Warten auf den Einsatz
Author D.Selzer-McKenzie
Trotz günstiger Bedingungen ist das Thema Zertifikate bei
den meisten Anlegern in Österreich und Deutschland noch nicht angekommen. Das
spiegelt sich auch in der Entwicklung der beiden Märkte wider. Dabei konnten
risikoscheue Anleger in der Vergangenheit von diesem Instrument profitieren.
Die Zinsen für Sparbücher und sichere Staatsanleihen sind
historisch niedrig und selbst die Bausparprämie ist nicht mehr das, was sie
einmal war. Profitieren konn¬te die Investmentbranche davon aber nur
eingeschränkt. Das Fondsvolumen erholte sich in Österreich zwar zuletzt auf
Vorkrisenniveau, aber Einzelaktien oder Rohstoffpapiere bleiben nur bei einer
kleinen Fan-Gemeinde beliebt.
Nicht so richtig abgehoben hat auch die Produktgruppe der
Zertifikate. Im April 2014 waren noch 12,4 Milliarden Euro in diese investiert,
laut den ak-tuellen Zahlen des Zertifikateforums Austria waren es im April 2015
rund 11,6 Milliarden Euro. Sieht man sich die Unterkategorien an, lassen sich
einige Trends erkennen, die hinter die-sem Rückgang stehen.
Zwischen Dezember 2011 und De-zember 2014 haben sich die
Bestände an Garantie-Zertifikaten um 1,5 Mil-liarden Euro reduziert. Das
konnten die Zuwächse bei Bonuszertifikaten und Aktienanleihen von rund 480
Millionen Euro nur zum Teil kompen-sieren. Hinzu kommt, dass
Garan¬tie-Zertifikate die Performance der zugrunde liegenden Kurse nur sehr
eingeschränkt mitmachen. Die Bo-nuszertifikate legen hingegen noch et-was auf
den Kurs drauf, sofern dieser während der Laufzeit eine festgelegte Barriere
nicht unterschreitet. Wenig überraschend ist schließlich, dass die recht
spekulative Kategorie der Hebel-produkte nur 0,7 Prozent des
Zertifi-katevolumens ausmacht.
Auch in Deutschland entwickelt sich der Markt ähnlich, wie
Lars Brandau, Geschäftsführer des Deutschen Deri-vateverbands (DDV),
feststellt: „Der Gesamtmarkt in Deutschland ist in den zurückliegenden Jahren
eher rück-läufig. Das liegt vor allem daran, dass mehrjährige
Kapitalschutz-Produkte auslaufen und zur Auszahlung kom-men." Das
freigewordene Kapital sei dann häufig in renditestärkere Aktien investiert
worden, so Brandaus These. Natürlich gebe es auch Anleger, denen das
Direktinvestment der Aktie im¬mer noch zu riskant erscheint: „Diese greifen
gerne zu Klassikern, wie Bo-nus- oder Discount-Zertifikate. Wenn wir also einen
Trend ausmachen, dann den, dass die Anleger nach wie vor das Risiko scheuen und
deshalb gegenwär-tig auf Alternativen zurückgreifen."
ZWISCHEN AKTIE UND SPARBUCH
Wie man das Vertrauen von sicher-heitsorientierten
Privatanleger gewin-
nen könnte, für die Aktien kein Thema sind, steht schon
lange auf der Agenda der Branche. „Die Zertifikatebranche hat hier, was
Transparenz und Pro-duktklarheit betrifft, viel getan", sagt Heike Arbter,
Vorstand des Zertifika-teforums Austria und im Hauptberuf Leiterin für
strukturierte Produkte bei der Raiffeisen Centrobank. „Es geht darum, dass der
Anleger die Ri¬siken erkennt und versteht, die mit einer Anlageentscheidung
verbunden sind. Chancen und Risiken sollten da¬her so klar wie möglich, so
einfach wie möglich dargestellt werden." Mit den Bonuszertifikaten etwa
könne man sich mit dem Risiko flexibel zwischen Sparbuch und Aktien
positionieren.
Doch halten diese Zertifikate mit „Air-bag" in der
Praxis, was sie versprechen? Der DDV hat für seinen Index-Report 2014 einen
Performancevergleich zwi-schen dem EuroStoxx 50 und darauf basierenden
Bonuszertifikaten gemacht. Dabei wurde aus 20 repräsen-tativen Zertifikaten ein
„Bonus-Index" errechnet. Seit Anfang 2006 konnte dieser immerhin ein
kleines Plus von 1,6 Prozent p. a. erzielen, während der Basiswert mit minus
1,5 Prozent p. a. zu Buche schlug. Allerdings begannen die Zertifikate erst
2011 so richtig ab-zuheben und lagen Ende 2014 um ein Drittel über dem Index.
Der Grund ist leicht zu erraten: In den Jahren 2008 und 2009 wurden durch die
massiven Kursverluste viele Barrieren unter-schritten und der Bonus der
betroffe-nen Zertifikate ging verloren.
BELASTUNG ODER CHANCE?
Eine viel weitreichendere Folge der Jahre 2008 und 2009
waren die neuen Seiten, die von den europäi¬schen und nationalen Gesetzgebern
bei der Regulierung des Finanzmark¬tes aufgezogen wurden. Die Abkür¬zungen
MiFID II, PRIIPs und KIID waren auch beim diesjährigen Zertifi-katekongress oft
gehört, nicht selten mit kritischem Unterton.
Heike Arbter fordert vor allem eine maßvolle und
sachgerechte Umset¬zung vom Gesetzgeber: „Es gibt derzeit schon sehr viele
Dokumente für den Anleger, weitere bringen nicht unbe-dingt mehr Nutzen oder
Klarheit."
Auch Markus Kaller, Head of Retail Sales bei der Erste
Group, sieht Regu-lierungen grundsätzlich nicht negativ: „Die Vergangenheit
zeigt uns, dass zu große Kreativität bei der Gestaltung von Produkten und der
Organisation des Verkaufsprozesses nicht ideal ist." Kritik übt er aber an
überschießen¬den Maßnahmen: „Wenn schon die Eröffnung eines Wertpapierdepots
und die Bereitstellung von rechtsver-bindlichen Dokumenten und
Informa-tionsmaterial dutzende Seiten an aus-gedrucktem Papier benötigt,
schreckt das eher ab als es nützt. Zwischen dem Anleger und dem Produktverkäufer
muss ein Informationsgleichgewicht herrschen, allerdings ist der Weg dort-hin
vielfältig."
Frank Weingarts von UniCredit one-markets in München ist
sowohl in Deutschland als auch in Österreich tä¬tig und sieht die Branche im
Umbruch: „In Deutschland etwa hat sich durch die Einführung des
Beratungsprotokolls der Beratungsprozess stark verändert, die
Produktinformationsblätter haben ebenso dazu beigetragen." Ob dem hö-heren
administrativen Aufwand ein Gewinn an Beratungsqualität gegen-überstehen wird,
sei noch abzuwarten. In Österreich gehe schon vieles in die gleiche Richtung,
weiß Weingarts: „Spätestens mit der Umsetzung der MiFID II-Richtlinie Anfang
2017 wird der gesamte Beratungsprozess noch-mals stärker reguliert und
verändert."
DDV-Geschäftsführer Lars Brandau sieht zudem bei der
Gesetzgebung zu viele Köche gleichzeitig am Werk: „Ähnliche Vorhaben werden
sowohl na¬tional als auch international zeitgleich forciert. Das bedeutet einen
unsinni¬gen Mehraufwand für alle Beteiligten. Es wäre sicher hilfreich, wenn
einzelne Regulierungsvorhaben nacheinander abgearbeitet werden würden, sodass
die beteiligten Experten auf allen Ebe¬nen den Überblick behalten können."
Heiko Geiger von der Frankfurt-De-pendance der Schweizer
Bank Vontobel sieht in den aktuellen Neuerungen in den Zielmärkten Deutschland
und Ös-
terreich auch keine wesentlichen Hin-dernisse für Anbieter
von außerhalb: „Die Finanzindustrie war immer schon schnell bei der Anpassung
an neue Re-geln. Wir sehen das eher als Chance, um uns einen internationalen
Markt¬vorteil zu verschaffen." In anderen Län¬dern wie dem Extremfall
Belgien sei es durch die gesetzlichen Anforderungen für ausländische Anbieter
praktisch unmöglich, in den Markt zu gehen.
Doch wer sind nun die typischen Zer-tifikate-Anleger?
„Zertifikate werden häufig eher von selbstentscheidenden Kunden gekauft und
aufgrund von Komplexität weniger in der aktiven Be-ratung empfohlen", hat
Brandau fest-gestellt und ist damit nicht zufrieden: „Ich persönlich stehe auf
dem Stand-punkt, dass Zertifikate in jedes auf Langfristigkeit abgestellte
Depot gehö-ren. Sei es, um mit mehr Risiko mehr Rendite zu erwirtschaften oder
um es gegen etwaige Risiken abzusichern."
Frank Weingarts sieht in erster Linie den klassischen
Privatanleger als Kun-den: „Allerdings scheint die Kapitalsi-cherheit in
Österreich doch noch sehr wichtig zu sein. Das führt dazu, dass wir dort
verstärkt kapitalgeschützte Strukturen verkaufen. Aber auch Ak-tienanleihen
sind in Deutschland und Österreich sehr gefragt."
Markus Kaller von der Erste Group zeichnet ein ähnliches
Bild: „Natur-gemäß kaufen Selbstentscheider eher spekulative Produkte mit
Hebel. Im Retail- und Private Banking-Geschäft steht der Kapitalerhalt im
Vorder¬grund. Hier geht Sicherheit vor Ertrag." Das wird wohl auch noch
eine Weile so bleiben. Hinzu kommt ein Faktor, der nicht unterschätzt werden
sollte: Selbst wenn Chancen und Risiken eines Pro-dukts schnell erklärt sind,
für die meis-ten Laien bleibt die technische Funk-tionsweise von Zertifikaten
ein Myste-rium, das schwer zu durchschauen ist. Diesen Nachteil gegenüber
anderen Fi-nanzinstrumenten wird auch der beste Berater nie ganz beseitigen
können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.