Das Universum
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/byn_r7403T8
Unser Universum
ist nicht das einzige
Wir sind nicht das Zentrum im All — diese Erkenntnis
erschütterte einst unser Weltbild. Jetzt bahnt sich die größte aller
gedanklichen Revolutionen an: Das Weltall könnte nur ein winziger Teil eines
gigantischen Multiversums sein.
VIELE HORIZONTERWEITERUNGEN
Diese abenteuerlichen Hypothesen ste-hen in einer langen
Tradition astrono-mischer Horizonterweiterungen. Einst dachte man, dass die
Erde das Zentrum des Alls sei, umschlossen von einer Kristallsphäre, an der wie
Lampions die Sterne hängen. Inzwischen hat sich das Weltbild radikal gewandelt.
Die Erde kreist um einen durchschnittlichen Stern am Rand eines galaktischen
Spi-ralarms, als ein Planet unter Abermilli-arden - und das bei Abermilliarden
von Sternen in Abermilliarden von Gala¬xien. Einen Mittelpunkt hat der -
womöglich unendlich große ¬Weltraum auch nicht. Dass
selbst unser Universum nichts Besonderes und Einmaliges
ist, erscheint da als eine logische Fortsetzung. Brian
Greene von der Columbia University sprach kürzlich vom „Superkopernikanischen Prinzip":
Wie die Erde hat auch das Universum keine Sonderstel¬lung, sondern ist
lediglich Teil eines „Multiversums".
„Gut begründete Ideen, dass die phy-sikalische Realität sehr
viel größer ist als die menschliche Wahrnehmung von ihr und dass der beobachtbare
Teil nicht re-präsentativ für das Ganze ist, gibt es auf vielen Ebenen",
schlägt Frank Wilczek
vom Massachusetts Institute of Tech-nology in dieselbe
Kerbe. Er erhielt 2004 den Physik-Nobelpreis für seine Arbei¬ten zur
Quantenfeldtheorie der Starken Wechselwirkung. „Es könnte sein, dass die
Naturgesetze, mit denen wir das be-obachtbare Universum erfolgreich
be-schreiben, am natürlichsten in einem größeren Rahmen formuliert werden
müssen, der unbeobachtbare Bereiche einschließt." Dafür argumentiert er in
einem mit „Multiversality" betitelten Fachartikel, der demnächst in der
Zeit-schrift Classical and Quantum Gravity er¬scheint. Darin stellt er die
Frage: „Gibt es Aspekte des Universums, die durch die Multiversalität erklärt
werden kön¬nen, aber nicht auf andere Weise?" Und er nennt mehrere
gewichtige Gründe, warum die Antwort „Ja" lauten muss.
Andere renommierte Kosmologen und Physiker wie Alan Guth,
Alexander
Multiple Multiversen
Wann der Begriff „Multiversum" erst-mals verwendet
wurde, ist unbekannt. Er findet sich, mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen,
bereits in den Schriften der Philosophen William James (1842 bis 1910),
Heinrich Rickert (1863 bis 1936) und Ernst Bloch (1885 bis 1977), aber
natürlich ohne den ge-genwärtigen physikalisch-kosmologi-schen Bezug.
Wichtig wurde der Begriff zunächst in der Quantenphysik, in
der Debatte um die Many-Worlds-Interpretation. Sie postuliert die Existenz
vieler sich über-lagernder Quantenwelten. So verstand Andy Nimmo von der
British Interpla-netary Society 1960 unter „Multiver-sum" einen
„Zweig" der Wellenfunk¬tion des als einzigartig betrachteten Universums,
also eine einzelne Welt unter vielen Welten. Seine Definition hat sich nicht
durchgesetzt.
Quantenphysiker und Kosmologen verwenden „Multiversum"
genau im umgekehrten Sinn — als Sammel¬namen für alle diese Welten. „In den
1970er-Jahren wurde der Begriff häufig und informell bei der Diskussion der
Viele-Welten-Interpretation benutzt", erinnert sich David Deutsch von der
Oxford University, einer der prominen¬testen Vertreter dieser Sicht. „Als ich
1977 über die Many Worlds zu forschen begann, habe ich ihn einfach in mei-nen
Artikeln übernommen." Tatsäch¬lich hat der britische Science-Fiction-Autor
Michael Moorcock ab 1962 in seinen „Eternal Champion"-Kurz-
Vilenkin, Andrei Linde, Leonard Suss-kind, der Königliche
Astronom Sir Mar-tin Rees (Baron Rees of Ludlow) und der
Physik-Nobelpreisträger Steven Wein¬berg haben in den vergangenen Jahren
ebenfalls scharfsinnig dafür argumen¬tiert, die Existenz anderer Universen
ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Aber es regt sich auch vehementer Widerspruch von nicht
minder pro-minenter Seite. „Es handelt sich eher um ein vages Konzept als um
eine defi-nierte Theorie", kritisiert George Ellis von der Universität
Kapstadt, wie sein
geschichten und später im Roman „The Blood-Red Garne"
in dieser Be¬deutung vom „Multiversum" geschrie¬ben. „Von Moorcocks
Büchern erfuhr ich allerdings erst später und las sie mit Vergnügen",
dementiert Deutsch anderslautende Berichte.
In den 198oer- und 199oer-Jahren übernahmen auch Kosmologen
all-mählich das Wort. Denn sie begannen mehr und mehr über andere Universen zu
spekulieren. Das geschah vor allem im Zusammenhang mit dem Szenario der
Kosmischen Inflation und unab-hängig von (manchmal auch in Kom-bination mit)
der Vielzahl der Quanten-welten. In den z000er-Jahren etablier¬te sich der
Begriff vollends in der Fach-literatur. Allein in den letzten fünf Jah-ren sind
über iso wissenschaftliche Artikel mit „Multiversum" im Titel oder in der Zusammenfassung
erschienen.
früherer Kollege Stephen Hawking seit Jahrzehnten ein
bedeutender Kosmolo-ge. Er wirft den Multiversum-Anhän-gern vor, dass sie
„stillschweigend die Bedeutung von Wissenschaft neu defi¬nieren".
Und der Physik-Nobelpreisträger Ro¬bert B. Laughlin
schimpft: „Wie kann es passieren, dass Leute dafür bezahlt wer¬den, über Dinge
zu sprechen, die nie ge-
• messen werden
können und vermutlich nicht wahr sind?" Der Festkörperphysi-ker verkündet
damit auch den „Ab¬schied von der Weltformel".
HALTLOSE SPEKULATIONEN?
Ellis, Laughlin & Co. bemängeln, dass mit
Multiversen-Szenarien prinzipiell unüberprüfbare Behauptungen in die Welt
gesetzt würden. Mit harter Wissen¬schaft habe das nichts zu tun. Vorhersa¬gen
wären unmöglich, der Beliebigkeit sei Tür und Tor geöffnet, und das
Er¬folgsrezept der strengen Maximen der Forschung würde unterlaufen.
Die Multiversum-Anhänger erwidern, dass es sich keineswegs
um haltlose Spe¬kulationen handele, sondern um Konse¬quenzen bestätigter
Theorien oder zu¬mindest gut begründeter Szenarien. Die Multiversum-Hypothese
könne ansons¬ten völlig unverständliche Eigenschaf¬ten unseres Universums
erklären, teils sehr wohl getestet werden und sei ein seriöser Zweig der
Wissenschaft.
Was ist ein Universum?
DER BEGRIFF „MULTIVERSUM" leitet sich von
„Universum" ab, worin das lateini-sche Wort „unus" für „ein
Einziger" steht, und vervielfacht dieses im Wort-anfang, denn
„multus" bedeutet „viel, zahlreich". Es bezeichnet die in der
ak-tuellen Kosmologie so beliebte wie um-strittene Hypothese, dass eine
Vielzahl von Universen existiert. Zuweilen wird „Multiversum" synonym mit
„Megaver-sum", „Metaversum", „Omniversum", „Ultraversum"
oder „Welt-Ensemble" verwendet.
Die Probleme und Konfusionen be-ginnen schon mit der
Terminologie. Denn es werden mindestens sechs ver-schiedene, sich teilweise
überlappende Tg Begriffe gebraucht. Mit „Universum" kann gemeint sein:
g, (1) alles, was (physikalisch) existiert - irgendwann und
irgendwo,
(2) die
beobachtbare Region des Alls,
(3) die
beobachtbare Region des Alls und alles, was mit ihr in kausaler Wechsel¬'
wirkung stand oder einmal stehen wird,
(4) jedes
physikalische System, das uni¬-ä versell groß werden könnte, selbst wenn
es in sich zusammenstürzt, solange es noch klein ist,
(5) ein Zweig der
quantenphysikali¬schen Wellenfunktion (falls diese nie kollabiert) - das heißt,
eine von ver¬schiedenen Historien oder verschiede¬nen Welten in Superposition
(siehe Kas¬ten S. 51, „Viele Quantenwelten"),
(6) vollständig
getrennte physikalische Systeme.
Gemäß (1) gibt es lediglich ein ein-ziges Universum, aber
das löst das Pro-blem selbstverständlich nicht. Begriffe wandeln sich mit dem
wissenschaftli-chen Fortschritt - so hat zum Beispiel das „Atom" (von
griechisch „atomos", un-teilbar) heute seine ursprüngliche Be-deutung
verloren. Die Kosmologen be-zeichnen aktuell mit Multiversum in der Regel die
Menge der Universen im Sinn von (2), (3) oder (4), wobei (5) jeweils
hinzukommen kann, wenn man diese Interpretation der Quantenphysik teilt -was
viele Quantenkosmologen wie Stephen Hawking tun. (6) ist die radi-kalste
Auffassung und im Augenblick eher im Reich der Metaphysik angesie-
delt. Wäre (6) richtig, könnte es sogar komplett isolierte
Multiversen geben, sodass man noch einen umfassenderen Begriff für ihre
Gesamtheit bräuchte. Vorschläge gibt es bereits: Omniversum oder Kosmos.
BEGRENZTE FROSCHPERSPEKTIVE
Dass es theoretisch eine Fülle von Uni-versen gibt, ist
unumstritten - jede Lösung der Feldgleichungen der All-gemeinen Relativitätstheorie
beschreibt bereits ein eigenes kosmologisches Mo-dell. Doch welche dieser
Modelle sind physikalisch gesehen Realität? Oder hat womöglich der Kosmologe
Max Teg-mark vom Massachusetts Institute of Technology recht, wenn er meint,
dass alle mathematischen Strukturen real sind und wir aus unserer
Froschper¬spektive nur eine einzige wahrnehmen können, die wir hochtrabend
„Univer¬sum" nennen?
Fest steht, dass Kosmologen mehr brauchen als ein paar
komplizierte Glei-chungen. Gesucht ist eine Theorie, die die Entstehung und
physikalische Ein-
bettung vieler Universen erklären und zwingend erschließen
lassen kann. Mehrere solcher Ansätze haben sich in den letzten Jahren
herausgeschält. Das geschah zum Teil gleichsam unter der Hand der Forscher und
sogar entgegen ihren Absichten und Erwartungen. Heu¬te hat es fast den
Anschein, sie könnten
die Zahnpasta nicht mehr in die Tube ihrer weltumspannenden
Theorien zu-rückbefördern, selbst wenn sie es woll-ten. Der multiversale Geist
ist gleichsam aus der Flasche und spukt jetzt überall herum.
Gegenwärtig sind es vor allem drei Szenarien, die sich als
„Universen-
Schleudern" erwiesen haben. Jedes be-dingt für sich die
Existenz eines Multi-versums, und sie schließen einander nicht aus. Begonnen
hat diese schwin-delerregende Entwicklung mit einer Idee, die inzwischen als
Standarderwei-terung der Urknall-Theorie gilt: der Kos¬mischen Inflation.
Was ist die Kosmische Inflation?
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DER URKNALL gilt als erwiesene Tatsa-che, denn die
kosmologische Standard-theorie, in cl.ren Zentrum er steht, wur-de inzwischen
exzellent bestätigt (bild der wissenschaft 11/2009, „Der Ur-knall"). Doch
sie lässt auch viele Fragen offen. So bleibt unklar, was den Urknall auslöste,
woher die Elementarteilchen kamen und wodurch der Weltraum so groß wurde.
Eigentlich handelt die Urknall-Theo-rie gar nicht vom
Urknall selbst, son-dern von seinen Folgen. Ob mit dem Urknall Raum und Zeit
erst entstanden sind, wird nicht erklärt. Diese Frage kann, wenn überhaupt,
erst mit einer Theorie der Quantengravitation beant-wortet werden, die die
Quantenfeld-theorien mit der Allgemeinen Relati-vitätstheorie verknüpft (siehe
Grafik rechts „Weg zur Weltformel").
soll damit fast alles aus fast nichts er-zeugt haben - und
das ohne den Satz von der Erhaltung der Energie zu verlet-zen, also quasi
kostenlos.
Durch die Kosmische Inflation hat sich der Weltraum in einem
Sekunden-
Allgemeine
Relativitätstheorie
Quantengravitation
Viele Durchbrüche in der Physik beruhen auf einer
einheitlichen Beschreibung unterschiedlicher Phänomene und einer Vereinigung
separater Hypothesen, Ge¬setze oder Theorien in einer umfassen¬deren Theorie.
Diese Arbeit, die Isaac Newton mit seiner Gravitationstheorie begonnen hat, ist
noch nicht vollendet. Denn eine zusammenhängende Theorie
bruchteil gigantisch aufgebläht. Wie lange diese rasante
Ausdehnung währ-te, ist von Modell zu Modell verschie-den. Ein populärer Wert:
In 10-3° Sekun¬den expandierte das junge All um das 1030-Fache - das ist so,
als würde sich von Raum und Zeit sowie aller Kräfte und Materieformen fehlt
bislang. Kan¬didaten für eine solche „Weltformel", die auch die
Quantentheorie und Allge¬meine Relativitätstheorie im Rahmen einer Theorie der
Quantengravitation verbindet, sind die String- oder M-Theo¬rie sowie die
Schleifen-Quantengravita¬tion. Brisant ist: Sie legen die Existenz anderer
Universen nahe oder können zumindest entsprechende kosmologi¬sche Modelle so
erklären.
ein Zentimeter große Münze auf s Zehnmillionenfache der
Milchstra-aufblähen. Fest steht, dass sich die -Se des Alls durch die Inflation
min-lens SO Mal verdoppelt hat, denn st hätte das All heute nicht die
_enschaften, die die astronomischen bachtungen zeigen - beispielsweise
großräumige Gleichförmigkeit sei-Materieverteilung und die „flache"
metrie.
Jbwohl die Inflation also auf den ers-Blick gleich zwei
Naturgesetze zu :zen scheint, ist das nicht der Fall: Prinzip von der Erhaltung
der verbietet die Entstehung von aus dem Nichts. Doch es gibt ein floch: die
negative Energie. Dazu die Energie des Gravitationsfelds. int mehr positive
Energie - und
• E = mc2 somit
Masse -, wenn umbereich sich mit konstanter ausdehnt, dann bildet sich zu-mehr
negative Energie im Gravi-_sfeld, das diese Region ausfüllt. - ergien der
Schwerkraft und Mas-hen einander gerade aus, die Ge-ergie bleibt also erhalten.
Dies it nicht bei der normalen Aus-des Universums, weil hier die der
Materieenergie geringer phl aber bei der inflationären
Expansion, weil die Energiedichte in diesem Zustand konstant
bleibt.
• Gemäß der
Relativitätstheorie kann sich nichts schneller als mit Licht-geschwindigkeit
bewegen. Aber dies gilt nur für gewöhnliche Teilchen im Raum. Bei der Inflation
ist es der Raum selbst, der sich überlichtschnell ausdehnt. Und das lässt sich
mit der Allgemeinen Rela-tivitätstheorie nicht nur vereinbaren, sondern auch
erklären.
DER ZERFALL DES FALSCHEN VAKUUMS Was genau die Inflation
antrieb - und wieder stoppte -, ist bis heute unklar. Der Einfachheit halber
nehmen die Kos-mologen einen physikalischen Grund¬zustand an, das „falsche
Vakuum". Die¬ser Zustand soll von einem Energiefeld namens Inflaton
beherrscht worden sein (oder von mehreren), bis dieses in einem sogenannten
Symmetriebruch spontan zerfiel und das „echte Vaku¬um" entstand, also ein
neuer Zustand, in dem sich unser Universum seither befindet.
Das klingt exotisch. Doch ähnliche „Phasenübergänge"
gab es nachweis-lich auch später, bei der Aufspaltung der Naturkräfte, und sie
sind alte Bekannte in der Elementarteilchenphysik. Auch das Higgs-Feld - das in
einigen Model len sogar mit dem Inflaton in Zusam-menhang gebracht wird -
unterlag etwa 1011 Sekunden nach dem Urknall einer Symmetriebrechung. Erst
dadurch be-kamen die Elementarteilchen über-haupt ihre träge Masse.
Die ersten Modelle der Kosmischen Inflation entwickelten ab
1979 die Phy¬siker Alan Guth, Alexei A. Starobinsky, Alex Vilenkin, Andrei
Linde und Paul Steinhardt. Auch Stephen Hawking war sofort Feuer und Flamme und
beteiligte sich an der Forschung - bis heute. Er und andere erkannten bereits
1982, dass die Inflation kleine zufällige Irregulari¬täten enorm vergrößert
haben müsste.
Das war der Beginn eines neuen For-schungszweigs, der das
Allerkleinste mit dem Allergrößten verbindet: Winzige Quantenfluktuationen
wurden durch die Inflation später zu gewaltigen Dichte-schwankungen im Urgas
aufgeblasen, überlegten die Forscher. Ein „Abdruck" hiervon müsste sich
als geringfügige Temperaturschwankungen in der Kos¬mischen Hintergrundstrahlung
abzeich¬nen: Wo sich etwas mehr Materie kon¬zentrierte, war es ein paar
Hunderttau¬sendstel Grad wärmer. Diese regionalen Verdichtungen hätten mit
ihrer höheren Schwerkraft die Keimzellen der künfti-gen Sterne und Galaxien
gebildet.
Tatsächlich hat der Satellit COBE (Cosmic Background
Explorer) ein Jahr¬zehnt später erste Anzeichen solcher Temperaturschwankungen
gemessen ¬für ihre Entdeckung gab es 2006 einen Physik-Nobelpreis, für die
Voraussagen allerdings nicht. Inzwischen haben irdi¬sche Teleskope sowie die
Raumsonden WMAP (Wilkinson Microwave Aniso-tropy Probe) und Planck sie sehr
genau kartiert - ein Triumph der Wissenschaft.
EINFACHHEIT, ELEGANZ - UND RÄTSEL Zwar glänzt das Szenario
der Inflation in seinen Grundzügen durch Einfach¬heit und Eleganz. Doch viele
Details sind bis heute rätselhaft. Inzwischen gibt es Hunderte konkurrierender
Mo¬delle. Sie lassen sich zwar im Prinzip jedes für; sich überprüfen, doch es
ist unklar, ob das Szenario insgesamt falsi¬fiziert werden kann - und die
Wider-legbarkeit gehört ja zu den grundlegen-
den Merkmalen wissenschaftlicher Hy-pothesen. Deshalb ist es
gut, dass in den letzten Jahren ein paar konkurrierende Ansätze entwickelt
wurden. Doch die Idee der Kosmischen Inflation hat in¬zwischen so viele Tests
bestanden und eine so große Erklärungskraft entfaltet, dass sie fast schon als
„Standarderwei¬terung" der Standardtheorie vom Ur¬knall gilt.
Diese Erweiterung ist auch eminent räumlich zu verstehen.
Denn im Gegen-satz zur ursprünglichen Urknall-Theo¬rie stammt im Szenario der
Inflation nicht nur der gesamte beobachtbare Weltraum, sondern ein sehr viel
größe-rer Bereich aus einer winzigen, super-dichten Region, die sich
exponentiell schnell ausgedehnt hat.
Die schlechte Nachricht dabei ist: Wenn die Inflation sehr
lange gedauert hat, wurde durch sie alles aus der Zeit zuvor so explosionsartig
verdünnt, dass
es sich heute prinzipiell nicht mehr be-obachten lässt. Dann
wären sämtliche Spuren vom Anfang der Inflation unzu¬gänglich. Der Beginn von
allem wäre für immer verborgen.
Die gute Nachricht: Die Anfangs-bedingungen des Universums
könnten viel weniger speziell gewesen sein als bislang gedacht. Das verringert
die Un-wahrscheinlichkeit der Weltentstehung beträchtlich und gibt der
Kosmologie eine zusätzliche Erklärungstiefe.
Die Inflation hat, so die Vorstellung der Kosmologen, unsere
Welt nicht nur groß gemacht, also den Spielraum für al¬les Weitere geschaffen,
sondern sie lie¬ferte gleichsam auch das Spielzeug frei Haus. Am Ende der
Inflation, so die gän¬gige Ansicht, verwandelte sich die Energie des berstenden
Inflatonfelds beim Über¬gang vom „falschen" ins „echte" Vaku¬um in
eine Kaskade von Elementarteil¬chen. Das war die Geburt der Materie.
Prima Paradigma
Das Szenario der Kosmischen Inflation hat viele
Bewährungs¬proben bestanden: immer genauere Messungen der winzigen
Temperaturschwankungen in der Kosmischen Hintergrundstrah-
lung, die das Szenario hätten widerlegen können, aber
umge¬kehrt teilweise sogar von ihm vorausgesagt wurden. Die Tabelle fasst die
wesentlichen Pluspunkte zusammen.
Pr me der St,
Expansion: Was hat die Ausdehnung des Weltraums Das Inflaton - ein hypothetisches Feld, das
mit seinem
verursacht? negativen
Druck wie Antigravitation wirkt.
Flachheit: Woher kommt die insgesamt nahezu ungekrümmte
Geometrie des Weltraums? (Als zufällige Anfangsbedingung wäre sie extrem
unwahrscheinlich, etwa 1 zu 1058.) Durch
die Inflation, die den Raum in alle Richtungen „ge¬streckt" hat - ähnlich,
wie ein zerknittertes Tischtuch beim Auseinanderziehen geglättet wird.
Fluktuationen: Woher stammen die winzigen
Temperatur¬unterschiede in der Kosmischen Hintergrundstrahlung? (Sie spiegeln
Dichteunterschiede im Urgas wieder, aus denen später Galaxien und
Galaxienhaufen entstanden.) Von
zufälligen Quantenfluktuationen, die sich vor der Infla¬tion ereignet haben und
durch sie extrem verstärkt und ver¬größert wurden.
Topologische Defekte: Warum sehen Astronomen keine
exo¬tischen Objekte (Magnetische Monopole, Kosmische Strings, Domänengrenzen
oder Texturen), wie sie von bestimmten Theorien der Teilchenphysik vorausgesagt
werden? Weil die Defekte, falls sie
existieren, durch die Inflation so weit auseinandergetrieben wurden, dass sie
im beobacht¬baren Universum (fast) nicht vorkommen.
Teilchenzahl: Woher kommen die ungefähr 1080
Elementar¬teilchen im beobachtbaren Weltraum? Aus
der Zerfallsenergie des Inflatonfelds, als die Inflation aufhörte.
Eindeutigkeit: Warum sind die Naturgesetze und -konstanten
genau so, wie sie sind?
Weil vielleicht alle Möglichkeiten irgendwo realisiert sind,
wenn die Inflation zur Entstehung unterschiedlicher Universen führt.
Die Ewige Inflation
„DIE INFLATION ist in gewisser Weise nicht ein Teil des
Urknall-Modells, wie früher gedacht, sondern der Urknall ist ein Teil des
Szenarios der Kosmischen Inflation", sagt Andrei Linde, der den Urknall
mit der Erzeugung der Materie gleichsetzt. Doch die Konsequenzen ge¬hen sehr
viel weiter: Wenn die Inflation nicht überall im Kosmos gleichzeitig auf-gehört
hat, sondern an unterschiedli¬chen Stellen zu unterschiedlichen Zei¬ten, gab es
nicht nur einen einzigen - unseren - Urknall, sondern ungeheuer viele. Und mit
jedem entstand eine neue Raumblase, die nicht weiter inflationier-
te und die als separates Universum be-
zeichnet werden kann (siehe Grafik
Dieser Vorgang ist mit Gasblasen ver¬gleichbar, die sich in
kochendem Was¬ser bilden. Alle diese kosmischen Bla¬sen, so die Idee, sind
durch unermess¬lich große Raumbereiche getrennt, die
immer noch eine Inflation durchlaufen. Das ist
paradoxerweise sogar dann der Fall, wenn die Blasen von „innen"
be¬trachtet unendlich groß sind - eine Konsequenz der Relativität der
Koor¬dinatensysteme und der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit.
UNAUFHÖRLICH NEUE WELTEN
Wenn das stimmt, hört die Inflation als Ganzes wohl nie auf,
sondern setzt sich ewig fort. Zwar entstehen früher oder später an jeder Stelle
der inflationieren-den Raumzeit neue Blasen-Universen, die nicht mehr
exponentiell wachsen. Aber ihr Volumen ist verschwindend ge¬ring im Vergleich
zu dem der rasant ex-pandierenden Umgebung, die aus sich heraus gleichsam ständig
neuen Nach¬schub an Kosmischer Inflation erzeugt.
„Es gab einen Anfang für jedes Uni-versum im Multiversum,
und die Infla-tion wird überall einmal zu Ende gehen.
Aber es wird im Szenario der Ewigen In¬flation kein Ende für
die Entwicklung des Multiversums geben", beschreibt Linde dieses kaum
fassbare Modell. Es bedeutet, dass das Multiversum als Ganzes niemals
verschwindet und sich sogar permanent selbst reproduziert. So¬mit mögen die
einzelnen Blasen-Univer¬sen eines Tages in sich zusammenstür¬zen oder durch
ihre Ausdehnung so leer und kalt werden, dass kein Leben mehr in ihnen möglich
ist. Doch das inflationie-rende Multiversum hätte nie ein Ende.
Und es kommt noch extremer: Die Naturgesetze und -konstanten
in den einzelnen Blasen könnten ganz ver-schieden sein. Denkbar ist sogar, dass
die Zahl der Dimensionen variiert. Viel¬leicht werden somit alle physikalischen
Bedingungen, die überhaupt möglich sind, irgendwo realisiert. Die meisten
Blasen-Universen hätten dann vermut¬lich keine Sterne und Planeten.
Universen wie Seifenblasen
Kosmologen vermuten, dass unser Uni¬versum nur eines ist
untervielen. Sie sollen aus einem „falschen Vakuum" entsprungen sein, dass
sich exponen¬tiell ausdehnt. Wo diese Inflation auf¬hört, bildet sich eine
Blase wie in ko¬chendem Wasser. Das wäre ein Urknall - und das beobachtbare
Universum heute ein winziger Ausschnitt einer solchen groß gewordenen Blase.
Die Stringlandschaft
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GERADEZU ATEMBERAUBEND oder scho¬ckierend war eine von der
Kosmischen Inflation unabhängige Entwicklung. Sie schlug 2003 bei Theoretischen
Physi¬kern wie eine Bombe ein. Die Schock¬wellen sind bis heute nicht verebbt
(bild der wissenschaft 5/2013, „Streit unter Stringstrategen"). Gemeint ist
der zer¬platzte Traum einer eindeutigen „Welt¬formel" im Rahmen der
Stringtheorie. Diese beschreibt die Materie als Anre¬gungsformen
eindimensionaler „Saiten", der Strings, und kann alle Naturkräfte
vereinheitlichen. Der Nachteil ist: Es funktioniert mathematisch nur, wenn man
sechs oder sieben zusätzliche Raumdimensionen annimmt, die win-zig klein sein
müssen und „aufgerollt" wie Strohhalme.
Zunächst bestand die Hoffnung, auf diese Weise eine rigorose
Theorie der Quantengravitation und aller Elementar¬teilchen und
Wechselwirkungen gefunden zu haben, die sogar die scheinbar willkürlichen Werte
der Naturkonstan¬ten festlegt - ein schon von Albert Ein¬stein formuliertes
Traumziel. Dann je¬doch zeigte sich, dass es Myriaden von Möglichkeiten gibt,
wie die Extradimen¬sionen aufgerollt („kompaktifiziert") sein könnten -
diskutiert werden gigan-tische Zahlen zwischen 10100 und 101500
.
WARUM GIBT ES STACHELSCHWEINE? Zwar könnte man immer noch
behaup¬ten, das Universum sei die einzige reali¬sierte „Lösung" der
Theorie, doch es ist kein Grund in Sicht, warum es gerade so und nicht anders
entstand. Warum soll¬te die Natur allein unsere Variante ins Dasein gebracht
haben? Also ausgerech¬net jene, die zu einem Universum führ¬te, das im
Gegensatz zu möglichen Al¬ternativen fähig war, komplexe Struktu¬ren zu
entwickeln - etwa Sterne, Sta¬chelschweine und Stringtheoretiker?
Ein weiteres Problem: Die Physike: fanden bislang kein
Modell, das unse: Universum auch nur halbwegs treffen,: beschreibt. Entweder
stimmt das Spek¬trum der Elementarteilchen nicht, da,:, aus den Melodien des
Mikrokosmos en:-stehen muss - oder das Vakuum ha-eine negative Energiedichte
und kolla¬biert - oder es gibt keine vier unabhän¬gigen Grundkräfte und so
weiter.
Wenn die Theorie überhaupt der richtigen Weg weist, dann
zeigt sie multan in Abermilliarden verschiedene Richtungen. Jedem dieser
vielleicht 10-Stringvakuumzustände entspräche eine Sorte von Universum mit
eigenen Na¬turkonstanten und -gesetzen. Dieser-gigantische Multiversum hat
Leonanl. Susskind von der kalifornischen Star ford University
„Stringlandschaft" nannt.
In diesem multidimensionalen lände können viele Blumen
blühen. Dher sehen manche Forscher trotz der zahlreichen theoretischen
Gewitterwol-ken auch Sonnenstrahlen - soll heißen: eine Verbindung zum Szenario
der Kosmischen Inflation. Denn dessen Schlechtwettervorhersage besteht ja
da¬rin, dass bislang eine gute Erklärung für die Natur des-Inflatonfelds fehlt
- oder was immer den Treibsatz der Raum¬explosion geliefert hat.
ZWEI PROBLEME ALS EINE LÖSUNG
Manche Forscher hoffen nun, dass sich die Probleme
gegenseitig kurieren kön-nen. Denn in den Zusatzdimensionen könnte so viel
Energie stecken, dass sie einst die Inflation angetrieben hat, lau-ten einige
neue Spekulationen. „Infla-tion und Stringtheorie sind wie für-einander
gemacht", meint Cliff Burgess vom Perimeter-Institut im kanadischen
Waterloo. „Inflation ist ein Phänomen auf der Suche nach einer Theorie - und
die Stringtheorie eine Theorie auf der Suche nach einem Phänomen."
Aus dieser Not haben Burgess und andere Kosmologen
inzwischen eine Tugend gemacht - in Form von String-theorie-Modellen der
Kosmischen Infla¬tion. Die Konsequenz ist quasi eine Quadratur des
Multiversums: Wenn ir¬gendwo in der Stringlandschaft die Ewi¬ge Inflation
starten konnte, ist sie nicht mehr zu stoppen. Mit jedem neuen Bla¬senuniversum
kann ein anderer Teil der Landschaft erreicht werden, sodass alle
Stringvakuumzustände „bevölkert" wer¬den, wie die Kosmologen sagen.
Kurz¬um: Alle 10500 verschiedenen Universen müsste es tatsächlich geben - und
zwar unendlich oft.
Selbst Andrei Linde von der Stanford University, einer der
Vorreiter und streit¬lustigsten Vertreter dieses Ansatzes, räumt ein, dass die
mathematischen Gleichungen zur Stringinflation „bis¬lang noch extrem hässliche
Modelle" sind - sie wirken sehr künstlich. Aber er sieht die Entwicklung
auch positiv: „Ewige Inflation und Stringtheorie ha¬ben in der Stringlandschaft
zusammen-gefunden. Das Weltbild, das sich daraus ergibt, hat unsere Sicht auf
unseren Platz im All verändert. Das ist einer der aufregendsten und
geheimnisvollsten Aspekte der modernen Wissenschaft."
Nach der Stringtheorie und anderen Modellen der
Quantengravitation exis-tieren Myriaden von Universen. Ihre Eigenschaften,
beispielsweise der Wert ihrer Naturkonstanten, hängen von ihrem Quantenvakuum
ab - gewis-sermaßen ihrem physikalischen Grund-zustand. Das lässt sich mit
einer Art Potenziallandschaft mathematisch be-schreiben. Stellen mit einem
lokalen Minimum entsprechen einem Univer-sum. Doch viele dieser Grundzustände
beziehungsweise Minima sind meta-stabil: Sie können in einen Zustand geringerer
Energiedichte zerfallen. Dies geschieht aufgrund von zufälligen
Quantenprozessen. Ein solcher Pha-senübergang führt also von einem
Potenziallandschaft
Vakuum in ein anderes - in der Regel in eines mit
niedrigerer Energie. Dieses Quantentunneln kann einen Urknall bewirken - oder
ein ganzes Universum schlagartig völlig verändern.
Das wabernde Quantenvakuum
NICHT NUR die Kosmische Inflation könn¬te die
Stringlandschaft bevölkern, son¬dern das könnte auch durch Quanten¬effekte
geschehen. Das haben Alexander Vilenkin und Jun Zhang von der Tufts University
mit Jaume Garriga von der Universität Barcelona vor Kurzem gezeigt.
Verschiedene Ansätze zu einer Theorie der Quantengravitation legen nahe, dass
der Kollaps eines Universums nicht in eine Singularität mündet. Stattdessen
„federt" die stark gekrümmte Raumzeit gleichsam zurück. Ein solcher „Big
Bounce" („Starker Rückprall") führt dann zu einer neuen Expansion -
und mithin zu einem neuen Universum. Das wäre bei allen Universen mit
ne-gativer Energiedichte (Kosmologischer Konstante) oder überkritischer
Materie-dichte der Fall. „Übergänge zwischen den Vakua können durch
Quantentun-neleffekte geschehen. Als Ergebnis wird die gesamte Landschaft der
Vakua er-kundet", schreiben die Kosmologen.
Entstehung aus dem Nichts: Das Quantenvakuum als
energieŠrmster physikalischer Zustand ist vielleicht das Minimum der Existenz
- und doch so kreativ, dass es ganze Universen schafft.
„Verläuft der Kollaps inhomogen, kommt es zu einer
Fragmentierung des ur¬sprünglichen Universums, und es wer¬den verschiedene
Vakua erreicht."
Auch Schwarze Löcher könnten Keimzellen neuer Universen sein
-gleichsam lokale Ausknospungen, wie man sie von, Hefezellen kennt, die sich
von einer Mutterzelle abnabeln. So tun-neln die vielen Blasenuniversen durch
die Vakua, als würden Myriaden von Bällen in der Landschaft umherspringen und
immer mehr werden. Nur Univer¬sen ohne Schwarze Löcher sowie solche mit einer
Energiedichte größer oder gleich Null und keiner oder wenig Mate¬rie wären
„Sackgassen" in diesem kos¬mischen Irrgarten.
dessen quantengravitationstheoretische Grundlage viel
weniger elaboriert ist.
Nicht alle Fluktuationsmodelle ha-ben aber diese
Eigenschaften. So meint Salvador Robles-P6rez von der Univer-sität Bilbao, dass
neue Universen doch Spuren von ihrer kosmischen Geburts-stätte in sich tragen
oder gar quanten-mechanisch miteinander verschränkt sind - eine Idee, die auch
Laura Mersini von der University of North Carolina in Chapel Hill im Rahmen der
Stringtheo-rie entwickelt hat (bild der wissenschaft 9/2008, „Das Loch").
Der Clou: Die Quantenverschränkungen könnten nach¬weisbare Spuren hinterlassen
haben. Diese „gespenstischen Fernwirkungen", die Albert Einstein erstmals
1935 be¬schrieben hat, werden seit vielen Jahren erzeugt, gemessen und
manipuliert - al¬lerdings nur zwischen Quantensyste¬men in den Physiklaboren
unseres Uni¬versums. Wenn sie ihr geisterhaftes Un¬wesen auch zwischen
Universen treiben sollten, die räumlich und kausal längst völlig voneinander
getrennt sind, dann würden sie gleichsam Abdrücke in die benachbarten
Parallelwelten einprägen, sogar auf astronomischer Skala. Das könnte sich in
thermodynamischen Eigenschaften oder in der großräumigen
Galaxiensuperhaufen-Verteilung nieder¬schlagen.
Kosmische Klassifikation
Zum Multiversum gibt es einige kon-kurrierende Hypothesen.
Sie lassen sich unterschiedlich ordnen - zum Beispiel hinsichtlich der Art und
Wei¬se, wie die einzelnen Universen von¬einander getrennt sind:
• Räumlich wie
bei der Ewigen Infla¬tion, der Stringlandschaft und den kosmischen
Quantentunnel-Effekten.
• Zeitlich wie
bei oszillierenden oder zyklischen Universen oder bei ent-gegengesetzten
Zeitrichtungen.
• Dimensional
wie bei den Branen-Universen der Stringtheorie.
• Kausal wie
bei den vielen Quanten-welten in einem Superpositions-zustand oder bei
Multiversen ohne gemeinsamen Ursprung.
• Modal, das
heißt hinsichtlich ver-schiedener Möglichkeiten im Denken oder Sein („modaler
Realismus" in der Philosophie, etwa bei David Lewis) ¬die Trennung kann
hier physisch, metaphysisch oder rein logisch sein.
• Nomologisch,
das heißt hinsicht¬lich verschiedener Naturgesetze.
• Mathematisch
wie bei unterschied-lichen Systemen mit inkompatiblen Axiomen - eine These, die
der Kos-mologe Max Tegmark vertritt.
Welche Probleme
löst ein Multiversum?
DIE ANNAHME anderer Universen ist einerseits eine
Schlussfolgerung aus kosmologischen Theorien. Andererseits trägt sie dazu bei,
bestimmte Eigen-schaften unseres eigenen Universums besser oder überhaupt erst
zu verste-hen. So ist der Nobelpreisträger Frank Wilczek davon überzeugt: Es
gibt sehr wohl Aspekte des Universums, die nur durch die „Multiversalität"
erklärt wer¬‘-2c-den können. Einer ist die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik
5 (siehe Kasten rechts „Viele Quantenwel--ten"). Auch der Wert bestimmter
Natur¬konstanten ist am besten verständlich, wenn unser Universum eines unter
vie¬len ist, meint Wilczek. Dazu gehört der
niedrige, jedoch positive Wert der Va-kuumenergiedichte im
Weltall.
Lange dachten Physiker, darunter auch Einstein, dass dieser
Wert exakt Null sein muss. Andererseits suggerie¬ren Abschätzungen im Rahmen
von Quantengravitationstheorien einen Wert, der 1060 bis 10120 Mal höher ist
als ge-messen - der „größte Fehler der Theo-retischen Physik", wie der
Nobelpreis-träger Steven Weinberg sarkastisch an-merkt. Bei einer so enormen
Energie-dichte könnte man sich nicht einmal an die eigene Nase fassen: Der Raum
zwi-schen Hand und Gesicht würde expo-nentiell expandieren. Allerdings dehnt
sich das Weltall tatsächlich geringfügig
beschleunigt aus, wie viele astrono-mische Messungen seit
1998 belegen -eine Entdeckung, die 2011 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet
wurde und am besten durch eine leicht positive Kosmologische Konstante erklärt
wer-den kann.
EINE BESTÄTIGTE VORHERSAGE
Steven Weinberg und Alexander Vilen-kin hatten dafür unter
der Annahme eines Multiversums schon in den 1980er- und 1990er-Jahre
argumentiert - also noch bevor diese beschleunigte Ausdehnung gemessen worden
war. Ihre Begründung: Universen mit einer kleinen positiven Kosmologischen Konstante
können mehr Galaxien hervor-bringen als solche mit einer großen, mit keiner
oder mit einer negativen (bild der wissenschaft 11/2007, „Die Apokalypse des
Alex Vilenkin"). Doch ohne Gala¬xien gibt es keine Lebewesen
bezie¬hungsweise Astronomen, die das mes¬sen. Der Wert der Konstanten sei daher
ein „Beobachter-Selektionseffekt", über den man sich in einem Multiversum
nicht zu wundern braucht - genau wie man nicht staunen muss, auf einem
le¬bensfreundlichen Planeten wie der Erde zu existieren. Denn auf anderen, etwa
Venus oder Pluto, ist es viel zu heiß oder zu kalt, um Leben hervorzubringen.
DAS ANTHROPISCHE PRINZIP
Diese Argumentation wird Anthropi-sches Prinzip genannt
(bild der wissen-schaft 8/2006, „Ist uns das All auf den Leib
geschneidert?"). Es ist zwar keine Erklärung, sondern eine Tautologie,
doch sie macht verständlich, dass be-stimmte Naturkonstanten nicht als „fein
abgestimmt" für das Leben betrachtet
werden müssen oder als unerklärlicher Zufall. Vielmehr
könnten unzählige Universen mit ganz unterschiedlichen Werten dieser
physikalischen Parameter existieren, etwa der Kosmologischen Konstante, der Materiedichte
und der von der Inflation aufgeblasenen Dichte-fluktuationen. Doch wir brauchen
uns nicht zu fragen, warum diese Werte uns gleichsam auf den Leib geschneidert
er¬scheinen. Sie sind es nicht - in einer an¬deren kosmischen Garderobe würde
es uns schlicht nicht geben.
Umgekehrt müssten auch Naturkon-stanten existieren, die
nicht „fein abge-stimmt" anmuten - wenn sie nämlich die Wahrscheinlichkeit
der Entstehung von Leben und Intelligenz nicht beeinflussen. Genau das ist für
Wilczek ein weiteres Indiz für ein Multiversum: „Einige Para¬meter im
Standardmodell der Elemen¬tarteilchen, zum Beispiel der Neutrinos, wurden nicht
anthropisch selektiert." Wo also das Spiel des Zufalls nicht stört, kann
es sich auch in einem lebens¬freundlichen Universum entfalten.
Viele Quantenwelten
Die Wellenfunktion in der Schrödinger-Gleichung ist eine der
seltsamsten Ingredienzen der modernen Physik. Diese Grundgleichung der
wissen-schaftlich exzellent bestätigten Quan-tenphysik entwickelt sich streng
deter-ministisch: Die Werte, die sie anneh-men kann, sind durch die
Vorbedin-gungen eindeutig festgelegt. Hingegen scheinen Quanteneffekte rein
zufällig und völlig unvorhersagbar aufzutreten. Über diesen Widerspruch
streiten die Forscher seit den 192oer-Jahren.
Ein Lösungsvorschlag geht auf die Dissertation des
Amerikaners Hugh Everett III aus dem Jahr 1957 zurück. Im Gegensatz zu den
anderen Interpre-tationen der Quantenphysik „kolla-biert" die
Wellenfunktion in Everetts Many-Worlds-Interpretation nicht von selbst, durch
Messungen, durch Wech-selwirkung mit der Umgebung und so weiter. Der
Quantenzufall wäre damit eine Illusion. Stattdessen spaltet sich das Universum
gleichsam auf- aber nicht räumlich, sondern in Form von
schwer vorstellbaren Ü berlagerungszu-stä n den, wie sie
sich bei Doppelspalt-Experimenten sogar als Interferenzmus-ter messen lassen.
Schrödingers berüch¬tigte Katze wäre also immer zugleich le¬bendig und tot.
Diese gespenstischen Superpositio-nen sind im selben Raum,
lassen sich aber innerhalb der einzelnen klassischen Zweige der Wellenfunktion
- und somit von Beobachtern, wie wir es sind - nicht überblicken. Jede
Quantenkopie steckt
in ihrer eigenen Geschichte bezie-hungsweise Welt. Diese
abenteuerli-che Vorstellung hat etwas Alarmieren-des und Beunruhigendes
zugleich.
Soll man beispielsweise für die Er-haltung des Lebensraums
notleidender Schimpansen spenden oder sich lieber eine Reise zu Friedrich
Nietzsches Stein der Ewigen Wiederkehr bei Sils Maria gönnen? Im
Quantenmultiver-sum wird man beides tun - und noch viel mehr.
Ist das noch Wissenschaft?
WENN ODER WEIL sich andere Universen nicht direkt beobachten
lassen, sind die Hypothesen darüber trotzdem nicht zwangsläufig
unwissenschaftlich. Es stimmt zwar: Gerade diese Widerleg-barkeit gilt als
Gütesiegel wissenschaft-licher Hypothesen und Theorien. „Inso-fern sich die
Sätze einer Wissenschaft auf die Wirklichkeit beziehen, müssen sie
falsifizierbar sein, und insofern sie nicht falsifizierbar sind, beziehen sie
sich nicht auf die Wirklichkeit", schrieb der Philosoph Karl Popper 1932.
Mit die¬ser Überzeugung, die er in seinem Buch „Logik der Forschung"
sorgfältig aus-
gearbeitet und begründet hat, prägte er nachhaltig das
Verständnis von Wissen-schaft als eine Sache der Bildung und Überprüfung
widerlegbarer Hypothesen (Falsifikationismus). Er betrachtete das auch als
Abgrenzungskriterium der Wissenschaft von Metaphysik, Logik sowie Mathematik
einerseits und der Pseudowissenschaft andererseits.
Allerdings sind andere Universen keine wissenschaftlichen
Gesetzes-Hypothe¬sen - analog beispielsweise zu Galileis Fallgesetz. Spricht
man vom Multiver-sum, so ist dies eine sogenannte hypo¬thetische universelle
Existenzaussage.
Sie lässt sich im Gegensatz zu räumlic.:-oder zeitlich
lokalisierten Existenzsä: zen aufgrund unseres eingeschränkte: Zugangs zur Welt
nicht falsifiziere: Aber sie muss verifizierbar sein.
WIDERLEGBARKEIT IST NICHT ALLES!
Ein Beispiel hierfür ist die Vorhersag, dass das chemische
Element Hafniur (Ordnungszahl 72) existiert. Dirk Coste: und George de Hevesy
haben es 1922 in Kopenhagen mithilfe der Röntgenspek¬tralanalyse im Mineral
Zirkon entdeckt. Das geschah nicht zufällig, sonder nachdem ab 1869
Überlegungen de Ein weiteres Kriterium muss -anzukommen - die theoretische Ein¬
bettung: Universelle Existenzsätze sind dann
wissenschaftlich, wenn sie sich verifizieren lassen und einen Platz im Rahmen
einer wissenschaftlich aner-kannten Theorie haben, insbesondere wenn sie von
dieser vorausgesagt wer-den. Das hat schon Popper so gesehen.
Tatsächlich sind Aussagen über an-dere Universen keine
isolierten univer-sellen Existenzsätze, sondern werden von Theorien postuliert,
die selber falsi-fizierbar sind oder sein müssen. „Das haben sich Kosmologen
nicht in einem Höhenflug der Imagination erträumt. Wir sind darauf gestoßen,
als wir Pro¬bleme zu lösen versuchten, hier in dem Universum, das wir
beobachten", sagt Sean Carroll vom California Institute of Technology. „Es
ist ein Fehler, zu den¬ken, das Multiversum sei eine Theorie, die von
verzweifelten Physikern am En¬de ihrer Vorstellungskraft erfunden wur¬de.
Vielmehr wird das Multiversum von bestimmten Theorien vorhergesagt. Die Frage
ist auch nicht, ob wir jemals dazu in der Lage sein werden, andere Univer¬sen
zu sehen, sondern sie besteht darin, ob wir die Theorie überprüfen können, die
impliziert, dass sie existieren."
DIE KRITIK GREIFT ZU KURZ
Daher greift als Kritik an der Multiver-sum-Hypothese auch
der Positivismus zu kurz. Dieser Denkrichtung zufolge exis¬tiert nichts, was
nicht beobachtet wer¬den kann - oder es sei sinnlos, darüber Aussagen zu
machen. Freilich hat diese These selbst keinen erfahrungswissen¬schaftlichen
Gehalt und könnte deshalb mit ihren eigenen Waffen geschlagen und als sinnlos
zurückgewiesen werden.
Außerdem gibt es zahlreiche Beispie-le dafür, dass die
Spekulation von heute das Wissen von morgen sein kann. So behauptete August
Comte, der Mit¬begründer des Positivismus - und der Soziologie - in seinem
sechsbändigen „Cours de philosophie positive", dass sich die
Zusammensetzung der Sterne niemals herausfinden lassen würde. Er hätte auch
sagen können: Aussagen da¬zu seien nicht falsifizierbar. Doch zwei Jahre nach
seinem Tod, 1859, begründe¬ten Robert Bunsen und Gustav Kirch-hoff in
Heidelberg die Spektralanalyse. Mittels der für jedes Element charakte ristischen
Spektrallinien kann die Zu-sammensetzung der Sonne und anderer Sterne sehr wohl
bestimmt werden. Das Element Helium wurde sogar zunächst in der Sonne und erst
später auf der Er¬de entdeckt.
Vielleicht werden sich Kosmologen in 10, 100 oder 1000
Jahren über die Wissenschaft Anfang des 21. Jahrhun-derts wundern - und sich
entweder fra-gen, warum sie so blind war und die In-dizien für die Existenz
anderer Univer-sen nicht klarer gesehen hat, oder aber, weshalb sie so verrückt
war, sich in sol-che Fantasien zu versteigen. Im Augen¬blick kann die Sache
nicht entschieden werden. Auch deshalb ist es vernünftig und wichtig, die
multiversalen Ideen so gut wie möglich auszuloten - eingedenk der Warnung, die
Steven Weinberg 1977 ausgesprochen hat: „Unser Fehler ist nicht, dass wir
unsere Theorien zu ernst nehmen, sondern dass wir sie nicht
ernst genug nehmen."
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