*YoutubeVideo: https://youtu.be/BGRXeJ1u6rY*
*Die Black-Scholes-Preisformel und*
*Berechnung der impliziten Volatilität*
Wir stellen die Black-Scholes-Preisformel vor, das zwar vielf¨altig
verändert und verallgemeinert wurde, es stellt jedoch bis heute
insbesondere in der Bewertung von Aktienoptionen den Standard dar. Die
Kennzahl ”Volatilität“, die diese Preisformel ”dominiert“, bezeichnet das
Ausmaß der Schwankungen von Kursen an Finanzmärkten. Zur Bestimmung der
Volatilität aus Marktdaten benötigt man ein Verfahren zur Lösung einer
nichtlinearen Gleichung. Wir beginnen mit der Behandlung dieser
Aufgabestellung, da sie – ohne genauer auf die Modelle einzugehen – schon
einige Begriffe und Definitionen der mathematischen Finanztheorie erläutert.
*1.1 Eine Preisformel*
Wir betrachten ein Optionsgeschäft für Aktien. Es werde mit *V *der
*Optionspreis*, mit *S *der der Kurs des *Basisobjekts*, mit *T *die
*Laufzeit*, mit *K *der Ausübungspreis und mit *S**T *der Kurs der Aktie *(Basiswert)
*am *Fälligkeitstag *bezeichnet. Ist *S**T **> K *(die Option ist ”in the
money“), so kann der Besitzer der Option die Aktie zum Preis *K *erwerben
und sofort zum höheren Preis *S**T *am Markt verkaufen. Er erzielt dann
eine Auszahlung (payoff) in Höhe von *S**T *− *K *(unter Vernachlässigung
von Transaktionskosten). Ist *S**T **< K *(die Option ist ”out of the
money“), so lässt der Besitzer der Option sein Recht verfallen, selbst wenn
er Interesse am Kauf dieser Aktie hätte. Es ist nämlich dann günstiger, die
Aktie am Markt zum Preis *S**T *zu erwerben. In diesem Fall ist die
Auszahlung für die Option gleich Null. Der Fall *S**T *= *K *(die Option
ist ”at the money“), ist eine Situation, die wie der Fall *S**T **< K *zu
behandeln ist. Zusammengefasst ergibt sich für den Besitzer der Option eine
”Auszahlung“ zum Zeitpunkt *T *in Höhe von
(*S**T *− *K*)+
wobei *h*+ := *h, *falls *h *≥ 0*, h*+ := 0*, *falls *h < *0 ist.
Hier haben wir ein Optionsgeschäft beschrieben das man *europäisch *nennt.
Bei einem *amerikanischen Optionsgeschäft *kann man zu jedem Zeitpunkt in [0*,
T*] entscheiden, ob man das Recht ausüben will.
Aus den obigen Ausführungen können wir schließen, dass eine Option ihrem
Besitzer eine nichtnegative Auszahlung zusichert, die in ihrer Höhe
allerdings unsicher ist. Daher ist es verständlich, dass man für den Erwerb
einer Option eine Zahlung, die *Optionsprämie*, leisten muss; die
Auszahlung ist also um den Wert der Optionsprämie zu mindern, genauer um
den verzinsten Wert der Optionsprämie, um den Gewinn/Verlust zu ermitteln.
Es ist offensichtlich, dass für eine amerikanische Option eine höhere
Optionsprämie zu entrichten sein sollte.
[image: Textfeld: 2]Das Problem im (seriösen) Optionshandel ist, die
Optionsprämie zu berechnen, d.h. den Preis *C**0 *der Option zum Zeitpunkt *t
*= 0 festzusetzen, und, um den Handel mit der Option, solange sie noch
nicht ausgeübt ist, zu ermöglichen, zu jedem Zeitpunkt *t *den Wert der
Option zu bestimmen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass man den Verlauf
des Aktienkurses über den Laufzeitraum nicht kennt.
Wir machen uns die Problematik zunächst an einem einfachen Modell klar, dem
sogenannten Binomialmodell. Zur Frage der Festsetzung des Optionspreises
wird ein Wertpapierdepot, auch *Portfolio *genannt, gebildet, das
folgendermaßen zusammenzusetzen ist:
Aktiendepot der betreffenden Aktie, festverzinsliche Anleihe.
Es ist nicht überraschend, dass nun Anleihen ins Spiel kommen, müssen doch
Aktien bzw. Optionsprämie finanziert werden.
Wir kaufen also einen Bruchteil*1 *L der Aktie auf, und finanzieren die
Geschäfte durch die Aufnahme eines Kredits *B*. Zum Zeitpunkt *t *= 1
verfalle die Option, deren Preis wir ermitteln wollen. Diesen Preis setzen
wir dann als Wert des Depots zum Zeitpunkt *t *= 0 fest, dessen
quantitative Zusammensetzung wir noch nicht kennen, da L und *B *noch
unbekannt sind. Man spricht bei diesem Vorgehen von einer
*Duplikationsstrategie*. Dabei ist es notwendig, neben den angegebenen
Daten die Verzinsung für risikolose Geldaufnahmen und Geldanlagen zu kennen.
*Regel 1.1 (Festverzinsliche Anleihe) **Der Wert B*(*t*) *einer
festverzinslichen, risikofreien Anleihe vom Betrage B*(0) *mit einem
jährlichen Zinssatz r beträgt nach t Jahren*
· *bei einmaliger Verzinsung pro Jahr: B**1*(*t*) = *B*(0)(1 + *r*)*t*
· *bei m-maliger Verzinsung pro Jahr: B**m*(*t*) = *B*(0)(1 + *r**m*)*tm*
· *bei kontinuierlicher Verzinsung: B**∞*(*t*) = *B*(0)*e**rt *Die
Formel für *B**∞ *folgt so:
*B**∞ *= lim
*m**→∞*
*r
*1 1
*B*(0)(1 +__ )*tm *= lim
*ar**→∞ **B*(0)(1 + )*art *= *B*(0)( lim
*a**→∞*(1 + )*a*)*rt *= *B*(0)*e**rt **.*
*m
a a*
Unter *Diskontierung *(Abzinsung) versteht man den zur Verzinsung
umgekehrten Vorgang.
*Regel 1.2 (Diskontierung) **Der Wert B*(0) *einer festverzinslichen,
risikofreien Anleihe vom Betrage B*(*t*) *zur Zeit t mit einem jährlichen
Zinssatz r beträgt*
· *bei m-maliger Verzinsung pro Jahr: B*(0) = *B*(*t*)(1 + *rm*)*−**tm*
· *bei kontinuierlicher Verzinsung: B*(0) = *B*(*t*)*e**−**rt*
Im weiteren wird angenommen, dass der konstante Zinssatz für risikofreie
Anlagen für eine Periode am Markt *r *ist, dass der Aufzinsungsfaktor bei
einmaliger Verzinsung also gerade *z *:= 1 + *r *ist. Offen ist die
Kursentwicklung der Aktie. Das einstufige Binomialmodell besteht nun darin,
anzunehmen, dass der Kurs der Aktie mit Wahrscheinlichkeit *q *auf den Wert
*uS**0 *steigt und mit Wahrscheinlichkeit 1 *− **q *auf den Wert *lS**0 *fällt;
also *u > *1*,*0 *< l **< *1*. *Das Diagramm 1.1 gibt die Entwicklung des
Portfolios wieder. Dabei gehen wir davon aus, dass *lS**0 **< **K **< **uS**0
*gilt (um hier anderen Annahmen über den Markt aus dem Wege zu gehen). Die
Optionsprämie wird nun so festgesetzt, dass
'In der Wirklichkeit erwirbt man ein Paket von Optionen, die Anzahl der
aufzukaufenenden Aktien wird dann auch eine ganze Zahl.
[image: Textfeld: 3]
*Portfoliobewegung*
*Wert des Portfolios **t *= 0
*Wert des Portfolios **t *= 1
Aktie kaufen, *t *= 0 Anleihe aufnehmen, *t *= 0
Δ*S*
*0 **−**B*
*l*Δ*S*
*0 **−**zB*
*u*Δ*S*
*0 **−**zB*
Summe
Δ*S**0 **− **B*
*l*Δ*S**0 **− **zB*
*u*Δ*S**0 **− **zB*
*Auszahlung der Option*
*t *= 1
0
*uS**0 **− **K*
Abbildung 1.1: Duplikationsstrategie
*Endwert des Duplikationsdepots = Auszahlungswert der Option*
erfüllt ist. Dies führt auf zwei Gleichungen für die Unbekannten Δ und *B *:
*u*Δ*S**0 **− **zB *= *uS**0 **− **K , l*Δ*S**0 **− **zB *= 0 *.*
Hieraus folgt:
=_______
*uS**0 **− **K *= *l*(*uS**0 **− **K*) *B*
(*u **− **l*)*S**0**, *(*u **− **l*)*z.*
Nun ist die Zusammensetzung des äquivalenten Portfolios bekannt und die
Optionsprämie *C**0 *berechenbar:
*C**0 *= Δ*S**0 **− **B .*
Beachte, dass die Wahrscheinlichkeit *q *gar nicht eingeht.
Das obige einstufige Modell ist nur von theoretischem Wert. Ersetzt man nun
die einmalige Preisänderung der Aktien durch eine endliche Anzahl *n *von
Änderungen im Zeitraum [0*, T*] kommt man einer kontinuierlicher
Preisänderung schon nahe; die Analyse des Modells birgt keine neuen
Schwierigkeiten, nur der Aufwand wird größer. Der Übergang vom diskreten
Modell zu einem kontinuierlichen Modell gelingt durch die Einbeziehung der *geometrischen
Brownschen Bewegung*, einem mathematisch anspruchsvollen Objekt aus dem
Bereich der stochastischen Differentialgleichungen. Wir beschreiben diese
Zusammenhänge im nächsten Kapitel genauer.
Betrachte eine Call-Option, deren Wert über den Laufzeitraum [0*, T*] zu
bestimmen sei. Die Auszahlung zum Zeitpunkt *t *= *T *ist
(*S**T **− **K*)*+ *:=
*{**S**T **− **K *falls *S**T **> **K*
(1.1)
0 sonst
Hierbei ist *S**T *der Kurs des Basisobjekts zur Zeit *T, K *der
Ausübungspreis. Der Zinssatz für eine risikolose Anlage über den Zeitraum [0*,
T*] auf dem Finanzmarkt sei *r .*
Von Black, Scholes und Merton wurde für den kontinuierlichen Fall folgende
Formel für den Optionspreis *V*(*S**t**,t*) in Abhängigkeit vom Zeitpunkt *t
**E *[0*, T*] und dem aktuellen Aktienpreis *S**t *angegeben:
*V *(*S**t**, t*) = *S**t**Ar*(*d**+*(*σ*)) *− **Ke−**r**(**T**−**t**)**Ar*(
*d**−*(*σ*))*, *(1.2)
Hierbei ist
*d**±*(*σ*) =
*σ**2*
ln(*S**t *) + (*r **±__ *)(*T **− **t*)
*K **2 **, σ **> *0 *,*
*σ**N/**T **− **t*
und V die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung, also
V(*a*) :=
*Z**a*
*_∞*
1 *s*2
√exp(− 2 )*ds , a *E R *. *2*π*
[image: Textfeld: 4]Insbesondere stellt *C*0 := *V *(*S*0*, *0) den Preis
dar, denn der Emittent der Option verlangen sollte, wenn *S*0 der Basiswert
zur Zeit *t *= 0 ist. Auch in diesem kontinuierlichen Fall kann wieder ein
äquivalentes Portfolio angegeben werden.
Was sagt uns die Formel? U.a.:
· Der Wert einer Call-Option steigt mit steigenden Kursen des
Basisobjekts; darauf kommen wir zurück.
· Ist die Option zur Zeit *t *tief im Geld, d.h. ist der Aktienkurs
deutlich größer als der Basispreis, dann ergibt sich nach der Preisformel
ein tendenziell sehr großes, positives *d*+ *. *Damit gelten approximativ
Verteilungswerte nahe bei eins:
V(*d*+) ≈ V(*d*+) ≈ 1
Der Wert der Option verhält sich also in diesem Fall etwa wie der aktuelle
Basispreis abzüglich des diskontierten Ausübungspreises:
*V *(*S**t**, t*) ≈ *S**t *− *Ke**_**r*(*T**_**t*)
Somit bestimmen fünf Parameter den Optionspreis: der Ausübungspreis *K, *der
Zinssatz *r *bezogen auf den Zeitraum [0*, T*]*, *die Laufzeit *T, *der
aktuelle Aktienpreis *S**t*, und die Volatilität *σ . *Der kritische
Parameter ist die so genannte *Volatilität **σ . *Sie misst die
Schwankungsbreite des Kurses des Basiswertes für Kursbewegungen innerhalb
eines bestimmten Zeitrahmens; siehe Abschnitt 1.4.2. Sie muss (statistisch)
aus Marktdaten geschätzt werden.
Die Parameter *S**t**, K, r, *und die Restlaufzeit *τ *:= *T *− *t *unterdrücken
wir meist. Sie sind bekannte Marktdaten. Daher werden auf den Finanzmärkten
meist auch nicht die Preise angegeben, sondern die Volatilität. Damit kann
man die Preise dann berechnen.
Die Formel für den Wert *V *der Option besteht aus zwei Termen. Der erste
Term *S**t*V (*d*+(*σ*)) beschreibt den Wert des zugrundegelegten
Basiswertes, den der Besitzer des Call im Falle einer Ausübung seines
Kaufrechtes beziehen kann. Der zweite Term *Ke**_**r*(*T**_**t*)V(*d**_*(
mindert den ersten Term und entspricht dem Wert des Ausübungspreises, den
der Besitzer der Option bezahlen muss, wenn er die Option ausübt. Das
Verhältnis des Basiswertkurses zum Ausgabekurs spiegelt sich in den beiden
Termen durch die Variablen *d *wider.
Der Emittent (auch Stillhalter genannt) einer Call-Option kann seiner
etwaigen Lieferverpflichtung beispielsweise dadurch nachkommen, dass er
bereits im Zeitpunkt des Optionsverkaufs das Basisobjekt in sein Portfolio
aufnimmt. Er bindet damit Kapital und verzichtet auf mögliche Zinserträge.
Mit höherem Zinsniveau wird er daher eine höhere Optionsprämie verlangen.
Der Käufer der Option ist während der Optionslaufzeit nicht zu einer
vergleichbar hohen Kapitalbindung gezwungen und kann bis zur Ausübungszeit
entsprechende Mittel auf dem Markt anlegen. Je höher der Zinssatz ist,
desto größer wird tendenziell seine Bereitschaft sein, eine höhere
Optionsprämie zu akzeptieren.
Der Optionspreis *V *ist Lösung einer partiellen Differentialgleichung,
nämlich der sogenannten Black–Scholes–Gleichung:
1
*V**t *+ *σ*2*S*2*V**SS *+ *rSV**S *− *rV *= 0 (*S *E (0*, *∞)*, t *E [0*,
T*)) (1.3)
2
Ferner gelten Randbedingungen
*V *(0*,t*) = 0*, *lim (*V *(*S,t*) *− **S*) = 0*, t **∈ *(0*, T*) *.
*(1.4)
*S**→∞*
und natürlich die Endbedingung
*V *(*S,T*) = (*S **− **K*)+* , S > *0*.
*(1.5)
Dass die Lösungsformel (1.2) eine Lösung dieser Anfangs– Randwertaufgabe
(”Anfang“ wird sich gleich aufklären) darstellt, kann man direkt
verifizieren. Den Weg umgekehrt, nämlich die
Funktion in (1.2) als Lösung von (1.3), (1.4), (1.6) zu erhalten, wollen
wir nun skizzieren. Transformiert man die Konstanten und Variablen gemäß
*x *= ln( * SK* )*, τ *= 1 2*σ*2(*T **− **t*)*, Kv*(*x,τ*) = *V *(*S, t*)*,
ρ *= *σ*2 2*r ,*
– beachte die Zeitumkehr – erhalten wir aus (1.3) die Aufgabe
*v**r** − **v**xx *+ (1 *− **ρ*)*v**x* + *ρv *= 0*, x **∈ *R*, τ **∈ *(0*,
T*0 := *σ*2*T/*2]*. *Wegen (*S **− **K*)+ = *K*(*e**x** − *1)+ wird die
Endbedingung nun zur Anfangsbedingung
*v*(*x, *0) = (*e**x** − *1)+* .*
Der Ansatz
*v*(*x, τ*) := *e**αx*+*βr**u*(*x,τ*)
mit
1
*α *= *−*2(*ρ **− *1)*, β *= *−*4(*ρ *+ 1)2* ,*
1
bringt dann die Aufgabe
*u**r** − **u**xx *= 0*, x **∈ *R*, τ **∈ *(0*, T*0) *,*
für *u , *also eine einfache Wärmeleitungsgleichung. Die Anfangsbedingung
wird zu
*u*(*x.*0) = (*e*(*ρ*+1)*x/*2 *− **e*(*ρ**−*1)*x/*2)+ *.*
Die Wärmeleitungsgleichung wird gelöst durch die Schar
1
*u*(*τ, x*) := __
2*π*
*Z**∞**−∞*
*g*(*ξ*) exp(*−*(*x**− **ξ*)2
4*τ*_____________ )*dξ , *(1.6)
[image: Textfeld: 5]wobei *g *: R *−→ *R geeignet zu wählen ist. Wie man
nun die geeignete Funktion *g *findet, so dass *u *auch die
Anfangsbedingung erfüllt, dazu verweisen wir auf die Literatur (siehe
[10]). ˆA¨ Rückwärtsubstitutionen liefern *V .*
Nun bleibt die Frage im Raume, woher kommt die Anfangs– Randwertaufgabe
(1.3), (1.4), (1.6)? Sie wird aus grundsätzlichen Annahmen über den
Finanzmarkt, in dem die Option ”lebt“ abgeleitet, und zwar aus einer
stochastischen Differentialgleichung, die wir ohne irgendeine
Rechtfertigung hier aufschreiben:
*dS**t *= *µS**t **dt *+ *σS**t **dW**t
*(1.7)
Sie wird ergänzt durch die Annahme über die Geldanlage:
*dB**t *= *rB**t**dt
*(1.8)
[image: Textfeld: 6]Hierbei ist *µ *ein so genannter *Driftterm*, *a *wieder
die Volatilität und *r *der Zinssatz. Die zuf¨allige Entwicklung des
Basiswertes wird durch den Wiener Prozess (die Brownsche Bewegung) *W *”gesteuert“.
Damit ergibt sich dann der stochastische Prozess (*S*t)t*≥*0 für die
preisliche Entwicklung des Basiswertes.
Aus Annahmen über den Markt kann nun mit ziemlich tiefliegenden
Rechtfertigungen (Ito-Integral, Satz von Girsanov) die Anfangs–
Randwertaufgabe (1.3), (1.4), (1.6) abgeleitet werden; dazu später.
Damit kennen wir nun alle mathematischen Objekte, die im Rahmen der
Optionspreisentwicklung von Bedeutung sind: den stochastischen Ansatz
(1.7), (1.8), das deterministische Äquivalent (1.3), (1.4), (1.6), die
Lösungsformel für den Optionspreis selbst. Damit sieht es so aus, dass das
Problem Optionspreisentwicklung sich auf die Lösung einer bestens
untersuchten Gleichung reduzieren lässt. Dies ist ein Trugschluss, da die
obige Reduktion nur für die obige sehr spezielle Modellierung durchführbar
ist, eine Modellierung der Optionspreisbildung, die mehr realitätsbezogen
ist, entzieht sich einer solchen einfachen Reduktion. Hier sind
Aufweichungen der Annahmen über den Markt nötig, sind andere stochastische
Differentialgleichungen (1.7) zu betrachten. Als Konsequenz steht eine
Lösungsformel (1.2) nicht mehr zur Verfügung und es müssen Verfahren zur
Lösung von stochastischen Differentialgleichungen entwickelt werden.
*1.2 Volatilität*
Volatilität ist ein wichtiger Begriff der Finanzmathematik, um den herum
sich viele interessante mathematische Fragen stellen.
*1.2.1 Rendite und Risiko*
*Rendite *bezeichnet den Gesamterfolg einer Kapitalanlage, gemessen als
tatsächliche Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Sie beruht auf den
Ertragseinnahmen (z.B. Zinsen, Dividenden, realisierte Kursgewinne) und den
Kursveränderungen. Die Rendite soll erkennbar machen, wie gut sich eine
früher angelegte Kapitalanlage entwickelt hat. Rendite wird meist in
Prozent und jährlich angegeben.
Mit dem Begriff *Risiko *bezeichnet man in der Finanzwelt die Unsicherheit,
mit der die erwarteten Renditen auch wirklich eintreten. Je stärker das
Risiko einer Anlageform ist, um so stärker schwankt die Wertentwicklung im
Zeitverlauf und umgekehrt.2 Das Instrument um diese Unregelmäßigkeit oder
Flatterhaftigkeit der Renditeentwicklungen zu messen, ist die sogenannte
*Volatilität*3. Sie misst die Schwankungsbreite des Kurses des Basiswertes
für Kursbewegungen innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens. Als erste
Information (*a *ist die Volatilität des Basisobjekts):
*a*2 = V (ln(*S*t*/S*s))
*t **− **s*
Die Volatilität ist neben der Preisdynamik des Basiswertes der
wesentlichste Einflussfaktor für die Optionspreisberechnung.
In einer deterministischen Sichtweise wird die Volatilität als Konstante
(Black-Scholes-Modell), in einer Verallgemeinerung auch als Funktion der
Zeit, in die Modellgleichungen eingebracht. Die Volatilitätsgröße ist aber
keine direkt beobachtbare Größe. Sie ist daher aus Marktdaten zu ”schätzen“.
2Diese Binsenweisheit wollen nicht alle akzeptieren und reissen damit sich
(o.k.) und andere, ja ganze Staaten ins Unglück.
3lat. volare: fliegen; volatilis: fliegend, flüchtig
[image: Textfeld: 7]Grundsätzlich muss man zwischen *historischer *und *impliziter
Volatilität *unterscheiden, solange wir die Volatilität als eine Konstante
betrachten. Einen anderen Ansatz stellt die Betrachtung der Volatilität
als stochastische Größe dar. Hier wird die Volatilität als Variable einer
stochastischen Differentialgleichung ”errechnet“.
*1.2.2 Historische Volatilität*
Die historische Volatilität eines Basisobjekts gibt die auf einen Zeitraum
bezogene Schwankungsbreite des s Kursverlaufs in der Vergangenheit an. Bei
der Ermittlung der historischen Volatilität wird auf die Standardabweichung
zurückgegriffen, allerdings gehen hier logarithmierte Renditen in die
Berechnung ein. Die Rendite wird als Quotient aus dem aktuellen Kurs und
seinem Vortagskurs ermittelt. Die logarithmierten Renditen werden
verwendet, da diese eher der Normalverteilung folgen. Dann wird das
Ergebnis der Volatilitätsberechnung auf ein Jahr annualisiert, da so ein
Vergleich besser gelingt.4 Durch die Verwendung von Renditen anstatt von
absoluten Kursen ist die historische Volatilität unabhängig von der Höhe
des Kursniveaus. Als Schätzwert für die zukünftige Volatilität geht die
historische Volatilität in die Ermittlung des fairen Preises für Optionen
ein.
Die auf der Basis der vergangenen 30 und 250 Tage berechneten historischen
Volatilitäten der wichtigsten Indizes (beispielsweise DAX, MDAX, SDAX, . .
. ) werden börsentäglich veröffentlicht.
*1.2.3 Implizite Volatilität*
Die implizite Volatilität entspricht der vom Markt geschätzten Volatilität,
welche die erwartete Schwankungsbreite des Basiswertes bis zum Ende der
Laufzeit der Option misst. Was drückt diese Art von Volatilität
letztendlich aus? Sie ist das Resultat eines theoretischen Modells. In
einem klassischen Black-Scholes-Modell geht die historische Volatilität als
Konstante ein. Die implizite Volatilität ist dagegen im allgemeinen keine
Konstante, sondern eine Funktion der Restlaufzeit und des
Ausübungspreises. Sie ergibt sich durch ”Abgleich“ der Werte der
Preisformel des Black-Scholes-Modells mit den am Markt beobachteten
Optionspreisen. Die Berechnung der impliziten Volatilität wird auch als *das
**inverse Problem *der Finanzmathematik bezeichnet. Dass die implizite
Volatilität im Allgemeinen keine Konstante ist, könnte auch als wesentliche
Schwäche des Black-Scholes-Modells bezeichnet werden.
*Bemerkung 1.3 **Die Volatilität hat in den letzten Jahren eine immer
größere Beachtung gewonnen. Dies begründet sich hauptsächlich dadurch,
dass sich Derivate, also Finanzinstrumente, deren Wert sich vom Kurs eines
Basiswerts ableiten, zunehmender Beliebtheit erfreuen und auch*
*die Volatilität selbst immer häufiger als Anlageklasse
(Volatilitätsindizes) entdeckt wird. *
*1.2.4 Lokale Volatilität*
Die Einführung der *lokalen Volatilität *ist der Versuch, das
Black-Scholes–Modell zu erweitern. Die konstante Volatilität wird ersetzt
durch eine Funktion der Zeit und des aktuellen Basiswertes. Mathematisch
bedeutet dies, dass die Black-Scholes–Anfangs- Randwertaufgabe dahingehend
abzuändern ist. Als Konsequenz haben wir aber, dass eine geschlossene
Preisformel nicht mehr herleitbar ist. Die Berechnung lokaler Volatilitäten
beschreiben wir in späteren Kapiteln; als Vorgriff siehe [2, 17].
4Wenn die Berechnung auf Tagesbasis erfolgte, wird das Ergebnis mit der
Wurzel aus 252 multipliziert, bei Wochendaten wird die Wurzel aus 52 und
bei Monatsdaten die Wurzel aus zwölf zur Annualisierung verwendet.
[image: Textfeld: erf(0) = 0, lim erf(x) = 1, lim x→∞ x→∞ 1 − erf(x)
erf′(x) = 0][image: Textfeld: 8]*1.2.5 Stochastische Volatilität*
Stochastische Volatilität ist eines der Hauptkonzepte zur Behandlung von
zeitveränderlichen Volatilitäten in Finanzmärkten. Sie kann als Abhilfe
dafür angesehen werden, dass die implizite Volatilität in ihrer
Abhängigkeit von der Restlaufzeit und dem Ausübungspreis einen Gegensatz zu
den Modellannahmen aufzeigt.
Die stochastische Volatilität wird als stochastischer Prozess dem Prozess
für den Basiswert zur Seite gestellt (siehe (1.7)):
*dS**t *= *µS**t **dt *+ *σS**t **dW**t
*(1.9)
*dσ**t *= *λ**t**dt *+ *ξ**t**dW**'
*(1.10)
*t*
Dabei ist nun *W**t**' *ein weiterer Wiener Prozess; die Parameter*λ**t**,ξ**t
*sind zu wählen. Damit hat man es nun mit einer gekoppelten Dynamik zu tun,
um den Endwert *S**T *zu ermitteln. Ein Konkretisierung ist das so genannte
Heston-Modell (siehe [11]):
*/**dS**t *= *µS**t **dt *+ *v*+*t **S**t **dW**t
*(1.11)
*/*
* dv**t *= *κ*(*θ **− **v**t*)*dt *+ *σ v*+ *t **dW **'
*(1.12)
*t*
*1.3 Auswertung der Preisformel*
In nächsten Abschnitt wollen wir die implizite Volatilität *σ**impl *als
Nullstelle einer nichtlinearen Gleichung aus den Optionspreisen, gegeben
durch (1.2), berechnen. Dazu ist in jedem Iteration-schritt des Verfahrens
die Formel (1.2) auszuwerten. Wie kann dies numerisch geschehen? Die
wesentliche Aufgabe dabei ist, die Funktion *N *auszuwerten. Hierzu gibt es
verschiedene Vorgehensweisen: Interpolationsverfahren für den Integranden,
Quadraturverfahren, Approximation durch rationale Polynome in Teilgebieten
von [0*, **∞*)*.*
Wir skizzieren nun eine Methode, die die Ideen verbindet. Wegen *N*(0) = 12
und
*Z **x*
1 1
*N *(*x*) = 2 + *√*2*π *exp(*−**t*2*/*2)*dt*
0
[image: Textfeld: = 12+ 1 = 2]*Z **x/*√2
1 *√π
*exp(*−**t*2)*dt*
0
[image: Textfeld: 1 +]*)*
*Z **x/*√2
2 *√π
*exp(*−**t*2)*dt*
0
reicht es, für die so genannte Fehlerfunktion (Gaußsches Fehlerintegral)
*Z **x*
*2*
erf(*x*):= *√π *exp(*−**t*2)*dt, x **≥ *0*,
*(1.13)
0
ein Berechnungsverfahren vorzustellen. Programmpakete stellen die
Auswertung von erf bereit. Wir skizzieren eine Approximationsmethode für erf*,
*die unter bescheidenem Aufwand ganz gute Ergebnisse liefert. Sie basiert
auf einer besten Approximation im Sinne der Fehlerquadratme-thode. Zunächst
ein paar Beobachtungen.
[image: Textfeld: 9]Dabei ergibt sich die letzte Beobachtung aus
1 *− **erf*(x)
22
*N*b exp(*−*t2)dt*−*2
*b**r **0* f*x *exp(*−*t2)dt
*∞ *Nr* 0 *
— f exp(*−*x2* − *t2)dt
*√**π* exp(*−*x2)*x*
*erf**′*(x)
Die obigen asymptotischen Verhaltensweisen sollten in die Überlegungen
eingebaut werden. Unter Verwendung der Variablen l/ := (1 + px)*−*1,p > 0,
machen wir den Ansatz
[image: Textfeld: 1 − erf(x)]= a1l/ + a2l/2 + a3l/3 + *· · · *, l/ = (1 +
px)*−*1 , (1.14)
*erf**′*(x)
und erhalten
*erf*(x) = 1 *− *(a1l/ + a2l/2 + a3l/3 + *· · · *)*erf**′*(x), l/ = (1 + px)
*−*1 . (1.15)
Beachte, dass die Auswertung von
2
*erf**′*(x) =
*√**π* exp(*−*x2)
keine Probleme bereitet. Als zu bestimmende Parameter haben wir a1, a2, a3,
. . . ,p . Nun ist ein
Vorgehen anzugeben, das
· das Problem auf endlich viele Parameter a*i *reduziert,
· für die verbleibenden Parameter a1, . . . ,a*N*,p eine
Bestimmungsvorschrift angibt,
· den Fehler, der bei der Reduktion auf die endlich vielen Parameter
entsteht, beherrschbar macht.
*Reduktion auf vier Parameter *Gesucht sind die Parameter a1, a2, a3 und
der Parameter p. Wir setzen an: *erf**∗*(x) := 1 *− *(a1l/ + a2l/2 + a3l/3)
*erf**′*(x) mit l/ = (1 + px)*−*1 .
*Exaktheit der Approximation *Wir fordern die Exaktheit für x = 0. Dies
bedeutet
2
*N*
1 *− *(a1 + a2 + a3)*√*π = 0 d.h. a3 = ___________________________
br
2
a1 *− *a2 .
*Bestimmung der restlichen Parameter *Nun verbleiben p, a1, a2 . Wir
fordern, dass der Feh-
ler
Z *∞*
e :=*|**erf**∗*(x) *− **erf*(x)*|*2dx
0
in einer diskreten Version minimal wird.
Zur Realisierung des letzten Schritts wählen wir Stützstellen 0 = x0 < x1 < *·
· · *< x*n* und
minimieren
g(y) := n + 1*|*F(y)*|*2 mit F(y) := (*erf**∗*(x*i*) *− **erf*(x*i*))*i*=0*,...,n
*, y := (p, a1, a2) .
1
Die notwendige Bedingung für ein lokales Minimum von g ist offenbar
G(y) := DF(y)*t*F(y) = θ .
here we use the notation *A**t *for the transpose of a matrix *A. *Das
modifizierte Newtonverfahren angewendet, ergibt die Iteration
*y**k*+1 :=*y**k *− *λ**k**DG*(*y**k*)−1*G*(*y**k*
Wir haben
*DG*(*y*) = *DF*(*y*)*t**DF*(*y*) + *D*2*F*(*y*)*t**F*(*y*)*.*
Es ist die Idee der Gauß-Newtonverfahren, den Term *D*2*F*(*y*)*t**F*(*y*)
zu streichen, um die Bildung zweiter Ableitungen zu vermeiden. Hier lässt
sich auch eine inhaltliche Begründung dafür liefern: wir gehen ja davon
aus, dass *F*(*y*) ≈ *θ *gilt. Damit erhält man schließlich folgende
Iteration:
*y**k*+1 = *y**k *−*λ**k*(*DF*(*y**k*)*t**DF*(*
*y**k*) *, k *= 0*, *1*, . . . . *(1.16)
Die Schrittweitensteuerung (*λ**k*)*k*EN) nimmt man im allgemeinen so vor,
dass ein quantifizierbarer Abstieg im Zielfunktional *y *7−→ *F*(*y*)
realisiert wird.
Die Idee der Levenberg–Marquardt-Verfahren stabilisiert das
Gleichungssystem in (1.16) dadurch, dass *DF*(*y**k*)*t**DF*(*y**k*) durch
*DF*(*y**k*)*t**DF*(*y**k*) + *αI *mit einem geeigneten *α > *0 ersetzt
wird.
*Bemerkung 1.4 **Die Wahl der Stützstellen **x*1*,...,x**n **haben wir noch
offen gelassen. Es reicht im allgemeinen **n *= 3 *und die Wahl **x*1*, x*2*,
x*3 E (0*,*4] *schon aus.*
*1.4 Berechnung der Volatilität*
Wir betrachten die Berechnung der historischen und impliziten Volatilität.
Wir gehen nicht auf die Berechnung der lokalen Volatilität ein, dieser
Aufgabe widmen wir ein eigenes Kapitel. Dort werden wir auch auf den Aspekt
”ill-posedness“ ein.
*1.4.1 Historische Volatilität*
Die historische Volatilität *σ *= *σ**hist *ist durch die Basiswertkurse
aus der Vergangenheit gegeben. Mathematisch gesehen ist *σ**hist *die
annualisierte Standardabweichung der logarithmischen Kursänderungen. Kennt
man die historische Volatilität, lässt sie sich verwenden in einem Modell
für die Berechnung von Optionspreisen, das ja die Volatilität in der
Zukunft [0*, T*] benötigt.
Hier ist das Vorgehen:
Gegeben Kurswerte *S**i**, i *= 1*, . . . , N .*
Setze: *δ**i *:= ln(*S**i*+1) − ln(*S**i*)*, i *= 1*,..., N *− 1*. *Mittelwert
(Erwartungswert)
1
*δ *:=
*N *− 1
*N*−1E *i*=1
*δ**i *(1.17)
[image: Textfeld: 10]Historische Volatilität (Empirische Standardabweichung)
*N*−1
*σ**hist *:= *( **1 *
*N *− 2 E
*i*=1
)(*δ**i *− *δ*)2
1
2
(1.18)
Hier steht *N *im Allgemeinen für die (durchschnittliche) Anzahl der
Börsentage (252!) im Jahr.
Das obige Vorgehen ist nur eine Möglichkeit von vielen. Beispielsweise läge
es nahe aktuellere Basiswerte stärker zu gewichten als ältere (was auf eine
gewichtetete *l*2-Norm in R*N*−1 hinausliefe). Festzuhalten ist, dass es
allgemeine Ansicht ist, dass die historische Volatilität, berechnet wie
auch immer, ein schlechter Schätzer für die zukünftige Volatilität ist.
*1.4.2 Implizite Volatilität*
Die implizite Volatilität *σ**impl* ist diejenige Volatilität, die bei
Unterstellung des Black-Scholes-Modells in einem Marktpreis (einer
europäischen) Option zum Ausdruck kommt. Hat man ein Modell für einen
Optionspreis, das zu einer (geschlossenen) Formel für den Optionspreis
führt, die auch noch die Volatilität *σ *explizit enthält, dann kann man
versuchen, daraus die Volatilität zu berechnen, indem man ”die Formel nach *σ
*auflöst“ und so *σ**impl* erhält. Voraussetzung ist, man kennt die
Marktpreise der Option.
In Abschnitt 1.1 haben wir die Black-Scholes-Preisformel kennengelernt. Wir
schreiben sie detailierter nochmals auf:
*V *(*S, K, τ, r, σ*) := *S**N*(*d*+(*σ, S, K, τ, r*)) *− **Ke−**rτ**N *(
*d−*(*σ, S, K, τ, r*))*, *(1.19)
wobei
*d**±*(*σ, S, K, τ, r*) :=
*σ*2
ln(*S**K*)+(*r**±*2___ )*τ*
*σ**√**τ,*
*N *die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung und *τ *die
Restlaufzeit *T **−**t *bezeichnet. Beachte
*d−*(*σ, S, K, τ, r*) = *d*+(*σ, S, K, τ, r*) *− **σ**√**τ .*
Also hat man zur Berechnung der impliziten Volatilität in diesem Modell die
Gleichung
*V *(*S, K, τ, r, σ*) = *v *:= *V**Markt
*(1.20)
nach *σ *aufzulösen. Dabei haben wir anzunehmen, dass alle anderen
Parameter bekannt sind. Wir unterdrücken dann diese Parameter und setzen
*f*(*σ*) := *V *(*S, K, τ, r, σ*) *, d*+(*σ*) := *d*+(*σ, S, K, τ, r*)
(1.21)
Damit haben wir nun die Gleichung
*f*(*σ*) *− **v *= 0
(1.22)
zu betrachten. Eine Auflösung wird explizit nicht gelingen, da die Funktion *f
*”hochlinear“ ist. Also greifen wir zur numerischen Lösung der Gleichung
und wenden das Newtonverfahren an. Die Newtoniteration sieht so aus
*k*
= *σ**k** − **f*(*σ*(*σ**k*) ) *− **v, *(1.23)
*σ**k*+1 = *σ**k** − **f*(*σ**k*) *− **v*
*f′*(*σ**k*)
[image: Textfeld: wobei][image: Textfeld: 11]1
*ν*(*σ*) := *S**√**τ**N′*(*d*+(*σ*)) = *S**√**τ √**2**π* exp(*−**d*+(*σ*)2
*/*2)
ist. *ν *ist eine Kennzahl, die den *Griechen (greeks)*5 zugerechnet wird;
sie ist in der unten
angeführten Liste das Vega. Diese Kennzahlen sind die Ableitungen
(Sensitivitäten) des Opti-
onspreises *V *bezüglich der zugrundeliegenden Parameter und Variablen.
*Delta *Δ := *∂V *
misst die Sensitivität des Optionspreises bezüglich Änderungen der Basis-
kurse *∂S*
und wird oft als Hedge-Parameter verwendet.6
5Sie heißen Griechen, da sie konsequent mit festgelegten griechischen
Buchstaben bezeichnet werden.
6Es ist das Ziel bei der Zusammenstellung eines Portfolios mit Optionen,
die Abhängigkeit von Variationen des Basiskurses, also Δ, nahe bei Null zu
halten.
[image: Textfeld: 12]*Theta *Θ := *−**∂V∂t *misst die Sensitivität des
Optionspreises bezüglich der Zeit.
*Gamma *Γ := *∂**2**V *
misst die Sensitivität (zweiter Ordnung) des Optionspreises bezüglich Δ *.*
*∂S*2
Damit kann die Änderung eines Portfolios auf große Änderungen des
Basiskurses hinterfragt werden.
*Rho **P *:= *∂V *misst die Sensitivität des Optionspreises
bezüglich des Zinssatzes.
*∂r*
*Vega **V *:= *∂V *misst die Sensitivität des Optionspreises
bezüglich der Volatilität *σ .*
*∂σ*
Diese Griechen sind unabhängig vom Zustandekommen der Optionspreise
definiert. Für die Preisformel nach dem Black-Scholes Modell existieren
geschlossene Formeln für die Griechen. Für Call-Optionen:
*• *Δ = *N*(*d*+) *.*
*√*
· Γ = *N *(*d*+)*/Sσ T .*
*√*
· *V *= *N *(*d*+) *T .*
Nun sind die Voraussetzungen des Satzes über die Konvergenz des
Newtonverfahrens zu klären. Wir tun dies unter der Voraussetzung
*S > *0*, τ > *0 *,*
die sicherlich nicht problematisch ist.
*Differenzierbarkeit *Offensichtlich ist die Funktion *f *unendlich oft
differenzierbar; wir haben die erste Ableitung oben schon ausgerechnet:
*f′*(*σ*) = *S**√**τ**N′*(*d*+(*σ*))*,*
Nun ist *f′* positiv, die Durchführbarkeit des Newtonverfahrens ist daher
gesichert.
*Monotonie *Da die erste Ableitung positiv ist, ist *f *strikt monoton
wachsend. Dies bedeutet, dass eine Lösung von (1.22) eindeutig bestimmt ist.
*Existenz einer Nullstelle *Eine Nullsstelle ist gesichert, wenn wir
*r**l *:= lim *f*(*σ*) *− **v **≤ *0 *, r**u* := lim *f*(*σ*) *− **v **≥ *0
(1.24)
*σ**→*0 *σ**→∞*
nachweisen können, denn wegen der strikten Monotonie von *f *gilt dann,
dass mindestens eine der Ungleichungen *r**l **< *0*, r**u** > *0 gilt. Auf
Grund der Stetigkeit von *f *gibt es dann eine Lösung in (1.22).
Es gilt offenbar lim*σ**→*0* f*(*σ*) = (*S **− **Ke−**rτ*)+ und lim*σ**→∞**
f*(*σ*) = *S . *Aus der Monotonie von *f *folgen die Ungleichungen
(*S **− **Ke−**rτ*)+* ≤ **V *(*S, K, τ, r, σ*) *≤ **S .*
(Später leiten wir die Ungleichungen aus Annahmen über den Markt
(Arbitragefreiheit) her.)
Damit tritt (1.24) ein für alle Optionspreise *v *; siehe folgende
Bemerkung 1.5.
[image: Textfeld: 13]*Startwert *Ein Startwert kann mit einer
Bisektionsmethode bestimmt werden: finde ein Intervall [*a**j**, a**u*] mit
*f*(*a**j*) − *v *< 0*, f*(*a**u*) − *v *> 0*, *und wähle *a*0 E [*a**j**,
a**u*]*.*
*Konvergenzordnung *Die Voraussetzungen für die quadratische Konvergenz
sind gegeben, wenn der Startwert nahe genug bei der Lösung liegt. Notfalls
wende man das modifizierte Newtonverfahren an.
Damit ist nun klar, dass das Newtonverfahren sehr gut anwendbar ist. Es
liefert gute Ergebnisse, wie viele Dokumentationen zeigen.
Bei der Berechnung der impliziten Volatilität stellt man eine Abhängigkeit
vom Ausübungspreis *K *der Option (bzw. deren Moneyness) und/oder der
Restlaufzeit *r *fest. Dies steht im Widerspruch zum Black-Scholes-Modell
oder anders ausgedrückt, das Black-Scholes-Modell beschreibt das
Marktgeschehen nicht korrekt. Trägt man die implizite Volatilität in
Abhängigkeit des Ausübungspreises auf, so erhält man einen
Funktionsgraphen, der konvex ist, und das ”umso mehr“, je kürzer die
Restlaufzeit ist. Man nennt dies den *Smile-Effekt*.
*Bemerkung 1.5 **Die Lösbarkeit der Gleichung 1.22 ist im Zweifel, wenn wir
unterstellen, dass die Marktpreise nicht dem Black-Scholes Modell
entsprechen, was nicht abwegig ist, denn wir haben ja schon eine solche
Diskrepanz bei der impliziten Volatilität oben festgehalten. Es kann daher
nicht ausgeschlossen werden, dass der Marktpreis außerhalb des Intervalls *
((*S *−*Ke**−**rτ*)+*, S*) *liegt. Dieser Sachverhalt sollte also
ausgeschlossen werden. Numerisch ist aber schon heikel, wenn der
beobachtete Marktpreis v am Rand dieses Intervalls liegt, denn dann liegt
auf Grund des asymptotischen Verhaltens von f – beachte, dass die Berührung
des Graphen von f der Asymptoten y *= (*S *− *Ke**−**rτ*)+ *und y *= *S
”schleifend“ ist – eine hohe Instabilität einer Lösung*
*der Gleichung 1.22
vor.
*
In Kapitel 3 werden wir eine andere Möglichkeit, die implizite Volatilität
zu berechen, kennenlernen. Sie resultiert aus der Tatsache, dass man aus
der Black-Scholes-Gleichung eine Gleichung für den Optionspreis in
Abh¨angigkeit von *K *und *T *ableiten kann.
*1.5 Anhang: Newtonverfahren*
Zwar gibt es viele Techniken für die Suche nach Nullstellen, eines der am
häufigsten verwendeten Verfahren ist das Newton-Verfahren, denn es bietet
im allgemeinen rasche Konvergenz.
*1.5.1 Nullstellensuche nach Newton bei Polynomen*
Sir Isaac Newton beschreibt7 ein Rechenverfahren zum Lösen einer
polynomialen Gleichung und begründet damit ein Verfahren, das heutzutage
als *Newton-Verfahren *bezeichnet wird. Er tut dies am Beispiel des
Polynoms *p*(*x*) := *x*3 − 2*x *− 5 = 0*. *Eine leicht zu erratende
Näherung ”0-ter Ordnung“ ist *x*0 = 2, denn *p*(2) = −1 ist ”klein“. Newton
machte den Ansatz *x *= 2 + *u *mit einem als ”klein“ angenommenen *u *und
setzte diesen Ansatz in die Gleichung ein. Es gilt:
*x*3 =(2+*u*)3 =8+12*u*+6*u*2 +*u*3 *,*2*x*=2(2+*u*)=4+2*u.*
Also folgt
*x*3 − 2*x *− 5 = −1 + 10*u *+ 6*u*2 + *u*3 =! 0*.*
7Isaac Newton, 1643–1727; ”Methodus fluxionum et serierum infinitarum“
[image: Textfeld: 14]Da u als ”klein“ angenommen wurde, können die Terme
höherer Ordnung gegen den linearen und konstanten Anteil vernachlässigt
werden, womit 10u − 1 = 0 bzw. u = 0.1 übrig bleibt. Als Näherung x1 1-ter
Ordnung resultiert x1 = 2.1.
Wir können nun dieses Vorgehen wiederholen: wir setzen u = 0.1 + v an,
betrachten die Gleichung p(2 + 0.1 + v) = 0, berücksichtigen wiederum nur
den linearen Anteil und erhalten so v = −0.061/11.23 = −0.0054.... Als
Näherung x2 2-ter Ordnung resultiert x2 = 2.0946.
Raphson8 beschrieb diesen Rechenprozess formal und illustrierte den
Formalismus an der allgemeinen Gleichung 3. Grades, die abstrakte Form des
Verfahrens mit Benutzung von Ableitungen stammt von Thomas Simpson. Zur
Simpsonschen Form kommen wir nun.
Sei f : R −→ R . Eine Nullstelle wird nach folgendem Vorgehen gesucht: (1)
Man rät eine Näherung x0 . O.E. f(x0) =6 0 .
(2) Man berechnet/zeichnet die Tangente t0 an den Graphen von f im
Punkt (x0, f(x0)) .
(3) Man berechnet/konstruiert die Nullstelle x1 der Tangente.
(4) Man setzt x0 := x1 und wiederholt den Vorgang, beginnend bei (1).
Klar, um die Tangente bestimmen zu können, müssen wir voraussetzen, dass
diese existiert, was die Differenzierbarkeit von f bedeutet. Dann lautet
die Tangentengleichung
t0 : y = f(x0) + f*′*(x0)(x − x0)
(1.25)
und die Berechnung der Nullstelle von t0 führt zur Formel
x1 =
x0 − f*′*(x0)*−*1f(x0).
(1.26)
Hier tritt das Problem auf, dass f*′*(x0) =6 0 gelten muss, d.h. dass f in
(x0, f(x0)) keine waagrechte Tangente besitzt. Von der Anschauung her,
keine überraschende Forderung, von der Analyse des Verfahrens her eine
Forderung, die sukzessive oder a-priori sichergestellt werden muss.
Schreiben wir das Verfahren nun kompakt auf:
xn+1 := xn − f*′*(xn)*−*1f(xn) , n = 0, ... .
(1.27)
Dabei ist die *Startnäherung *x0 zu wählen. Wir nennen dieses Vorgehen nun
*Newton–Ver-fahren*; siehe Abbildung 1.2.
Das Newton–Verfahren ist ein so genanntes lokal konvergentes Verfahren.
Konvergenz der in der Newton–Iteration erzeugten Folge zu einer Nullstelle
ist also nur garantiert, wenn der Startwert, d.h. das 0-te Glied der Folge,
schon ”ausreichend nahe“ an der Nullstelle liegt. Ist der Startwert nicht
gut genug, so haben wir zu rechnen mit:
· Die Folge divergiert, der Abstand zur Nullstelle wächst über alle
Grenzen.
· Die Folge divergiert, bleibt aber beschränkt. Sie kann z.B. periodisch
werden, d.h. endlich viele Punkte wechseln sich in immer derselben
Reihenfolge ab. Man sagt auch, dass die Folge oszilliert (Bei f(x) := x3 − 2x
+ 2 ist dies machbar).
· Die Folge konvergiert, falls die Funktion mehrere Nullstellen hat,
gegen eine andere als die gewünschte Nullstelle konvergieren; in der
Abbildung 1.2 kann man dies erahnen.
8Joseph Raphson, 1648–1715; Arbeit ”Analysis Aequationum universalis“
[image: Textfeld: f(x)][image: Textfeld: t][image: Textfeld: x2][image:
Textfeld: x0][image: Textfeld: t][image: Textfeld: x1][image: Textfeld:
Abbildung 1.2: Newtonverfahren]Ist der Startwert *x*0 so gewählt, dass das
Newton–Verfahren konvergiert, so ist die Konvergenz allerdings
quadratisch, also mit der Konver-genzordnung 2 (falls die Ableitung an der
Nullstelle nicht verschwindet).
*Bemerkung 1.6 **Wie ordnet sich das Newton-sche Vorgehen hier nun ein?
Ausgehend von der Startnäherung **x*0 = 2 *wird ein Newtonschritt auf die
Nullstellengleichung **p*(*x *+ 2) = 0 *mit **x *= 0 *als Startnäherung
angewendet:*
[image: Textfeld: x1 := 0 − p(2)][image: Textfeld: p′(2)][image: Textfeld:
1 10 .]*Nun betrachtet man die Nullstellengleichung **p*(*x *+ 2*.*1) = 0 *mit
**x *= 0 *als Startnäherung und wendet wieder einen Newtonschritt mit
Ausgangsnäherung **x *= 0 *an:*
*x*2 := 0 − *p*(2*.*1)
*p**′*(2*.*1)
0*.*061
*. *11*.*23
[image: Textfeld: 15]*Und so
weiter!
*
Viele nichtlineare Gleichungen haben mehrere Lösungen, so hat ein Polynom
*n*-ten Grades bis zu *n *(reelle) Nullstellen. Will man alle Nullstellen
in einem bestimmten Bereich *D *c R ermitteln, so muss zu jeder Nullstelle
ein passender Startwert in *D *gefunden werden, für den das
Newton–Verfahren konvergiert. Ein beliebtes Vorgehen dazu besteht in
Einschachtelungsver-fahren: zwischen zwei Punkten *z*1*, z*2*, *so dass *f*(
*z*1)*, f*(*z*2) unterschiedliche Vorzeichen besitzen, liegt immer eine
Nullstelle von *f, *da wir ja Differenzierbarkeit von *f *(und damit
Stetigkeit) voraussetzen.
*Beispiel 1.7 **Ein Spezialfall des Newtonschen Näherungsverfahrens ist das
Babylonische Wurzelziehen, auch bekannt als Heronverfahren nach Heron von
Alexandria: Wendet man das Verfahren zur Nullstellenbestimmung auf die
Funktion **f*(*x*) := *x*2 − *a *(*a > *0)*, **so erhält man wegen der
Ableitungsfunktion **f**′*(*x*) = 2*x **für die Lösung *s/*a **das
Näherungsverfahren*
( )
*x*n+1 := *x*n − (*x*n)2 − *a *1 *x*n + *a*
_______ = *.*
2*x*n 2 *x*n
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