Donnerstag, 11. Juni 2015

Vertrauen in Osteuropa


Vertrauen in Osteuropa

Author D.Selzer-McKenzie

Russland in einer schweren Rezession — doch viele andere Osteuropa-Märkte präsentieren sich heuer recht stark. Auch Russlands Börsen haben sich kräftig erholt. Dies ist nur ein Indiz für das verborgene Potenzial in dieser Region, das realisierbar wäre, sollten die Ukraine-Krise befriedet und die westlichen Sanktionen aufgehoben werden.

Die Analyse der osteuropäischen

Aktienmärkte muss zwangsläufig

einen besonderen Fokus auf den größten Staat der Region, Russland, legen. Denn Russlands Krisen stellten immer auch einen schweren Belas-tungsfaktor für die meisten Osteuropa-Börsen dar. Das war schon 1990/91 so, als die zusammenbrechende Sowjet¬union mit inneren Unruhen auch die anderen Staaten Osteuropas destabi¬lisierte. Das war auch 1998 so, als die russische Staatsschuldenkrise mit ei¬ner vorübergehenden Zahlungsunfä¬higkeit bzw. dem Zahlungsausfall bei russischen Staatsanleihen die Nachbar¬staaten belastete. Und das war 2014 so, als die Einmischung Russlands in den Ukraine-Konflikt zu harten Sanktionen seiner westlichen Partner und - im Ver-bund mit einem abstürzenden Ölpreis - zu schweren Liquiditätsproblemen und einer regelrechten Wirtschaftskri¬

 

se führte. Diese ist derzeit zwar noch in vollem Gange, doch mittlerweile hat sich der Ölpreis stabilisiert und der Rubel seit Jahresbeginn sogar fast 40 Prozent gegenüber dem Euro zugelegt. Auch der russische Aktienmarkt hat sich deutlich erholt. Können Anleger also wieder an einen Neueinstieg in Osteuropas Aktienmärkte denken?

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die meisten Osteuropa-Fonds oft stark in russischen Aktien gewichtet sind, häu-fig so um die 50 Prozent und mehr. Und das trotz klarer Indizien, dass die russi¬sche Wirtschaft sich in einer schweren Rezession befindet. Dies zeigt sich z.B. am starken Rückgang des russischen Außenhandels mit Deutschland. 2014 sind die Exporte um 18 Prozent ein¬gebrochen, 2015 bisher sogar um 34 Prozent. Viele russische Banken haben keinen Zugang mehr zum Interbanken-

 

Geldmarkt und sind von internationa-len Finanzströmen abgeschnitten.

Natürlich sieht dies auch Zoltan Koch, Fondsmanager des Nestor Osteuropa: „Ja, die wirtschaftliche Situation ist schwierig in Russland, wir erwarten eine Rezession (minus vier Prozent beim Bruttoinlandsprodukt) für dieses Jahr, allerdings liegt das schlechteste Quartal (Q1 2015) schon hinter uns. Es kann nur mehr besser werden." Auch die Verschuldungssituation muss, so Koch, differenziert gesehen werden. „Wenn man Russland als Einheit sieht, ist Verschuldung nicht so ein großes Problem, der Staat hat genügend Re¬serven (353 Milliarden Dollar Devi¬senreserven im Mai 2015), um die ver¬schuldeten Unternehmen zu stützen." Doch der Ölpreis ist viel wichtiger, denn die russische Wirtschaft hängt immer noch hauptsächlich an diesem einen Rohstoff. Der Rubel ist auch mit dem Ölpreis abgestürzt, da die fallen-den Exporteinnahmen ihn nicht mehr stützten. Jedoch: In Rubel gerechnet ist der.Ölpreis im Großen und Ganzen na-hezu konstant geblieben. Dennoch sind seine Erholung in Dollar gerechnet und das zweite Minsker Abkommen zur Uk¬raine-Krise die Auslöser der Aktiener¬holung gewesen. Und schließlich waren viele russische Aktienwerte dermaßen billig geworden, dass viele Anleger dies nicht mehr ignorieren konnten.

,Viele russische Unternehmen haben mittlerweile über 80 Prozent ihrer Marktkapitalisierung seit 2008 verlo¬ren. In der gleichen Zeit sehen wir in anderen Märkten neue Indexhöchst-stände. Der Discount bei einigen rus-sischen Aktien ist schon so groß, dass man diese als Investor nicht mehr ein-fach ignorieren kann. KGVs von 5-6 fin¬det man sonst bei größeren Unterneh¬men nicht. Wenn dazu noch der Ölpreis steigt und der Konflikt mit der Ukraine beruhigt ist, wird die Hoffnung schnell in den Markt zurückkehren", glaubt Nestor-Experte Koch. Ein weiterer Kri¬tikpunkt mancher Anleger, der nicht nur Russland betrifft: Abgesehen von den hohen politischen Risiken gebe es in Osteuropa kaum Unternehmen mit dauerhaften Wachstumsperspektiven, die diese Probleme kompensieren wür-den. Zudem geht das BIP-Wachstum seit 2010 kontinuierlich zurück.

 

lich in Russland oder in kleineren Märk-ten wie Ungarn oder Rumänien. Die Zahl der investierbaren Titel ist in die-sen Märkten überschaubar, darum sind viele Fonds in Russland hoch gewich-tet." Und dies sollte sich mittelfristig auch auszahlen, wenn man als Anleger auch gute Nerven braucht. So war 2014 ein extremes Jahr für russische Aktien, man konnte mit ganz wenigen Titeln (z.B. Stahlwerten) und nur mit hoher Volatilität Gewinne machen. Trotz des schwachen Ölpreises haben nicht die Ölwerte am meisten gelitten, sondern die Banken. Die konventionelle Ölpro-duktion in Russland ist sehr günstig, mit dem jetzigen Rubelkurs sehr pro-fitabel. Die Zeiten sind turbulent, aber die großen Unternehmen setzten auf langfristige Vorteile und Russland hat große, günstig förderbare Reserven.

RÜCKKEHR DER INVESTOREN?

Schlumberger, eines der größten US-Unternehmen im Ölservice, hat mitten in der Krise ein Kaufangebot für einen russischen Mitbewerber gemacht. Ein klares Indiz für die günstige Bewertung des russischen Rohstoffsektors. Zuletzt sind sogar Gerüchte aufgetaucht, Russ-land könnte von den Ratingagenturen wieder hochgestuft werden. Koch ist diesbezüglich noch skeptisch. „Der Ru-belkurs hängt sehr stark vom Ölpreis ab, ein schwacher Rubel federt den Einnahmerückgang der Wirtschaft bei fallendem Ölpreis ab. Der jetzige Kurs ist noch schwach genug, die Exporte zu unterstützen und damit könnte die hohe Inflation (rund zehn Pro¬zent) wieder sinken. Wir halten eine schnelle Hochstufung Russlands für unrealistisch. Vor der Lockerung der Sanktionen bleibt Russland wirtschaft-lich wackelig." Denn auch die Verschul-dungsproblematik ist noch keineswegs gelöst. Wie schon gesagt, sind die Staatsschulden kein Problem, doch die russische Wirtschaft steht im Ausland mit grob 500 Milliarden Dollar in der Kreide, am Top waren es sogar um die 700 Milliarden. Mehr als die Hälfte davon sind Kredite an Unternehmen, inklusive konzerninterne Finanzierun-gen. Dagegen standen knapp 500 Mil-liarden Dollar an Reserven. „Das größ-te Problem war nicht die Verschuldung selbst, sondern die zusätzliche Kapital-flucht. Zusammen könnten so bis zu 200 Milliarden Dollar p.a. abfließen, was die Reserven schnell schmelzen lässt. Dagegen hat man den Rubel ab-werten lassen, um die Reserven in der Krise zu stabilisieren", weiß Koch.

 

den Banken sind wir zurückhaltend, da sich erfahrungsgemäß in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das volle Ausmaß der Kreditausfälle erst nach und nach zeigt. Die schon begonnenen und noch zu er¬wartenden Zinssenkungen der Zentral¬bank sind aber sicher hilfreich für den Sektor." Bei den Exporteuren, die vom tiefen Rubel profitieren, bleibt sie im Großen und Ganzen weiterhin dabei, hat aber da und dort die massive Rally im April zu Verkäufen bei Inlandswerten genutzt, da bei diesen ihrer Meinung nach schon sehr viel von der wirtschaft-lichen und politischen Erholung einge-preist ist. „Der Metallsektor ist sicher ei¬ner der Hauptprofiteure des schwachen Rubels. Vereinfacht gesagt: Erträge in US-Dollar und Kosten in Rubel machen viele Unternehmen hochprofitabel. Rund 15 Prozent unserer Russland-Ge¬wichtung sind in diesem Bereich inves¬tiert", erklärt Millendorfer.

ANLAGESTRATEGIE

Nestor Fondsmanager Koch zu seiner mittelfristigen Strategie: „Wir haben uns aus Unternehmen zurückgezogen,

 

wo die Sanktionen zur entscheidenden Verschlechterung der Refinanzierung geführt haben. Am Tiefpunkt haben wir auf Exporteure, hauptsächlich auf Stahlwerte und Minen, gesetzt.

Diese sind aber schon sehr gut gelau-fen. So setzen wir momentan auf eine langsame, aber stabile Erholung der russischen Wirtschaft, auf Versorger und Finanzen. Wir haben ungefähr 30 Prozent des Portfolios in russischen Energiewerten. Mit weiteren Erhö-hungen warten wir jetzt ab. Denn die Besteuerung ist ein großes Problem, zwei Drittel der Umsätze zahlen die Öl- und Gasunternehmen als Steuer, Zölle usw."

Und wie sieht Millendorfer die übri¬gen Osteuropamärkte? „Ungarn zählt heuer zu den besten Märkten, weil sich die Wirtschaft stabilisiert hat, die Ban-kensteuer und auch die Notenbankzin-sen gesenkt wurden und das Land von der Erholung Russlands profitiert. Bei Polen sind wir momentan noch vor-sichtig, was den Bankensektor betrifft, da es hier noch Probleme mit Schweizer Frankenkrediten gibt. Im Industriesek¬tor profitieren viele Firmen aber von der guten Wirtschaftslage. Die Türkei konnte, entgegen unserer Erwartung, bisher nur wenig von dem günstigen Ölpreis profitieren. Die Inflation blieb bisher, auch aufgrund der schwachen Währung, über den Erwartungen. Die erhofften Zinssenkungen sind damit wohl vorerst vom Tisch."

 

Dennoch hat sich auch Angelika Millen-dorfer, langjährig erfolgreiche Fonds¬managerin des Raiffeisen-Osteuropa-Aktien, wieder zurück in russische Energiewerte gewagt, z.B. in dividen¬denstarke Vorzugsaktien wie etwa Sur-gutneftegas und Tatneft. Im Konsum¬bereich sind die Einzelhandelsketten X5 und Dixy unter ihren Favoriten. Millen-dorfer, deren defensive Ausrichtung sich 2014 ausgezahlt hat, ist nach wie vor zum Teil sehr vorsichtig unterwegs. „Bei

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