Donnerstag, 11. Juni 2015

Warten auf den Einsatz


Warten auf den Einsatz

Author D.Selzer-McKenzie

Trotz günstiger Bedingungen ist das Thema Zertifikate bei den meisten Anlegern in Österreich und Deutschland noch nicht angekommen. Das spiegelt sich auch in der Entwicklung der beiden Märkte wider. Dabei konnten risikoscheue Anleger in der Vergangenheit von diesem Instrument profitieren.

Die Zinsen für Sparbücher und sichere Staatsanleihen sind historisch niedrig und selbst die Bausparprämie ist nicht mehr das, was sie einmal war. Profitieren konn¬te die Investmentbranche davon aber nur eingeschränkt. Das Fondsvolumen erholte sich in Österreich zwar zuletzt auf Vorkrisenniveau, aber Einzelaktien oder Rohstoffpapiere bleiben nur bei einer kleinen Fan-Gemeinde beliebt.

Nicht so richtig abgehoben hat auch die Produktgruppe der Zertifikate. Im April 2014 waren noch 12,4 Milliarden Euro in diese investiert, laut den ak-tuellen Zahlen des Zertifikateforums Austria waren es im April 2015 rund 11,6 Milliarden Euro. Sieht man sich die Unterkategorien an, lassen sich einige Trends erkennen, die hinter die-sem Rückgang stehen.

Zwischen Dezember 2011 und De-zember 2014 haben sich die Bestände an Garantie-Zertifikaten um 1,5 Mil-liarden Euro reduziert. Das konnten die Zuwächse bei Bonuszertifikaten und Aktienanleihen von rund 480 Millionen Euro nur zum Teil kompen-sieren. Hinzu kommt, dass Garan¬tie-Zertifikate die Performance der zugrunde liegenden Kurse nur sehr eingeschränkt mitmachen. Die Bo-nuszertifikate legen hingegen noch et-was auf den Kurs drauf, sofern dieser während der Laufzeit eine festgelegte Barriere nicht unterschreitet. Wenig überraschend ist schließlich, dass die recht spekulative Kategorie der Hebel-produkte nur 0,7 Prozent des Zertifi-katevolumens ausmacht.

 

Auch in Deutschland entwickelt sich der Markt ähnlich, wie Lars Brandau, Geschäftsführer des Deutschen Deri-vateverbands (DDV), feststellt: „Der Gesamtmarkt in Deutschland ist in den zurückliegenden Jahren eher rück-läufig. Das liegt vor allem daran, dass mehrjährige Kapitalschutz-Produkte auslaufen und zur Auszahlung kom-men." Das freigewordene Kapital sei dann häufig in renditestärkere Aktien investiert worden, so Brandaus These. Natürlich gebe es auch Anleger, denen das Direktinvestment der Aktie im¬mer noch zu riskant erscheint: „Diese greifen gerne zu Klassikern, wie Bo-nus- oder Discount-Zertifikate. Wenn wir also einen Trend ausmachen, dann den, dass die Anleger nach wie vor das Risiko scheuen und deshalb gegenwär-tig auf Alternativen zurückgreifen."

ZWISCHEN AKTIE UND SPARBUCH

Wie man das Vertrauen von sicher-heitsorientierten Privatanleger gewin-

 

nen könnte, für die Aktien kein Thema sind, steht schon lange auf der Agenda der Branche. „Die Zertifikatebranche hat hier, was Transparenz und Pro-duktklarheit betrifft, viel getan", sagt Heike Arbter, Vorstand des Zertifika-teforums Austria und im Hauptberuf Leiterin für strukturierte Produkte bei der Raiffeisen Centrobank. „Es geht darum, dass der Anleger die Ri¬siken erkennt und versteht, die mit einer Anlageentscheidung verbunden sind. Chancen und Risiken sollten da¬her so klar wie möglich, so einfach wie möglich dargestellt werden." Mit den Bonuszertifikaten etwa könne man sich mit dem Risiko flexibel zwischen Sparbuch und Aktien positionieren.

Doch halten diese Zertifikate mit „Air-bag" in der Praxis, was sie versprechen? Der DDV hat für seinen Index-Report 2014 einen Performancevergleich zwi-schen dem EuroStoxx 50 und darauf basierenden Bonuszertifikaten gemacht. Dabei wurde aus 20 repräsen-tativen Zertifikaten ein „Bonus-Index" errechnet. Seit Anfang 2006 konnte dieser immerhin ein kleines Plus von 1,6 Prozent p. a. erzielen, während der Basiswert mit minus 1,5 Prozent p. a. zu Buche schlug. Allerdings begannen die Zertifikate erst 2011 so richtig ab-zuheben und lagen Ende 2014 um ein Drittel über dem Index. Der Grund ist leicht zu erraten: In den Jahren 2008 und 2009 wurden durch die massiven Kursverluste viele Barrieren unter-schritten und der Bonus der betroffe-nen Zertifikate ging verloren.

BELASTUNG ODER CHANCE?

Eine viel weitreichendere Folge der Jahre 2008 und 2009 waren die neuen Seiten, die von den europäi¬schen und nationalen Gesetzgebern bei der Regulierung des Finanzmark¬tes aufgezogen wurden. Die Abkür¬zungen MiFID II, PRIIPs und KIID waren auch beim diesjährigen Zertifi-katekongress oft gehört, nicht selten mit kritischem Unterton.

Heike Arbter fordert vor allem eine maßvolle und sachgerechte Umset¬zung vom Gesetzgeber: „Es gibt derzeit schon sehr viele Dokumente für den Anleger, weitere bringen nicht unbe-dingt mehr Nutzen oder Klarheit."

Auch Markus Kaller, Head of Retail Sales bei der Erste Group, sieht Regu-lierungen grundsätzlich nicht negativ: „Die Vergangenheit zeigt uns, dass zu große Kreativität bei der Gestaltung von Produkten und der Organisation des Verkaufsprozesses nicht ideal ist." Kritik übt er aber an überschießen¬den Maßnahmen: „Wenn schon die Eröffnung eines Wertpapierdepots und die Bereitstellung von rechtsver-bindlichen Dokumenten und Informa-tionsmaterial dutzende Seiten an aus-gedrucktem Papier benötigt, schreckt das eher ab als es nützt. Zwischen dem Anleger und dem Produktverkäufer muss ein Informationsgleichgewicht herrschen, allerdings ist der Weg dort-hin vielfältig."

 

 

Frank Weingarts von UniCredit one-markets in München ist sowohl in Deutschland als auch in Österreich tä¬tig und sieht die Branche im Umbruch: „In Deutschland etwa hat sich durch die Einführung des Beratungsprotokolls der Beratungsprozess stark verändert, die Produktinformationsblätter haben ebenso dazu beigetragen." Ob dem hö-heren administrativen Aufwand ein Gewinn an Beratungsqualität gegen-überstehen wird, sei noch abzuwarten. In Österreich gehe schon vieles in die gleiche Richtung, weiß Weingarts: „Spätestens mit der Umsetzung der MiFID II-Richtlinie Anfang 2017 wird der gesamte Beratungsprozess noch-mals stärker reguliert und verändert."

DDV-Geschäftsführer Lars Brandau sieht zudem bei der Gesetzgebung zu viele Köche gleichzeitig am Werk: „Ähnliche Vorhaben werden sowohl na¬tional als auch international zeitgleich forciert. Das bedeutet einen unsinni¬gen Mehraufwand für alle Beteiligten. Es wäre sicher hilfreich, wenn einzelne Regulierungsvorhaben nacheinander abgearbeitet werden würden, sodass die beteiligten Experten auf allen Ebe¬nen den Überblick behalten können."

Heiko Geiger von der Frankfurt-De-pendance der Schweizer Bank Vontobel sieht in den aktuellen Neuerungen in den Zielmärkten Deutschland und Ös-

 

terreich auch keine wesentlichen Hin-dernisse für Anbieter von außerhalb: „Die Finanzindustrie war immer schon schnell bei der Anpassung an neue Re-geln. Wir sehen das eher als Chance, um uns einen internationalen Markt¬vorteil zu verschaffen." In anderen Län¬dern wie dem Extremfall Belgien sei es durch die gesetzlichen Anforderungen für ausländische Anbieter praktisch unmöglich, in den Markt zu gehen.

Doch wer sind nun die typischen Zer-tifikate-Anleger? „Zertifikate werden häufig eher von selbstentscheidenden Kunden gekauft und aufgrund von Komplexität weniger in der aktiven Be-ratung empfohlen", hat Brandau fest-gestellt und ist damit nicht zufrieden: „Ich persönlich stehe auf dem Stand-punkt, dass Zertifikate in jedes auf Langfristigkeit abgestellte Depot gehö-ren. Sei es, um mit mehr Risiko mehr Rendite zu erwirtschaften oder um es gegen etwaige Risiken abzusichern."

Frank Weingarts sieht in erster Linie den klassischen Privatanleger als Kun-den: „Allerdings scheint die Kapitalsi-cherheit in Österreich doch noch sehr wichtig zu sein. Das führt dazu, dass wir dort verstärkt kapitalgeschützte Strukturen verkaufen. Aber auch Ak-tienanleihen sind in Deutschland und Österreich sehr gefragt."

Markus Kaller von der Erste Group zeichnet ein ähnliches Bild: „Natur-gemäß kaufen Selbstentscheider eher spekulative Produkte mit Hebel. Im Retail- und Private Banking-Geschäft steht der Kapitalerhalt im Vorder¬grund. Hier geht Sicherheit vor Ertrag." Das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben. Hinzu kommt ein Faktor, der nicht unterschätzt werden sollte: Selbst wenn Chancen und Risiken eines Pro-dukts schnell erklärt sind, für die meis-ten Laien bleibt die technische Funk-tionsweise von Zertifikaten ein Myste-rium, das schwer zu durchschauen ist. Diesen Nachteil gegenüber anderen Fi-nanzinstrumenten wird auch der beste Berater nie ganz beseitigen können.

 

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