Schwarze Löcher
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/C7DHs19wI3o
Spaghetti oder Grillsteak? Wie würden Sie lieber enden, wenn
Sie, mal rein hypothetisch, in die Verlegenheit kämen, in ein Schwarzes Loch zu
fliegen? Die Frage mag wie Spielerei anmuten, aber sie führt auf ein heißes
Feld der Physik.
Aber sehen Sie erst, was hinter den Alternativen steckt. Die
erste läuft wie folgt: Der Anflug auf das kosmische Schweremonster bliebe lange
ereignislos. Keine besonderen Vorkommnisse - nicht einmal beim Überqueren des
Ereignishorizonts, jener Grenze, jenseits derer es kein Zurück mehr gibt,
hinter der die Anziehungskraft so mächtig wirkt, dass selbst mit
Lichtgeschwindigkeit kein Entrinnen mehr möglich ist. Je tiefer Sie in das
Schwarze Loch fielen, desto heftiger zerrte die Gravitation an Ihnen. An den
vorausfallenden Füßen stärker als am Kopf. Und dann wäre es so weit: Sie würden
in die Länge gezogen wie ein Spa-ghetto - bis zum Zerreißen.
Die zweite Alternative ist schnell erzählt: Nix da mit
freiem Fall bis ins vernichtende Zentrum der Finsternis. Auf Höhe des
Ereignishorizonts prallten Sie auf eine undurchdringliche Feuerwand, hinter der
Raum und Zeit endeten. Und Sie würden augenblicklich gegrillt.
Pasta oder Barbecue. Glücklicherweise brauchen Sie die Wahl
nicht zu treffen. Denn das nächste Schwarze Loch ist Hunderte Lichtjahre
entfernt und damit eindeutig außerhalb unserer Reichweite. Wer sich aber
durchaus entscheiden muss, sind die theoretischen Physiker. Und die diskutieren
derzeit heftig darüber, welche der Alternativen denn nun der Wahrheit
näher kommt. Es geht dabei um viel, um sehr viel. Steve
Giddings, Theoretiker an der University of California in Santa Barbara, spricht
gar von einer Krise der Physik, „einem Konflikt zwischen ihren tiefsten
Fundamenten".
Die tiefsten Fundamente, die er meint, sind: Albert
Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, zuständig für das ganz große Getriebe
des Universums, für die Bahnen der Planeten, den Zusammenhalt der Galaxien; und
auf der anderen Seite die Quantenmechanik, deren Einfluss-sphäre der
Mikrokosmos ist, die Welt der Elementarteilchen, der Elektronen und Photonen.
Beide sind in ihren jeweiligen Herrschaftsbereichen erfolgreiche Theorien, mit
denen sich die Natur verblüffend präzise beschreiben lässt. In der extremen
Umgebung eines Schwarzen Lochs aber, in dem sich Masse unendlich dicht ballt
und am Raum-Zeit-Gefüge zerrt, geraten die Konzepte an ihre Grenzen, und es treten
eklatante Widersprüche auf.
DER KONFLIKT RÜTTELT an Sicher-geglaubtem, und deshalb ist
er so brisant. Gleich welche Beschreibung des Schwarzen Lochs sich durchsetzen
wird, eine der beiden Großtheorien wird dabei wohl Schaden nehmen, wird sich
als zumindest unvollständig herausstellen und revidiert werden müssen. Jede
Theorie aber hat ihre Fans. Die scharen sich hinter ihrer Favoritin und
verteidigen sie mit immer neuen Gedankenexperimenten und den scharfen Waffen
der Mathematik. Eine Menge Ideen, wie der Konflikt zu lösen sei, schwirren
durch den Raum. Fast wö-chentlich tauchen neue auf.
Die Wurzeln des Konflikts liegen in den 197oer Jahren.
Ausgelöst hat ihn Ste-phen Hawking, seinerzeit ein noch fast unbekannter
Physiker aus dem englischen Cambridge. Er wandte Konzepte der Quantenmechanik
auf Schwarze Löcher an und kam zu dem überraschenden Fazit: Die kosmischen
Monster sind keineswegs rabenschwarz, sie senden eine schwache, kaum messbare
Strahlung aus, was dazu führt, dass sie peu ä peu Masse verlieren und am Ende
einfach verdampfen (Grafik rechts). Bis sich eines völlig aufgelöst hat,
vergehen allerdings Äonen: Ein Schwarzes Loch mit der Masse unserer Sonne würde
erst nach einer Zeit verschwinden, für die es keine Worte mehr gibt:14:366
Jahre, also eine Eins mit 66 Nullen. Zum Vergleich: Unser Universum existiert
erst seit knapp 14 Milliarden Jahren. Eine 14 mit neun Nullen.
Aber wo ist jetzt das Problem? Wo steckt der Konflikt?
Hawkings Konzept lässt die Relativitätstheorie unangetastet. So wie sie es
fordert, sieht der Raum in der Nähe des Ereignishorizontes genauso aus wie anderswo,
zeichnet sich durch nichts aus. Es gilt die Pasta-Variante: Ein Raumfahrer
passiert den Punkt ohne Wiederkehr, ohne etwas zu bemerken, und wird am Ende
spaghettifiziert.
Zugleich aber wird in Hawkings Modell ein Grundgesetz der
Quantenmechanik verletzt. Diese beruht darauf, dass In-
WAS GESCHIEHT MIT
EINEM LOCH, WENN ES SICH IN NICHTS AUFLÖST?
formation immer erhalten bleibt: Aus dem Wissen, wie ein
Prozess endet, lässt sich der Ausgangszustand rekonstruieren, zumindest im
Prinzip. Dies ist ein Dogma, genauso sakrosankt wie der Energieerhal-tungssatz
in der klassischen Physik.
Mit dem Verdampfen des Schwarzen Lochs aber, so Hawking,
geht die gesamte Information über all die Objekte, die das Schwerkraftmonster
geschluckt hat, verloren. Es bliebe verborgen, ob der Moloch einen Stern oder
einen todesmutigen Astronauten verzehrt hat. Nichts mehr wäre darüber zu
erfahren, da die nach Hawking benannte Strahlung von ihrer Natur her ungeeignet
ist, Auskunft über das Innere des bizarren Gebildes zu geben.
Stephen Hawking war sich seiner Sache so sicher, dass er mit
seinem amerikanischen Kollegen John Preskill wettete. dass absolut nichts aus
einem Schwarzen Loch nach außen dringe. Der Gewinner sollte eine Enzyklopädie
erhalten.
DIE QUANTENMECHANIKER waren in Not. Doch sie kämpften sich
zurück Vor allem die Ideen eines Mannes brachten sie erheblich voran, die des
Physikers Juan Maldacena vom Institute for Advanced Studies in Princeton,
Albert Einsteins letztem Wirkungsort.
Maldacena arbeitet an der String-theorie, nach der alle
Elementarteilchen aus unvorstellbar winzigen, schwingen-den Fäden, den Strings,
bestehen. In die-sem Kontext griff er auf ein völlig ver-rücktes Modell zurück:
Demnach enthält die zweidimensionale Oberfläche unseres dreidimensionalen
Universums alle Informationen über den eingeschlossenen Raum inklusive
Galaxien, Sternen. Schwarzen Löchern und der alles regierenden Schwerkraft. Wie
ein Hologramm, bei dem ein 3-D-Bild aus einer zweidimensionalen Aufnahme
entsteht.
Das Geschehen in dem zweidimen-sionalen Abbild lässt sich
nun mit Glei-chungen beschreiben, die ausschließlich den Regeln der
Quantenmechanik folgen. Und diese umfassen eben auch den Erhalt der
Information. Was aber für 2-D gilt, muss auch für 3-D gelten, wie Maldacena mit
komplexen Formeln bewiesen hat. Damit bliebe auch das Wissen über den Inhalt
eines Schwarzen Lochs erhalten.
Seine Beweisführung avancierte zu einer der meistzitierten
Arbeiten in der Physik. Der Konflikt zwischen Quanten-mechanik und
Relativitätstheorie schien gelöst, sehr zur Erleichterung der
Physi-kergemeinde. 2004 gab auch Hawking klein bei, die Entwicklungen der
vorangegangenen Jahre hatten ihn überzeugt, dass aus einem Schwarzen Loch doch
Information tröpfelt. Auf einer Tagung in Dublin gestand er seine Niederlage
ein und überreichte seinem Wettpartner John Preskill „Die endgültige
Baseball-Enzyklopädie", 2688 Seiten schwer.
Nur: Noch immer wusste niemand, wie Informationen aus dem
Inneren von Schwarzen Löchern heraussickern. „Wir alle nahmen halt an, es werde
schon eine einfache Antwort geben", sagt Joseph Polchinski vom Kavli
Institute im kalifornischen Santa Barbara. Mit seinem Team hatte er sich auf
die Suche gemacht. Aber statt einer einfachen Lösung deckte er einen neuen
Widerspruch auf.
Der Konflikt war wieder da. Heftiger denn je. Nun war die
Quantenmechanik
obenauf, die Relativitätstheorie ange-kratzt. Bei den
Berechnungen stellte sich nämlich heraus: Wenn die Information erhalten bleibt,
umhüllt nahe dem Ereignishorizont eine Feuerwand das Schwarze Loch, eine
Schicht energiereicher Partikel, in der ein Astronaut augenblicklich gegrillt
würde. Die Barbecue-Variante.
Der Horizont, sagt Polchinski, ist eine reale physikalische
Wand, das Ende des Raums. Dahinter geht es nicht mehr weiter. Eine Feuerwand im
leeren Raum? Unmöglich nach der Relativitätstheorie.
Und jetzt? Vielen Astrophysikern geht es wie Joseph
Polchinski: „Mein Kopf glaubt an die Feuerwand." Aber sein
PHYSIKER STREITEN ÜBER WOLLMÄUSE UND TUNNEL IN DER RAUMZEIT
Bauchgefühl spreche dagegen, sagt er, intuitiv würde er es
bevorzugen, wenn „der Ereignishorizont ein sanfter Ort ist". Seither dreht
sich ein Karussell wilder Ideen, wie der Konflikt zu lösen sei. Selbst Astronomen,
die existierende Schwarze Löcher erforschen, etwa das gut vier Millionen
Sonnenmassen umfassende Biest im Zentrum unserer Milchstraße, wird schwindlig
angesichts der Vorschläge ihrer Theoriekollegen - und oft können auch sie den
abstrakten Ausführungen nicht mehr folgen. Von Wollmäusen, Wurmlöchern ist da
die Rede, von weißen und grauen Löchern.
Steve Giddings zum Beispiel plädiert dafür, „unser gängiges
Konzept der Raumzeit aus dem Fenster zu werfen". Dieses Netz aus drei
Raumdimensionen und der Zeit bilde sich unter extremen Bedingungen wie an einem
Schwarzen Loch oder zum Zeitpunkt des Urknalls gar nicht. Die Raumzeit nicht
überall als gegeben anzunehmen, erlaube es, den kosmischen Monstern Information
zu entlocken, ohne eine Feuerwand zu errichten.
SAMIR MATHUR von der Ohio State University im amerikanischen
Columbus betrachtet Schwarze Löcher als Knäuel in die Länge gezogener Strings,
jener Fäden, aus denen laut Stringtheorie alle Elementarteilchen bestehen. Das
Gebilde ähnelt einer Wollmaus, es hat keinen Ereignis-horizont im hergebrachten
Sinne, sondern kann wie jeder Körper Strahlung und In-formation aussenden.
Juan Maldacena und Leonard Suss-kind von der Stanford
University, ein weiterer Großmeister der Schwarze-Loch-Theorie, wagen sich weit
vor, dorthin, wo es streng nach Science-Fiction riecht: Teilchen, so ihr
Vorschlag, sind mit ihren Gegenstücken im Schwarzen Loch durch Wurmlöcher
verschränkt, durch Tunnel in der Raumzeit.
Carlo Rovelli und Hal Haggard von der Universität
Aix-Marseille wiederum präsentierten eine Theorie, nach der sich Schwarze
Löcher in „Weiße" Löcher verwandeln können: Unter dem Druck ihrer eigenen
Gravitation erreichten sie irgendwann einen Punkt, wo sie alle enthaltene
Materie explosionsartig wieder freisetzen.
Im Januar 2014 hatte sich noch Ste-phen Hawking in das wilde
Treiben ein-gemischt und mit einem gerade mal vier Seiten langen Papier in den
Medien für Aufsehen gesorgt: Er schaffte den klassischen Ereignishorizont ab.
Das bedeutet, schreibt Hawking, „dass es keine Schwar
zen Löcher gibt - im Sinne von Systeme - denen Licht auf
ewig nicht mehr entkommen kann". „Es gibt keine Schwarze - Löcher",
echoten die Schlagzeilen.
Hawking aber meinte, war: Die dunklen Giganten haben nur
einen scheinbaren Horizont, der ist nicht scharf definiert und ihm kann
Strahlung entkommen. Sie sind somit nicht ganz schwarz, und vielleicht sollten
wir sie genauer Graue Löcher nennen.
UNTER FACHKOLLEGEN hinterließ Hawkings Konzept Ratlosigkeit.
Er for-mulierte es so knapp, verzichtete auf jegliche Formel. Physiker wissen
nicht so recht, was sie damit anfangen sollen.
Viele Vorschläge, aber kein Konsens in Sicht. Joseph
Polchinski hat sich „all
DER AUSWEG AUS
DER KRISE? SPAGHETTI
MIT GEGRILLTEM
diese Ideen genau angesehen, in
Hoffnung, etwas Vielversprechendes zu finden". „Doch
ich denke nicht, dass sie funktionieren", sagt er.
In einem ist sich die Physikerge-meinde indes einig: Um die
Widersprüche zu lösen, müssen sie ans Eingemachte gehen. Das sieht auch Steve
Giddings stx „Der einzige Weg aus der Krise", sagt er. „scheint eine
Überarbeitung grundlegender physikalischer Prinzipien zu sein." Er
vergleicht die Situation heute mit der vor gut hundert Jahren, als die Grenzen
der klassischen Physik immer deutlicher zutage traten und schließlich die Quantenmechanik
eine neue, umfassendere Beschreibung der Natur hervorbrachte.
Auch der Konflikt ums Schwarze Lc. könnte am Ende in die
Erfüllung eir.
alten Traums münden: die widerst:, tenden Konzepte -
Quantenmechar. und Relativitätstheorie - in einer Theorie. der
Quantengravitation, zu vereinen. Da wäre dann fast schon so etwas wie eine
Weltformel: Spaghetti mit Grillgut.
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