Samstag, 23. Januar 2010

Surfing on Amazonas Brazil SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Surfing am Amazonas
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=AaaHuoDNUsg


In der Zeit um Vollmond und Neumond läuft im Amazonas- Gebiet eine gewaltige Welle flussaufwärts, bis weit ins Land hinein: „Pororoca". Surfer zieht dieses Monster magisch an
Auch in diesem Fall reicht dem Indianer ein einziges Wort: „Pororoca", sagt der uns begleitende Ureinwoh¬ner des Amazonas-Regenwalds und deutet mit dem Finger gegen den Horizont.
„Pororoca" heißt in der Sprache der Indianer, „gro
ßer, zerstörerischer Lärm" und bezeichnet eine riesige Welle. Ein Exemplar dieses Naturphänomens kündigt sich uns wie ein Motor aus der Ferne an, als ein lei¬ses, regelmäßiges Klopfen.
Pororoca wird aus schierer Gewalt geboren: Der Amazonas und seine Nebenflüsse strömen mehr als sechzig Kilometer weit in den Atlantik. Setzt die Flut ein, trifft sie noch auf offener See auf den Widerstand der Flüsse. Die Flüsse sind stark, doch das Meer ist stärker — so bauen sich bis zu vier Meter hohe Wellen auf, die gegen das Land gepresst werden und durch die Mündungen viele Kilometer weit gegen die Strö¬mung der Flüsse ins Landesinnere rauschen.
In der Sprache der Surfer wird Pororoca wohl bald „Sehnsucht" heißen. Denn: Die Welle rollt kilometer¬tief ins Landesinnere und lässt sich beinahe unend¬lich lange reiten — bis zu vierzig Minuten lang, hatte man uns vor Beginn der Reise erzählt.
Nun sind wir hier, haben unsere drei kleinen Holz¬boote an Land gezogen. Stehen bis zu den Knien im Schlamm am Ufer des drei Kilometer breiten Araguari, eines nördlich gelegenen, kleinen Bruders des Ama¬zonas. In den Holzbooten liegen unsere Surfbretter,
Schwimmwesten, wasserdichte Koffer für die Kame-ras. Wir, das sind vor allem Ross Clarke-Jones, der in Australien ein Surf-Hero ist, und Gary Linden, eine US-Surflegende, die in Kalifornien eigene Surfbretter fertigt. Dazu Brasiliens bester Surfer Carlos Burle, der Mentor der brasilianischen Big-Wave-Surferin Maya Gabeira, und Picuruta Salazar — er ist der
„Local Hero" und ritt die Pororoca angeblich selbst schon einmal über zwanzig Minuten lang.
Wenige Kilometer von uns entfernt mündet der Araguari in den Atlantik. Noch kann man mit dem Fernglas am Horizont nicht mehr als einen dünnen weißen Strich ausmachen, der beinahe von einem Ufer zum anderen reicht. Doch das Klopfen und Tosen wird lauter, der Strich wird dicker und langsam, aber stetig zur Welle. Mit 30 Meilen pro Stunde, knapp
50 km/h, rauscht die Pororoca heran.
Ausgangspunkt unseres abenteuerlichen Trips war die 1,6-Millionen-Stadt Manaus gewesen. Manaus war vor hundert Jahren unfassbar reich, besonders betuchte Einwohner haben ihre Kleider angeblich zum Waschen nach London und ihre Kinder in Schu¬len nach Frankreich geschickt. Manaus war eine der ersten Städte der westlichen Einflusssphäre mit eigenem Elektrizitätsnetz. Man erlebte einen atem-beraubenden Aufstieg dank des Kautschukbaums, der zur Herstellung von Gummi herangezogen wurde.
Bergab ging es jedoch nicht minder schnell, nachdem der Gummibaum nach Indonesien geschmuggelt und dort in Plantagen angepflanzt worden war. Heute wäre Manaus keine Reise wert, würde es nicht mitten in Brasilien liegen, im Herzen des Amazonas-Gebiets, und damit die Gelegenheit bieten, zur Mündung des Araguari vorzudringen, zur Quelle der Pororoca.
Unser Zuhause für die einwöchige Reise war ein Schiff, die „Forest II", 28 Meter lang, sechs Meter breit, angetrieben von einem 700-PS-Dieselmotor.
Von Manaus aus tuckerte die „Forest II" durch eine einzigartige Landschaft, an Santarm vorbei, durch die „Karibik des Amazonas", in den hier der Tapajös mündet. Manchmal glitt sie mitten auf dem Fluss dahin, dann wieder an Ufern entlang, von Bäumen gesäumt, die ihre Äste erschöpft ins Wasser hängen lassen.
Ursprünglich sollte sich die „Forest II" durch einen
- Kanal nach Norden zum Araguari schwindeln. Doch
der Kanal war gesperrt, so blieb ein Umweg übers Meer der einzige Ausweg, und unser Schiff verlor unfreiwillig seine Salzwasser-Unschuld. Ein paar Stunden lang schaukelte es über den Atlantik, dann bog es wieder nach Westen ab, gen Land. Im Araguari gingen wir hinter einer kleinen Insel vor Anker. Zur Sicherheit, aus Angst vor der Pororoca, die schon grö¬ßere Schiffe einfach umgeschmissen hatte. Uns blie¬ben wenige Stunden Schlaf, die Pororoca war für den
60 9gel Tagesanbruch angesagt. Die „Forest II" sollte liegen bleiben, wo sie lag. Ihre Beiboote würden uns zur Welle bringen: Sie sind wendig genug, um im Notfall schnell fliehen zu können.
Im Morgengrauen klettern wir in die kleinen Holz
boote, Nussschalen im Vergleich zur stabilen „Forest II". Unser Steuermann Indio gibt das Startzeichen, wirft den Außenbordmotor an. Wir legen ab. Indio, wie viele Brasilianer asiatischer Herkunft, pilotiert ansonsten Boote in Macapä, der nächsten Großstadt. Er ist der Pororoca schon dutzende Male begegnet, und doch wirkt er angespannt. Die Pororoca, warnt er uns eindringlich, kann sehr gefährlich werden. Wen sie einmal überrollt hat, der findet sich in kabbeligem, wildem Wasser wieder, in dem neben Baumstämmen auch Krokodile, Wasserschlangen und Piranhas schwimmen.
Die Gefahr besteht darin, mit dem Holzboot im
vor der Welle seichten Wasser auf Grund zu laufen
und stecken zu bleiben. „Wenn das passiert", sagt
Indio, „dann müsst ihr springen und versuchen, euch rasch vom Boot zu entfernen. Denn wenn die Welle das Boot trifft und hochwirbelt, ist die Gefahr groß, dass es euch zerschmettert."
Die Göttin Iemanjä ist der brasilianischen Sage zu- er
folge von Zeit zu Zeit böse auf die Sterblichen. Dann sucht sie nach Opfern. Die Pororoca hilft der Göttin

dabei. Selbst in den Millionenstädten im Süden wird den Kindern in der Schule erzählt, dass eine Welle im wilden Nordosten des Landes Dörfer überflutet und Landstriche unter Wasser setzt.
Im übertragenen Sinn auf den Grund geht man Pororoca erst seit 1984 ernsthaft: Damals führte der Meeresbiologe Jacques-Yves Cousteau diverse For¬schungen im Amazonas-Gebiet durch – die wesentlich dadurch beeinträchtigt wurden, dass die Welle sein Boot mit einem kompletten Satz teurer Ausrüstung zum Kentern brachte. Cousteau sprach damals von einer „Wand aus Wasser", die auf ihn zugerast war.
Vergleichbare Phänomene gibt es in Küstengebie-ten weltweit auf mehr als sechzig Flüssen oder Fluss-armen. Bekannt sind der Severn in England und der Qiantang in China. Doch sie alle können der Pororoca nicht das Wasser reichen: Der Gezeitenunterschied im Amazonas-Gebiet beträgt zumindest vier Meter. Und die Regenzeit lässt zwischen Oktober und Januar die Flüsse anschwellen: Wir besuchen Pororoca im März, sie präsentiert sich in prächtiger Form.
„Ein Problem mit dem Motor!", schreit Indio plötz¬lich, „ein Problem mit dem Motor!" Die Welle jagt auf uns zu. Wir machen uns zum Sprung bereit. Im letz¬ten Moment kriegt Indio den Außenborder wieder in Gang, wir können flüchten. Ein anderes Boot hat we¬niger Glück und läuft auf Grund. Wir können nicht helfen und müssen zusehen, wie die drei Insassen

über Bord springen und versuchen, möglichst weit wegzukommen vom Boot. Sie schaffen es nicht weit genug. Wie ein riesiger Schlund schluckt die Pororoca Kahn und Menschen, kaut sie durch, speit sie wieder aus. Das Rescue-Boot jagt kreuz und quer über den Fluss, liest einen nach dem anderen auf.
Josh wurde von der Schiffsschraube eine klaffende Wunde am Bein zugefügt. Zum Glück kam er schnell genug aus dem Wasser, um nicht von Piranhas behel¬ligt zu werden. Gary ist mit einer schweren Rücken¬prellung, Renato mit dem Schrecken davongekom¬men. Garys Glück war, dass er sein Surfbrett wie einen Schutzschild hochhalten konnte und deshalb nicht unmittelbar vom Boot getroffen wurde. Sein Pech ist ein kaputtes Board – „that hurts".
Garys Board ist hinüber. Doch er hofft, bis zum nächsten Tag wieder fit zu sein. Er stärkt sich am Buf¬fet von Paolo, dem Schiffskoch der „Forest II". Paolo ist im Amazonas-Gebiet eine kleine Berühmtheit. Er stand früher in der Kombüse der „Seamaster", die den neuseeländischen Segler Peter Blake durch den Regenwald trug. Blake hatte zweimal den America's Cup gewonnen und später zu Forschungszwecken den Amazonas bereist. Im Dezember 2001 wurde die „Seamaster" von Piraten überfallen. Als Blake sich zur Wehr setzen wollte, wurde er erschossen. Paolo erzählt nicht ohne Stolz, wie er sich damals im Auf-enthaltsraum der „Seamaster" versteckte, alles beob

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