Donnerstag, 30. Juli 2009

Google

Google
Author D.Selzer-McKenzie
Der Suchriese Google hat die besten Programmierer darauf angesetzt, Microsoft überflüssig zu machen. Wer steckt hinter der Offensive? Ein Besuch bei Lars Bak, dem Superhirn aus dem Hause Google.
Als der Anruf von Google kommt, will Lars Bak gerade seinen Hof in der norddänischen Hafenstadt Aarhus renovieren. Farbeimer stapeln sich vor dem 150 Jahre alten Fachwerkhaus, die Werkzeuge sind gekauft, die Umbaupläne gezeichnet. Zehn Jahre im Silicon Valley, vier erfolgreiche Firmengründungen – Bak braucht eine Pause. Der Däne, einer der ganz Großen der internationalen Programmiererszene, will endlich Zeit haben für seine Frau und seine beiden Töchter. Zeit für Spaziergänge mit dem Familienhund Mickey und stundenlange Rennrad-Fahrten durch die Wiesen an der dänischen Küste.
Es gehe um ein Geheimprojekt höchster Priorität, sagt der Anrufer an jenem Abend im Sommer 2006: Einen neuen Browser mit dem Namen Chrome wolle Google herausbringen, schneller als alles, was es bislang gibt. Und er, Bak, soll dafür sorgen, dass dieses Ziel erreicht wird. Es ist eines dieser Angebote, das man nur ein Mal im Leben bekommt. Ein kurzes „I am on“, und der Starprogrammierer würde zu einem der wichtigsten Hoffnungsträger im wichtigsten Internet-Konzern der Welt.
Mit Internet-Software auf Erfolgskurs
Natürlich weiß er, wie wichtig der Browser für die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page ist. Seit Monaten lassen sie ihre besten Leute in streng geheimen Arbeitsgruppen Pläne für das neue Programm erarbeiten. Der Browser ist für die jungen Milliardäre das Portal zu einem neuen Internet-Zeitalter.
In Zukunft werden die Menschen einen größeren Teil ihrer Arbeit online erledigen, davon sind Brin und Page überzeugt. Dafür bringen sie immer neue Programme heraus: Google Docs ist ein Büro-Softwarepaket, das nur noch im Netz läuft. Google Wave, eine Kombination aus E-Mail, Chat und gemeinsamer Dokumentenbearbeitung, soll die Kommunikation umkrempeln. Das schlanke Betriebssystem Chrome OS, das für diese Web-Programme optimiert ist, soll ab 2010 sogar Windows überflüssig machen. Und unter dem Label Google Apps verkauft der Konzern seine Internet-Software bereits 1000-fach an Firmenkunden.
Quasi en passant kommt Google den Menschen mit den Angeboten so nah, wie es vor Kurzem noch undenkbar schien. Schon bald sollen sie einen großen Teil ihrer Daten im Netz speichern. Experten nennen das Cloud Computing. Programme werden dann nicht mehr auf dem PC, sondern in der „Wolke“ ausgeführt, vulgo: im Internet. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist ein schneller Browser.
Bak lehnt ab
Deshalb brauchen die Google-Gründer Bak. Koste es, was es wolle.
Wie nur wenige andere Programmierer hat sich der 45-Jährige mit sogenannten Virtual Machines beschäftigt, 18 Patente hält er in dem Feld der Computertechnik. Virtual Machines sind Programme, die – wie simulierte Computer auf einem PC – andere Anwendungen ausführen können.
Genau das soll Chrome leisten: mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen, unabhängig voneinander. Friert etwa ein Fenster ein, kann der Nutzer in den anderen weiterarbeiten. Bislang stürzt dann oft das gesamte Programm ab.
„Der Job hat mich gereizt“, sagt Bak, als er die WirtschaftsWoche als erstes deutsches Medium auf seinem Hof empfängt.
Er liebt es, Dinge aufzubauen, zu strukturieren. Das war bei seinen Startups so und auch während der Arbeit beim Softwarehersteller Sun Microsystems, wo er mit Java Hotspot einen neuen Standard für die Computerbranche schuf. Die Zeit im Silicon Valley habe er „wegen der einmaligen kreativen Atmosphäre sehr genossen“, sagt er. Doch so verlockend Googles Angebot ist: Bak will nicht zurück in die USA.
Die stressigen Jahre in Kalifornien haben tiefe Falten in sein jugendliches Gesicht gegraben. Die 20 Kilo, die er durch das ungesunde Leben dort zugenommen hatte, sind gerade erst wieder runter. Vor allem aber will seine Frau nicht: „Wir hatten uns darauf geeinigt“, sagt Bak, „dass unsere beiden Töchter eine dänische Schule besuchen sollen.“
Und das Wohl der Kinder geht vor. Erst dann kommt der Job. Bak, der dunkelblonde, fast zwei Meter große Däne, ist nicht der verkopfte Zahlenmensch, den man erwartet, wenn man von seinen Erfolgen hört. Steht er vor einem, wirkt er eher wie ein freundlicher Sparkassenangestellter, ein Familienmensch mit Hobbykeller – fest verwurzelt im dänischen Norden.
Okay, sagen die Google-Leute. Dann soll er eben dort arbeiten. Mit einem kleinen Forschungszentrum, nur für ihn.
Das zieht. Bak stoppt die Renovierung und beginnt in einem ehemaligen Kuhstall des Hofes mit dem Geheimprojekt. Den Raum, der wegen seiner kleinen Fenster auch tagsüber etwas dunkel bleibt, baut er mit Eichenholzboden, hellen Furniermöbeln, Halogenstrahlern und Computern mit Flachbildschirmen zur Denkfabrik im Ikea-Stil um. Dort soll Bak die sogenannte Javascript Engine entwickeln. Sie ist der Teil des Browsers, der Internet-Programme wie Gmail und Google Docs schneller und stabiler anzeigen soll. Bak tauft sein Programm V8 – „weil es dynamisch klingt“, sagt er.
Geheimniskrämerei lohnt sich
Seine Ideen diskutiert der Däne via Videokonferenz und E-Mail mit den Kollegen im Valley. Vor allem aber tauscht er sich mit seinem ersten Mitarbeiter aus, dem fast 20 Jahre jüngeren Informatiker Kasper Lund. Ihr Tag beginnt um sieben Uhr. Zwölf Stunden programmieren sie, Abertausende Zeilen Softwarecode pro Tag. Sie schreiben einen Teil des Programms, testen es, verändern das Geschriebene. Testen erneut, immer wieder. Klappt alles, halten sie die Ergebnisse fest. Sonst geht es von vorne los. Ein ewiger Trial-and-Error-Prozess.
Den ewigen Buchstabenfluss unterbrechen sie nur zum Essen oder wenn es wirklich hakt. Dann fordert einer den anderen mit einer Partie Tennis an der Videokonsole Wii heraus. „Eine seltsame Zeit“, sagt Lund, wenn er zurückblickt. „Das Projekt war so geheim, dass wir nicht mal unseren Familien sagen durften, woran wir arbeiten.“
Warum die Geheimniskrämerei? Mit Browsern verdient niemand wirklich Geld, und Googles Umsätze mit der Bürosoftware sind marginal. Laut Berechnungen der Hamburger Beratungsfirma Dr. Helbig & Partner nahm Google mit seinen Apps 2008 lediglich zwischen 40 und 90 Millionen Dollar ein. Eine Marginalie angesichts eines Konzernumsatzes von knapp 22 Milliarden Dollar. Weshalb also setzt Google solche Hoffnungen in die neue wolkige Welt des Cloud Computing?
Google ist verwundbar
Hinter dem Aufwand steht ein großer Plan: Das Unternehmen will seine Vormachtstellung im Netz zementieren. Zwar besitzt Google de facto zwei Monopole: Niemand ist ähnlich stark bei der Vermarktung von Suchergebnissen. Und kein Konkurrent liefert Werbung an mehr Internet-Seiten aus: Google erreicht 66 Prozent der Internet-Aktivitäten jedes Nutzers, wie Berechnungen von Dr. Helbig & Partner ergaben. „Fast niemand bleibt von Google unerfasst“, sagt Thomas Helbig, der Microsoft und die Deutsche Telekom berät.
Und doch: Die meiste Zeit verbringen Computernutzer noch immer mit Microsofts Programmen: Laut Forrester Research setzen etwa vier Fünftel der Firmenkunden die Bürosoftware Office aus Redmond ein. Und selbst beim Suchen und Finden ist Google trotz knapp 80 Prozent Marktanteil verwundbar. Kommt jemand mit besserer Technik, könne Googles Anteil binnen weniger Monate „deutlich schrumpfen“, sagt Berater Helbig.
Wie viel schwerer hingegen fiele der Wechsel zur Konkurrenz, wenn die Menschen Googles vielfältigen Diensten vertrauen und Dokumente, E-Mails, Kontakte und Fotos auf den Servern des Suchkonzerns ablegten. Der kann die Daten zudem nutzen, um wertvolle Einblicke in das Privatleben der Kunden zu gewinnen.
Google-Kritiker befürchten, dass der Konzern mitlesen kann, wenn die Anwender per Online-Schreibsoftware Bewerbungen verfassen. Wer nach seltenen Krankheiten sucht, könnte zudem vertrauliche Daten über seinen Gesundheitszustand verraten, warnen Datenschützer. Und bei der automatischen Suche nach Schlüsselworten im Gmail-Postfach könnte Google sogar die Probleme unserer Freunde erfahren.
„Die Daten werden sehr wahrscheinlich schon bald für noch gezieltere Werbung eingesetzt“, sagt Stefan Ried, Cloud-Computing-Experte des IT-Beraters Forrester Research. Denn vor allem damit verdient Google Geld: 97 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet das Unternehmen mit Reklame. In den Nutzungsbedingungen habe sich Google deshalb vorbehalten, „aus allen gesammelten Daten Profile zu erstellen, die anschließend bei Werbekunden vermarktet werden“, sagt Berater Helbig.
Forderung nach Transparenz
Den Gebrauch von Googles Programmen honorieren Nutzer nicht mit Geld, sondern mit ihrer Identität. Zwar werden die Daten anonymisiert. Ein unangenehmes Gefühl aber bleibt. So war auch der Start des Chrome Browsers im vergangenen Jahr holprig. Kritiker bemängelten, dass Google mit dem Programm nun noch mehr Daten der Nutzer sammele. Sobald sie Begriffe in die Adresszeile eintippen, nimmt der Browser Kontakt zu Googles Servern auf. Die versuchen dann automatisch zu erkennen, was der Schreiber eingeben will, und machen Vorschläge für die richtige Internet-Adresse.
Das ist hilfreich. Einerseits. Andererseits erfährt Google so nicht nur, was die Menschen suchen, sondern auch, welche Seiten sie wie oft anklicken.
Die Kritik ist nichts anderes als Ausdruck wachsenden Unbehagens der Nutzer gegenüber Google. Laut einer repräsentativen Umfrage des Online-Dienstleisters United Internet in den USA haben knapp vier Fünftel der 2008 Befragten Vorbehalte dagegen, dass ihre Mails nach Stichworten für Werbung durchsucht werden. Datenschützer fordern, dass Google endlich transparent macht, wie genau die Daten analysiert, vermarktet und gesichert werden.
Der Microsoft-Moment
Die Ängste der Netzgemeinde wischt Bak weg. „Ich kenne niemanden, für den das ein Thema ist“, sagt er. Klar, Google hantiere mit Daten seiner Nutzer. „Doch damit“, sagt Bak, „sollen doch nur nützliche neue Dienste geschaffen werden.“
Wir sind nicht böse, lautet das Mantra von Google. Wir wollen das Internet zu einem besseren Ort machen. Böse, das sind die anderen. Microsoft zum Beispiel. Google, glauben viele Mitarbeiter, sei immer noch das coole Startup aus dem Valley.
Doch die Zeiten sind vorbei. Das 1998 gegründete Unternehmen mit seinen rund 20.000 Mitarbeitern ist längst ein weltweit agierender Großkonzern, der seinen Aktionären verpflichtet ist. Damit habe Google nun den Microsoft-Moment erreicht, notierte jüngst der prominente US-Blogger und Softwareexperte Anil Dash in sein Internet-Tagebuch: Die Selbstwahrnehmung des Unternehmens, so Dash, entferne sich zu sehr von der Wahrnehmung seiner Nutzer. Schlimmer noch: von der Wirklichkeit.
Dashs Analyse löste eine heftige Debatte aus. Und Matt Cuts, der Chef der Web-Spam-Bekämpfung bei Google, stimmte der Einschätzung in einem Blogeintrag sogar zu: „Wir können Menschen Angst machen, selbst wenn wir versuchen, es nicht zu tun.“
Für Bak in Aarhus sind solche Debatten so weit weg wie die 8700 Kilometer entfernte Google-Zentrale. Er will Programme schreiben, gute Programme. Politik sollen andere machen. Auch das Interesse an seiner Person stört ihn. Er kann nicht begreifen, dass sich Menschen mehr für ihn interessieren als für Computerprogramme. Es bereitet ihm regelrecht Bauchschmerzen, wenn wieder einmal jemand sagt, er sei das Genie hinter dem Chrome Browser.
In letzter Zeit hat er ziemlich oft Bauchschmerzen. Denn in Dänemark ist Bak ein Held. Einer, der es geschafft hat, den Weg aus einem kleinen Fischerdorf ins Silicon Valley zu gehen – und zurück. Vor allem die Studenten lieben ihn. Das ahnte sein alter Professor Ole Lehrmann Madsen sofort, als Bak zurückkehrte. Er überredete seinen Ex-Studenten, es mit einem Seminar an der Universität Aarhus zu versuchen. Dort, wo er bis 1988 Informatik studierte. „Er ist in seinem Feld einer der Besten der Welt, ein Vorbild“, sagt Madsen. Für ihn ist die Rückkehr des einstigen Schülers ein später Triumph: Als er dessen Master-Arbeit betreute, versuchte er ihn zu überzeugen, zu bleiben. Eine Doktorarbeit, eine Assistenz, irgendwas. Doch der junge Mann hatte andere Pläne. Er wollte etwas Eigenes aufbauen, an konkreten Problemen arbeiten.
Bak, der Held
Denn Bak ist nicht der Typ für die akademische Mühle. Schon deshalb, weil er Diskussionen für Zeitverschwendung hält. Über seine Jahre bei Sun erzählen Weggefährten, dass er Meetings auf 20 Minuten begrenzte. Um sicherzugehen, dass keiner länger redet, mussten alle stehen. Nicht, weil Bak den Kontakt mit Kollegen scheut. Die beschreiben ihn als offenen, hilfsbereiten Chef, jederzeit ansprechbar.
Aber eben auch als einen, der sehr effizient und fokussiert arbeite. Dauert ihm ein Gespräch zu lange, tritt er auf der Stelle, geht einen Schritt vor und zurück und klopft mit den Fingern ungeduldig auf der Naht seiner Jeans herum. Als suche er nach eine Taste, um so zum nächsten Kapitel zu springen.
Nur wenn es um Programmiersprachen geht oder um die Leistungsfähigkeit von Browsern, können Gespräche nicht lange genug dauern. Zwar hat Chrome je nach Statistik erst einen Marktanteil zwischen 0,5 und 3,0 Prozent und ist verglichen mit Microsofts Internet Explorer ein Winzling. Rund drei Viertel aller europäischen Nutzer surfen laut dem Marketingdienstleister Adtech mit dem Programm aus Redmond.
Der Geschwindigkeitswettbewerb hat begonnen
Trotzdem: Seit Chrome auf dem Markt ist, sind Browser deutlich schneller geworden. Die großen Konkurrenten, vor allem der Firefox der Mozilla-Genossenschaft, aber auch Apples Safari-Browser, besitzen inzwischen quasi eingebaute Nachbrenner. „Google ist es gelungen, einen regelrechten Geschwindigkeitswettbewerb unter den Browsern zu entfachen“, sagt Jo Bager von der Computerfachzeitschrift „C’t“. Verantwortlich dafür ist auch Baks V8.
Beinahe genauso stolz wie auf solche Ergebnisse ist der Däne auf seine „skandinavische Work-Life-Balance“. Etwas, was es im Silicon Valley nicht gibt. Das inzwischen zehnköpfige Bak-Team beginnt morgens zwischen sieben und acht Uhr. Programmiert wird seit einigen Monaten in einem Gebäude der Universität Aarhus. Mit ein paar roten, blauen und gelben Sitzkissen, einer Kaffeemaschine und einem Kühlschrank mit kalten Getränken hat das Büro sogar etwas Google-Flair abbekommen.
Zu viel davon will Bak nicht. „Das lenkt ab“, sagt er. Wichtiger sei, dass seine Leute um 18 Uhr heimgehen. Wenn nicht gerade eine Videokonferenz nach San Francisco angesetzt ist, steigt auch er dann aufs Rennrad und fährt die zehn Kilometer zu seinem Hof. Und dann gilt eine eiserne Regel: Nach Feierabend rührt er keinen Computer mehr an. „Wenn man keine Pause macht, hat man keine Ideen mehr“, sagt Bak. Und die braucht er, denn sein Job ist zwar nicht mehr geheim, aber noch längst nicht erledigt: In spätestens drei Jahren soll Chrome viermal schneller sein als heute.
Nur bei einem Projekt kommt Bak einfach nicht voran. Die Farbeimer stehen immer noch aufgereiht vor der grauen Wand.
Der Internet-Konzern Google will mit seinem kostenpflichtigen Online Dienst Google Apps schon im nächsten Jahr die Gewinnschwelle erreichen.
Das sagte Sam Schillace, der Entwicklungschef von Googles Online-Angeboten Google Apps und Gmail, im Gespräch mit der WirtschaftsWoche.
„Die Premiumversion der Programme verkaufen wir schon jetzt sehr erfolgreich.“ Das webbasierte Paket aus Textverarbeitung und Tabellenkalkulation, das in der Standard-Version kostenlos, in einer Profi-Version für Unternehmen hingegen gebührenpflichtig angeboten wird, werde von Unternehmen immer stärker genutzt. „Wir gewinnen täglich rund 3000 Firmenkunden hinzu und haben schon mehr als eine Million zahlende Nutzer für unsere Premiumdienste“, so Schillace.
Google werde „voraussichtlich in diesem, spätestens aber im nächsten Jahr mit den Apps die Gewinnschwelle erreichen“, kündigt Schillace an.
Suchmaschinen-Riese Google will bis Herbst 2010 ein eigenes Betriebssystem für Netbooks entwickeln. In Anlehnung an Goolges Web-Browser Chrome soll es Chrome OS heißen. Die Pläne bedeuten einen Frontalangriff auf das Kerngeschäft des Erzrivalen Microsoft.
Der entscheidende Satz steht gleich zu Beginn des Blog-Eintrags, mit dem Google in der vergangenen Nacht die anhaltenden Gerüchte bestätigt hat, nach dem Smartphone-Betriebssystem Android nun auch eine eigene Software für den Betrieb regulärer Computer zu entwickeln: "Die meisten Betriebssysteme wurden in einer Zeit entworfen, als es noch kein Internet gab. Wir meinen, das Internet sollte den Kern beim Umgang mit Computern darstellen." In erster Linie soll das neue Chrome OS ab der zweite Jahreshälfte 2010 auf den kompakten und vergleichsweise leistungsschwachen Netbook-Rechnern laufen. Der Einsatz auf regulären Rechnern aber ist ebenso möglich.
Keine Frage, auf wen diese Feststellung zielt: Es ist die frontale Attacke auf Microsoft - und seine langjährige Umsatz- und Gewinn-Maschine Windows. Warum sollen Menschen, die ihre Netbooks ohnehin zunehmend als reine Surf Maschinen nutzen, um damit ohne großen Aufwand ins Internet zu gehen, noch Hunderte von Euro für Microsofts Betriebssystem-Klassiker zahlen, wenn sie Dank Chrome OS eine kostenfreie Alternative bekommen.
Denn wie Android wird auch Chrome OS als sogenannte Open-Source-Software entwickelt, die von jedermann lizenzkostenfrei genutzt und weiter entwickelt werden kann. Das hat Google bereits bekannt gegeben. Und vor der Windows-Sinnfrage stehen offenbar auch die Hardware-Partner so, mit denen Google nach eigenen Angaben schon jetzt an der Konzeption der ersten Rechnermodelle für's kommende Jahr arbeit. Konkrete Namen allerdings nennen die Kalifornier noch nicht.
Die Chrome-Bombe tickt
In der Microsoft-Zentrale aber tickt nun die Chrome-Bombe - und zwar sehr laut und sehr vernehmlich. Denn Googles Ansatz erschüttert die ohnehin bereits strapazierten Grundfesten des Software-Giganten in Redmond noch zusätzlich. Seit Jahren schon haben die einstigen Cash-Kühe Windows und das Bürosoftware-Paket Office an Strahlkraft und Umsatzdynamik verloren. Dass Google Windows nun auf den Surfmaschinen obsolet machen soll, ist zwar nichts grundsätzlich Neues. Vor rund zehn Jahren schon verfolgte Oracle mit seiner Idee des Network-Computers eine ähnliche Vision. Doch während damals weder die Infrastruktur noch die Anwendungen bereit waren, ist nun die Zeit reif.
Schnelle, bezahlbare Online-Zugänge zum Pauschalpreis via Festnetz oder Mobilfunk machen den Internet-Tripp heute in den Industriestaaten zum Alltagsprodukt. Und Web-basierte (vielfach kostenlose) Anwendungen, wie etwa Google Apps - das Anwendungspaket aus Textverarbeitung und Tabellenkalkulation - Internet-Kalender oder Online-E-Mail-Dienste machen einen Großteil der bisher von Microsoft als kostenpflichtige PC-Software vertreibenen Anwendungen inzwischen aus der Sicht vieler Anwender schlicht überflüssig.
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PC wird Teil des Internets
"Es ist unser Versuch, zu überdenken, was Betriebssysteme sein können", heißt es im Google-Blog. Und es ist ein radikaler Schnitt mit dem, was sowohl Microsoft als auch Apple mit ihren Gigabyte-schweren Softwareklötzen Windows oder MacOS in den vergangenen Jahren geschaffen haben. Denn tatsächlich wird Chrome OS wohl nicht wesentlich mehr sein als ein schlankes Stück Software, das die Basisfunktionen eines PC wie Datenablage oder Grafikdarstellung steuert.
Die darauf aufsetzenden Anwendungen hingegen sollen de facto nichts anderes mehr sein, als Programme, wie sie auch im Internet selbst ablaufen können. Was Google damit schafft, ist nicht nur eine neue Art von PC-Betriebssystem. Es ist der Versuch, den PC kurzerhand zum Teil des Web zu machen ... und so die monolithischen, funktional überfrachteten Betriebssysteme alter Bauart im Grunde überfüssig.
Noch werden rund neun von zehn Netbooks mit Microsofts Betriebssystem-Rentner Windows XP ausgeliefert, weil dessen Nachfolger Vista zu klobig und leistungshungrig geworden ist. Erst das neue, beschleunigte und technisch entrümpelte Windows 7 soll ab Herbst in der Lage sein, Microsoft auch in Zukunft im boomenden Segment der leichten Web-Rechner die Zukunft zu sichern.
Möglicherweise aber sind Microsofts Vorstellungen von Zukunft nach dem Erscheinen von Googles Chrome OS schon wieder Vergangenheit. Die Bombe tickt.

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