Künstlicher biotechnischer menschlicher Nano-Roboter von
Selzer-McKenzie
Author D. Selzer-McKenzie
YoutubeVideo: https://youtu.be/5YPU9yD9Pic
DIE MEDIZINISCHE FORSCHUNG PROBT SCHON HEUTE TECHNIKEN, DIE
WIE SZENARIEN AUS EINEM SCIENCE-FICTION-FILM WIRKEN. SIE
SOLLEN
KREBSBEKÄMPFUNG PRÄZISER UND PROTHESEN INTUITIVER MACHEN.
In Innenstadt von Stuttgart liegt 20 Taxi¬minuten entfernt,
das funktionale Ge¬bäude bietet wenig Raum für Ablenkung, und vielleicht ist
das ganz gut, denn im zweiten Stock sitzt Peer Fischer, 44, und kümmert sich um
die Zukunft.
Fischer ist Professor für Physikalische Chemie an der
Universität Stuttgart und Leiter der For¬schungsgruppe „Mikro-, Nano- und
Molekulare Systeme" am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme. Er
hat in Cambridge studiert, in Harvard geforscht und im letzten Jahr den „World
Technology Award" erhalten, eine Aus¬zeichung, die auch Elon Musk und
Julian Assange schon gewonnen haben. Mit ihr werden „innovative Arbeiten mit
höchstwahrscheinlich langfristiger Bedeutung" für die Menschheit
ausgezeichnet. Die Kategorie, in der Fischer gewann: „IT Hardware". Der
Mittvierziger baut Roboter, die kleiner sind als menschliche Zellen.
„Roboter ... mhh", macht Fischer. Sein Schreibtisch
sieht so aus, wie man sich Schreibtische von Forschern vorstellt: Papiere
stapeln sich, Bücher liegen herum, be¬nutzte Kaffeetassen, und an dem an der
Wand hängenden Whiteboard ist vor lauter Formeln das Weiße nicht mehr zu
erkennen. Er sagt: „Na ja." Nicht mal in der Robotik sei klar definiert,
was das sei, ein Roboter. „Mit Transformers und R2D2 hat es jedenfalls nichts
zu tun."
100 Nanometer groß sind seine Maschinen, 0,1 Mikro¬meter,
ein menschliches Haar ist etwa 70 Mikrometer dick.
einem Bakterium ist", sagt er. Alles andere sei einfach
zu groß, um durch die Moleküle zu kommen. „Die Substan¬zen sind ja gemacht, um
kleinste Eindringlinge abzuweh¬ren", sagt er. Die Substanzen: vor allem
Schleime aller Art. Nur wenn man die durchdringe, könne die
„Materialbe¬arbeitung" stattfinden. Was klingt wie bei einem Schlos¬ser
meint: Während Pillen sich über den Magen im gan¬zen Körper verteilen und bei
Injektionen nur ein Teil des Wirkstoffs ans gewünschte Ziel gelangt, sollen
Nanorobo-ter den Wirkstoff zielgenau verteilen, um Krankheiten an Ort und
Stelle zu bekämpfen. Metallische Nanopartikel könnten so etwa direkt in
eineTetorzel e ge rac t un -mithilfe.-Jektröinagnetischer
Wechselfelde—i—Erhitzt \VJ-¬den. Da Tumorzellen bei hohen Temperaturen
absterben, könnten Krebszellen so getötet werden. Im Labor funk-tioniert das
bereits.
Dabei sind die Stuttgarter nicht die Einzigen, die im
Schrumpfen große Möglichkeiten erkennen. Der kleinste voll autonome Computer
der Welt, der Michigan Micro Mote, ist mit einem halben Zentimeter gerade mal
so win¬zig wie die Spitze einer Bleistiftmine. Er könnte etwa in einem Tumor
überwachen, wie die Chemotherapie an¬schlägt, oder den Augeninnendruck
überprüfen. In Zürich experimentiert die Technische Hochschule mit Mikrobots,
die verstopfte Arterien befreien und Schlaganfälle verhin¬dern könnten. Und das
Google X Lab in Mountain View verspricht sich von magnetischen Nanopartikeln,
dass sie auf der Suche nach verdächtigen Zellen und Proteinen durch den
Blutkreislauf wandern und so Krankheiten ent¬decken, bevor sie ausbrechen.
Aber Fischers Team führt den Wettlauf an. Er sagt: „Das gibt
es sonst nirgends." Hergestellt werden die Robo¬ter ein paar Räume weiter
in einer grauen Kiste mit einem Fenster, Vakuumkammer, etwa so groß wie ein
kleiner Kühlschrank, viele lange Rohre, noch mehr Kabel, Stick¬stoff Daneben
ein Rechner, diverse Regale, darauf alle Ar¬ten von Metall in kleinster Form.
Denn die Nanoroboter werden weder geschweißt noch geschraubt oder geklebt,
sondern aus dem Dampf der Komponenten gefertigt, aus denen sie letztlich
bestehen sollen. Dabei wird eine ge¬kühlte und drehbare Scheibe in der Kammer
platziert und schräg in den Strom eines Metalldampfes gestellt. Dessen Atome
setzen sich auf Nanopartikeln ab, die zuvor auf der Scheibe platziert wurden:
Auf dem Träger wachsen Stäb¬chen. Bewegt man die Scheibe während des Aufdampfens,
verändert sich auch die Struktur des Stäbchens, es wird zur Helix oder
Schraube. Und wenn zwischendurch das Ausgangsmaterial geändert wird, anderes
Metall, magne-tisch, dann ändert sich auch der Aufbau der Nanostruktur. Das
Verfahren dauert nur wenige Stunden, und statt eines einzigen Roboters
entstehen ein paar mehr: pro Quadrat¬zentimeter Scheibe eine Milliarde. Eine
Flotte.
Die muss ohne Steuermann zum Ziel navigieren. Bisher können
sich kleine Objekte nur passiv im Körper bewegen, etwa mit dem Blutstrom. Das
ist bereits heute Standard in der Pharmakologie, nützt aber nichts, wenn ein
Ziel bewusst angesteuert werden soll. Deswegen kön-nen die Nanobots mit einem
Magnetfeld angetrieben und gesteuert werden. Eine weitere Herausforderung: Die
meisten biologischen Flüssigkeiten verändern ihren Wider-stand. Je größer die
Belastung, etwa durch die Geschwin-digkeit eines Objektes, desto zäher wird das
Blut. Gelöst haben die Wissenschaftler das Problem durch die Kons-truktion
einer Muschel. Ihre zwei Silikon-Polymer-Scha¬len, verbunden durch ein
Drehgelenk, schließen und öff¬nen unterschiedlich schnell. Auf ein schnelles
Zuklappen erfolgt ein langsames Aufklappen. Die Muschel bewegt sich so zuerst
ein großes Stück vorwärts, bei der zweiten Bewegung aber nur ein kleines Stück
zurück, sodass sie insgesamt vorankommt. „Ist eine sinnvolle Technologie",
sagt Fischer und freut sich über die Untertreibung.
Und wann sind die Nanoroboter im klinischen Alltag
einsetzbar? Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Er sagt: „Hier funktioniert
es wunderbar." Und Interesse der In-dustrie bestehe auch, daran werde es
nicht liegen, aber selbst, wenn es schnell gehe: Medizinische Tests dauern
Jahre. Schließlich sagt er: „Sagst du zehn Jahre, denken alle, es kommt sofort.
Sagst du 20 Jahre, denken alle, es kommt nie."
Fischer zuckt mit den Schultern. Man kann die Zeit nutzen:
das System besser machen. Er sagt: „Uns wird hier nicht langweilig
werden."
ORTSWECHSEL: ZU BESUCH IN GÖTEBORG BEI DR. ROBOCOP
Natürlich kennt Max Ortiz Catalan Ray Kurzweil. Kurzweil ist
Chefingenieur von Google. Er ist der bekann¬teste Vordenker des Transhumanismus
und begreift den Menschen als System aus Soft- und Hardware, komplex zwar, aber
optimierbar. Die anstehende biotechnologische Revolution, sagt Kurzweil, werde
der Menschheit zur Un¬sterblichkeit verhelfen, dazu werde er stark,
superintelli¬gent und gottähnlich. 2045 soll es so weit sein.
Max Ortiz Catalan hat einen Arm entwickelt, der Kurzweils
Beifall finden würde. Er lächelt. Manchmal, sagt er, bekommt er tatsächlich
Post von Menschen, die ihm vorschlagen, ihre gesunden Arme zu amputieren. Die
sich zwei Kunstarme wünschen. Die Iron Man sein wollen. „Einmal hat mir eine
Frau geschrieben, die wollte, dass ich ihr einen neuen Körper baue." Geld,
sagt er, habe keine Rolle gespielt, sie wollte einfach aus Metall und
Kunststoff sein und dann das Gehirn hochladen, da werde er schon einen Weg
finden. „Nein", sagt er, „das ist keine gute Idee."
Catalan, Mexikaner, Universität Göteborg, hat eine
Armprothese entwickelt, die zwar abnehmbar ist, deren Interface aber eben auch
im Knochen des Oberarms ver¬ankert ist und dabei im Inneren des Arms über
implan¬tierte Elektroden und im Labor gezüchtete Nerven
direkt an Muskeln und Nerven anschließt. Das Gehirn sendet Nervensignale
über das Implantat an die Prothese weiter, wo die Signale dann decodiert und in
Bewegungen übersetzt werden. Umgekehrt empfängt es Rückmeldun¬gen über Druck
und Position, Spannung und Kraft. „It's the only system in the world",
sagt er. Er steht von sei¬nem Schreibtisch auf, geht zu einer Tafel und malt
mit schwungvollen Kreisen den Schnitt durch einen Oberarm. „Hier, hier und
hier", sagt er. Er macht Punkte, die die Ner¬ven zeigen sollen, und zeigt,
wo der Chip sitzt, der die elektrischen Signale unterscheidet. Irgendwann sind
es so viele eingezeichnete Nerven, dass die Zeichnung unüber¬sichtlich wird.
Was klingt wie „Blade Runner", nämlich die
Verschmel-zung von Mensch und Maschine, ist in kleinerem Maßstab schon länger
Alltag: Die Osseointegration ist ein Begriff aus der Kieferchirurgie und
beschreibt den Zustand, in dem ein Implantat erfolgreich in ein biologisches
System integriert wurde. Tatsächlich ist der künstliche Arm direkt mit lebendem
Knochen und Gewebe verbunden. Eine engere Integration von Biologie und
Mechatronik gibt es nicht. Für Patienten bedeutet das: Die Prothese ist
steuer¬bar durch Gedanken. Zudem ist sie beweglicher, empfind¬licher und
einfach zu handhaben. Konkret: Schuhe bin¬den, mit Weingläsern hantieren, Eier
in den Kühlschrank räumen, Geschirr abspülen, das geht alles. Auto fahren,
Dinge hochheben, Kram transportieren sowieso.
„In manchen Dingen ist die Prothese überlegen", sagt
Catalan. Zum Beispiel, wenn man Wände einschlagen will oder Metall zerdrücken.
Dennoch, sagt er, sei es eben kein richtiger Arm. Man kann mit ihm schlafen,
aber nicht du¬schen, ihn 24 Stunden tragen, sieben Tage lang, aber die Finger
noch nicht bewegen wie echte Finger. Catalan sagt aber auch: „Alles eine Frage
der Zeit."
Bereits jetzt kann die Hand der Schweden theoretisch mit
jeder anderen Maschine interagieren — Wi-Fi und Di-gitalisierung sei Dank. „Man
kann sein Auto damit starten oder das Licht im Wohnzimmer anmachen", sagt
Catalan. „Wenn man es programmiert."
Im Labor ruht die Hand hinter einer Scheibe auf ei¬nem
Podest, zwei Rechner sind angeschlossen, Dutzende Kabel liegen herum. Skynet
aus den „Terminator"-Filmen kommen einem in den Sinn, Catalan lacht. Eine
Assisten¬tin klebt Elektroden an ihren Unterarm. Sie zeichnen die Signale auf,
die die Nerven und Muskeln senden, wenn bestimmte Bewegungen ausgeführt werden.
Die Hand hinter der Scheibe vollzieht die Bewegungen der Assisten¬tin nach:
Ballt sie die Faust, tut das auch die Prothese. Die Hand wird so trainiert, die
Software sorgt dafür, dass sie ständig dazulernt. Catalan lächelt mit
Vaterstolz.
Auch wenn der Versuch in der Echtwelt gut läuft: Magnus —
obwohl sein Nachname nie genannt wird, ist er mittlerweile trotzdem berühmt
Lkw-Fahrer aus Nord¬schweden, ist der bisher einzige Patient, der einen solchen
Arm trägt. Seit 2013 trägt er ein Vorläufermodell, das im laufenden Betrieb
ständige Updates bekommt, und ist da¬mit der Star in seiner Stadt: Seine Kinder
nennen ihn Ro-bocop. Obwohl noch immer überwacht, kann man jetzt schon sagen,
dass der Verlauf ein Erfolg ist.
Und wann ist es so weit, dass mehr Menschen von der
sensitiven Prothese profitieren können? „In fünf Jahren", sagt Catalan,
„vielleicht in zehn." Dann habe man eine markttaugliche Prothese. Er sagt:
„Und dann sind die Mög-lichkeiten grenzenlos
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