Relativitätstheorie Buch von Selzer-McKenzie SelMcKenzie
„Relativitätstheorie“
von D.Selzer-McKenzie
mit kompletten Notenbuch der
Oper „Die Relativitätstheorie“
komponiert von D.Selzer-McKenzie
Ein Titelsatz für diese Publikation ist bei der
Deutschen Staatsbibliothek hinterlegt.
Originalausgabe ®Relativitätstheorie
® 2018 by D.Selzer-McKenzie
(Dr.of
Molekularbiology and Genetics)
published by SelMcKenzie Media Publishing
auch als Hörbuch und eBook (ePUB)
ISBN , €uro 9,80
gesamt 752 Seiten
Alle Rechte, insbesondere das Recht der
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irgendeiner Form (durch Fotokopie,Microfilm oder ein anderes Verfahren) ohne
Genehmigung des Authors und Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer
Systeme gespeichert,verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Relativitätstheorie
Erklärungen von D. Selzer-McKenzie
Author D.
Selzer-McKenzie
Raum, Zeit, Materie Die Begriffswelt, in der wir leben
Der Blick schweift über die Reling, dem gekräuselten Spiegel
des Meeres folgend; erst der Horizont hält ihn auf. Aber daß dahinter auch noch
etwas ist, Meer und Himmel, Wasser und Wolken: erfüllter Raum, wissen wir. Zwar
verdeckt uns jede Wolke die Sicht, aber der auf sie gerichtete Blick müßte im
Prinzip hindurch und immer weiter gehen können, bis er an irgend etwas
undurchdringlichem, einem Planeten oder Stern anlangt, davon sind wir
überzeugt. Wirklich? Ist die Welt nirgendwo „mit Brettern vernagelt",
endet abrupt? Könnte ein Lichtstrahl nicht zu uns zurückkehren wie der
Weltumsegler nach einer Umrundung des Globus? Was ist das eigentlich: der Raum?
Wir sehen doch nur Gegenstände im Raum, nie den Raum selber.
Mit diesen müßigen
Gedanken eines Schiffsreisenden sind wir mitten in einem Grundproblem der
Naturbeschreibung gelandet. Es gibt verschiedene Auffassungen vom Raum: eine,
daß er schon immer da ist vor allem anderen und wie ein Behälter die Dinge in
sich aufnimmt; eine weitere, daß erst die Körper in ihrer gegenseitigen
Beziehung den Raum „aufspannen". Ohne Körper auch kein Raum. Die erste
Grundposition wurde in der griechischen Naturphilosophie etwa durch Aristoteles
(384-322 v. Chr.) vertreten und in der Neuzeit dann durch Isaak Newton
(1642-1727); die zweite durch Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und die ihm
nachfolgenden Gedankenschulen. Die Newtonsche Auffassung hat sich in der
mathematischen Beschreibung der Natur durchgesetzt, obgleich die Leibnizsche
die physikalisch einleuchtendere ist. Die Eigenschaften, die wir dem Raum
zuschreiben —unabhängig von Körpern und Beobachtern —, nennen wir in der
mathematischen Formulierung geometrische. Im folgenden werden wir die Raum,
Zeit und Materie verbindende „Geometrie" kennenlernen.
1.1 Ausdehnung und Abstandsmaß
Alle Dinge unserer Erfahrung haben eine Ausdehnung. E -nach
seiner Definition ausdehnungsloser Punkt kann nur n: herungsweise, etwa durch
eine feine Spitze, realisiert werde Es ist ein gedachter Grenzprozeß, der
hinter dem Begr:: „Massenpunkt" der Physik steckt: vom Billardball über
de-Stecknadel- oder Streichholzkopf zum winzigsten, gerat. noch sichtbaren Ende
eines Haares. „Ausdehnung" ist ei: mit dem Raumbegriff verknüpfte
Grunderfahrung. Denno -gibt diese keinen Hinweis darauf, welche der beiden
gesch. derten Raumauffassungen die richtige ist. Wahrscheinlich :-es nicht
sinnvoll, die Komplexität der „Außenwelt" in e Entweder-Oder-Schema zu
pressen.
Ausdehnung scheint
ebenso eine definierende Eigensch.:.-der Materie zu sein wie des Raumes. Das
war jedenfalls Meinung des Philosophen Rene Descartes (1596-1650). R ihn
besteht der Raum durchgehend und bis in immer klei:-werdende Bereiche aus
materiellen Teilchen, die aufeinan,: einwirken, Kräfte übertragen. Diese
Verteilung von Mater partikeln nannte er „Äther". Interessant ist dabei
die an_ nommene kontinuierliche Verteilung der Materie: Es soll ne Lücken im
Äther der Teilchen geben. Die von ih:- . gebildete Kontinuumsstruktur können
wir uns als beliü - dehnbare Gummihaut vorstellen; im Unterschied zu den - nen
Häutchen der Seifenblasen läßt sie sich beliebig aus: anderziehen, ohne je
weniger „glatt" zu werden oder zu reißen. Ebenfalls denkbar wäre die
Vorstellung vom IU—als einer Art feinmaschigen Siebs oder „Netzes", wenn
mit sehr unregelmäßigen Maschen. Die Fäden des Netzes sprächen den Körpern, der
Materie. In den „Zwist-.: räumen" gäbe es nichts, was mit dem Begriff der
Ausdeh:-._ belegt werden sollte. Aber so richtig einsehen können W-17 _ nicht.
Frühere Generationen schrieben der Natur einer. -scheu vor dem Vakuum (horror
vacui) zu. Zwischen _ greifbaren Dingen „muß" noch etwas sein! Und wenn es
- ein dünnes Gas wie die Luft oder die wenigen Atome pr,_
bikzentimeter im Raum zwischen den Sternen und
Sternsy-stemen sind. Im Begriff „Schwarzes Loch", der in Kapitel 11.1
eingeführt werden wird, scheint so etwas wie ein „Loch" im Raum
aufzutauchen. Wir werden aber sehen, daß das nur eine Sprechweise ist. Die
Kontinuumsstruktur des materieer-füllten Raumes bleibt erhalten.
Wesentlicher ist da
schon, daß erfahrbare Ausdehnung durch drei voneinander unabhängige Richtungen
ausgelotet werden kann: Länge, Breite, Höhe. Wir sagen: Der Raum ist
dreidimensional. Um einen Ort im Raum festlegen zu können, brauchen wir also
drei Zahlen, die Orts-Koordinaten genannt werden. Als einfachste Möglichkeit
bietet sich ein Achsen-kreuz aus drei aufeinander paarweise senkrechtstehenden
Achsen an, auf die wir einen Punkt projizieren können. Die sich ergebenden
Abschnitte auf den Achsen sind dann seine kartesischen Koordinaten.
Die Ausdehnung wird
mit Hilfe dieser Koordinaten durch ein Abstandsmaß quantifiziert. Verschiedene
Personen schät-zen eine vorgegebene Strecke als kürzer oder länger ein.
Ent-scheidend ist, daß wir uns auf ein Abstandsmaß für die Aus-dehnung einigen,
etwa auf die Verwendung eines geeichten Kilometerzählers. Schwieriger wird es,
wenn größere Berei-che, die nicht der alltäglichen Meßerfahrung mit Maßband
oder Meßlatte zugänglich sind, in ihrer Ausdehnung bestimmt werden sollen.
Nehmen wir die Entfernung zum Mond, nächsten Stern oder zum Zentrum unserer
Milchstraßen-„Scheibe”. Innerhalb des Planetensystems senden wir einen Radar-
oder Lichtpuls zum fernen Objekt, hoffen, daß er dort reflektiert wird bzw.
denken uns einen Radarreflektor oder einen Spiegel angebracht, wie auf dem Mond
seit den menschlichen Besuchen von 1969 bis 1971 geschehen. Dann wird das
zwischen Abgang und Wiedereintreffen des Signals verstrichene Zeitintervall ä t
gemessen. Unter der Annahme, daß die Geschwindigkeit des Lichtes im Vakuum c
richtungs-unabhängig ist, setzen wir als Entfernung die Hälfte der mit der
(Vakuum-)Lichtgeschwindigkeit multiplizierten Laufzeit, also 1/2 • c • ät , an.
Was heißt es denn
genau, einen Abstand zwischen oder d: Entfernung von zwei (Massen-)Punkten zu
bestimmen? W verlangen, daß das Abstandsmaß Null ist, wenn sich d Punkte
beliebig nahe kommen, und daß es nicht von der Re henfolge der Punkte abhängt,
zwischen denen gemessen wird Schließlich noch, daß die sog. Dreiecksungleichung
für Abstandsmaß gilt. Das bedeutet, daß, wenn Abstände z\\ schen je zwei von
drei Punkten betrachtet werden, die Sumn-von zwei aneinander angrenzenden
Abständen immer gröi;, als der dritte Abstand ist oder höchstens ihm gleich.
Ein A standsmaß, das diese Bedingungen erfüllt, ist der Euklidisc Abstand d.
Für zwei Massenpunkte mit den Koordinatent ferenzen 3,x1, 3,x2, 0,x3 berechnet
er sich (in Analogie zu Satz des Pythagoras in der ebenen Geometrie) aus d2 = x
+ (0x2)2 + (A x3)2. Wenn die Koordinatendifferenzen belie'r klein werden,
nennen wir die Koeffizienten vor ihnen der Abstandsfunktion, also hier 1, 1, 1,
„Komponenten" Euklidischen „Metrik.
Ein starrer Stab
kann als gegenständliche Realisierung Abstandsfunktion, d.h. als ein Instrument
zu ihrer Mes.s. dienen. Starr heißt, daß seine Länge sich in dem Zeitra über
den wir ihn benutzen wollen, nicht verändert. Wie nachzuprüfen ist? Eigentlich
nur durch Vergleich mit andu-möglichen Maßstäben. Wahrscheinlich haben viele
Mensc - schon mit der Idee gespielt, daß sie nichts davon mer1:7 wenn sich alle
Abstände in der Welt im selben Maße verls nern oder vergrößern würden. Um einen
möglichen Ur: der eine Abstandsänderung bewirkt, wie eine Kraft auf e:
unelastischen Körper (etwa zusammengedrückte Knete), 7 . zustellen, muß es eben
festere Körper geben (etwa die T. fläche, auf die sie gedrückt wird). Dies wird
wichtig wer:_ wenn wir uns den Gravitationswellen (Kapitel 11) oder .1
Hubble-Fluß (Kapitel 12) zuwenden.
Die Maßeinheit für
die Abstandsmessung, die Länge --heit, ist eine Konvention, da sich bisher
keine „natürl.. Längeneinheit angeboten hat. Namen für ältere Längene.--ten wie
Fuß, Elle, Zoll zeugen von Versuchen in dieser
tung. Auch der 1799 entstandene Vorschlag, die Längeneinheit
als den vierzigmillionsten Teil des Erdumfanges zu definieren, ist nicht
besonders überzeugend und mißglückt. Das Meter, das daraus hervorging und das
als Prototyp mit x-förmigem Querschnitt in Paris als international
verbindlicher Standard aufbewahrt wird, ist heute über die Wellenlänge einer
Spektrallinie des Kryptonatoms festgelegt (86Kr, Übergang
ein Meter ist dann
das 1 650 763,73-fache dieser
Wellenlänge. Aus der Mikrophysik (quantenhafte
Erscheinungen) gibt es Andeutungen, daß die oben beschriebene
Kontinuumsstruktur des Raumes in dem Sinne verletzt sein könnte, daß eine
„kleinste" Länge existiert. Aus den Naturkonstanten Geschwindigkeit des
Lichtes im Vakuum c, Plancksche Konstante h und Newtonsche
Gravitationskonstante G läßt sich eine Größe von der Dimension einer Länge
bilden, die zu Ehren von Max Planck (1858-1947) Planck-Länge genannt wird:
(2/2--„,?)112. Sie beträgt 1,616 • 10-33cm, ist also unvorstellbar klein.' Im
Vergleich dazu ist die Ausdehnung eines Elektrons von der Größenordnung 10-13cm
riesig. Heute können Längen bis zu 10-17cm direkt, indirekt bis 10-22 cm
gemessen werden. Was unterhalb der Skala einer Planck-Länge passiert, weiß noch
niemand.
1.2 Veränderung und Zeitmaß
Neben der „Ausdehnung" ist „Veränderung" eine
menschliche Grunderfahrung. Ereignet sich Veränderung in der Zeit? Was ist
Zeit? Eine Größe, mit der die Abfolge unserer Lebensstadien geordnet werden
kann: Geburt geht dem Tod voran, ein Herzschlag folgt dem anderen, der Sommer
löst das Frühjahr ab. Als aufeinanderfolgende Ereignisse verbindende Größe
besitzt die Zeit relationalen Charakter. So dachte Leibniz; für Newton dagegen
gibt es sie auch ohne Gesche-
I Die
Potenzschreibweise 10x bedeutet, daß x Nullen vor das Komma gesetzt werden
müssen bei positiven ganzzahligem x und x-1 hinter das Komma bei negativem
ganzzahligen x. 10-2 = 0,01; 102 = 100,0.
hen: als absolute, gleichmäßig vergehende Zeit ohne B auf
irgendeinen Vorgang.
Viele Veränderungen
am Himmel, im Körper von Lebe sen einschließlich des Menschen sind zyklisch.
Daraus wickelte sich wohl das uralte Bild der ewigen Wiederkehr Gleichen. Heute
befassen sich Astronomie, Chrono-Bio. und -Pharmakologie mit ihnen. Aus der über
die Gener:-nen tradierten Lebenserfahrung und der Geschichte mit :-im Dunst des
Vergessens verschwimmenden Frühstar bleibt offen, ob die Zeitfolge von
erfahrbaren Dingen e bestimmten „Beginn" hatte. Aber hier befinden wir uns
reits in unwegsamem Gelände. Was ist mit der „Erschaf tu-der Welt und dem
Ins-Werk-Setzen des Zeitablaufes, ar viele glauben? Auch in den gegenwärtig
akzeptierten NI, _ len der physikalischen Kosmologie gibt es einen
„Beginn" Kosmos vor einer endlichen Zeit (siehe Kapitel 12). Soller. von
„Geburt" des Kosmos sprechen oder mit dem Kircheter Augustinus sogar von
der „Erschaffung der Zeit"? Ist _ ein logischer Widerspruch? Eine
naheliegende Frage ist: es ein Ende nicht nur der menschlichen Geschichte,
sor.J auch der Zeit?
Um Veränderungen
rechnerisch beschreiben zu kör - führen wir einen Zeitparameter ein, der jeden
Wert au: Zahlengeraden annehmen kann. Damit haben wir auch die Zeit eine
Kontinuumsstruktur vorausgesetzt. Sie soll --ruckartig ablaufen, so wie etwa
ein Filmvorführappara: einzelnen Bilder voranrückt, wenn auch so schnell, daß u
Auge von der Unstetigkeit der Bewegung nichts merkt... - fließt" in der
Zeit; gedankenlos sagen wir manchmal: Zeit fließt", was ebensowenig Sinn
gibt wie „der Raum s:-Ob die aus den fundamentalen Konstanten gebildete Pl.:
Zeit (2)1/2 10-44 s
eine physikalische Rolle spielt, is:
bekannt. Die direkte Zeitmessung reicht gegenwärtig
nt.-10-'7 s.
Die Zeitfolge ist
gerichtet (Zeitpfeil): Wir können im, in die Zukunft verändern — nicht in die
Vergangenheit' derslautende Nachrichten wie die durch den BlätterwalC
schenden (Zeit-)Reisen in die Vergangenheit können getrost
vergessen werden, ohne daß wir wissenschaftlich etwas versäumen.
Zur Darstellung des
Zeitparameters können wir jede dauernd wachsende Funktion einer reellen
Variablen wählen. Die
physikalische Erfahrung zeigt jedoch, daß eine Wahl des
Zeit-
parameters besonders wichtig ist, die sog. Inertialzeit: Sie
ist für die Formulierung der Newtonschen Mechanik nötig
(vergleiche Abschnitt 1.4). Um die Inertialzeit definieren
zu können, müssen wir zuerst über die Bewegung kräftefreier Körper nachdenken.
Wir wissen, daß es starre Körper gibt, aus denen ein „Bezugssystem" — also
drei sich in einem Punkt, dem „Ursprung", treffende, aufeinander senkrechtstehende
materielle Achsen — gebildet werden kann. Denken wir an die drei Linien, in
denen sich die Wände in einer Ecke eines Zimmers schneiden. Wenn sich ein
kräftefreier Körper in bezug auf diese Achsen geradlinig bewegt, so nennen wir
das Achsensystem eine Inertialbasis. Als Beispiel nehmen wir eine Glasperle,
der ein Stoß auf der glatten Tischfläche gegeben wird, ohne sie gleichzeitig
ins Rotieren zu bringen: sie bewegt sich geradlinig relativ zu den Wänden,
falls nicht durch Reibung gestört.
Die Inertialzeit ist
nun durch diejenige Zeitskala definiert, für die ein auf eine Inertialbasis
bezogener kräftefreier Massenpunkt auf seiner geradlinigen Bahn in gleichen
Zeiten gleiche Wegstrecken zurücklegt. Wir sprechen von geradlinig-gleich
förmiger Bewegung. Was bedeutet kräftefrei? Es ist nicht einfach, hier einen
Zirkelschluß zu vermeiden. Wir wollen Kräftefreiheit annehmen, wenn
größtmögliche Sorge getragen ist, daß keine erkennbaren Kräfte auf den
Massenpunkt wirken. Unter einem Inertialsystem verstehen wir eine Inertialbasis
zusammen mit der Inertialzeit. Es gibt unendlich viele solcher Inertialsysteme:
Wenn einmal eines gefunden ist, so sind alle gegen dieses
geradlinig-gleichförmig (also mit konstanter Geschwindigkeit) bewegten Systeme
ebenfalls Iner-tialsysteme. Eines ist so gut wie jedes andere. Keines sollte
ausgezeichnet sein.
Strenggenommen kann
es kein aus realen Körpern beste hendes Inertialsystem geben, da diese immer
Kräfte aufeinar der ausüben. Inertialsysteme können aber näherungsweise ft
bestimmte Zwecke realisiert werden. So ist für Experiment im Labor ein mit der
Erde mitrotierendes Bezugssystem j Inertialsystem benutzbar. Für großräumige
Vorgänge wie c Bildung von Zyklonen in der Atmosphäre oder schon für c
Ausmessung von Bohrlöchern und Kohlenschächten gern._ dieses System nicht mehr,
da wegen der Erdrotation und Corioliskräfte wirken (Lotabweichung). Die letzte-
Trägheitskraft ist proportional zur Geschwindigkeit des wegten Körpers. Wir
gehen dann auf ein mit der Sonne f,. verbundenes Bezugssystem über. Schließlich
wird für die F schreibung des Planetensystems ein an benachbarten
Stern-gedanklich festgemachtes Bezugssystem benutzt.
Zeit ist Veränderung
und Dauer: Uhren messen Zeitdr-renzen, Zeit-Dauern, also „Abstände" in der
Zeit. Als Al: der Zeitdauer benutzen wir periodische Veränderungen Himmel oder
in schwingungsfähigen Systemen im Labor. riodische Veränderungen sind solche,
die sich in gleich Zeitabständen wiederholen. Wie zeitliche Periodizität fest_
stellt wird? Durch Vergleich mit anderen, genaueren Uhr: Hier ergibt sich ein
ähnliches Problem wie bei den star-Maßstäben, das nur die Erfahrung
durchbrechen kann. Schriftsteller Bruce Chatwin erzählt vom Aufsatz eines
Sc-lers in Patagonien über nicht zuverlässige Chronometer: Uhr dient dazu,
Verspätungen festzustellen. Auch eine - verbraucht sich, und so wie ein Auto Öl
verliert, verliert Uhr Zeit."
Astronomische
„Uhren", die Zeitintervalle verschied: Länge überdecken, sind etwa die
Rotation der Erde relati. Sonne oder zum Sternhimmel (Sonnen-, Sterntag), der
Um der Erde um die Sonne (Jahr), der Sonnenfleckenzyklus Jahre), die
Umlaufdauer der anderen Planeten (Pluto: 2-Jahre) und Kometen (Halley: 77
Jahre; im Mittel haben Perioden von Kometen aber die Größenordnung von Million
Jahre) und die Präzession der Erdachse um den
melspol (26000 Jahre). Ein Umlauf des Sonnensystems um das
Milchstraßenzentrum beträgt etwa 2 • 108 Jahre. Die Genauigkeit dieser
himmlischen Uhren ist sehr verschieden; die Erdrotation etwa ist periodisch mit
einem relativen Fehler von (1-2) 10-7.
Andererseits können
wir die Schwingungsdauer eines Pendels verwenden, eine moderne Quarzuhr oder
die Präzisions-Atomuhren der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Die
tägliche Ganggenauigkeit optischer Atomuhren beträgt 10-17. In der Tat wird die
Sekunde, die Einheit der Zeit, über die Schwingungen einer Cäsium-Atomuhr
definiert: Die Sekunde ist das 9 192 631 770-fache der Periodendauer der
Schwingung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstruk-turniveaus des
Grundzustandes des Atoms 133Cs entspricht. Zwei Fragen ergeben sich sofort•
Stimmt die „astronomische" Zeit mit der Atomuhr-Zeit überein? Die Antwort
ist negativ; in regelmäßigen Zeitabständen müssen Bruchteile von
„Schaltsekunden" eingefügt werden, um die weniger genaue astronomische
Zeit mit der sehr präzisen Atomuhrzeit in Einklang zu bringen. Die Antwort auf
die zweite Frage, welche Uhren Inertialzeit messen, ist näherungsweise:
Atomuhren, insbesondere Uhren auf der im Schwerefeld der Sonne frei fallenden
Erde, die keinen anderen Kräften ausgesetzt sind.
1.3 Materie und Masse
Ausdehnung und Veränderung sind als Eigenschaften der
„Materie" eingeführt worden. Was ist Materie? Wir haben von Teilchen,
Körpern, Massenpunkten und beiläufig auch schon vom Licht gesprochen.
Charakteristisch für Körper ist, daß sie Widerstand gegenüber Kräften ausüben,
die sie verschieben wollen. Von allein bewegen sich nur die Himmelskörper; auf
der Erde muß alles gezogen, geschleppt, gefahren und gehoben werden. Um dieses
Beharrungsvermögen der Materie zu beschreiben, statten wir sie mit der sog.
trägen Masse rrit aus. In der Newtonschen Mechanik ist das eine vom Ort und der
Zeit unabhängige Größe, eine Konstante.
Eine weitere Eigenschaft von Massen, etwa der Erdmal, es,
andere Massen anzuziehen; das kennen wir nur z_ wenn wertvolle Dinge
herunterfallen und zerbrechen. D genseitige Anziehung von Massen, die im
Alltagslebe:-dann spürbar wird, wenn mindestens eine der Masse:: groß ist,
drücken wir dadurch aus, daß wir den Körper: schwere Masse ms zuordnen. Wie
eine elektrische elektrische Kräfte hervorruft, so ist die schwere Mass. Quelle
der Schwer- oder Gravitationskraft. Wenn ein mit seiner schweren Masse eine
Gravitationskraft auf zweiten ausübt, so leistet dieser mit seiner trägen Mass:
derstand gegen die angreifende Kraft. Wir bestimme:-Masse gewöhnlich mit einer
Waage: Dabei werden schleunigungen verglichen, die zwei (ungefähr) am selbu-auf
den Waagschalen ruhende Massen durch die Schwe :der Erde erhalten. Wir können
die Masse daher nur a Vielfaches einer beliebig ausgewählten Vergleichsmass,
legen. Als Masseneinheit 1 kg ist die Masse des 1889 stellten, in Paris
aufbewahrten Internationalen Kilogr: prototyps definiert, eines Zylinders aus
einer Platin-Ir Legierung. Er sollte dem Gewicht eines Kubikdezi:-Wasser bei
4°C entsprechen, ist jedoch um rund 27mg s. rer geworden.
Nun das
Überraschende: Im Rahmen der Messungen • sen sich die beiden verschieden
definierten Arten von bei allen bisher untersuchten Körpern als proportiona .
als gleich bis auf einen gemeinsamen Zahlenfaktor. D137_ eignete Wahl der
Masseneinheit kann dieser zu Eins gu--werden. Die Messung von m ergibt 1 bis
auf einen gegu--tigen relativen Fehler von 10-12!
Noch eine Bemerkung
zur kontinuierlichen Verteilu:- _ Materie. Diese erlaubt die Einführung von
Begriffen v. Massen-„Dichte" und der momentanen Geschwindigke:7 strömenden
Materials: Jedem Ort wird zu jeder Zeit von Dichte und Geschwindigkeit der
Teilchen zugec - _ Wir sprechen dann von einem Dichte- bzw. Geschwindi::, feld
oder, allgemeiner, von einem Strömungsfeld. Es git—
auch Felder ohne einen Substanz-Aspekt. Bei ihnen wird an
einem Ort zu einer Zeit zwar keine greifbare Masse gefunden, aber an diesem Ort
werden Kräfte auf eingebrachte Körper ausgeübt. Paradebeispiele sind das
magnetische und das elektrische Feld, die auf Eisenspäne bzw. elektrische
Ladungen wirken, wenn sie in den Bereich dieser Felder kommen. Felder haben
eine Energiedichte, die, wie wir in Abschnitt 4.3 sehen werden, der Dichte
einer trägen Masse entspricht. Da träge und schwere Masse gleich sind und
schwere Massen Gravitationskräfte erzeugen, müssen wir solche Felder auch mit
zur „Materie" rechnen. In der quantenmechanischen Beschreibung der Materie
ist die Unterscheidung zwischen Teilchen und Feld ohnehin nur noch als ein
spezieller Zug in der mathematischen Modellbildung, nicht als
„real-existierender" Unterschied möglich (Quantenfeldtheorie).
1.4 Newtonsche Mechanik
Die Newtonsche Mechanik geht zunächst vom Teilchenbegriff
aus, mit dem ein streng lokalisiertes Objekt beschrieben wird. Sie kann aber
genausogut auf Feldverteilungen in ausgedehnten Bereichen angewandt werden wie
etwa in der Strömungsphysik. Die Grundgleichung der Newtonschen Mechanik
besagt: „Die träge Masse eines punktförmigen Teilchens multipliziert mit seiner
Beschleunigung ist gleich der an dem Teilchen angreifenden äußeren Kraft."
Die Beschleunigung ist als zeitliche Veränderung der Geschwindigkeit definiert;
diese wieder als zeitliche Veränderung des momentanen Ortes des Teilchens.
Daraus ergibt sich, daß eine Änderung des Zeitparameters eine Änderung sowohl
der Geschwindigkeit wie der Beschleunigung bewirken kann. Eine einfache
Änderung ist gegeben, wenn wir den Zeitparameter mit einer konstanten Zahl
multiplizieren. Ist sie größer als Eins, so bedeutet dies, daß langsamer
gehende Uhren benutzt werden. Wir können auch eine Konstante zum Zeitparameter
hinzuaddieren. Das heißt dann, daß wir den Zeit-Nullpunkt aller Uhren in
gleicher Weise verschieben. Allgemeinere Änderungen des Zeitparameters würden
die träge Masse gesc.-digkeitsabhängig machen und einen Zusatzterm zur bringen,
der diese um eine Größe proportional zur Gesc: digkeit des Teilchens ändert
(vgl. Mathematischer Ani-Legen wir den Zeitparameter nicht fest, so sind
wed,-träge Masse noch die äußere Kraft eindeutig bestimm: Newtonsche
Grundgleichung gibt so keinen Sinn. Sie bezogen auf eine Inertialbasis — genau
dann gültig, wer-als Zeitparameter die Inertialzeit nehmen. Deswegen wir diese Wahl
treffen. In der Newtonschen Mechar. die Inertialzeit bis auf mögliche
Verschiebungen des Ze.- - punktes festgelegt.
Natürlich kann die
Newtonsche Mechanik auch in B: -systemen formuliert werden, die gegenüber
Inertialsys7. beschleunigt sind. In diesem Fall fügen wir den äußerer. ten die
sog. Trägheitskräfte hinzu, die alle proportion= trägen Masse sind; die
bekannteste ist die Zentrifugalkni -
Das Produkt aus der
trägen Masse und der Geschw keit eines Teilchens stellt einen Massenstrom dar;
es puls genannt. Die Bewegungsgleichung kann mittels _ Größe in der von Newton
ursprünglich gewählten Fon-gestellt werden: Die zeitliche Änderung des Impulse,
Punktmasse ist gleich der angreifenden Kraft.
Eine unser Leben
stark beeinflussende äußere Kraft Schwerkraft, mit der sich zwei Körper
(Massenpunkte Richtung ihrer Verbindungslinie anziehen. Nach Nev.7 sie
umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstand:, schen den Körpern, fällt also
rasch ab. Weiter ist sie p: tional zum Produkt der schweren Massen beider
Körpc-einer eventuellen Geschwindigkeit der Körper hängt si, ab. Für zwei
Massen wie Sonne und Erde folgt mit Kraftgesetz aus der Newtonschen
Grundgleichung, da. Körper in einer Ebene auf Ellipsenbahnen um den g. samen
Massenschwerpunkt laufen; er liegt praktisch 1-trum: bei einem Radius der Sonne
von 696 342 -± 65 450 km von ihrem Mittelpunkt entfernt. Während Jo - Kepler
(1571-1630) dies aus Beobachtungen insbesond -
Marsbahn mühsam errechnete, gab Newton mit seinem
Kraft-gesetz eine tiefere und auf viele andere Körper am Himmel und auf der
Erde anwendbare Begründung.
Neben der
Gravitationskraft wird der Begriff des Gravita-tions-Potentials oder der
potentiellen Energie eines Teilchens im Schwerefeld eingeführt. Ein Vorrat an
potentieller Energie wie etwa im Wasser eines Stausees ist gleichbedeutend mit
der Fähigkeit, Arbeit zu verrichten. Von Flächen konstanten
Gra-vitationspotentials aus kann demnach durch die Schwerkraft dieselbe Arbeit
geleistet werden. Die gedachte, mittlere Ober-fläche der Erde, das Geoid, ist
eine solche sog. „Äquipoten-tialfläche". Die Schwerkraft ist nun als
räumliche Änderung, als der Gradient des Gravitationspotentials senkrecht zu
den Äquipotentialflächen gerichtet. Das kennen wir von den Fall-linien im
Gelände, den Kurven steilsten Anstieges quer zu den Höhenlinien. Da die
Schwerkraft an jedem Ort wirkt, sprechen wir von einem Schwerkraft- oder kurz
vom Schwere-feld.
Der Potentialbegriff
erleichtert den Übergang zur Feldbe-schreibung, weil mit seiner Hilfe die
Beiträge der felderzeu-genden Masse und der Masse, an der das Gravitationsfeld
an-greift, getrennt werden können. Wegen m, = m, hebt sich in der Newtonschen
Bewegungsgleichung mit der Gravitations-kraft die Masse eines sich im
Schwerefeld bewegenden Kör-pers heraus: Die Bahn einer im Schwerefeld der Erde
frei fal-lenden Masse hängt nicht mehr vom Wert ihrer trägen Masse ab. Nur die
Masse der Feldquelle (Erde) ist wirksam. Dieser Sachverhalt wird
Äquivalenzprinzip genannt. Er bildet den Hintergrund der Kinderfrage: „Was
fällt schneller, ein Kilo-gramm Federn oder ein Kilogramm Bleikugeln?"1 In
der Elek-trodynamik ist das anders; die Bewegung wird hier durch den Quotienten
von Ladung e und träger Masse elm, bestimmt. Auch Trägheitskräfte haben ein
Potential, das Trägheitspoten-tial genannt wird.
1 Unfair dabei ist,
daß die Reibungskräfte in der Luft unterschlagen werden.
21
Der Potentialbegriff
spielt aber auch eine Rolle in den tigen Erhaltungssätzen für Energie und
Impuls. Die G= energie eines Systems von miteinander wechselwirk: Massen ist
unter genau bestimmten Umständen zeitlich. stant, ebenso ihr Gesamtimpuls
(Summe der Einzel-Im: Die mechanische Gesamtenergie setzt sich aus der Summ:
Bewegungsenergie und potentieller Energie zusammen den Mathematischen Anhang).
Beim Schwingen eines P=-verwandelt sich fortlaufend potentielle Energie
(maxirr.: höchsten Punkt bei der Bewegungsumkehr) in kinetische gie (maximal,
wenn das Pendel den tiefsten Punkt durch und umgekehrt. Wir kennen die
Auswirkung von Energie-Impuls-Erhaltungssatz beim elastischen Stoß von einem -
zeug, in dem eine Anzahl von sich berührenden Stahlk _ . an Pendelfäden in
einer Reihe aufgehängt sind. Lassen v. erste Kugel mit einer bestimmten
Geschwindigkeit auf deren auftreffen, so schnellt die letzte mit derselben
Gesc: digkeit davon.
2. Die Relativität der Bewegung
Gibt es denn keinen Angelpunkt der Welt?
2.1 Relativitätsprinzip der Mechanik
Wer häufig mit dem Zug fährt, hat das Phänomen schon
beobachtet: Halt in einer Station; auf dem gegenüberliegenden Gleis steht ein
zweiter Zug. Der Aufenthalt scheint zu Ende, wir setzen uns langsam in
Bewegung, jedenfalls relativ zu dem anderen ICE. Doch irgend etwas stimmt
nicht. Wir schauen auf eine Telefonzelle auf dem Bahnsteig: Relativ zu ihr
bewegen wir uns nicht. Also kann die Relativbewegung gegenüber dem anderen Zug
nur bedeuten, daß dieser zuerst losgefahren ist. In der Tat, bald sehen wir
seinen letzten Wagen und einen Triebkopf. Ohne die Telefonzelle als einem
festen Bezugspunkt, wäre eine Unterscheidung zwischen dem Bewegungszustand der
beiden Züge schwieriger geworden. Denn solange wir nicht merklich beschleunigt
werden, haben wir kein Sinnesorgan, um Relativbewegungen festzustellen.
Dieses einfache
Erlebnis bringt uns mitten in ein Problem, mit dem sich Physiker und
Philosophen ziemliche lange beschäftigt haben. Bewegung bedeutet immer Bewegung
relativ zu einer Markierung, zu anderen Körpern. In der Beschreibung der
Bewegung durch die Mechanik Newtons kommen diese Bezugskörper jedoch nicht vor;
sie werden nicht gebraucht. Bewegung bedeutet hier Bewegung gegenüber dem als
„absolut" gesetzten Raum. Nach dieser Auffassung scheint es, als ob die
Punkte des Raumes schon selbst Markierungen wären. Zwar können diese Punkte
durch mathematische Etiketten, also die drei Raumkoordinaten unterschieden
werden. Aber diese stehen — um bei unserem Beispiel zu bleiben — weder an Zügen
noch an Bahnsteigen angeschrieben. Sie können willkürlich geändert werden, je
nach unseren Bedürfnissen: der Nullpunkt des Systems und die Richtungen der
Raumachsen, längs derer die Koordinaten abgetragen werden.
23
Das ist einleuchtend,
aber das Problem bleibt: Gleichungen der Newtonschen und auch der relativi s
Mechanik kommen keine relativen Größen vor, wie geschwindigkeit,
Relativbeschleunigung, sondern .; Größen: „Geschwindigkeit" und
„Beschleunigung" wogegen? Gegenüber dem auf welche Weise erfa
„absoluten" Raum? Natürlich wußte Newton ur-Schwierigkeit. Er glaubte, ihr
dadurch ausweichen zu daß er dem absoluten Raum physikalische Eigenscha7-wies.
Er sollte erfahrbare Wirkungen ausüben: Bes,-gungen relativ zum absoluten Raum
sollten sich in de: heitskräften zeigen. Auf der Achterbahn oder in de7 beim
Autofahren spüren wir die nach außen ziehende = fugalkraft. Auch wenn wir die
Augen schließen und kt zugskörper sehen, relativ zu denen sich der Wagen 7 Ein
anderes Beispiel: Die Rotation der Erde um ihr, kann bei geschlossener
Wolkendecke durch die Beoh:. der Schwingungsebene eines einige Meter langen
festgestellt werden (sog. Foucaultsches Pendel). Im Tages ändert sie sich
relativ zur Erdoberfläche: Die E-wegt sich nach Newton durch eine Drehung
relativ z. soluten Raum unter der Schwingungsebene weg. Der.. relativ zum
absoluten Raum bleibt unverändert. Ern (1838-1916) hat diese Interpretation
kritisiert: Sem,-nung nach ist die Bewegung auf die Fixsterne zu bez:, den relativ
zu allen Bewegungen auf der Erde und ir-tensystems ziemlich fest plazierten
Bezugs-Körpern. -1 darauf hin, daß niemand sagen könne, ob nicht Fliehkräfte
entstünden, wenn die Erde als ruhend ihre Achse rotierend) gedacht würde, die
Fixsterne die Erde herum kreisten. Leider läßt sich dieses EN: nicht
durchführen.
Zusammengefaßt: Zum
einen brauchen wir Ve - körper, um Bewegungen zu bemerken; zum anden-es sein,
daß Kräfte wie die Zentrifugalkraft oder c ren Trägheitskräfte aus einer noch
unbekannten wirkung zwischen den Körpern entstehen. Wie das g,-.
24
soll, wußte Ernst Mach nicht und wissen wir auch heute
nicht.
Im Rahmen der
Newtonschen Physik wurde der Tatsache, daß wir bei unbeschleunigten Bewegungen
nicht eindeutig sagen können, ob sich der eine Körper bewegt und der andere
ruht oder gerade umgekehrt, dadurch Rechnung getragen, daß die Grundgleichungen
in allen zueinander mit konstanter Geschwindigkeit bewegten Bezugssystemen —
das sind die vorher beschriebenen Inertialsysteme — gleich aussehen. Schon seit
Galileo Galilei (1564-1642) ist diese Forderung unter dem Namen
„Relativitätsprinzip" der Mechanik bekannt. Etwas technischer ausgedrückt:
Die Gleichungen, mit denen die Bewegung von Körpern beschrieben werden, sollen
sich nicht ändern, wenn wir den Ursprung der Inertialbasis im Raum verschieben,
ihre Achsenrichtungen verdrehen oder uns auf eine sich mit konstanter
Relativgeschwindigkeit bewegende andere Inertialbasis beziehen. Zusammen mit
einer möglichen konstanten Verschiebung des Nullpunktes der Inertial-zeit
bilden alle diese Bezugssystem-Transformationen die sog. Galilei-Gruppe (vgl.
Mathematischer Anhang).
Jetzt scheint alles in Ordnung zu sein. Bezugskörper gibt es
mehr als genug; die Grundgleichungen sind unempfindlich
oder, wie es die Fachsprache ausdrückt, „kovariant"
gegen-
über dem Wechsel des Bezugssystems formuliert; was sollte
denn dann noch schiefgehen, wenn wir Bewegungen beschrei-
ben wollen? Nun, für langsame massive Körper war auch al-
les in bester Ordnung. Aber das Verständnis der Bewegung
des Lichtes im Rahmen der Newtonschen Theorie wollte den
Physikern lange nicht gelingen. Die Erfahrung insbesondere
an Beugungserscheinungen zeigte, daß Licht als eine Welle
be-
schrieben werden mußte. Die bis zu dieser Zeit bekannten
Wellen brauchen materielle Träger: Schallwellen breiten sich
in der Luft oder einem kristallinen Festkörper aus. Die
Luft-
moleküle bzw. Gitteratome schwingen dabei hin und her.
Wasserwellen pflanzen sich im Wasser fort; jetzt sind es die
Wasserteilchen, die sich bewegen. Welche Teilchen schwin-
gen, wenn eine Radiowelle vom Sender zum Tuner läuft?
25
Nicht die Luftteilchen, denn Licht- und Radiowellen (z. F
Labor) können auch durch Gebiete geschickt werden, an nen die Luft
herausgepumpt wurde. Sie durchqueren intergalaktischen Raum, in dem nur noch
eine winzige A:. von Teilchen vorhanden ist. Zuerst wurde eine speziell, von
Materie ausgeheckt, eben der schon in Kapitel 1 erv. te Äther, in der sich die
Lichtwellen ausbreiten sollten. vertrackte war nur, daß dieser Äther sich durch
keine ar Eigenschaft nachweisen ließ als eben durch die Lichtfortp:-zung. Er
sollte so spärlich vorhanden sein, daß die Plan-bewegung durch ihn nicht
merklich beeinflußt werden k te. Andererseits mußten - wegen der schnellen
Schwinp-der Lichtwelle - seine elastischen Eigenschaften eher c: von Stahl als
denen eines dünnen Gases gleichen.
Außerdem würde ein
relativ zum Äther ruhendes S-ein ausgezeichnetes Bezugssystem unter den
Inertialsys7, darstellen. Das war nicht zu verstehen, wenn der Äther so etwas
wie den absoluten Raum repräsentierte.
Nach vielen
vergeblichen Präzisionsmessungen, etwa den Versuch der Physiker Albert A.
Michelson (1852-und Edward W. Morley (1838-1923), die Bewegun _ Erde relativ
zum Äther zu bestimmen, zeigte Albert E: (1879-1955) in seiner Speziellen
Relativitätstheorie von daß der Äther, als absolutes Element aufgefaßt, zur
Be,, bung des Lichts nicht gebraucht wird.
Seither ist davon
die Rede, daß sich das Licht und a. deren elektromagnetischen Wellen im
„Vakuum" for-.7-zen. In der klassischen Physik bedeutet das Vakuum c
wesenheit von Materie in Form von Teilchen oder F, Eine Möglichkeit zur
Definition des Vakuums in der ten-Feldtheorie besteht darin, es als den
energetisch E sten Zustand zu betrachten, in dem keine Schwingo sitzen: Die
Teilchenzahl in diesem Zustand ist Null.' Vakuum hat physikalische Eigenschaften
ebenso wie au.
1 Neben diesem sog.
Fock-Vakuum gibt es andere wichtige \ Definitionen wie den Lorentzinvarianten
Grundzustand.
26
Vakuum in der Allgemeinen Relativitätstheorie (vgl.
Abschnitt 9.2). Wir stellen uns vor, daß andauernd Teilchenpaare (Teilchen und
Antiteilchen) erzeugt werden und unmeßbar schnell wieder in masselose Quanten
zerstrahlen. Obgleich die Gesamtzahl massiver Teilchen im Mittel Null ist, übt
das Vakuum über seine Energiedichte einen Einfluß auf Teilchen mit meßbarer
Lebensdauer aus. 'Welcher Zusammenhang zwischen den verschieden definierten
Vakua besteht, ist unklar. Haben wir durch diese Vorstellung vom Vakuum nun
besser verstanden, warum das Licht keinen materiellen Träger braucht?
Vermutlich nicht; aber die neue Sprechweise mag genügen.
2.2 Spezielle Relativitätstheorie
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten Forscher geladene
Teilchen entdeckt, die sich nicht mehr langsam im Vergleich
zur Lichtgeschwindigkeit bewegten: die Elektronenstrahlen in
Entladungsröhren, zuerst Kanalstrahlen genannt. Es wurde
klar, daß Elektronen sich in elektrischen Feldern anders
ver-
hielten, als die Physiker gewohnt waren; insbesondere ihre
träge Masse hing von der Geschwindigkeit ab und wuchs mit ihr. Dies gab, neben
den Schwierigkeiten mit dem Verständnis des absoluten Raums als dem Träger der
Lichtwellen, einen
weiteren Hinweis darauf, daß der Newtonsche
Raum-Zeit-Begriff und die klassische Mechanik zur Beschreibung der
physikalischen Phänomene nicht ausreichten.
Am Beginn des
Weges, der Albert Einstein zur Speziellen Relativitätstheorie führte, standen
zwei Hypothesen: Er bezog das Äquivalenzprinzip der Mechanik auf alle
physikalischen Vorgänge und forderte zudem, daß die Geschwindigkeit c des
Lichtes im Vakuum in allen Inertialsystemen dieselbe sein sollte. Die erste
Annahme bedeutet, daß auch aus elektromagnetischen Phänomenen kein
ausgezeichnetes Bezugssystem erschlossen werden kann. Die zweite, daß die
einfache Addition von Geschwindigkeiten auf das Licht oder mit ihm vergleichbar
schnelle Vorgänge nicht angewendet werden darf.
27
Denn dann wäre die Lichtgeschwindigkeit in einem si..• tiv
zum Beobachter mit der Geschwindigkeit v bewe. Inertialsystem c' = v + c, also
nicht unverändert. Die Transformation, die zu diesem Additionsgesetz der Ges_
digkeit führt, kann demnach nicht mehr die richtige Bus bung des Übergangs von
einem Inertialsystem zum sein, jedenfalls nicht für hohe
Relativgeschwindigkeiter
Sie wird durch die
nach dem Nobelpreisträger aus _ Hendrik Anto on Lorentz (1835-1928) benannte L
Transformation ersetzt, die der theoretische Physii:= - Bachkantatenspezialist
an der Universität Göttingen mar Voigt (1850-1919) schon 1887 im Zusammen hi -
dem Studium der Lichtausbreitung in Kristallen gu-aber in ihrer vollen
physikalischen Tragweite nicht =hatte. Während in der vor-relativistischen
Beschreib.:-Zeitintervall A t zwischen zwei Ereignissen' in allen 1--systemen
dasselbe ist, ändert es sich nun beim Überga-- _ schen Inertialsystem I und I'
in zweierlei Hinsicht: _7-eignisse am selben Ort im System I, die um At
anderliegen, ist das Zeitintervall im Inertialsystem I' \ = den: A t' # A t.
Der Unterschied ist durch die Relativge-_ digkeit der Systeme, d.h. durch die
Zeitdilatation (vgl. Kapitel 4). Für Ereignisse an verschiedenen Or7 (Ax # 0)
muß zur Berechnung von A t' zusätzlich die • tardierung, das ist die Laufzeit
eines Signals 2'-7 zwisc beiden Orten der Ereignisse mit Abstand Ax, berüc.,
werden, und zwar wegen der Notwendigkeit der U1-.-chronisation (vgl. das
nächste Kapitel). Während der-dierungszeit bewegt sich das System I' um die
Stre,.. weiter; diese muß vom Lichtweg cAt abgezogen we:-._
I' folgt daraus cAt' cAt
— v''e. Für die Zeit la _-
neue Transformation — im Unterschied zur speziellen
Transformation — für zwei in Richtung der gerne x- und x'-Achsen mit der
konstanten Relativgeschwi _
' In der Physik
bedeutet der Ausdruck der Umgangssprache die Angabe eines Ortes und eines
Zeitpunktes.
28
v bewegte Inertialsysteme: A t' = y (A t — v/c2 • A x) mit y
= (1— v 2/c2)-112. Dadurch wird das Additionsgesetz von Geschwindigkeiten so
abgeändert, daß die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c in allen Inertialsystemen
dieselbe bleibt (vgl. Mathematischer Anhang). Für die Raumkoordinaten x, y, z
lautet die Lorentz-Transformation A x' = y(Ax — v • st), Ay' = Ay, Az' = Az.
Für langsame Bewegung (v/c < 1, y = 1, v/c << et: ) stimmen die
Lorentz-Transformationen mit den Galilei-Transformationen überein.
2.3 Raum-Zeit-Diagramm
Wir stellen die Transformation zwischen Inertialsystemen nun
graphisch dar. Vieles von dem, was wir in Kapitel 6 als Geometrie der Raum-Zeit
kennenlernen werden, kann schon dadurch richtig beschrieben werden, daß zur
Vereinfachung statt der drei räumlichen Dimensionen nur eine einzige
beibehalten wird. Dies soll im folgenden geschehen. Wir betrachten eine
Aufeinanderfolge von „Schnappschüssen" eines bewegten Massenpunktes und
fügen sie in einem Schaubild, dem sog. Raum-Zeit-Diagramm, aneinander. Dazu
tragen wir in einem Achsenkreuz nach oben die Zeit auf, genauer die Größe c • t,
eine Länge (c ist die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit). Nach rechts verläuft die
x-Achse der Raumkoordinaten; x hat ebenfalls die Dimension einer Länge. Ein
Punktteilchen, das an einem festen Ort mit der Ortskoordinate x1 ruht, wird in
diesem Raum-Zeit-Diagramm durch eine Parallele zur Zeitachse durch den Wert x1
auf der x-Achse dargestellt (siehe Abb. 1). Wenn die Zeit fortschreitet, so
„durchläuft" der Massenpunkt im Raum-Zeit-Diagramm diese Gerade, die seine
„Weltlinie" genannt wird. (In der Wirklichkeit bleibt er am Punkt x1
sitzen.) Wenn der Massenpunkt sich mit einer konstanten Geschwindigkeit v vom
Ursprung des Achsenkreuzes wegbewegt, so wird seine Bahn durch eine Gerade
durch den Punkt x1 beschrieben, die einen Winkel (I) mit der ct-Achse bildet, der
sich aus tge = v/c bestimmt (siehe Abb. 2). Die Raum-Zeit-Diagramme sind wohl
„die sonderbaren, geheimnisvollen Figu-
29
Abb. 1: Raum-Zeit-Diagramm. Die Parallele zur x 0-Achse ist
die Weltlinie des bei x1 ruhenden Teilchens.
ren", über die sich der Romancier Alfred Döblin in der
- Jahren im Berliner Tageblatt entrüstete.
Die Diagonalen der
Quadranten spielen eine besonder, le. Sie werden durch die Gleichungen ct = x
bzw. ct = geben. Das bedeutet, daß diese Geraden Bahnen von Tt darstellen, die
sich mit der Geschwindigkeit +c oder -c - gen (tgir/4 = 1.) Das können nur die
Lichtquanten ode: tonen sein oder, in klassischer Deutung (geometrische ( die
geradlinigen Bahnen von Lichtsignalen, die vom Ur,-ausgehen. Das aus beiden
Diagonalen zusammengesetz-bilde heißt Lichtkegel, da es einen Kegel darstellt,
3A-eche weiteren Raumdimensionen hinzunehmen, also x den Abstand d = (x2 + y2 +
z2)112 ersetzen. Die Ha_-Lichtkegels mit Werten t > 0 heißt Zukunftskegel,
die Hälfte für t < 0 Vergangenheitskegel. Signale vom Ur,: die sich auf dem
Zukunftskegel oder in seinem Innere:-gen, können zukünftige Ereignisse
beeinflussen; Sign.: sich im Inneren des Lichtkegels fortpflanzen, als( Geraden
durch den Nullpunkt zwischen den Diagona. gestellt werden, entsprechen Bahnen von
Teilchen 11117 lichtgeschwindigkeit. Werden jetzt und hier durch
30
sprung gegeben, so kann uns demnach nur Inform:-dem Innern
des Vergangenheitskegels oder auf -selbst beeinflussen. Der große Bereich
außerhalb de, gels wird „Anderswo" (in bezug auf den Ursprunz (Abb. 2).
Den Übergang von
einem Inertialsystem I zu eine7.-I' können wir in einem Raum-Zeit-Diagramm
eir.7 stellen. Die neue Zeitachse (t') muß innerhalb des von I liegen, da sie
mit dem Bild der Bahn eines im von I' ruhenden Massenpunktes zusammenfällt.
also einen bestimmten Winkel 9 mit der Zeitachse -Ziehen wir eine Gerade durch
den Ursprung von I gleichen Winkel zur Raumachse (x) von I, so ist sie achse
(x') des neuen Inertialsystems I' (siehe Abt-folgt aus der Symmetrie der
Lorentz-Transformati, über Vertauschung der Koordinaten x und c • t =
Im nun
schiefwinkligen Bild des Inertialsystems st: allelen zur x.'-Achse die
Weltlinien von in I' ruhen,: senpunkten dar. Aus Abb. 3 geht hervor, daß das
Lichtkegels unverändert bleibt: auch in I' fällt es den Hauptdiagonalen
zusammen.
3. Gleichzeitigkeit und Kausalität
Wie ein Raumfahrer jenseits des Pluto seine Uhr stellt
Nach einer nächtlichen Wanderung durch den Bergwald haben
wir den Gipfel des Feldbergs erreicht. Ganz allmählich hellt es sich auf. Jetzt
schiebt sich der rote Rand der Sonne über den Horizont der Schwarzwaldberge:
Die Sonne geht auf. Was bedeutet dieses Jetzt? Ist es ein Jetzt für die
Menschen überall in Deutschland, in Europa, in der Welt? Jetzt bedeutet auf
meiner Uhr 4 Uhr, 20 Minuten, 23 Sekunden. Ich greife zum „Handy" und
wecke Freund Konrad in Wesel: „Ein herrlicher Sonnenaufgang! Wieviel Uhr ist es
bei Euch?" Mit einem mühsam unterdrückten Fluch antwortet er: „Bist Du
verrückt geworden? 4 Uhr 20!" Jetzt bedeutet also für ihn, daß seine Uhr
dieselbe Zeit wie meine auf dem Feldberg anzeigt, oder jedenfalls so ungefähr,
denn das Telefonsignal brauchte auch eine gewisse Zeit, um die 450 Kilometer
Luftlinie hin und zurückzugehen. Bei einer Signalgeschwindigkeit von (höchstens)
300 000 km/s also etwa drei Tausendstel einer Sekunde. Innerhalb der
Genauigkeit unserer Armbanduhren ist das „gleichzeitig". Anders wäre es,
wenn wir mit einem Astronauten auf dem Mond telefonieren würden; bei einem
Abstand Erde-Mond von ca. 380 000 km (ein Mittelwert!) dauert es schon über
zwei Sekunden, bis die Antwort hier ankommt. Das merken die Sprechenden. Wenn
wir schließlich mit jemandem in Sonnenentfernung telefonieren wollten, bräuchte
das Gespräch jeweils ca. 8 Minuten für jeden Weg. Bei einem Telefongespräch zum
nächsten Stern würden schon 8 Jahre vergehen, bis die Antwort hier einträfe.
Das ist keine Zukunftsmusik, denn gerade solche Signale müssen zu den
Raumsonden geschickt werden, mit denen unser Planetensystem gegenwärtig
erforscht wird. Um eine Kurskorrektur durch Einschalten des Raketenantriebs der
Sonde zu einer bestimmten Zeit durchführen zu können, muß das Signal unter
Umständen Stunden vorher auf der Erde abgehen. Zum äu-
33
ßersten Planeten Pluto in einer Entfernung von 5,91 • 10- • ist
die Information rund 5,5-6 Stunden unterwegs. Weiter in einer Entfernung von
17-18 Stunden Signallaufzeit ist her keine auf der Erde gestartete Raumsonde
aktiviert v. den, da ihre Meßinstrumente dann zu wenig Sonnen-Ene erhalten, um
noch vernünftig arbeiten zu können.
3.1 Uhrenvergleich
Es ist also klar, daß wir ein Problem mit dem Uhrenverg
haben, wenn sich die Uhren in astronomischer Entfer-voneinander befinden. Ohne
eine Verabredung zwischen Uhrenbeobachtern läßt sich das Jetzt oder die
Gleichzeitig. nicht überprüfen. Der naheliegende Einwand, daß die hier nau
gestellte Uhr auf die Reise zum fernen Stern gesc.: werden könne, setzt voraus,
daß der Uhrengang sich währ des Transportes nicht ändert. Gerade das ist aber
nick= Fall: Der Uhrengang hängt von der Geschwindigkeit transportierten Uhr ab,
und auch vom Gravitationsfeld, 0. das hindurch die Uhr befördert wird. Darauf
wird in der piteln 4, 6 und 8 eingegangen. Wichtig ist das bei hoher
schwindigkeiten und starken Gravitationsfeldern. Außer ist die Methode des
Uhrentransportes nur eine andere A:-Vereinbarung, wie denn Gleichzeitigkeit von
Uhren an schiedenen Orten definiert und dann überprüft werden Sie ist nicht
praktischer als das Hin- und Hersender Lichtsignalen, denn die Geschwindigkeit
unserer Raket, viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit. Es würde also viel
länger dauern, bis Übereinkunft über die Zeitanzeig: gestellt ist. Daß
irgendeine Übereinkunft getroffen w, muß, ist offensichtlich, wenn wir davon
ausgehen, da Geschwindigkeit jedes möglichen Signals endlich ist. S7 ein Signal
mit unendlicher Aus breitungsgeschwindigke Verfügung (wie in der Newtonschen
Mechanik ang, men), so würde das Problem der Herstellung von Gei. tigkeit in
verschiedenen Gegenden der Welt erst gar nicS treten.
34
Als Beispiel für ein
sich anscheinend augenblicklich ausbreitendes Signal sei folgende Situation
betrachtet. Es sei ein langer Stab aus äußerst hartem Material genommen, etwa
eine Eisenbahnschiene. Ein Schlag gegen ihr Ende in Richtung der Schiene müßte
das andere Ende momentan bewegen. Diese Vorstellung des sog. „starren
Körpers" ist jedoch eine nur für kleine Entfernungen (und für Uhren mit
geringer Genauigkeit) akzeptable Näherung: Die Komprimierung des Schienenendes
durch den Schlag pflanzt sich als elastische Welle (Schall!) mit endlicher
Geschwindigkeit in der Schiene fort, so daß eine gewisse Zeit vergeht, bis die
Verdichtung das andere Schienenende erreicht. Ein starrer Körper in dem Sinne,
daß Signale sich in ihm mit unendlich großer Geschwindigkeit ausbreiten
könnten, ist bisher nicht gefunden worden.
Um einem
Mißverständnis vorzubeugen: Wir müssen unterscheiden zwischen der
Notwendigkeit, Uhren zu synchronisieren und ihrer konkreten Zeitanzeige. Alle
Uhren auf der Erde sind synchronisiert und zeigen doch verschiedene Zeiten in
den verschiedenen Erdteilen an. Das ist reine Konvention. Im Prinzip könnten
alle Uhren auf der Erde auf dieselbe Zeitanzeige eingerichtet werden. Das wäre
aber unpraktisch, weil dann dieselbe Zeitanzeige ganz verschiedene Stellungen
der Sonne (Mittag beim einen, Mitternacht beim anderen) bedeutete. Auch gäbe es
Schwierigkeiten für das Kalenderdatum wegen der 24-Stunden-Periodizität der
Uhrenanzeige.
Wie stellt denn nun
der Raumfahrer jenseits des Pluto seine Uhr? Er sendet zur Zeit t1 ein Signal
zur Erde, das dort reflektiert wird und zur Zeit t2 zurückkommt. Mit einem
zweiten Signal erfragt er von der Bodenstation auf der Erde die Zeit tE, zu der
sein erstes Signal dort angekommen war. Dann
stellt er seine Uhr so, daß tE = 1/2(t1 + t2). Das Verfahren
setzt voraus, daß die Signalgeschwindigkeit auf dem Hin- und Rückweg zur Erde
dieselbe ist und daß der Raumfahrer wäh-
rend der Signallaufzeit relativ zur Erde ruht. Letzteres ist
natürlich nicht der Fall, muß also mit Hilfe weiteren Signalaustausches in das
Synchronisierungsverfahren eingerechnet werden. Die Synchronisierungsvorschrift
selbst ist aber für
35
ruhende wie gegeneinander bewegte Uhren die gleich_
Unveränderlichkeit der Lichtkugeln, das heißt der F. gleicher Phase der von
einem Zentrum auslaufenden . wellen, unter Lorentz-Transformationen garantiert
dies Abb. 4).
Abb. 4:
Uhrensynchronisation. Die Geraden durch a, b und . stellen die Weltlinien von
drei mit derselben Geschwindigkeit be \\ Punktmassen (Beobachter) dar. Die
gewellten Linien bilden Licht' _
ab, die von a zu den Beobachtern b, c gehen. Die Verbindungs
I.-
der Schnittpunkte ist parallel zur neuen
Gleichzeitigkeitsachse
3.2 Kausalität
Aus der Lorentz-Transformation für ein Zeitintervall 7(3,t —
v/c2 • \x) ergibt sich folgendes: Zwei gleich:, Vorgänge (Ar = 0) an
verschiedenen Orten (3.x # 0) im tialsystem I sind im Inertialsystem I' nicht
gleichzeirL At' # 0. Gleichzeitigkeit hängt also vom Bewegungszu- des
Beobachters ab; nur für relativ zueinander ruhende bleibt der absolute
Gleichzeitigkeitsbegriff der Newton-.
36
Theorie bestehen. Wird die Binsenweisheit „Die Wirkung tritt
nach ihrer Ursache ein", also das Kausalitätsprinzip, davon
berührt? Wir identifizieren Kausalität in der Regel mit der
Zeitordnung, also mit der Abfolge „früher" — „später". Aus einem
positiven A t im Inertialsystem I sollte in allen anderen Inertialsystem ein
ebenfalls positives A t' herauskommen. Denn negatives A t' würde bedeuten, daß
Zukunft und Ver-gangenheit vertauscht sind. Nehmen wir einmal an, daß die
Relativgeschwindigkeit v der Inertialsysteme nie größer als die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit
c sei. Das ist vernünftig, denn wie sollen die massiven Körper, aus denen die
Inertialsysteme konstruiert sind, auch nur annähernd die Lichtgeschwindig-keit
erreichen? (Vgl. dazu Abschnitt 4.3.) Positives A t kann aber genau dann in negatives
A t' transformiert werden, wenn
größerött als c ist.
ei. können wir als die „Geschwindigkeit
der Wirkung" auffassen, die sich zwischen den beiden
durch A t und A x getrennten Ereignissen ausbreitet. Damit ist klar, daß die
Zeitordnung umgedreht werden könnte, wenn es Signale gäbe, deren
Ausbreitungsgeschwindigkeit größer als die Lichtgeschwindigkeit ist. Niemand
hat aber bisher beob-achtet, daß die Vergangenheit zur Zukunft werden kann. Das
sollte auch auf den Feuilletonseiten einer überregionalen deut-schen Zeitung
akzeptiert werden, in denen noch Ende 1996 Einstein als Garant dafür zitiert
wird, daß die Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Zukunft eine Illusion
sei.
Einstein forderte
zur Aufrechterhaltung der Kausalität, daß es keine Signale mit
Überlichtgeschwindigkeit geben darf (Kausalitätsprinzip). Bisher ist kein
solches beobachtet wor-den, auch wenn in der Tagespresse infolge eines
Mißver-ständnisses schon von der Übertragung einer Mozartsympho-nie mit
Überlichtgeschwindigkeit die Rede war. Manchmal wird von Teilchen gesprochen,
den Tachyonen, die sich nicht langsamer bewegen können als mit
Lichtgeschwindigkeit. Sol-che Teilchen sind nicht beobachtet worden und können
auch in der Zukunft nicht gefunden werden — solange das Kausali-tätsprinzip
besteht, weil sie es verletzen, wenn sie mit ge-wöhnlicher Materie
wechselwirken.
37
4. Folgen für die Physik
Lang — kurz, schwer — leicht, rot — blau, jung — alt.
Hängt denn alles vom Beobachter ab?
Wenn Beobachter zueinander sehr schnell bewegt sir _ wirken
sich die Unterschiede der Gleichzeitigkeitsmess. in ihren Bezugssystemen
deutlich aus. Sie einigen sh. - nächst weder darüber, welche Gangraten ihre
Uhre:-welche Längen ihre Maßstäbe messen, noch darüber, v Farbe und Form Körper
haben. Aber sie können ihre resultate ineinander umrechnen.
4.1 Längenkontraktion und Zeitdilatation
Nehmen wir als erstes Beispiel die Länge eines Stabes. ter
verstehen wir seine Ruhlänge, also die Länge, die ei7 tiv zu ihm ruhender
Beobachter feststellt. Folgende 1\1, schrift gilt: Vergleiche die Positionen
von Anfang unc des Stabes zur gleichen Zeit mit den Marken eines Me7 ßes. Die
Betonung liegt in diesem Zusammenhang a gleichzeitigen Ablesung. Wir wissen ja
schon, daß einander bewegte Beobachter Ereignisse, die in eine: zugssystem
gleichzeitig sind, im anderen mit ihren Uh: nicht gleichzeitig messen.
Das Resultat ist,
daß der Beobachter oder die Beoba.. im bewegten System eine von der
RelativgeschwindigL hängende Verkürzung der Länge der Strecke feststellt. Effekt
nennen wir Längenkontraktion. Längenkontr: bedeutet nicht, wie manchmal
behauptet wird, daß s:. Moleküle längs der Strecke infolge der Bewegung
zusa:-drängen. An der Ruhlänge der Strecke ändert sich Längenkontraktion heißt,
daß die Zuordnung der Zah: ge" vom Bewegungszustand des Beobachters
abhäng7 gleichen wir mit einer anderen Situation, der Lichtbrt.. Ein Stab im
Wasser sieht unterhalb der Oberfläche abg,.
38
und verkürzt aus. Niemand würde auf die Idee kommen, daß
sich die Länge des Stabes geändert hat. Das Ergebnis der Beobachtung ist eben
verschieden, je nachdem, ob der Stab in einem Medium mit oder ohne starke
Lichtbrechung betrachtet wird.
Im folgenden sei
angenommen, daß an jedem Ort des Raumes und zu jeder Zeit Beobachter mit
baugleichen Uhren und
starren Maßstäben vorhanden sind. In einem Bezugssystem I
wird ein Zeitintervall durch Ablesung von zwei
aufeinanderfolgenden Zeigerstellungen t2 t1 einer Uhr an einem Ort mit
Koordinaten x2 = x1 = x oder Ax = 0 = x2 — x1 bestimmt. Ot =
t2 — t1 entspricht im relativ dazu mit der Geschwindigkeit v bewegten System
zwei Ereignissen t'1, t'2, die durch Zeit- und Raumintervalle voneinander
getrennt sind mit t' = t'2 —
0, und Lix' = x'2 — x'1 0! Das bedeutet, daß zum Vergleich
von x '2 und x'1 mit Meßmarken in diesem System zwei Uhren
an diesen verschiedenen Positionen benutzt werden müssen.
Die Synchronisierung von Uhren geht demnach notwendig in die Meßvorschrift für
die Längenmessung ein.
Die Abhängigkeit der
Gleichzeitigkeit vom Bewegungszustand wirkt sich direkt auf die Messung von
Zeitintervallen
aus: Wir finden, daß das Zeitintervall 4t' größer ist als
das
Zeitintervall Lt : t' = yz\t. Die Uhren im bewegten System
gehen langsamer, wenn sie mit denen im unbewegten System
verglichen werden. Wegen der Gleichberechtigung der
Iner-tialsysteme gilt das für jedes: Wir sehen die relativ zu uns bewegte Uhr
langsamer gehen.
Dieser Effekt heißt
Zeitdilatation (vgl. Abb. 5). Er ist empirisch sehr gut bestätigt, wie aus dem
nächsten Abschnitt hervorgeht. Für alltägliche Geschwindigkeiten ist der Effekt
al-
lerdings winzig: Für einen 60stündigen Flug um die Erde mit
der Concorde bei einer Geschwindigkeit von ca. 103 km/h
würde die fliegende Uhr um den zehnmillionsten Teil einer Sekunde nachgehen.
Die Zeitdilatation ist nicht von der Rich-
tung der Relativgeschwindigkeit der Uhren beeinflußt, da sie
von ihrem Betragsquadrat abhängt.
39
Abb. 5: Zeitdilatation. Die Parallele zur x'-Achse durch den
Endp des Zeitintervalls 4 t schneidet auf der t'-Achse das Zeitintervall
4.2 Dopplereffekt und Zwillingsparadoxon
Eine naheliegende Anwendung der geschilderten Effekt, in das
Gebiet der Spektroskopie. Die von energetisch am: ten Atomen ausgehende
Strahlung, die wir über die dung eines Spaltes mit Hilfe von Linsen als
Spektrallinit-obachten, sind in Richtung auf den lang(kurz-)welligen, (blauen)
Bereich des Farbspektrums verschoben, wem-die Atome vom Beobachter wegbewegen
(bzw. auf ih:-Das können wir so verstehen: Bewegt sich die dauernd lende
Lichtquelle mit der Geschwindigkeit v auf uns z hat von zwei
aufeinanderfolgenden Intensitätsmaxima, in der Zeit das Intervall 4t
entspricht, das uns nähert kürzere Wegstrecke LV • v zurückzulegen als das
fernere für uns maßgebende effektive Zeitintervall zwischen du
tensitätsmaxima ist also 3.t- Berücksichtigen wi-
noch die Zeitdilatation, so ergibt sich die Beziehung 3. =
40
(1 — v/c). Da die Frequenz umgekehrt proportional zum
Zeitintervall ist, haben wir die Formel für den Dopplereffekt gewonnen. Für
kleine Geschwindigkeiten der Lichtquelle in Sichtrichtung zeigt sich, daß die
relative Wellenlängenänderung e proportional ist zu v/c, also zum Verhältnis
der Relativgeschwindigkeit v von Lichtquelle und Beobachter zur
Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c (longitudinaler Effekt; vgl. Mathematischer
Anhang). Bewegt sich die Lichtquelle senkrecht zur Sichtrichtung, so hat der
Dopplereffekt die Größenordnung e)2 (sog. transversaler Effekt). Im Unterschied
zur Zeitdilatation ist der longitudinale Dopplereffekt von der Richtung der
Relativgeschwindigkeit zwischen Quelle und Beobachterin abhängig.
Was sich hier im
Bereich des Lichtes bzw. der elektromagnetischen Strahlung ereignet, kennen wir
im Alltagsgeschehen aus dem Hörbereich: das Anschwellen bzw. die Absenkung der
Tonhöhe (oder Frequenz) des Sirenensignals eines schnell vorbeifahrenden
Fahrzeugs. Dieser Effekt ist nach Christian Doppler (1803-1853) benannt, der
ihn als Mathematikprofessor in Prag 1842 ableitete und auf Doppelsterne
anwenden wollte. Die Farbe eines Gegenstandes ist demnach für einen Beobachter,
relativ zu dem er sich sehr schnell bewegt, eine andere: eine rot gestrichene
Rakete, die auf ihn zuschießt, könnte blau aussehen — wenn sie denn so schnell
fliegen könnte. Elementarteilchen, die dazu in der Lage sind, können nicht eingefärbt
werden. Wenn ein im sichtbaren Bereich des Spektrums in Ruhe befindliches
strahlendes Objekt sich nur schnell genug gegenüber der Beobachterin bewegt, so
kann die Strahlung sogar in den für ihr Auge unsichtbaren Spektralbereich
verschoben sein.
Allerdings wird die
Photographie eines solch schnellen Objektes nicht nur eine falsche Farbe
zeigen, sondern auch ein verzerrtes Bild liefern: Das Licht, das zur selben
Zeit auf den Film einwirkt, muß wegen der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit
an verschieden weit vom Film entfernten Punkten des Objektes zu verschiedenen
Zeiten abgegangen sein. Während der Zeitdifferenz hat sich der Körper aber
weiter-
41
bewegt. Hinzu kommt der Effekt der Längenkontraktion. F Art
der Abbildung spielt ebenfalls mit herein. Im einfachste Fall der
Parallelprojektion erscheint der Gegenstand um eir Winkel gedreht, dessen
Tangens in niedrigster Näherung pr portional zu v/c ist. Damit kann ein Stück
der Rückseite ei:-auf uns zukommenden Objektes sichtbar werden.
Schließlich sehen
wir einen gegen den Beobachter s, schnell bewegten Körper auch nicht in
derselben Richt;: (relativ zu einer festen Vergleichs-Richtung) unter der er
:-relativer Ruhe gesehen würde, sondern gekippt. Dieses P-nomen heißt
Aberration. Der Tangens des Kippwinkels gleich ÷ und schon 1728 von dem Pfarrer
und Astronor James Bradley (1692-1762) an Sternen beobachtet worcl. Aus der
Anwendung der Lorentz-Transformation auf die -1 schreibung einer ebenen
elektromagnetischen Welle erge:-sich Potenzen von als Zusatzterme.
So interessant diese
relativistischen Effekte sind, so abs ist es, sie zu pädagogischen Zwecken mit
bewegten Stang. Bulldozern, Flugzeugen oder Videos, auf denen superschr Autos
durch das Brandenburger Tor schießen, zu illustrie-Makroskopische Körper können
nicht auf so hohe Geschv digkeiten gebracht werden, daß sich die Effekte bemerk
-machen, da die träge Masse mit zunehmender Geschwin, keit wächst. Das sehen
wir im nächsten Abschnitt. In der _ genwärtigen Erfahrung treten
relativistische Geschwindi ten - abgesehen von den elektromagnetischen Signalen
-Bereich der Elementarteilchen oder der in Atomen am eng-gebundenen Elektronen
auf, und die Folgerungen der Reh tätstheorie sind dort auch bestens bestätigt
worden. Rekr stische Effekte kommen auch in der alltäglichen Erfahrun _ genauen
Zeit- oder Raummessungen vor (GPS-System. Kapitel 5).
Mit Hilfe des
Dopplereffektes läßt sich auch das sogen. te Zwillingsparadoxon auflösen, das
in den 20er Jahrer-Öffentlichkeit beschäftigte. Ein Zwilling eines Paares
n-eine Reise mit einem Raumfahrzeug, das eine zeitlang schnell geradeaus
fliegt, dann die Richtung wechselt
42
zurückkehrt. Betrug die Geschwindigkeit des reisenden
Zwillings v = (1/2) .\,3 • c und zeigte die mitgeführte Uhr eine Reisezeitdauer
von 10 Jahren an, so hat der zurückgebliebene 20 Jahre verstreichen sehen. Die
Analyse von kontinuierlich während der Reise hin- und hergesandten Signalen
ergibt mit Hilfe von Dopplereffekt und Längenkontraktion, daß beide Zwillinge
darin übereinstimmen, daß der Reisende jünger geblieben ist. Dabei ist
angenommen, daß die die Lebenszeit messende „biologische" Uhr sich wie eine
physikalische Uhr verhält. Für die mit den gegenwärtigen Raumfahrzeugen
erreichbaren Geschwindigkeiten ist der Effekt unmeßbar klein, und das wird auch
für die nächsten Generationen von Raumfahrern so bleiben. Ein Gegner Einsteins
in den 20er Jahren glaubte, den Effekt mit Schlußfolgerungen zur Lebenszeit
eines in einer Schachtel hin und her geschüttelten Käfers lächerlich machen zu
können.
4.3 Masse und Energie
Wie die Ruhlänge definieren wir Ruhmasse m(0) als die in
einem relativ zur Masse ruhenden Inertialsystem gemessene. Von ihr muß die
geschwindigkeitsabhängige träge Masse unterschieden werden. Wir werden in
Abschnitt 6 sehen, daß beide über den Faktor zusammenhängen, den wir schon bei
der Lorentz-Transformation kennengelernt haben: m = m(0)y. Da dieser Faktor
unbeschränkt anwächst, wenn sich die Geschwindigkeit der Masse der
Lichtgeschwindigkeit nähert, müßte zur Beschleunigung einer Masse auf
Lichtgeschwindigkeit unbeschränkt viel Energie aufgewendet werden. Die Dif-
ferenz (0)
wird als relativistische Bewegungsenergie defi-
niert, weil sie für v/c < 1 in die Form der
Bewegungsenergie der Newtonschen Theorie übergeht.
Die berühmteste
Formel der Welt, auf Postkarten verschickt, in Cartoons verarbeitet, ist
Einsteins E = mc2. Dabei ist E der Energieinhalt eines Körpers, m = mt seine
träge Masse — nicht die Ruhmasse — und c wie bisher die Lichtgeschwindigkeit;
mit der Formel läßt sich die Energie, die in je-
43
der Masse steckt, berechnen. Umgekehrt: Die Energie in ei:
12 Volt-Autobatterie, die einen Strom von 81 Ampere \\ rend einer 20minütigen
Entladung gibt, beträgt ca. 1,5 • Wattsekunden. Das entspricht einer Masse von
ca. 1.10-11 kg! Wenn jeder Erdenbewohner ein Auto mit einer • chen Batterie
besäße, ergäbe die Gesamtenergie aller Batter ein Massenäquivalent der
Größenordnung 100 Gramm.
Wenn sich Elektronen
und positiv geladene Atomkern,-Atomen, Nukleonen wie Proton und Neutron zu
Atomker7 oder Atome zu Molekülen verbinden, so wird jeweils Bindu: _ energie
frei, die nach der Einsteinschen Formel einem Massendefekt entspricht: Die
Gesamtmasse der Teile ist - ßer als die Masse des aus ihnen entstandenen
Gebildes. Atomen und Molekülen, also bei chemischen Reaktio-bleibt dieser
Massendefekt unmeßbar klein, während er bei Atomkernen deutlich bemerkbar
macht. Ein Beispiel bi. _ die in der Sonne ablaufenden
Energie-Erzeugungsprozesse. in einer ungewissen Zukunft auf der Erde in
Fusionsreakt, nachgeahmt werden sollen. Dabei verschmelzen vier (po • geladene)
Protonen gegen die abstoßende Kraft des trischen Feldes zum Atomkern des
Edelgases Helium. In sem Fall ist der relative Massendefekt °„÷:': = 7,6 • 10'.
pro Gramm das Freiwerden von ca. 2 • 105 kWh bedeutet.
Bei schweren
Atomkernen wird zur Energieproduktion gekehrt die Kernspaltung durch Neutronen
ausgenützt. der die Differenz zwischen der Summe der Bindungsent- _ der
Spaltstücke (etwa Barium und Krypton) und der dungsenergie des Ausgangskerns
(etwa Uran 238) positi-Die bei der Spaltung entstehenden Kerne gewinnen übe:
gegenseitige Abstoßung Bewegungsenergie, die als Reih. wärme genutzt werden
kann. Im Unterschied zum Kern- tor wächst bei einer Atombombe die Anzahl der
Spaltpr( 1 pro Sekunde unkontrolliert schnell an, so daß in kürz Zeit die
riesige Energiemenge des Massenäquivalent: Form von Hitze und Strahlung
freigesetzt wird.
Die Äquivalenz von
Masse und Energie reicht so weit. Ruhmasse vollständig in Strahlungsenergie
verwandelt
44
den kann. Das geschieht etwa bei der Zerstrahlung eines
Teil-chen-Antiteilchenpaares wie Elektron-Positron oder Proton-Antiproton in
7-Quanten. Auch der umgekehrte Vorgang, die Erzeugung eines
Teilchen-Antiteilchenpaares aus Strahlung, ist in der Elementarteilchenphysik
wohlbekannt. Im Bereich der klassischen Physik makroskopischer Körper tritt
dieses drastische Phänomen nicht auf.
Wie kam denn nun
Einstein zu seiner Formel? Er betrachtete ein System aus zwei Massen, von denen
die eine elektromagnetische Strahlung aussandte, welche die andere vollständig
absorbierte. Gegenüber der weiteren Umgebung sollte dieses System energetisch
isoliert sein. Dann berücksichtigte er, daß elektromagnetische Strahlung der
Energie E einen Impuls der Größe E/c besitzt, also einen Druck erzeugt, den
sog. Strahlungsdruck. Wir glauben, ihn von den Crookschen Lichtmühlen, bei
denen sich schwarze Plättchen in einem Glasgefäß unter einer Lampe in
Schaufenstern von Boutiken drehen, zu erkennen.1 In Abschnitt 1.4 haben wir den
Impuls als die einen Massentransport charakterisierende Größe betrachtet. Damit
ist anschaulich klar, daß mit der Strahlung träge Masse von der Ausgangsmasse
zur anderen befördert wird. In der Tat ergibt eine Rechnung, welche die
Erhaltungssätze für Energie, Impuls und Schwerpunkt als gültig voraussetzt, daß
der übertragenen Strahlungsenergie eine träge Masse E/c2 entspricht.
Einstein hatte
Vorläufer: Henri Poincare vermutete im Jahr 1900, daß der Energie E des
elektromagnetischen Feldes eine Masse der Größe E entspricht. Ebenfalls 1905
kam der im Ersten Weltkrieg getötete Wiener Physiker Friedrich Hasen-öhrl auf
ein Massenäquivalent von 4/3 Efür Strahlungsenergie.
1 Die Erklärung des Effektes ist allerdings viel
komplizierter.
5. Empirische Belege
für die Spezielle Relativitätstheorie
Warum Einstein recht hatte
Im Jahr 1972 stellten sich zwei Physiker zwei möglichst te
Reisen um die Welt mittels der Fahrpläne von Flugges schaften zusammen, einmal
in west-östlicher Richtung einmal anders herum. Dann buchten sie, aber für eir.
Personen mehr, da sie ziemlich viel Gepäck in die Kab.-mitnehmen wollten,
nämlich vier Cäsium-Atomuhren. Beendigung der Reise verglichen sie die
Zeitanzeige der r-genommenen Uhren mit der einer zurückgebliebenen von g. cher
Bauart. Da die Uhren im Flugzeug mit ca. 720 km/h f. gen, müßten die Frequenzen
ihrer atomaren Schwingung, durch die Zeitdilatation bzw. den Dopplereffekt
beeinfiL worden sein. In der Tat stellten Joseph C. Hafele und R. Keating — so
hießen die Physiker — fest, daß die mitgenomn-. nen Uhren in westlicher
Richtung im Mittel um etwa dr Zehnmillionstel Sekunden (= 3 • 10-7s) nach —, ostwärts
u-ungefähr sechs Hundertmillionstel Sekunden (= 6 • 10-8s) i'( gingen. Bei
einer Ganggenauigkeit der Uhren von einer Bil onstel Sekunde pro Monat läßt
sich dies bequem messen. D:. unterschiedliche Vorzeichen hängt damit zusammen,
daß cl, Flug einmal mit der Erdumdrehung, das andere Mal gegen s erfolgte.
Mehrere Uhren wurden mitgenommen, weil eine ei: zelne winzige, zufällige
Gangänderungssprünge haben kan: Wird aus der mittleren Geschwindigkeit und
Flughöhe nu der relativistische Effekt errechnet, so zeigt er zwar die richt ge
Größenordnung, aber nicht den genauen Zahlenwert, de er nach der Theorie haben
müßte. Das liegt nicht daran, da die Spezielle Relativitätstheorie falsch wäre,
sondern dara: daß noch ein weiteres Phänomen hinzukommt: die Einwi - kung des
Schwerefeldes der Erde auf die Uhren. Sie führt zi. sog.
Gravitationsrotverschiebung von Frequenzen, die wir 1 Abschnitt 10.1 näher
kennenlernen. Nach Berücksichtigun_
46
dieses weiteren Effektes stimmten die beobachteten Werte mit
der Theorie innerhalb des allerdings sehr großen Fehlers überein. Aber der
Transport von Uhren als Handgepäck sollte kein Präzisions-Experiment sein,
sondern eines, das manche von uns mit geeigneter Ausrüstung machen könnten. Es
ist amüsant, daran zu denken, daß in einem Pamphlet gegen Einstein aus dem Jahr
1931 genau dieser nun gemessene Effekt als Argument gegen die Spezielle
Relativitätstheorie vorgebracht wurde: So etwas Verrücktes könne es doch nicht
geben!
Aber auch viele
Präzisions-Experimente für die Zeitdilata-tion und den Dopplereffekt wurden
gemacht, eines davon mit Hilfe der Messung der Lebensdauer von
Elementarteilchen am Beschleuniger von CERN in Genf. Die Lebensdauer von
Myonen, die in Elektronen und Neutrinos zerfallen, wurde im Flug und nach
Abbremsung auf Ruhe in einem Material verglichen. Die Zeitdilatation ist so mit
einem relativen Fehler von 3 Promille nachgewiesen worden.
Es gibt eine Reihe
anderer Anwendungen der Speziellen Relativitätstheorie bei den großen
Elementarteilchen-Beschleunigern. In ihnen werden nicht nur Myonen, sondern
meistens Elektronen (wie bei DESY in Hamburg) oder Protonen (wie bei CERN in
Genf) auf Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit gebracht. Alle diese Elementarteilchen
haben eine Ruhmasse. Wir wissen schon, daß ihre träge Masse bei wachsender
Geschwindigkeit immer größer wird. Da die Teilchen unter dem Einfluß eines
Magnetfeldes auf einer vorgegebenen Bahn in einer Vakuumröhre laufen, müssen
sich beide, das Magnetfeld und die zur Beschleunigung gebrauchte Energie,
dauernd vergrößern. Ohne Einbeziehung dieses speziell-relativistischen Effektes
würden diese Maschinen nicht funktionieren können.
Wenn Elektronen
beschleunigt werden, geben sie elektromagnetische Strahlung ab: die
Synchrotron-Strahlung. Im Ruhsystem des Elektrons, also in einem mit ihm
bewegten, ist diese Strahlung isotrop: Keine Ausstrahlungsrichtung ist
bevorzugt. Im Labor-System, dem Ruhsystem des Beschleu-
47
nigers, ist die Strahlung wegen des Aberrationseffektes c
gegen völlig um die Bewegungsrichtung der Elektronen k(-zentriert: Bei einem
y-Faktor in der Lorentz-Transformati von 10000 beträgt der Durchmesser des
Strahlenkegels 50 Metern Entfernung vom strahlenden Elektron nur ein _ Millimeter.
Der schwer zu
messende transversale Dopplereffekt wur_ an der Frequenz von y-Quanten unter
Ausnutzung der Ke7 resonanzabsorption (Mößbauereffekt) mit der Genauigk von ca.
1% bzw. mit Laserabsorptions-Spektroskopie (Z« Photonen-Absorption) mit einer
relativen Genauigkeit c Größenordnung 10-6 bestätigt. Bei der letzteren Methc.
werden zwei Lichtquanten gleichzeitig von einem Atom sorbiert. Das Experiment
wird so eingerichtet, daß diese
tonen entgegengesetzt gerichtet sind und damit der in li7
are Anteil des Dopplereffektes herausfällt, der den kleine:
des transversalen überdecken würde.
Ein Gerät schon
alltäglichen Gebrauchs in der Luft- 1. Seefahrt, das die Gültigkeit der
Speziellen (und auch der gemeinen) Relativitätstheorie voraussetzt und das viele
13t - steiger und Vermessungsingenieure dabei haben, ist das G. (Global
Positioning System-)Taschen-Meßgerät. Die Z. schrift des Deutschen Alpenvereins
hat es für ihre Mitgliü_ beschrieben. Es besteht aus Empfänger und Rechner und
arbeitet Signale, die 24 Erd-Satelliten, seit neuestem 32, senden. Wenn vier
davon Kontakt mit dem Gerät haben. kann seine Position und Höhe über dem
Meeresspiegel einfachen Ausführungen bis auf 20 oder 30 Meter, bei r. nierteren
bis auf Dezimeter genau abgelesen werden. D Genauigkeit ist nur möglich, weil
die Effekte der Zeitdil.-tion, des Dopplereffektes und der
GravitationsrotversL: bung im Rechnerprogramm berücksichtigt sind. Anderen-
würde die Positionsbestimmung um Kilometer falsch wer Hier finden wir also eine
nützliche Anwendung der Eins:. schen Theorie für jedermann. Betrüblicherweise
ist das ( für dieses satellitengestützte Vermessungs-System nur de, gen
ausgegeben worden, weil Militärs ihre Raketen genau
48
Ziel bringen wollen; aus diesem Grund kann es auch jederzeit
für den allgemeinen Betrieb gesperrt werden. Gegenwärtig ist ein ziviles
europäisches „Galilei"-Navigationssystem im Auf-bau. Die schon arbeitenden
Satelliten erlauben eine Genauig-keit von horizontal 10 m und vertikal 35 m.
Die geplante Fertigstellung in 2020 soll zu einer Genauigkeit der
Orts-bestimmung von unter 1 m führen.
Selbst zur
Berechnung von Eigenschaften mancher Festkör-per, wie etwa Gold, von denen wir
nicht vermuten, daß sie irgend etwas mit der Speziellen Relativitätstheorie zu
tun ha-ben, wird für die Beschreibung von Elektronen in den Metall-atomen mit
Vorteil eine relativististische Gleichung, die sog. Dirac-Gleichung benutzt.
Das hängt damit zusammen, daß die Geschwindigkeit von solchen Elektronen in den
relativi-stischen Bereich kommen kann.
Aus den
geschilderten verschiedenartigen Experimenten, mit denen die Spezielle
Relativitätstheorie überprüft und mit hoher Genauigkeit als eine Naturvorgänge
richtig beschrei-bende Theorie bestätigt wurde, sehen wir auch, daß die Rede
vom experimentum crucis, also einem alles entscheidenden Experiment, in der
Physik in der Regel unangebracht ist. Bis eine Theorie anerkannt ist, muß ein
ganzes Netz von sich ge-genseitig stützenden und die Theorie in verschiedener
Weise testenden Beobachtungen und Experimenten aufgebaut wor-den sein.
6. Die Geometrie der Raum-Zeit
Was ist eine
vierdimensionale Welt?
Während wir bisher Raum und Zeit zwar als über Loren
Transformationen verknüpft, aber als geometrisch seu-betrachtet haben (eine
Zeit-, drei Raumdimensionen), wol wir nun die anschauliche Interpretation der
Speziellen Re tivitätstheorie im Rahmen einer vierdimensionalen Geome:-des
Mathematikers Hermann Minkowski (1864-1909) h, anziehen. Die Zeit wird formal
als eine vierte Koordin: eingeführt und in der entstehenden „Raum-Zeit"
ein ne, Abstandsmaß definiert. Das bedeutet weder, daß Raum n Zeit nun
gleichartig sein sollen, noch daß dem „Raum" e. übersinnliche vierte
Dimension zusätzlich zugeteilt w:-Henry More (1614-1687) aus der Platonikerschule
Universität Cambridge hat sich eine vierte, von Geist, bevölkerte Dimension
ausgedacht. Auch der durch s, Photometer zur Vermessung von Sternen bekannt
gewordu Astrophysiker Johann C. F. Zöllner (1834-1882) in Lei p: spielte — sehr
zum Entsetzen seiner wissenschaftlich Kollegen — mit der Idee einer vierten
Raumdimension, in Knoten entwirrt und Dinge aus versiegelten Schacht, entfernt
werden könnten.' Mit solchem Schnickschnack :die Minkowskische „Raum-Zeit"
nichts zu tun; sie ist gedachter Hilfsraum zur „Veranschaulichung", eine
Rech, stütze. Wir befassen uns nun mit der Geometrie dieses Hi - raumes.
Heute regen sich
theoretische Physiker über zusätzliche Rauradirr sinnen nicht mehr auf. In
Überlegungen, die die fundamentalen Weck wirkungen in einer einzigen Theorie
„vereinheitlichen" wollen, wie in String- oder Kaluza-Klein-Theorie,
treten u.a. 10 bzw. 26 Raumdia_ sinnen auf. Da sie nicht direkt gefunden worden
sind, müssen sie ch..-geeignete Interpretationen unbeobachtet gemacht werden.
50
6.1 Der Minkowski-Raum
In der neuen Abstandsfunktion D in den vier Dimensionen von
Raum und Zeit werden die vorher getrennten Abstands-maße des Raumes und der
Zeit auf eine auf den ersten Blick merkwürdig erscheinende Weise
zusammengesetzt: D2 = I c2(A t)2 — (A x1)2 — (Ax2)2 — (A x3)2 I. Für A t = 0
bekommen wir den Euklidischen Abstand D = d, für Ax, = 0, (i= 1,2,3) die Länge
des Zeitintervalls (multipliziert mit c). Wir bemerken aber, daß der neu
definierte „Raum-Zeit-Abstand" D ver-schwinden kann, selbst wenn das Zeitintervall
A t und die Raumintervalle Axt, Axt, Ax3 von Null verschieden sind: Es gibt
entfernte Ereignisse mit Raum-Zeit-Abstand Null! An der gerade gegebenen
Definition von D sehen wir, daß dies genau dann eintritt, wenn c2 (A t)2 .= (A
x)2 gilt (wir haben uns nun auf eine Raumdimension beschränkt). Durch diese
Gleichung wird die Lichtkugel mit Radius c.At beschrieben: Längs der Bahn von
„Lichtstrahlen" ist das Längenmaß in der vierdi-mensionalen Raum-Zeit
immer gleich Null. Die Projektion in den Anschauungs-(Gleichzeitigkeits-)Raum
führt aber auf ei-nen von Null verschiedenen Abstand d, wie es sein muß: Wenn
ein Lichtstrahl etwa durch staubige Luft kenntlich ge-macht ist, läßt sich
seine Erstreckung d zwischen verschiede-nen Punkten auf seinem Weg natürlich
als räumlicher Ab-stand messen, auch wenn der „Abstand" D in der Raum-Zeit
verschwindet (vgl. Abb. 6).
In Abschnitt 2.3
sahen wir, daß die Raum-Zeit durch den Lichtkegel im Ursprung in zwei Bereiche
unterteilt wird, die entweder mit ihm kausal verknüpft sind (der Lichtkegel und
sein Inneres) oder nicht („Anderswo"). Richtungen innerhalb des
Lichtkegels nennen wir zeitartig, Richtungen außerhalb raumartig und solche auf
dem Lichtkegel lichtartig. Bahnen von Teilchen mit nicht verschwindender
Ruhmasse müssen innerhalb des Lichtkegels verlaufen. Raumartige Richtungen
verbinden gleichzeitige Ereignisse. Daher können wir das Ge-biet außerhalb des
Lichtkegels Gleichzeitigkeits-Gebiet des Ursprungs nennen. Für jeden Punkt p
aus diesem Gebiet gibt
51
Abb. 6:
Raum-Zeit-Charakter von Richtungen im Minkowski-Rau Die vom Ursprung in das
Innere des Lichtkegels gerichteten Vektor - sind die zeitartigen, die in seinen
Außenraum gerichteten die raumar _
es einen bewegten Beobachter, für den der Ursprung un _ gleichzeitige
Ereignisse darstellen. Im Raum-Zeit-Diagra:-entsprechen die durch den Ursprung
gehenden Geraden ßerhalb des Lichtkegels daher den Gleichzeitigkeits-Räur In
der drei-dimensionalen Welt sind das die Anschaut:T-räume von gegeneinander mit
konstanter Geschwindig bewegten Beobachtern. In der Newtonschen Raum-2:
Auffassung ist der allen Beobachtern gemeinsame Gleic:-. tigkeits-Raum durch
den Ursprung im Raum-Zeit-Diagr:. durch die x-Achse dargestellt: Vor- und
Nachkegel sind einem Halbraum ( t?_ 0 bzw. t 0 ) aufgeweitet.
Minkowski-Geometrie
und Newtonsche Raum-Zeit-( metrie sind beide in dem Sinne absolut, als das
Minkov sche Abstandsmaß D im ersten Fall, die Inertialzeit unc Euklidische
Abstandsmaß d im zweiten Fall ohne jede hung zur Materie fest vorgegeben sind.
Die Auffassunger.
52
terscheiden sich darin, daß Raum und Zeit in der
Minkowski-Geometrie miteinander verkoppelt sind, weil Raum- und Zeitmessung
wegen der Uhrensynchronisation nicht mehr un-abhängig voneinander ausgeführt
werden können. Während in der Newtonschen Mechanik eine Uhr das
Inertialzeit-Intervall Lt mißt, lautet die Meßvorschrift für die Zeit in der
Speziellen Relativitätstheorie: Eine beliebig bewegte Uhr misst die Zeit D/c,
die sog. Eigenzeit. Für eine längs der x-Achse bewegte Uhr folgt demnach D/c =
.N1-1 — v2/c2 mit der Ge-
schwindigkeit v Definierten
wir die Geschwindigkeit als
Zeitableitung des Weges nach der Eigenzeit statt nach der
Inertialzeit und den Impuls mit der Ruhmasse anstelle der trä-gen Masse, so
tritt im Impuls ein y-Faktor auf. Schlagen wir ihn zum Massenterm und
definieren so die relativistische trä-ge Masse, so wird die in Abschnitt 4.3
angegebene Abhängig-keit der Masse von der Geschwindigkeit verständlich (vgl.
Mathematischer Anhang).
6.2 Anwendungen der Raum-Zeit-Formulierung
Für die Bezeichnung eines Punktes im Minkowski-Raum hat sich
der Name „Ereignis" eingebürgert: Zu einer Zeit, an einem Ort geschieht
etwas. Das ist aber ein sprachlicher Mißgriff: Das Geschehen, etwa ein
Lichtblitz oder ein Zusammentreffen von Massen, ist nicht in den Koordinaten
der Raum-Zeit enthalten, sondern muß durch zusätzlich eingeführte Größen
beschrieben werden. Entsprechend zu den Verhältnissen im Euklidischen Raum wird
nun eine Vektorrechnung im Minkowski-Raum benutzt: Dabei haben die sog.
Vierervektoren vier Komponenten. Der Ortsvektor mit den Komponenten (ct, x1,
x2, x3) wird aus den Raumkoordinaten und der Zeit gebildet, so daß das Quadrat
seiner Norm gerade mit dem Minkowskischen Abstandsmaß übereinstimmt.1 Ein Ereignis
wird durch einen Ortsvektor charakterisiert. Die Änderung
1 Die Norm II X II eines Vektors ist die „Länge" des
ihn darstellenden
Vektorpfeils. In Abb. 6 ist IX I 11X 11.
53
des Orts(Vierer-)vektors nach der Eigenzeit ist die
Vie-Geschwindigkeit. Analog können Energie E und Im- P = (pi, P2, p3) eines
Körpers zu einem Vierervektor, Viererimpuls mit Komponenten (E/c, pi, p2, p3)
zusamr-. gefügt werden, dessen Norm mirabile dictu gerade die R masse m(0)c
ist, wenn der Viererimpuls als Ruhmasse mal rer-Geschwindigkeit angesetzt ist.
In einem Energie-Imp _ Diagramm analog zum Raum-Zeit-Diagramm liegen alle einer
festen Ruhmasse gehörenden, vom Ursprung abgetr nen Viererimpulse auf einem
zweischaligen Hyperboloid. Massenschale. Setzen wir für E die Einsteinsche Formel
E = und für den Impuls seine Definition „träge Masse mal schwindigkeit"
ein, so folgt nach einer einfachen Rechr _ aus der Beziehung für die Norm des
Viererimpulses erneu: in Abschnitt 4.3 angegebene Relation zwischen träger M.
und Ruhmasse.
Die Beschreibung
elektromagnetischer Vorgänge ver, facht sich erheblich, wenn die je drei
Komponenten des e trischen Feldes E und der magnetischen Induktion B zu e
einzigen Größe mit sechs Komponenten verschmolzen den. Als Minkowski die
Raum-Zeit-Formulierung gerade deckt hatte, wurde diese Größe
„Sechser-Vektor" gena:-diese Darstellung wird heute nicht mehr benutzt.
Staude, dient jetzt eine schiefsymmetrische, quadratische Matrix -vier Zeilen
und vier Spalten mit ihren sechs von Null versc-denen Komponenten, der sog.
Feldstärke-Tensor, zur be achterunabhängigen Beschreibung des elektromagnetisc
-Feldes. Es ist das Objekt, das sich unter Lorentz-Transfor tionen richtig
transformiert. Wir wissen, daß eine in eir Inertialsystem I ruhende Ladung, von
einem dagegen bev. ten Inertialsystem I' aus betrachtet, wie ein elektrischer
St-wirkt. In I' wird also neben dem elektrischen Feld E auch Magnetfeld B
beobachtet. Relativbewegung verkoppelt _ beiden Felder. In der relativistischen
Formulierung sind Grundgleichungen des elektromagnetischen Feldes, die n_
vielen Jahrzehnten intensiver Forschung schließlich von Ja:-Clerk Maxwell ( 1 8
3 1-1 8 79 ) vervollständigt wurden, die
54
fachst denkbaren relativistischen Gleichungen. Obgleich zu
Maxwells Zeit niemand etwas von der Speziellen Relativitäts-theorie ahnte.
Hinterher sind wir immer klüger! Wir wissen jetzt sogar, wie die Gleichungen
erweitert werden müßten, wenn magnetische Punktladungen, die sog. magnetischen
Mo-nopole, von den Experimentalphysikern nachgewiesen wür-den. Nach einigen,
allerdings sehr spekulativen Theorien sollen solche Teilchen im frühen Kosmos
in großen Mengen vorgekommen sein.
Die Verknüpfung von
elektrischem Feld und magnetischer Induktion zu einem Objekt, dem
elektromagnetischen Feld-stärketensor, spiegelt die Zusammenfassung der
elektrischen und magnetischen Phänomene zu einer einheitlichen Be-schreibung
wider. Dies gilt als ein Paradebeispiel für die Zu-rückführung von zunächst als
verschieden betrachteten Gebie-ten (Elektrizität, Magnetismus) auf eine
grundlegende Theorie (Vereinheitlichung von Theorien, bzw. umgekehrt,
Theorien-Reduktionismus).
Die Spezielle
Relativitätstheorie findet nicht nur in der klas-sischen Mechanik und
Elektrodynamik ihre Anwendung, son-dern insbesondere in der relativistischen
Quantenfeldtheorie und Elementarteilchentheorie.
Neben den Tensoren
folgen weitere Größen, die sog. Spino-ren aus der Betrachtung der
Lorentzgruppe. Sie werden zur Darstellung von Teilchen mit ungeradem Spin wie
etwa den Elektronen mit Spin 1/2 gebraucht. Der Spin ist ein innerer, d. h.
nicht in der Raum-Zeit wirkender, Drehfreiheitsgrad von Elementarteilchen, der
vom Bahndrehimpuls unterschieden werden muß. Elektronen werden durch die
spinorielle Dirac-Gleichung beschrieben.
7. Trägheit und Schwere
Was ein fallender Apfel und ein Karussell
gemeinsam haben
Gehen wir nun von der Speziellen in Richtung auf die A i
meine Relativitätstheorie weiter. Der ursprüngliche Weg E steins führt zu einer
Verallgemeinerung des Begriffs des tialsystems.
Es seien das genähert
orts- und zeitunabhängige konst.-: Schwerefeld in unserer Umgebung und eine
darin frei fallt-Masse betrachtet. In einem mit dieser Masse verbunden _
dachten Bezugssystem, dem berühmten Einsteinschen Fa stuhl, wirkt wegen des
Äquivalenzprinzips keine Schwerk:-mehr. Dahinter steckt, daß wir in der
Newtonschen The, durch Übergang in ein Nicht-Inertialsystem, wie das frei
lende, ein homogenes Schwerefeld zum Verschwinden brin _ können. Daß dies keine
Phantasie, sondern Wirklichkeit kennen wir von den Raumfähren im Schwerefeld
der Erde - den in ihnen schwebenden Astronauten; sie fallen zwar n:_ auf den
Erdmittelpunkt zu wie der „Fahrstuhl", sondern k- sen um ihn. Die
anziehende Schwerkraft wird bei ihnen du - die abstoßende Zentrifugalkraft kompensiert.
Auf der F -oberfläche werden Falltürme wie der in Bremen benutzt, ur-für einige
Sekunden — die Auswirkungen der Schwerelosig, etwa auf den
Kristallisationsvorgang in einer Schmelze studieren.
Wenn in einem frei
fallenden Bezugssystem keine zusät. chen Kräfte wirken, wird sich ein darin
befindlicher Mas punkt in Ruhe oder geradlinig-gleichförmiger Bewegung finden.
Von nun an nennen wir ein im Gravitationsfeld - fallendes Bezugssystem
Inertialsystem. In ihm soll die spei-relativistische Physik gelten.
Strenggenommen allerdings wenn das Inertialsystem örtlich und zeitlich eng
begrenzt da sonst die oben gemachte Voraussetzung eines konstar - Schwerefeldes
nicht zutreffen kann.
56
7.1 Die Machsche Idee
Wie das Beispiel der frei fallenden Satelliten zeigt, können
Trägheitsfelder Gravitationsfelder kompensieren, sind ihnen irgendwie verwandt.
Vielleicht sind es die zwei Seiten einer Medaille wie beim elektrischen und
magnetischen Feld, den beiden Erscheinungsformen des elektromagnetischen
Feldes. Ein Einwand liegt nahe: Schwerefelder haben Quellen, die schweren
Massen; welche „Quellen" entsprechen den Träg-heitsfeldern? Sie entstehen
doch anscheinend nur beim Über-gang auf ein beschleunigtes Bezugssystem? Ernst
Mach ver-mutete, wie wir in Abschnitt 2.1 bemerkt haben, daß die Beschleunigung
relativ zu den Sternen betrachtet werden müs-se. Mit den heutigen Kenntnissen
müßten wir statt der Sterne die großräumige Verteilung der Massen im Kosmos
nehmen. Nach dieser Idee würde ein Schwerefeld immer vorhanden sein, wenn
einzelne schwere Massen existieren. Ein Trägheits-feld würde sich zeigen, wenn
sich ein Körper relativ zu dessen Feldquelle, der gesamten Materie im Kosmos,
beschleunigt bewegt. Der fallende Apfel würde in dieser Sicht vom
Gravi-tationsfeld der Erde beschleunigt, das rotierende Karusell von der
kosmischen Materie.
Könnte diese die
„Quelle" der Trägheitsfelder sein? Wie soll das funktionieren? Wenn
unerwartet die U-Bahn bremst, haben mich dann die Sterne in fernen Milchstraßen
umgewor-fen? Ein einfacher Kausalzusammenhang ist nicht zu sehen. Der Zugführer
bremst plötzlich, weil ein Signal auf Halt ge-gangen ist. Das haben nicht die
Sterne verursacht, sondern das automatisierte Stellwerk aufgrund der
Informationen über andere U-Bahnzüge. Information von den Galaxien zu uns
bräuchte wegen der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit Jahrtausende, ja
Jahrmillionen, bis sie uns erreichte. Da sind die U-Bahnwagen längst verrottet.
So kann es nicht gehen!
Aber der Feldbegriff
könnte der Retter in der Not sein. Wenn Trägheitsfelder ähnlich wie ein
Gravitationsfeld durch die großräumige Massenverteilung im Kosmos erzeugt
werden würden, gäbe es an jedem Ort zu jeder Zeit einen bestimmten
57
Wert für das Trägheitsfeld. Auf diesen Feldwert würde die
Bahn reagieren. Aber auch diese Vorstellung ist nicht haltt-da U-Bahnen plus
kosmische Materie kein abgeschlossc. System bilden. Wenn sich ein Verzweifelter
vor den Zug «• und eine Notbremsung verursacht, müßten die fernen kos-schen
Massen dies vorher gewußt haben, damit sich das kale Trägheitsfeld entsprechend
einstellen konnte. Genau c selbe trifft auf ein Karussell zu, wenn sein Motor
willkür an- oder abgestellt wird. Die Machsche Idee könnte allem: auf die physikalische
Beschreibung der großen Himmels]: per wie der Planeten, Sterne, Galaxien, deren
Bewegung stand wir Menschen nicht willkürlich zu ändern vermögt angewandt
werden.
7.2 Das Potential von Schwere und Trägheit
Die uns heute unwichtig vorkommende Vorstellung NL-spielte
in der Entwicklung der Allgemeinen Relativitätsthe durch Einstein eine
bedeutende Rolle. Ausgangspunkt sein Versuch, das Relativitätsprinzip über die
Inertialsyst der Speziellen Relativitätstheorie hinaus auf beliebig schleunigte
Bezugssysteme zu verallgemeinern. Dabei kar die Trägheitskräfte und der Gedanke
an die sie komper.-renden Gravitationskräfte ins Spiel. Die Allgemeine Rela:
tätstheorie wurde daher zwangsläufig zu einer Theorie Gravitation. In ihr sind
Trägheit wie Gravitation durch selbe Größe dargestellt: die Riemannsche Metrik,
das - standsmaß einer neuen, der sog. Riemannschen Geometrie Kapitel 8 ist dies
ausgeführt). Gebraucht wird nur, daß > an einem beliebig wählbaren Punkt in
der Raum-Zeit dr:-Übergang auf ein bestimmtes Koordinaten(Bezugs-)syste--eben
das frei fallende System — das Riemannsche Absta:-maß in die Form des
Abstandsmaßes der Minkowski-C metrie überführen läßt. Da die Komponenten der
Riem: schen Metrik sowohl Gravitations- als auch Trägheitspc - tiale darstellen,
können diese in einem beliebigen Ereigne Null gemacht werden.
58
Schwere- bzw.
Trägheitsfe/d sind die raum-zeitlichen Änderungen von Gravitations- bzw.
Trägheitspotential. Sie werden in einer Größe zusammengefaßt, die nach dem
Mathematiker Elwin Bruno Christoffel (1829-1900) benannt und deren Symbol auf
seinem Grabstein eingemeißelt gewesen sein soll. Eben dieses sog.
Christoffel-Symbol muß in einem beliebigen Punkt der Raum-Zeit durch Einführung
eines geeigneten (frei fallenden) Bezugssystems zum Verschwinden gebracht
werden können. Das ist ganz anders als beim elektromagnetischen Feld: Fehlt
dieses in einem Bezugssystem, so auch in allen anderen. Der Begriff des
Schwerefeldes ist also radikal beobachterabhängig: Für den einen Beobachter
existiert es, für den anderen nicht. Beobachterunabhängige Meßgrößen sind erst
die zeitlichen wie räumlichen Gradienten des Schwerefeldes, die — etwa im
Erde-Mond-Sonne-System — Ebbe und Flut hervorbringen.
8. Gravitation und Geometrie
Warum die Uhr auf dem Mount Everest vorgeht
Aus den Kapiteln 1 und 6 wissen wir, daß sowohl in
vorrelativistischen wie in der relativistischen Raum-I (Minkowski-Geometrie)
räumliche und zeitliche Abstände den Differenzen der Raum- und Zeitkoordinaten
berec' werden. Mit der vorhandenen Materie haben sie nicht, tun. Das Neue an
der Allgemeinen Relativitätstheorie ist n daß die Materieverteilung, genauer
ihre Energie-, Impuls- - Spannungsverteilung in Raum und Zeit, die
Längen-Zeitmessung beeinflußt.
8.1 Verallgemeinerung der Minkowski-Metrik
Wie eben angedeutet, wird eine neue vom Gravitationsp, tial
abhängige Abstandsdefinition eingeführt. Die einfa, Annahme, mit der Einstein
ursprünglich begann, war. die Lichtgeschwindigkeit c vom Schwerepotential abha
sollte. Er multiplizierte sie im Abstandsmaß der Minko \ Geometrie mit einer
raum- und zeitabhängigen Funktion - daß die neue Metrik lautet: 52 = !Axt, x2,
x3)c2(3. t)2 — (2_ — (Ax2)2 — (Ax3)2 I. Für schwache Gravitationsfelder die
Funktion f mit dem Newtonschen Gravitationspot-eib über f = 1 — 2 f:
zusammenhängen (vgl. Mathemati, Anhang).
Damit war Einstein
in der Lage, den Einfluß eines vitationsfeldes auf den Uhrengang zu
beschreiben; für ruhende Uhr (Axt = Ax2 = Ax3 = 0) ist das Eigenzeitinn-5/c =
et = (1 — cIelc2) At, hängt also vom Schwerepon
* ab. Da eine Frequenz umgekehrt proportional zum Z tervall
der Schwingung ist und dieses durch D gegeben läßt sich ausrechnen, wie der
Uhrengang vom Gravita7 feld der Erde beeinflußt wird: Je höher die Uhr über
Meeresspiegel plaziert ist, desto mehr geht sie vor. I-
60
Vergleich des Gangs von Atomuhren auf einem Gebirgsplateau
und am Meeresstrand ist das genau bestätigt worden. Auf 100 Meter
Höhendifferenz macht der Gangunterschied etwa eine Milliardstel Sekunde aus.
Die Uhr auf dem Mount Everest geht also vor, weil die Gravitationsanziehung auf
diesem Gipfel schwächer ist als auf Meereshöhe. (Vgl. auch Abschnitt 10.1 bei
der Diskussion der Gravitationsrotver-schiebung.)
Aber diese Idee
mußte noch verändert werden: Die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c ist eine
Naturkonstante und kann sich in Gegenwart eines Schwerefeldes nicht ändern.
Einsteins Ziel war, die Bevorzugung der geradlinig-gleichförmig bewegten
Inertialsysteme in der Speziellen Relativitätstheorie zu beseitigen. Wir
wissen, daß in beschleunigten Bezugssystemen, wie etwa auf einer rotierenden
Scheibe, Trägheitskräfte auftreten. Die Umrechnung des Minkowskischen
Abstandsmaßes auf ein mit der Scheibe gleichförmig mitdrehendes Bezugssystem
ergab nun einen ähnlichen Ausdruck wie oben, nur daß 1) nicht mehr das
Schwerepotential, sondern das Potential der Zentrifugalkraft darstellte. Das
versuchsweise eingeführte Abstandsmaß D kann also dem Übergang auf ein ganz
spezielles, momentan beschleunigtes Bezugssystem entsprechen. Denken wir an
andere Fälle, wie etwa an ein beschleunigt rotierendes System oder noch
kompliziertere Situationen, so zeigt die Rechnung, daß das Abstandsmaß der
Minkowski-Geometrie die folgende Form bekommen muß — wenn wir zur Vereinfachung
wieder nur eine Raumdimension anschreiben:
152 = a(t, x1)c2(At)2 + 2b(t, x1) Lt • Axi + c(t, xi)(Axi)2.
Wir sehen hier drei freie Funktionen a, b und c, die
Komponenten der Metrik, unter denen wir uns verschiedene Träg-heitspotentiale
vorstellen müssen. Kommen die weiteren kartesischen Raumkoordinaten x2 und x3
hinzu, so können im Abstandsmaß insgesamt zehn freie Funktionen als
Vorfakto-ren der zehn möglichen (quadratischen) Produkte von At, Axi, 0x2 und
Ax3 auftreten. Alle haben etwas mit relativistischen Trägheitspotentialen zu
tun. Glücklicherweise werden
61
wir sie wieder los, wenn wir zurück in ein Inertialsystem
hen: An der Minkowski-Geometrie hat sich nichts geändert.
8.2 Riemannsche Geometrie
Nun kommt die entscheidende gedankliche Erweiterur. _ Wenn
das Gravitationsfeld an einem Ort (zu einer Zeit) dur, Übergang in ein frei
fallendes Bezugssystem zum Verschw:-den gebracht werden kann (Erdsatellit,
Fahrstuhl-Gedanke-experiment), so teilt es diese Eigenschaft mit dem Träghei:
feld. Einstein entschloß sich daher, das Gravitationsfeld :• Abstandsmaß der
Raum-Zeit formal gleich wie ein Tr,:_ heitsfeld zu behandeln: Die zehn freien
Funktionen im A standsmaß müssen demnach sowohl Gravitations- wie au..
Trägheitspotentiale beschreiben. Folgender entscheidenc Unterschied zwischen
den beiden Feldtypen besteht: Liegt Gravitationspotential vor, so kann das
Abstandsmaß nur einem Ort (zu einer Zeit) in die Minkowskische Form bracht
werden; werden; für ein Trägheitspotential dagegen kann gleichermaßen in jedem
Ort (zu jeder Zeit) erreicht werden.
Den Gedanken, für
Schwere und Trägheit müsse eine g meinsame Theorie entwickelt werden, hatten
schon 1896 c Berliner Brüder Benedict und Immanuel Friedländer
geäuße7-Immanuels Experimente in einer Fabrik in Peine mit eint:: großen
Schwungrad waren erfolglos gewesen. Der Versuc-die Newtonsche Theorie im
Machschen Sinne umzubaueT scheiterte.
Um seine Gedanken
der Berechnung zugänglich zu mache - benutzte Einstein auf Anraten eines
Freundes, des Zürich _ Mathematikers Marcel Großmann (1878-1936), eine vc -
handene Theorie des Göttinger Mathematikers Bernha-Riemann (1826-1866). Er war
der erste, der die Geometr der zweidimensionalen Flächen auf beliebige
Raumdimensi nen verallgemeinerte. In seiner Geometrie bestimmt das A- standsmaß
die Raumintervalle und alle weiteren Struktur, wie etwa den Vergleich von
Richtungen in entfernten Ort, oder eine mögliche Krümmung eines solchen
höherdimensi
62
nalen Raumes. Damals war das eine rein mathematische
Theorie, „nutzlos" in dem Sinne, daß sie nicht zu neuen Arbeitsplätzen
führte. Aber schon Riemann deutete an, daß seine Geometrie von Bedeutung werden
könne, wenn zukünftige Erfahrung zeige, daß die Euklidische Geometrie zum
Verständnis der Natur nicht ausreicht. Heute wissen wir, daß die Situation so
ist. Arbeitsplätze sind zudem entstanden, nicht nur in der Raumfahrt-Forschung,
sondern auch für die Konstruktion und Produktion der geschilderten
Positionsmeßgerä-te (GPS-Geräte; vgl. Abschnitt 5).
Der erste, der die
Riemann-Geometrie mit der Physik verknüpfen wollte, der Geometer William
Kingdon Clifford (1845-1879), kam über geniale Vermutungen nicht hinaus. Den
Abstandsbegriff in Raum und Zeit von einem physikalischen Phänomen wie der
Schwerkraft abhängig zu machen, bedeutete eine geistige Revolution. Hatte nicht
Kant den euklidischen Raum als eine a priori-Voraussetzung unseres Denkens nachgewiesen?
Und nun sollte die Abstandsmessung in Raum und Zeit auf „Zufälligkeiten"
in der Welt wie dem Schwerefeld von Erde, Sonne und den Sternen zurückzuführen
sein? Das lehnten viele Zeitgenossen Einsteins ab. Die Naturwissenschaft kann
aber auf keine noch so geniale Gedankenlogik Rücksicht nehmen: Sie unterwirft
ihre Schlußfolgerungen reproduzierbaren Experimenten und wiederholbaren
Beobachtungen. Daß dieses Verfahren ebenfalls erkenntnistheoretische Fragen
aufwirft, steht auf einem anderen Blatt.
Ein Schlüsselbegriff
der Riemannschen Geometrie ist der sog. Krümmungstensor, eine vielkomponentige
Größe, die sich aus dem Abstandsmaß und ihren ersten und zweiten Ableitungen
nach Orts- und Zeitkoordinaten zusammensetzt. Ein Tensor kann wie ein Vektor für
keine Wahl eines Bezugssystems zum Verschwinden gebracht werden, es sei denn
alle seine Komponenten seien sowieso Null. Auf die Allgemeine
Relativitätstheorie bezogen, bedeutet dies, daß die Krümmung der Raum-Zeit eine
beobachtbare Größe ist und etwas mit dem Schwerefeld zu tun hat. Wenn das
Abstandsmaß den relativistischen Gravitationspotentialen entspricht, so seine
63
erste Ableitung dem Gravitationsfeld und die Krümmung
räumlichen und zeitlichen Gradienten des Gravitationsfels. also der Änderung
der Schwerkraft von Ort zu Ort und Laufe der Zeit. Insbesondere folgt aus
verschwinden: Krümmung, daß gar kein Gravitationsfeld vorhanden
höchstens Trägheitsfelder gegeben sind. Die MinkoN‘ -
Geometrie der Speziellen Relativitätstheorie ist unter die-
Gesichtspunkt ein Spezialfall der Riemannschen Geome: -Diese
Raum-Zeit ist ungekrümmt, oder — wie man auch sa flach; alle Komponenten des
Krümmungstensors versch. den. Insoweit die Allgemeine Relativitätstheorie die
Ra _ Zeit mit Hilfe der Riemannschen Geometrie beschreibt. der Begriff der
Schwerkraft überflüssig geworden, weil d geometrische Größen ersetzt. Dieser
Sachverhalt wird "C-metrisierung" der Schwerkraft genannt.
9. Krümmung und Materie
Wenn Geradeausfahrt
Rückkehr zum Ausgangspunkt bedeutet
9.1 Äußere und innere Krümmung
Ein Weg krümmt sich, wenn er von der geraden Linie abweicht;
ein Rücken ist gekrümmt, wenn er sich von einer ebenen Fläche mehr oder weniger
abwölbt. Hier bedeutet Krümmung die äußere Krümmung einer Kurve (der Straße)
oder einer Fläche (des Bergrückens) in den uns umgebenden, dreidimensionalen
Anschauungsraum hinein. In der Newton-schen Mechanik und in der Speziellen
Relativitätstheorie wird er durch die Euklidische Geometrie beschrieben. Was
aber bedeutet äußere Krümmung für diesen Anschauungsraum selbst? Es gibt keinen
Raum mit vier oder mehr Raumdimensionen, in den er sich hineinkrümmen könnte,
günstigstenfalls die vierdimensionale Raum-Zeit. Wichtiger als die äußere
Krümmung ist für uns daher der Begriff der inneren Krümmung. Um zu verstehen,
was er aussagt, überlegen wir uns, daß es innere Maße für Krümmung gibt, die
nicht auf einen die gekrümmte Fläche umgebenden Einbettungsraum angewiesen
sind. Einfaches Beispiel ist die Winkelsumme im Dreieck. Nach dem
Schulunterricht beträgt sie für ein ebenes Dreieck 180 Grad.
Für eine gekrümmte
Fläche ist die Winkelsumme im Dreieck dagegen größer oder kleiner. Im ersten
Fall heißt die Fläche positiv, im zweiten Fall negativ gekrümmt. Das hat der
berühmte Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1777-1855) in seinem Theorema
egregium (1828) bewiesen. Aber was heißt „Dreieck" auf einer gekrümmten
Fläche? Dort können seine Seiten in der Regel nicht mehr geradlinig sein. Aber
sie können als die kürzesten Verbindungen der Eckpunkte des Dreiecks eingeführt
werden. Auf der Erdkugel ist ein solches Dreieck z.B. gegeben durch die
Längenkreise durch Greenwich (0 Winkelgrad) und 90 Winkelgrad östlicher Länge,
die sich
65
am Nordpol mit 90 Grad schneiden, und durch das Stück .
Äquators zwischen ihnen. Das sind alles Großkreise auf . Kugel, die kürzesten
Verbindungslinien zwischen zwei Pn ten. Die Winkelsumme in diesem Dreieck auf
der Kugel trägt 90 + 90 + 90 = 270 Winkelgrad! Die Erdoberfläche also eine
Fläche positiver innerer Krümmung. Entspreche.. innere Maße für die Krümmung
gelten für dreidimensio:-Räume. Allerdings gibt es keinen direkt entsprechenden
für die Summe der Raumwinkel in Pyramiden mit dreieck _ oder viereckiger
Grundfläche.
Den Unterschied
zwischen äußerer und innerer Krümm . erkennen wir etwa an einer in der Mitte
durchgeschnittu und ausgelöffelten Pampelmuse, die wir als Beispiel für
gekrümmte Fläche wählen. Sehen wir in sie hinein. krümmt sie sich auf den
Beobachter zu; das bedeutet, daß _ Fläche konkav ist. Drehen wir sie herum, so
krümmt sie vom Betrachter weg, ist also konvex. Ihre innere Krümm. ist aber
dieselbe geblieben; sie hängt nicht von der Lage Fläche im dreidimensionalen
Raum ab: Als Teil einer oberfläche bleibt sie eine Fläche positiver (innerer)
Kr. mung. Wenn wir im folgenden von Krümmung sprechen. ist immer diese innere
Krümmung gemeint.
Während es für eine
Fläche im dreidimensionalen Raun-. ne anschauliche Vorstellung sowohl der
äußeren wie der i:-ren Krümmung gibt, gelingt dies mit dem Anschauungsr.
selbst, einem drei-dimensionalen Raum, nicht. Um so m. wenn die Krümmung der
vierdimensionalen Raum-Zeit trachtet werden muß, wie es die Allgemeine
Relativitätst:-rie verlangt. Zwar kann wieder eine äußere Krümmung ir nem
gedachten fünf-dimensionalen Raum eingeführt wer,: nur vorstellen können wir
uns den nicht. Für vierte und fir-Dimensionen fehlt uns das Sinnesorgan. Die
innere Kr. mung der dreidimensionalen Gleichzeitigkeits-Räume der
vierdimensionalen Raum-Zeit wird durch eine in geometrische Größe der
Riemannschen Geometrie besc-ben, analog zur Charakterisierung der Flächenkrümn:
durch die Winkelsumme eines Dreiecks. Diese Größe ker.-
66
wir schon: es ist der Riemannsche Krümmungstensor. Während
er für eine Fläche eine einzige unabhängige Größe darstellt, die sog. Gaußsche
Krümmung, faßt er für einen dreidimensionalen Raum wie den Anschauungs-Raum
schon 6 und für die vierdimensionale Raum-Zeit sage und schreibe 20(!)
unabhängige Komponenten zusammen. Nur in einfachen Fällen, etwa bei einem
dreidimensionalen Raum konstanter positiver Krümmung, aus dem durch Schnitte
Kugelflächen
entstehen, reduzieren sich die vielfältigen Freiheitsgrade
des Krümmungstensors und können ein bißchen anschaulicher gemacht werden.
Das Schwerefeld
zeigt sich in seinem Einfluß auf die Bewegung sonst kräftefreier Körper. Könnte
es „abgeschaltet" werden, würden sie sich geradlinig weiterbewegen.
Geraden können durch zwei verschiedenen Eigenschaften charakterisiert werden.
Einmal bilden sie die kürzeste Verbindungslinie zwischen zwei Punkten. Zum
anderen erscheinen sie uns als die geradesten Kurven in dem Sinne, daß eine
einmal eingeschlagene Richtung durch die Bahn dauernd aufrechterhalten wird.
Kurven mit solchen Eigenschaften muß es auch auf krummen Flächen geben: Was ist
die kürzeste Verbindungslinie von zwei Punkten auf einer Kugel? Was ist die
geradeste Verbindungslinie auf einer Zylinderfläche? Die Antwort auf die erste
Frage nutzen die Fluggesellschaften, wenn sie den Kerosinverbrauch ihrer
Düsenflugzeuge minimieren wollen: Der Flug muß so lange wie möglich längs eines
Großkreises um die Erde erfolgen. Auf der Erdoberfläche wird er durch eine
gedachte Ebene durch Start- und Zielpunkt sowie den Erdmittelpunkt
ausgeschnitten. Beispiele für Großkreise wie den Erdäquator und die
Längenkreise sind schon gegeben. Die Antwort auf die zweite Frage erfordert
eine Fallunterscheidung. Eine Kurve auf dem Zylinder, die in einer Richtung
parallel zur Zylinderachse beginnt und die geradeste werden soll, ist eine
Gerade. Eine Kurve, die ihre Anfangsrichtung beibehält, in einer Ebene
senkrecht zur Achse (in der Mitte) des Zylinders ist ein Kreis, kommt also zum
Ausgangspunkt zurück. Schließlich windet sich eine Kurve, für die anfänglich
67
eine beliebige andere Richtung eingestellt wurde, um den Z-.
linder herum, ohne je zum Ausgangspunkt zurückzukomme:-Direkte Nachprüfung
zeigt, daß sowohl auf der Kugel wie dem Zylinder kürzeste und geradeste Kurven
zusammenfalle: Das gilt allgemein: In der Riemannschen Geometrie stimme beide
Begriffe überein, so daß wir nicht zwischen den kürz: sten Kurven, den sog.
Geodäten, und den geradesten Kurve:-den sog. Autoparallelen, unterscheiden
müssen. Geradeau - fahrt auf der Kugeloberfläche bedeutet, daß die Bahn läng
eines Großkreises verläuft, also geschlossen ist. Stellt d, Flugkapitän den
Autopilot ein und legt sich lange gern _ schlafen, so kann er sich beim
Aufwachen wieder in der Mil-des Abflughafens befinden.
Während in der
Newtonschen Mechanik und in der Spe z ellen Relativitätstheorie die Bahnen
kräftefreier Teilche durch gerade Linien dargestellt werden, führt die
Allgemein Relativitätstheorie folgende Zuordnungsvorschrift ein: D Bahnen sonst
kräftefreier Teilchen im Schwerefeld sind Ge däten. Das entspricht der
erwähnten Umdefinition des 13: griffs des Inertialsystems: In der Speziellen
Relativitätstheor durch kräftefreie, geradlinig-gleichförmige Bewegung h:
stimmt, ist es nun durch eine vom freien Fall bestimmte B: wegung festgelegt.
Im Schwerefeld beliebig bewegte Uhre messen nun die Eigenzeit 15/c.
Stellen wir uns zwei
Fallschirmspringer nach dem Absprur. im Schwerefeld der Erde vor — bevor sie
ihre Fallschirme g öffnet haben. Beide fallen auf den Erdmittelpunkt zu, in de-
wir uns die gesamte Masse der Erde konzentriert denk, können. Das heißt, die
beiden Springer nähern sich einanci während des freien Falls. Bei kurzen
Fallstrecken sind das n Millimeter oder weniger. Das Sichnähern bedeutet, daß
ei: Relativ-Beschleunigung zwischen den Springern bestehe muß. Nehmen wir als
eine gute Näherung an, die Erde eine Kugel. Aus der Beschreibung des
Schwerefeldes eines k gelsymmetrischen Körpers in der Allgemeinen Relativitä7
theorie ergibt sich, daß die dazugehörende Geometrie krümmt ist. Damit ist die
Riemannsche Krümmung auch
68
Relativbeschleunigung frei fallender Körper interpretierbar.
In einer Raum-Zeit der Krümmung Null, also im Minkowski-Raum, würden die
Fallschirmspringer ohne Relativbeschleunigung parallel nebeneinander her
fallen. Für positive Krümmung fallen sie aufeinander zu, für negative
voneinander weg. Insofern die Bahnen der frei fallenden Teilchen Geodäten sind,
ist die Krümmung also ein Maß für die relative Lage benachbarter Geodäten. Was
im Fachjargon geodätische Abweichung heißt, also der Abstand benachbarter
Geodäten im Laufe der Zeit, ist so recht anschaulich.
9.2 Krümmung und Energie der Materie
Wir wissen nun, wie das Schwerefeld mit Größen der
Rie-mannschen Geometrie beschrieben werden kann. Aber bisher haben wir noch
keinen Gebrauch von der schon durch die Newtonsche Gravitationstheorie
berücksichtigten Erfahrung gemacht, daß die schweren Massen der Körper Quellen
des Schwerefeldes sind. Seit der Erkenntnis der Speziellen Relativitätstheorie,
daß Energie und träge Masse und, wegen des Äquivalenzprinzips, auch Energie und
schwere Masse gleiche Bedeutung haben, müssen wir jede Form von in der Materie
und in Materiefeldern steckender Energie als eine Quelle des Schwerefeldes
ansehen. Diese Folgerung wurde 1907 zuerst von Max Planck gezogen. Ein
elektromagnetisches Feld erzeugt demnach über seine Feldenergie auch ein
Gravitationsfeld. Für die von der Technik erzeugten elektrischen Felder sind
das unmeßbar kleine zusätzliche Schwerefelder. Auch ein in der Materie
vorhandener Energiefluß, der einem Impuls entspricht, sowie die in elastischen
Spannungen gespeicherte Energie tragen zu den Quellen des Schwerefeldes bei.
Alle diese Größen werden in dem sog. Energie-Impuls-Tensor der Materie
zusammengefaßt. Die berühmten Einsteinschen Feldgleichungen stellen eine
algebraische Beziehung zwischen der Hälfte der Freiheitsgrade der Krümmung der
Raum-Zeit, der sog. Ricci-Krümmung, und der Energie- und Impulsverteilung in
der Materie dar. Genauer gesagt, muß aus den Komponen-
69
ten der Ricci-Krümmung zuerst eine lineare Funktion, die wir
Einstein-Krümmung nennen wollen, gebildet werden. Dann lauten die
Feldgleichungen
Einstein-Krümmung = K • Energie-Impuls der Materie.
Dabei ist ic =84, eine Kopplungskonstante mit der Newton-
schen Gravitationskonstanten: G 6,6726 • 10-11m3kg-1s-=
Diese Feldgleichung, die Albert Einstein 1912 verwarf unc
erst drei Jahre später endgültig akzeptierte, wurde dann gleichzeitig mit ihm
von dem Göttinger Mathematiker Davic Hilbert (1862-1943) abgeleitet. Sie ist so
angesetzt, daß für schwache Gravitationsfelder und für langsame Bewegung der
felderzeugenden Massen gerade die Gleichungen der Newton-schen Gravitationstheorie
(in der Form einer Feldtheorie für das Potential) zurückgewonnen werden. Der
übriggebliebene. nicht algebraisch mit der Materie verknüpfte Teil des
Krüm-mungstensors, die sog. Konform-Krümmung, erfaßt z. B. dir Freiheitsgrade
von Gravitationswellen, die wie die elektromagnetischen Wellen in Gebieten weit
entfernt von ihrer Quelle. dem Radiosender, vorhanden sein können (vgl.
Abschnitt 10.2). Auch das Feld im Außenraum von gravitierender Materie, etwa um
einen Stern herum, wird durch die Konform-Krümmung beschrieben.
Das Vakuum wird
durch die Abwesenheit von Feldquellen für ein Schwerefeld definiert. Nach den
Einsteinschen Feldgleichungen bedeutet dies verschwindende Einstein- und damit
auch verschwindende Ricci-Krümmung. Da es viele reguläre, exakte Lösungen der
Vakuum-Feldgleichungen, also ohne gravitierende Materie, mit nicht
verschwindender Konform-Krümmung gibt, etwa eine Art ebener Gravitationswellen,
so ist Einstein, Interpretation der Idee Machs, nämlich daß ohne Massen kein
Gravitationsfeld existieren kann, in seiner Theorie nicht verwirklicht. Wir
können auch im Falle des Vakuums den Einfluß des Schwerefeldes auf Massen
untersuchen; diese werden dann Testkörper genannt, da sie kein eigenes
Schwerefeld erzeugen.
70
Die Einsteinschen
Feldgleichungen sind nichtlinear in den zu bestimmenden Komponenten der
Riemannschen Metrik. Daraus folgt, daß additive Überlagerung von Lösungen nicht
zu neuen Lösungen führt. Dies kompliziert den Versuch, zu einer Übersicht über
die möglichen Lösungen zu kommen. Aber Nichtlinearität gibt es auch in vielen
anderen Gebieten der Physik wie in der Mechanik (etwa beim deterministischen
Chaos) und der Hydrodynamik (Turbulenz). Die Feldgleichungen werden auf
Bereiche aller Längengrößen von der Planck-Länge bis zum „Durchmesser" des
Weltalls angewandt.
Da sich Einstein
ursprünglich vorstellte, daß das Weltall sich in einem in der Zeit
unveränderlichen Zustand befinden müsse und keine entsprechende kosmologische
Lösung der Feldgleichungen fand, führte er 1917 einen Zusatzterm in die
Gleichungen ein, den sog. kosmologischen Term, der eine
massenauseinandertreibende Wirkung beschreibt. Damit postulierte er eine neue
Natur-Konstante, die kosmologische Konstante, deren Wert nicht direkt gemessen
werden kann. Später stellte es sich heraus, daß sich der Kosmos zeitlich ändert
und daß es auch ohne die kosmologische Konstante geeignete Lösungen der
Feldgleichung gibt (vgl. Kapitel 12). Je nach der Beobachtungssituation wird
die kosmologische Konstante aus dem (Zauber-)Hut der Theoretiker gezogen oder
wieder darin versteckt. Heute spricht manches dafür, daß sie berücksichtigt
werden muß; sie kann die Vakuumenergie von Quantenfeldern charakterisieren,
deren Massenäquivalent zur Materiedichte des Kosmos beitragen soll. Eine überzeugende
empirische Entscheidung darüber, ob sie gebraucht wird, steht aber aus.
Die Einsteinsche
Gravitationstheorie zeigt denselben Mangel wie die Newtonsche: Auch in ihr
treten keine Relativ-Größen wie etwa die Relativgeschwindigkeit auf, sondern
auf das lokale metrische Feld bezogene Absolutgrößen.
Was die Sonne mit dem Licht macht
Da die Schwerkraft im Vergleich mit den anderen
fundamentalen Kräften (elektromagnetische, Kern- und schwache Kraft die
schwächste ist (um einen Faktor 10-40 kleiner als die elektromagnetische
Kraft), sind Messungen von Effekten schwierig, die über die Newtonsche
Gravitationstheorie hinausgehen. Dennoch sind wir heute in der Lage, die drei
bekanntesten dieser Effekte zu messen: die Gravitationsrotverschiebung. die
Lichtablenkung und die Merkurperihel-Drehung. Weitere Effekte wie der
Gravitationslinsen- und der Lense-Thirring-Effekt kommen dazu.
10.1 Gravitationsrotverschiebung
Die Gravitationsrotverschiebung ist eine Folge des
Äquivalenzprinzips (Abschnitt 1.4) und der Annahme einer von Ort unc Zeit
abhängigen Metrik. Es handelt sich bei diesem Effekt un-. den Einfluß des
Gravitationsfeldes auf den Uhrengang ode:-um die Verschiebung von
Spektrallinien in Richtung der langwelligen Seite des Spektrums. In Abschnitt
8.1 sahen wir, dai: das Eigenzeitintervall im Schwerefeld D/c = (1 - «/c2) A t
ist Setzen wir für cri die Differenz des Newtonschen Gravitationspotentials
zwischen zwei Orten mit dem Höhenunterschiec
AH ein, so folgt für die Frequenzen 17 — (D)-1, v (At)-1 di:
relative Frequenzverschiebung ‘7÷'= sAH.1 Diese Überlegung
ist eine Näherung; die genaue Behandlung geht von der vo7-dem Astronomen Karl
Schwarzschild (1873-1916) gefundenen exakten Lösung der Einsteinschen
Feldgleichungen fi.:-das Außenfeld einer Massenkugel aus. Wie erwähnt, wurd:.
die Gravitationsrotverschiebung durch die Einwirkung de- Schwerefeldes auf den
Gang von Atomuhren bestätigt. Du-Effekt sollte sich auch in der Verschiebung
von Spektrallinie-
1 Dabei ist g = 9,81
ins-2 die sog. Erdbeschleunigung. 72
äußern, die von Atomen in einem starken Gravitationsfeld
stammen. Bald nach dem Ersten Weltkrieg gab es Anstrengungen, die
Gravitationsrotverschiebung an Spektrallinien der Sonne zu messen, und auch die
erste — von Einstein akzeptierte — Behauptung der Bonner Physiker Leonhard
Grebe und Albert Bachem, daß das geglückt sei. Übrigens war schon seit dem
letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bekannt, daß Spektrallinien der Sonne
eine Rotverschiebung zeigen. Die physikalische Ursache dieser Rotverschiebung blieb
lange umstritten; eine Druckverbreiterung der Spektrallinien kam ebenso in
Frage wie der Dopplereffekt auf Grund von Konvek-tionsströmungen in der
Sonnenatmosphäre. Komplizierend wirkten Rotation und Magnetfeld der Sonne. Erst
ab den 60er Jahren unseres Jahrhunderts waren sowohl die Kenntnisse über die
Physik der Sonnenatmosphäre als auch die Technik zur Messung der
Gravitationsrotverschiebung so weit fortgeschritten, daß ein Auseinanderhalten
der verschiedenen Effekte möglich wurde. Durch drei unabhängige Arbeitsgruppen
wurde die von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte
Gravitationsrotverschiebung zwischen 1962 und 1969 an Spektrallinien der Sonne
mit einer Genauigkeit von 5% bestätigt. Ebenso bei Labormessung mit einem
Fehler von 1%.. Die nichtlineare Struktur der Einsteinschen Theorie wird durch
diesen Effekt allerdings nicht erfaßt.
10.2 Lichtablenkung
Massen ziehen einander durch die Schwerkraft an. Da jeder
Energie nach Einsteins Formel E = mc2 eine träge/schwere Masse entspricht,
müßten sich „Energiekonzentrationen" jeder Art gegenseitig beeinflussen.
Betrachten wir einen Lichtwellen-zug als ein solches Energiebündel, so müßte er
von einer großen Masse angezogen werden. Mit einer Taschenlampe und einem
Bleiklotz bei Nacht läßt sich dieser Effekt wegen des minimalen
Massenäquivalents des Lichtstrahls und der kleinen Masse des Bleis natürlich
nicht nachweisen. Aber wenn massive Systeme am Himmel herangezogen werden,
73
Abb. 7: Lichtablenkung. Der Ablenkungswinkel 8 wird
über die Asymptoten der Hyperbel definiert, die den am
Sonnenrand
streifenden Lichtstrahl darstellt. D bezeichnet den Radius
der Sonne
und fällt näherungsweise mit R zusammen.
könnte es vielleicht doch gehen? In der Tat ist eine
„Ablenkung" um den Winkel 45 des am Sonnenrand vorbeistreifender-
Sternlichts bzw. von Radiowellen gemessen worden. Mi7 Licht ist die Messung
ziemlich schwierig. Es handelt sich un-den Vergleich von Sternpositionen auf
Fotoplatten, die ur-1-2 Bogensekunden voneinander abweichen; einmal, wen: die Sonne
nicht im Sichtfeld des Sterns steht, zum anderei_ wenn der Stern bei einer
Sonnenfinsternis direkt am Sonner - rand sichtbar ist. Da das Licht zur Sonne
hingebogen wirc wir die Lichtquelle aber in der geradlinigen Verlängerung de-
Ankunftsrichtung vermuten, sieht es so aus, als ob das Stern -bild bei der
Sonnenfinsternis nach außen verschoben sei (vg Abb. 7). Welche Meßfehler da
wegen der Veränderlichkeit de lichtwirksamen Schicht der Fotoplatte, dem
Temperaturunterschied im Abbildungssystem während der beiden Messungen usw.
entstehen können, läßt sich leicht vorstellen. Au ßerdem ist die Meßzeit
gering: Nur wenige Sonnenfinsternis, in zugänglichen Gebieten treten auf. Daher
werden modern Messungen mit Objekten am Himmel gemacht, die R.-diostrahlung abgeben
und die jedes Jahr durch die schein'la:-
74
Bahn der Sonne einmal über deckt werden. Die mit der
Allgemeinen Relativitätstheorie berechnete Licht(Radiowellen+ ablenkung ist
heute mit der Genauigkeit von einem Promille empirisch bestätigt. Das ist ein Erfolg
gegenüber der Newton-schen Gravitationstheorie, aus der — mit Zusatzannahmen
—nur die Hälfte des Effektes gewonnen werden kann.
Aufgrund dieser
Anziehung des Lichtes durch die Schwerkraft von Massen, kann eine große Masse
wie eine Linse wirken! Eine Galaxie oder ein Galaxienhaufen können die von
einem von uns weiter entfernten, hinter ihnen liegenden Objekt kommenden
Lichtstrahlen fokussieren und damit ein zweites Bild erzeugen. Das erste wird
von direkt von dem entfernten Objekt kommenden, nicht in die Nähe der
fokussierenden Galaxie gelangenden Lichtstrahlen geformt. Durch Vergleich
charakteristischer Variationen in der Lichtintensität in den beiden Bildern
kann der Unterschied in der Laufzeit längs der beiden Wege festgestellt werden.
Er kann über ein Jahr betragen. Auch dieser sog. Gravitationslinsen-Effekt ist
von Einstein frühzeitig beschrieben und inzwischen beobachtet worden. Er äußert
sich in der Abbildung von den in unserer Sichtrichtung hinter dem als Linse
wirkenden Objekt liegenden Lichtquellen als ein ringförmiger Bogen, ein sog.
Einstein-Ring. Wenn die fokussierende Galaxie 1012M®1 enthält, so beträgt die
Winkeldifferenz zweier Punktbilder ungefähr eine Bogensekunde. Durch das in
einer Erdumlaufbahn kreisende Hubble-Teleskop ist eine Vielzahl von solchen
Gravitationslinsen beobachtbar geworden.
Mit der
Lichtablenkung und der Rotverschiebung verknüpft ist der sog. Laufzeiteffekt
für ein Signal im Gravitationsfeld. Eine genaue Rechnung zeigt, daß die
Laufzeit eines Radar-Signals etwa von der Erde zur Venus in der Einstein-schen
Theorie größer ist als in der Newtonschen Gravitationstheorie. Der Effekt nimmt
zu, je stärker das Gravitationsfeld ist, durch das ein Signal läuft; er ist
also größer, wenn das Signal auf seinem Weg zur Venus näher an der Sonne
vorbei-
1 mo = e ne Sonnenmasse.
75
läuft, als wenn die Sonne weit weg von der Signalbahn steht.
Auf diese Weise und mit Signalen zu Erdsatelliten und Raumproben ist der Effekt
auch beobachtet worden. Er muß sogar schon berücksichtigt werden, wenn die Erde
mit Hilfe eines aus Erdsatelliten gebildeten Referenz-Systems genau vermessen
werden soll. Daher ist er in das Rechenprogramm der GPS-Geräte einbezogen (vgl.
Kapitel 5).
10.3 Merkurperiheldrehung
Als weitere Auswirkung der Beschreibung der Schwerkraft
durch die Allgemeine Relativitätstheorie ergibt sich eine Abänderung der
Newtonschen Gravitationskraft, wenn wir die Bewegung von Körpern in einer
Näherung untersuchen. welche die Bewegungsgleichungen in die Form der
vor-relativistischen Newtonschen Gleichungen bringt (kleine Geschwindigkeiten
der Körper, schwache Gravitationsfelder). Das wirkt sich so aus, als ob ein
Zusatz zur Newtonschen Gravitationskraft aufträte, der umgekehrt wie die dritte
Potenz des Abstandes abfällt.1 Damit ändern sich die Kepler-schen Gesetze: Die
Bahn eines Planeten wie der Erde ist keine Ellipse um den gemeinsamen
Schwerpunkt des Erd-Sonne-Systems mehr, sondern eine Art Rosette. Das sog.
Perihel, das ist der sonnennächste Punkt des Planeten auf seiner Bahn. bleibt
nicht fest relativ zu den Fixsternen, sondern verschiebt sich langsam bei jedem
Umlauf. Da der Effekt um so größer ist, je näher der Planet zur Sonne steht,
müßte er beim Merkur am ehesten beobachtet werden können. In der Tat hatten die
Astronomen schon vor der Entwicklung der Allgemeiner Relativitätstheorie auf
eine winzige Verschiebung des Merkur-Perihels von etwa A (j9 ----- 43
(Winkel-)Bogensekunden prc Jahrhundert aus den Beobachtungen von zwei
Jahrhunderten geschlossen, ohne ihre Ursache zu verstehen (vgl. Abb. 8). Die
Einsteinsche Theorie erklärt diese sog. Perihel-Drehung mir
1 Der aus der
Allgemeinen Relativitätstheorie verschwundene Kraftbegriff kommt in dieser
„Newtonschen" Näherung wieder ins Spiel.
76
einer Genauigkeit von 1 %. Der Effekt tritt auch bei
Satelliten im Gravitationsfeld der Erde auf, wird dort aber wegen seiner
Winzigkeit durch andere, ebenfalls eine Verschiebung der Bahn verursachende
Effekte überlagert, etwa von den höheren Momenten der Massenverteilung in der
Erde.
10.4 Weitere beobachtbare Effekte
Die Rotation der Erde wirkt sich auf die Bahnebene eines
umlaufenden Kreisels aus. Dieser sog. Lense-Thirring-Effekt ist durch
Satelliten wie LAGEOS und Gravity Probe B gemessen worden als Winkelverschiebung
des aufsteigenden Knotens der Bahn um 40 marcs (Millibogensekunden) pro Jahr.
Dazu gesellt sich eine geodätische Präzession von ca. 7 marcs pro Jahr.
Relativistische Astrophysik Schwarze Löcher am Himmel
11.1 Schwarze Löcher
Wir „sehen" am Himmel nur solche Objekte, die Licht
Wellenlängen abstrahlen, für die unser Auge empfindlich
1,-Durch Konstruktion geeigneter Meßgeräte ist der meßbar
Wellenlängenbereich über das Spektrum möglicher Weiler
längen von den ganz kurzen der y-Strahlung bis zu den gar langen der
Radiowellen erweitert worden. Aber irgend er Signal aussenden muß das Objekt am
Himmel schon, damit hier beobachtet werden kann? Natürlich kann das Signal a:
der Empfindlichkeitsgrenze unserer Meßinstrumente liegen Ein Beispiel dafür bietet
die seit 1996 eindeutig positiv int-antwortbare Frage, ob andere Sterne als die
Sonne ebenfall- planetenähnliche Körper, die sog. Exoplaneten, als Begleite:
haben. Der Nachweis der Strahlung von solchen möglicher Planeten, die
Streulicht ist, macht große Mühe. Wenn jedoch ein solcher Planet in unserer
Sichtlinie vor die leuchtende Scheibe des Zentralsterns tritt und ihn
verdunkelt, und zwar in regelmäßiger Weise, so könnte seine Existenz erwieser.
werden. Der unsichtbare Begleiter würde sich auch in anderer Weise bemerkbar
machen: Die Bewegung des sichtbaren Zentralsterns relativ zu benachbarten
Sternen verliefe anders. wenn keine mit ihm über das Newtonsche
Gravitationsgesetz wechselwirkenden planetaren Begleiter vorhanden wären. Heute
kennen wir schon über 2000 Exoplaneten, aber keinen. auf dem Leben wie auf der
Erde möglich wäre.
Es gibt weitere
Körper im Weltraum, die nicht direkt beobachtet werden können; in letzter Zeit
ist von den sog. „braunen" Sternen die Rede, die einen Teil der
„Dunkelmaterie" darstellen sollen. Das sind Sterne geringer Masse
0.08M0), bei denen
keine Wasserstoff-Fusion im Sterninnern stattfindet und die vermutlich große
Gasbälle wie Jupiter oder Saturn sind.
78
Wir haben jetzt ein
Gefühl dafür, wie über ihre Strahlung direkt nicht nachweisbare Objekte mit
anderen Methoden be-obachtet werden können. Zu solchen Körpern gehören die
vielzitierten „Schwarzen Löcher". Ihr Name ist eine vulgäre Kurzform für
den im Französischen benutzten Begriff „ver-dunkelter Stern", der den Sachverhalt
besser beschreibt.
Machen wir zuerst
einen Ausflug in die Geschichte, genauer ins 18. Jahrhundert nach England!
Newton hatte in seinem Buch Die Optik angedeutet, daß sein Gravitationsgesetz
auch auf die hypothetischen Lichtteilchen angewandt werden könnte. Dieser
Gedanke wurde von Reverend John Michel (1724-1793) und seinem Freund, dem
Physiker Henry Cavendish (1731-1810), aufgenommen. Im Jahr 1784 rechnete Michel
aus, daß die Schwerkraft eines Sterns von der Dichte der Sonne, aber mit einem
500fach größeren Radius, so stark ist, daß alles abgestrahlte Licht auf den
Stern zurückgebogen wird (Lichtablenkung!). Ein solcher Stern bleibt also von
fer-ne gesehen dunkel. Ähnliches geschieht bei einer zu langsa-men Rakete. Um
aus dem Anziehungsbereich der Erde zu gelangen, muß ihre Abschußgeschwindigkeit
größer sein als ca. 11,2 km/s; sonst fällt sie auf die Erdoberfläche zurück.
Pierre-Simon Laplace (1749-1827), der das Thema aufgriff, kam 1799 in
Deutschland zu Worte in einer Arbeit mit dem Titel Beweis des Satzes, daß die
anziehende Kraft bey einem Weltkörper so groß seyn könne, daß das Licht davon
nicht ausströmen kann. Er führte den Begriff Dunkel-Körper (corps obscur) für
diese Objekte ein. Ob es sie tatsächlich gibt, war damals nicht bekannt; immerhin
müßte die Masse eines sol-chen „Dunkel-Körpers" die Größe von 108M0 haben.
Kugel-sternhaufen besitzen Massen von 105 bis 106M0; Galaxien das 106— bis
1013fache der Sonnenmasse. Sterne mit einer Masse, die größer als ein paar 100
Sonnenmassen ist, sind auch heute noch nicht bekannt.
Nach dem, was
Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sagt, brauchen wir aber gar keine
solch riesigen Sterne, son-dern ein sehr starkes Schwerefeld, um den
beschriebenen Effekt des „Einfangs" von Licht zu bekommen. Es genügen
79
Sterne, in denen die Materie in einer unvorstellbaren Weise
zusammengepreßt ist. Die gegenseitige Anziehung von Massen bewirkt, daß ein
Stern sich im Laufe der Zeit immer weiter zusammenziehen muß, wenn in seinem
Innern nicht Gegen-kräfte auftreten. Bei einem heißen Gasball wie der Sonne ist
es der Gasdruck, der der Schwerkraft die Waage hält. Bei Sternen, bei denen das
die Energieabstrahlung erzeugende nu-kleare Brennen im Inneren schon zu Ende
ist und die sich da-nach allmählich abgekühlt haben, muß eine andere Ursache
vorliegen. Sie hängt mit der quantenmechanischen Unschärfe-relation zusammen,
also der Tatsache, daß die Geschwindig-keit von Teilchen, die durch die
Quantenphysik zu beschrei-ben sind, stark anwächst, wenn sie auf ein kleines
Volumen zusammengedrängt werden. Größere Geschwindigkeit von Teilchen in einem
festen Volumen bedeutet aber größeren Druck. Bei zwei Typen von beobachteten
Sternen spielt dieser Gleichgewichts-Mechanismus die entscheidende Rolle: bei
den Weißen Zwergen und den Neutronensternen. Wenn es in einem Stern keinen
solchen Druckerzeugungs-Mechanismus gibt, so muß er sich ohne Halt immer weiter
zusammenzie-hen: er muß kollabieren.
Weiße Zwerge sind
kompakte, schwach leuchtende Sterne von Planetengröße mit der enormen Massendichte
von unge-fähr einer Million Gramm pro Kubikzentimeter: Das ist eine Tonne pro
Fingerhut! Die Teilchen, die in ihrem Innern den die Schwerkraft ausgleichenden
Druck erzeugen, sind aus den Atomen herausgerissene Elektronen; wir sprechen
von einem Elektronengas. Bei den Neutronensternen ist der durch die
gegenseitige Schwerkraft ausgeübte Druck noch größer; hier sind nicht nur die
Atome zerquetscht wie bei den Weißen Zwergen, sondern sogar die Atomkerne. Die
Energie der Elek-tronen ist so hoch, daß sie die positiv geladenen Protonen aus
den Kernen in ungeladene Neutronen und masselose Neutri-nos zerlegen. Nun
bildet ein sog. Neutronengas den Gleich-gewichtsdruck. Es gibt gute Hinweise
darauf, daß eine beson-dere Art von Sternen, die mit großer Präzision kurze
Radiopulse von einigen Millisekunden Dauer aussenden, die
80
sog. Pulsare, solche Neutronensterne sind. Ihnen wird die
Dichte von Kernmaterie zugeschrieben, also ca. 1014g/cm3. Das ist schon die
Masse eines ganzen Berges pro Fingerhut, eine Dichte, die unsere
Vorstellungskraft lähmt! Nun kommt der springende Punkt: Von der Masse eines
Sterns nach seiner Abkühlung hängt seine weitere Entwicklung ab. Überschreitet
diese Masse einen bestimmten Wert, so kann sich kein Gleichgewichtszustand
zwischen Innendruck und Schwerkraft mehr herausbilden. Damit ein Weißer Zwerg
entstehen kann, darf die Ausgangsmasse nicht größer sein als die sog.
Chandra-sekhar-Grenzmasse, also das 1,44fache der Sonnenmasse. Dagegen ist ein
Neutronenstern als Endzustand noch möglich für Sterne einer Größe von ca. 10
Sonnenmassen.
Und wenn die Masse
doch größer ist? Dann kollabiert der Stern; seine Dichte und Schwerkraft
wachsen immer mehr, bis sie schließlich so groß sind, daß Licht nicht mehr von
der Sternoberfläche entweichen kann, sondern darauf zurückgezogen wird. Wir
können über Strahlung nichts mehr von dem Stern erfahren, insbesondere nicht,
ob das Ineinanderstürzen der Materie einmal zu Ende kommt — und wie. Ein unter
die Sichtbarkeitsgrenze kollabierter Stern heißt Schularzes Loch. Dieses
Gebilde ist kein Loch in der Raum-Zeit-Struktur, sondern ein von der restlichen
Welt informativ abgekoppelter Teil. Der gedachte Rand dieses Bereichs wird
„Ereignishorizont" genannt und von Lichtstrahlen gebildet, die gerade
nicht mehr nach außen entweichen können, sondern von der Schwerkraft um den
Stern herumgeführt werden. In die Nähe des Ereignishorizontes geratende Materie
und Strahlung werden vom starken Schwerefeld des Schwarzen Loches hinter den
Horizont gezogen, scheinbar „verschluckt".
Wie können wir
feststellen, ob es Schwarze Löcher gibt? Nun, es müssen Effekte ausgenützt
werden, die durch das starke Schwerefeld erzeugt und schon sichtbar werden,
bevor die beobachtete Materie durch den Horizont gefallen ist. Das kann eine
charakteristische Röntgen-Strahlung von interstellarem oder intergalaktischem
Gas sein, das auf das Schwarze Loch zufällt und von ihm stark beschleunigt wird
und das
81
sich in einer sog. Akkretionsscheibe sammelt. Diese
Situation könnte auch in Doppelsternsystemen vorliegen, in denen einer der um
ihren gemeinsamen Schwerpunkt kreisenden Sterne ein Schwarzes Loch ist und der
Begleitstern Masse abschüttet. Aus der Bestimmung der Bahn und der
Umlaufperiode des sichtbaren Sterns in einem Doppelsternsystem lassen sich die
Massen der beiden Sterne abschätzen: Liegt eine davon über der Grenzmasse, so
haben wir einen ersten Hinweis auf ein Schwarzes Loch. Interessante
Spezialfälle sind Doppelsternsysteme aus einem Pulsar und einem Schwarzen Loch
bzw. einer sog. Röntgenquelle und einem Schwarzen Loch. Ein Stern-System wie
das letzte mit dem Namen Cygnus X1 in ca. 8 000 Lichtjahren Entfernung ist
einer unter mehreren gefundenen Kandidaten für ein Schwarzes Loch: Die Masse
des unsichtbaren Begleitsterns ist größer als die Grenzmasse.
Schwarze Löcher
werden auch im zentralen Kern von Galaxien vermutet, in dem sich die
Sternmaterie verdichtet. So etwa im von leuchtenden Gas- und Staubwolken
umgebenen und daher nicht direkt sichtbaren Zentrum unserer Milchstraße. Durch
Präzisionsmessungen von Sternbewegungen im Infrarot wurde dort eine
Massenkonzentration auf engstem Raum von ca. 4 •106 Mo festgestellt, die als
Schwarzes Loch interpretiert wird. Röntgenstrahlung aus diesem Gebiet wird
durch drei Röntgenteleskope seit vielen Jahren beobachtet. Vermutlich wird es
noch eine Weile dauern, bis wir ganz sicher sein können, ob Schwarze Löcher,
die es nach der Allgemeinen Relativitätstheorie geben sollte, wirklich
existieren. Eine Krisenstimmung wegen der zerstörerischen Anziehungskraft
Schwarzer Löcher, wie sie etwa in einem Buch aus den 70er Jahren mit dem Titel
Schwarze Löcher: das Ende des Universums? verbreitet wurde, war und ist fehl am
Platze.
11.2 Gravitationswellen
Nachdem 1887 die Existenz von elektromagnetischen Wellen
durch Heinrich Hertz (1857-1894) im Experiment bestätigt worden war, setzte
sich der Gedanke schnell durch, daß sich
82
auch das Schwerefeld als eine Welle fortpflanzen könne. Wir
lesen etwa in Bernstein's Naturwissenschaftlichen Volksbüchern von 1897 (Teil
1, S. 20): „Wir werden vermuten dürfen, daß auch die Fortpflanzung der
Anziehungs- und Schwerkraft durch Wellenschwingungen des Äthers vermittelt
wird, und zwar mit der Geschwindigkeit von 300000 Meilen pro Sekunde. Wie groß
aber die Wellen der „Anziehungsstrahlen" —so könnten sie genannt werden —
sind, wissen wir noch nicht." 108 Jahre später ist dieser Satz noch fast
genau so gültig — abgesehen von dem damaligen Schreibfehler „Meilen" statt
„km"! Der Name „Anziehungsstrahlen" hat sich nicht durchgesetzt; wir
benutzen heute den Ausdruck „Gravitationswellen". Der Begriff
„Schwerewellen" bezieht sich auf einen anderen Effekt; die periodische
Änderung der Schwerkraft im Erde-Sonne-Mond-System, die die Gezeiten
hervorruft, erzeugt auch Dichteschwankungen in der Erdatmosphäre, die so
genannt werden.
Zwei Probleme stehen
heute im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses: Wie entstehen
Gravitationswellen? Durch Beschleunigung von Massen im Labor herstellbar sind
sie wegen der unmeßbar kleinen Effekte nicht. Und: Wie können sie nachgewiesen
werden? Vorher muß aber ein grundsätzliches Problem geklärt werden: Was genau
sind Gravitationswellen? Schließlich ist das Schwerefeld in der Allgemeinen
Relativitätstheorie in das Abstandsmaß eingearbeitet. Eine „Welle im
Abstandsmaß" oder „Raum-Zeit-Welle" bedeutet demnach, daß sich Raum-
und Zeitintervalle in dem Gebiet periodisch ändern, über das die
Gravitationswelle hinweg-streicht. Also wird sich die relative Lage von Massen
ändern. Um dies festzustellen, müssen wir Maßstäbe und Uhren haben, die sich
nicht in gleicher Weise mitverändern.
Die Rechnung im
Rahmen der Schwachfeld-Näherung der Allgemeinen Relativitätstheorie zeigt, daß
Gravitationswellen wie die elektromagnetischen Wellen transversal sind. Das
bedeutet, daß die Schwingungsrichtung senkrecht zur Ausbreitungsrichtung der
Welle ist. Wenn eine solche Welle über Massen hinwegläuft, so werden diese in
Ebenen senkrecht zur
83
Ausbreitungsrichtung der Welle relativ zueinander
beschleunigt. Zum Beispiel wird ein Kreisring von Teilchen durch die
Gravitationswelle in einer Richtung gestreckt und in einer anderen gestaucht.
Während elektrische Wellen durch schwingende Ladungs-Dipole erzeugt werden, wie
sie Sendeantennen darstellen, gibt es keine Massen-Dipolmomente. Für
Gravitationswellen brauchen wir zeitlich veränderliche Massen-Quadrupole. Einen
„Quadrupolformel" genannten Ausdruck für die pro Sekunde abgestrahlte
Energie der Gravitationswellen leitete Einstein schon 1916 her.
Die als
Meßinstrumente zunächst benutzten Geräte waren tonnenschwere, gegen jede Art
von Erschütterungen isolierte, tiefgekühlte Aluminium-Zylinder, die durch eine
darüberstrei-chende Gravitationswelle zu einer Eigenschwingung in der
Größenordung von 1-2 Kilohertz angeregt werden sollten. Diese Eigenschwingung
würde dann nach Umwandlung in eine elektrische nachgewiesen werden können.
Relative Lageänderung der Zylinderteile von 10-18 cm sind an solchen
Instrumenten schon gemessen worden. Nach anfänglichem Optimismus und
abgeschlossenen Wetten darüber, in welchem Jahr Gravitationswellen gefunden sein
würden, stellte sich dann durch genauere Überlegung heraus, daß die Intensität
der vermuteten Strahlungsquellen noch um drei Zehnerpotenzen unterhalb dessen
lag, was die heutigen Zylinder-Detektoren nachweisen können.
Die neueste
Generation von wesentlich empfindlicheren Detektoren ist im Vorversuch erprobt
und hat den Meßbetrieb aufgenommen. Das Meßprinzip ist das des Interferometers:
Lichtstrahlen werden in den zwei Armen eines solchen Instruments hin und her
reflektiert und dann zur Interferenz gebracht. Eine über das Interferometer
hinweglaufende Gravitationswelle würde die Länge von Interferometerarmen, die
etwa senkrecht zueinander gerichtet sind, verschieden beeinflussen und damit
das Interferenzbild ändern. Die Empfindlichkeit hängt von der Länge des
Lichtweges ab. Um eine Chance des Nachweises bei den zu erwartenden
Intensitäten zu haben, müßten die Interferometerarme Hunderte von Kilo-
84
metern lang sein. Durch Spiegel, mit denen das Licht an
beiden Enden der Laufstrecke hunderte Male reflektiert wird, können die Arme
jedoch auf die Größenordnung von Kilometern verkürzt werden. Bei jeder
Reflektion verliert das Licht an Intensität, so daß dieser Trick nicht beliebig
oft benutzt werden kann. Der GEO-600-Detektor in der Nähe von Hannover hat eine
Armlänge von 600 m und begann 2002 mit den Messungen (relative Empfindlichkeit
von 10-21 bei 100-500 Hertz). Dieser Detektor arbeitet mit den beiden
LIGO-Detek-toren in den USA zusammen, die jeweils eine Armlänge von 4 km haben
und 3000 km voneinander entfernt sind. Die Gravitationswelle erreicht die
Detektoren in Livingston, Louisiana, und Hanford, Washington, zu einer leicht
verschiedenen Zeit.
Als
Entstehungsmechanismen für Gravitationsstrahlung werden Supernova-Explosionen,
also der Kollaps von Sternmaterie zu einem Neutronenstern oder, sehr viel
seltener, die letzte Phase des Umlaufs miteinander verschmelzender Doppelsterne
angenommen. Von den letzteren Ereignissen könnten in einer Umgebung um uns von
einem Radius von 450 Millionen Lichtjahren vielleicht drei jährlich gemessen
werden. Gravitationswellen von solchen Quellen wurden noch nicht entdeckt. Seit
1974 wird aber ein Doppelstern-System beobachtet, der sog. Binärpulsar PSR 1913
+ 16, dessen einer Teilstern Radiopulse von fast 60 Millisekunden Dauer
ausstrahlt. Pro Jahr erfolgen etwa 1000 Umläufe der Sterne umeinander. Daher
konnte das System seither mit großer Genauigkeit vermessen werden. Es zeigt
sich, daß die Umlaufgeschwindigkeit mehr als zehnmal größer ist als die
Umlaufgeschwindigkeit der Erde um die Sonne und daß die Massen beider Sterne
fast das Eineinhalbfache der Sonnenmasse haben: Es liegt ein relativistisches
System vor. Die wichtigste Beobachtung ist aber, daß die Bahnperiode des
Pulsars im Laufe der Zeit abnimmt; die relative Änderung ist zwar winzig, aber
feststellbar, nämlich ca. —2,4.10-12. Unter der Annahme, daß die Verlangsamung
des Umlaufes durch Abstrahlung von Gravitationswellen erklärt werden kann,
ergibt die Anwendung von Einsteins Qua-drupelformel eine verblüffende Übereinstimmung
mit dem
85
beobachteten Wert. Daher sprechen viele Astrophysiker von
einem ersten indirekten Nachweis der Gravitationsstrahlung an diesem System.
Stärkste Signale für
die mit den Messungen beginnenden Gravitationswellen-Detektoren GEO und LIGO könnten
von zwei miteinander verschmelzenden Schwarzen Löchern kommen; die schwierige
numerische Analyse dieser Situation mit Hilfe der Einsteinschen Feldgleichungen
der Gravitation ist weltweit Gegenstand intensiver Forschung z. B. am
Max-Planck-Institut für Gravitationsforschung in Golm und an der Universität
Jena.
Im September 2015
wurde die Messung eines ersten Gravi-tationswellensignals von LIGO bekannt
gegeben. Es soll von zwei Schwarzen Löchern mit jeweils 30 Mo stammen, die in
einer Spiralbahn zusammenstürzten. Danach blieb ein einziges Schwarzes Loch
übrig. Die Entfernung der Quelle von der Erde soll ca. 1,3 • 109 Lichtjahre
betragen. Es ist abzuwarten, ob und wann weitere Signale gemessen werden
können. Wenn nun vom Beginn eines Zeitalters der Gravitationswellen-Astronomie
geredet wird, so ist das gegenwärtig blühende Phantasie.
Den klassischen
Gravitationswellen würden in einer Quantentheorie der Gravitation, die trotz
vieler Bemühungen noch nicht zustande gekommen ist, Quanten entsprechen. Diese
Quanten, die den Spin 2 haben würden, heißen Gravitonen; aber bisher stecken
sie noch ausschließlich in den Köpfen der Physiker.
12. Milchstraßen und Kosmologie
Erbsenzählerei oder Begegnung mit dem Unendlichen?
Kosmos, Weltall, Universum. Häufig lesen wir diese Wörter in
den Zeitungen und oft begleitet von Behauptungen über spektakuläre
Veränderungen unseres Weltbildes. In der Zeitungssprache beginnt das Weltall
fast schon vor unserer „Haustüre", jedenfalls gehört der Raum zwischen
Erde und Mond dazu. In ihm bewegen sich die Raumschiffe und Astronauten, die
mit dem aus dem Russischen stammenden Ausdruck auch „Kosmonauten" genannt
werden. Aber eigentlich ist klar, daß „Kosmos" doch etwas Größeres sein
muß, das größte denkbare System, das alles umfaßt. Deswegen sprechen wir ja von
dem Einen, dem „Universum". Allen Ernstes müßte jeder Schmetterling und
jeder Windhauch, jedes Gedicht und jeder Klang mit eingeschlossen sein. Und
natürlich unsere Gedanken, die schon gedachten und die noch zu denkenden. Das
ist aber zuviel des Guten — jedenfalls, wenn wir eine Wissenschaft betreiben
wollen, aus der in endlicher Zeit etwas Praktisches folgt.
In der Physik müssen
wir uns beschränken und uns Menschen, unsere individuellen und
gesellschaftlichen Probleme, sowie die ganze Biosphäre aus der Beschreibung des
„Kosmos" ausgrenzen. Übrig bleibt allein die unbelebte Materie in Form von
großen massiven Körpern wie Planeten, Sternen, Haufen von Sternen, Milchstraßen
(auch Galaxien genannt) und größeren Systemen, die durch die Schwerkraft
aufeinander einwirken. Das sind die Objekte der physikalischen Kosmologie. Für
sie können wir hoffen, etwas von der „Ordnung" zu erfahren und zu
begreifen, die das Wort „Kosmos" ausdrückt. Im Vergleich mit den frühen
kosmologischen Mythen voller Götterstreit und voller gewalttätiger Natur ist
das physikalische System Kosmos recht langweilig; das ist der Preis, den wir
dafür entrichten müssen, damit der „Kosmos" naturwissenschaftlich erfaßbar
wird. Die „Begegnung mit dem Unend-
87
lichen" reduziert sich auf das Studium von
„Randpunkten"
der Raum-Zeit. Die physikalische Kosmologie weitet den
Erfahrungsbereich von der nächsten Umgebung der Erde und
des Planetensystems zu immer größeren massereichen Systemen
aus — in Abhängigkeit von der Entwicklung der Beobachtungsinstrumente
(Teleskope, Energiemeßgeräte usw). Was sie „Kosmos" nennt, ist also kein
ein für allemal definiertes System, sondern ein von den Kenntnissen der
jeweiligen Zeit abhängiges Gebilde. Auch das unterscheidet die physikalische Kosmologie
vom Kosmosbegriff der Philosophen und Theologen. Als wichtigste Züge des Bildes
vom physikalischen Kosmos werden wir finden, daß er eine Geschichte besitzt, in
der sich seine Eigenschaften stark geändert haben und daß diese Geschichte sich
nicht beliebig lange in die Vergangenheit fortsetzen läßt.
12.1 Was wir vom Kosmos erfahren
Jede unmittelbare Information über die großräumige
Verteilung von Massen in Form von Sternen, Sternhaufen, Gaswolken, Staub,
Galaxien, quasistellaren Radioquellen (Quasare), Haufen von Galaxien usw.
erhalten wir als elektromagnetische Signale im ganzen Wellenlängen-Spektrum
(von Röntgenstrahlen über Mikro- zu Radiowellen) oder in Form von
hochenergetischen Teilchen der Ruhmasse Null (y-Quanten, Neutrinos). Wir „sehen"
die strahlenden Objekte in einer bestimmten Richtung am Himmel oder über einen
ganzen räumlichen Winkelbereich ausgedehnt.
Aber wie weit sind
sie von uns in der Sichtlinie entfernt? Das ist eine entscheidende Frage der
Kosmologie. In unserer nächsten Umgebung können wir Entfernungen mit Hilfe der
Dreiecksgeometrie aus einer Grundlinie und zwei Winkeln bestimmen. Als
Grundlinie dient etwa die (mittlere) Entfernung der Erde von der Sonne, die
sog. astronomische Einheit (abgekürzt: a. u.; 1 a. u. = 1,496.108 km). Als
Parallaxe wird die Hälfte des Winkels gegenüber der Grundlinie definiert. Auf
die astronomische Einheit bezogen, bedeutet 1 parsec (Ab-
88
kürzung 1pc) die Entfernung eines Objektes, dessen Parallaxe
eine Bogensekunde beträgt: 1pc 3600.180 a.u. 3,26
Lj;
ein Lichtjahr (Lj) entspricht 0,946 • 1013km. Da Winkel
gegenwärtig aber nur bis zur Größenordnung von zwei tau-sendstel Bogensekunden
gemessen werden können (im Radio-
diese. Mexbocle. •£‘...12c bis -L.N3. Nv:s‘N.
SO0 .pc
axyw exuSibaz
Für weiter entfernte Objekte werden
indirektere Methoden benutzt. Je näher ein Stern, desto heller wird er sein.
Der Ver-such, über die von unseren Instrumenten gemessene Helligkeit
weiterzukommen, bietet sich an. Der gesamte Energiefluß, al-so die pro Sekunde
abgegebene Energie eines strahlenden Objektes, heißt Leuchtkraft L; die auf die
senkrecht zur Sichtlinie ausgerichtete Fläche eines Strahlungsmeßgerätes
fallende Energie pro cm2 und Sekunde wird als scheinbare Leuchtkraft 1 (auch:
scheinbare Helligkeit) bezeichnet. Die Leuchtkraft eines von uns d km
entfernten Sterns verteilt sich auf eine Kugelfläche vom Flächeninhalt 4'rd2.
Damit folgt L = 4,rd2 • 1. Würden wir 1 und L kennen, so könnte die Entfer-nung
d bestimmt werden. Wir müssen aber Annahmen über die nicht direkt meßbare
Leuchtkraft L des entfernten Objek-tes machen. Dabei hilft die Erfahrung der
Astronomen weiter: Es gibt Sterne, sogenannte Standardkerzen, die alle dieselbe
Leuchtkraft zu haben scheinen. Etwa die Delta-Cepheiden; das sind veränderliche
Sterne mit einer zwischen einem Maximum und einem Minimum schwankenden
Helligkeit. Die Schwankungen sind regelmäßig mit Perioden zwischen Stun-den und
50 (selten 100) Tagen. Die Astronomin Henrietta Leavitt (1868-1921) entdeckte
solche Sterne in den Magellan-schen Wolken und einen Zusammenhang zwischen
ihrer scheinbaren Leuchtkraft und der Periode. Es liegt nahe anzu-nehmen, daß
alle Cepheiden-Sterne mit der gleichen Hellig-keitsperiode auf Grund eines bei
allen gleichartig ablaufenden physikalischen Prozesses dieselbe Leuchtkraft L
haben. Ist et-wa ein Cepheiden-Stern im trigonometrisch vermessenen Sternhaufen
Hyaden gefunden, so läßt sich aufgrund der be-kannten Entfernung seine
Leuchtkraft berechnen. Finden wir
89
nun weit entfernte Cepheiden derselben Periode, deren
scheinbare Leuchtkraft gerade noch gemessen werden kann, so kann nach der oben
angegebenen Formel die Entfernung d ausgerechet werden. Mit dieser Methode
können Entfernungen in unserer Milchstraße und darüber hinaus bestimmt werden.
Es zeigt sich, daß die 1013 Sterne unserer Milchstraße eine zur Mitte hin
angedickte Scheibe mit einem Radius von ungefähr 30000 pc bilden. Auch andere
Milchstraßen (Galaxien) in der Nähe der unsrigen, wie die große und die kleine
Magellansche Wolke, enthalten Cepheiden. Dadurch wurde ihre Entfernung zu ca.
50 • 103 pc berechnet. Seit der Reparatur des Teleskops im
„Hubble"-Satelliten lassen sich sogar Cepheiden in der Virgo-Galaxie
abbilden: Sie ist ungefähr 16 • 106 pc von uns entfernt. Das ist schon fast
unvorstellbar: Das Licht von dort ist über 50 Millionen Jahre zu uns unterwegs
gewesen! Als es abging, waren auf der Erde die Dinosaurier schon ausgestorben.
Wie diese Galaxie heute aussieht, können Menschen auf der Erde erst in weiteren
50 Millionen Jahren wissen, falls die Menschheit solange überlebt und ihr
wissenschaftliches und technisches Niveau behält. An diesen Daten über einige
wenige große Massen im Kosmos ergibt sich, daß wir niemals eine
„Momentaufnahme" des Kosmos bekommen können, sondern nur ein Bild vergangener
Zustände. Unsere Erfahrung von den von uns entfernten Körpern ist eine museale:
Wir beobachten diese fernen Teile des Kosmos wie sie einmal waren, nicht wie
sie jetzt sind. Das liegt an der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit aller
Information; wir erhalten sie ausschließlich aus Richtungen auf dem Lichtkegel
bzw. aus seinem Inneren: in Form etwa von massiven Teilchen der kosmischen
Höhenstrahlung. Im Prinzip ist die Vergangenheit erdgeschichtlicher Epochen,
abgebildet durch das gestreute Sonnenlicht, noch als Signal in den Weiten des
Kosmos unterwegs.
Aufgrund der
Entfernungsmessungen ergibt sich folgende Verteilung der leuchtenden Materie in
unserer „Nachbarschaft": Etwa 30 Galaxien bilden eine Materieverdichtung
von = 1 Mpc (1 Megaparsec = 106 pc) Durchmesser, einen
90
sog. Galaxienhaufen, der Lokale Gruppe genannt wird und zu
dem neben den Magellanschen Wolken auch der Andro-meda-Spiralnebel gehört.
Andere Galaxienhaufen folgen wei-ter draußen, wie Ursa Major, Centaurus und
Virgo. In noch größerer Entfernung lassen sich mit den gegenwärtig arbei-tenden
Teleskopen keine Cepheiden mehr abbilden, so daß andere Verfahren der
Entfernungsbestimmung angewandt werden müssen, etwa mittels der Supernovae vom
Typ I a, einer Art explodierender Sterne. Durch das Hubble-Weltraum-Teleskop
wurde bisher leuchtende Materie in Entfernungen von bis zu 4000 Mpc gefunden.
Es gibt viele Anzeichen dafür, daß die Galaxien und Galaxienhaufen auf den
größten beob-achteten Längenskalen in einer netz- oder wabenähnlichen Struktur
angeordnet sind. Sie umschließen „voids" genannte „Hohlräume". Das
sind Bereiche mit sehr viel geringerer Ma-teriedichte von einer Ausdehnung von
50-100 Mpc.
All diese Objekte
sitzen nun nicht still auf ihrem Platz am Himmelsgewölbe, den ihnen Aristoteles
zuweisen wollte, son-dern bewegen sich relativ zueinander und zu uns. Die Sonne
etwa läuft mit = 220 km/s um das galaktische Zentrum und mit ungefähr 300 km/s
relativ zum Massenschwerpunkt der Lokalen Gruppe. Wie ordnen wir dieses von
unserer irdischen Warte aus allerdings nur nach präziser Beobachtung erfaß-bare
Gewimmel am Sternhimmel? Gibt es denn ein Bezugs-system, auf das wir uns
verlassen können? Glücklicherweise ja! Seit 1964 ist eine Strahlung im
Mikrowellenbereich be-kannt, die sog. Kosmische Hintergrundstrahlung. Ihre
Ener-gieverteilung als Funktion der Wellenlänge entspricht der Wärmestrahlung
eines außerordentlich kalten Körpers von ca. 2,7 K. Zum Vergleich: Die
Verflüssigungstemperatur von Helium ist ca. 4,2 K! Da sie die
Temperaturstrahlung der ge-samten Materieverteilung im Kosmos zu einer früheren
Zeit, in der sich Elektronen mit Kernen rekombinierten, darstellt, ist sie in
hohem Maße isotrop (richtungsunabhängig). Das Bezugssystem, in dem die
kosmische Hintergrundstrahlung isotrop ist, kann als ausgezeichnetes
Bezugssystem dienen. Hierauf beziehen wir die Eigenbewegungen der Galaxien und
91
Galaxienhaufen. So bewegt sich etwa die Lokale Gruppe gegenüber
diesem System mit ca. 600 km/s.
Daß es ein
bevorzugtes Bezugssystem gibt, steht nicht im Widerspruch zur
Relativitätstheorie. Jedes andere Bezugssystem ist gleichberechtigt, auch wenn
die Beschreibung der Bewegungsvorgänge in ihm komplizierter sein kann.
Die kosmologische
Hintergrundstrahlung ist einer der drei empirischen Grundpfeiler, auf denen
unsere gegenwärtige Vorstellung vom Kosmos beruht. Die beiden anderen sind der
Hubble-Fluß und die Verteilung der chemischen Elemente. Der Hubble-Fluß, der
nach dem Astronomen Edwin Powell Hubble (1889-1953) benannt ist, beschreibt das
gemeinsame Auseinanderlaufen und Von-uns-Wegstreben der Galaxien. Die
Ausmessung der Spektren von Galaxien an den großen Teleskopen in den USA zeigte
ab 1913, daß die überwältigende Mehrzahl eine Rotverschiebung der
Spektrallinien aufweist. Wird sie mit Hilfe des Dopplereffektes gedeutet, so
heißt dies, daß alle diese Galaxien von uns und voneinander fliehen. Hubbles
Beitrag war die erste genaue Erprobung der Entfernungsmessung mittels der
Perioden-Leuchtkraftbezie-hung der Cepheiden-Sterne. Die wenigen beobachteten
Blauverschiebungen wie zum Beispiel am Andromedanebel weisen auf die oben
erwähnten Eigenbewegungen hin, die sich der allgemeinen „Nebelflucht"
überlagern: Innerhalb der Lokalen Gruppe bewegt sich die Andromeda-Galaxie eben
auf unsere Milchstraße zu, während der Schwerpunkt der Lokalen Gruppe sich von
den Massenmittelpunkten der anderen Ga-laxienhaufen entfernt. Dabei ist
vorausgesetzt, daß sich die kosmische Expansion nicht innerhalb der Galaxien
und Gala-xienhaufen bemerkbar macht. Diese sind also die „starren
Maßstäbe", mit denen die Veränderungen auf der größten kosmischen
Längenskala ausgemessen und die mit den starren Maßstäben auf der Erde
abgeglichen werden. Auch die kosmologische Konstante wirkt sich „lokal"
nicht aus.
Als dritte Säule für
die gegenwärtige Vorstellung vom physikalischen Kosmos ziehen wir die
beobachtete Häufigkeitsverteilung der chemischen Elemente heran. Wieder
schließen
92
wir aus Absorptions- oder Emissions-Spektren auf das
Vorkommen von bestimmten Elementen in Bereichen der Milchstraße und in
entfernteren Objekten. Neben Wasserstoff ist 4He das einzige Element, dessen
Vorkommen bisher sicher auch außerhalb unserer Milchstraße beobachtet wurde.
Die Beobachtung extragalaktischen Deuteriums in quasaren Absorptionslinien ist
in einigen Arbeiten publiziert. Helium ist das zweithäufigste Element im Kosmos
nach dem Wasserstoff mit ca. 25% relativer Häufigkeit. Inzwischen ist bekannt,
daß das Innere von Sternen vom Typ der Sonne wie ein Fusionsreaktor arbeitet:
Protonen, also Wasserstoff-Kerne, werden zu Helium-Kernen unter Abgabe der
Bindungsenergie ver-schmolzen.1 Die Helium-Kerne können mit weiteren Protonen
zu Beryllium, Lithium, Bor und höheren Elementen wie Kohlenstoff und Sauerstoff
reagieren. Am Ende der „Brennzeit" eines stellaren Fusionsreaktors sind
die leichten Elemente wie Wasserstoff, sein schwereres Isotop Deuterium und
Helium in der Synthese der höheren Elemente fast völlig aufgebraucht worden.
Nur ca. 5% des beobachteten Heliums bleiben nach der Nukleosynthese in Sternen
übrig. Das folgt aus Sternent-wicklungsrechnungen, die wiederum durch die
Beobachtung der von den Sternen abgegebenen Energien und ihrer Atmosphären
überprüft werden. Es muß also noch weitere Mechanismen zur Erzeugung der
leichten Elemente geben. Eine genaue Rechnung zeigt, daß bei Temperaturen von
Milliarden Grad Kernreaktionen ablaufen können, welche die leichten Elemente in
ausreichender Menge synthetisieren. Wo und wann gibt bzw. gab es solche
mörderischen Temperaturen im Kosmos? In den Sternen selbst herrschen
Temperaturen „nur" von einigen Millionen Grad. Es liegt nahe, zu vermuten,
daß der Kosmos in einer früheren Zeit so heiß gewesen ist und sich seither abgekühlt
hat. Das paßt mit der Beobachtung der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung und mit
der Vorstellung,
1 Da kein
funktionierender Fusionsreaktor existiert, wäre es ehrlicher, gerade umgekehrt
zu formulieren: Ein Fusionsreaktor soll so ähnlich arbeiten wie die
Zentralregion der Sonne.
93
daß sich der Kosmos immer weiter ausdehnt (Hubble-Fluß),
zusammen. Aus der Thermodynamik wissen wir, daß sich ein expandierendes Gas,
das mit seiner Umgebung keine Wärme austauschen kann, abkühlen muß
(adiabatische Expansion). Das wird bei Kältemaschinen angewandt. Und mit
welchem Gebilde sollte das „Galaxien-Gas" denn Wärme austauschen? Wenn
sich die Temperatur in einem Jahr nur um 1 Grad Kelvin abgekühlt hätte, so
müßte der Kosmos jetzt Milliarden Jahre alt sein.
Dieses Mindestalter
muß er andererseits auch haben, da die ältesten Gesteine auf der Erde schon ca.
3,7 • 109 Jahre, die ältesten Meteoriten ca. 4,6 • 109 Jahre alt sind. Diese
Altersangaben, deren Genauigkeit 1-2 Prozent beträgt, folgen aus dem Zerfall
radioaktiver Elemente in den Gesteinsproben. Den ältesten Sternen wird sogar
ein Alter von über zehn Milliarden Jahre zugemessen.
12.2 Grundannahmen der kosmologischen Modellbildung
Da wir das Universum von einem festen Platz aus beobachten
müssen, da entzifferbare Nachrichten von intelligenten Bewohnern ferner
Bereiche ausstehen, bleibt uns nichts anderes übrig, als unser örtliches
Gebundensein durch geistige Beweglichkeit zu ersetzen. Wir müssen Annahmen
machen, die noch nicht oder sogar niemals durch messende Erfahrung verifiziert
werden können. Solche Hypothesen dürfen allerdings nicht zu überprüfbaren
inkonsistenten Folgerungen führen.
Eine Hypothese ist,
daß die physikalischen Gesetze, wie sie hier und heute gelten, überall anderswo
im Kosmos und zu allen Zeiten gültig waren und sind. Weiter setzen wir voraus,
daß der Kosmos nicht aus unzusammenhängenden Stücken besteht, zwischen denen
kein Informationsaustausch möglich ist. Und schließlich erweitern wir unseren
lokalen Erfahrungshorizont (Erde, Planetensystem) auf den ganzen Kosmos durch
Annahme des sog. kosmologischen Prinzips: „Zu einer festen Zeit ist kein Ort im
Kosmos vor einem anderen ausgezeichnet." Da dieser Satz in der
physikalischen Kosmologie nur auf
94
die Materieverteilung angewandt wird, ist er zwar
einschränkend für die Modellbildung, aber sonst nicht weiter aufregend. Die
Existenz eines Mittelpunkts des Kosmos ist damit ausgeschlossen oder, anders
ausgedrückt: Jeder Punkt im Kosmos ist dessen Mittelpunkt. Die durch das
kosmologische Prinzip geforderte homogene Materieverteilung ist völlig
strukturlos.
Im Bild des Kosmos
der Theologen und Philosophen dagegen drückt das kosmologische Prinzip eine
ganze Weltanschauung aus; es raubt der Erde und dem Geschehen auf ihr jede
besondere Bedeutung im Kosmos. Vor Jahrhunderten waren öffentliche Äußerungen
dazu in Teilen des christlichen Europa lebensgefährlich; solche Tendenzen gibt
es heute in anderen Religionen.
Wie paßt die
angenommene Homogenität der Materieverteilung zu ihrer Beobachtung als klumpig
verteilte Galaxien und Galaxienhaufen? Nun, für die Modellbildung wird die
tatsächliche Situation durch Mittelbildung vereinfacht: Über Skalen von 100-200
Mpc ergibt sich ein fast gleichmäßiges Vorkommen der Sternsysteme. Die
tatsächliche Verteilung der Materie in Form von Galaxien und der anderen
Überstrukturen muß dann durch Strukturbildungstheorien erklärt werden. An
solchen Theorien wird eifrig gearbeitet, bisher noch mit bescheidenem Erfolg.
In der winzigen, aber meßbaren Anisotropie der kosmischen Hintergrundstrahlung
müssen sich die Keime der heute erkennbaren Strukturen wiederfinden lassen. Im
Unterschied zum Raum nehmen wir für die Zeit kein Homogeni-tätspostulat an. Es
kann also ausgezeichnete Zeitpunkte geben, wir dürfen von der Geschichte des
Kosmos sprechen. In der Tat zeigt sich, daß die gegenwärtig mit den
Beobachtungen am besten verträglichen kosmologischen Modelle auf ein endliches
„Alter" des Kosmos zwischen 10 und 20 Milliarden Jahren führen, genauer
auf (13,798 ± 0,037) • 109 Jahre.
12.3 Das Standardmodell
Die über die größten Beobachtungsskalen ausgemittelte
Materieverteilung modellieren wir in der Form eines strömenden
95
Gases oder einer Flüssigkeit ohne Strudel: Die fiktiven
Flüssigkeitsteilchen entsprechen der großräumig verteilten Materie in Form von
Galaxien und Haufen von Galaxien. Durch diese Annahme haben wir die Existenz
eines momentanen Ruh-systems zugelassen, also eines von allen mitschwimmenden
Teilchen gebildeten Systems, in dem sie ruhen. Das momentane Ruhsystem soll dem
dreidimensionalen Gleichzeitigkeits-Raum zu einem festen Zeitpunkt entsprechen;
an unserem Ort im Universum ist das gerade der Anschauungsraum. Der dadurch
eingeführte Zeitparameter heißt kosmologische Zeit oder Epoche und hat einen
absoluten Charakter. Wir identifizieren ihn mit der Atomuhr-Zeit. Es ist
offensichtlich, daß wir Uhren auf Galaxien, die Millionen von Lichtjahren
voneinander entfernt sind, nicht mit dem in Kapitel 3 geschilderten Verfahren
synchronisieren können. Nehmen wir weiter an, daß jedes Materieteilchen dieser
kontinuierlich verteilten Galaxien und Galaxienhaufen im Gravitationsfeld aller
anderen frei fällt, und beschreiben die Schwerkraft durch die Einstein-sche
Allgemeine Relativitätstheorie, so haben wir die wesentlichen Eingaben für das
kosmologische Standardmodell beisammen.
Aus den Einsteinschen
Feldgleichungen folgen dann die Friedman-Lemaitreschen kosmologischen Lösungen
(nach dem Mathematiker und Meteorologen Alexandrej Friedman [1888-1925] und dem
Jesuiten und Astrophysiker Georges Lemaitre [1894-1966]). Sie werden durch
Gleichzeitigkeits-räume konstanter Krümmung beschrieben und durch eine Funktion
der Zeit, die oft Weltradius S(t) genannt wird. Direkt gemessen werden kann
dieser „Radius" nicht. Seine Zeitabhängigkeit beschreibt die Expansion des
Kosmos und kann mit dem beobachteten Hubble-Fluß zusammengebracht werden. Die
relative Änderung des Weltradius zur Jetztzeit heißt Hubble-Parameter und ist
ein Maß für den Hubble-Fluß. Die Genauigkeit der Bestimmung dieses Parameters
ist in den letzten Jahren etwas verbessert worden; jetzt angegebene Werte
liegen um 74 km/s pro Mpc mit einem Fehler von ca. 5 %. Auch gibt es Hinweise
auf eine relative zeitliche
96
Änderung des Hubble-Parameters, das heißt auf eine
Beschleunigung der Expansion zur Jetztzeit.
Was die
Gleichzeitigkeitsräume betrifft, so gibt es drei Typen von Räumen konstanter
Krümmung: wenn diese verschwindet oder positiv oder negativ ist. Die drei
Möglichkeiten werden durch einen Parameter k beschrieben, der die Werte k = 0,
+1, —1 annimmt. Der erste Fall k = 0 ist der des euklidischen Anschauungsraums,
den uns unsere Sinne in unserer allernächsten Umgebung vorspiegeln. Er läßt
sich in jeder Dimension ohne Grenze fortsetzen, ist also unendlich ausgedehnt.
Es ist allerdings möglich, durch Identifikation von Punkten die globalen
Verhältnisse zu ändern. Denken wir an ein rechteckiges Blatt Papier, und rollen
wir es zu einem Zylinder auf. Hierbei werden die rechte und die linke Kante
(oder die obere und untere) identifiziert. Wir stellen uns das aufgerollte
Blatt als 2-dimensionalen Minkowski-Raum vor. Die Zeitachse soll in die
Richtung der Zylinderachse fallen. Auf dieser Zylinder-Welt treffen sich die
Strahlen des Lichtkegels in einem Ereignis nach der Umrundung des Zylinders
wieder in einem Punkt. Die Zusammenhangsverhältnisse sind also völlig anders
als in der euklidischen Ebene. Die innere Krümmung ändert sich durch die
Identifizierung von Punkten jedoch nicht. In unserem Beispiel bleibt sie Null.
Die zweite
Möglichkeit (k = +1) ist in Abschnitt 9.1 dadurch anschaulich gemacht worden,
daß Schnitte durch einen „Großkreis" jeweils eine Kugel ergeben.
Wesentlich ist, daß der Gleichzeitigkeitsraum von endlicher Ausdehnung, aber
unbegrenzt ist, eben wie die Kugeloberfläche. Ein in diesem Fall für den
expandierenden Kosmos zur Veranschaulichung oft benutztes Bild ist das eines
mit Galaxien-„punkten" bedruckten Luftballons, der aufgeblasen wird. Alle
Punkte auf dem Luftballon entfernen sich im Laufe der Zeit voneinander. Irreführend
an diesem Bild ist aber, daß sich der Luftballon in den dreidimensionalen
Gleichzeitigkeitsraum hinein ausdehnt, wir uns für die Expansion dieses
dreidimensionalen Raumes selbst jedoch keinen höherdimensionalen
Einbettungsraum vorstellen müssen und auch gar nicht können.
97
Die
Gleichzeitigkeitsräume konstanter negativer Krümmung (k = —1) sind, von
komplizierten topologischen Konstruktionen abgesehen, räumlich unendlich.
Manchmal wird versucht, sie als Sattelflächen anschaulich darzustellen.
Alle drei Familien
von Lösungen haben einen zeitlichen Anfang, der durch ein unbeschränktes
Anwachsen von Materiedichte und Temperatur gekennzeichnet ist. Er wird als
explosiver Beginn der Entwicklung des Universums dargestellt und salopp
„Urknall" genannt: Der „Weltradius" wächst vom Wert Null an mit einer
Potenz der Zeit. Zuerst dominiert Strahlung; nach der Bildung der einfachsten
Elemente dann Materie. Im Fall k = +1 existiert auch ein Endpunkt der
Entwicklung, in dem nach maximaler Verdünnung der Materie im Kosmos diese sich
wieder zusammenzuziehen beginnt und erneut in einen „Punkt" komprimiert
wird. Er könnte endgültiger Zusammenbruch oder „Endplumps" genannt werden.
In beiden anderen Modellen (k = 0, —1) folgt zeitlich unbegrenzte Verdünnung der
kosmischen Materie: Im expandierenden Kosmos erfriert und erstickt alles Leben.
(Vgl. Abb. 9 für die Darstellung der 3 Modelle.)
Welches dieser
Modelle die beobachtete großräumige Materieverteilung am besten beschreibt,
läßt sich heute noch nicht entscheiden. Aus der Interpretation der winzigen
aniso-tropen Anteile der kosmischen Hintergrundstrahlung ergeben sich flache
Gleichzeitigkeitsräume. Aufgrund der Messung des Hubble-Parameters und der
Schätzungen über das Alter der ältesten Objekte im Kosmos wissen wir, daß wir
uns auf einem ansteigenden Ast des Weltradius als Funktion der Zeit befinden —
noch vor dem möglichen Maximum zum Zeitpunkt einer Bewegungsumkehr (Kontraktion
statt Expansion), falls diese stattfindet. Eine eindeutige Festlegung des
Modells ließe sich erst dann erreichen, wenn die Materieverteilung im Kosmos
genau bekannt wäre. Wir sehen nur die leuchtende Materie in Form von Galaxien
und strahlenden Gaswolken. Die beobachtete Dynamik von Galaxienhaufen und
Spiral-galaxien gibt jedoch Hinweise darauf, daß mindestens zehnmal mehr
Materie vorhanden sein muß: Die sichtbaren Ob-
98
12.4 Ausblick
Ein wichtiges ungelöstes Problem der Kosmologie ist das der
Strukturbildung, also der Bildung der Galaxien, Haufen von Galaxien und der
weiteren beobachteten Überstruktur aus der angenommenen gleichförmigen
Verteilung der Materie beim Urknall im Standardmodell. Der Frühzustand des
Kosmos,
99
mit dem sich die theoretische Forschung intensiv befaßt, ist
weitgehend unbekannt und empirisch kaum zugänglich. Daher schäumen waghalsige
Extrapolationen und Spekulationen aller Art über. Angesichts der riesigen
räumlichen und zeitlichen Ausdehnung des Kosmos und der erst wenigen Jahrzehnte
wissenschaftlicher Kosmologie sollten wir bescheiden bleiben. Was kann eine
Coli-Bakterie in unserem Darm schon von der Welt wissen? Sind wir im Vergleich
zum Kosmos mehr als ein solches Lebewesen? Ertragen wir doch, daß nicht alle
Rätsel der Welt während unserer Lebenszeit gelöst sein werden, und versuchen
wir nicht, die mühsame Methode des Abgleichs von Theorien mit der messenden
Erfahrung durch fantasievolle mathematische Kopfarbeit zu umgehen! Die
Ein-steinschen Theorien mit ihrem kunstvollen Gewebe aus relativ und absolut
enthalten auch ohne tollkühne Spekulation genügend viel mathematische Struktur
und begriffliche Neuheit zu ernsthafter wie vergnüglicher Beschäftigung.
Relativitätstheorie - Hörbuch von Selzer-McKenzie
Author D. Selzer-McKenzie
4 Stunden Hörbuch
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Relativitätstheorie Buch von Selzer-McKenzie SelMcKenzie
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Oper „Die Relativitätstheorie“
komponiert von D.Selzer-McKenzie
Ein Titelsatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Staatsbibliothek hinterlegt.
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(Dr.of Molekularbiology and Genetics)
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Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie,Microfilm oder ein anderes Verfahren) ohne Genehmigung des Authors und Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert,verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Relativitätstheorie
Erklärungen von D. Selzer-McKenzie
Author D. Selzer-McKenzie
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