Freitag, 19. Juni 2015

Schwarze Löcher


Schwarze Löcher

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/C7DHs19wI3o

Spaghetti oder Grillsteak? Wie würden Sie lieber enden, wenn Sie, mal rein hypothetisch, in die Verlegenheit kämen, in ein Schwarzes Loch zu fliegen? Die Frage mag wie Spielerei anmuten, aber sie führt auf ein heißes Feld der Physik.

Aber sehen Sie erst, was hinter den Alternativen steckt. Die erste läuft wie folgt: Der Anflug auf das kosmische Schweremonster bliebe lange ereignislos. Keine besonderen Vorkommnisse - nicht einmal beim Überqueren des Ereignishorizonts, jener Grenze, jenseits derer es kein Zurück mehr gibt, hinter der die Anziehungskraft so mächtig wirkt, dass selbst mit Lichtgeschwindigkeit kein Entrinnen mehr möglich ist. Je tiefer Sie in das Schwarze Loch fielen, desto heftiger zerrte die Gravitation an Ihnen. An den vorausfallenden Füßen stärker als am Kopf. Und dann wäre es so weit: Sie würden in die Länge gezogen wie ein Spa-ghetto - bis zum Zerreißen.

Die zweite Alternative ist schnell erzählt: Nix da mit freiem Fall bis ins vernichtende Zentrum der Finsternis. Auf Höhe des Ereignishorizonts prallten Sie auf eine undurchdringliche Feuerwand, hinter der Raum und Zeit endeten. Und Sie würden augenblicklich gegrillt.

Pasta oder Barbecue. Glücklicherweise brauchen Sie die Wahl nicht zu treffen. Denn das nächste Schwarze Loch ist Hunderte Lichtjahre entfernt und damit eindeutig außerhalb unserer Reichweite. Wer sich aber durchaus entscheiden muss, sind die theoretischen Physiker. Und die diskutieren derzeit heftig darüber, welche der Alternativen denn nun der Wahrheit

 

näher kommt. Es geht dabei um viel, um sehr viel. Steve Giddings, Theoretiker an der University of California in Santa Barbara, spricht gar von einer Krise der Physik, „einem Konflikt zwischen ihren tiefsten Fundamenten".

Die tiefsten Fundamente, die er meint, sind: Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, zuständig für das ganz große Getriebe des Universums, für die Bahnen der Planeten, den Zusammenhalt der Galaxien; und auf der anderen Seite die Quantenmechanik, deren Einfluss-sphäre der Mikrokosmos ist, die Welt der Elementarteilchen, der Elektronen und Photonen. Beide sind in ihren jeweiligen Herrschaftsbereichen erfolgreiche Theorien, mit denen sich die Natur verblüffend präzise beschreiben lässt. In der extremen Umgebung eines Schwarzen Lochs aber, in dem sich Masse unendlich dicht ballt und am Raum-Zeit-Gefüge zerrt, geraten die Konzepte an ihre Grenzen, und es treten eklatante Widersprüche auf.

DER KONFLIKT RÜTTELT an Sicher-geglaubtem, und deshalb ist er so brisant. Gleich welche Beschreibung des Schwarzen Lochs sich durchsetzen wird, eine der beiden Großtheorien wird dabei wohl Schaden nehmen, wird sich als zumindest unvollständig herausstellen und revidiert werden müssen. Jede Theorie aber hat ihre Fans. Die scharen sich hinter ihrer Favoritin und verteidigen sie mit immer neuen Gedankenexperimenten und den scharfen Waffen der Mathematik. Eine Menge Ideen, wie der Konflikt zu lösen sei, schwirren durch den Raum. Fast wö-chentlich tauchen neue auf.

 

Die Wurzeln des Konflikts liegen in den 197oer Jahren. Ausgelöst hat ihn Ste-phen Hawking, seinerzeit ein noch fast unbekannter Physiker aus dem englischen Cambridge. Er wandte Konzepte der Quantenmechanik auf Schwarze Löcher an und kam zu dem überraschenden Fazit: Die kosmischen Monster sind keineswegs rabenschwarz, sie senden eine schwache, kaum messbare Strahlung aus, was dazu führt, dass sie peu ä peu Masse verlieren und am Ende einfach verdampfen (Grafik rechts). Bis sich eines völlig aufgelöst hat, vergehen allerdings Äonen: Ein Schwarzes Loch mit der Masse unserer Sonne würde erst nach einer Zeit verschwinden, für die es keine Worte mehr gibt:14:366 Jahre, also eine Eins mit 66 Nullen. Zum Vergleich: Unser Universum existiert erst seit knapp 14 Milliarden Jahren. Eine 14 mit neun Nullen.

Aber wo ist jetzt das Problem? Wo steckt der Konflikt? Hawkings Konzept lässt die Relativitätstheorie unangetastet. So wie sie es fordert, sieht der Raum in der Nähe des Ereignishorizontes genauso aus wie anderswo, zeichnet sich durch nichts aus. Es gilt die Pasta-Variante: Ein Raumfahrer passiert den Punkt ohne Wiederkehr, ohne etwas zu bemerken, und wird am Ende spaghettifiziert.

Zugleich aber wird in Hawkings Modell ein Grundgesetz der Quantenmechanik verletzt. Diese beruht darauf, dass In-

WAS GESCHIEHT MIT

 

EINEM LOCH, WENN ES SICH IN NICHTS AUFLÖST?

formation immer erhalten bleibt: Aus dem Wissen, wie ein Prozess endet, lässt sich der Ausgangszustand rekonstruieren, zumindest im Prinzip. Dies ist ein Dogma, genauso sakrosankt wie der Energieerhal-tungssatz in der klassischen Physik.

Mit dem Verdampfen des Schwarzen Lochs aber, so Hawking, geht die gesamte Information über all die Objekte, die das Schwerkraftmonster geschluckt hat, verloren. Es bliebe verborgen, ob der Moloch einen Stern oder einen todesmutigen Astronauten verzehrt hat. Nichts mehr wäre darüber zu erfahren, da die nach Hawking benannte Strahlung von ihrer Natur her ungeeignet ist, Auskunft über das Innere des bizarren Gebildes zu geben.

Stephen Hawking war sich seiner Sache so sicher, dass er mit seinem amerikanischen Kollegen John Preskill wettete. dass absolut nichts aus einem Schwarzen Loch nach außen dringe. Der Gewinner sollte eine Enzyklopädie erhalten.

DIE QUANTENMECHANIKER waren in Not. Doch sie kämpften sich zurück Vor allem die Ideen eines Mannes brachten sie erheblich voran, die des Physikers Juan Maldacena vom Institute for Advanced Studies in Princeton, Albert Einsteins letztem Wirkungsort.

Maldacena arbeitet an der String-theorie, nach der alle Elementarteilchen aus unvorstellbar winzigen, schwingen-den Fäden, den Strings, bestehen. In die-sem Kontext griff er auf ein völlig ver-rücktes Modell zurück: Demnach enthält die zweidimensionale Oberfläche unseres dreidimensionalen Universums alle Informationen über den eingeschlossenen Raum inklusive Galaxien, Sternen. Schwarzen Löchern und der alles regierenden Schwerkraft. Wie ein Hologramm, bei dem ein 3-D-Bild aus einer zweidimensionalen Aufnahme entsteht.

Das Geschehen in dem zweidimen-sionalen Abbild lässt sich nun mit Glei-chungen beschreiben, die ausschließlich den Regeln der Quantenmechanik folgen. Und diese umfassen eben auch den Erhalt der Information. Was aber für 2-D gilt, muss auch für 3-D gelten, wie Maldacena mit komplexen Formeln bewiesen hat. Damit bliebe auch das Wissen über den Inhalt eines Schwarzen Lochs erhalten.

Seine Beweisführung avancierte zu einer der meistzitierten Arbeiten in der Physik. Der Konflikt zwischen Quanten-mechanik und Relativitätstheorie schien gelöst, sehr zur Erleichterung der Physi-kergemeinde. 2004 gab auch Hawking klein bei, die Entwicklungen der vorangegangenen Jahre hatten ihn überzeugt, dass aus einem Schwarzen Loch doch Information tröpfelt. Auf einer Tagung in Dublin gestand er seine Niederlage ein und überreichte seinem Wettpartner John Preskill „Die endgültige Baseball-Enzyklopädie", 2688 Seiten schwer.

Nur: Noch immer wusste niemand, wie Informationen aus dem Inneren von Schwarzen Löchern heraussickern. „Wir alle nahmen halt an, es werde schon eine einfache Antwort geben", sagt Joseph Polchinski vom Kavli Institute im kalifornischen Santa Barbara. Mit seinem Team hatte er sich auf die Suche gemacht. Aber statt einer einfachen Lösung deckte er einen neuen Widerspruch auf.

Der Konflikt war wieder da. Heftiger denn je. Nun war die Quantenmechanik

 

obenauf, die Relativitätstheorie ange-kratzt. Bei den Berechnungen stellte sich nämlich heraus: Wenn die Information erhalten bleibt, umhüllt nahe dem Ereignishorizont eine Feuerwand das Schwarze Loch, eine Schicht energiereicher Partikel, in der ein Astronaut augenblicklich gegrillt würde. Die Barbecue-Variante.

Der Horizont, sagt Polchinski, ist eine reale physikalische Wand, das Ende des Raums. Dahinter geht es nicht mehr weiter. Eine Feuerwand im leeren Raum? Unmöglich nach der Relativitätstheorie.

Und jetzt? Vielen Astrophysikern geht es wie Joseph Polchinski: „Mein Kopf glaubt an die Feuerwand." Aber sein

PHYSIKER STREITEN ÜBER WOLLMÄUSE UND TUNNEL IN DER RAUMZEIT

Bauchgefühl spreche dagegen, sagt er, intuitiv würde er es bevorzugen, wenn „der Ereignishorizont ein sanfter Ort ist". Seither dreht sich ein Karussell wilder Ideen, wie der Konflikt zu lösen sei. Selbst Astronomen, die existierende Schwarze Löcher erforschen, etwa das gut vier Millionen Sonnenmassen umfassende Biest im Zentrum unserer Milchstraße, wird schwindlig angesichts der Vorschläge ihrer Theoriekollegen - und oft können auch sie den abstrakten Ausführungen nicht mehr folgen. Von Wollmäusen, Wurmlöchern ist da die Rede, von weißen und grauen Löchern.

Steve Giddings zum Beispiel plädiert dafür, „unser gängiges Konzept der Raumzeit aus dem Fenster zu werfen". Dieses Netz aus drei Raumdimensionen und der Zeit bilde sich unter extremen Bedingungen wie an einem Schwarzen Loch oder zum Zeitpunkt des Urknalls gar nicht. Die Raumzeit nicht überall als gegeben anzunehmen, erlaube es, den kosmischen Monstern Information zu entlocken, ohne eine Feuerwand zu errichten.

SAMIR MATHUR von der Ohio State University im amerikanischen Columbus betrachtet Schwarze Löcher als Knäuel in die Länge gezogener Strings, jener Fäden, aus denen laut Stringtheorie alle Elementarteilchen bestehen. Das Gebilde ähnelt einer Wollmaus, es hat keinen Ereignis-horizont im hergebrachten Sinne, sondern kann wie jeder Körper Strahlung und In-formation aussenden.

Juan Maldacena und Leonard Suss-kind von der Stanford University, ein weiterer Großmeister der Schwarze-Loch-Theorie, wagen sich weit vor, dorthin, wo es streng nach Science-Fiction riecht: Teilchen, so ihr Vorschlag, sind mit ihren Gegenstücken im Schwarzen Loch durch Wurmlöcher verschränkt, durch Tunnel in der Raumzeit.

Carlo Rovelli und Hal Haggard von der Universität Aix-Marseille wiederum präsentierten eine Theorie, nach der sich Schwarze Löcher in „Weiße" Löcher verwandeln können: Unter dem Druck ihrer eigenen Gravitation erreichten sie irgendwann einen Punkt, wo sie alle enthaltene Materie explosionsartig wieder freisetzen.

Im Januar 2014 hatte sich noch Ste-phen Hawking in das wilde Treiben ein-gemischt und mit einem gerade mal vier Seiten langen Papier in den Medien für Aufsehen gesorgt: Er schaffte den klassischen Ereignishorizont ab. Das bedeutet, schreibt Hawking, „dass es keine Schwar

 

zen Löcher gibt - im Sinne von Systeme - denen Licht auf ewig nicht mehr entkommen kann". „Es gibt keine Schwarze - Löcher", echoten die Schlagzeilen.

Hawking aber meinte, war: Die dunklen Giganten haben nur einen scheinbaren Horizont, der ist nicht scharf definiert und ihm kann Strahlung entkommen. Sie sind somit nicht ganz schwarz, und vielleicht sollten wir sie genauer Graue Löcher nennen.

UNTER FACHKOLLEGEN hinterließ Hawkings Konzept Ratlosigkeit. Er for-mulierte es so knapp, verzichtete auf jegliche Formel. Physiker wissen nicht so recht, was sie damit anfangen sollen.

Viele Vorschläge, aber kein Konsens in Sicht. Joseph Polchinski hat sich „all

DER AUSWEG AUS

DER KRISE? SPAGHETTI

MIT GEGRILLTEM

diese Ideen genau angesehen, in

Hoffnung, etwas Vielversprechendes zu finden". „Doch ich denke nicht, dass sie funktionieren", sagt er.

In einem ist sich die Physikerge-meinde indes einig: Um die Widersprüche zu lösen, müssen sie ans Eingemachte gehen. Das sieht auch Steve Giddings stx „Der einzige Weg aus der Krise", sagt er. „scheint eine Überarbeitung grundlegender physikalischer Prinzipien zu sein." Er vergleicht die Situation heute mit der vor gut hundert Jahren, als die Grenzen der klassischen Physik immer deutlicher zutage traten und schließlich die Quantenmechanik eine neue, umfassendere Beschreibung der Natur hervorbrachte.

Auch der Konflikt ums Schwarze Lc. könnte am Ende in die Erfüllung eir.

alten Traums münden: die widerst:, tenden Konzepte - Quantenmechar. und Relativitätstheorie - in einer Theorie. der Quantengravitation, zu vereinen. Da wäre dann fast schon so etwas wie eine Weltformel: Spaghetti mit Grillgut.



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