Sonntag, 21. Juni 2015

Archäologische Ausgrabungen


Archäologische Ausgrabungen

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/GE-x7PP3wIg

45 KILOMETER östlich von Wien, wo Gras und Büsche wachsen, führte vor über 1800 Jahren eine Straße aus der rö¬mischen Provinzhauptstadt Carnuntum hinaus zum städtischen Amphitheater. Heute ragen nur noch Reste der Theater-mauern aus dem Boden. Ansonsten fällt der Blick in grüne Leere. Ein paar He-cken und Bäume, mehr nicht. Die Be-sucherin streckt ihr Smartphone in die Höhe - und auf dem Display wächst ein römisches Gebäude empor.

„Augmented reality" nennt sich diese Überlagerung von wirklicher und vir-tueller Welt. Ein aus Stein errichteter Rundbogen überspannt den Eingang. Im visualisierten Innenhof steht eine Holz-arena. Einst übten sich dort Männer im Kampf. Das animierte Gebäude ist eine Gladiatorenschule, ein „Ludus". Hier lebten und trainierten in der Antike Kämpfer, bis sie im Sand des benach-barten Amphitheaters schließlich ihr Leben aushauchten.

Die Detailtreue der Animation ver-blüfft - und noch mehr, dass Archäolo-gen die Gladiatorenschule von Carnun-tum rekonstruiert haben, ohne zuvor auch nur einen Spatenstich getan zu haben. Stattdessen tuckerte im Sommer 2011 ein kleiner roter Traktor, ausgestat tet mit einem Multikanal-Bodenradarge¬rät, in engen Bahnen über das mehr als 11 000 Quadratmeter große Areal. Das Sondengerät schickte Radarwellen durch die Erde, und Antennen fingen jede elektromagnetische Veränderungen im Boden auf. Die Datenmengen, die bei solchen Messungen anfallen, sind rie¬sig. Ein spezielles Visualisierungspro-gramm setzt die Werte dann in zwei-und dreidimensionalen Bilder um.

ZEHN QUADRATKILOMETER GEHEIMNIS Vor den Augen von Wolfgang Neubauer, Projektleiter und Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie, zeichnete sich innerhalb weniger Stun¬den ein Grundriss auf dem Bildschirm ab. Die Reste einer Fußbodenheizung, Estrichböden, Säulen- und Hausfunda¬mente, Mauerreste und die Holzpfosten-spuren der Übungsarena - alles war deutlich zu sehen. Den Ludus auszu-graben, scheint sich zu erübrigen. Nach dem großen Erfolg bei der Gladiatoren-schule untersucht das Forschungsteam jetzt das übrige Stadtgebiet von Carnun-tum. Zehn Quadratkilometer Fläche warten darauf, dass man ihre Geheim-nisse lüftet.

Auf Grabungen zu verzichten, wäwerden, etwa vor dem Bau von Eisen-bahntrassen oder Tiefgaragen. Denn so fachmännisch Archäologen auch vorge¬hen und so wertvoll die Ergebnisse ihrer Grabungen sind, die Fundzusammenhän¬ge werden unwiederbringlich zerstört.

Mauern, Gräber oder Gruben ohne Verluste sichtbar zu machen, ist die Auf-gabe des Ludwig Boltzmann Instituts in Wien. Wolfgang Neubauer und sein Team arbeiten ständig an neuen Fern¬.; erkundungsmethoden, Prospektionsver-_

fahren und Visualisierungstechniken. In Europa ist das Forschungsinstitut hier führend. Im vergangenen Winter etwa E3

2 entdeckten die Wissenschaftler in Süd-norwegen eine Häuptlingshalle aus der Wikingerzeit. Dazu hatten die Österrei-cher

einen Bodenradar speziell für den -7•`-. Einsatz in Eis und Schnee entwickelt.

 

Bevor die Archäologen den Boden mit Radarwellen durch¬leuchten, tasten sie das Gelände aus der Luft ab. Dabei wenden sie mehrere Methoden gleichzei-tig an. Als Erstes fertigen sie von einem Flugzeug aus eine Serie von Luftbildern an. Je nach Jah¬reszeit und Wetter lassen sich am Pflanzenwuchs in der Erde verborgene Mauern und Gräben erkennen. Dabei gilt die Faust¬regel: Gras und Getreide wach¬sen über einer Mauer niedriger und ver¬dorren im Sommer schneller als der üb¬rige Bewuchs. Noch deutlicher zeichnet sich das Mauerwerk ab, wenn das Ge¬lände mit sogenannten Hyperspektral-sensoren aufgenommen wird. Denn sie können nicht nur das sichtbare Farb-

 

spektrum abbilden, sondern auch den für das menschliche Auge unsichtbaren Infrarot- und Ultraviolettbereich. Feins¬te Unterschiede in der Bodenfärbung und der Vegetationsdichte lassen sich damit aufspüren. Da die Methode in der Archäologie noch neu ist, weiß keiner genau, welche Informationen die ge-wonnenen Daten bereithalten.

In der Luft bringen die Forscher zu-dem Airborne Laserscanner zum Ein-satz, auch LiDAR („Light Detection and Ranging") Scanner genannt. Was so schlicht daherkommt, hat die Archäolo-gie in den vergangenen Jahren revolu-tioniert. Das Gerät schickt Laserstrahlen nach unten, die von Bäumen, Büschen und vom Erdboden reflektiert werden. Ein Computer misst die Dauer, die der Strahl zurück zum Flugzeug braucht, und errechnet daraus die Länge des zu-rückgelegten Weges.

Zusammen mit den Daten eines Bord-GPS erzeugt ein Visualisierungspro-gramm dann ein genaues Reliefbild der überflogenen Landschaft. Faszinierend ist: Die Archäologen können Wälder und Büsche ausblenden, indem sie nurdie jeweils letzte Reflexion in das Pro-gramm einspeisen - die Impulse, die am längsten unterwegs waren. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie vom Boden und nicht von einer Baumkrone zurückgeworfen wurden. Die Ergebnis¬se sprechen für sich: Auf den Bildern zeichnen sich Wallanlagen, Gräben und Grabhügel ab, die in Wirklichkeit unter einem Blätterdach verborgen sind.

NICHT NUR DER LETZTE REFLEX

Doch Wolfgang Neubauer hält diese Daten für zu ungenau. Er schwört auf das „Full Waveform"-Verfahren, bei dem die Sensoren nicht nur den letzten Reflex registrieren, sondern den gesam-ten Signalverlauf eines jeden Laser-impulses. Dabei lässt Neubauer auch die Intensität der Reflexion messen. „Dadurch können wir genau erkennen,

 

welcher Strahl tatsächlich den Bod-erreicht hat und welcher nicht", erk der Direktor des Ludwig Boltzrn, Instituts.

Ist die Fernerkundung abgesch sen, nehmen die Archäologen die sichteten Spuren mit geophysikalisch Methoden genauer unter die Lupe. E bekannteste ist die Geomagnetik. einem kleinen Traktor oder Mini-Gela dewagen ziehen die Wissenschaft.-Sonden über die Felder, die das Erdma _ netfeld ein bis zwei Meter unterhalb Grasnarbe messen.

Egal, ob dort einst Gruben ausgeh ben, Gräben geschaufelt oder Brunm in den Boden getrieben wurden - jede Mal ist eine Störung im Erdmagnetfe. zurückgeblieben. Das Magnetomet--: zeichnet die Eingriffe auf und bildet d Gräben, Kreisanlagen oder Häuser ve gangener Zeiten auf dem errechneten Magnetogramm ab.

Die Methode, die es schon seit ein paar Jahrzehnten gibt, wurde kontinu¬ierlich verbessert. Die Sensoren nehmen immer feinere Kontraste wahr, und - ein großes Plus - sie arbeiten immer schnel¬ler. „An einem Tag kann man heute eine Fläche prospektieren, für die man frü¬

 

her 80 Tage gebraucht hat", erklärt Wolfgang Neubauer. Die neuesten Ge¬räte schaffen bis zu 6,5 Hektar in der Stunde.

Geht es darum, kleinere Flächen zu erkunden, bevorzugen Archäologen das Bodenradar. Diese Messungen dauern zwar länger, aber dafür ist die Auflösung höher, und die Radarwellen dringen

 

mehrere Meter tief in die Erde ein. Dem Ludus von Carnuntum kamen Neubau¬er und sein Team mithilfe ebenjenes Bodenradars auf die Spur. Momentan sind die Forscher dabei, eine elektro¬magnetische Methode auszutüfteln, die noch tiefer in den Grund vordringt.

Hightech, wie ihn sich das Ludwig Boltzmann Institut leistet, übersteigt allerdings die Mittel der meisten Archäo-logen. Von Erfolgen wie der rekonstru-ierten Gladiatorenschule können viele Denkmalpflegeämter in Deutschland nur träumen. Der Gürtel wird überall enger geschnallt. Viele verkneifen sich teure, hochgenaue Airborne Laserscans oder setzen sie nur in ausgewählten Arealen ein. Selbst die etwas gröberen LiDAR-Daten der Vermessungsämter sind in der Regel nicht umsonst zu ha-ben. Neue Techniken wie das Hyper-s, spektral-Scanning kommen nur selten zum Einsatz. Ihre Ergebnisse sind zu ungewiss.

2         Mit der bewährten Geomagnetik

bellen zwar inzwischen alle Einrichtun¬g gen, doch die Geräte sind nicht immer 1z' auf dem neuesten Stand der Technik.

Ein neues Magnetometer kostet immer-

hin 120 000 bis 130 000 Euro. Auch Axel

Posluschny vom Deutschen Archäologi-g schen Institut bezeichnet die technische .2 Ausstattung seines Hauses als subopti-

mal. Er tröstet sich mit dem Gedanken,

dass man nicht nur mit einem Sportflit-

E

zer, sondern auch mit der Familienkut-

sche ans Ziel kommt. „Schließlich lässt

sich eine Kreisanlage auch bei geringe-

..

rer Auflösung und Messgeschwindigkeit

erkennen", meint der Archäologe. Bedenklich findet Axel Posluschny .e allerdings, dass die geschilderten Me-

 

thoden kaum gelehrt werden: „Es gibt zwar großes Interesse, aber viele Kolle-gen überlassen die Arbeit mit Magneto-meter, Bodenradar und LiDAR-Daten lieber Geophysikern, die naturgemäß wenig Ahnung von Archäologie haben. Es gibt derzeit kaum Archäologen, die das unterrichten können."

Auch Wolfgang Neubauer wittert bei vielen seiner Kollegen eine gewisse Technikscheu. Völlig ohne Grund, wie beide Wissenschaftler meinen. „Jeder Archäologe sollte zumindest wissen, welche Methoden es gibt, welche Daten sie liefern und wie man sie interpretie¬ren kann", fordert Posluschny. Als Vor¬reiter beteiligt er sich am EU-Projekt Archaeolandscapes und bietet europa-weit Workshops und Lehrgänge an.

EIN WAHRES FUND-DORADO

Und es fließen Fördergelder. Zum Bei-spiel nach Esslingen in Baden-Württem-berg, ins Landesamt für Denkmalpflege: Dort sitzt Ralf Hesse an einem Bild-schirm und bereitet LiDAR-Daten auf, die das Landesamt für Vermessung und Geoinformation von ganz Baden-Würt-temberg gewonnen hat. Am Neckar ist man stolz auf die bisherigen Ergebnisse der Auswertung. Selbst in vermeintlich „abgegrasten" Gebieten dokumentier¬ten die Forscher noch ein Viertel mehr

 

Fundstellen. „Vor allem in Waldgebie ten sind die Ergebnisse beachtlich", b tont Ralf Hesse. „Im Schwarzwald ke: nen wir inzwischen zehn Mal so vie Verdachtsstellen wie vorher."

Aus den LiDAR-Daten setzen die La: desarchäologen 3D-Modelle der Lan.: schaft zusammen. Die bringen den Fc-schern große Vorteile: Auf einen Blic können sie das ganze Bundesland rr. allen bekannten archäologischen Ste len überschauen. Werden Bauvorhabe - bei den Behörden gemeldet, sehen Jö7. Bofinger und seine Kollegen schnell, c: an Ort und Stelle mit archäologische Funden zu rechnen ist.

Früher musste man dafür mit Bagi-, und Schaufel anrücken. Heute unt,. suchen Archäologen vor Großprojekt, das Gelände mit dem Magnetome:-das rasch genaue Ergebnisse liefe „Bauherren wie die Deutsche Bahn 1. ben sich nicht mit Vermutungen zuf:-den", sagt Jörg Bofinger. „Und n2 einer geomagnetischen Untersucht wissen wir mehr, als früher nach meh¬ren Baggersondagen."

Außerdem lässt sich der Grabur_ aufwandbesser kalkulieren - und ev, tuell die Entscheidung fällen, die Ft= stätte zu überbauen, statt sie vollk: - men abzutragen. Solche genauen In: mationen wissen auch die Bauherren schätzen. Gebaut werden darf nämlich trotz Denkmal in der Erde, wenn zuvor fachmännisch gegraben und dokumen¬tiert wurde. Können Radar- und Elektro¬wellen die Ausgrabungen also doch nicht ersetzen? „Auf jeden Fall helfen sie, unnötige Grabungen wie Bagger-sondagen zu vermeiden", meint Wolf¬gang Neubauer.

Doch den Methoden der Geophysik und Fernerkundung sind technisch und physikalisch Grenzen gesetzt. Wenn der = Kontrast zwischen den Bodenverfär¬bungen zu schwach ist oder die Fund¬schichten zu mächtig sind, gehen viele

Verfahren in die Knie. Dies ist häufig in

z

Stadtgebieten der Fall, wo sich über

Jahrhunderte Mauerreste und Schutt-schichten meterdick übereinander ge-:ürmt haben. Auch das Bodenradar, das einige Meter tief in die Erde vordringen = kann, scheitert, wenn die Feuchtigkeit :m Boden zu groß wird.

Und selbst wenn sich nach allen Un-ersuchungen ein klarer Umriss oder so-zar ein 3D-Bild zeichnen lässt, ist nicht

jedem Fall zu erkennen, was genau kort im Boden schlummert und wie alt es ist. Der Ludus von Carnuntum war ein Ausnahmefall. Die vollständige Re-:onstruktion war möglich, weil Alter-ilmswissenschaftler andernorts schon --,e1 über römische Gebäudetypen he¬-ausgefunden hatten.

Sind geophysikalische Scans, Fern-kundungen mit Lasern und Hyper-

 

spektralaufnahmen also nur ein tech-nisches Bonbon? „Auf gar keinen Fall!" Da sind sich alle Archäologen einig. Mo-derne, zerstörungsfreie Methoden ge¬ben Auskunft über Form und Lage einer Fundstätte. „Das bedeutet, dass wir ge-zielt graben können, um herauszufin¬den, wie alt ein Bodendenkmal ist oder wie es konstruiert wurde", sagt Wolf¬gang Neubauer. Mit Studenten gräbt er im niederösterreichischen Hornsburg gerade den Torbereich einer mittelneo¬lithischen Kreisgrabenanlage mit drei Gräben aus.

Seit 1989 haben die Archäologen rund um die Anlage immer wieder das Gelän¬de mit ihren Messsensoren abgelaufen und Funde aufgelesen. „Jetzt wollen wir bei der Grabung klären, wie die Gräben zeitlich zueinander stehen. Das ist eine konkrete Fragestellung. Aber mit unse¬rer Grabungsarbeit beeinträchtigen wir nur einen Teil der Anlage", betont der Forscher. Natürlich greift Wolfgang Neubauer auch hier zu einer Sonde: Über jede freigelegte Schicht fährt ein Magnetscanner. Mit den Daten will er später die gesamte Kreisgrabenanlage in einem 3D-Modell rekonstruieren.

ALTE ÄCKER UNTER WÄLDERN

Und in Esslingen? Auf dem Bildschirm in Ralf Hesses Büro zieht das Oberflä-chenrelief von Baden-Württemberg vo-rüber. Er zeigt auf mal mehr, mal weni-ger sichtbare Rinnen im Gelände. „Das

 

sind alte Wegesysteme", sagt der Mann mit dunkelblondem Zopf und Brille. Un-ter Wäldern werden alte Ackerflächen sichtbar - der Pflug hat deutliche Spu¬ren hinterlassen. Und die Podeste alter Holzkohlemeiler ragen wie Beulen aus dem Gelände.

Früher waren die Archäologen nur über ausgegrabene Flächen gut infor-miert. Die Summe aller modernen Fernerkundungs- und Prospektionsme-thoden stößt das Fenster in die Vergan-genheit weiter auf. Plötzlich klärt sich der Nebel im Umfeld von Siedlungen, Kreisanlagen oder Burgen. Wie sich ganze Landschaften über Jahrhunderte hinweg entwickelt haben, können Ar-chäologen nun recht schnell und genau überblicken. Hinter den gesammelten Bildern und Daten verbirgt sich ein Schatz, den man gerade erst begonnen hat zu heben.

 

 

 



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