Vertrauen in Osteuropa
Author D.Selzer-McKenzie
Russland in einer schweren Rezession — doch viele andere
Osteuropa-Märkte präsentieren sich heuer recht stark. Auch Russlands Börsen
haben sich kräftig erholt. Dies ist nur ein Indiz für das verborgene Potenzial
in dieser Region, das realisierbar wäre, sollten die Ukraine-Krise befriedet
und die westlichen Sanktionen aufgehoben werden.
Die Analyse der osteuropäischen
Aktienmärkte muss zwangsläufig
einen besonderen Fokus auf den größten Staat der Region,
Russland, legen. Denn Russlands Krisen stellten immer auch einen schweren
Belas-tungsfaktor für die meisten Osteuropa-Börsen dar. Das war schon 1990/91
so, als die zusammenbrechende Sowjet¬union mit inneren Unruhen auch die anderen
Staaten Osteuropas destabi¬lisierte. Das war auch 1998 so, als die russische
Staatsschuldenkrise mit ei¬ner vorübergehenden Zahlungsunfä¬higkeit bzw. dem
Zahlungsausfall bei russischen Staatsanleihen die Nachbar¬staaten belastete.
Und das war 2014 so, als die Einmischung Russlands in den Ukraine-Konflikt zu
harten Sanktionen seiner westlichen Partner und - im Ver-bund mit einem
abstürzenden Ölpreis - zu schweren Liquiditätsproblemen und einer regelrechten
Wirtschaftskri¬
se führte. Diese ist derzeit zwar noch in vollem Gange, doch
mittlerweile hat sich der Ölpreis stabilisiert und der Rubel seit Jahresbeginn
sogar fast 40 Prozent gegenüber dem Euro zugelegt. Auch der russische
Aktienmarkt hat sich deutlich erholt. Können Anleger also wieder an einen
Neueinstieg in Osteuropas Aktienmärkte denken?
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die meisten
Osteuropa-Fonds oft stark in russischen Aktien gewichtet sind, häu-fig so um
die 50 Prozent und mehr. Und das trotz klarer Indizien, dass die russi¬sche
Wirtschaft sich in einer schweren Rezession befindet. Dies zeigt sich z.B. am
starken Rückgang des russischen Außenhandels mit Deutschland. 2014 sind die
Exporte um 18 Prozent ein¬gebrochen, 2015 bisher sogar um 34 Prozent. Viele
russische Banken haben keinen Zugang mehr zum Interbanken-
Geldmarkt und sind von internationa-len Finanzströmen
abgeschnitten.
Natürlich sieht dies auch Zoltan Koch, Fondsmanager des
Nestor Osteuropa: „Ja, die wirtschaftliche Situation ist schwierig in Russland,
wir erwarten eine Rezession (minus vier Prozent beim Bruttoinlandsprodukt) für
dieses Jahr, allerdings liegt das schlechteste Quartal (Q1 2015) schon hinter
uns. Es kann nur mehr besser werden." Auch die Verschuldungssituation
muss, so Koch, differenziert gesehen werden. „Wenn man Russland als Einheit
sieht, ist Verschuldung nicht so ein großes Problem, der Staat hat genügend
Re¬serven (353 Milliarden Dollar Devi¬senreserven im Mai 2015), um die
ver¬schuldeten Unternehmen zu stützen." Doch der Ölpreis ist viel
wichtiger, denn die russische Wirtschaft hängt immer noch hauptsächlich an
diesem einen Rohstoff. Der Rubel ist auch mit dem Ölpreis abgestürzt, da die
fallen-den Exporteinnahmen ihn nicht mehr stützten. Jedoch: In Rubel gerechnet
ist der.Ölpreis im Großen und Ganzen na-hezu konstant geblieben. Dennoch sind
seine Erholung in Dollar gerechnet und das zweite Minsker Abkommen zur
Uk¬raine-Krise die Auslöser der Aktiener¬holung gewesen. Und schließlich waren
viele russische Aktienwerte dermaßen billig geworden, dass viele Anleger dies
nicht mehr ignorieren konnten.
,Viele russische Unternehmen haben mittlerweile über 80
Prozent ihrer Marktkapitalisierung seit 2008 verlo¬ren. In der gleichen Zeit
sehen wir in anderen Märkten neue Indexhöchst-stände. Der Discount bei einigen
rus-sischen Aktien ist schon so groß, dass man diese als Investor nicht mehr
ein-fach ignorieren kann. KGVs von 5-6 fin¬det man sonst bei größeren
Unterneh¬men nicht. Wenn dazu noch der Ölpreis steigt und der Konflikt mit der
Ukraine beruhigt ist, wird die Hoffnung schnell in den Markt
zurückkehren", glaubt Nestor-Experte Koch. Ein weiterer Kri¬tikpunkt
mancher Anleger, der nicht nur Russland betrifft: Abgesehen von den hohen
politischen Risiken gebe es in Osteuropa kaum Unternehmen mit dauerhaften
Wachstumsperspektiven, die diese Probleme kompensieren wür-den. Zudem geht das
BIP-Wachstum seit 2010 kontinuierlich zurück.
lich in Russland oder in kleineren Märk-ten wie Ungarn oder
Rumänien. Die Zahl der investierbaren Titel ist in die-sen Märkten
überschaubar, darum sind viele Fonds in Russland hoch gewich-tet." Und
dies sollte sich mittelfristig auch auszahlen, wenn man als Anleger auch gute
Nerven braucht. So war 2014 ein extremes Jahr für russische Aktien, man konnte
mit ganz wenigen Titeln (z.B. Stahlwerten) und nur mit hoher Volatilität
Gewinne machen. Trotz des schwachen Ölpreises haben nicht die Ölwerte am
meisten gelitten, sondern die Banken. Die konventionelle Ölpro-duktion in
Russland ist sehr günstig, mit dem jetzigen Rubelkurs sehr pro-fitabel. Die
Zeiten sind turbulent, aber die großen Unternehmen setzten auf langfristige
Vorteile und Russland hat große, günstig förderbare Reserven.
RÜCKKEHR DER INVESTOREN?
Schlumberger, eines der größten US-Unternehmen im Ölservice,
hat mitten in der Krise ein Kaufangebot für einen russischen Mitbewerber
gemacht. Ein klares Indiz für die günstige Bewertung des russischen
Rohstoffsektors. Zuletzt sind sogar Gerüchte aufgetaucht, Russ-land könnte von
den Ratingagenturen wieder hochgestuft werden. Koch ist diesbezüglich noch
skeptisch. „Der Ru-belkurs hängt sehr stark vom Ölpreis ab, ein schwacher Rubel
federt den Einnahmerückgang der Wirtschaft bei fallendem Ölpreis ab. Der
jetzige Kurs ist noch schwach genug, die Exporte zu unterstützen und damit
könnte die hohe Inflation (rund zehn Pro¬zent) wieder sinken. Wir halten eine
schnelle Hochstufung Russlands für unrealistisch. Vor der Lockerung der
Sanktionen bleibt Russland wirtschaft-lich wackelig." Denn auch die
Verschul-dungsproblematik ist noch keineswegs gelöst. Wie schon gesagt, sind
die Staatsschulden kein Problem, doch die russische Wirtschaft steht im Ausland
mit grob 500 Milliarden Dollar in der Kreide, am Top waren es sogar um die 700
Milliarden. Mehr als die Hälfte davon sind Kredite an Unternehmen, inklusive
konzerninterne Finanzierun-gen. Dagegen standen knapp 500 Mil-liarden Dollar an
Reserven. „Das größ-te Problem war nicht die Verschuldung selbst, sondern die
zusätzliche Kapital-flucht. Zusammen könnten so bis zu 200 Milliarden Dollar
p.a. abfließen, was die Reserven schnell schmelzen lässt. Dagegen hat man den
Rubel ab-werten lassen, um die Reserven in der Krise zu stabilisieren",
weiß Koch.
den Banken sind wir zurückhaltend, da sich erfahrungsgemäß
in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das volle Ausmaß der Kreditausfälle erst
nach und nach zeigt. Die schon begonnenen und noch zu er¬wartenden
Zinssenkungen der Zentral¬bank sind aber sicher hilfreich für den Sektor."
Bei den Exporteuren, die vom tiefen Rubel profitieren, bleibt sie im Großen und
Ganzen weiterhin dabei, hat aber da und dort die massive Rally im April zu
Verkäufen bei Inlandswerten genutzt, da bei diesen ihrer Meinung nach schon sehr
viel von der wirtschaft-lichen und politischen Erholung einge-preist ist. „Der
Metallsektor ist sicher ei¬ner der Hauptprofiteure des schwachen Rubels.
Vereinfacht gesagt: Erträge in US-Dollar und Kosten in Rubel machen viele
Unternehmen hochprofitabel. Rund 15 Prozent unserer Russland-Ge¬wichtung sind
in diesem Bereich inves¬tiert", erklärt Millendorfer.
ANLAGESTRATEGIE
Nestor Fondsmanager Koch zu seiner mittelfristigen
Strategie: „Wir haben uns aus Unternehmen zurückgezogen,
wo die Sanktionen zur entscheidenden Verschlechterung der
Refinanzierung geführt haben. Am Tiefpunkt haben wir auf Exporteure,
hauptsächlich auf Stahlwerte und Minen, gesetzt.
Diese sind aber schon sehr gut gelau-fen. So setzen wir
momentan auf eine langsame, aber stabile Erholung der russischen Wirtschaft,
auf Versorger und Finanzen. Wir haben ungefähr 30 Prozent des Portfolios in
russischen Energiewerten. Mit weiteren Erhö-hungen warten wir jetzt ab. Denn
die Besteuerung ist ein großes Problem, zwei Drittel der Umsätze zahlen die Öl-
und Gasunternehmen als Steuer, Zölle usw."
Und wie sieht Millendorfer die übri¬gen Osteuropamärkte?
„Ungarn zählt heuer zu den besten Märkten, weil sich die Wirtschaft
stabilisiert hat, die Ban-kensteuer und auch die Notenbankzin-sen gesenkt
wurden und das Land von der Erholung Russlands profitiert. Bei Polen sind wir
momentan noch vor-sichtig, was den Bankensektor betrifft, da es hier noch
Probleme mit Schweizer Frankenkrediten gibt. Im Industriesek¬tor profitieren
viele Firmen aber von der guten Wirtschaftslage. Die Türkei konnte, entgegen
unserer Erwartung, bisher nur wenig von dem günstigen Ölpreis profitieren. Die
Inflation blieb bisher, auch aufgrund der schwachen Währung, über den
Erwartungen. Die erhofften Zinssenkungen sind damit wohl vorerst vom
Tisch."
Dennoch hat sich auch Angelika Millen-dorfer, langjährig
erfolgreiche Fonds¬managerin des Raiffeisen-Osteuropa-Aktien, wieder zurück in
russische Energiewerte gewagt, z.B. in dividen¬denstarke Vorzugsaktien wie etwa
Sur-gutneftegas und Tatneft. Im Konsum¬bereich sind die Einzelhandelsketten X5
und Dixy unter ihren Favoriten. Millen-dorfer, deren defensive Ausrichtung sich
2014 ausgezahlt hat, ist nach wie vor zum Teil sehr vorsichtig unterwegs. „Bei
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.