Spinat essen ist gesund
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/Tu6rEmDTfmM
DER COMIC-MATROSE Popeye hat recht: Spinat macht stark.
Ursache ist aber nicht das Eisen darin, wie lange fälschlich vermutet, sondern
der hohe Nitratgehalt. Das hat eine Studie von Forschern des schwedischen
Karolinska-Instituts kürzlich nachgewiesen. Als sie das Trinkwasser von Mäusen
mit Nitrat (NO3-) anreicherten, fanden sie danach eine erhöhte Konzentration
von Kalzium in den Muskeln der Tiere. Dadurch wuchsen „schnell zuckende
Fasern" he-ran, die bei kurzem, hohem Kraftauf-wand nötig sind. Auf den
Menschen übertragen entsprach die verabreichte Nitratmenge etwa der, die ein
typischer Gemüseliebhaber zu sich nimmt.
Und Wissenschaftler haben noch mehr Erstaunliches zu
berichten: Nitrat und seine Verwandte, die bislang als krebserregend geltende
Substanz Nitrit (N021, können anscheinend das Herz schützen und so das Leben
verlängern. Waren demnach all die Warnungen vor nitratreichen Gemüsesorten wie
Blatt-salat, Spinat oder Rucola falsch?
Das schlechte Image der beiden Salze stammt aus den 1970er-
und 1980er-Jahren, als man herausfand, dass Nitrat im Körper zu Nitrit
umgewandelt wird. In Anwesenheit von Aminosäuren - Ei-weißbausteinen, die im
Körper allgegenwärtig sind - bilden sich aus Nitrit Ni-trosamine. Weil diese
mit den Nuklein-säuren der Erbsubstanz reagieren können, gelten sie als stark
krebserregend. Sehr viele Nitrosamine stecken zum Beispiel in Zigarettenrauch.
Und in der Tat erhöht eine verstärkte Nitrosamin-Produktion das Risiko für
Magentumore im Tierversuch.
MYTHOS KREBSGEFAHR
Ob das aber auch für den Menschen gilt, ist fraglich. Zumal
vieles darauf hindeutet, dass Nitrat aus der Nahrung beim Menschen nicht zu
Krebs führt. Bis zu 90 Prozent dieses stickstoffhaltigen Salzes, das wir zu uns
nehmen, stammen aus Obst und Gemüse. Gemüse-Fans leiden aber tendenziell
seltener an Krebs als Fleisch-Fans. Zwar erhöhen gepökel-te Lebensmittel das
Risiko für Darm-oder Magenkrebs. Das liegt aber offenbar nicht am Nitrat oder
seinem Stoff-wechselprodukt, dem Nitrit: Die Ernährungswissenschaftlerin
Alexandra Schmid von der Schweizer Forschungsanstalt Agroscope
Liebefeld-Posieux (ALP) rechnete in einem Übersichtsartikel von 2007 vor, dass
lediglich 1,3 Prozent der im Körper zirkulierenden Nitritmenge aus verspeistem
Geräuchertem stammen. „Keine der zahlreichen Studien konnte einen Zusammenhang
zwischen Nitrat
oder Nitrit aus der Nahrung und Krebsentstehung beim
Menschen nachweisen", bestätigt Alan Schechter von den National Health
Institutes in Bethesda.
Die Wandlung „vom Saulus zum Paulus" begann mit
Studien, an denen Personen teilnahmen, die viel Obst und Gemüse und wenig
Fleisch aßen. Die Ergebnisse bescheinigten ihnen nicht nur eine geringere
Anfälligkeit für bestimmte Krebsarten. Auch Herzinfarkte, Schlaganfälle und
Demenzen traten seltener auf - obwohl Grünzeug-Fans relativ hohe Nitratmengen
von bis zu 300 Milligramm täglich zu sich nehmen. Zum Vergleich: Ein
Fleischesser bringt es nm auf rund 100 Milligramm pro Tag.
Auch Studien zur „DASH-Diät" (Die-tary Approaches to
Stop Hypertension die seit 1997 laufen, lassen aufhorchen Demzufolge können
Bluthochdruckpat: enten ihre Hypertonie mit neun Portic nen Obst und Gemüse
täglich deutlici: senken (um bis zu elf Millimeter Quecl-silbersäule), und
Gesunde können Bim hochdruck dadurch vorbeugen.
Die Probanden nahmen mehr al, 1000 Milligramm Nitrat täglich
zu sich ein Wert, der den von der Weltgesunc heitsorganisation (WHO)
empfohlene-Grenzwert um 550 Prozent überschre tet. „Hier stellt sich die Frage,
ob der b_, her ungeklärte Mechanismus der bh drucksenkenden Wirkung einer DAS
Diät möglicherweise auf deren hohe-Nitratgehalt beruht", resümierten 2C
Experten der Deutschen Gesellschaft Ernährung (DGE). Auch die viel gep-sene
Mittelmeerdiät und die traditio:
le japanische Ernährungsweise liefern weit mehr Nitrat, als
die WHO emp-fiehlt. Trotzdem gelten beide Ernäh-rungsformen als ideal für
Herzkranke.
Wie das pflanzliche Nitrat der Ge-sundheit zugute kommen
könnte, daran wird derzeit emsig geforscht. Bislang ist klar:-Das Salz wird im
Dünndarm zwar vollständig resorbiert, doch rund 75 Prozent werden über den Urin
wieder ausgeschieden. Der Rest zirkuliert in der Blutbahn und gelangt in den
Speichel. Hier machen sich Bakterien über den Nährstoff her und hinterlassen
Nitrit. Dieses schluckt der Mensch und nimmt es über den Verdauungstrakt ins
Blut auf. Bei Teilnehmern der DASH-Diät-Studien haben die Forscher bis zu fünf
Milligramm Nitrit im Speichel nach-gewiesen. „Diese vergleichsweise hohe
Konzentration müsste zu der absurden Empfehlung führen, auf das Verschlu-cken
von Speichel zu verzichten", schreiben die DGE-Experten.
GUT FÜRS HERZ
Der Körper selbst bildet aus der Amino-säure Arginin durch
chemischen Umbau Nitrat und dessen Folgeprodukte, im Schnitt etwa 70 Milligramm
täglich. Organe wie Lunge oder Leber sind für die Umwandlung von Nitrat in
Nitrit zuständig. Enzyme in den Gefäßwänden verwandeln das zirkulierende Nitrit
dann in Stickstoffmonoxid (NO), das einen positiven Einfluss auf die Blutzellen
und die glatten Muskelzellen in den Gefäßen hat: Ist genug von dem
reak-tionsfreudigen Gas vorhanden, erwei-tern sich die Blutgefäße. Dadurch
ge-langen größere Mengen Sauerstoff mit weniger Pumpleistung zum Herzen.
Außerdem verklumpen die Blutplätt-chen seltener und es kommt nicht so leicht zu
Entzündungen. All das sorgt für eine gesundes Herz. „Seit dem Mit-telalter
kommen bei Herzkrankheiten Nitrat-Arzneien zum Einsatz", erklärt der
US-Wissenschaftler Alan Schechter.
Auch unter Sportwissenschaftlern wird Nitrat heiß diskutiert
- denn das Salz macht nicht nur Mäuse stark. For-scher der Universität
Maastricht ließen Radsportler sechs Tage lang täglich 140 Milliliter
nitratreichen Rote-Bete-Saft trinken und verglichen ihre Leistung auf einer
Zehn-Kilometer-Tour mit der von Sportlern ohne Nitrat-Plus. Ergebnis: Mit dem
Saft benötigten die Radler nur 953 statt 965 Sekunden. Zu einem ähnlichen Ergebnis
kam eine Studie der University of Exeter. Tranken Senioren den Rübensaft,
verbesserten sich Blutdruck und maximale Sauerstoffaufnahmekapazität (VO, max)
bereits nach drei Tagen. VO, max ist ein wichtiges Maß für die
Ausdauerleistung: Der Wert gibt an, welche Menge Sauerstoff der Körper verwerten
kann. Zur Leistungssteigerung nehmen ambitionierte Sportler Nitrat-Supplemente
wie Nitrat-Citrullin oder Nitrat-Creatin ein.
Auch das weisen Experten derzeit zurück. Denn: Säuglingen
kann Nitrit sehr wohl gefährlich werden, da das Salz mit dem Hämoglobin im Blut
reagiert. Dabei entsteht das sogenannte Methämoglobin, das keinen Sauerstoff
transportieren kann.
Erwachsene verfügen mit dem Enzym Diaphorase über eine
Möglichkeit, das gefährliche Methämoglobin wieder ins ungefährliche Hämoglobin
zurück-zuverwandeln. Doch Neugeborenen bis zum dritten Lebensmonat fehlt dieser
Entgiftungsmechanismus. Die mangelnde Sauerstoffversorgung des Blutes kann zu
einer Blausucht führen, bei der die Babys im schlimmsten Fall ersticken.
In den 1970er-Jahren gab es mehrere Blausuchtfälle in
Deutschland, ausgelöst vor allem durch mit Nitrat belastetes Trinkwasser. Zur
gefürchteten „Methämoglobinämie" kam es aber auch vereinzelt durch
nitratreiches Gemüse. Bewahrt man etwa pürierten Spinat zu lange auf, bildet
sich aus dem darin enthaltenen Nitrat Nitrit, was für ein kleines Kind
lebensgefährlich werden kann.
Deswegen, und weil eine Überdüngung der Felder mit Nitrat
zur Eutrophie-rung von Gewässern führen kann, hat der Gesetzgeber Höchstmengen
eingeführt. Leitungswasser darf laut Trinkwasserverordnung maximal 50
Milligramm Nitrat und 0,1 Milligramm Nitrit pro Liter enthalten. Für im Winter
geernteten Rucola gilt seit April 2012 ein Grenzwert von 7000 Milligramm Nitrat
pro Kilogramm, bei Spinat liegt die Obergrenze bei 3500 Mil-ligramm Dies sind
bereits gelockerte Werte, da selbst bei guter landwirtschaftlicher Praxis die
ursprünglichen Maximalwerte nicht eingehalten werden, argumentierten Experten
der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in einem 2008
vorgelegten Gutachten. Darin kamen sie zu dem Schluss, dass Gesundheitsgefahren
durch die angehobenen Maximalmengen an Nitrat unwahrscheinlich sind und die
positiven Wirkungen des Gemüseverzehrs überwiegen.
Am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hingegen war man
gegen die Anhebung der Höchstmengen und ist auch gegen jegliche weitere
Lockerung. Der mögliche gesundheitliche Nutzen sei nicht so gut belegt wie die
negativen Wirkungen etwa auf Säuglinge, meint Hellmuth Schafft, Toxikologe am
BfR. Zunächst gilt es also, weiter zu forschen, bis die Wirkung von Nitrat und
Nitrit eindeutig entschlüsselt ist.
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