Montag, 28. Dezember 2015

Menschliche Blutgefässe aus dem Drucker


Menschliche Blutgefässe aus dem Drucker

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/pBdiLtsZYeY

Herkömmliche künstliche Hautmodelle bestehen meist aus den beiden obersten Schichten der Haut. Ein internationales Forscherteam entwickelte ein dreilagi-ges Vollhautmodell aus Unterhautfett, Dermis und Epidermis. Ein Schlüssel zum Erfolg: Den Experten gelang es mit einem 3D-Druckverfahren, künstliche ver¬zweigte Blutgefäße aus neuartigen Materialien herzustellen.

 

Die Haut ist unser größtes und vielseitigstes Organ: Sie schützt und isoliert unseren Körper, fühlt und atmet, nährt Immunzellen und schei-det Giftstoffe aus. Trotz dieser komplexen Auf-gaben ist ihr schichtweiser Aufbau vergleichs-weise einfach. Daher haben Wissenschaftler bereits in den 1980er Jahren damit begonnen, menschliche Hautzellen in Kulturschalen zu züchten und künstliche Haut für medizinische Implantation nachzubilden. Allerdings lassen sich bislang nur die oberen beiden Schichten der Haut, die Dermis und die Epidermis, im Labor kultivieren. Zu einem vollständigen Hautsystem gehört jedoch auch das mehrere Millimeter dicke Unterhautfettgewebe. Um das Gewebe am Leben zu erhalten, muss die Schicht nicht nur mit Nährstoffen versorgt werden, son¬dern es muss auch der Abtransport von Stoff-wechselprodukten sichergestellt sein. Lösungen für diese schwierige Aufgabe entwickelte ein eu-ropäisches Forschungskonsortium unter Führung des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT in Aachen. Nach vier Jahren konzentrierter Arbeit kann es einen großen Erfolg vorweisen: Es ist gelungen, ein dreilagiges Vollhautmodell aus Unterhautfett, Dermis und Epidermis mit einer Dicke von bis zu 12 Millimetern im Bioreaktor herzustellen und zu versorgen.

ArtiVasc 3D heißt das interdisziplinäre Projekt, an dem fünf Fraunhofer-Institute, acht Univer-sitäten und sieben Industriepartner mitwirken (siehe Kasten). Ein Kernstück sind feine, ver-zweigte Röhrchen, die mithilfe eingebauter Poren den Stoffaustausch gewährleisten und so die Versorgung dreidimensionaler Hautgewebe ermöglichen. Diese künstlichen Gefäße werden aus einem synthetischen Polymer hergestellt, das sich aus der Acrylsäure ableitet. Entwickelt am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymer-forschung IAP in Potsdam, zeichnet sich dieser neuartige Kunststoff durch günstige mechani¬sche Eigenschaften, Zeltverträglichkeit und gute Prozessierbarkeit aus: Das anfangs zähflüssige Acrylat härtet unter der Einwirkung von Licht aus.

 

Stereolithografie heißt dieses Laser-basierte Ver¬fahren, mit dem sich erstmals verzweigte Gefäße mit einem Innendurchmesser von nur 500 Mi¬krometer und entsprechend dünnen Wand¬stärken herstellen lassen. Die Daten für die gewünschten 3D-Strukturen generiert ein CAD-Programm, das vom Fraunhofer-Institut für Werk¬stoffmechanik IWM in Freiburg zusammen mit Ingenieuren der Universität Aalto in Helsinki und der Universität Loughborough entwickelt wurde.

Schicht für Schicht

»Wir können die verzweigten Kunstgefäße Schicht für Schicht aufbauen. In Zukunft soll es durch das Zusammenspiel eines Tintenstrahldru¬ckers mit der hochaufgelösten Laser-induzierten Vernetzung auch möglich werden, unterschied¬liche Materialien zu kombinieren«, erklärt Dr. Nadine Nottrodt vom ILT, die das Verbundpro¬jekt koordiniert. Das Inkjet-System ist schon jetzt Teil einer automatisierten Prozessanlage, die am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart entwickelt wurde. »In dieser Maschine möchten wir künftig verschiedene Komponenten kombinieren. Denn die Gefäße selbst sind ja nur ein Gerüst, auf dem sich verschiedene Körperzellen anlagern und dann zu einem Hautmodell zusammenwachsen müssen«, sagt Nadine Nottrodt.

Tatsächlich ist es bereits gelungen, die künst-lichen Gefäße zu besiedeln: innen mit Endo-thelzellen und außen mit Fettzellen, die mittels Gewebebiopsien von Patienten gewonnen wurden. »Dazu haben wir erst einmal eine passende Beschichtung entwickelt, damit sich die Endothelzellen überhaupt anheften können. Außerdem haben wir nach Wegen gesucht, wie sich diese Zellen gleichmäßig auf der gesam¬ten Innenfläche der Röhrchen verteilen. Das klappt nun auch in den verzweigten Gefäßen sehr gut und ist ein großer Schritt in Richtung Hautmodell«, sagt Dr. Kirsten Borchers, die das ArtiVasc-Projekt am Fraunhofer-Institut für

 

Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart leitet: »Die künstlichen Gefäße sind ja kein Selbstzweck, sondern sollen in Gewebemo¬delle integriert werden.«

Damit die künstlichen Adern die ihnen zuge-dachte Aufgabe erfüllen können, müssen sie mit einer Schicht aus Fettzellen und vernetzter Gelatine umhüllt werden. Keine leichte Aufgabe, betont Kirsten Borchers: »Reife Fettzellen sind sehr empfindlich. Wir mussten also ein Verfahren entwickeln, um diese Zellen aus menschlichem Fettgewebe herauszupräparieren, ohne dass sie zerstört werden. Danach mussten sie kultiviert und schließlich weiterverarbeitet•werden.« Für jede dieser Herausforderungen fand Birgit Huber von der Universität Stuttgart eine Lösung. »Zusammen haben wir eine Suspension aus Fettzellen in einer Gelatinelösung entwickelt, die zellschonend zu einem Gel vernetzt werden kann. Diese Mischung können wir über einen automatischen Dispensierer schichtweise in einen kleinen Bioreaktor einbringen, in dem schon das verzweigte Röhrensystem festmontiert ist«, erläutert die Fraunhofer-Forscherin. Die Gelati-nelösung — Borchers nennt sie einfach »Biotinte« — hat es in sich: Sie ist dünnflüssig genug für die Handhabung im Dispensierer oder auch im Inkjet-Drucker. Zugleich aber lässt sie sich nach Bedarf mit einem Lichtstimulus zu einem Hydro¬gel vernetzen, das an die Festigkeit unterschied-licher Gewebe angepasst werden kann: Als weiches Gel eignet sich das Material als Matrix für die eingelagerten Fettzellen. Auf diese Weise lässt sich ein Gewebe von fast einem Zentimeter Dicke um die künstlichen Röhrchen aufbauen —aus rund einer Million Fettzellen.

Gewebe versorgen

»Wir können dieses Fettgewebe-Konstrukt im Bioreaktor einige Tage am Leben halten, wenn wir ihm über Röhrchen Kulturmedium zuführen. Das zeigt, dass die Versorgung eines derart großen Gewebemodells mit unserem künstlichen Gefäß wirklich funktioniert«, freut sich Kirsten Borchers. Voraussetzung dafür sind künstliche Poren mit einem Durchmesser von etwa hundert Mikrometern, die beim Aushär¬ten der Acrylat-Röhrchen ausgespart wurden. Diese winzigen Öffnungen sind eine technische Meisterleistung — doch verglichen mit den Poren in echten Geweben sind sie groß.

Deshalb arbeitet Kirsten Borchers an einer al-ternativen Lösung, die dem natürlichen Vorbild noch näher kommt. Das Material der Wahl ist auch hier Gelatine, die aus Kollagen gewonnen wird. »Damit die Gelatine auch durch das La¬serverfahren zu stabilen feinen Röhrchenstruk-turen verfestigt werden kann, müssen wir die Zähflüssigkeit der Lösung und die Vernetzungs¬reaktion noch auf diesen Prozess maßschnei-dern«, sagt die promovierte Biologin und erklärt

 

auch gleich, wie dieses Kunststück gelingen soll: »Unsere Gelatine ist chemisch so verändert, dass sie sich mittels UV-Licht vernetzen lässt. Diese chemischen Modifizierungen können wir inzwischen sehr gut kontrollieren und damit ein¬stellen, wie fest und wie stark quellbar nachher unsere Gele sind.«

Noch lässt sich die »Biotinte« nicht so präzi-se verarbeiten wie das synthetische Polymer. »Wenn wir so weit sind, können wir auf Poren verzichten, denn Gelatine ist von sich aus per¬meabel. Und die Endothel- und Fettzellen kön¬nen darauf auch ohne vorherige Beschichtung anwachsen«, betont Kerstin Borchers. Schlie߬lich stammt das Material aus der natürlichen Gewebematrix und könnte — so die Vision der Wissenschaftler — dereinst von körpereigenen Strukturen ersetzt werden.

 

Doch noch ist das Zukunftsmusik. »Ich sehe unser Hautsystem frühestens in einigen Jahr-zehnten als Implantat im Menschen. Aber als Testsystem könnte es schon in wenigen Jahren zum Einsatz kommen«, erläutert ArtiVasc-Koordinatorin Nadine Nottrodt. Der Bedarf ist immens: Denn jede neue Substanz, die in Me¬dikamenten, Reinigungsmitteln oder Kosmetika für die Anwendung beim Menschen vorgesehen ist, muss auf seine Wirksamkeit und Verträglich¬keit getestet werden. Ein möglichst naturnahes Hautmodell, insbesondere eines mit Fettschicht und künstlichem Blutgefäßsystem, könnte hier gute Dienste leisten — und künftig Tierversuche ersetzen

 

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