Der Dow Jones Leitindex
Author D. Selzer-McKenzie
YoutubeVideo:
https://youtu.be/AgN84v4-px8
Dass heute die Technische Analyse mit den fundamentalen
Bewertungsansätzen konkurrieren kann, war ein Lernprozess
von über einhundert
Jahren. Angestoßen wurde dieser von Charles Dow, der als
Begründer und Vater der
Technischen Analyse gilt. Wenn Sie nun glauben, diesen Namen
zu kennen, liegen
Sie vollkommen richtig. Der Leitindex der amerikanischen
Wirtschaft, der
Dow Jones Industrial Average, wurde von ihm entwickelt und
herausgegeben —
genauso wie auch das renommierte Wall Street Journal,
dessen erster Herausgeber Charles Dow war.
Charles Henry Dow wurde am 6. November 1851 auf einer
kleinen Farm in Connecticut geboren. Entsprechend erfuhr er auch nur wenig
Bildung, was ihn jedoch nicht davon abhielt, im Alter von 21 Jahren die
elterliche Farm zu verlas¬sen und sich als Journalist zu versuchen. Er konnte
in diesem Bereich auch verschiedene Jobs ausüben, da er ein beson¬deres Talent für
historische und ökonomische Themen besaß. Dies stellte sich als besonderes
Glück für Dow heraus. Gefördert von seinen Vorgesetzten interviewte er
Kapitalisten, Banker und Industrielle und lernte so eine Menge über die Börse
und die Bewertung von Aktien aus erster Hand.
1882 folgte dann der nächste Schritt. Gemeinsam mit sei¬nem
Kollegen Edward Jones machte sich Dow selbstständig und gründete ein eigenes
Unternehmen, die Dow Jones & Company. Innerhalb dessen verfassten sie
regelmäßig Ana-lysen zu verschiedenen Basiswerten, die sich vor allem durch
zwei Eigenschaften auszeichneten. Zum einen schrieben sie einfach und
verständlich, sodass ihre Analysen von einem großem Publikum verstanden wurden.
Zum anderen verfass¬ten sie ihre Artikel objektiv und unvoreingenommen. Viele
andere Analysten besaßen gewisse Präferenzen und zeigten diese auch in ihren
Analysen. Dow und Jones lehnten dies jedoch kategorisch ab.
In ihrem Börsenbrief, den sie als Customer Afternoon Let¬ter
publizierten, fassten sie auch die damals wichtigen Aktien zusammen, die vor
allem aus der Schifffahrts- und Eisen-bahnindustrie kamen. Um seinen Lesern
einen breiteren Marktüberblick bieten zu können, war Dow jedoch bestrebt,
weitere Unternehmen hinzuzufügen. Daraus erwuchs später der Dow Jones Industrial
Average, der 1896 zum allerersten Mal berechnet wurde und die zwölf größten an
der NYSE gehandelten Unternehmen enthielt. Alle Aktien wurden zu Beginn noch
gleich gewichtet. Heute enthält der Dow Jones 30 Unternehmen. Der einzige der
ersten zwölf Werte, der heute noch im Dow Jones vertreten ist, ist das von
Thomas Edison gegründete Unternehmen General Electric. Neben dem Industrial
Average entwickelte sich ebenfalls der Dow Jones Transportation Average, der
sich nach wie vor auf Logistik, Schifffahrt und Eisenbahnen und später auch auf
Fluggesellschaften konzentrierte.
Anders als der DAX° sind Dows Indizes reine Kursindizes,
welche gezahlte Dividenden nicht berücksichtigen. Über die Zusammensetzung des
Dow Jones entscheiden die Heraus-geber des Wall Street Journals nach eigenem
Ermessen und orientieren sich nicht an quantitativen Kriterien. Dies führt
jedoch auch zu Kritik, da Alphabet beispielsweise trotz hoher
Marktkapitalisierung nicht im Dow Jones Industrial Average vertreten ist. Das
Wall Street Journal scheint also ein nachhaltiges Bestehen und eine lange
Tradition ebenfalls zu berücksichtigen.
Den Erfolg ihres ersten Unternehmens nutzten Dow und Jones,
um gemeinsam
das Wall Street Journal zu gründen. Ihre ersten
Börsenbriefe erfreuten sich dank des Erwerbs
einer eigenen Druckerpresse großer Verbrei-
tung. Die große Leistung des Wall Street Journal
lag darin, Marktdaten für alle transparent zu
machen. Vor dessen Erscheinen versuchten Unterneh¬men häufig
durch die Angabe überflüssiger Informationen eine Berechnung ihres inneren
Werts für Privatanleger zu erschweren. Dem traten Dow und Jones als objektive
und verlässliche Datenquelle entgegen und wurden so schnell zur meistgelesenen
Finanzzeitung Amerikas und machten damit den Dow Jones Industrial Average
gleichzeitig zum Leitindex der amerikanischen Börsen.
Der Erfolg gab Dow recht. Im Jahrhundert nach Dows Tod wurde
das Wall Street Journal mit rund 7.000 Mitarbeitern und annähernd zwei
Millionen Lesern zur führenden Zeitung Amerikas. Diese wurde in elf Sprachen
übersetzt und in 66 Ländern der Welt verkauft. 2007 wurde das Wall Street
Jour¬nal dann von Medienmogul Rupert Murdoch für 5,6 Milliar¬den US-Dollar
erworben.
Um die Bedeutung fundamentaler Daten wissend, ent¬deckte Dow
dennoch Muster im Kursverlauf von Aktien und entwickelte davon ausgehend eine
Theorie, die die Muster im Chart mit der Psychologie der Anleger und der
fundamen¬talen Entwicklung der Unternehmen in Einklang zu bringen versuchte.
Diese Theorie wird heute allgemeinhin Dow-The-orie genannt und bildet das
Fundament der Technischen Ana¬lyse von Finanzmärkten. Dennoch war es nicht Dow,
der die Ergebnisse in Form eines Buches veröffentlichte. Sie wurden erst 1903,
ein Jahr nach seinem Tod, publiziert. Er verfasste lediglich eine Artikelserie
im Wall Street Journal, in der er seine Beobachtungen erklärte.
Die Dow-Theorie kennt sechs Kernthesen, die im Folgen¬den
erklärt und eingeordnet werden. Zunächst sei gesagt, dass Dow einen steigenden
Trend als Folge steigender Hoch-und Tiefpunkte definierte. Ein fallender Trend
wird entspre¬chend als Folge fallender Hoch- und Tiefpunkte erkannt. Das
Bemerkenswerte an diesem Trendverständnis ist, dass es bis heute Gültigkeit
besitzt und sich mit heutigen Interpreta¬tionen deckt. Die folgenden Thesen
dienen dazu, diese Trends besser zu identifizieren oder Divergenzen zu
erken¬nen.
1. Die Indizes diskontieren alles.
Dow postulierte, dass der Markt alle Informationen der
Vergangenheit und der Gegenwart sowie die Erwartun¬gen an die Zukunft
einpreist. Dies stellt gleichzeitig die Grundprämisse jeder Technischen Analyse
dar. Bemerkt werden sollte, dass diese Annahme der Markteffizienz-hypothese
widerspricht, die in ihrer schwächsten Version annimmt, dass kein
systematischer Gewinn aus histori¬schen Daten erwirtschaftet werden kann. Diese
Hypo¬these ist jedoch in ihrer Gültigkeit umstritten.
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