strahlen enden in Pumaköpfen, und die Stäbe in seinen Händen sind mit Kondorköpfen verziert. Geflügelte Figuren wiederholen sich auf dem ganzen Fries, ein Motiv, das in ganz Peru vorkommt — auf Webereien, Töpferwaren und Metallarbeiten — und das den weinenden Gott darstellt, der zoomorphische Tränen — Pumaköpfe und Kondore — weint.

Bei Tiahuanacu vereinigen sich die beiden Zweige der Königsstrasse — Omasuyu und Hurcossuyu — wieder, und in derselben Gegend zweigte eine Strasse nach La Paz ab, dem alten Chiquiapu, jetzt die Hauptstadt des heutigen Staats Bolivien. Diese Stadt wurde von den Inka wegen der grossen Mengen von Gold, die in der Nähe gefunden wurden, hochgeschätzt.

Die Hauptstrasse ging jedoch weiter zu den Dörfern und Tampu von Siquisaca, hinter dem sie das von den Stämmen des TiticacaseeGebiets bewohnte Land verliess und die grössere Provinz der Charca, ein stark besiedeltes und von den Inka sehr beliebtes Gebiet betrat. An einem von Huamän Poma «Acontina» genannten Ort teilte sich die Strasse wieder; ein Zweig führte direkt nach Osten nach Chuquisaca — später bekannt als La Plata und heute Sucre — und Pocro, einer Stadt, die auch wegen ihrer Silberproduktion berühmt war. Sie gehörte Hernando Pizarro.

Unter den Inka war Chuquisaca ein kleineres Verwaltungszentrum, und erst unter den Spaniern gewann es an Bedeutung. Die neue Stadt wurde als La Plata von Hauptmann Pedro Anzures — «Peransures» — gegründet, der, wie Cieza sagt, ein «alter Konquistador war, sehr beschlagen in der Kriegskunst, weithin geachtet, beliebt und sehr grosszügig». Im Bestreben, die Spaltung zwischen Almagro und Pizarro zu verhindern, reiste er 1536 nach Spanien und verschaffte sich königliche Dekrete, die — vergeblich — das Gebiet, das den beiden gehören sollte, definierten. Anzures kämpfte auf der Seite des Siegers in der Schlacht von Las Salinas, nahm an der berühmten Expedition in das CarabayaGebiet teil und gründete, nachdem diese gescheitert war, 1538 La Plata.

Chuquisaca war, sagte Cieza, «wegen seines grossen Reichtums an Silber serir berühmt in den Reichen von Peru. Der Boden hat gegenwärtig [i 549] einen hohen Preis wegen des Reichtums, der in den Minen von Potosi entdeckt wurde.»

Potosi fiel in die Jurisdiktion von Diego de Almagros Reich «NeuToledo», aber die gewaltigen Silbervorkommen in diesem Gebiet wurden erst später entdeckt. «Ein Indianer namens Huanca», berichtete der gelehrte Jesuit Jos6 de Acosta, «ging eines Tages aus, um Hirsche zu jagen, und stiess dabei auf gewisse Bäume, die Quinoa genannt werden. Er musste sich an einem Stamm festhalten, dessen Wurzeln er dabei aus dem Boden riss; sie waren mit Silber aus einer Silberader bedeckt. Er wusste auf Grund seiner Erfahrung als Arbeiter in den Silberminen von Pocro, dass das Silber gut war. Er brachte das Erz nach Pocro und legte es in einen huayra [einen primitiven Hochofen, der mit Holzkohle geheizt und durch den ständig wehenden Ostwind zu einer Temperatur von über r000 Grad Celsius angefacht wurde]. Da er eine Mine von so grossem Reichtum und damit sein Glück gefunden hatte, grub er insgeheim noch mehr von diesem Silber aus. Eines Tages wurde er von einem Spanier namens Diego Villaroel dabei ertappt. Fünf reiche Silberadern wurden entdeckt, und die Mine wurde am 2I. April i 545 auf ihre beiden Namen eingetragen.»

Potosi kam später unter die Herrschaft von Gonzalo Pizarro, der den Silberreichtum zur Finanzierung seiner Revolte gegen die Krone benutzte. Bis r 56o hatten die Minen für 5 8 Millionen Peso Silberbarren produziert. i600 hatte Potosi i60000 Einwohner, mehr als jeder andere Platz in dieser Zeit in Amerika.

Pedro de Soria, der die Arbeiten in den Minen für Pizarro leitete, wurde von Carbajal gedrängt, «sein Möglichstes zu tun, um für Seine Exzellenz [Gonzalo Pizarro], deren Ausgaben anwachsen, Silber zu fördern». Er wischte Sorias Klagen beiseite: «Ich hörte, nicht von irgendeinem schäbigen Soldaten, sondern von vornehmen Edlen, dass Ihr 15o 000 Peso Gold beiseite schafftet; es wäre also kein schlechter Gedanke, dieses den Soldaten zu geben, die sich, wie Ihr sagt, bei Euch beschwert haben.» In Bedrängnis bat Soria um landwirtschaftliche und Bergbaugeräte und erhielt die Erlaubnis, Hernando Pil,rros Haus zu bewohnen und seine Diener zu benutzen. Dieses Verlangen nach Silber verstummte nie. «Schickt mir», schrieb Gonzalo Pizarro, «mit diesen 7000 indianischen Lastenträgern alles Silber, das Ihr auftreiben könnt, auch Hernando Pizarros Anteil. Ich kann nachts nicht schlafen, wenn ich an die vielen denke, denen ich Kleidung und Nahrung stellen muss, und an das, was ich meinen Anhängern schulde.»

Diese Ereignisse fanden 1547 statt. 1549, als Cieza unterwegs war, um diese Provinzen zu besuchen, hatte sich die Situation geändert. Pizarro und Carbajal waren tot, ihr Besitz verwirkt; und Pedro de Hinojosa hatte Pizarros ganzes Vermögen, das ein jährliches Einkommen von i00000 Castellano abwarf, in Besitz genommen. Hinojosa hat bewiesen, dass sich Verrat tatsächlich auszahlen kann. Er war 1534 mit Hernando Pizarro nach Peru gekommen. 1547 befehligte er Gonzalo Pizarros Flotte, aber er ging zu Präsident La Gasca über und nahm 1548 an dem endgültigen Sieg über seinen Freund und Lehnsherrn teil. Und so wurde er mit der Hilfe der Umstände und seines Verrats der Gewinner.

 

Eine Strasse bis ans Ende der Erde

Hier nehmen wir Abschied von Pedro de Cieza, der berichtet, dass «jenseits dieser Provinz der Charca die Provinz Chile liegt. Nun habe ich Euch über die Königsstrasse von Colombia bis Potosi mitgenommen, was nach meiner Schätzung gut 2000 Kilometer sind. Daher will ich jetzt nicht mehr weitergehen.»

Wohl nicht so sehr um Genauigkeit bemüht ist unser Führer für die nächsten 2500 Kilometer. Es war ein Mann von gänzlich anderer Art als Cieza, aus härterem Holz geschnitzt, ein Mann, der eher Geschichte macht als darüber berichtet — nämlich niemand anderer als Diego de Almagro, einer der ersten Teilnehmer an der spanischen Entdeckung und Eroberung von Peru.

1522 schlossen Almagro, Francisco Pizarro und der Priester Fernando de Luque «vor Gott und den Menschen» einen Vertrag, dass sie Peru entdecken und erobern und die Beute aus dem «Königreich des Goldes» gleichmässig teilen wollten. 1527, nach zwei erfolglosen Expeditionen und nachdem sie Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Hilfsgütern erlebt hatten, ging Pizarro jedoch nach Spanien und besorgte sich eine königliche Urkunde, die ihn zum Gouverneur und Generalkapitän von Peru ernannte — obwohl dieses noch nicht erobert war —, Almagro dagegen nur den nachgeordneten Posten eines Hauptmanns von Tumbes, des nördlichsten Hafens von Peru und Ausgangspunktes der Eroberung, übertrug. Ausserdem erhielt Almagro den untergeordneteren Auftrag, Männer und Material aufzutreiben und nach Peru zu transportieren, so dass er bei der Ergreifung von Atahualpa nicht zugegen war. So gab es also von Anfang an Streit zwischen Pizarro und Almagro, und dieser wurde immer heftiger, als ihre vereinigten Streitkräfte auf Cuzco vorrückten und es eroberten.

Dort erreichten die Auseinandersetzungen einen Höhepunkt, als Almagroein kleineren Anteil an der Beute erhielt als Pizarro. Um weitere Streitereien zu verhindern und die Gefahr eines Bürgerkriegs abzuwenden, plante man, Almagro zum Gouverneur aller Gebiete südlich des Territoriums von Pizarro zu machen. Der König gab seine Zustimmung dazu, und die Trennungslinie sollte das reiche Küstental von Chincha, dreizehn Breitengrade südlich des Äquators, sein.

Obwohl die Geographie damals weit von einer exakten Wissenschaft entfernt war, konnte doch die geographische Breite ziemlich genau berechnet werden, und Almagro stellte alsbald fest, dass Cuzco — der hauptsächlichste Streitpunkt — ein klein wenig südlich von Chincha und daher in seinem Gebiet lag. Am 12. Juni 1535 wurde indessen eine neue Vereinbarung getroffen, in der bestimmt wurde, dass die Geographen zur Einholung «neuer Instruktionen» nach Spanien zurückkehren sollten und dass Almagro in der Zwischenzeit aufbrach, um festzustellen, was sein neues Reich zu bieten hatte. So begann also in einer Atmosphäre des Misstrauens die erste Erforschung der Königsstrasse vom Titicacasee «bis zum Ende der Erde».

«Almagro war ein Mann von kleiner Statur», schrieb Pedro de Cieza — der ihn jedoch nicht persönlich gekannt haben kann —, «mit hässlichen, groben Gesichtszügen, aber grossem Mut und viel Ausdauer. Er war grosszügig, neigte aber zum Prahlen. Da er jedoch seine Ohren überall hatte, war er über das Land und das Volk gut informiert, und die Entdeckung dieser Reiche war grossenteils ihm zu verdanken. Er war ein Findelkind und so niedriger Herkunft, dass man von ihm sagen konnte, sein Stammbaum begann und endete mit ihm.» Dieser letzte Satz ist ein wenig übertrieben, da die Namen seiner beiden Eltern bekannt sind — Juan de Montenegro und Elvira Guti&rez. Er trug aber keinen dieser beiden Namen, sondern nahm den Namen des Dorfes an, in dem er 1479 geboren wurde.

Almagro war ungebildet und einäugig. Wenn der Flecken von der Stelle entfernt wurde, wo sein linkes Auge hätte sein sollen, erschien eine grelle Narbe, die Augenhöhle war leer, und eine gezackte Wunde ging bis zur Stirn. Dieses Auge hatte er durch einen indianischen Pfeil in den frühen Tagen der Suche nach dem «Goldenen Königreich» verloren, und er hatte daher den Spitznamen «der Blinzler». Aber er war eine geborene Führernatur, stand zu seinem Wort und war taps: r und beliebt.

Für Almagro und alle anderen Spanier war Chile weithin unbekannt. Die Indianer, die danach befragt wurden, sagten, es sei ein Land der Wüsten und hohen Gebirge, aber reich an Gold. So war es von Anfang an klar, dass eine sorgfältige Planung unerlässlich war. Almagro beorderte infolgedessen einen seiner Hauptleute nach Lima, um dort drei Schiffe zu beschaffen, auszurüsten und mit Nachschubgütern zu beladen. Mit ihnen sollte er nach Süden segeln und sich schliesslich mit der Hauptmacht treffen, obwohl es nicht vorherbestimmt werden konnte, wo und wann.

Inzwischen versammelte Almagro eine Streitmacht von 570 Mann, teils Kavallerie, teils Fusssoldaten. Hernando de Soto, der ungeheuer reich war, bot einen grossen Teil seines Vermögens, wenn er den stellvertretenden Oberbefehl erhielte, aber Almagro lehnte ihn zugunsten von Rodrigo Ord6fiez ab, eines Juden, der zum Christentum übergetreten war.

Auch der neu eingesetzte Inka Manco Capac wurde um Hilfe gebeten und war gern dazu bereit, da er zweifellos nur zu erfreut darüber war, dass damit so viele lästige Spanier aus dem Weg sein würden. Er wählte 12 000 Stammesleute als Lastenträger aus und stellte einen ganzen Zug von Lamas zur Verfügung. VillacUmu, der höchste Priester des Landes, und Mancos Halbbruder Paullu erhielten den Oberbefehl über die indianische Streitmacht. Paullu, der damals kaum zwanzig Jahre alt war, hatte merkwürdig gegensätzliche Motive. Er nahm Partei für die Spanier gegen sein eigenes Volk, und als Manco sich in die Festungen von Vilcabamba zurückzog, wurde er an seiner Stelle MarionettenInka.

Als die Vorbereitungen genügend weit gediehen waren, sandte Almagro hundert berittene Soldaten und Tausende von Indianern in rollendem Einsatz voraus. Diese folgten der Königsstrasse südlich des Titicacasees beim Tampu von Paria. Dort, nicht weit von dem stark salzigen See von Aullaga — jetzt Poopö —, schlug Hauptmann Juan Saavedra das Lager auf und begann, Vorräte anzulegen. Auf seinen Befehl, den Paullu weitergab, schlachteten die Indianer Lamas und machten charqui aus ihrem Fleisch; Mais, Bohnen und Pfeffer wurdet", in FünfundzwanzigPfundSäcken gelagert. Mehl wurde aus chuiio— getrockneten Kartoffeln — hergestellt.

Im August i 5 3 5 brach Almagro mit der Hauptmacht von Cuzco auf; er kam rasch vorwärts und vereinigte sich mit der Vorhut in Paria. Zusammen rückten sie weiter nach Süden vor. Trotz der Anwesenheit von Paullu und VillacUmu stiessen sie bald auf Widerstand der Eingeborenen aus der Montaria unterhalb der Provinz der Charca. Diese Indianer kämpften mit Pfeil und Bogen — die nie von den Inka benutzt wurden —, und Almagros Pferd wurde getötet.

In Tupiza am oberen SanFranciscoFluss — einem Nebenfluss des Rio de la Plata — machte das Heer halt, da Paullu einen Boten und eine Staffel von Indianern abfing, die mit Tributgold aus Chile nach Norden unterwegs waren. Ein Spanier schätzte den Wert des Schatzes auf «90 00o Castellano, während andere ihn mit dem dreifachen Betrag bewerteten». «Das Gold war eine Augenweide», erinnerte sich einer, «es wirkte auf die Männer wie die Sporen auf ein Pferd.» Dieses Gold gehörte vermutlich zu dem Lösegeld für Atahualpa, das sich wegen der ungeheuren Entfernung verzögert hatte. Die Spanier waren besonders beeindruckt von einem vierzehn Pfund schweren Goldklumpen, was ihre Hoffnung auf einen Erfolg der Expedition vergrösserte.

Unmittelbar nach diesem Zwischenfall verschwanden VillacUmu und die Hälfte der Träger, und doch entdeckte Almagro —hauptsächlich, weil Paullu zurückblieb — zunächst keinerlei unheildrohenden Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen. Er geriet jedoch in Zorn, und das spiegelte sich in der Art wider, wie er die Indianer, die geflohen waren, ersetzte. «Alle Eingeborenen», schrieb Cristöbal de Molina, «die nicht freiwillig an der Expedition teilnehmen wollten, wurden in Fesseln und Ketten mitgenommen. Sie wurden nachts eingesperrt und tagsüber beladen und vor Hunger fast sterbend mitgeführt. Wenn Stuten der Spanier Fohlen bekamen, mussten diese Indianer sie in Sänften tragen.»

Cristöbal de Molina — aus Santiago — zum Unterschied von einem Pater desselben Namens, der aus Cuzco kam — wurde 1491 geboren und reiste viel in Europa, bevor er 1532 in Peru eintraf. Seine Teilnahme an der Expedition gehörte zum üblichen Ritual der Eroberung, denn Krone und Kirche wünschten sich sowohl geistlichen Gewinn wie materiellen Nutzen. Die Spanier betrachteten es als ihre heilige Pflicht, alle Indianer zu ihrer Religion zu bekehren — wenn möglich durch Ermahnung, andernfalls aber durch nackte Gewalt —, und ihr Glaube gehörte ebenso zu ihrem Gepäck wie Pferd und Degen. Bevor Feindseligkeiten eröffnet werden konnten, musste der amtierende Priester oder ein königlicher Notar das Reglementverlesen, das den durch den Papst sanktionierten Anspruch des spanischen Königs auf alle Länder Amerikas feststellte und von den Eingeborenen forderte, ihren Irrglauben abzulegen und zum Christentum überzutreten. Wenn ein Dolmetscher zur Stelle war, wurde das seltsame Dokument übersetzt, wenn nicht, wurde es eben auf Spanisch verlesen, und es blieb den Indianern überlassen, seine Bedeutung auf irgendwelchen unergründlichen Wegen aufzufassen. Wenn sie das Reglement annahmen und den Spaniern gestatteten, sich niederzulassen, gab es keine Feindseligkeiten, taten sie es aber nicht, dann waren Blut und Feuer gerechtfertigt.

«Ich begleitete», schrieb Cristöbal de Molina an seinen König, «Almagro bei seinen Entdeckungen in Chile.» Und er wurde einer seiner Geschichtsschreiber. Almagro selbst war Analphabet—was er zugibt; denn ein Dokument vom 2. November 1537 trägt nur Almagros Schnörkel, was bei ihm offiziell als Unterschrift galt. Es war von einem Notar gegengezeichnet: «auf Ersuchen von Almagro, da er sagte, er könne nicht schreiben».

Aber «Analphabetentum» darf man nicht als gleichbedeutend mit Dummheit betrachten; derselbe Pater berichtet uns im Gegenteil, dass «Almagro, da er Eure Majestät von allem unterrichten wollte, einen gewissen Henao aussandte, um alle Strassen aufzuzeichnen, die er betrat und entdeckte, also von Tumbes — in Peru — bei drei Grad südlicher Breite bis zum Fluss Maul6 bei fünfunddreissig Grad südlicher Breite, was zu Land 5200 Kilometer weit ist, und ebenso alle Nationen und Stämme mit ihren Kleidungsgebräuchen und Lebensgewohnheiten zu zeichnen — sowie viele andere Dinge». Dieser letzte Teil des Berichts und Henaos Zeichnungen sind noch nicht wieder aufgetaucht. Es gibt eine bekannte und oft reproduzierte Illustration eines araukanischen Indianers von Chile — die früheste Illustration eines Ine%ners, der einen Poncho trägt, die in einem Buch erschien, das in den Bibliographien als «Marcgrav» angeführt wird, korrekter aber Georg, Markgraf von Leibstadt, (Historia rerum naturalium Brasiliae . . . et Chilensibus), Ludgum 1648, heissen müsste.

Molina beschreibt, wie die eingeborenen Träger den ganzen Tag ohne Ruhepause arbeiteten und nur etwas gerösteten Mais und Wasser zu sich nahmen. «Ein Spanier schloss auf dieser Expedition zwölf Indianer mit einer Kette zusammen und brüstete sich, dass alle zwölf so gestorben seien. Starb ein Indianer, so hieb er ihm den Kopf ab, um den anderen Schrecken einzujagen und es sich zu ersparen, das Vorlegeschloss der Kette aufzumachen.»

Die Spanier hatten Angst. Sie reisten in unbekanntem Land, waren Gefangene des Raums, und der Terror war eine Waffe. Pedro de Cieza versuchte, diesen, äusserlich betrachtet, Grausamkeiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und bat seine Leser, zu bedenken, «was für unerhörte Mühen und Gefahren eine so kleine Zahl von Spaniern in einem so weiten Gebiet zu bestehen hatte — die kaum glaublichen Zwischenfälle in diesen Kriegen und bei der Entdeckung eines Gebiets von 8000 Kilometer Länge, den Hunger, Durst, Tod und alle Beschwernisse». Dann sein moralisches Urteil: «Ich möchte nicht die Beschäftigung von indianischen Trägern in vernünftigem Ausmass verurteilen. Aber wenn vier Indianer gebraucht wurden, nahm man ein Dutzend, und es gab viele Spanier, die sich ihre Huren von den armen Indianern in Hängematten tragen liessen. Wollte man die grossen übeltaten aufzählen, so gäbe es kein Ende, denn sie töteten die Indianer, als seien sie nutzlose Tiere. Ich behaupte freilich keineswegs, dass alle Spanier diese Untaten verübten, denn ich sah und weiss von vielen Beispielen guter Behandlung der Indianer.»

So rückten sie, während der Tod umging, nach Jujuy — jetzt in Argentinien — vor, wo die Hauptstrasse auf die Seitenstrasse nach Tucumän traf. Die Strasse, auf der sie ritten, variierte in der Breite zwischen drei und sechs Meter, und man kann sie noch gut sehen, da das Gebüsch, das vor Jahrhunderten beseitigt wurde, sich nicht wieder ausgebreitet hat und die Oberfläche der Strasse lediglich der von Natur harte Sandboden der Puna ist. In den üblichen Abständen von 20 bis 25 Kilometern findet man die Überreste von Tampu, von denen viele erst kürzlich von einer Gruppe von argentinischen Archäologen wiederentdeckt wurden. Es war eines der Wunder des inkaischen Verkehrssystems, dass Strassen, Ruheplätze, Brücken und die topo als Entfernungsmesser in so isolierten Gegenden erbaut und unterhalten werden konnten.

Auf der Ebene von Chuciana — dem modernen Salta — ruhten sich Almagro und seine Männer aus und warteten, bis der Schnee auf den Pässen schmolz. Im ganzen Frühjahr 1536 bereiteten die Indianer —von denen in den Berichten nur als «Dienststücken» gesprochen wird —, die Vorräte für die nächsten sechs Monate zu, während der Schmied seinen transportablen Amboss aufstellte und Hufeisen aus Kupfer — Eisen gab es nicht — schmiedete. Kupferne Hufeisen waren entbehrlich, Pferde jedoch nicht.

Das Heer setzte sich in Bewegung, als Kundschafter meldeten, dass der Schnee geschmolzen sei. Die Schneeschmelze führte aber zu einem Ansteigen des Flusses Huachipas, und in der folgenden Überschwemmung ertranken viele Indianer.

Arenal, ein breiter Streifen öder Wüste, wurde in sechs mörderischen Tagesmärschen durchquert; an seinem Ende waren kahle Berge zu sehen, zwischen denen ein See eingebettet lag, den die Spanier Laguna Blanca tauften. Die noch deutlich markierte Strasse war nicht gepflastert, da die Erde einen Überzug aus Kies, Stein und Sand hatte, der eine genügend harte Oberfläche bot. Die einzige Vegetation hier bestand aus niedrigen, zähen Büschen mit kümmerlichen Blättern, die aus der Ferne als dichter Bestand erschienen, sich aus der Nähe jedoch als in lockerem Abstand stehend erwiesen. Sie waren weder für Menschen noch für Tiere als Nahrung verwertbar. Die Ingenieure der Inka mussten diese Büsche roden, um Platz für die Strasse zu schaffen, die immer noch als gerade Linie quer über die Hochebene zu sehen ist.

Die Tampu in dieser trostlosen Gegend waren aus pirca — losen Steinen — erbaut, die nach Möglichkeit mit llanac allpa — «klebende Erde» — zementiert war. In günstig gelegenen Gebieten waren grosse und gut angelegte Zentren erbaut worden, von denen manche von den Archäologen ausgegraben wurden. Mumien, inkaisches Schuhzeug, Kopfputz, Webereien, Töpferwaren und Metallarbeiten — aus Kupfer, Bronze, Silber und sogar Gold — sind dort gefunden worden. Ausserdem haben Untersuchungen an Ort und Stelle ergeben, dass es keineswegs nur eine Inkastrasse in dieser Gegend gab, sondern ein ganzes Netz von Strassen, die kreuz und quer durch die Anden zwischen Argentinien und Chile verliefen. Die Leistung der Inka, ein solches Strassensystem zu bauen, ist historisch gesehen beispiellos, wenn man bedenkt, wie unwirtlich und trostlos diese Gegend ist, aber sie wird nahezu unglaublich, wenn man sich klarmacht, dass die Inka erst 1471 mit der Eroberung dieses Gebiets begannen, also nur fünfundsechzig Jahre, bevor Almagro hierher kam.

Tupac Yupanqui, genannt Topa Inka, wurde 1473 als Inka inthronisiert. Vorher, als er noch General des Heeres war, hatte er Botschaften von Stämmen weit im Süden der Tucma — später Tucumän —in Argentinien empfangen, und diese Stämme wurden dem Inkareich eingegliedert. Nachdem er die Stellung des Inka erlangt hatte, beschloss Topa Inka jedoch, wie Garcilaso de la Vega schrieb, «ein grösseres Unternehmen: die Eroberung von Chile». Führer und Kundschafter wurden ausgesandt, die genaue Informationen sammelten und übermittelten. Da Wasser und die Grundnahrungsmittel spärlich waren, rückte das Heer in Staffeln vor: nach einer gewaltsamen Erkundung stiessen drei Heere zu je to 000 Mann in die Provinz Cuquimpü — Coquimbo — vor, wo die eigentliche Grenze zu Chile liegt. Die Stammesstaaten von Atacama, damals Copiapö, unterwarfen sich, denn als sie die grosse Menge von 30000 Mann erblickten, «ergaben sie sich sogleich, worüber sich der Inka freute, der die Tore des Reiches von Chile offen sah». Darauf marschierten die Heere der Inka weiter zum MauleFluss, 33o Kilometer südlich des heutigen Santiago und 35 Breitengrade südlich des Äquators. Nachdem sie dort auf heftigen Widerstand des Stammes der Purumacha stiessen, befahl der Inka Halt, und der MauleFluss wurde zur Südgrenze des Inkareichs. Die Herrschaft der Inka in dem neu eroberten Gebiet wurde alsbald gefestigt, und ein leistungsfähiges Kommunikationssystem wurde eingerichtet.

 


Auf einem Plateau oberhalb von Cuzco bauten die Inka im 15. Jahrhundert die Festung von Sacsahuamän. Ihre dreifachen Mauern standen auf Terrassen übereinander. Sie erreichten eine Höhe von 8o und eine Länge von 500 Meter. Hier ist noch das Fundament des ehemaligen turmartigen Zentralgebäudes der Festung zu sehen.

 


Die Nazca, eines der ältesten Kulturvölker Amerikas, zeichneten sich nicht nur durch eine hochentwickelte Weberei und Keramikkunst aus, sondern auch durch ihre Goldschmiedekunst. Diese Totenmaske ist aus t8karätigem Gold hergestellt und befindet sich heute im Museum in Lima

 


Eine goldene Totenmaske aus der ChimüKultur, die sich heute im Museum «Oro del Peru» in Lima befindet. Die Chimü, deren Reich sich von Paita an der nordperuanischen Küste bis nach Lima erstreckte, waren den Inka, durch die sie um 148o erobert wurden, in der Metallkunst weit überlegen.

 


Goldenes Opfermesser aus der ChimüKultur, das wahrscheinlich nur symbolischen Zwecken diente. Das mit Türkisen besetzte Zeremonialmesser stellt einen unbekannten Menschen oder Gott dar. Unten: Kostbarer, verzierter goldener Brustschmuck aus der ChavfnKultur.

 

 

 

 

 

Die Atacamawüste fordert ihren Tribut

Um in die Provinz Chile einzumarschieren, mussten Almagro und seine Männer die Anden überschreiten, wozu sie einen Pass benutzten, den sie San Francisco nannten. Die Berge, die sie bei ihrem Aufstieg vor sich sahen, waren zuerst kahl, oberhalb von 4000 Metern jedoch mit Schnee bedeckt. Der hundertzwanzig Kilometer lange Pass zog sich an der Schneegrenze hin, und Hunger und Kälte machten dem erschöpften Heer ständig zu schaffen. Almagro, der erkannte, wie verletzlich seine Truppen in dem beängstigend engen Pass waren, befürchtete einen Hinterhalt, aber eines solchen bedurfte es bei der so feindseligen Natur gar nicht.

In den fünfzig Jahren vor der Ankunft von Diego de Almagro hatten die Inka ein Strassennetz mit den üblichen leistungsfähigen Kommunikationsmitteln — Strassen, Brücken, ChasquiSystemen und Tampu — eingerichtet und beherrschten es politisch so vollkommen, dass seine Struktur die Bürgerkriege zwischen Atahualpa und Huascar ebenso wie den Schock, der durch die Ankunft der «Bärtigen» ausgelöst wurde, überstand. Jetzt, im Jahre 1536, traten diese selbst auf den Schauplatz.

Hunger, Schnee und Kälte waren die beständige, misstönige Begleitmusik. Die indianischen Träger hatten leichte Sandalen oder waren barfuss und trugen nur einen wollenen Poncho. Die Spanier waren nicht allzu schwer gekleidet unter ihrem stählernen Panzer, obwohl der König von Spanien Almagro einen Pelzmantel geschickt hatte. Die Pferde waren den eisigen Winden, den Frostnächten und der graslosen Erde schutzlos ausgesetzt.

In dieser Höhe leidet der Mensch an soroche; der Sauerstoffmangel ruft schweres Kopfweh und Schwindel hervor, jene Symptome, die Jose de Acosta so beschreibt: «Die Luft ist so dünn und durchdringend, dass sie einem in die Gedärme schneidet.» Das blendende Licht der vom Schnee reflektierten Sonne verursachte Schneeblindheit — die Indiane_ nannten sie surumpi, wenn als Nebenwirkung auf der Innenseite des Augenlids scharfe Knötchen entstanden, so dass man das Auge nur unter Schmerzen schliessen konnte. Unter diesen widrigen Umständen wurde der Pass überschritten. Die Indianer, die «Dienststücke», starben tausendweise, die Pferde, was den Spaniern als ein noch schmerzlicherer Verlust erschien, zu Hunderten. Diese riesigen Verluste waren nicht einfach eine Übertreibung der Spanier, denn als Juan de Herrada ein paar Monate später Almagros Spuren folgte, waren die toten Indianer so zahlreich, dass ihre gefrorenen Leichname wie sonst die Quadersteine aufgeschichtet waren, um einen Schutz gegen Wind und Schnee zu bieten. Was die toten Pferde anging, so lieferten sie tiefgefroren die Nahrung für die Schar der Kämpfer auf ihrem Weg zu den grünen Weiden von Chile. Der Fall von Jerönimo de Castilla ist typisch. Sein Körper war durch den Frost so steif, dass er eines Abends mit den Schuhen auch seine Zehen ablegte und ihren Verlust erst am anderen Morgen bemerkte.

Diego de Almagro war sich klar darüber, dass sie Hilfe brauchten, suchte die zwanzig besten Pferde aus und brach, vom Inka Paullu begleitet, zur Küste auf, die ungefähr hundertfünfzig Kilometer entfernt war.

Niemand hat darüber berichtet, wie die an der Küste wohnenden Diaguita reagierten, als plötzlich aus der Wüste zwanzig Reiter auftauchten. Die Stammesleute, die am Rand des Gebiets lebten, das an den CopiapöFluss grenzt, waren vielleicht zu verblüfft, um überhaupt zu reagieren, und die Spanier zu hungrig, um Befürchtungen zu hegen. Sollte es Zwischenfälle gegeben haben, so mussten sie durch die vermittelnden Worte von Inka Paullu bereinigt worden sein.

Hilfe tat not, und das Wort des Inka war Gesetz, so wurde sie freiwillig geleistet. Eine lange Reihe von Indianern mit Lebensmitteln und Wasser folgte dem Trupp hinauf zum Pass San Francisco.

Almagro überschaute rasch seine strategische Lage. Copiap6, das Zentrum der an der Küste wohnenden Diaguita, lag 8o Kilometer vom Meer entfernt zu beiden Seiten eines Flusses. Dort wurde intensive Landwirtschaft betrieben — Mais, Bohnen, Spanischer Pfeffer, Kürbis, Jucca und Kartoffeln. Im Süden und Norden war dagegen die Atacamawüste, die trockenste der Welt, wo nie Regen fällt.

Der Stamm, der über die Pässe der hohen Anden hierhergekommen wa, war ein Ableger der kulturell weiter entwickelten Diaguita, die im jetzigen oberen andinen Argentinien lebten und berühmt waren als Töpfer und Kunsthandwerker, die massive Kupfer und Bronzegegenstände herstellten.

Da es nie regnete, waren die Häuser aus luftgetrockneten Lehmziegeln — Adobe — erbaut oder, entlang des Flusses, aus Schilf, das mit llanacallpa — «klebender Erde» — verputzt war. Ihre materiellen Güter waren in den Augen der an Berge von Inkagold und silber gewöhnten Spanier nichts wert: die Töpferware waren Gebrauchsgegenstände, der Fischfang ergänzte die Stärkekost; sie hatten kupferne Waffen wie Hellebarden und Speere mit Metallspitzen, jedoch weder Gold noch Silber. Jeder Indianer besass vier bis acht Lamas, die Häuptlinge zwölf bis zwanzig. Die Kost war einfach und eintönig, frischer Mais wurde geröstet oder gekocht; man konnte ihn auch trocknen und mahlen und dann mit Wasser zu einem Teig verarbeiten, der in Asche gebacken wurde. Schmorgerichte aus getrocknetem Fleisch oder Fisch wurden mit Bohnen oder Korn gestreckt und mit sehr scharfem Pfeffer gewürzt. Salz, das aus dem Meer gewonnen wurde, war eine Handelsware. Zweimal am Tag, am Vormittag und bei Einbruch der Dunkelheit, wurden Mahlzeiten eingenommen. Das war auch bei den Spaniern der Brauch gewesen, bevor sie sich das Mittagsmahl angewöhnten: almuerzo— Mittagessen — war in Wort und Tat arabisch.

Die Verluste bei der Überquerung der Anden waren entsetzlich: über 5000 Indianer, 170 Pferde und sieben Spanier tot, die letzteren allerdings schon vor dem Übergang über den Pass San Francisco. Aber Almagro wusste, dass drei Schiffe mit Nachschub an der Küste entlangsegelten, drei verschiedene Verstärkungstrupps wurden über Land erwartet, und die Diaguita würden trotz seiner dezimierten Reiterei wenig Widerstand leisten. Er war sich dieser Hoffnungen sosicher, dass er ein Fest anordnete und auf dessen Höhepunkt dreissig Häuptlinge festnehmen liess. Almagro wollte erfahren, welches Schicksal die drei spanischen Kundschafter, die ohne seine Erlaubnis vorausgegangen waren, erlitten hatten. Es gab Mittel, um sich diese Informatione' zu verschaffen. Die Spanier waren, wie zu erwarten war, getötet worden. Auf Grund des Gesetzes der Vergeltung wurden die Häuptlinge nach dem Verhältnis zehn für einen lebendig verbrannt.

Almagro hatte sich seinen Namen gemacht.

Der Marsch nach Süden setzte sich auf der markierten Strasse fort, einem Weg, der auf der Standardbreite von siebeneinhalb Meter von Steinen und Vegetation gesäubert war. Das Wasser wurde getragen. Zunächst marschierten sie wegen der intensiven Hitze und der grellen Sonne, die sich in dem mit Salpeter bedeckten Kieselsand spiegelte, bei Nacht, aber dann stellten sie fest, dass die kleinen Rinnsale, die vom Gebirge herabkamen, nachts ausblieben. Vor ein Rätsel gestellt, suchten sie nach einer Lösung. Diese war, dass die Hitze der Sonne die Gletscher zum Schmelzen brachte, so dass dann die kleinen Bäche zu Tal flossen. Bei Sonnenuntergang hörte dieser Vorgang auf. Wer die Wüsten von Peru im Norden kannte, wusste, dass es keinen Regen an der Wüstenküste gab. Der Himmel war oft überzogen, der Regen hing wie unvergossene Tränen in den Wolken, fiel aber nicht. Warum? Sie hatten nicht etwa ein abstraktes Interesse an dieser Frage, denn die Antwort war eine Sache auf Leben oder Tod, wie es auch die Kunst ihres Führers war, voraussagen zu können, wann und wo Wasser gefunden werden konnte.

Ausserdem waren die drei von Lima ausgelaufenen Schiffe mit dem lebensnotwendigen Nachschub wegen Gegenwind weit im Verzug. Überall an der 4200 Kilometer langen Wüstenküste wehte der Wind heftig nordwärts. Je nach seiner Stärke behinderte oder begünstigte er die Schiffahrt.

Der Konquistador wusste, dass das Meer sehr kalt und dass die Nordströmung sehr stark war und zwischen drei und sechs Knoten in der Stunde variierte. Verursachte die Strömung den Wind? Jose de Acosta, der gelehrte Jesuit, der 1590 an diesen Küsten reiste und so grosse Schwierigkeiten mit dem soroche hatte, bezeichnete den Wind  als «störend und ungesund. Der Himmel war bewölkt, aber es regnet nie . . . ein Naturwunder, dass es nie an der Küste regnet und immer windig ist.»

Auch ohne eine definitive Antwort auf die Frage nach den Ursachen w Almagro als guter Anführer doch in der Lage, seine Männer durch eine furchtbare Hitze am Mittag zu führen und sie während der scharfen Kälte der Nacht ruhen zu lassen, denn in der Wüste setzt die Abkühlung ein, sobald die Sonne untergeht. Als sie hundertfünfzig Kilometer zurückgelegt und das Gebiet der Picunche, des «Nordvolks», erreicht hatten, kamen sie nach Coquimbo. Dort erwartete sie die willkommene Nachricht, dass die Santiago, eines der drei Versorgungsschiffe, eingetroffen war.

Schinken, Salzfleisch, Brot, Zwiebeln, Knoblauch, Zucker und Wein, Pferde, Schweine und Rinder, Hufeisen, Sättel, Kleider, neue stählerne Hellebarden von jener Art, deren blattartige, rasiermesserscharfe Schneiden sich verheerend auf das menschliche Fleisch auswirken — das alles machte ihnen grosse Freude — sowohl gastronomisch wie militärisch.

Coquimbo, das vom ChoapaFluss bewässert wird, hat eine Bucht und einen natürlichen Hafen, fruchtbare Täler und, wenn Almagro danach gesucht hätte — was er nicht tat —, eines der grössten Kupfervorkommen in der südlichen Hemisphäre. Goldene Städte, «ein neues Peru», waren sein Ziel.

Hier hörte Almagro von Gonzalo Calvo. Wer war Gonzalo Calvo? Wie war es möglich, dass ein Spanier allein den ganzen 3400 Kilometer langen Weg herunter von Peru durch eine der trostlosesten Wüsten der Welt und durch Völker zurückgelegt hatte, die verständlicherweise den Spaniern höchst feindselig gesonnen waren, und der dann dort nicht etwa eine einsame Zuflucht, sondern eine Stellung von erheblichem Einfluss bei den Piunche gefunden hatte? Er übernahm die indianische Kleidung, lernte die Sprache, ohne die eigene zu vergessen, hatte Frauen, ein Haus und eine angesehene Stellung. Aber sein langes Haar konnte seine Entstellungen nicht verbergen: beide Ohren waren ihm abgeschnitten worden. Er war, so berichtete er Pater Cristöbal de Molina, auf Befehl von Francisco Pizarro wegen irgendeines Verbrechens verstümmelt worden, und da er diese Entstellung nicht ertragen konnte, floh er nach Chile — auf welche Weise, weiss man nicht.

Der Stamm, mit dem Gonzalo Calvo sein Los teilte, wohnte in dem fruchtbaren AconcaguaTal, das von einem Fluss desselben Namens bewässert wird, der dem Schnee der schmelzenden Gletscher auf dem Gipfel des Aconcagua, des höchsten Berges der westlichen Hemisphäre — 69 5 8 Meter — entspringt. Unterhalb von ihm war ein weiterer Pass — der Uspallata —, den die Inka benutzten und über den eine Inkastrasse mit Tampu gebaut worden war. Obwohl das Tal grossen Reichtum bot, fruchtbare Seitentäler mit subtropischer Temperatur und reiche Mineralquellen — Eisen, Kupfer, Blei, Silber, Gold, Mangan —, konnte doch keiner dieser Bodenschätze in eine unmittelbar verwertbare Beute verwandelt werden.

Das Heer, das nun auf über siebenhundert Mann angewachsen war — denn es waren von Ruy Diaz Verstärkungen herangebracht worden, zu denen auch Almagros fünfzehnjähriger Sohn Diego gehörte —, kam in guter Ordnung weiter nach Süden vorwärts und traf zunächst auf keine Schwierigkeiten.

Dann wurden sie plötzlich angegriffen. Almagro hatte auf eiserne Disziplin geachtet und gestattete seinen Leuten keine Provokationen oder Plünderungen. Gonzalo Calvo und sein Stamm waren ihnen freundlich gesonnen, wieso also der Angriff? Dann bemerkte Almagro, dass der Dolmetscher Felipillo fehlte. Nach intensiver Suche fand man ihn bei einer Anzahl von YanaKona, indianischen Trägern, die die Absicht hatten, sich aus dem Staub zu machen.

Felipillos richtiger Geburtsname ist zwar nicht überliefert, aber seine persönliche Geschichte ist wohlbekannt. Als Francisco Pizarro 5 27 mit seiner kleinen Streitmacht in Tumbes, der grossen nördlichsten Küstenstadt der Inka, seinen ersten Kontakt mit Peru hatte, beschloss er, zwei von seiner Truppe, Alonso de Molina und den Negersklaven Gins zurückzulassen. Sie sollten die Sprache und die Gebräuche des Landes kennenlernen, bis Pizarro zurückkehrte. Umgekehrt nahm Pizarro zwei junge Männer des Stammes der Tumbe mit nach Spanien, von denen einer Felipillo genannt wurde. Pizarros Ankunft in Spanien mit viel Gold, schönen Webereien aus Vicuriafaser, silbernen Bechern, drei Lamas und zwei Indianern, begleitet von schönen Reden über die Entdeckung des Goldenen Reiches erregte natürlich grosse Neugier beim Publikum. So wurde Felipillo mit den Lamas, den gefiederten Mänteln und den goldenen Schätzen vorgeführt, um den König zu beeindrucken, von dem Pizarro aie Zustimmung zur Kapitulationsurkunde erwartete und auch erhielt. Felipillo schlüpfte aus seinem indianischen Poncho, liess sich das Haar schneiden, kaufte Pluderhosen und Wildlederschuhe, ein Wams mit Schlitzärmeln, einen leinenen Halskragen und einen kleinen zuckerhutförmigen Hut. In vier Jahren lernte er, Spanisch zu lesen und zu schreiben.

Als Francisco Pizarro 1532, Seele und Körper gewappnet für die Eroberung, nach Tumbes zurückkehrte, war Felipillo Dolmetscher. Der Niedergang seines Heimatlandes deutete auf Veränderungen hin, und er erfuhr, dass es während seiner Abwesenheit, also zwischen 1527 und 1532, einen Bürgerkrieg zwischen Atahualpa und Huascar, den Konkurrenten um die Herrschaft, gegeben habe und dass Atahualpa viele seiner Stammesgenossen, der Tumbe, darunter zweifellos auch Leute von seinem Ayllu, getötet habe. Die Tumbe waren ja erst kürzlich von den Inka — 1465 — unterworfen worden, und das Ketschua, das sie sprachen, war ihrer eigenen YungaSprache aufgepfropft.

Als sie weiter bergan marschierten, merkte Felipillo, dass er nicht mehr im gewohnten Element war. Er kannte das Hochland nicht, sein Ketschua war mangelhaft, und die fünfjährige Abwesenheit hatte seinem Wortschatz nicht gut getan. Felipillo war damals der einzige spanische Dolmetscher. Wegen Atahualpas Behandlung seines Volkes, der Tumbe, war er diesem unversöhnlich feindselig gesonnen und gab Atahualpas Entgegnungen auf die Anklagen der Spanier eine abweichende Nuance. Er nutzte den Vorteil seiner Stellung aus und versuchte, sich einer der Frauen von Atahualpa zu nähern, eine Dreistigkeit, über die der gefangengesetzte Grossinka in furchtbare Wut geriet. Nach dem peruanischen Gesetz der Inka hätte ein solches Verbrechen nicht allein durch den Tod des übeltäters, sondern nur durch den seiner ganzen Familie und Verwandtschaft gesühnt werden können.

Aber es war der Grossinka Atahualpa, der erwürgt wurde. Jetzt, in den Wintermonaten des Jahres 1536, war die Reihe an Felipillo. Er war mit Almagro auf die Reise gesandt worden, da weder der Inka Paullu noch die anderen Spanisch verstanden. Die Stämme an der Küste, die nicht Ketschua sprachen, mussten sich an einen wencnn, der sowohl ihre Sprache als auch die der Inka verstand. Seine Worte wurden dann zum Abschluss der dreifachen Kaskade in Spanisch an Almagro weitergegeben.

Eine Drehung an der Daumenschraube brachte alles heraus, was Almagro wissen wollte. Nach einer kurzen Verhandlung wurde Felipillo kurzerhand aufgehängt und begraben.

Nach dieser Unterbrechung durch Verrat und Tod teilte Almagro sein Heer in drei Gruppen. Die eine unter Gomez de Alvarado stiess im Juli 1536 südwärts durch ein dicht bewaldetes und schwach besiedeltes Gebiet fast ohne auf Widerstand zu treffen vor, bis sie den Maul&Fluss erreichte, wo eine wenig genaue Ablesung des Astrolabiums ergab, dass sie bei 3S Grad südlicher Breite waren.

Hier gab es eine Garnison der Inka. Als die Spanier noch weiter vorrücken wollten, stiessen sie auf die kämpferischen Araukaner. Der Widerstand der Araukaner, das Wetter — es regnete und war kalt — und der Mangel an geeigneter Beute veranlassten Alvarado, endgültig haltzumachen. «Obwohl», wie Pater Cristöbal de Molina schrieb, «deutliche Anzeichen für Bodenschätze vorhanden waren, blieb er nicht. Da das Land nicht von Gold strotzte, war es für ihn wertlos.»

Almagro selbst hatte inzwischen seine Gruppe durch das fruchtbare Land von Aconcagua geführt. Die Spanier durchkämmten das Land wie ein Zug von Wanderameisen, fanden aber keine eindrucksvollen Gebäude und keine Anzeichen für Reichtum, obgleich es Minzn gab, in denen gearbeitet wurde, wie der Geschichtsschreiber Oviedo sagte, «ebenso wie wenn die Spanier beteiligt gewesen wären, aber der beste Goldwaschtrog erbrachte kümmerliche zwölf Goldkörner».

Die Enttäuschung war vollkommen. Das Chile der Phantasie war zum Chile der Tatsachen geworden. Almagro hatte ein zweites Peru gesucht, und doch gab es nur eines. Er erkannte nun, dass das Gold, das sie unterwegs in Charcas in Bolivien erhalten hatten, so eindrucksvoll und gleissend es war, nur ein Köder war, um ihn und seine Männer nach Chile und in die Vernichtung zu verleiten. Zuerst glaubte Diego de Almagro, dass diese Täuschung von Francisco Pizarro bewusst angestiftet worden wäre. Der Verdacht war richtig, aber die verdächtigte Person nicht: es war Manco Capac gewesen.

Seine Männer, die ihm, ohne zu klagen, gefolgt waren, verlangten wütend, nach Peru zurückgeführt zu werden, nach Cuzco, von dem sie, ebenso wie Almagro, glaubten, dass es zu seiner Provinz gehörte. «Denn wenn Ihr hier bleibt und sterbt», ermahnten sie Almagro, «dann werdet Ihr Eurem Sohn nichts hinterlassen können als den Namen Don Diego.»

Übersinnliche Wahrnehmung oder auch nur die Fähigkeit des Vorherwissens ist menschlichen Wesen nicht oft verliehen und ganz sicher nicht so diesseitigen Typen wie Diego de Almagro. Denn wenn Peru für ihn nicht eine so überwältigend fixe Idee gewesen wäre, so wären ihm Potosi, die grösste Silbermine der Welt, die Zinnminen von Bolivien, die einzigen in der Neuen Welt, die Kupferadern von Chile, die grösste Reserve des Kontinents, die Salpeterfelder von Atacama und einige der gesündesten Gegenden auf dem amerikanischen Kontinent zugefallen; ausserdem hätte ihm das sein Leben, das seines Sohnes und vieler Anhänger gerettet, aber statt dessen . . .

Statt dessen fiel das Land fünf Jahre später — wenigstens der chilenische Teil — in Pedro de Valdivias Hände. Er wurde, wie man annimmt, 1502 sehr wahrscheinlich im Distrikt La Serena — in der Provinz Estremadura in Südwestspanien — geboren, obwohl vierzehn Dörfer sich um diese Ehre streiten. Sein Vater war ein Hidalgo, seine Mutter jedoch «von sehr edler Herkunft», er nahm also ihren Namen an. In seinen probanzas de servicios — Dienstnachweisen —, die er verfasst hatte, um Belohnungen zu bekommen, behauptete er: «Seit meinem neunzehnten Lebensjahr habe ich in Nacheiferung meiner Vorfahren, die in derselben Waffenlaufbahn beschäftigt waren und es noch sind, als Soldat gedient. Ich diente Seiner Majestät in Italien in der Zeit von Prospero Colonna, war bei der Einnahme von Mailand beteiligt, diente in Flandern und war mit Seiner Majestät in Valencia, als der König von Frankreich dorthin vorrückte. Ich kam 1535 nach den Indien.»

Er kämpfte 1538 in der Schlacht von Las Salinas, wo die meisten «Männer von Chile», wie man sie nun nannte, getötet wurden und Diego de Almagro in Gefangenschaft geriet. Valdivia beglaubigte das Testament von Almagro. Für seine den Pizarros geleisteten Dienste wurde ihm der grosse Besitz La Canela gegeben, der Almagros Lehen gewesen wäre, einschliesslich einer Silbermine in Porco, deren Adern ihn mit siebenunddreissig Jahren zum reichsten Mann nach den Pizarros in Peru machten.

In seinem Briefwechsel mit seinen Freunden bezweifelte er selbst seinen Verstand, als er sich Hernando Pizarros Erlaubnis, nach Chile zu gehen und das Land zu besiedeln, erbat und erhielt. Es gab noch viele Veteranen von Diego de Almagros Zug, deren von eiternden Wunden verstümmelte Leiber handgreiflich von den Gefahren zeugten. Aber er ging trotzdem.

Fünf Jahre später, im Jahre 1545, richtete er einen langen Brief an «Seine Exzellenz Hernando Pizarro», in dem er aus erster Hand über die ganze Reise und die Besiedelung von Chile berichtete. Da er nie Nachrichten aus Peru erhalten hatte, wusste er nicht, dass «Seine Exzellenz» im September 1545 im Gefängnis La Mota in Medina del Campo sass und den Ausdruck des Unwillens seines Königs erwartete — er kam erst 22 Jahre später wieder heraus.

Valdivia berichtete, dass er Pferde und Waffen im Wert von 15 000 Peso beschafft habe und im Januar 1540 auf den Spuren von Almagros Zug aufgebrochen sei, «ausgerüstet nicht so sehr mit notwendigem Material, als vielmehr mit dem Willen, alle Hindernisse zu überwinden».

Er brauchte elf Monate bis Aconcagua, das Almagro das Tal von Chile genannt hatte, und dort bemühte er sich, den Indianern klarzumachen, dass er gekommen sei, um sich in dem Land niederzulassen und es zu kolonisieren, und dass die Indianer den Christen genauso dienen müssten, wie es die Inka und Kaziken in Cuzco taten. Valdivia liess Mais, Weizen und Gemüse anpflanzen, und «am 20. Februar 1541 gründete ich eine Stadt, die ich Santiago nannte». Trotz der Zerschlagung des Inkareiches, des Todes seiner führenden Männer, des Zusammenbruchs seiner Organisation, konnte dennoch Manco Inka, der das neoinkaische Reich in Vilcabamba, hundertfünfzig Kilometer nordöstlich von Machu Picchu in der Montafia, errichtet hatte, Botschaften in das ganze Land, einschliesslich Chile, senden. Er befahl den Indianern, Valdivias Niederlassung in Santiago zu zerstören. Das taten sie. «Und sie führten», schrieb Valdi;la, «Manco Inkas Anordnungen so getreu aus, dass sie sogar unsere Schafe töteten und die Wolle verbrannten.» Santiago wurde dem Erdboden gleichgemacht. Jedoch mit Hilfe der Yanacona — die die Partei der Spanier ergriffen hatten — bauten sie die erst vor kurzem entstandene Siedlung wieder auf.

«Es war etwas Mais übriggeblieben, den wir glücklicherweise fanden, und diesen säten wir aus. Wir retteten zwei kleine Ferkel und ein Schwein, eine Henne und ein Küken, das war alles. Im ersten Jahr konnten wir zwölf Fanega [ein Fanega = 55 Liter] Weizen ernten.»

Dann brach eine Meuterei aus. Infolge einer Überschneidung von Bewilligungen und Vereinbarungen, Kapitulationen und Verträgen, Privilegien und Rechten, hatten die Krone und der Indienrat Pedro Sancho de la Hoz einen ähnlichen Vertrag über die Besiedelung von Chile gegeben. Zwar war der Vertrag nicht genau umschrieben, aber in so mehrdeutigen Worten abgefasst, dass Valdivia, da Pedro de la Hoz sich durch seine Heirat sehr gut mit dem Hof stand, es für unklug hielt, sich ihm zu widersetzen.

Aber damit sind wir der Zeit weit vorausgeeilt. Im Oktober 1536 wusste Almagro natürlich nichts von alldem. Er hatte beschlossen, mit seiner Truppe nach Peru zurückzukehren. Aber wie, auf welchem Weg? Niemand von ihnen hatte den Wunsch, über die eisigen, schwindelerregenden Pässe der Anden zurückzumarschieren, und als Alternative lag die Trostlosigkeit der Atacamawüste vor ihnen. Grob gerechnet waren es 2200 Kilometer zurück nach Arequipa, ihrem ersten Bestimmungsort in Peru.

Über Copiap6 hinaus wusste niemand Genaues darüber, ob und wo es Wasser gab. Almagro bewies wie gewöhnlich seine Fähigkeiten als Führer. Ruy Diaz, der in den folgenden Monaten bald eine ungemütliche Zeit als Gefangener und Geisel von Manco Inka in Vilcabamba verbringen musste, erhielt den Befehl über das Schiff Santiago. Es beförderte Wasser und Lebensmittel und achtzig Passagiere, obwohl es noch nicht einmal fünfzehn Meter lang war. Seine Aufgabe war, mit dem Landheer Schritt zu halten und ausserdem vorauszufahren, um dafür zu sorgen, dass Brunnen in Abständen von einer Tagesreise, also 20 Kilometer, gegraben wurden.

Die Männer wurden zu je sechs in Abständen auf den Weg geschickt. So genügte jedes Wasserloch für die kleine Gruppe, die Pferde und Indianer und füllte sich von selbst wieder, bis die nächste Gruppe eintraf.

So rückten sie vor. Vorbei an der Landspitze der Flamingos, wo in den Salzsümpfen Hunderte von Vögeln nisteten, dann nach Cachinal, wo ein Wasserloch angelegt wurde, über die rötlichen Felszakken von Llano Colorado, dann nach El Pozo, wo ebenfalls ein Wasserloch angelegt wurde.

In Copiapö, dem Tal, in das sie gekommen waren, als sie die Anden überschritten hatten, trafen sie eine weitere Abteilung, die ihnen nachgefolgt war. Juan de Herrada hatte mit seinen achtzig berittenen Männern gerade den Übergang über die Anden hinter sich, wobei sie ebensoviel zu leiden hatten wie Almagro vorher, ausser dass sie den Vorteil hatten, das Fleisch der toten Pferde essen zu können, die von der ersten Abteilung zurückgelassen worden waren.

Juan de Herrada hatte offizielle Dokumente aus Spanien bei sich, aus denen hervorging, dass Almagro zwar in der Statthalterschaft über Chile bestätigt wurde, dass aber der verschlagene Hernando Pizarro den Indienrat dazu überredet hatte, das Gebiet von Francisco Pizarro nach Süden um über 34o Kilometer zu erweitern. Dadurch ergab sich endgültig, dass Cuzco in seinem Herrschaftsbereich lag.

Aber alles war davon überschattet, dass ganz Peru sich im Aufstand befand; unter der Führung des jungen Manco Inka wurde Cuzco belagert. Auf nach Peru! Aber auf welchem Weg — durch die Wüste oder über die Kordillere ? In einem Gebäude, das sie als Kirche erbaut hatten, wurde die Messe gelesen. Es war das erste Mal, dass Cristöbal de Molina die Gelegenheit hatte, sein göttliches Amt zur Geltung zu bringen — er bat um Gottes Beistand und Führung. Durch Handaufheben nach dem Gottesdienst wurde einstimmig der Weg durch die Wüste gewählt.

An einem Ort namens Botija am fünfundzwanzigsten Breitengrad beschlossen sie, sich landeinwärts zu wenden. Das kalte, windgepeitschte Meer mit donnerndem Wellenschlag war belebt von vielen Vögeln und hallte Tag und Nacht wider vom Gebell der Seelöwen, die hier lebten. Die Indianer der Küste jagten sie wegen ihres Felles und nähten aus diesen grosse Pontons, die sie aufbliesen und in der Art eines Flosses aneinander befestigten, darüber eine leichte Plattform, auf der einer oder meistens zwei Indianer aufs Meer hinausfuhren, um mit der Harpune, dem Netz oder dem Angelhaken zu fischen.

Bei Botija gruppierten sich Almagros Streitkräfte um und bereiteten sich auf den Angriff auf eine andere Naturgegebenheit vor. Der Felsgrat der Anden lag wie eine ununterbrochene Mauer von 600 Meter Höhe vor ihnen. Um ihn an diesem Ort zu erreichen, mussten sie dreihundert Kilometer einer absoluten Ödnis, in der nur ein einziges Wasserloch (Aguas Blancas) zwischen ihnen und der nächsten Wasserquelle in einer höher gelegenen Gegend vorhanden war, durchqueren.

Hier machte Almagro jene Geste, die ihm seine Anhänger verpflichtete. Er rief sie zusammen und zerriss vor ihnen alle ihre Schuldscheine für die Zurverfügungstellung von Ausrüstung. über diese Einzelheiten haben manche Begleiter von Almagro berichtet, wenn nämlich diese Veteranen ihre sogenannten Dienstnachweise an die Krone aufsetzten. Einer von ihnen, Diego de Pantoja, erklärte, «ich kehrte mit Almagro durch die Küstenwüste nach Peru zurück», wobei sie viele Länder und Provinzen zwischen Atacama und Arequipa eroberten und befriedeten und an vielen Wüsteneien vorbeikamen.

Die «Männer von Chile» waren über die Treue von Inka Paullu höchst überrascht. Er litt wie alle anderen, ja noch mehr, denn er war in den Anden geboren und aufgewachsen. Allein schon seine Anwesenheit war ihnen eine unschätzbare Hilfe, denn nun lieferten ihnen die lokalen Stämme alles, was sie an Wasser, Nahrungsmitteln und sonstiger Hilfe brauchten. Auf ihrem schrecklichen Zug durch die Atacamawüste waren es die Männer des Inka Paullu, die die Expedition führten, Brunnen gruben und reinigten, bevor das nächste Kontingent eintraf. Ohne diese Hilfe hätte Almagro niemals diese achtzehn Monate überlebt. Ein Konquistador schrieb 1540, dass Inka Paullu «ihnen, wenn er es gewollt hätte, schweren Schaden hätte zufügen können, denn er kennt sich im Waffenhandwerk gut aus, und sehr viele Männer hörten auf seinen Befehl».

Schliesslich erreichte die Expedition die ungefähr hundert Kilometer lange Salar de Atacama, eine hochgelegene Wüste mit einem grossen Salzsee. Um den See herum lagen in einer Höhe von 2300 Meter kleine, eng gebaute Dörfer von Indianern, die die Spanier ganz allgemein Atacamerio nannten. Sie sprachen eine Kunsa genannte Sprache, die sehr verschieden sowohl vom Aimara von Bolivien wie auch vom Ketschua von Peru war. Sie hatten Lama und Alpakaherden, von denen sie realistische Felszeichnungen hinterlassen haben, und bebauten den Boden, indem sie Ausflüsse der Gletscher hoch droben im Gebirge einfassten, um Wasser zur Bewässerung zu erhalten und dadurch die Anbauflächen zu vergrössern. Sie hatten auch Verbindung zum Meer, an das sie gelangten, wenn sie dem vom LoaFluss geschaffenen Tal — das bei Calamar eine Oase in der Wüste bildete — hinunter nach Cobija folgten, wo die Küstenindianer Flotten von Booten aus aufgeblasenen Seehundsfellen hatten.

Die Atacamerio waren die Mittelsleute der ganzen Region, indem sie Waren aus den Bergen — Kupfer und Bronzewerkzeuge, Alpakawolle, gegerbtes Lamaleder und verschiedene andine Lebensmittel—gegen Fisch, Schalentiere, Seetang, Seehundleder, Walfischbein und anderes aus dem unerschöpflichen Meer einhandelten. Sowohl die Küsten wie auch die Bergbewohner erhielten, was sie brauchten, und die Atacamerio hatten ihren Gewinn an dem Geschäft.

Die Spanier fanden nichts, was sie plündern konnten: wenig Gold, etwas Kupfer, gewöhnliche Töpferware, grosse Mengen kunstvoll geschnitzter Holzgegenstände, aber nichts, was ihre Raffgier hätte erregen können. Die Lebensweise der Atacamerio illustrierte eine Überlebensformel: Wenn man schutzlos ist, ist es am besten, arm zu sein.

Die Atacamerio waren erst vor kurzem — etwa 146o — unter das Joch der Inka gekommen, das nicht schwer auf ihnen lastete. Die Strassen, die sie für die Inka bauten, sind noch zu sehen: drei Meter breit, ungepflastert, mit den üblichen Rastplätzen. Am Nordende des brackigen Sees traf eine durch die hohen bolivianischen Gebirge führende Strasse auf die genau nach Norden durch die Wüste verlaufende Strasse. Auf Anraten von Paullu beschloss Almagro, auf der Wüstenstrasse weiterzumarschieren, weil man ihm gesagt hatte, das sei der schnellste Weg nach Cuzco. Auf dieser Strasse kam das Heer an dem hohen, aktiven Vulkan von Atacama vorbei, machte eine Ruhepause an dem Süsswassersee von Chiuchiu und rückte dann 34o Kilometer weit über die hohe, unbewohnte Ode nach Tarapacä vor. Hundert Kilometer vom Meer und nicht ganz 600 Meter über dem Meeresspiegel liegt das Tal von Tarapacä, wasserarm und extremen Temperaturen unterworfen. Der Boden macht hier einen absolut unfruchtbaren Eindruck, aber dort, wo er bewässert ist und mit Guano — den stickstoffreichen Exkrementen der Meeresvögel — gedüngt wird, gedeiht der Ackerbau. «Dieser Guano», schrieb Pedro de Cieza, «wird auf den vor der Küste liegenden Vogelinseln gesammelt. Die Eingeborenen fahren auf ihren Flössen aus aufgeblasenen Seehundsfellen hinüber und bringen den Guano, der den Boden bedeutend verbessert und den Ertrag vermehrt, auch wenn der Boden vorher kahl und öde war.»

Hundertfünfzig Kilometer eines Geländes von ungefähr derselben Beschaffenheit trennten Almagros Heer von Tacna, und wenn auch in den Briefen der «Männer von Chile» immer wieder die Klage über die Wasserarmut laut wurde, kam doch schliesslich das Gebiet der puquio in Sicht. Puquio waren gewaltige künstliche unterirdische Wasserreservoire — ähnlich den römischen Zisternen. Sie lagen an Wasserläufen, und das Wasser wurde aus den seltenen Regenfällen oder tröpfelnden Rinnsalen gesammelt und zurückgehalten. Tacna war eine Oase, wenige Kilometer vom Meer entfernt, und hatte «eine grosse Bevölkerung von Indios, und über das Gelände waren grosse Gräber für die Toten verstreut», für die sich die «Männer von Chile» in diesem Augenblick freilich nicht interessierten. Da sie jetzt auf einer gutorganisierten Inkastrasse marschierten, die siebeneinhalb Meter breit und oft von Steinmauern gesäumt war, gab es «in diesen Tälern TamboWohnungen und Lagerhäuser wie in anderen Ebenen und Sandwüsten». Die Inkastrasse ging nach Norden zum MoqueguaFluss, und das Heer kam auf allmählich ansteigendem Gelände in Sich_ des hohen Tales der Vulkane. Einer von diesen, der schneebedeckte El Misti, stiess gerade Rauch und Asche aus.

Viele Flüsse mussten überquert werden. Kurz bevor sie Arequipa, ihr so lange verfolgtes Ziel erreichten, verlor Almagro seinen ersten Soldaten: der Tod durch Ertrinken ereilte den siebenundzwanzigjährigen Francisco de Valdes, den Sohn von Gonzalo Fernändez de Oviedo y Valcks, des königlichen Historiographen der Indien.

Oviedo, wie er in Bibliographien meistens genannt wird, erscheint immer wieder in der bunten Geschichte der Königsstrasse. Von edlem Geschlecht, wie der Name vermuten lässt, wurde Oviedo 1478 in Madrid geboren, diente, wie es üblich war, in Spanien und Neapel und ging 1513 nach Amerika, wo er in Panama ein öffentliches Amt bekleidete. Danach kam er nach Santo Domingo, der Insel, die das Nervenzentrum Amerikas war. Hier legten alle Schiffe aus Spanien zuerst an; hier bekamen alle Schiffe auf dem Heimweg nach Spanien die Ausfahrterlaubnis. Oviedo wurde zum königlichen Historiographen bestellt und verbrachte daraufhin vierunddreissig seiner langen 79 Lebensjahre in Amerika. Jeder Soldat, Hauptmann oder Gouverneur wurde von ihm ausgefragt, und so erhielt er aus erster Hand Informationen über alle Entdeckungen. Francisco Pizarro schilderte ihm 1527 auf seinem Heimweg nach Spanien nach dem ersten Kontakt mit Peru seine Eindrücke; Hernando Pizarro schrieb und erzählte ihm sechs Jahre später von der Eroberung Perus. Seine ist der bedeutendste zeitgenössische Bericht über die Öffnung oder den Epilog — je nach dem ethnischen Standpunkt — Amerikas. Weil ihm so viel daran lag, einen Bericht aus erster Hand über die neuen Länder von Chile zu erhalten, empfahl er seinem Sohn Francisco, Almagro zu begleiten.

«Er war», schrieb William Prescott, «zugleich ein Mann der Wissenschaft und ein Weltmann. Seine Wissbegierde war unermüdlich und erstreckte sich auf alle Gebiete. Er war zugleich Amerikas Plinius und Tacitus. Seine Werke sind voll von Charakterbildern, skizziert mit leichter Feder und lebensvoll, seine Reflexionen sind reizvoll und haben mitunter eine philosophische Note. Sie sind belebt von einer Vielzahl persönlicher Anekdoten, die treffende Einsichten in die Charaktere der verschiedenen Parteien vermitteln.» Oviedo ist der hauptsächlichste Historiker der grossen Expedition von Almagro nach Chile, aber als er vom Tod seines Sohnes bei der Flussüberschreitung in der Nähe von Arequipa berichtet, lässt er plötzlich eine persönliche Note einfliessen. «Auf ihrem Weg überschritten sie einen so tiefen und wilden Fluss, dass es ein Wunder war, dass ihn die Männer nicht zum Opfer fielen. Aber hier ertrank der unglückliche Francisco de ValUs.

Er war der Sohn von Kapitän Gonzalo Fernändez de Oviedo y ValUs, des Chronisten dieser Geschichte. Sein Tod bedeutet, dass ich nun inniger mit anderen — den — fühlen und trauern und noch enger an diesen Abenteuern teilnehmen kann.» Kaum hatte er von dem Tod seines Sohnes erfahren, als die Nachricht vom Tod seines fünf Jahre alten Enkels eintraf. «Ich bin zwar ein Mann der Vernunft, aber mein Verlust macht mich wirklich traurig.»

In Arequipa, das im Jahr vorher von Francisco Pizarro gegründet worden war, wurden sie von der Handvoll Spanier willkommen geheissen, die in dieser wundervoll gelegenen Stadt bereits Wurzel geschlagen hatten. Wenig über 2000 Meter hoch, nur 8o Kilometer vom Meer und einem guten Hafen — Mollendo — entfernt, warm am Tag, kühl, ja kalt in der Nacht, war die Stadt von den Inka gut organisiert worden. Grosszügig bebaut und vom Wasser der Gebirgsbäche bewässert, war bis zu Almagros Ankunft das einzige Problem die vulkanische Tätigkeit von El Misti, der sich, dem Fujiyama ähnlich, als vollkommener Kegel bis zu einer Höhe von 5 800 Meter erhob. Sein Gipfel war immer von Schnee bedeckt, auch wenn er Flammen, Rauch und Asche ausspie.

Diego de Almagro wollte nicht ausruhen. Die ganze 5 000 Kilometer lange schreckliche Reise durch die Anden und die Wüste hatte offenbar seinen jetzt über sechzig Jahre alten Körper in keiner Weise physisch beeinträchtigt. Aber die Zeit drängte, so dass Almagro die kürzeste Route nach Cuzco einschlagen musste. Es war auch die gefürchtetste. Von dem Augenblick an, wo die Vorhut von Almagros Heer Arequipa verliess, begann die Inkastrasse anzusteigen.

In gerader Fluglinie ist es über dreihundert Kilometer weit bis zur ersten Station Quiquijahna auf der Königsstrasse, aber eine Strasse, die Berggipfel ersteigt, muss sich anpassen, und Anpassung vermehrt Stunden und Entfernungen einer Reise. Die Strasse verlief nie unterhalb von 4200 Meter Höhe. Hier herrschen Dauerfrost, Schnee, Wind und eine Kälte, die Pelze, Kleider, Felle bis ins Mark der Knochen hinein durchdringt. In Hatuncana, auf halbem Wege ungefähr zehn Reisetage entfernt, gibt es Überreste von Tampu und von Apacheta, jenen Steinhaufen, auf die reisende Indianer einen Sühnestein warfen, der die Last leichter machen oder den Reisenden beschützen sollte. Der ApurimacFluss hat hier seinen Ursprung.

Der «Reiseführer» — Ordenanzas — für die Inkastrassen und Tampu mit einer Liste der Spanier, die sie 1543 als Lehen besassen, nennt die Strasse «die Strasse, die zur Stadt Arequipa führt. Man geht von Quiquijahna — an der Königsstrasse — nach Pomacancha, das an einem See liegt, dann zum Tampu von Yanaoca, dessen Indianer Juan Figueroa gehören, und dann nach Cora, das ihm auch gehört.»

Danach schliesst sich wieder Wüste an, bis die Strasse Hatuncana und schliesslich Arequipa erreicht. Der «Reiseführer» warnt, dass das Land «sehr kalt und sehr arm» ist, es besteht grosser Mangel an Nahrung, und es gibt kein Holz. Das ist die Inkastrasse, die Querstrasse, die Almagro einschlug und ebenso ein paar Jahre später ein anderer scheinbar nicht alternder picaro, nämlich Francisco de Carbajal, der am 22. Januar 1547 an seinen Lehnsherrn Gonzalo Pizarro schrieb: «Ich habe die Absicht, direkt nach Yanaoca, Quiquijahna und Urcos auf dem Weg nach Cuzco aufzubrechen.»

Diego de Almagro verschwand also in die öde von Hatuncana. Und nach einem weiteren Jahr in die Vergessenheit. Am 25. April 1538 starben, wie Cieza de Leön in seiner

 

Auf den Küstenstrassen, der Route des Seetangs

Wenn der Reisende auf der inkaischen Küstenstrasse auf seinem Weg nach Nordwesten Arequipa verlässt, stellt er eine jähe Veränderung der Landschaft fest: lebhaft grüne Felder weichen verbrannter, unbewohnbarer Wüste. Daran erkennt er, dass er nun Contisuyu, die Westprovinz des Inkareiches betritt.

Dieses Gebiet umfasst, sagt ein Chronist, «die Gegenden und Provinzen am südlichen Meer [dem Pazifik] und viele der des Hochlandes». Die Küstenregionen — ungefähr entsprechend der Küste des heutigen Peru — sind Wüste, die ungefähr alle fünfzig Kilometer von fruchtbaren Flusstälern unterbrochen ist. Nur eine kleine Strecke landeinwärts erhebt sich das Land jäh zu den Anden, und der grösste Teil des Hochlandes zwischen der Küste und Cuzco kam unter die Jurisdiktion von Contisuyu, wenn auch die Grenzen dieser Provinz ungewiss sind. Sicher ist jedoch, dass dieses gebirgige Gebiet dünn besiedelt und hauptsächlich von den kriegerischen Stämmen der Sora und Rucana bewohnt war.

Die Lebensweise der andinen Völker war natürlich völlig verschieden von der der Stammesleute an der Küste. Aber seit den frühesten Zeiten trieben die beiden Gruppen Handel miteinander und befriedigten gegenseitig ihre Bedürfnisse. Die Küstenvölker benötigten eine ständige Zulieferung von Lamazuchttieren, denn das Lama hatte sich zwar mit Erfolg an das Klima der Küste gewöhnt, war aber in der Wüste schlecht zu züchten. Alpakawolle, die hauptsächlich für Webereien verwendet wurde, brauchte man für Decken, um die nächtliche Kälte abzuhalten, und da das Alpaka nur in den höchsten Höhen zu Hause ist und sich nicht an das Klima der Küste gewöhnen kann, musste seine Wolle importiert werden. Das gleiche galt für die Vicuihwolle, die besonders hochgeschätzt wurde, und für Kupfer, Gold und Silber, da Metallvorkommen an der Küste selten waren. Im Austausch versorgten die Küstenstämme die Bergstämme mit Mais, Kartoffeln, Jucca, Pfeffer, Erdnüssen, Süsskartoffeln und den Früchten anderer Pflanzen, die nur in einem warmen Klima gediehen. Salz, das auch an der Küste gewonnen wurde, war für die andinen Stämme lebenswichtig, da ihre Kost auf Getreide beruhte, und Getreideesser Salz brauchen. Ausserdem handelten die Küstenvölker mit der potuto — der grossen Schale der Seeschneckenmuschel Spondylus princeps, die, wenn sie mit einem Loch durchbohrt und darauf geblasen wurde, einen starken, eindrucksvollen Klang erzeugte, den die Indianer benutzten, «um die Götter des Himmels herunterzurufen».

Bevor das ganze Gebiet unter die Herrschaft der Inka geriet, kam es gelegentlich zu territorialen Auseinandersetzungen unter den Küsten und Gebirgsvölkern, aber die klimatischen Unterschiede waren für beide zu gross, um das Gebiet des anderen für längere Zeit zu besetzen. Erst mit der Ankunft der Inka versuchte ein Bergvolk, eine vollständige Besetzung der Küste durchzuführen.

Nach Garcilaso de la Vega, der die Information aus mündlich überlieferten Erinnerungen seiner inkaischen Vorfahren bezog, war es der vierte Inka, Mayta Capac, der sich zuerst für den Erwerb der vielen reichen Länder interessierte, die westlich von Cuzco in der Provinz Contisuyu lagen. Da Mayta Capac ungefähr um das Jahr 1300 auf der Höhe seiner Macht stand, würde das den Beginn der Eroberung um etwa anderthalb Jahrhunderte gegenüber der bisherigen Annahme vorverlegen. Garcilaso betont auch, dass der Inka, um das Volk von Contisuyu zu erreichen, gezwungen war, den Oberlauf des ApurimacFlusses auf einer Brücke zu überqueren, «die die erste ihrer Art in der Geschichte der Inka war». Diese Brücke, deren Fundamente noch zu sehen sind, müsste die bei Accha sein und wäre dann fünfzig Jahre vor der Huacachaca erbaut worden, wenn man dieser Chronologie glauben darf.

Die Gebirgsregionen, auf die der Inka zuerst seine Aufmerksamkeit richtete, waren von den Sora und Rucana, kleinen, aber robust gebauten Leuten, bewohnt, die die Unbilden der Witterung in grosser Höhe aushalten und eine Last, die so schwer war wie ihr Körpergewicht, beträchtlich lange tragen konnten. Als sie sich 1400 den Inka ergaben, wurde ihnen die Aufgabe übertragen, die Sänfte des Inka zu tragen. Diese blaugekleideten Sänftenträger behielten ihre Funktion bis weit in die koloniale Zeit hinein.

In der Zeit zwischen 1438 und 1471 wurde die Eroberung von Contisuyu durch die Inka abgeschlossen und das Strassennetz über das ganze Gebiet ausgedehnt. 1463 war der direkte Weg von Cuzco zur Küste offen. Diese Strasse kam nie zu grosser wirtschaftlicher Bedeutung — wie auch das ganze Gebiet; sie war vielmehr von religiöser Wichtigkeit, denn an ihr lag die Stätte von Pacarictambo, dem «UrsprungsTampu». Nach ihrer Mythologie hatten die Inka hier im Anschluss an die Grosse Flut ihren Ursprung. Contisuyu hatte auch einige strategische Bedeutung, da der Inka Pachacutic Hilfe von den Bewohnern dieses Gebiets erhalten hatte, als er Cuzco vor den Chanca rettete. Man weiss nicht sicher, wo das Verwaltungszentrum von Contisuyu lag, wenn auch die Inka nach der Eroberung der Küste im CaiieteTal eine gewaltige Stadt — so gross, dass sie «NeuCuzco» genannt wurde — gründeten, die die Hauptstadt der Provinz gewesen sein kann.

Die ContisuyuStrasse begann in Cuzco und ging zunächst zum ChunchulFluss, den sie auf der Chaquilchaca überquerte — der «Seetangbrücke», die so genannt wurde, weil über sie der Seetang vom Meer in die höher gelegenen Gebiete transportiert wurde, und verlief dann entlang der Nordflanke des Berges Anahuarque. Etwa um das Jahr 1300 erweiterte der fünfte Inka Capac Yupanqui die Strasse über die erste Wasserscheide hinaus, vorbei am Dorf Yuarisque. Dort stieg die Strasse in eine Schlucht hinab, überbrückte den schmalen Cusibambamayu und kam nach Pacarictambo und damit ganz nahe an die ApurimacSchlucht heran. 135o beherrschten die Inka einen genügend grossen Teil der Schlucht, um eine Brücke errichten zu können.

Nachdem sie die Barriere des Apurimac überwunden hatten, stiessen die Inka, wie ein Chronist sagt, «in die ContisuyuProvinz vor, wo es einen Ort namens Pomatambo gibt — auf halbem Weg zwischen Cuzco und dem Meer. Dort schlugen sie eine Reihe von Schlachten mit den kriegerischen Stämmen der Sora und Rucana, aus denen die Inka siegreich hervorgingen.» 145o oder etwas davor waren die Heere der Inka bis zu dem grossen, flachen See von Parinacochas vorgedrungen, der in einer Höhe von 3700 Meter liegt und gleich weit — do Kilometer — von Cuzco wie von der Küste entfernt ist. Der See ist von Ruinen umgeben, von denen Incahuasi, das an den Erfolg der inkaischen Eroberung erinnert, die bedeutendste ist. Um 145o hatten die Inka die Herrschaft über alles Land zwischen Cuzco und Chala, dem an der Küste gelegenen Endpunkt der ContisuyuStrasse, gewonnen, und von hier dehnten sie die Kontrolle über die ganze Wüstenprovinz aus.

Westlich von Arequipa und 30o Kilometer östlich von Chala liegen die Pampas von Vitor, ein trockenes, ödes Gebiet in einer Höhe von i5oo Meter und spärlich bedeckt mit robusten xerophytischen Pflanzen. Der Boden ist hier hart und steinig und bot ein natürliches Bett für die Küstenstrasse der Inka, die sich durch die Gegend zog. Das erste Tampu ausserhalb von Arequipa war das von Vitor, das am oberen SihuasFluss 8o Kilometer von der Küste und zwanzig Kilometer vom nächsten Tampu Sihuas erbaut war. Diese beiden Tampu waren Miguel Cornejo als encomienda zugeteilt worden, der einen Anteil an Atahualpas Lösegeld bekommen und sich nach seiner Ankunft in Peru mit Francisco de Carbajal angefreundet hatte. Trotz des im allgemeinen unwirtlichen Geländes wurde in manchen Gegenden Wein auf den umfangreichen Ablagerungen von vulkanischer Asche angebaut.

Von Sihuas aus verlief die Strasse auf ihrem Weg zum Meer im Tal des Flusses desselben Namens. Zwar ist der Abhang zum Meer hier nur sanft geneigt, aber als Ganzes hat das Gebiet einen überaus unruhigen Charakter. Die nahegelegenen Vulkane, von denen noch manche aktiv waren, haben gewaltige Risse verursacht und die Pampa in tiefe, querverlaufende Täler aufgerissen. Der fruchtbare Boden beschränkt sich auf schmale Streifen entlang der Flüsse, zwischen denen Ausfläufer des zerfurchten Landes in das Meer hineinragen. In jedem Tal wohnte ein von den anderen verschiedener Stamm, der zwar mit seinen Nachbarn durch eine gleichartige Landwirtschaft verbunden, aber von ihnen durch den Raum und oft auch durch Verschiedenheiten der Sprache getrennt war. Die Königsstrasse vereinigte alle diese Täler.

Auf ihrem Weg zum Meer kreuzte die Strasse das Tal des MajesFlusses, der von den Gletschern des Nudo de Coropuna gespeist wird und dessen Oberlauf als Colca bekannt ist. Dort fanden Robert Shippee und sein Fotograf Leutnant Johnson zwischen drei und sechstausend Meter hohen vulkanischen Gipfeln ein «vergessenes Tal von Peru».

Pater Antonio Väsquez de Espinosa, der im frühen siebzehnten Jahrhundert in Peru weit herumreiste und Gefahren trotzte, die andere Spanier möglichst mieden, berichtete, dass das Tal zur Provinz Collaguas — bewohnt von den Colca — gehörte und «dicht besiedelt mit vielen Dörfern war und eine gute Verwaltung hatte». Aber niemand folgte diesem Hinweis, bis 1931 die ShippeeJohnsonExpedition das Tal aus der Luft filmte und feststellte, dass es ausgiebig bebaut war und weite, flache Landstriche, ein Strassennetz und die ausgedehntesten Anbauterrassen in den ganzen Anden hatte. Viele Strassen und Terrassen waren mit unglaublichem technischen Geschick an den Flanken überaus steiler Klippen erbaut worden, und manche Terrassen waren bis zu den Kraterrändern jetzt erloschener Vulkane hinauf vorgeschoben worden.

Philip Ainsworth Means, einer der hervorragendsten Archäologiehistoriker, nahm das zum Anlass, eine gründliche Erforschung der Colca durchzuführen. Er stellte fest, dass sie mit den Sora und Rucana verwandt waren und glaubten, dass sie von den Vulkanen abstammten, die so oft ihre Existenz vernichteten. Aus diesem Glauben heraus war es bei ihnen Brauch, die Köpfe ihrer Kinder so einzubinden, dass sie kegelförmig wie ein Vulkan aussahen. Ihr Gebiet war reich und enthielt Silberminen, Salzablagerungen und viele heisse Quellen. Da der ColcaFluss zu tief lag, um für die Bewässerung angezapft werden zu können, legten sie Rohrleitungen, um das Schmelzwasser von den Gletschern zu sammeln. Sie tauschten ihr Salz über Mittelsmänner in Cuzco gegen Kokablätter und getrocknetes Lamafleisch ein.

Nach dem Eintritt in das MajesTal ging die Königsstrasse nach Camanä, einem der fruchtbarsten Orte an der Küste, weiter. Dort ergiesst sich der Majes in das Meer — nicht ohne Schwierigkeiten, denn eine hohe Brandung behindert seinen Ausfluss, und das umliegende Land ist niedrig und sumpfig. Das Tampu von Camanä war ursprünglich direkt am Meer erbaut worden, aber nach einem Erdbeben im Jahr 1599 wurde es weiter landeinwärts neu errichtet. Camanä ist seit langer Zeit berühmt für seine Süsswassergarnelen, die so gross wie kleine Hummer sind. Die Häuser des Gebiets sind insofern ungewöhnlich, als sie aus Flechtwerk aus Schilfrohr erbaut sind, das ganz mit grauem Lehm verputzt ist.

Das nächste Tampu an der Küste war Uncona, das gleichfalls in einem grünen Flusstal lag. In den Zeiten der Inka waren die dortigen Bewohner für die Erhaltung des Tampu, für die Versorgung der dort stationierten Truppen und für die Beförderung von Menschen über den Fluss, wenn man die Furt nicht benutzen konnte, verantwortlich. Der Name Uncona erinnerte die Spanier an Ocafia, eine Stadt in Toledo, und wurde entsprechend abgeändert.

Wegen der tiefen Schlucht, die sich der OcariaFluss in das Land gegraben hat, näherte sich die Inkastrasse dem Flussübergang in einer langen Reihe von Serpentinen. Die Steinstufen und Stützmauern dieses Strassenabschnitts sind noch zu sehen. Väsquez de Espinosa kam 1617 in diese Gegend und bemerkte, «dass man hier Mais, AjiPfeffer, sapalla [ähnlich dem Kürbis] und calabasa, eine Rebe, die Früchte mit einer harten Rinde hervorbringt, aus denen man Gefässe herstellen kann, anbaut. Man überquert den Fluss auf Flössen aus aufgeblasenen Seehundsfellen. Man jagt auch kleine schwarze Walfische und fischt nach den berühmten Garnelen und Muscheln.»

In ihrem weiteren Verlauf kam die Strasse durch die Quebrada de Venados, die so genannt wurde, weil Wild — venados — in die Schlucht herunterkam,..iim die wilden Früchte, die dort wachsen, zu fressen. Die Strasse ist noch genau zu sehen, gut sechs Meter breit und von niedrigen Steinmauern gesäumt. An manchen Stellen dieses Küstenstreifens steigt die Strasse, indem sie den Konturen der Berge folgt, bis auf 600 Meter über dem Meeresspiegel hinauf, und man überblickt von hier den aufgewühlten Ozean und die moderne panamerikanische Strasse, die sich dicht an die Küstenlinie hält. Die Küste ist an diesem Punkt von zahlreichen Vogelarten belebt — Tölpel, inkaische Seeschwalben, Pelikane, Seeraben und insbesondere guanay, von dessen Name das Wort Guano abgeleitet ist. Diese Vögel sind so zahlreich, dass sie im Flug den Himmel verdunkeln. Da es nie regnet und es infolgedessen keine Vegetation gibt, die als Baumaterial dienen könnte, bauen diese Vögel ihre Nester aus ihren Exkrementen und Federn. Futter gibt es für sie aber in grosser Menge, denn der kalte Humboldtstrom ist reich an Plankton, von dem sich Schwärme von Fischen ernähren, die ihrerseits wieder den Vögeln als Nahrung dienen.

Die meteorologischen Bedingungen sind hier ähnlich denen in der Atacamawüste: ein bedeckter Himmel am Tag steht in offenbarem Widerspruch zu den strahlenden Sonnenuntergängen; immer sieht es nach Regen aus, der aber niemals fällt. «Es ist merkwürdig», kommentiert Pedro de Cieza, «dass trotz des so wolkenverhangenen Himmels an diesen Küsten lediglich ein feiner Nebel fällt; tagelang ist der Himmel von diesen dichten Wolken verhüllt.»

Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur: die Winde, Strömungen des Ozeans, Geographie und Luft, Land und Meerestemperaturen — alle spielen eine Rolle. Aber es ist eine Tatsache, dass die feuchtigkeittragenden Winde, die durch dieses Gebiet wehen, eher dazu neigen, noch mehr Feuchtigkeit aufzunehmen, anstatt sie abzugeben, und das hat einen grossen Teil der Küste in eine wasserlose Wüste verwandelt, aus der die Berge wie tote Knochen emporragen. Pedro de Cieza beschrieb die Gegend als «einen Ort, wo es kein Wasser, keine Bäume, kein Gras noch irgendein geschaffenes Wesen ausser Vögeln gibt, die auf ihren Flügeln hinwandern können, wohin sie wollen».

Diese Beschreibung passt besonders gut auf das Land zwischen UnconaOcaria und Atico — dem nächsten grösseren Haltepunkt —einen Streifen des «reinen Nichts, ausgenommen den schrillen Schrei der Möwen und anderer Meeresvögel und das hysterische Gebell der Seelöwen». An dem Ort, der heute La Punta heisst, wo sich eine kleine Station zum Einsammeln von Guano befindet, musste die Strasse eine Anzahl von Klippen überwinden, deren eine Seite steil zum Meer abfällt; und bei Punta de Puyenca musste sie aus dem Kliff herausgehauen und es mussten Stufen angelegt werden, um sie über die höher gelegenen Stellen hinüberzuführen. So kam sie unter Schwierigkeiten nach Atico, einem Fischerdorf, das Pater Väsquez de Espinosa «der Ohnmacht nahe und fast verdurstet» erreichte.

«Arm an Wasser», ja, für die Spanier vielleicht, aber für die Inka eine der wichtigsten Gegenden der ganzen Küste südlich von Nazca, ein gewaltiger Komplex der grössten und besterhaltenen Tampu an der Küste, von Fischerdörfern und den grössten Lagerzonen Perus, von gut erhaltenen Strassen, Brücken, ChasquiStationen und vor allem mit der direkten Strasse nach Cuzco, auf der die Inka frischen Fisch durch Läuferstaffetten erhielten. Das Gebiet um Chala war der Endpunkt der ContisuyuStrasse.

Chala liegt an einer halbmondförmigen Bucht. Auf den Höhen am Nordende der Bucht ist das Tampu von Chala. Es ist gut erhalten, aus mit Lehm zementiertem Stein erbaut und misst gut hundert Meter in der Länge und sechsunddreissig in der Breite. Es ist in 28 Zimmer aufgeteilt, und rundherum sind Hunderte von flaschenförmigen unterirdischen Lagergewölben.

Bis heute ist nichts über seine Geschichte bekannt. Pater Väsquez erwähnt es nur insofern, als er sagt, es gäbe dort wenig Wasser. Cieza sagt nichts darüber, und die Listen geben an, dass das Gebiet, seine Indianer, Tampu und alles andere unter der Herrschaft keines Geringeren als Juan Löpez de Recalde stand, der als Schatzmeister der Casa de Contrataciön in Sevilla, dem Zentrum aller Macht, aufgeführt wird.


Die ContisuyuStrassen von Pachacamac nach Huanchaco

Es war eine der Aufgaben der VonHagenExpedition und ihrer Archäologen, eine detaillierte Untersuchung der Funktion von zwei InkaTampu an der Küste im grösseren Zusammenhang mit der Erforschung der Inkastrassen durchzuführen.

Aus der Luft und von unten kann man die Strasse gut sehen; sie ist sieben Meter breit, deutlich bezeichnet, hat schön verlegte Steinstufen, wo sie an den Flanken eines Tales hinabsteigt, und ist mit grossen Steinen aufgefüllt, damit sie ganz eben ist. Ein paar hundert Meter nördlich des üblichen Tampu war das gleichfalls übliche Lagergelände — ein umschlossenes Gelände mit Lagerplätzen mit hohen Mauern und Steindächern, einem gewaltigen Trockenhof und auf beiden Seiten des wie üblich einzigen Eingangs zwei Gebäude, die offensichtlich Wachhäuser waren.

Die Fischerdörfer drängten sich dicht an den schmalen Meeresarmen und leicht zugänglichen Buchten. In nordöstlicher Richtung entlang des nur zeitweise wasserführenden ChalaFlusses folgte die Inkastrasse dem steilen Anstieg der Anden. Nach fünfzig Kilometern war eine Höhe von 2000 Meter erreicht und nach hundert Kilometern kam der grosse Parinacochas — Flamingosee —, wo sich grosse von den Inka erbaute Bauwerke befinden, die man heute unter dem Namen Incahuasi kennt. Von dort verlief die Strasse über eine über 4000 Meter hohe Schneeregion. Nach Erreichung des oberen ApurimacFlusses überquerte die ContisuyuStrasse die AcchaBrücke. Man kann sie stellenweise noch sehen, wo sie an Pacarictambo, Tantar und Yuarique vorbeikommt und dann den kleinen, eingedämmten Fluss auf einer steinernen Brücke, der Chaquillchaca — Seetangbrücke — überschreitet. An der ganzen Küste, aber ganz besonders in den kleinen Buchten und Meeresarmen von Chala, wuchs der riesige Kelp Macrocystis zu wundervollen Unterwasserwäldern riesiger Algen. Wenn das Wasser zurückging, sahen die Algen wie flatternde Fahnen aus, wo Seetangstreifen mit ihren bänderähnlichen Zweigen bis zu zwanzig Meter lang wurden. Wie heute noch bei den Chinesen und Japanern war der Seetang auch bei den Andenbewohnern ein wichtiger Bestandteil der im übrigen hauptsächlich stärkehaltigen Kost. Der Kelp wurde herausgezogen, getrocknet, verpackt und auf Lamas oder auch Männerrücken befördert. Fünf Männer konnten in fünf Tagen fünf Tonnen Kelp ernten, der in getrocknetem Zustand nur noch ein Fünftel seines ursprünglichen Gewichtes wiegt.

Nur wenige Kilometer ausserhalb von Chala, auf der nordwestlich verlaufenden Küstenstrasse, macht sich der Einfluss der Berge von Atiquipa bemerkbar. Die Wüste ist hier bis ans Meer hinunter terrassiert — an dieser einzigen Stelle der 4200 Kilometer langen Küstenlinie. Die Zeit hat die gekrümmten Terrassenmauern gnädig behandelt; man könnte sie heute noch mit Erde auffüllen und landwirtschaftlich nutzen.

Bei Atiquipa ragt ein Berg plötzlich bis zu einer Höhe von 1 5 oo Meter auf, und ebenso plötzlich wendet sich die Strasse landeinwärts und empor. Obwohl kein Fluss durch das Tal fliesst, dem die Strasse folgt, ist es doch grün und fruchtbar und hat viele Bäume. Dieses kleine Gebiet ist die einzige Ausnahme von der Regel, dass es nie an der Küste regnet, und der Grund dafür ist, dass das Hochland, wo Regen fällt, sich hier bis ganz an die Küste erstreckt. über die ursprünglichen Bewohner der Gegend weiss man wenig, obwohl ihre Anzahl beträchtlich gewesen sein muss. Die Inka nutzten die günstigen Bedingungen nach Kräften aus und machten Atiquipa zu einem Zentrum der Landwirtschaft.

Von Atiquipa stieg die Strasse nach Cahuamarca — Stadt der Aussicht — dem Verwaltungszentrum des Gebiets hinauf. Das ist eine grosse Siedlung aus soliden, wenn auch anspruchslosen Gebäuden mit Steindächern und liegt in einer Höhe von 1200 Meter. Hinter Atiquipa liegt ein Wüstengebiet, das unter dem Namen Arenal de Tanaca bekannt ist. Hier halten die unaufhörlichen Südostwinde die gewaltigen Sanddünen in ständiger Bewegung. Die moderne panamerikanische Strasse führt durch dieses Gebiet, aber sie kann nur durch den ständigen Einsatz einer Strassenwachtmannschaft für den Verkehr freigehalten werden.

Der inkaische Anteil an Cahuamarca ist erkennbar an den Ruinen eines im spätinkaischen Küstenstil erbauten Sonnentempels, zahlreichen Colca, unterirdischen Zisternen — puquio — und chullpa —Grabtürmen. Cahuamarca diente als Erholungszentrum für Lamas und wurde wahrscheinlich auch zu ihrer Aufzucht benutzt, da sie sich, wie schon erwähnt, in den niedriger gelegenen Wüstengebieten nicht fortpflanzten. Cahuamarcas Höhe und die Nähe zur Küste müssen es zu einem idealen Zuchtgebiet gemacht haben.

Nachdem die Strasse eine Zeitlang weiter durch die Berge gegangen war, stieg sie entlang des Rands der Sanddünen zum Tal des YaucaFlusses hinab, auf dessen beiden Seiten das grosse Tampu von Jaqui lag. Vom Erdboden aus scheinen die Überreste dieses Tampu amorph zu sein, aber die Luftaufnahme enthüllt einen deutlichen Plan von Wohnungen, einen grossen Platz und kreisförmige Verteidigungsmauern. In der Nähe gibt es kochendheisse Quellen, und man kann auf dem Boden verstreute Bruchstücke von Töpferware finden. Aus all dem kann man schliessen, dass Jaqui ein Zentrum für Pilgerfahrten war.

Fünfundzwanzig Kilometer weiter — einen guten Tagesritt entfernt — lag Acari. Die höhergelegte Strasse durch ein Land, das bei Nacht eisig kalt, am Tage aber glühend heiss ist, verläuft so gradlinig, wie das Terrain es erlaubt. Aber stellenweise ist ihr Verlauf durch Sanddünen verborgen, die der vom Arenal de Tanaca herunterwehende Wind auftürmt.

Acari, das auf einem schroffen Felsen über dem Fluss desselben Namens liegt, erreicht man auf einer absteigenden Treppe aus Steinstufen; es erregte das Interesse von Väsquez de Espinosa: «Drei Kilometer vom Meer entfernt gibt es in dem Tal ein Gehölz von Bäumen und viele bemerkenswerte Gebäude des alten Volkes, die bis auf die heutige Zeit [1617] erhalten geblieben sind und auch für immer stehenbleiben werden, weil es nicht regnet.»

Acari war wahrscheinlich ursprünglich eine Siedlung der Nazca, aber nachdem die Inka die Herrschaft über das Gebiet gewonnen hatten — etwas nach 135o —, wurde es als bedeutendes und wohlhabendes Verwaltungszentrum neu gegründet. Wo immer es möglich war, passten die Inka ältere Bauwerke ihren Erfordernissen an und errichteten neue Bauten nur, wo es nötig war. Das in der Gegend verfügbare Baumaterial wurde verwendet: grosse Kiesel aus dem Fluss wurden mit Lehm zusammengefügt; die Dachbalken waren aus Holz, flach und mit Schilf gedeckt. Ein grosser ummauerter, rechtekkiger Platz — fünfzig auf dreissig Meter — wurde angelegt.

An diesem Punkt mündete eine Zubringerstrasse, die zum See Parinacochas führte, in die Hauptstrasse an der Küste. Diese Strasse verlief genau nordöstlich und erreichte in Puquio eine Höhe von 3600 Meter; Hernando Pizarro marschierte 1 5 3 8 auf dem Weg zum Kampf mit Diego de Almagro auf ihr.

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