Samstag, 20. Juni 2015

Spinat essen ist gesund


Spinat essen ist gesund

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/Tu6rEmDTfmM

DER COMIC-MATROSE Popeye hat recht: Spinat macht stark. Ursache ist aber nicht das Eisen darin, wie lange fälschlich vermutet, sondern der hohe Nitratgehalt. Das hat eine Studie von Forschern des schwedischen Karolinska-Instituts kürzlich nachgewiesen. Als sie das Trinkwasser von Mäusen mit Nitrat (NO3-) anreicherten, fanden sie danach eine erhöhte Konzentration von Kalzium in den Muskeln der Tiere. Dadurch wuchsen „schnell zuckende Fasern" he-ran, die bei kurzem, hohem Kraftauf-wand nötig sind. Auf den Menschen übertragen entsprach die verabreichte Nitratmenge etwa der, die ein typischer Gemüseliebhaber zu sich nimmt.

Und Wissenschaftler haben noch mehr Erstaunliches zu berichten: Nitrat und seine Verwandte, die bislang als krebserregend geltende Substanz Nitrit (N021, können anscheinend das Herz schützen und so das Leben verlängern. Waren demnach all die Warnungen vor nitratreichen Gemüsesorten wie Blatt-salat, Spinat oder Rucola falsch?

Das schlechte Image der beiden Salze stammt aus den 1970er- und 1980er-Jahren, als man herausfand, dass Nitrat im Körper zu Nitrit umgewandelt wird. In Anwesenheit von Aminosäuren - Ei-weißbausteinen, die im Körper allgegenwärtig sind - bilden sich aus Nitrit Ni-trosamine. Weil diese mit den Nuklein-säuren der Erbsubstanz reagieren können, gelten sie als stark krebserregend. Sehr viele Nitrosamine stecken zum Beispiel in Zigarettenrauch. Und in der Tat erhöht eine verstärkte Nitrosamin-Produktion das Risiko für Magentumore im Tierversuch.

MYTHOS KREBSGEFAHR

Ob das aber auch für den Menschen gilt, ist fraglich. Zumal vieles darauf hindeutet, dass Nitrat aus der Nahrung beim Menschen nicht zu Krebs führt. Bis zu 90 Prozent dieses stickstoffhaltigen Salzes, das wir zu uns nehmen, stammen aus Obst und Gemüse. Gemüse-Fans leiden aber tendenziell seltener an Krebs als Fleisch-Fans. Zwar erhöhen gepökel-te Lebensmittel das Risiko für Darm-oder Magenkrebs. Das liegt aber offenbar nicht am Nitrat oder seinem Stoff-wechselprodukt, dem Nitrit: Die Ernährungswissenschaftlerin Alexandra Schmid von der Schweizer Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux (ALP) rechnete in einem Übersichtsartikel von 2007 vor, dass lediglich 1,3 Prozent der im Körper zirkulierenden Nitritmenge aus verspeistem Geräuchertem stammen. „Keine der zahlreichen Studien konnte einen Zusammenhang zwischen Nitrat

 

oder Nitrit aus der Nahrung und Krebsentstehung beim Menschen nachweisen", bestätigt Alan Schechter von den National Health Institutes in Bethesda.

Die Wandlung „vom Saulus zum Paulus" begann mit Studien, an denen Personen teilnahmen, die viel Obst und Gemüse und wenig Fleisch aßen. Die Ergebnisse bescheinigten ihnen nicht nur eine geringere Anfälligkeit für bestimmte Krebsarten. Auch Herzinfarkte, Schlaganfälle und Demenzen traten seltener auf - obwohl Grünzeug-Fans relativ hohe Nitratmengen von bis zu 300 Milligramm täglich zu sich nehmen. Zum Vergleich: Ein Fleischesser bringt es nm auf rund 100 Milligramm pro Tag.

Auch Studien zur „DASH-Diät" (Die-tary Approaches to Stop Hypertension die seit 1997 laufen, lassen aufhorchen Demzufolge können Bluthochdruckpat: enten ihre Hypertonie mit neun Portic nen Obst und Gemüse täglich deutlici: senken (um bis zu elf Millimeter Quecl-silbersäule), und Gesunde können Bim hochdruck dadurch vorbeugen.

Die Probanden nahmen mehr al, 1000 Milligramm Nitrat täglich zu sich ein Wert, der den von der Weltgesunc heitsorganisation (WHO) empfohlene-Grenzwert um 550 Prozent überschre tet. „Hier stellt sich die Frage, ob der b_, her ungeklärte Mechanismus der bh drucksenkenden Wirkung einer DAS Diät möglicherweise auf deren hohe-Nitratgehalt beruht", resümierten 2C Experten der Deutschen Gesellschaft Ernährung (DGE). Auch die viel gep-sene Mittelmeerdiät und die traditio:

le japanische Ernährungsweise liefern weit mehr Nitrat, als die WHO emp-fiehlt. Trotzdem gelten beide Ernäh-rungsformen als ideal für Herzkranke.

Wie das pflanzliche Nitrat der Ge-sundheit zugute kommen könnte, daran wird derzeit emsig geforscht. Bislang ist klar:-Das Salz wird im Dünndarm zwar vollständig resorbiert, doch rund 75 Prozent werden über den Urin wieder ausgeschieden. Der Rest zirkuliert in der Blutbahn und gelangt in den Speichel. Hier machen sich Bakterien über den Nährstoff her und hinterlassen Nitrit. Dieses schluckt der Mensch und nimmt es über den Verdauungstrakt ins Blut auf. Bei Teilnehmern der DASH-Diät-Studien haben die Forscher bis zu fünf Milligramm Nitrit im Speichel nach-gewiesen. „Diese vergleichsweise hohe Konzentration müsste zu der absurden Empfehlung führen, auf das Verschlu-cken von Speichel zu verzichten", schreiben die DGE-Experten.

GUT FÜRS HERZ

Der Körper selbst bildet aus der Amino-säure Arginin durch chemischen Umbau Nitrat und dessen Folgeprodukte, im Schnitt etwa 70 Milligramm täglich. Organe wie Lunge oder Leber sind für die Umwandlung von Nitrat in Nitrit zuständig. Enzyme in den Gefäßwänden verwandeln das zirkulierende Nitrit dann in Stickstoffmonoxid (NO), das einen positiven Einfluss auf die Blutzellen und die glatten Muskelzellen in den Gefäßen hat: Ist genug von dem reak-tionsfreudigen Gas vorhanden, erwei-tern sich die Blutgefäße. Dadurch ge-langen größere Mengen Sauerstoff mit weniger Pumpleistung zum Herzen. Außerdem verklumpen die Blutplätt-chen seltener und es kommt nicht so leicht zu Entzündungen. All das sorgt für eine gesundes Herz. „Seit dem Mit-telalter kommen bei Herzkrankheiten Nitrat-Arzneien zum Einsatz", erklärt der US-Wissenschaftler Alan Schechter.

Auch unter Sportwissenschaftlern wird Nitrat heiß diskutiert - denn das Salz macht nicht nur Mäuse stark. For-scher der Universität Maastricht ließen Radsportler sechs Tage lang täglich 140 Milliliter nitratreichen Rote-Bete-Saft trinken und verglichen ihre Leistung auf einer Zehn-Kilometer-Tour mit der von Sportlern ohne Nitrat-Plus. Ergebnis: Mit dem Saft benötigten die Radler nur 953 statt 965 Sekunden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie der University of Exeter. Tranken Senioren den Rübensaft, verbesserten sich Blutdruck und maximale Sauerstoffaufnahmekapazität (VO, max) bereits nach drei Tagen. VO, max ist ein wichtiges Maß für die Ausdauerleistung: Der Wert gibt an, welche Menge Sauerstoff der Körper verwerten kann. Zur Leistungssteigerung nehmen ambitionierte Sportler Nitrat-Supplemente wie Nitrat-Citrullin oder Nitrat-Creatin ein.

Auch das weisen Experten derzeit zurück. Denn: Säuglingen kann Nitrit sehr wohl gefährlich werden, da das Salz mit dem Hämoglobin im Blut reagiert. Dabei entsteht das sogenannte Methämoglobin, das keinen Sauerstoff transportieren kann.

Erwachsene verfügen mit dem Enzym Diaphorase über eine Möglichkeit, das gefährliche Methämoglobin wieder ins ungefährliche Hämoglobin zurück-zuverwandeln. Doch Neugeborenen bis zum dritten Lebensmonat fehlt dieser Entgiftungsmechanismus. Die mangelnde Sauerstoffversorgung des Blutes kann zu einer Blausucht führen, bei der die Babys im schlimmsten Fall ersticken.

In den 1970er-Jahren gab es mehrere Blausuchtfälle in Deutschland, ausgelöst vor allem durch mit Nitrat belastetes Trinkwasser. Zur gefürchteten „Methämoglobinämie" kam es aber auch vereinzelt durch nitratreiches Gemüse. Bewahrt man etwa pürierten Spinat zu lange auf, bildet sich aus dem darin enthaltenen Nitrat Nitrit, was für ein kleines Kind lebensgefährlich werden kann.

Deswegen, und weil eine Überdüngung der Felder mit Nitrat zur Eutrophie-rung von Gewässern führen kann, hat der Gesetzgeber Höchstmengen eingeführt. Leitungswasser darf laut Trinkwasserverordnung maximal 50 Milligramm Nitrat und 0,1 Milligramm Nitrit pro Liter enthalten. Für im Winter geernteten Rucola gilt seit April 2012 ein Grenzwert von 7000 Milligramm Nitrat pro Kilogramm, bei Spinat liegt die Obergrenze bei 3500 Mil-ligramm Dies sind bereits gelockerte Werte, da selbst bei guter landwirtschaftlicher Praxis die ursprünglichen Maximalwerte nicht eingehalten werden, argumentierten Experten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in einem 2008 vorgelegten Gutachten. Darin kamen sie zu dem Schluss, dass Gesundheitsgefahren durch die angehobenen Maximalmengen an Nitrat unwahrscheinlich sind und die positiven Wirkungen des Gemüseverzehrs überwiegen.

Am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hingegen war man gegen die Anhebung der Höchstmengen und ist auch gegen jegliche weitere Lockerung. Der mögliche gesundheitliche Nutzen sei nicht so gut belegt wie die negativen Wirkungen etwa auf Säuglinge, meint Hellmuth Schafft, Toxikologe am BfR. Zunächst gilt es also, weiter zu forschen, bis die Wirkung von Nitrat und Nitrit eindeutig entschlüsselt ist.











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