Hochzeit am 9.9.2009 Heiraten am 9.9.09
Author D.Selzer-McKenzie
Am 9. 9. 2009 werden mehr Chinesen heiraten als je zuvor. Die Hoch¬zeitsfotografen haben sich darauf eingestellt
Barfuß und im Brautkleid hat sich Wu Jun auf den Bug des Schiffes geschwungen, das wie ein ge¬strandeter Kahn im Sand sitzt. Die junge Chinesin lächelt schüchtern in die Kame¬ra des Hochzeitsfotografen. Unter den wei¬ßen Stoffkaskaden ihres Kleids blitzen die Hosenbeine ihrer Jeans hervor. Bräutigam Liu Yunnan ist von der Seite auf das kleine Segelschiff geklettert und lehnt sich an sei-ne Zukünftige. Weitere Requisiten stehen bereit: ein ausrangierter roter Sport¬wagen, eine Schaukel, ein weißes Piano, ein weißer Jägerzaun mit Palme dahinter.
Dieser Sandstrand ist ein Erlebnispark für Hochzeitsromantik moderner chinesi¬scher Art. Ein paar clevere Geschäftsmän¬ner haben ihn aufgebaut. Sie verlangen 100 Yuan (zehn Euro) pro Hochzeitspaar, die sich der Reihe nach an den einzelnen Stationen fotografiel'en lassen. Es ist Flie߬bandarbeit. Für Liu Yunnan und Wu Jun sind es noch Mona& bis zu ihrer Hochzeit. Doch die Fotos werden in China weit im
voraus fabriziert, damit sie zur Trauung fertig sind. Das ist praktisch. Und für Chi¬nesen sind die Fotos so wichtig wie die Hochzeit selbst.
Derzeit haben die Hochzeitsfotografen ihre Finger wieder pausenlos am Auslöser. Am Mittwoch, dem 9. 9. 2009, findet sich dreimal die chinesische Glückszahl neun im Datum wieder. Da auf . Chinesisch „neun" genauso ausgesprochen wird wie „lange Zeit", hoffen die abergläubischen Chinesen, dass eine an diesem Tag ge-schlossene Ehe von besonders langer Dau¬er sein wird. Wie vor einem Jahr am 8. 8. 2008 (die Glückszahl acht verspricht Reichtum) sind wieder die Standesämter ausgebucht. In Schanghai haben sich so¬gar mehr Brautpaare angemeldet als zum Glücksdatum vor einem Jahr. Schon da¬mals heirateten dort mehr Paare als je zu¬vor an einem Tag.
Mit seiner Freundin Wu Jün ist Liu Yun¬nan aus Tianjin in das Strandbad Beidaihe gereist, in dem sich in den heißen Sommer¬monaten die hohen Parteikader erholen. „Wir wollten unbedingt Bilder mit Meer¬blick", sagt Liu. Zahllose Brautpaare su¬chen sich das Seepanorama als Hinter¬grund für ihre Fotos aus. Liu hat ein Kom-plettpaket gebucht inklusive Busreise, Fo¬tograf und Verleih des Brautkleides. Der Bus war bis auf den letzten Platz aus¬gebucht. Auf dem Strand von Beidaihe lau¬fen nun mindestens 15 Bräute mit geraff¬ten Röcken und Bräutigame in Badelat¬schen durch den Sand. Sie lassen sich ab¬wechselnd mit der Geige in der Hand oder
auf einem Strandbuggy ablichten. Die chi¬nesischen Brautpaare greifen immer tiefer in die Taschen, um bei der Trauung mit be-sonderen Fotos glänzen zu können. „Die Menschen wollen etwas Neues in ihrer Hochzeitsfotografie ausprobieren. Nicht immer nur dasselbe falsche Lächeln, die¬selben falschen Posen, derselbe falsche Hintergrund", sagt Wang Xiaoying vom „1502"-Fotostudio in Peking.
Modern sind Aufnahmen, die das Braut¬paar in Kriegsszenen zeigen, die dem be¬liebten Computerspiel „Counter Strike" nachempfunden sind: Der Bräutigam wird als Kriegsheld mit schusssicherer Weste verkleidet. Mit Maschinenpistole im An¬schlag rettet er die hilflose Braut vor grim¬migen Soldaten in Tarnanzügen. Daneben arbeitet die Nebelmaschine.
Für die extravaganten Aufnahmen zah¬len die Paare bis zu 10 000 Yuan (1000 Euro), mehr als das Doppelte als für nor¬male Bilder. Auch bei den Hochzeiten selbst suchen die jungen Chinesen das Ausgefallene. Sie lösen sich aus der Lange¬weile der Tradition. Es reicht nicht mehr, mit einem ausschweifenden Bankett und einem schmierigen Alleinunterhalter zu kommen. Im südchinesischen Shenzhen versammelten sich 60 angehende Eheleu¬te in Badehose zur Gruppenhochzeit im Swimming-Pool. Das Paar Cui Zongtao und Zhou Yuli wählte im vergangenen Jahr die Variante „Hochzeit auf Rollschu¬hen". In der Provinz Jilin präsentierte vor kurzem die 25 Jahre alte Lin Rong eine handgenähte Schleppe rillt einer Länge
von mehr als 2000 Metern. Ihr Ehemann Zhao Peng wollte damit einen Weltrekord aufstellen. 200 Hochzeitsgäste waren drei Stunden lang damit beschäftigt, den Schleier auszurollen und 9999 rote Rosen daran zu befestigen. In der Provinz Shan¬dong radelten Tong Yanliang und seine Braut Li Jingjing auf dem Fahrradsitz vor den Hochzeitsgästen her.
Auch die Traditionen werden wieder ausgegraben, wenn auch nicht so, wie man das erwartet hätte. Im südwestchine¬sischen Chongqing ließ sich ein Paar in den Uniformen der Roten Garden aus der Zeit der Kulturrevolution trauen. Es woll¬te den Eltern der Braut huldigen, die in den sechziger Jahren den Ehebund ge-schlossen hatten. Ebenfalls in Chongqing mieteten sich tierliebe Chinesen zwei Ras¬sestuten zum Preis von 1000 Euro für drei Minuten, um auf dem Rücken der Pferde „ihrem Glück entgegenzureiten". Die Hei¬rat ließen sie sich 100 000 Yuan (10 000 Euro) kosten — ein Vermögen in China.
Viele stöhnen schon wegen der chinesi¬schen Foto-Manie zum Hochzeitstag. Die Verwaltung des berühmten Sommerpalas¬tes in Pekings Westen untersagte vor kur¬zem das Aufnehmen von Hochzeitsfotos, elf weitere öffentliche Parks planen ein Verbot. Andere haben angefangen, eine Gebühr zu verlangen. Das Problem: Vor al¬lem am Wochenende sind die öffentlichen
Grünflächen von Ehepaaren in Hochzeits¬ 0Z kleidung und ihren Fotografen bevölkert.
Da bleibt kaum noch Platz für normale Be¬sucher.
Dienstag, 8. September 2009
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