Dienstag, 23. Juli 2013

Neufundland Canada Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie


Neufundland  Canada  Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie




4       »Das da hinten ist es!" Der Mann beim Wohn-mobilverleih nickt Richtung Parkplatz. Das da hinten ist ein Wohnmobil von der Größe eines Bahnwaggons. Oder beinahe. Vor meinem inne¬ren Auge ziehen augenblicklich Wendemanöver auf Waldwegen, in Randstreifen eingesunkene Reifen und die Suche nach drei bis vier hinterein-anderliegenden freien Parkboxen auf. Ob sie viel-leicht eines drei, vier Nummern kleiner haben? Haben sie nicht. Alles ausgebucht. Hochsaison. "Sie werden sich in dem wie zu Hause fühlen", sagt der Mann beim Wohnmobilverleih. „Es gibt nichts Schöneres, als mit so einem Fahrzeug durch die Wildnis zu rollen!"
Dann wollen wir mal! Von Halifax in Nova Scotia Richtung Norden, mit der Fähre rüber nach Neu-fundland, dann wieder Richtung Norden, bis es nicht mehr weitergeht. Anschließend auf der an-deren Seite von Kanadas östlichsten Provinzen zurück, und das alles in 14 Urlaubstagen.
Während der ersten Stunden Wohnmobilfahrt kommt Kanada nicht so recht zum Zug. Kurven¬lage und Verhalten am Berg stehen im Vorder¬grund, zum ersten Mal im Leben wird für über 250 Dollar getankt. Und wie so ein bewohnbarer Sattelschlepper bei einer Vollbremsung reagiert - gleich mal testen. Aber abseits seiner Küsten ist Nova Scotia sowieso nicht besonders spannend.

Aber dann nach einer kleinen Brücke auf Cape Breton ist alles anders. Plötzlich sind da Wälder, überall, tiefe, dunkle, bis zum Horizont. Und am Horizont angekommen, reichen neue Wälder schon wieder bis zum nächsten. Die Straße führt schnurstracks geradeaus. Irgendwann haben sich Wälder und Zeitverschiebung heimlich verbün¬det und einen hypnotischen Tunnel gebastelt, der einen einzusaugen droht. Dann ist es besser, sich um ein Zuhause für die Nacht zu kümmern.
Landschaften wie Melodien
Am nächsten Morgen nieselt es, aber davon lässt sich dieses Cape Breton nicht einschüchtern, oh nein: Wenn Landschaften Melodien sein könn¬ten, dann wäre der Norden Nova Scotias der Fortissimo-Part einer Ouvertüre, die mit mehr Pauken und Trompeten und Tschingderassa-bumm daherkommt als Wagners Walküren. Ist das ein Land! Im Innern drückt sich die Straße an lotrecht stürzenden Wänden entlang, tief unten glitzern Seen wie Pinselstriche aus feinem Silber. Die Wälder sehen aus, als wüssten sie Dinge, die der Rest des Planeten vergessen hat, an die sich nur noch sie erinnern können, sie und der Wind. Und an den Küsten klatschen Land und See in schäumendem Aufruhr zusammen. Gischt-Fon-

tänen schießen hoch hinauf in die Nebelwände. Es riecht nach Salz und Tang, und der Sturm drückt heulende Beulen in die Welt. Wer hier an¬hält und aussteigt, ist in 20 Sekunden salzglasiert. An einem kleinen See irgendwo im Inselinnern gibt es dann den ersten Elch. Er liegt nach einem kurzen „Ich vertrete mir mal die Beine"-Spazier¬gang mehr oder weniger einfach auf dem Weg. Offensichtlich hat er gerade zu Mittag gegessen: Er gibt komische Grunz- und Schmatzgeräusche von sich, während er aus seinen großen Elch-augen hinüberschaut. Ein lauter Rülps, dann fal¬len ihm die Augen zu - nicht zu fassen. Dann folgt leises Schnarchen.
Geschnarcht wird später auch auf der Überfahrt von Cape Breton nach Neufundland - einige Fahrgäste halten ein Nickerchen. Alle anderen sind putzmunter und tanzen zur Musik einer Liveband, die auf einer kleinen Bühne in der Bar

schottische Freiheitslieder aus dem 18. Jahrhundert spielt. In Neufund¬land haben sich viele schottische Auswanderer niedergelassen, solche Musik kann man vor allem an der Westküste überall hören. „Ein Lied über unsere Heimat", kündigt der Sänger die Zugabe an. Anschließend singt er von Neufundlands Küsten, die seine Vorfahren an die Schott¬lands erinnert haben.
Schluss mit Kanada
Die Fähre legt an. Wir fahren von Bord und weiter Richtung Norden und dann immer geradeaus. Irgend¬wie ist es gleich spürbar. Mit den Kilometern wird das Gefühl stärker, und der Blick auf die Karte schafft Gewissheit: Hier ist langsam Schluss. Schluss mit der Zivilisation, Schluss mit Kanada. Etwa ab Green Point. Oder ab Daniel's Harbour. Die Bäume weichen zurück, werden erst mickriger, dann deutlich weniger. Dafür kommen die Sümpfe, Tümpel, kleine Seen, große schimmernde Flächen. Das Land wird weit, das Land wird offen, das Land wird leer, zwischen hier und Grönland leben nur noch ein paar tau¬send Menschen. Hier geht Kanada zu Ende. Und ein paar hundert Kilometer weiter nördlich wur¬de die Neue Welt entdeckt von den Wikingern, wahrscheinlich um das Jahr 1000 herum. Der ers¬te auf kanadischem Boden geborene Wikinger hieß übrigens Snorre. Wie der aus „Wickie und die starken Männer".
Nachfahren der Wikinger
Solche Geschichten erzählen sie überall und immer wieder, die Menschen in den kleinen Lebensmittelgeschäften, die Tankstellenpächter und die Campingplatzbesitzer, wenn sie einem beim Einparken des großen Wohnmobils gehol¬fen haben. Dass die Inuit eigentlich Nachfahren

der Wikinger seien, ganz bestimmt. Dass es im Innern Neufundlands 20 Mal so viel Wölfe wie Menschen gebe. Und dass der Eisberg, der einst die Titanic versenkte, so nah an der kleinen Stadt Twillingate an der Ostküste vorbeigetrieben sein soll, dass er locker hätte weggeschleppt werden können, wenn zu ahnen gewesen wäre, auf wel¬chem unheilvollen Kurs er sich befand!
Iceberg-Watching-Zentrum
Twillingate klammert sich so an den Rand Neu¬fundlands, als habe es Angst hinunterzufallen. Der sympathische Ort macht sein Geld tatsäch¬lich mit Eisbergen, die mit der Strömung aus Grönland kommen. Weil so ein bläulich schim-mernder Eisberg ein ziemlich tolles Erlebnis ist, hat sich das Städtchen zum Iceberg-Watching-Zentrum Neufundlands - ach was - der Welt er¬nannt. Leider lassen sich heute keinerlei Eisberge von den Aussichtspunkten an der Küste ausma-chen. Aber ein feiner, leerer Campingplatz. Das Wohnmobil lässt sich direkt am Rand einer klei¬nen Klippe parken. Während eines Biers auf ei¬nem Felsen ackert sich draußen über dem Meer die Sonne durch die eherne Wolkenschicht. Ein warmes Licht strömt über das Land. Und hinten

am Horizont ist bereits zu sehen, wie der Abend ein kleines Eckchen Ewigkeit auf die Erde holt.
Am nächsten Morgen die Küstener-kundung. Rest-Kanada hat seine Seen, Neufundland hat Buchten, Landzungen und Halbinseln. Selbst dort, wo die Küstenlinie auf der Landkarte für ein oder zwei Zen¬timeter relativ gerade ausschaut, ver¬läuft sie in Wirklichkeit wild gezackt - Kartografen-Maßstäbe sind viel zu plump, um Neufundlands fein zise¬lierte Gestade nachzuzeichnen. Hin¬ter jeder Kurve recken sich Fels¬nasen und Vorsprünge neugierig ins Meer, jede Siedlung hat mindestens zwei oder drei dieser geologischen Hallodris. Fast überall haben die Menschen sie in Beschlag genommen, haben kleine Hütten auf sie gesetzt, Stege gebaut, Stufen in den Fels geschlagen. Als wollten sie jeden Quadratmeter nutzen, ihren Nachbarn aber gleichzeitig Platz und Luft las¬sen. Als wollten sie sich vergewissern, dass ihre Heimat ein Land für alle bleibt. Und eines, in dem die Dinge Raum zum Atmen und Wachsen haben.
Erstaunlicherweise bleibt einem ein Stück davon, ein Stück von der Ruhe, von der Luft, von dem Gefühl, durchatmen zu können. Es ist einem nicht ganz klar, woher es kommt, dieses gute Gefühl. Doch das hat Kanada mit einem ge¬macht - das ist die Weite Neufundlands und das sind die Wälder von Nova Scotia, die das ange-richtet haben. Und so geht es weiter, auf die Fähre und in Nova Scotia wieder hinunter und zurück bis nach Halifax, wo man dem Mann vom Wohnmobilverleih ein „Es gibt wirklich nichts Schöneres, da hatten Sie recht" zuruft.

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