Donnerstag, 11. Juli 2013

Lhasa Tibet China Travel Reise SelMcKenzie Selzer-McKenzie


Lhasa Tibet China Travel Reise SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie






In Lhasa geht alles nur in Zeitlupe. Denn die Stadt liegt auf 3650 Meter Höhe und die Luft ist verdammt dünn. Das Atmen fällt schwer. Die Stadt selbst überrumpelt einen: mit ihrem Licht, ihren Farben, Geräuschen, Gerüchen und ihren Pilgerstätten.
4       Hinterher war ja immer alles toll - aber auf Reisen geht es uns manchmal überhaupt nicht gut. Unser Autor hat das neulich in Tibet erlebt, wo ihn die Höhenkrankheit erwischte. Zum Glück lag sein Hotel mitten in der Altstadt von Lhasa. Das hier sind die ungeschönten Original-einträge, die er in jenen Tagen in sein Notizbuch geschrieben hat:
Unsichtbare Gummiseile
Erster Tag: Endlich angekommen, nach zwei lan¬gen Flügen von Frankfurt nach Peking und wei¬ter nach Lhasa. Voll war es! Warum müssen die Menschen hier alle mindestens 14 Handgepäck¬stücke mitschleppen? Und warum bleiben sie nach der Landung nicht wenigstens sitzen, bis die Maschine steht? Natürlich fielen alle im Gang übereinander, als der Kapitän bremste. Dabei ha¬be ich einen kleinen Kunststoffkoffer von oben ins Kreuz bekommen und einen älteren Chinesen
auf den Schoß. Und dann sind beim Aussteigen alle schlagartig langsamer geworden. Sah aus, als hingen sie an unsichtbaren Gummiseilen. Und gekeucht haben sie auch ganz schön.

Das Ganden Kloster liegt auf dem Berg Drog Riboche im Kreis Tagtse Dzong.
Lhasa liegt 3650 Meter über dem Meeresspiegel. Hier ist die Luft schon ziemlich dünn. Ein-deutiges Zeichen: Alles funktioniert nur in Zeit-lupe. Meine Reiseführerin Rigdsin hat gleich Tipps gegeben: Nicht so viel unternehmen am ersten Tag! Ausruhen! Nur Leichtes essen! Bloß keinen Alkohol! Die ganze Fahrt vom Airport ging das so. Dann waren wir da.
Das Hotel ist wunderschön. Es liegt direkt in der Altstadt und sieht aus, als sei es aus einem tibeti-schen Märchen gepurzelt. Das Zimmer scheint komplett aus Holz geschnitzt. Und dieses Lhasa überrumpelt einen sowieso! Farben, Licht, Ge-räusche, Gerüche - alles stürmt auf einen ein draußen in der Stadt. Der Strom der Menschen, die im Uhrzeigersinn um den Jokhang pilgern, reißt einen gleich mit. Der Tempel ist Tibets Nationalheiligtum und macht Lhasa für den tibe-tischen Buddhisten so bedeutend wie für den frommen Katholiken Rom und Lourdes zusam-men. Manche Pilger lassen sich alle zwei Schritte auf den Boden fallen, rutschen eine Körperlänge nach vorne und liegen erneut auf dem Boden. Ich fand das normale Gehen wirklich schon anstren¬gend genug.
Zweiter Tag: Super geschlafen, beim Aufwachen allerdings völlig erledigt - als ob ich nach einer achttägigen Grippe das erste Mal auf den Beinen wäre. Dazu ziemliche Kopfschmerzen. Keinerlei Appetit, vor allem nicht auf Eier. Der Chef der Frühstücksraum-Mannschaft fragt trotzdem fünfmal in bellendem Befehlston nach: „Eggs! Sir! Eggs!" Offensichtlich ist das hier ungewöhn-

Menschen auf dem Platz um den Jokhang-Tempel: Der ist das Nationalheiligtum Tibets.
lieh, dass morgens iemand keine Eier will. Zum Glück sind Pema und Nvima da, zwei Frauen, die leise singend mit Kaffee und Tee hin und her schweben. Ihre Gesichter sind von einer seltsa-men Zeitlosigkeit. Das ist wie ein Blick in Jahr-tausende alte Dynastien, wenn sie einen fragen, ob sie nachschenken dürfen.
Rigdsin holt mich ab. Wir schauen uns den Nor-bulingka an, die Sommerresidenz der Dalai La-mas. Der Zutritt in den Palast ist nicht erlaubt, deswegen gehen wir im Garten spazieren. Mein Kopf möchte gerne detonieren. Außerdem ist mir blümerant, weil ich weder die Eier noch sonst etwas zum Frühstück gegessen habe. Also bre¬chen wir das Besichtigungsprogramm ab.
16 Stunden später
Im Hotel lege ich mich ins Bett und werde ers vier Stunden später wieder wach. Jetzt tun aucl Nacken und Schultern weh. Im Reiseführer steht dass so etwas absolut üblich ist ohne Akldima tisierung in dieser Höhe - nach zwei oder dr( Tagen sei es meistens vorbei. Ich gehe zurück ir Bett und schlafe bis nachts, schlafe dann imm( weiter. Als ich 16 Stunden später eigentlich rai muss, stelle ich den Wecker noch einmal zel Minuten vor.
Dritter Tag: Der Majordomus schmettert n sein „Eggs? Sir? Eggs?" entgegen, als ich noch der Treppe bin. Keine Eier, bitte nicht. Rigd schaut etwas besorgt. Aber morgen sei es 1 stimmt besser, sagt sie, und heute auch ni,
weit, nur bis zum Nonnenkloster Tsamkhung. „Nicht weit" ist in Lhasas Altstadt allerdings ein dehnbarer Begriff. Meist sind derart viele Men¬schen unterwegs, dass man sein Tempo nicht selbst bestimmen kann, sondern mitgeschoben wird. Außerdem kommt es etwa alle 100 Meter zu beträchtlicher Rauchentwicklung, wenn die Pilger bündelweise Wacholderzweige in große, steinerne Öfen stopfen. Ihre Gebete steigen mit dem Rauch hinauf zu den Göttern, heißt es. Für die Kopfschmerzen ist er nicht gut, der Rauch.
Großmütterchen mit Ziege
Offensichtlich sehe ich ziemlich mitgenommen aus, als wir im Kloster ankommen, jedenfalls werde ich von zwei kräftigen Nonnen unterge¬hakt und auf ein freies Sitzkissen bugsiert. Dann beginnt das Mittagssingen. Natürlich verstehe ich kein Wort, lasse mich aber gerne einlullen von den monotonen Mantras. Außer mir ist noch ein altes Großmütterchen zu Gast, die eine Ziege am Halsband mitgebracht hat. Solchen Frauen ist von ihrem Lama angetragen worden, für ihr Seelenheil ein Leben vor dem Schlachter zu ret¬ten. Die Frau lächelt mir zu. Die Ziege meckert. Abends kaufe ich im „Whole World Supermarket Welcome" neben dem Hotel Wasservorräte und Kekse. Bevor ich die Packung öffnen kann, schla¬fe ich ein.
Vierter Tag: Die halbe Nacht wach. Jede Be¬wegung löst eine Schmerzwelle im Kopf aus, die erst unten an den Bandscheiben verebbt. Bei

Höhenkrankheit dürfe man auf keinen Fall Me¬dikamente nehmen, steht in meinen Reise¬führern: einfach abklingen lassen! Keine Tablette also, stattdessen die Kekse. Schmecken sehr merkwürdig. Ich untersuche die Packung: halt¬bar bis mindestens 2003.
Nach dem Frühstück fahren wir ins Ganden Kloster auf 4200 Meter Höhe. Draußen ist es bit¬terkalt, drinnen ist alles vom Qualm der Butter¬kerzen zugenebelt. Muss mich alle zehn Minuten setzen. Rigdsin scheint nun besorgt. Morgen soll¬ten wir zu einem Arzt, sagt sie. Na prima.
Fünfter Tag: Wir fahren zum Kloster Sera, wo die Mönche gerade eine Diskussionsrunde im In¬nenhof abhalten. Das Original-Kloster wurde wie Tausende andere auch von den Chinesen zerstört. Was vor ein paar Jahren rekonstruiert wurde, sieht auch fast schon wieder so aus, als stamme es aus dem 14. oder auch 11. Jahrhundert. Sonne, Sturm, Kälte, Frost, der Sand, den der Wind un¬aufhörlich zum Schmirgeln an die Mauern schickt — all das scheint dazu beizutragen, dass die Dinge schneller altern in diesem Land, die Dinge und die Menschen. So, wie ich mich fühle, trifft das auch auf mich zu.
Sechster Tag: Es scheint allmählich aufwärts zu gehen: Dem „Eggs! Sir! Eggs!" beim Frühstück erstmals zugestimmt Rigdsin ist hocherfreut: „Dann können wir heute zum Potala!", ruft sie. Der Winterpalast des Dalai Lama ist natürlich die wichtigste Sehenswürdigkeit im ganzen Land, ein Klotz, eine Trutzburg, ein 999-Zimmer-Amtssitz auf einem Berg über der Stadt. Innen-

drin schieben einen Hunderte Mitbesucher durch immer neue Empfangszimmer, Höfe, Flure, An-dachtsräume und Versammlungshallen. Alles ist in ewiges Duster gehüllt, aus dem gelegentlich steinalte Pilger wie Schatten auftauchen. Ich ent¬decke einen jungen Mönch, der in einer Ecke sitzt und betet. Als er glaubt, dass alle aus dem Raum sind, holt er ein Handy aus der Robe und spielt „Angry Birds".
Lhasa-Bier und Chips
Siebter Tag: Der bislang schönste Tag der Reise! Morgens Eier, dann die Kinder von Pema und Nyima in die Schule gebracht. Zufällig eine der Nonnen aus dem Tsamkhung-Kloster getroffen, mit ihr zum Mittagssingen gegangen. Notizen in einem kleinen Ca& vervollständigt, dabei ein eis-kaltes Lhasa-Bier getrunken und Chips geknab¬bert. Besorgungen und etliche Fotos gemacht. Und die Kopfschmerzen? Sind verschwunden. Komplett. Der Frühstücksraumaufseher hatte mir einen Chiropraktiker empfohlen. Der gute Mann benötigte einen einzigen Ruck, bei dem es irgendwo im Nacken laut geknackst hat — die Schmerzen waren augenblicklich weg. War gar keine Höhenkrankheit. War der Kunststoff¬koffer aus dem Handgepäckfach, der auf mich gefallen war. Morgen geht's dann los mit der Rundreise. Aber eigentlich kenne ich Tibet ja schon.

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